DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa
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XI. KUNSTBEUTE IM DREISSIGJÄHRIGEN KRIEG
Beute zu machen galt
schon immer als legitimer Versuch, den Feind physisch und psychisch zu
schädigen. Entsprechend wurde das kriegsrechtlich definierte "Ius
praedae" - das Recht auf Beute, über das kein geringerer als Hugo
Grotius eine Abhandlung verfaßte - auch im Dreißigjährigen
Krieg vielfach wahrgenommen. Die künstlerisch hochstehende Beute stand
hierbei ausschließlich hochstehenden Personen zu, zumal Kunstbesitz vor
allem seit der Renaissance zur fürstlichen und adligen Identifikation
gehörte. Über die übliche Beute-Absicht hinaus schädigte der
Kunstraub gerade das fürstlich-ideologische Selbstverständnis des
Gegners. Daher waren Gemälde, Statuen, Bücher und jede Art von
Kunsthandwerk im Dreißigjährigen Krieg auf allen Seiten begehrte
Beute. Daß die Absicht, wertvolle Kunstwerke zu erbeuten, selbst
während der Westfälischen Friedensverhandlungen ungebrochen
weiterwirkte, zeigt das Beispiel Prag: Noch in der letzten Verhandlungsphase im
Sommer 1648 eroberte der schwedische General Königsmarck den Hradschin und
weitere Paläste der Kleinseite. Königin Christina reagierte schnell
und entschlossen, als sie - zeitgleich mit dem Abschluß des
schwedisch-kaiserlichen Vorfriedens - den sofortigen Abtransport der Prager
Kunstschätze nach Schweden befahl. So eignete sie sich die berühmte
Kunstsammlung Kaiser Rudolfs II. an, die damals europaweit als Inbegriff
fürstlichen Kunstverstands galt. Zwar protestierten die kaiserlichen
Gesandten auf dem Friedenskongreß aufs heftigste, doch wurde die kostbare
Fracht ungehindert nach Schweden
überführt.
Schon die
erste prominente Beute, die im Dreißigjährigen Krieg gemacht wurde,
war ähnlich spektakulär gewesen: die Heidelberger Bibliotheca
Palatina. Die von den Zeitgenossen als “Mutter aller Bibliotheken”
bezeichnete Büchersammlung ging nach der Einnahme der Stadt und des
kurfürstlichen Schlosses durch Tillys Truppen (September 1622)
zunächst an Maximilian von Bayern. Einflußreiche kirchliche Kreise
erwirkten jedoch, daß Papst Gregor XV. diese Bibliothek als Geschenk
erhielt. So gelangten tausende von Manuskripten und Büchern nach Rom,
neben geistlichen Werken auch zahlreiche profane Schriften und wissenschaftliche
Publikationen. Sie alle bilden noch heute einen eigenständigen Bestand der
Biblioteca Vaticana - wie Maximilian es gewünscht hatte.
Vielleicht in konsequentester Weise verbanden sich bei Gustav Adolf von Schweden das Streben nach Erbeutung von Kulturschätzen und das Bemühen um Hebung des Bildungswesens im
eigenen Land. Sein systematisch betriebener Abtransport von Bibliotheken aus den
katholischen Bistümern Bamberg, Würzburg und Mainz in den Jahren 1631
und 1632 sollte den schulischen und akademischen Lehrstätten in Schweden
als Grundstock zugute kommen, wie ein Donationsbrief des Königs zugunsten
der Universitätsbibliothek Uppsala belegt. Dort ergänzte man die
Buchbestände durch systematische
Zukäufe.
Im gegenseitigen
Nehmen blieben im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges Revanche-Akte
nicht aus. So war die Beschlagnahme der Sammlung Maximilians von Bayern 1632,
die sich durch eine stattliche Anzahl italienischer und altdeutscher
Gemälde auszeichnete, durch König Gustav Adolf eine Reaktion auf den
zehn Jahre zurückliegenden Raub der Palatina. Entsprechend zog der
vertriebene Winterkönig Friedrich V. von der Pfalz zusammen mit Gustav
Adolf in die bayerische Residenz ein. Trotz seiner sonstigen Rechtstreue
handelte der schwedische König hier seinem eigenen Schutzversprechen
zuwider. Maximilians Anstrengungen, seine Sammlung zurückzuerhalten, etwa
nach der Schlacht bei Nördlingen 1634, als er den schwedischen Feldherrn
Gustav Horn als Geisel benutzte, blieben vergeblich. Auch die gewaltsame
Inbesitznahme der herzoglichen Stuttgarter Kunstkammer sowie der Tübinger
Schloßbibliothek im gleichen und folgenden Jahr könnten Reaktionen
Maximilians sein. Namhafte europäische Museen gewannen bis heute aus der
Kunstbeute des Dreißigjährigen Krieges Glanz und internationalen
Rang. S. T.