DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
JOHANNES BURKHARDT Die entgipfelte Pyramide. Kriegsziel und Friedenskompromiß der europäischen Universalmächte |
Wer wissen will, worum es im
Dreißigjährigen Krieg eigentlich ging, muß sich darauf
einlassen, Europa einmal etwas anders zu sehen. [1] Faßt man den
ganzen Krieg ins Auge und versammelt ganz Europa in Gedanken in einem Raum,
dunkelt dabei aber allerlei Einzelinteressen und für diesmal auch die
Religionskonflikte etwas ab, dann treten die politischen Handlungsstrukturen in
geradezu geometrischer Klarheit hervor. Im Zentrum des virtuellen Raumes erhebt
sich eine Pyramide, in der schlanken, einem Obelisken nahekommenden Form, wie
sie seit der Renaissance beliebt war. Nach dem Brauch der Zeit steht sie auf
einem Sockelfundament, auf dem in großen Lettern drei Worte eingegraben
sind: IMPERIUM, CHRISTIANITAS und MONARCHIA. An den Wänden des Raumes
erkennt man die Bilder der Herrscher in ihren Krönungsornaten und mit den
Insignien ihrer Macht, in Herrscherpose, hoch zu Roß oder schon in halber
Kriegsrüstung. Jede der vier Wände wird von einem gekrönten
Repräsentanten der wichtigsten europäischen Kriegsmächte
dominiert: dem Kaiser, dem spanischen König, dem französischen
König und dem schwedischen König. [2] Über Eck jedoch,
zwischen kaiserlicher und spanischer Seite reichen sich auf einem Schlachtfeld
zwei siegreiche Königssöhne die Hand. [3] Die Blicke aller
gekrönten Häupter aber richten sich auf die Pyramide und ruhen wie
gebannt auf ihrer Spitze, auf die alles Licht der Zeit fällt. Was suchen
sie da?
I
Das
Modell, das man sich auch als Ausstellungsinszenierung, Computeranimation oder
aber als verschollenes Titelkupfer der Zeit denken könnte, veranschaulicht
die Andersartigkeit der Ordnungsvorstellung des 17. Jahrhunderts und das sich
daraus ergebende machtpolitische Grundproblem des Dreißigjährigen
Krieges. Europa war in der Tat bei aller Untergliederung in den Augen seiner
politischen Gewalten noch ein einziger Raum, eine in einem durchgehenden
Ordnungszusammenhang stehende Universaleinheit. Die Pyramide zeigt an, daß
dieses Ordnungsideal ein hierarchisches war. Das entsprach kirchlichen und
aristokratischen Organisationsformen, der Lehensordnung und der
Ständepyramide. Darum konnte es auch in der Universaleinheit Europa
eigentlich nur eine einzige Pyramide mit einer einzigen Spitze geben.
Während man sich das Europa des 18. und 19. Jahrhunderts idealtypisch eher
als ein schachbrettartiges Nebeneinander von Staaten denken könnte, war im
17. Jahrhundert noch das durch die Pyramide symbolisierte
universalistisch-hierarchische Ordnungsideal präsent. Fundamentiert und
legitimiert wurde es von drei Sockelbegriffen. IMPERIUM erinnert daran,
daß Europas Einheit aus dem Römischen Reich erwachsen ist und dieses
Urbild aller Universalreiche auch in der eingeschränkten Form des "Heiligen
Römischen Reiches Deutscher Nation" doch stets nur einen einzigen Imperator
oder Kaiser vorsah. CHRISTIANITAS meinte seit Kreuzzugstagen und
Türkenkriegen auch die politische Einheit der Christenheit, aber das
Papsttum galt nur noch der halben Christenheit als Oberhaupt, und die
Führungsposition war vorgesehen, aber umstritten. MONARCHIA hieß
ursprünglich nicht nur "Monarchie" im Sinne der Regierungsform einzelner
Staaten, sondern die "Einherrschaft" in der Welt überhaupt. Zur
Verdeutlichung dieses umfassenden Monarchiebegriffs wurde seit dem 16.
Jahrhundert die Bezeichnung "Monarchia universalis" üblich. [4]
Verbreitet war die Lehre von den vier Weltmonarchien, nach der die Geschichte,
einer biblischen Prophetie des Buches Daniel folgend [5], aus einer
geschlossenen Abfolge von Universalreichen bestand, als deren viertes und
letztes das römische, nun aber römisch-deutsche galt. Diese drei
Fundamentalbegriffe und ihre Varianten ergänzten und überschnitten
sich, konkurrierten auch miteinander und waren nicht unumstritten. Aber sie
hielten alle den Gedanken an eine zumindest dem Rang nach übergeordnete
Gewalt als die eigentlich rechte Ordnung lebendig. Man könnte
körbeweise Flugschriften und Flugblätter aus der Zeit des
Dreißigjährigen Krieges in den Raum stellen, die von Recht und
Unrecht der Universalmonarchie oder der "fünften Monarchie" handelten. Die
Spitzenposition in Europa war nicht einvernehmlich besetzt, aber sie konnte als
eingeplant und wieder zu besetzen gelten.
Die
Herrscher an den Wänden repräsentieren die Hauptkriegsbeteiligten
unter den Mächten, und das waren charakteristischerweise diejenigen, die
sich mit den besten Chancen und größten Erfolgen um die
Spitzenposition beworben haben. Eine Besonderheit ist, daß es vier
Herrscher, aber nur drei Kandidaturen gab. Bei den Habsburgern beanspruchte die
Dynastie die Universalgewalt und stützte sich dazu auf der einen Seite auf
das Kaisertum Ferdinands II., auf der anderen Seite auf die weltumspannende
spanische Krone Philipps IV. Was unter Karl V. noch in der Person des Kaisers
vereint gewesen war, wurde zwar unter den Linien geteilt, war aber eigentlich
eine Arbeitsteilung der Dynastie; der kooperative Handschlag der "beiden
Ferdinande" auf dem Schlachtfeld von Nördlingen führte dies am Tag
ihres größten Erfolges sinnbildlich vor Augen. Frankreich war, jetzt
repräsentiert von Ludwig XIII. und geleitet von Richelieu, der
stärkste und älteste Konkurrent, der sich schon im 16. Jahrhundert ein
"Duell um Europa" (Heinrich Lutz) mit den Habsburgern geliefert hatte. Der
Überraschungskandidat des Krieges aber wurde der Schwedenkönig Gustav
Adolf, der mit weit schwächeren Ressourcen, aber der kriegerischsten
Energie und Ideologie angetreten war. Das Kriegsziel aller drei
Hauptkombattanten aber war, die vakante Spitzenposition in Europa zu besetzen
und so Universalmacht zu werden oder dieses universalistische
Selbstverständnis zu verteidigen. Das galt unter dem pyramidalen
Ordnungsideal nicht von vornherein als illegitim, anders als spätere
Hegemonialansprüche auf der Basis des Staatensystems. Denn in der
Vorstellung der Zeit gab es ja die Pyramide, und man hielt den Gegner am besten
von der nun einmal vorgesehenen Spitze fern, indem man sie selbst
eroberte.
II
Die
im Dreißigjährigen Krieg konkurrierenden Herrscher hatten einiges
einzubringen, was gerade ihren Anspruch auf die Spitzenposition in Europa
begründet. Das beginnt mit den Titulaturen, die in ihrer Art jeweils
unüberbietbar sind - der Kaiser an Alter, Rang und Singularität, aber
ebenso der "Allerchristlichste König" (Roi très
chrétien) mit seinem Anspruch auf den Vorrang der französischen
Krone in der Christenheit. Dem wiederum hielt der spanische König, gerade
in der Publizistik des Dreißigjährigen Krieges, mit dem ebenso
allgemeingültigen wie rechtgläubigen Titel des "Katholischen
Königs" kräftig gegen. Dazu kamen Devisen wie die berühmten
Rätselbuchstaben Kaiser Friedrichs III. AEIOV, die schon zu seiner
Zeit als "Austriae est imperare orbi universo" gelesen [6], als
Inschrift in Stein gehauen [7] und nachweislich im 17. Jahrhundert im
Sinne des Weltherrschaftsanspruches des Hauses Österreich gepflegt wurden.
Zusätzlich ergänzte das "plus ultra" Kaiser Karls V. diese Devise, das
wiederum französischerseits mit einem nemo plus ultra oder nulla
obstacula regi auf Abbildungen Ludwigs XIII. überboten
wurde. [8] In ganz anderer Weise, aber im Anspruch nicht im mindesten
zurückstehend erhob der rex Suecorum, Gothorum et Vandalorum seinen
universalistischen Anspruch. Denn die Schwedenkönige wurden seit Gustav
Adolfs Vorgänger, Karl "IX.", nach einer fiktiven Herrscherreihe offiziell
als die letzten Gotenkönige gezählt, und die Goten waren nicht nur ein
Eroberungsvolk, sondern wurden als Weltherrscher
überliefert.
Das führt zu den
historischen Legitimationen des universalistischen Anspruchs, die im Falle
Gustav Adolfs die größte Dynamik entfalteten. Der schwedische
Gotizismus, der davon ausging, daß Schweden die Heimat und die Schweden
die eigentlichen Nachkommen des Völkerwanderungsvolkes der Goten seien,
wurde im 15. und 16. Jahrhundert aufgebaut - auch in Konkurrenz zum Gotizismus
in Spanien, wo die Westgoten schließlich angekommen waren - und erreichte
im Dreißigjährigen Krieg seinen Höhepunkt. Als dem ältesten
Land der Welt gebühre Schweden der Vorrang vor allen anderen, heißt
es in des Königs Aufzeichnungen, und immer wieder stellte er in seinen
Reden die Ruhmestaten der gotischen Ahnen in aller Welt als Vorbild heraus. Bei
seiner Krönung 1617 schlüpfte der Redner gar selbst in die Rolle des
Gotenkönigs Berik: Das Verlangen nach Ruhm und tapferen Taten lasse sich
"nicht länger in die Grenzen des Vaterlandes einschließen, so
groß es auch sei", und damit man das nicht für bloße
Rollenprosa hielt, fügte "Berik" hinzu, daß die Goten nicht noch mehr
von der Welt erobert hätten, um den Nachkommen noch etwas zu tun zu
geben. [9] Gotenkrieger sollten auch als Figurenschmuck im
königlichen Flaggschiff mitsegeln, das jedoch vorzeitig
unterging. [10] Bevor Gustav Adolf dann tatsächlich nach
Deutschland übersetzte, ermunterte er den Adel, sich weiterhin als "treue
Erben und Abkömmlinge der alten Goten, die in ihren Tagen fast die ganze
Welt erobert und viele Königreiche unterworfen haben" zu
erweisen. [11] Flankiert wurde der großgotische Universalismus von
einer Fülle weiterer historischer Verweise aus großskandinavischen
und großpolnischen, dynastischen und maritimen Universalismen des Nordens,
von Rückbezügen auf alttestamentliche und antike Helden und Eroberer
und vor allem auf das Römische Reich, zu dessen Erben die Goten ja in
gewisser Weise gehörten.
Bei den Habsburgern
war der Geschichtsbezug vor allem dynastischer Natur. Einerseits durch die
Ansippung an die ersten Adressen in Bibel und Antike und genealogische
Vereinnahmung der halben Welt [12], andererseits in realistischen
Stammbüchern durch die Betonung der Einheit der beiden Zweige Austria
Hispanica und Austria Germanica in bekränzten
Medaillons. [13] Spanien und Frankreich konkurrierten hingegen im
publizistischen Vorlauf des Krieges um Alter, Rechtgläubigkeit und damit
Rang ihrer Kronen. Frankreich vereinnahmte über Troja und Gallien die
prestigeträchtige Antike und meldete über die Franken und Karl den
Großen den Anspruch auf halb Europa und das Kaisertum an. Nach dem
salischen Recht gehöre der Krone "Frankreich" immer noch, was sie je
besessen habe, lautete hier die territorialrechtliche Fassung des Universalismus
in der Zeit des Dreißigjährigen
Krieges.
Im Bilde - und nicht zuletzt im
geographischen Bilde - wurden universalistische Ansprüche oft noch
schrankenloser erhoben. Ein besonders schönes Beispiel aus dem Vorlauf des
Dreißigjährigen Krieges ist die silberne Weltallschale Kaiser Rudolfs
II., in die eine Europakarte so eingraviert ist, daß sie zugleich als eine
Frauengestalt erscheint. Den Kopf bildet die spanische Halbinsel, so daß
die bekrönte spanische Monarchie als das Haupt Europas hingestellt
wird. [14] Dieses Motiv war auch in Kupferdrucken verbreitet, und solche
figürlichen Kartenbilder waren überhaupt beliebt - aber nur da, wo es
politischen Sinn machte, nahmen sie gleich ganz Europa in Anspruch: der Spanien
entsprungene niederländische Löwe deckte sich mit seinem ganzen
Körper nur mit den Niederlanden. [15] Nach der Entdeckung der Neuen
Welt und der europäischen Expansion bekommt mit der Phasenverzögerung
fast eines ganzen Jahrhunderts der europäische Universalismus im Bilde auch
eine weltweite Dimension, natürlich zuerst in Spanien mit Darstellungen,
die mit überdimensionalen Erdkugeln imponieren sollen, die - zum Beispiel
nachträglich mit Karl V. - spanisch signiert sind und oft von Atlas
getragen werden. [16] Ein beliebtes Motiv sind die Abgesandten oder
Personifikationen der vier Erdteile, die dem spanischen Thron huldigen oder sich
aber wider alle Wahrscheinlichkeit auch vor Kaiser und Reich verneigen und
natürlich prompt im Dreißigjährigen Krieg auch dem
französischen Thron, warum auch immer, ihre Huldigung darbringen. Sehr
deutlich wird hier, daß es sich nicht um eine Ausweitung des
europäischen Universalismus handelt, die weltläufigen Bildmotive aber
ein Mittel zum Zweck im europäischen Universalkampf darstellen. Eine andere
Art bildgeographischer Propaganda findet sich in einer proschwedischen
Flugblattserie: Der Schwedenkönig schließt in Polen Frieden und
bekommt hinter einem die Bildhälfte teilenden Werk von einem Engel den Weg
ins Reich gewiesen, das er im Triumphwagen durchquert, um in den Reichssaal
einzutreten, in dem Kaiser und Kurfürsten thronen. Die Pointe ist,
daß ihm durch die ganze Bildfolge ein Vogel mit seinem Feldherrenhut im
Schnabel zum Thron voranflattert, wie dies nach Livius einst einem Feldherren
wiederfahren sein soll, der dann in Rom König wurde. [17] Was hier
sogar abgebildet wurde, war die Erlangung des Kaisertums, das dem
Schwedenkönig vorbestimmt schien, wie auch andere providentielle Vorzeichen
suggerierten, etwa die Buchstabengleichheit von Gustavus und
Augustus.
Die Überordnung des eigenen Hauses
über alle anderen wurde auch von den Anhängern und Ratgebern
aufgenommen. Wenn man die Denkschriften des französischen und spanischen
leitenden Ministers liest, dann wird das ganz deutlich: "Nachdem La Rochelle
genommen ist, muß der König, wenn er sich zum mächtigsten
Monarchen der Welt und zum angesehensten Fürsten machen will
[...]" [18], beginnt eine Denkschrift Richelieus. Den spanischen
König sieht sein Ratgeber Olivares schon im Besitze einer solchen Position:
"Eure Majestät besitzen bereits mehr als ausreichend Länder, um als
der erste Fürst in der Welt zu gelten". [19] Eben dies freilich
ließ Richelieu nicht ruhen, wenn er dem König seine Optionen
verdeutlichte, deren erste er später in die Tat umgesetzt hat: "Die
Vorteile der ersten bestehen darin, daß man das ganze Haus Habsburg
absolut ruinieren und damit auf immer von der Furcht, der Eifersucht und den
Ausgaben frei sein könnte, zu denen seine Größe seit langer Zeit
Frankreich nötigte; daß man aus seinen Trümmern nutzen ziehen
und der König sich zum Haupt aller katholischen Fürsten der
Christenheit und infolgedessen zum mächtigsten Herrscher Europas machen
könnte". [20] So ließe sich diese Gegenüberstellung aus
den internen Beratungen beider Seiten fortsetzen, wobei nicht nur die
Zielsetzung, sondern auch die Prioritätsformeln und Suprematiebegriffe
geradezu austauschbar erscheinen. Das hier von den Titulaturen über die
historischen Legitimationen bis hin zu den geographischen Veranschaulichungen
und den diplomatischen Dokumenten angedeutete Spektrum, aus dem sich einige
Beispiele auch in der realen Ausstellung in Münster und Osnabrück
wiederfinden, erschließt die Vorstellungswelt der drei aussichtsreichsten
Mächte. Wenn man sich diesen Hintergrund vergegenwärtigt, dann erkennt
man, wie gut das Haus Habsburg mit seinem kaiserlich-spanischen Doppelgipfel,
die französische Superkrone und der großgotische Schwedenkönig
für den Kampf um die Spitze Europas ideologisch gerüstet
waren.
III
Der
Anfang und das erste Jahrzehnt des Dreißigjährigen Krieges lesen sich
allerdings in den üblichen Geschichtserzählungen ganz anders. Der
Prager Fenstersturz kaiserlicher Räte führte zur Wahl des Pfalzgrafen
zum böhmischen König durch die evangelischen Stände, verwickelte
das halbe Reich und schließlich Dänemark in den Konflikt gegen den
Kaiser. Das ist richtig, aber nicht alles. Denn was hier bereits zur Disposition
stand, war die europäische Stellung der stärksten der potentiellen
Universalmächte.
Nachdem man nämlich in
Europa fast schon der Meinung hätte sein können, dank eines starken
Spaniens habe Habsburg den Kampf um die Spitze bereits gewonnen, wurde im
Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges eine schwere Krise offenbar.
Politisch äußerte sie sich vor allem im drohenden Abbröckeln des
eigentlichen Machtbereichs des Hauses. Im niederländischen
Unabhängigkeitskrieg gegen den spanischen Zweig und in der sich lange
anbahnenden böhmischen Ständeerhebung gegen den österreichischen
drohten dem dynastischen Universalverband seine wichtigsten Nebenzentren
verlorenzugehen. In dieser Situation nahm man unter dem neuen Kaiser Ferdinand
II. und dem jungen Philipp IV. mit seinem Minister Olivares einen neuen Anlauf,
erneuerte und koordinierte die Haus- und Aktionseinheit, die sich als
überaus erfolgreich erwies. Spanien schien nach Ablauf eines
Waffenstillstands gegen die Niederlande im Jahre 1621 mit seinem Heerführer
Spinola auf der Siegerstraße zu sein, und in Deutschland gewann der Kaiser
nicht zuletzt mit spanischer Geld- und Militärhilfe seine beiden Kriege -
den "böhmisch-pfälzischen" und den
"dänisch-niedersächsischen" Krieg -, wobei er seinen Machtbereich bis
hin zur Ostsee ausdehnte.
Die anderen beiden
universalistischen Aspiranten haben die habsburgischen Erfolge genau beobachtet,
aber zunächst ihren unmittelbaren eigenen Machtbereich weiter ausgebaut -
Richelieu durch die Eroberung von La Rochelle, Gustav Adolf gegen die baltischen
und polnischen Ostseeanrainer - und zusammen mit den unmittelbar betroffenen
Niederlanden das Gegenspiel organisiert. Es bestand darin, mit Geld und guten
Worten erst einmal kleinere deutsche Fürsten und den Dänenkönig
vorzuschicken oder begrenzte Vor- und Stellvertreterkriege zu führen, wie
den schon die ganzen 1620er Jahre sich aufbauenden Mantuanischen Erbfolgekrieg
Frankreichs mit Spanien. Den offenen Kriegseintritt riskierte 1630 zuerst der
Schwedenkönig aus Anlaß des kaiserlichen Eindringens in die nach
seinem Kriegsmanifest "uralte" schwedische Einflußsphäre an der
Ostsee, die Gustav Adolf gerade aufbauen wollte. Der eigentliche Konkurrent
wäre da allerdings Dänemark gewesen, das die Ostseezufahrt
kontrollierte und noch halb Südschweden besaß, aber diesen
Habsburg-Gegner schonte Gustav Adolf zunächst. Der Schwedenkönig hielt
sich auch nicht lange an der Ostsee auf, sondern attackierte gleich seinen
habsburgischen Hauptfeind. In einem beispiellosen Siegeszug drang er bis in die
spanische Einflußzone am Rhein und bis zur kaiserlichen Reichsbasis um
Nürnberg, Augsburg und München vor. Die Bündnisverträge, mit
denen sich die Reichsfürsten mehr oder weniger freiwillig unter sein
Protektorat stellten, hätten zum Kern eines neuen Reichs auf dem alten
Reichsboden werden können. Aber Gustav Adolf kam in der Schlacht von
Lützen ums Leben, und das Kriegsglück wendete sich erst einmal.
Schweden war schon mit Frankreich im Bunde gewesen. Daß Frankreich
offiziell erst 1635 in den Krieg eingriff, wiewohl es der habsburgischen
Konkurrenz inoffiziell schadete, wo es nur konnte, hing auch mit seinen
universalistischen Ansprüchen zusammen, die Richelieu, wie dessen
Überlegungen verraten, fast vor das Problem der Quadratur des Kreises
stellten. [21] Denn einerseits waren die den eigenen Ambitionen so
gefährlichen Erfolge der Habsburger baldmöglichst mit einem Krieg
aufzuhalten. Auf der anderen Seite aber gründete der "allerchristlichste
König" seine Priorität mittlerweile auch auf sein Ansehen im
katholischen Lager, das gefährdet gewesen wäre, wenn man sich im Bunde
mit evangelischen Fürsten antreffen ließ. Der Ausweg war ein
jahrelanger verdeckter Krieg, der erst nach dem neuerlichen Erfolg Habsburgs in
der Schlacht von Nördlingen 1634 nicht länger aufrecht zu erhalten war
und im darauf folgenden Jahr zum offenen Einsatz der eigenen Macht
zwang.
Von Anfang an waren also alle drei
universalistisch orientierten Mächte im Hintergrund in diesem Krieg
engagiert, und das Grundmuster des Hauptkonfliktes trat immer deutlicher hervor,
bis es zu Beginn der 1630er Jahre nicht mehr zu verkennen war. Damit wurde aber
auch das Strukturproblem offenbar, daß der Wettlauf zur europäischen
Spitze nur von einem der Kandidaten zu gewinnen war. Ein Konflikt mit einer
solchen einander ausschließenden Zielsetzung der Hauptbeteiligten war
eigentlich gar nicht lösbar. Das war der politisch-strukturelle Grund,
warum der Krieg dreißig Jahre
dauerte.
IV
An
dieser Stelle liegt nun allerdings eine Frage nahe. Wenn es denn wirklich ein so
einfaches politisches Grundproblem ist, das den schwer überschaubaren
Dreißigjährigen Krieg strukturiert, müßte es dann der
Geschichtsschreibung nicht längst vertraut sein? Es ist in der Tat erst vor
wenigen Jahren entdeckt worden und wird noch keineswegs von allen Historikern in
Europa realisiert. [22] Es ist nötig, wenigstens kurz auf die
Irrwege, Umwege, aber auch weiterführenden Ansätze der Forschung
einzugehen. Es sind die nationalen Interpretationstraditionen, die hier der
Erkenntnis im Wege stehen. Dies nicht nur in dem Sinne, daß es nationale
Befangenheiten geben kann, sondern daß die eigene Landesgeschichte zu weit
in die Vergangenheit zurückverlängert und zu wenig im
europäischen Vergleich gesehen wird. Darum erscheint eine so weitgehende
Zielsetzung, wie sie hier beschrieben wird, in der eigenen Nationalgeschichte
oft als schwer akzeptabel.
Über den
Universalmachtsanspruch der Habsburger allerdings besteht schon des
längeren weitgehend Einigkeit, war er doch unter Karl V. so klar formuliert
und durch seine praktischen Erfolge so offenkundig, daß gar kein Zweifel
möglich war. Das Problem ist jedoch, daß die spanische und
internationale Forschung einerseits und die deutsche und österreichische
andererseits verständlicherweise an den Institutionen und Problemen ihres
Landes interessiert sind und darüber die dynastischen Zielsetzungen und
Kooperationen der Habsburger nicht voll in den Blick rücken. Selbst in den
beiden Arbeiten zum Dreißigjährigen Krieg, in denen sie
ausdrücklich untersucht werden, stehen doch eher die Interessenunterschiede
und Konflikte im Mittelpunkt. Eberhard Straub hat sie in einer hispanophilen
Perspektive der österreichischen Seite angelastet, die für die
Friedenspläne von Olivares, also eine Pax Hispanica für Europa,
zu wenig Verständnis aufgebracht habe. [23] Hildegard Ernst hat
umgekehrt aus der institutionellen Perspektive von Kaiser und Reich die deutsche
Interessenlage verteidigt, aber ebenso auf Verständigungsschwierigkeiten
und die Unvereinbarkeit der Politik der beiden Alliierten
hingewiesen. [24] In beiden Fällen wird jedoch nicht klar, warum
die Allianz trotz allem 30 Jahre gehalten hat. Denn wenn man die sonst
üblichen Streitigkeiten in Dynastien bedenkt und die Reibungsverluste unter
Verbündeten in allen Kriegen dieser Welt, dann ist doch eben diese
Standhaftigkeit das, was erstaunt und zu erklären ist. Das
universalistische Kriegsziel muß hier in Rechnung gestellt werden, das
keine der beiden Seiten allein hätte erreichen
können.
Schwieriger scheint es mit Frankreich
zu sein. Denn hier besteht zwar kein Zweifel, daß man seit Karl V. die
habsburgische Universalmonarchie bekämpfte, aber dies wird oft asymmetrisch
verstanden, so als ob Frankreich bereits das Recht des souveränen
Einzelstaats dagegengestellt hätte. Dieser modernen Fehlvorstellung leistet
auch in Deutschland das Schlagwort der "habsburgischen Umklammerung" Frankreichs
Vorschub, des vermeintlich Schwächeren durch den Stärkeren. Dies ist
eine den zeitgenössischen Vorstellungen ganz fremde geopolitische
Einbildung des 19. Jahrhunderts, ähnlich der späteren "Einkreisung"
Deutschlands, die aber in den Schulunterricht geraten ist und damit
unwillkürlich über Generationen weitergeschleppt wird. Wenn schon
anschauliche Geographie, dann sollte man lieber mit der internationalen
Forschung auf die Gefährdung des militärischen Transportweges zwischen
den habsburgischen Reichsteilen über die Alpenpässe und den Rhein
verweisen, der von Frankreich leicht abgeriegelt werden konnte und gerade in den
1620er Jahren und im Mantuanischen Erbfolgekrieg wieder umkämpft
war. [25] Noch folgenreicher aber ist für die Einschätzung der
Rolle Frankreichs, daß die moderne Staatlichkeit hier überhaupt gern
zu früh angesetzt wird. Das geht nicht zuletzt auf ein verbreitetes Bild
von Richelieu zurück, das die modernen Züge des Kardinals
überbetont. Aber Rationalismus ist nicht schon modernes Denken, und der
große "Staatsmann" ist darum noch kein Mann des Staates im
einzelstaatlichen Sinne. Zutreffend urteilt Hermann Weber über den
Kardinal: "Für Richelieu selbst war dies bewußt kaum schon eine auf
nationale Staatlichkeit ausgerichtete Machtpolitik. In seinem Denken leitete sie
sich viel eher aus einer ins Universale und Imperiale drängenden Idee vom
allerchristlichsten König ab". [26] Wer in Richelieus politischen
Schriften liest, aus denen hier schon zitiert wurde, muß sehen, daß
der Richelieu-Kenner recht hat. Die hohe Übereinstimmung mit dem
habsburgischen Universalismus aber legt nahe, auch die praktische Politik
Frankreichs gleich zu beurteilen.
Und Schweden?
Was Gustav Adolf im Dreißigjährigen Krieg zu suchen hatte, ist eine
Frage, die in Schweden und Deutschland schon so oft gestellt worden ist,
daß jede wissenschaftlich korrekte Bearbeitung nach einer Zählung von
1991 mindestens 166 relevante Vormeinungen zur Kenntnis zu nehmen hätte,
darunter 65 schwedische und 71 deutsche, und seither sind noch einige
hinzugekommen. Unlängst sind sie verdienstvollerweise auf 11
Erklärungstypen gebracht worden, und im Grunde lassen sie sich noch weiter
reduzieren. [27]
Es gibt zwei
Hauptperspektiven aus dem 19. Jahrhundert, die danach oft ratlos miteinander
verknüpft wurden. Das eine ist die religiös-idealistische
Interpretationstradition, die eigentlich der bildhaften Flugblattpropaganda
aufsitzt und Gustav Adolf als Helden und Retter des deutschen Protestantismus -
oder nicht minder selbstlos der "Libertät" der deutschen Fürsten - in
den Kampf ziehen läßt. Dem steht gegenüber eine politische oder
"realpolitische" Deutung, die in ihrer absurden Variante Schwedens nationale
"Sicherheit" - offenbar hatte Gustav Adolf in Augsburg keine Landkarte dabei -
in ihrer weithin akzeptierten Form der Ostseeherrschaft bedroht sah, was in der
Tat der Anlaß war, aber nicht alles gewesen sein kann. Eine dritte und
moderne Richtung betont heute vor allem in Schweden verschiedene Handels- und
Finanzinteressen oder die militärische Eigendynamik, was sicher richtig
ist, aber in der Gefahr steht, das Mittel mit dem eigentlichen Zweck zu
verwechseln.
Neben älteren Irrwegen und
neueren Umwegen gibt es in der Forschung auch weiterzuentwickelnde Bahnen.
Daß Gustav Adolf das Kaisertum anstrebte, ist von der Mehrheit aller
Historiker erkannt worden, aber dann oft mit unhaltbaren Einschränkungen
versehen worden. Zum einen soll nur eine Art nordeuropäisches Kaisertum
gemeint gewesen sein, was denn doch sehr deutlich das 19. Jahrhundert mit dem
17. Jahrhundert verwechselt, in dem mehrere Kaiser nebeneinander undenkbar
gewesen wären. Daß zum anderen Gustav Adolf - nach einem
rückblickenden Wort des schwedischen Reichskanzlers und politischen
Nachlaßverwalters Oxenstierna, das er allerdings in einer bestimmten
taktischen Situation gesprochen hat - dies nicht so geplant, sondern erst mit
seinen Erfolgen auf diesen Einfall gekommen sei, ist angesichts der Vielzahl
seiner politischen Optionen nicht ganz auszuschließen - aber was
würde das ändern?
Eine ganze Reihe
neuerer Forschungen hat auch ergeben, daß der schwedische König
letztlich gegen den habsburgischen Universalismus zu Felde zog. Aber die
vorschnelle Folgerung ist dann stets, daß er dies für das
europäische "Gleichgewicht" getan habe, was zu Beginn des 17. Jahrhunderts
auf jeden Fall zu früh angesetzt ist. Die Fixierung auf die Habsburger, die
in den changierenden Erklärungen des Königs sogar gegen die eigenen
Territorialinteressen stets als die eigentlichen Hauptgegner erscheinen, ist
jedoch in der Tat auffällig, läßt sich aber triftiger aus der
universalistischen Konkurrenzsituation erklären. Und endlich hat die
schwedische Forschung sehr eindrucksvoll die Geschichte und den kulturellen
Hintergrund des Gotizismus, manchmal auch gleich Großgotizismus
(störgöticism) genannt, erschließen
können. [28] Aber diese auch philologisch vorangetriebenen
Forschungen sind lange nicht, und dann - aus Unkenntnis oder wegen der sich
daraus ergebenden Konsequenzen - nur sehr zögernd und punktuell von den
politischen Historikern mit dem Dreißigjährigen Krieg in Zusammenhang
gebracht worden. Hier sind es in den letzten Jahren gleich mehrere Historiker,
die - zum Teil unabhängig voneinander - eine Wende herbeiführen und
dem Gotizismus in seiner Verbindung mit antiken, alttestamentlichen,
protestantischen und anderen Verweisen die handlungsrelevante Kraft einer
Ideologie zuerkennen. Dies kann allerdings verschieden gefaßt werden, am
prononciertesten von Oredsson als Angriffs- und Eroberungsideologie, von Ringmar
als übersteigerte historische Legitimation für eine nationale
Identität mit besonderem europäischen Anerkennungsbedarf oder - wie
hier vorgeschlagen - als die schwedische Variante des europäischen
Universalismus. [29] Denn eines fehlt erstaunlicherweise nicht nur
dieser interessanten neueren Interpretationsentwicklung, sondern fast der
gesamten Auseinandersetzung mit der Rätselfrage nach den Gründen
für die schwedische Intervention: ein ernsthafter europäischer
Vergleich.
Eine solche komparatistische
Perspektive läßt die Situation aller drei Mächte begreifen und
erlaubt auch einer Geschichtsschreibung, die nach dem Sturz allzu idealisierter
Perspektiven auf die Protagonisten friedensbewußter geworden ist, eine
gerechte Beurteilung im europäischen Rahmen der Zeit. Dies nicht etwa nur,
weil die anderen Potentaten auch nicht besser waren, sondern weil letztlich alle
dasselbe wollten, dies aber nur einmal zu haben war. Wenn die schwedische Krone
allein für die Bagatellen, die Gustav Adolf in seinem taktisch zu
verstehenden Kriegsmanifest aufgelistet hat, oder die französische Krone
für die bescheidenen Grenzgewinne, die sie schließlich heimgebracht
hat, oder Habsburg nur weil es ein schlechter Verlierer war, diesen Krieg
inszeniert und dreißig Jahre am Laufen gehalten hätten, dann
wäre das in der Tat ein mehr als fragwürdiges Spiel gewesen. Aber es
ging eben darum, wer zur Ordnungsmacht Europas werden würde, und gerade die
Anerkennung dieses Maximalzieles beläßt allen drei am Ende
gescheiterten Unternehmen eine gewisse historische Würde. Wie aber sollte
man dann von diesem hochgespannten Kriegsziel wieder herunterkommen, um den
Krieg überhaupt je beenden zu
können?
V
Nur
durch einen Kompromiß. Denn der weitere Kriegsverlauf zeigte, daß
keine der Mächte sich als die universalistische Übergewalt Europas
durchsetzen konnte. Bei allem Hin und Her auf dem Kriegstheater, das hier nicht
verfolgt werden soll, läßt die sich herausbildende geographische
Verteilung der Einflußzonen auf den Landkarten darüber keinen
Zweifel. Als die Schweden nach dem Tod des Königs auch die Schlacht von
Nördlingen im Jahre 1634 verloren, zogen sie sich nach Norddeutschland
zurück, hielten und verteidigten hier aber in der Schlacht von Wittstock
1636 die Stellung. Ein erneuter Vorstoß nach Wien mußte dagegen
aufgegeben werden. Süddeutschland wurde, soweit die französischen
Waffen oder Verbündeten erfolgreich waren, zur kaum dauerhaft ausdehnbaren
Einflußzone Frankreichs. Der Kaiser vermochte seit dem Frieden von Prag
seine reichsständische Klientel wieder einzusammeln, konnte aber nur von
Fall zu Fall mit ihr kooperieren. Spaniens Chancen, die Niederlande
wiederzugewinnen, schwanden dagegen mehr und mehr, aber es behielt doch
Bastionen am Rhein. So beherrschte niemand mehr das Reich, den zentralen Raum
römisch-imperialer Herrschaftsansprüche, sondern der Kaiser
mußte sich am Ende mit einer losen Oberhoheit und die Mächte mit
randständigen Gebieten zufrieden geben: Schweden behauptete sich an den
Küsten und konnte einige Eroberungen, wie Vorpommern oder die Stifte Bremen
und Verden, in territoriale Erwerbungen umwandeln. Frankreich gewann einige
Reichsstädte und territoriale Rechtsansprüche im Elsaß hinzu,
mehr aber auch nicht. In der sich in den letzten Kriegsjahren schon
abzeichnenden Territorialverteilung, deren Einzelheiten die
Friedensverhandlungen entscheidend bestimmten, manifestierte sich zuerst und am
sinnfälligsten, daß dies ein Frieden des Kompromisses werden
sollte.
Die im territorialen Bereich geschlossenen
Übereinkünfte zeigen, daß alle drei Mächte zu Konzessionen
bereit waren, um den nun schon jahrzehntelang andauernden Krieg zu beenden.
Dabei wurde man nun sogar in Verhandlungsformen und Titularfragen konziliant,
wenn diese nicht mehr als universalistischer Anspruch, sondern mit rationalen
oder historisch-konventionellen Argumenten präsentiert wurden. So wurden
Frankreich Konzessionen für den Gebrauch des zur Verkehrssprache werdenden
Französisch gemacht [30], während dem Kaiser seine
eingeführte Titulatur zugestanden wurde, obwohl sie universalistisch
vorbelastet war. Die Schweden wollten die Nennung des Titels semper
Augustus nicht zulassen, aber als die kaiserlichen Gesandten ihnen
nachwiesen, daß die schwedischen Könige diese Bezeichnung
gegenüber den habsburgischen Kaisern schon früher verwendet hatten,
gaben sie nach. [31] Letztlich aber mußte unbeschadet einzelner
universalistischer Versatzstücke auch ein neues Denken gefunden werden, das
die hierarchische Struktur als solche zur Seite
räumte.
Die Friedensverträge selbst sind
dafür das beste Zeugnis. Denn es waren ja aus der großen Zahl der
Kombattanten eben die drei universalistischen Mächte, die nun auch als die
eigentlichen Vertragspartner den Frieden abschlossen. Das geschah in der
Präambel der Friedensschlüsse des Kaisers mit der französischen
und mit der schwedischen Krone in genau paralleler Stilisierung der Kontrahenten
und ihres Verhältnisses zueinander. Der Friedensschluß selbst mit
seinem Protokoll und Zeremoniell sowie dem Versprechen ewiger Gültigkeit
ist eines der stärksten Mittel, das noch schwer fallende gleichordnende
Denken einzuüben, und die immer wieder auch nach künftigen Kriegen
beschworene Rückkehr zu den Grundlagen des Westfälischen Friedens
sollte auch an diese egalitäre Grundvereinbarung der Staaten
erinnern.
Dieses neu auszubildende Verhältnis
der Mächte als Verhandlungspartner auf gleicher Ebene drückt sich auch
in einigen Bildern zum Westfälischen Frieden aus. [32] Insbesondere
bei den illustrierten Flugblättern finden sich Beispiele für ein
gleichberechtigtes Nebeneinander der Herrscher Frankreichs, Schwedens und des
Reiches. Das Flugblatt "Abbildung deß hocherwünschten Teutschen
Friedens" zeigt alle drei Potentaten auf einem Podest bei einem
versöhnlichen Händedruck. [33] Der Kaiser wird dabei noch
leicht hervorgehoben, denn er sitzt auf einem Thron, während der
französische König und die schwedische Königin ihm daneben
stehend die Hand reichen, aber das hängt auch etwas mit dem großen
Altersgefälle der Vertragspartner zusammen. Auch in der eingängigen
Darstellung von Kleeblättern, der Verbindung dreier Herzen oder dreier
Tauben wird auf die sich zum Frieden zusammenschließenden Potentaten
angespielt. Noch eindeutiger ist die Gleichordnung der Mächte auf dem
Flugblatt "AVGVRIVM PACIS" zu erkennen. [34] Hier bilden in einer
sinnfälligen Symbolik die mit den Wappen Frankreichs, Schwedens sowie der
österreichischen und spanischen Habsburger geschmückten Rosse nun ein
Mächtegespann, das gemeinsam den Wagen des Friedens
zieht.
Als Ergebnis brachte der Westfälische
Friede aber nicht nur die zunehmende Gleichordnung der am Konflikt beteiligten
Hauptmächte, sondern es wurde auch der Kreis der etablierten Staaten
erweitert. Denn zum einen blieben Spanien und Frankreich noch elf Jahre im Krieg
miteinander, so daß die habsburgischen Linien auseinanderdividiert und
damit zum Kern selbständiger Staatsbildungen wurden. Zum anderen wurden
sich aus dem habsburgischen Verband lösende Nebenlande zu
selbständigen Staaten. Die Niederlande konnten nach einem über achtzig
Jahre dauernden Kampf 1648 die staatliche Souveränität gewinnen, und
in gewisser Weise wurde die schon lange eigene Wege gehende Schweizerische
Eidgenossenschaft nun auch mit einer eigenen Bestimmung aus dem Reich entlassen.
Während so auf der einen Seite der lang andauernde
Dreißigjährige Krieg den Mächten Frankreich, Schweden und
Habsburg zeigte, daß das langfristige Ziel einer Spitzenstellung in Europa
nicht mehr durchzusetzen war, erreichten andere Staaten in dem Frieden ihre
endgültige Anerkennung. Europa war damit auf dem Weg zur Ausbildung eines
Staatensystems, in dem mehrere Mächte gleichberechtigt nebeneinander
existieren
konnten.
VI
Allerdings
gab es auf diesem schwierigen Weg auch einige Rückfälle. Vor allem die
von Frankreich ausgehende Expansionspolitik der Jahre 1667 bis 1714
erschütterte noch einmal das sich formierende Staatensystem. Ludwig XIV.
versuchte dabei, ähnlich wie bereits die Kontrahenten des
Dreißigjährigen Krieges, doch noch eine Vormachtstellung in Europa
durchzusetzen. Profranzösische Flugschriften der Zeit handelten denn auch
von der "Würde und Vorzug deß Königs in Franckreich, und von
dessen Vorsitz über andere Könige" [35], beriefen sich auf die
Merowinger und Karolinger als Vorgänger der französischen Könige
und leiteten daraus das Recht des französischen Königtums auf die
Kaiserkrone ab. [36] Wie real solche im Präzedenzdenken der Zeit
neue Blüten treibende Auseinandersetzungen um den Vorrang zwischen
Frankreich und Spanien ausgetragen werden konnten, zeigt ein Vorfall auf einer
Londoner Konferenz im Jahr 1661, als die französischen Abgesandten mit
ihren Kutschen die Vorfahrt erzwingen wollten, aber dann doch gegen die Spanier
den kürzeren zogen: "Denn als die Frantzosen jenen nicht weichen wolten,
wurden ihre Kutscher und Kutschen von den Spaniern niedergemacht, wiewol es
meist die Pferde betraff, die Leute aber verwundet und
zurückgetrieben." [37] Rangstreitigkeiten und universale
Machtansprüche waren also mit dem Westfälischen Frieden keineswegs
endgültig aus dem Weg geräumt
worden.
Aber das Modell des Friedensschlusses hat
sich doch in den Köpfen der Zeitgenossen festgesetzt und zur
Überwindung der alten Universalmachtsvorstellungen beigetragen. Das
Gleichgewichtsdenken, das im Bilde einer Waage eingefangen wurde, die sich in
einem ausgeglichenen Zustand befinden muß, begann die
Machtverhältnisse in Europa in der Folgezeit zu bestimmen und hat die
universalen Ansprüche des französischen Königs auch in deutschen
Flugschriften zurückgewiesen: "Man siehet ja, daß dessen Macht
formidabel genug ist und daß die Staats-Waage zwischen ihme und anderen
Potentaten gar nicht gleich stehet; als ist es ja demnach hohe Zeit, daß
man dieses Reich wiederum gegen denen andren in eine Gleichheit
bringe." [38] So kam das Pyramidenmodell seit dem Westfälischen
Frieden ins Wanken. Der Dreißigjährige Krieg hatte gezeigt, daß
keine Macht die Spitzenposition in Europa erreichen konnte. Wie muß man
sich das Modell also nach dem Westfälischen Frieden
vorstellen?
VII
Der
Friedenskompromiß der Mächte hat nicht nur den guten Willen
erfordert, hier und da etwas nachzugeben, und es war auch nicht damit getan,
einseitig das maximale Kriegsziel zurückzunehmen. Es handelte sich vielmehr
um einen Fundamentalkompromiß auf der Grundlage der Bereitschaft, das
nicht mehr realisierbare alte Ordnungsmodell Europas nun auch außer Kraft
zu setzen. Die hierarchisierende Matrix hatte sich für die weitere Pflege
der Mächtedatei als unbrauchbar erwiesen, allerdings waren neue Programme
erst noch in der Entwicklung und Erprobung. Das eingangs eingeführte
Architektursymbol vermag diese Situation zu kennzeichnen. Noch stand sie, die
Pyramide, ja manchem erschien sie bis ins 18. Jahrhundert hinein noch als
restaurierbar, aber der Westfälische Friede hatte der
hierarchisch-universalistischen Ordnung doch erstmals für ganz Europa die
Spitze abgebrochen und so die Pyramide entgipfelt. Auf der dadurch entstandenen
Plattform auf mittlerer Höhe war Platz für alle ehemaligen
Universalmächte und die ersten von unten hinzukooptierten Staatsbildungen.
Das ist noch nicht das Modell eines entwickelten Staatensystems, aber diese
Entgipfelung der Pyramide im Jahre 1648 bezeichnet den Punkt, an dem seine
Entwicklung ansetzte.