DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
JOSEF PETRÁň Die Anfänge des Krieges in Böhmen |
Der böhmische Ständeaufstand 1618-1620 hat in der Geschichtsschreibung
mehrere Dimensionen. Als Periode der allgemeinen Geschichte steht er am Beginn
des Dreißigjährigen Krieges, dem ersten kriegerischen Konflikt von
gesamteuropäischen Ausmaßen. [1] Zugleich war der Aufstand
eine wichtige Station in der Entwicklung der Habsburgermonarchie und ein
Wendepunkt in dem langen Streben, den mitteleuropäischen Raum zu
integrieren. [2] Der Ausgang des Konflikts entschied über die
Rekatholisierung weiter Teile Mitteleuropas und beeinflußte so auch die
weitere kulturelle Entwicklung der böhmischen und österreichischen
Länder. [3]
Der Ständeaufstand
und besonders dessen Niederschlagung in der Schlacht am Weißen Berg am 8.
September 1620 ist eng mit dem tschechischen Nationalbewußtsein verbunden.
Seit Beginn des 19. Jahrhunderts schrieb jede Generation am Mythos vom
Niedergang und der nationalen Wiedergeburt des tschechischen Volkes
fort. [4] Historiker, Politiker und auch Künstler bemühten
sich, den Schuldigen für die Tragödie am Weißen Berg zu finden.
So war die Interpretation der Nationalgeschichte immer zeitbedingten Ideologien
untergeordnet, was in den sog."Streit um
den Sinn der tschechischen Geschichte" mündete. Heute können wir uns in aller Demut damit abfinden, daß sich ein Geschichtswissenschaftler der Vergangenheit lediglich annähern
kann und nur zwischen den Hypothesen die unergründliche Wahrheit der
Geschichte zu ahnen ist.
Durch ihre Eingliederung
in die mitteleuropäische Habsburgermonarchie im Jahre 1526 wurden die
Länder der Böhmischen Krone zunehmend zu einem exponierten Feld der
Reichs- und Europapolitik. Das gilt besonders für die Wende vom 16. zum 17.
Jahrhundert. Das Streben der Habsburger nach Zentralisierung führte
früh zum Konflikt mit den mächtigen böhmischen Ständen.
Geschürt wurde dieser Konflikt dadurch, daß die beiden Parteien auch
unterschiedliche Konfessionen vertraten, vergleichbar der Situation im
übrigen glaubenspolitisch geteilten Europa. Die oppositionellen Adeligen
Böhmens gehörten überwiegend zu den reformierten Konfessionen,
teils zur einheimischen hussitisch-utraquistischen Tradition, teils zu den neuen
europäischen Reformationsströmungen. Im Kampf um die rechtliche
Anerkennung der "Confessio bohemica" nutzten die böhmischen Stände die Schwäche der Zentralmacht
während des Habsburger Bruderzwistes und erwirkten 1609 von Kaiser Rudolf
II. den Majestätsbrief, der ihnen Religionsfreiheit zusicherte. [5]
Diese Urkunde stärkte auch den politischen Einfluß des
protestantischen Adels; die habsburgtreuen katholischen Stände waren in der
Minderheit und ordneten sich der protestantischen Mehrheit unter. Durch diesen
Erfolg rückte die politische Entwicklung in den böhmischen
Ländern in den Blick der protestantischen Reichsstände und
antihabsburgischen Staaten Europas.
Das Ringen um
die Regierungsform - zentralistische Monarchie oder Ständeherrschaft -
kulminierte in den Jahren 1618-1620. Der für das politische Europa dieser
Zeit symptomatische Streit um den Charakter der Monarchie, in der die
repräsentative Ständeöffentlichkeit [6] das Prinzip der
Gewaltenteilung (Imperium mixtum) gegen die zentralistischen Tendenzen
der Herrscherhöfe verteidigte, fand natürlich Widerhall und
Verbündete im politisch und konfessionell gleichgesinnten
Ausland. [7] So gesehen bestand ein enger Zusammenhang zwischen dem sich
zuspitzenden politisch-konfessionellen Konflikt und dem Problem der
habsburgischen Hegemonie in Europa auf der einen sowie der Formierung eines
antihabsburgischen-evangelischen Bündnisses auf der anderen
Seite.
Der Konflikt in den böhmischen
Ländern war insofern paradigmatisch, denn das Konzept von Religions- und
Ständefreiheit war ein Schutz gegen Zentralismus - ein Interesse, das die
einheimische mit der ausländischen repräsentativen Öffentlichkeit
verband. Die mitteleuropäische Großmacht Habsburg war zwar ein Bund
von Staaten mit je eigenen Verwaltungssystemen, weder durch feste
wirtschaftliche noch durch politische und kulturelle Interessen verbunden.
Dennoch erschien die repräsentative Ständeöffentlichkeit in der
Rolle des Beschützers der böhmischen
Eigenstaatlichkeit.
Wortführer der
böhmischen Opposition war eine Gruppe von Aristokraten aus beiden
höheren Ständen, den Herren und Rittern. Die Reichsstädte waren
dagegen politisch schwach, denn sie trugen noch immer an den Folgen der
Niederschlagung des ersten großen Ständeaufstandes gegen des Haus
Habsburg im Jahre 1547, in dem die Städte eine führende Rolle gespielt
hatten. [8] Daher spielten sie 1618 eine untergeordnete Rolle, und die
politisch aktiven Aristokraten verlangten von ihnen vor allem finanzielle und
propagandistisch-ideologische
Unterstützung.
1611 bestieg Kaiser Matthias
den böhmischen Thron. Die folgenden Jahre waren voller Spannungen zwischen
den evangelischen Ständen auf der einen Seite und dem Kaiser sowie dem
kaisertreuen Adel auf der anderen. Politische Agitation und die
Bündnispolitik der böhmischen Stände führten zur
Verschärfung des Konflikts. Besonders intensiv waren die Verbindungen zu
den Glaubensbrüdern in den diplomatischen Kreisen um Friedrich V. von der
Pfalz, dem Führer der protestantischen Union. [9] Sie spielten bei
der Mobilisierung der Kräfte in Böhmen und der Entwicklung des
Konflikts eine bedeutende Rolle, während die andere protestantische
Großmacht, Sachsen, die Position eines Beobachters einnahm und auf die
Wahrung des eigenen Vorteils bedacht war.
Zu
Beginn seiner Regierungszeit mußte Kaiser Matthias die innenpolitische
Führerschaft der böhmischen Stände respektieren, denn er war mit
ihrer Hilfe auf den Thron gelangt. Dennoch verlor er das Ziel der habsburgischen
Politik nicht aus den Augen: Eine feste Zentralmacht sollte die Basis für
eine universalistische Expansion im Reich und in Europa sein.
Matthias'
Politik zielte auf die Schwachstelle des böhmischen Ständesystems: den
asymmetrischen Aufbau der Länder der Böhmischen Krone. Die Stände
Zentralböhmens maßten sich häufig das politische
Entscheidungsrecht an und besetzten Landes- und sogar königliche
Staatsämter. Das rief natürlich die Mißgunst und manchmal sogar
den offenen Widerstand der Ständepolitiker in den "Nebenländern
der Böhmischen Krone",
besonders in Mähren, hervor. Also nahm der Kaiser, in den die
protestantischen Stände große Hoffnungen gesetzt hatten,
zunächst eine abwartende Haltung ein und äußerte sich nicht zu
dem Revers, in dem die Stände das Recht zur Aufstellung von Truppen zur
Verteidigung der von Kaiser Rudolf verbrieften konfessionellen und
Ständefreiheit forderten. Zugleich drängten die Stände auf die
Bestätigung der Verträge (Konföderation), die Matthias mit den
Ständen in den Ländern der Böhmischen Krone, in Ungarn und in
Österreich geschlossen hatte, um ihre Unterstützung bei seinem Kampf
um den Thron zu gewinnen.
In der gegebenen
Situation war die Konföderation für Matthias keine Hilfe mehr, sondern
eher eine politische Bedrohung. Daher verzichtete er sogar auf die Erhebung von
Steuern, die der Zustimmung der Landtage bedurften, die im Gegenzug die
Unterzeichnung des Ständerevers gefordert hätten. Um dem stetigen
Druck der böhmischen Stände zu entgehen, verlagerte Matthias 1612
sogar seinen Hof von Prag nach Wien. 1614 aber brauchte er die Steuerabgaben aus
den böhmischen Ländern dringend, um seine gegen die türkische
Invasion kämpfenden Truppen bezahlen zu können. Also versprach er auf
der Landtagssitzung in Budweis, auf der die Zustimmung zur Steuererhebung
erteilt wurde, binnen eines Jahres die Generalversammlung aller Länder der
Böhmischen Krone einzuberufen, um über die offenen
Ständeforderungen zu sprechen. Diese Generalversammlung, unter anderem
gedacht als Demonstration der Stärke und Einigkeit der protestantischen
Ständemehrheit in den konföderierten Ländern unter habsburgischer
Herrschaft, wurde ein Debakel. [10] Die Vertreter der ungarischen
Stände kamen überhaupt nicht, die Österreicher waren zwar
anwesend, waren aber über die Prager Ständepolitik ebenso
verärgert wie die Mähren und Schlesier. Karl d. Ä von
erotin, der Führer der mährischen Stände, warf den böhmischen
Ständen vor, sie wollten die Vertreter der "Nebenländer"
für ihre politischen Ziele mißbrauchen,
"selbst der
Kopf sein und wir sollen der Schwanz des Königsreichs
bleiben".
Angesichts dieser Differenzen konnte der Wiener Hof aufatmen, denn auf der
Generalversammlung wurde weder die Ständekonföderation bestätigt
noch die Erneuerung der Verträge mit den Reichsfürsten beschlossen.
Diese Demonstration der Unfähigkeit, einen gültigen Beschluß zu
fassen, war ein schlechter Auftakt für die anstehenden Verhandlungen mit
dem kinderlosen Matthias über die Frage der Thronfolge. Die inneren
Zerwürfnisse waren mit ein Grund dafür, daß die böhmischen
Stände Ferdinand von der Steiermark auf der Versammlung 1617 ohne
ordentliche Wahl als künftigen Nachfolger
Matthias' anerkannten. Eine Entscheidung, die sie später mit staatsrechtlichen
Argumenten rückgängig zu machen
suchten.
Aufgrund des Mißerfolgs der
Generalversammlung von 1615 verstärkten sich die Separierungstendenzen der
evangelischen Stände, die nun unabhängig voneinander begannen
Geheimverhandlungen mit potentiellen Verbündeten im Ausland zu führen.
Besonders intensiv waren die Kontakte zwischen der Union und den
protestantischen Ständen Böhmens - für den Fall eines Konflikts
mit dem Kaiser rechneten sie auf gegenseitige Hilfe. Karl von
erotin
dagegen beurteilte die Politik der Union als Lockung eines,
"der einen
anderen zum Spiel einlädt, sich aber gleichzeitig von ihm Geld zum Spielen
leihen
will". Die
abwartende Haltung der mährischen Stände hing nicht zuletzt mit dem
höheren Grad an ständischer Selbstverwaltung zusammen, denn anders als
in Böhmen (Majestätsbrief) war der Konfessionspluralismus in
Mähren nicht gesetzlich geregelt. Einige Historiker sprechen von einem
"überkonfessionellen
Christentum" der politischen Elite Mährens. [11]
In Böhmen verschärften sich die
Spannungen durch provokative Schritte der kaiserlichen Statthalter, initiiert
durch eine radikal-katholische, habsburgtreue Gruppe innerhalb des
Statthalterrates. Den Gegnern der protestantischen Stände kam zupaß,
daß der Majestätsbrief Rudolfs von 1609 der Bevölkerung
Böhmens zwar die volle Religionsfreiheit zubilligte, die Grundbesitzrechte
jedoch außer acht ließ. Daher konnte z.B. der Abt des
Benediktinerklosters in Braunau, als die Lutheraner dort eine Kirche bauten,
diese aufgrund seiner Rechtsposition als Obrigkeit schließen. Ähnlich
ging die katholische Obrigkeit bei der lutherischen Kirche in Klostergrab (Hrob,
Nordböhmen) vor. [12] Der Fall Braunau war Beratungsgegenstand auf
der Versammlung der evangelischen Stände im Herbst 1611. Der Rechtsstreit
erreichte seinen Höhepunkt 1617/18, als die Statthalter die Lutheraner in
Braunau anwiesen, die Kirchenschlüssel dem Kloster auszuhändigen, und
einige Bittsteller, die beim Kaiser Beschwerde geführt hatten, verhaften
und einsperren ließen.
Auf der
Märztagung der evangelischen Stände 1618 machten die Anwesenden ihrem
Unmut über das Vorgehen der Statthalter Luft, gleichzeitig wurde deutlich,
daß die Opposition immer mehr an Boden verlor. Viele Vertreter des
städtischen Standes (an der Spitze die Vertreter Prags) waren nicht einmal
zu dem Treffen erschienen. So blieb der radikalen Gruppe, an deren Spitze Graf
Heinrich Matthias von Thurn stand, nichts anderes übrig, als die
Versammlung auf den 21. März 1618 zu verschieben. Die sichtbare
Schwäche der protestantischen Opposition veranlaßte die kaiserliche
Seite zur Verstärkung des Drucks. Der Kaiser erließ ein Verbot der
verschobenen Versammlung und beorderte Graf Thurn nach Wien. In dieser
angespannten Lage fand die Märzversammlung statt. Eine Gruppe von
Verschwörern faßte den Entschluß zu einem demonstrativen Akt,
der alle Teilnehmer der Versammlung zum Zusammenhalt zwingen würde, auch
wenn sich ihr Weg nicht mit friedlichen Mitteln fortsetzen ließe - die
Defenestration (Fenstersturz) der beiden Sprecher der
"spanischen Seite" im
Statthalterrat, der Grafen Jaroslav
BoÍ ita
von Martinic und Wilhelm Slavata von Chlum und Košumberk, aus einem Fenster
der königlichen Kanzlei auf der Prager Burg am 23. Mai 1618. Unmittelbar
darauf wurde der Rat der Defensoren des Majestätsbrief Rudolfs in ein
Direktorium umgewandelt. Diese dreißigköpfige Ständeregierung
mobilisierte die böhmischen Truppen und bereitete eine
"Apologie" vor, mit der das Vorgehen und die Entscheidung der Böhmen vor der
europäischen Öffentlichkeit gerechtfertigt werden sollte. [13]
Der Defensorenrat war umsichtig genug, nicht in einen offenen Kampf mit dem
Kaiser zu treten, und schrieb die Schuld an den Geschehnissen in Prag den
königlichen Statthaltern zu: Sie hätten die durch den
Majestätsbrief Rudolfs zugesagten konfessionellen Freiheiten
verletzt.
Einen Monat nach Aufnahme der
Tätigkeit wählte die neue Ständeregierung, zusammengesetzt aus
"Direktoren, Verwaltern und Landräten",
Wenzel Wilhelm von Roupov zu ihrem Führer, konnte sich aber nicht
entschließen, die bisherigen königlichen Landesämter und
Statthalterfunktionen aufzulösen. Gleichwohl hatte vieles von dem, was sie
taten, den Charakter von revolutionären Handlungen - von Roupov und seine
Gefährten legten allerdings großen Wert darauf, in Wort und Schrift
unablässig die Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens zu betonen und den
Revolutions-Vorwurf
zurückzuweisen.
Unentschlossen, wie nach dem
radikalen Auftakt weiter verfahren werden sollte, verlegte sich die Regierung
auf Improvisation und verpaßte die Gelegenheit zur innenpolitischen
Konsolidierung. Auch zuverlässige Unterstützung aus dem Ausland blieb
aus. Zum Glück trafen die Prager Ereignisse den Wiener Hof völlig
unvorbereitet, und die Deklarationen und das Verhalten der Ständeregierung
führten dazu, daß man im kaiserlichen Rat keine Einigkeit im Vergehen
gegen die "Rebellen" erzielen konnte.
Ähnlich wie die politischen
Entwicklungen verliefen auch die militärischen Aktionen beider Seiten im
Verlauf des Jahres 1618. [14] Gleich nach der Gründung des
Direktoriums wurde Heinrich Matthias Graf von Thurn zum Oberbefehlshaber des
Ständeheeres ernannt. Man muß jedoch annehmen, daß man kein
großes Vertrauen in die Fähigkeiten Thurns setzte, denn schon bald
nahm das Direktorium Verhandlungen mit Friedrich von Hohenlohe, einem Mitglied
des Wiener Kriegsrates und Befürworter der Politik des Pfälzer
Kurfürsten Friedrich, wegen einer Beteiligung an der Heeresführung
auf. In Anbetracht der Zweifel an Thurns Führungsqualitäten verlangte
von Hohenlohe den Oberbefehl über das Ständeheer. Als jedoch im Sommer
die ersten ernstzunehmenden Kampfhandlungen begannen, teilten sich von Hohenlohe
und von Thurn den Oberbefehl - es wurde ein Wechsel im Zweimonats-Rhythmus
vereinbart. Neben diese beiden Oberbefehlshaber trat noch Ernst Graf von
Mansfeld, der ein etwa 2000 Mann starkes Infanterieregiment befehligte, das
Friedrich von der Pfalz zur Unterstützung der böhmischen Sache
entsandt hatte. (In Böhmen war allerdings nicht bekannt, daß dieses
ursprünglich für den Kampf in den Niederlanden bestimmte Regiment von
Herzog Karl Emanuel von Savoyen bezahlt wurde. Der katholische Herzog hatte sich
von den Versprechungen des pfälzischen Hofrates Christian von Anhalt
verleiten lassen und erhoffte sich von diesem Kriegsunternehmen den
böhmischen Thron. Außerdem hatte er Ambitionen auf die Kaiserkrone.)
So waren im Herbst 1618 in Böhmen drei Heerführer tätig, die sich
nicht auf eine einheitliche strategische Linie einigen konnten. Neben dem
Kampfverlauf geben einheimische Quellen, aber auch der Schriftwechsel Hohenlohes
und Dokumente im sächsischen Staatsarchiv Auskunft über die defensive
Haltung und Unentschlossenheit des Direktoriums. [15] Das
protestantische Sachsen versicherte beiden Seiten seine Neutralität und bot
sich als Friedensvermittler an. Kurfürst Johann Georg zog politischen
Nutzen aus den Verhandlungen, denn beiden Parteien wurde er unentbehrlich.
Anders als erwartet wurden so die Ständeregierung und ihr Abgesandter
Hohenlohe bei den Glaubensbrüdern zu erfolglosen Bittstellern um
Waffenhilfe.
Der Schriftwechsel zwischen dem
Wiener Hof und dem Direktorium von Mai bis September 1618 zeugt davon, daß
auch der von den Prager Ereignissen überraschte Matthias nicht darauf
vorbereitet war, den Aufstand durch ein rasches militärisches Eingreifen
niederzuschlagen. [16] Deutlich spürbar ist der Einfluß des
erzherzoglichen Kanzlers Melchior Klesl, Bischof von Wien, der für
Verhandlungen mit den böhmischen plädierte. Auf der anderen Seite drängte die Partei des "angenommenen"
böhmischen Königs Ferdinand zu militärischen Schritten.
Es war klar, daß ein militärisches
Kräftemessen ein kompliziertes Geflecht von Machtinteressen der
europäischen Großmächte berühren würde. So
plädierten der päpstliche Nuntius und auch der spanische Botschafter
in Wien, Iñigo de Oñate, für eine radikale Lösung. Der
Madrider Hof betrachtete den Streit zwischen dem Kaiser und den protestantischen
Ständen in Böhmen jedoch als lokalen Konflikt, der noch kein
Eingreifen erforderte. Da das Ende des Zwölfjährigen
Waffenstillstandes mit den Niederlanden nahte, wollte Madrid seine Truppen nicht
über ganz Europa verstreuen.
Um die
Entscheidung für einen Krieg gegen die böhmischen Stände zu
beschleunigen, ließ Ferdinand, der bereits Truppen hatte anwerben lassen,
am 20. Juli 1618 Kardinal Klesl in Wien verhaften und nach Tirol deportieren.
Hierdurch verloren die gemäßigten Kräfte am Hof ihren
wichtigsten Sprecher, eine friedliche Beilegung des Konflikts war nicht mehr
möglich. Ferdinands Heer unter dem Befehl des wallonischen Grafen Henri
Duval Dampierre und zusätzliche Truppen, die von der Grenze zur Republik
Venedig abgezogen worden waren, standen bereit. Aus den vom päpstlichen
Nuntius und von Erzherzog Albrecht, dem Statthalter der Niederlande,
zusammengebrachten Mitteln wurde Anfang August eine zweite Armee unter dem
Oberbefehl von Karl Bonaventura Buquoy aufgestellt, die auf 8000 Mann Infanterie
und 6000 Mann Kavallerie geschätzt
wurde.
Anfang Juni 1618 zog die Ständearmee
unter dem Oberbefehl des Grafen Thurn nach Südböhmen, wo sie die
Städte Krumau und Budweis einnehmen wollten. Diese hatten sich dem Aufstand
nicht angeschlossen, lagen aber an strategisch wichtigen Wegen, von wo der
Angriff des Gegners erwartet wurde. Dampierre hatte die Schwachstellen der
Aufständischen nutzen wollen und drang mit seinen Truppen Anfang August
nach Südböhmen vor, wurde aber bereits vor Neustadt
zurückgeschlagen und mußte sich überstürzt nach
Österreich zurückziehen.
Weit
problematischer erwies sich für die böhmischen Aufständischen die
Neutralität Mährens. Die Ständeversammlung dieses bedeutendsten
Nebenlandes der Böhmischen Krone in Olmütz bestätigte im Juni
1618 die Haltung Karls von erotin:
Neutralität als einzige Rettung vor der Katastrophe, in die sich die
protestantischen Stände gestürzt hatten. [17] In ihrer
Augusttagung in Brünn gingen die mährischen Politiker noch weiter und
gewährten den kaiserlichen Truppen freien Durchzug nach Böhmen.
Dadurch, daß die Vertreter der schlesischen Stände auf ihrem Landtag
im Juni 1618 keine eindeutige Erklärung zur Unterstützung des
Aufstandes abgaben, wurde die Lage des Direktoriums weiter
erschwert.
So mußten Thurn und Hohenlohe im
September 1618 alleine dem Gegner, der mit etwa 14.000 Mann über
Mähren nach Böhmen vordrang, die Stirn bieten. Selbst verfügten
sie nur über vier Infanterie- und vier Kavallerieregimenter, was 16.000
Mann ausgemacht hätte. Die Anwerbung von Soldaten jedoch lief schlecht, so
daß die Regimenter unvollständig waren. Thurn gelang es, die nach
Mittelböhmen vorrückenden Truppen Buquoys am 10. September vor
Caslau zum Stehen zu bringen und sie nach einer Woche zum Rückzug zu bewegen. Die
Position des Ständeheeres verbesserte sich in den Wochen danach; denn die
von Karl Emanuel Herzog von Savoyen der protestantischen Union zur
Verfügung gestellte Armee unter Graf Mansfeld war eingetroffen. Anfang
Oktober kam Verstärkung aus Schlesien, wo sich die anfangs zögerlichen
Stände für die Unterstützung der böhmischen
Aufständischen entschlossen hatten. Im Herbst verlegte die Armee ihre
Heerlager nach Südböhmen, wo Buquoy während der Waffenruhe die
Winterquartiere in Krumau, Budweis und Umgebung
einrichtete.
Seit der Septemberversammlung der
böhmischen Stände ist ein Wandel in der Politik des Direktoriums
feststellbar. In den offiziellen Erklärungen wurde zwar nach wie vor
betont, der Kampf um die politisch-konfessionellen Rechte sei nicht gegen den
Kaiser gerichtet, der sächsische Gesandte in Prag, Grüntal,
signalisierte jedoch nach Dresden, daß die günstigen Zeiten für
Verhandlungen vorbei seien und ein Friede für die Habsburger nicht in Frage
käme. [18]
Da der
"angenommene" König im Lager der Feinde stand, erhielten die Überlegungen einiger
protestantischer Politiker zu einem Wechsel der Königsdynastie neue
Nahrung. Friedrich V. von der Pfalz rückte als mögliche Alternative zu
Ferdinand immer stärker in den Blick. Die pfälzische Partei im
Direktorium, Präsident von Roupov an der Spitze, mußte jedoch den
Inhalt der Verhandlungen, die der Heidelberger Gesandte Achaz von Dohna seit
November 1618 in Prag führte, vor dem auf Ausgleich bedachten Flügel
und der prosächsischen Partei geheim halten. Von Roupov machte jedoch
keinen Hehl aus seiner Meinung, daß es an der Zeit sei, mit der
Habsburgermonarchie zu brechen und ungeachtet der Zusage an Ferdinand nach dem
Tod des kranken Kaisers Matthias den Thron einem anderem Kandidaten anzubieten.
Die Verhandlungen zwischen Heidelberg und Prag wurden auch nach
Matthias' Tod fortgesetzt, fanden jedoch unter den Reichsfürsten nicht die
Zustimmung, die die ständischen Politiker gewünscht hätten oder
hätten erwarten können.
Die Haltung des
Heidelberger Kabinetts war angesichts der unklaren Kräfteverhältnisse
abwartend. [19] Anfang April überraschte Dohna den Präsidenten
des Direktoriums mit der Nachricht, daß Karl Emanuel von Savoyen die
Truppen Mansfelds finanziere und auch bereit sei, neue Truppen auszurüsten,
und ersuchte um die böhmische Krone für den Herzog - zweifellos ein
Ablenkungsmanöver. Dohna hätte wissen müssen, daß die
Kandidatur des Savoyers den Widerstand der böhmischen Stände
hervorrief, schließlich war Karl Emanuel Katholik. Mansfeld dagegen
ließ wissen, daß der Herzog seinen Truppen bereits Sold für ein
gutes halbes Jahr schulde, und er, Mansfeld, keine Mittel habe, die Schulden zu
begleichen, und auch nur schwer ein Darlehen bekommen könne. Erst Anfang
September beendete Dohna das Spiel um die Kandidatur Karl Emanuels und
verließ Prag mit dem Angebot eines Teils des Direktoriums an Friedrich,
die böhmische Krone anzunehmen.
Diesmal
konnte der Heidelberger Hof eine direkte Antwort nicht mehr verwehren. Vor einem
Einverständnis wollte Friedrich diesen wichtigen Schritt mit seinem
Schwiegervater, dem englischen König Jakob I., beraten und bat daher um
Wahlaufschub. Die Räte in Heidelberg hielten es für unklug, eine
Generalversammlung der Länder der Böhmischen Krone einzuberufen, die
Ferdinand des Thrones entheben und den neuen König wählen sollte, denn
die Kaiserwahl stand kurz bevor und Ferdinand war offensichtlich Favorit.
Die pfälzische Partei im Direktorium wollte
jedoch nicht bis nach der Kaiserwahl warten, denn ein Sieg Ferdinands hätte
alle Hoffnungen auf eine Thronenthebung vereitelt. Daher wählten sie, ohne
den zugesagten Aufschub einzuhalten, am 27. August 1619, am Tag vor der
Kaiserwahl, Friedrich von der Pfalz zum böhmischen
König.
Friedrich beeilte sich, den anderen
Reichsfürsten zu erklären, daß der böhmische Konflikt mit
den Reichsangelegenheiten nichts gemeinsam habe, folglich auch das
Mächtegleichgewicht im Reich nicht verletzt werde. Die Fürsten der
katholischen Liga mit Maximilian von Bayern an der Spitze verhielten sich
ablehnend, denn sie befürchteten zu Recht, daß sich der lokale
Konflikt zu einem langen europäischen Krieg ausweiten könnte, wenn
Friedrich nach der Entthronung Ferdinands das böhmische Angebot
annähme. [20] Denn dies hätte einen deutlichen Machtverlust
für die österreichischen Habsburger und die Gefährdung ihrer
Reichskrone bedeutet, was die spanische Linie des Hauses Habsburg kaum
hingenommen hätte. Die Ausgliederung der Böhmen-Frage aus den
Reichsangelegenheiten in der pfälzischen Argumentation war für die
Prager Ständeregierung ein Vorbote der Katastrophe, bot sie doch der
protestantischen Union und den übrigen Verbündeten einen Vorwand, sich
nicht am böhmischen Konflikt zu beteiligen und ihre Schutzzusage auf die
Pfälzer Stammlande im Reich zu
beschränken.
In der Versammlung der
protestantischen Union, die Friedrich in der unglaublich kurzen Zeit von 14
Tagen nach der Prager Königswahl einberief, wurde die Unlust der
Fürsten und Reichsstädte, sich in den Streit zwischen den
böhmischen Ständen und den Habsburgern hineinziehen zu lassen,
deutlich. [21] Auch die Könige von England und Dänemark waren
nicht bereit, sich direkt an dem Konflikt zu beteiligen. Der sächsische
Kurfürst betrachtete die Wahl seines Rivalen im protestantischen Lager zum
böhmischen König als seine Niederlage. Vergebens bemühte sich
Friedrich, ihn davon zu überzeugen, daß er dem politischen Konflikt
den Charakter eines Glaubenskrieges gegeben habe. Einzig der calvinistische
Moritz von Oranien, Statthalter der Niederlande, brachte seine Freude zum
Ausdruck, und die niederländischen Generalstände versicherten dem
Heidelberger Hof, daß der böhmische Krieg
"über unsere gemeinsame Sache",
insbesondere über die der an Böhmen grenzenden Pfalz, entscheiden
würde und sagten Unterstützung
zu. [22]
Die politischen Konstellationen
auf dem internationalen Parkett waren deutlich anders als zur Zeit des
niederländischen Aufstands gegen die Spanier. Damals wurden die
Aufständischen von England und dem habsburgfeindlichen Frankreich
unterstützt. Jetzt aber stand Frankreich auf der Seite des Hauses Habsburg,
und seine Sorge um das europäische Gleichgewicht veranlaßte den
englischen König, seinen Schwiegersohn Friedrich dazu aufzufordern, bei der
Kaiserwahl seine Stimme dem Habsburger Ferdinand zu geben und sich nicht in die
böhmischen Angelegenheiten zu
mischen.
Unterdessen schlossen die Prager
Ständepolitiker ein Bündnis mit Bethlen Gabor, Fürst von
Siebenbürgen, der mit Ferdinand um den ungarischen Thron konkurrierte. Es
sollte sich jedoch zeigen, daß auch auf die Nachbarn im Osten, die
türkische Hohe Pforte, kein Verlaß war. Bündnisverhandlungen
zogen sich bis in den Sommer 1620 ohne nennenswerte Ergebnisse hin und wurden
erst drei Wochen nach der Schlacht am Weißen Berg beendet.
Zusätzliche Brisanz bekam die Situation dadurch, daß sich nun auch
die österreichischen protestantischen Stände gegen Ferdinand stellten
und Friedrich von der Pfalz die Regierung in einer
böhmisch-österreichischen Konföderation
anboten.
Als der pfälzische Kurfürst die
Regierung in Böhmen antrat, war die königliche Macht sehr
geschwächt. Denn im Juli 1619, also noch bevor er zum König
gewählt wurde, hatte die Ständeversammlung beschlossen, die
Länder der böhmischen Krone als Föderation unabhängiger
Ständestaaten zu konstituieren. [23] Die überkommene
Ungleichheit zwischen den böhmischen Ständen und denen der
"Nebenländer" sollte beseitigt werden. Die Länder der böhmischen Krone, Nieder- und
Oberösterreich und sogar Ungarn sollten gleichberechtigt in einer
Generalversammlung, dem höchsten gesetzgebenden Organ, vertreten sein - die
Macht des Königs wurde auf die Exekutive beschränkt, in seinem Handeln
sollte er der Generalversammlung rechenschaftspflichtig sein. Aus diesen
Plänen für eine böhmische Konföderation entwickelte sich die
Vision der Vereinigung aller protestantischen Stände in Mitteleuropa. Die
gemeinsame Verfassung dieser Konföderation und nicht irgendein König
sollte Garant der politischen Rechte sein. Diese Vision ist nicht als Vorzeichen
einer gesellschaftlichen und politischen Revolution mißzuverstehen,
sondern bedeutete Gewaltenteilung (Imperium mixtum), wie sie schon immer
im ständischen Denken verankert war. Neu war lediglich die festgeschriebene
Glaubensfreiheit der evangelischen Stände und ihre Überordnung
über die Katholiken. Dieses Konzept einer föderalen Verfassung war der
Grund für die mährischen Stände, Anfang August 1619 ihre
Neutralität aufzugeben und sich dem böhmischen Aufstand
anzuschließen.
Diese Vision war allerdings
kein Ersatz für die zunehmende internationale Isolation Böhmens. Auch
konnte sie das Nachlassen der Kräfte nicht ausgleichen - die Wirtschaft lag
darnieder, und in der Bevölkerung wuchs der Unmut gegen den Krieg. Der
Verlauf der Versammlung der protestantischen Union im Januar 1620 war Ausdruck
des Mißerfolgs der böhmisch-pfälzischen Politik. [24]
Als die niederländischen Stände sahen, wie das protestantische
Bündnis zunehmend auseinanderfiel, stimmten sie dem Angebot der spanischen
Krone zur Verlängerung des Waffenstillstandes zu und machten ihre weitere
Unterstützung der böhmischen Sache von der Haltung Englands
abhängig. Dort beobachtete man die Ausweitung des böhmischen Konflikts
mit großer Sorge - der englische Hof wollte nicht Teil eines
anti-spanischen Bündnisses sein. Jakob I. rechnete immer noch damit,
daß Friedrich V. Prag räumen würde - Bedingung für seine
Unterstützung bei der Verteidigung der Pfalz. Auch die Friedensvermittlung
des französischen Königs zielte in diese Richtung: Am 3. Juli 1620
wurde in Ulm ein Nichtangriffspakt zwischen katholischer Liga und
protestantischer Union die Pfalz betreffend geschlossen. Der Vertrag
schloß allerdings nicht aus, daß die Liga den Kaiser im Krieg in
Böhmen unterstützte, denn Böhmen war nicht Mitglied der Union und
die Union folglich nicht zu seinem Schutz verpflichtet. Die Niederlage der
böhmischen Stände war somit absehbar und wurde am 8. November 1620 in
der Schlacht am Weißen Berg vollzogen. [25] Der mit dem Kampf des
Hauses Habsburg um Böhmen begonnene Krieg wuchs sich nach 1620 zu einem
europäischen Konflikt aus, der auch dreißig Jahre später noch
nicht entschieden war.