DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
OLIVIER CHALINE Die Schlacht am Weißen Berg (8. November 1620) |
Der böhmische Aufstand fand seinen tragischen Höhepunkt am 8. November 1620 an den Hängen des
Weißen Berges. Binnen zweier Stunden schlugen die Streitkräfte des
Kaisers und der katholischen Liga die Truppen Böhmens, Mährens,
Schlesiens und Niederösterreichs, die von der ungarischen Kavallerie
unterstützt wurden. Die Niederlage war endgültig. Der pfälzische
Kurfürst, der von den Aufständischen Prags zum König gewählt
worden war, unternahm nicht einmal den Versuch, die Stadt zu verteidigen: Er
verließ Prag am folgenden Tag. Damit fiel nahezu das ganze Königreich
Böhmen an Kaiser Ferdinand II. zurück. [1] Vor allem in der
tschechischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wurde diese
verhängnisvolle Schlacht als Beginn der "Zeit der Finsternis"
(Temno) [2] dargestellt. Seither wird die Schlacht am Weißen Berg
unaufhörlich erwähnt und ist dennoch weitgehend unerforscht. Im
militärischen Sinne gibt sie wenig her und wird auf die wenig glorreiche
Flucht "tschechisch" genannter Truppen reduziert. Das gefühlsbetonte
tschechische Nationalbewußtsein, das sich in den letzten hundert Jahren
entwickelte, stilisierte das Datum zu einem verfluchten Tag und einer
schmerzlichen Erinnerung und lief Gefahr, die Realität des Jahres 1620 zu
verschleiern. Hier beginnt die Arbeit des Historikers, der im Dickicht von
Hypothesen und Interpretationen das eigentliche Forschungsobjekt wieder zutage
befördern muß. Es erscheint ratsam, die Schlacht zunächst aus
der Sichtweise der Soldaten zu betrachten und sie als "Eintritt neuer
Dimensionen der Kriegsgewalt" zu analysieren. Auf diese Art und Weise ist es
möglich, den außerordentlich schwerwiegenden Religionsfaktor aus dem
eigentlichen Verlauf des Gefechts auszuklammern und die Schlüsselaussagen
über das Krisenmoment
herauszustellen. [3]
I. Dem Leiden ein
Ende bereiten
Die Schlacht kann nicht
losgelöst vom Feldzug des Jahres 1620 gesehen werden, dessen Höhepunkt
sie war. [4] Der 8. November war ein spätes und schlecht geeignetes
Datum für eine Entscheidungsschlacht, denn die kalte Jahreszeit hatte
begonnen, und die Soldaten dachten schon an ihre Winterquartiere. Dennoch waren
beide Seiten darum bemüht, gerade zu diesem Zeitpunkt die endgültige
Entscheidung herbeizuführen. Die Heerführer wollten ein viertes
fruchtloses und äußerst kostspieliges Kriegsjahr vermeiden, für
die Soldaten sollte das unerträgliche Leiden ein Ende finden. Seit dem
Sommer des Jahres 1620 waren die katholischen Heerscharen in Böhmen
einmarschiert, sie hatten einen Feind verfolgt, der ihnen unentwegt entwischte.
Weit davon entfernt, ein Triumphzug zu sein, ging dieses ungewisse
Vorrücken mit furchtbarer Gewalt einher, in einem verwüsteten Land, in
dem die Soldaten und ihre Familien unter Hunger, überhöhten
Lebensmittelpreisen, Epidemien und Angst litten. Die Soldaten, die wegen sich
verzögernder Soldzahlungen meuterten, begrüßten den Beginn der
militärischen Operationen. Obwohl man im Feindesland vorrückte, blieb
das Ziel des Feldzugs lange Zeit verworren. Die katholischen Verbündeten,
General Buquoy an der Spitze der Kaiserlichen (hierzu gehörten ein
großer Teil wallonischer, spanischer, neapolitanischer und toskanischer
Truppen sowie polnische Kavallerie) und der Herzog von Bayern, der mit dem
Grafen von Tilly die Streitkräfte der katholischen Liga anführte
(Bayern, Soldaten der rheinischen Kirchenfürsten, auch Lothringer) waren
sich weitgehend uneins. Buquoy, der in den Niederlanden die spanische
Kriegsführung erlernt hatte, wollte den Entscheidungskampf, für den
seine Verbündeten plädierten, vermeiden. Deshalb wurde Prag erst Ende
Oktober zum Angriffsziel erklärt. In Eilmärschen erreichten die
Katholiken in den ersten Novembertagen bei Kälte und Nebel die Umgebung von
Prag. Nach wiederholtem blinden Alarm schien die Schlacht gegen die
verteidigungswillige Armee der Aufständischen jetzt unausweichlich.
Diese Armee, mit dem Fürsten Christian von
Anhalt an der Spitze, war ebenso erschöpft wie ihre Verfolger. Sie
ließ sich in aller Eile am Weißen Berg nieder, einem Steilhang im
Westen Prags nahe dem Schloß Stern, wo der neue König im Jahre 1619
empfangen worden war. Das Heer bestand aus deutschen Söldnern aus den
böhmischen Ländern, Verstärkungstruppen aus Mähren, einem
schlesischen Truppenkontingent sowie österreichischen und ungarischen
Protestanten. Dieses Heer kann keinesfalls als "nationale tschechische Armee"
bezeichnet werden; es bestand, wie damals üblich, aus Einheiten
unterschiedlicher Nationalitäten, unter denen durchaus nicht immer
Einigkeit herrschte. Bei den Söldnern machte sich Unzufriedenheit breit,
weil die böhmischen Staaten schlecht und spät zahlten. Warum sollte
man sich für derartige Auftraggeber schlagen? Einige Soldaten hatten sogar
vor, Prag zu plündern, um sich auf diese Weise zu entschädigen. In der
Nacht hörten die Männer des Fürsten von Anhalt den dumpfen Donner
der feindlichen Kolonnen im Anmarsch. Die Bayern voran, rückte der Feind
immer schneller vor, wie von einem unsichtbaren Magnet angezogen: Prag. Die
Soldaten sehnten ein Ende herbei, für ihre schmerzenden Füße,
ihren Mangel an Schlaf, ihre leeren Mägen und ihre Angst vor den Ungarn,
die über die Planwagen ihrer Familien herfielen. Der Kampf schien,
verglichen mit der endlosen Spannung und der verzehrenden Angst, das kleinere
Übel zu sein. Im Morgennebel überfiel die polnische und wallonische
Kavallerie ein Dorf am Fuß des Weißen Berges. Die erschöpften
Ungarn, die dort arglos schliefen, wurden ohne Widerstand zu leisten
niedergemetzelt. Einige Überlebende flohen und übertrugen ihre Angst
auf den Berg, wo die Vorposten der Anhaltiner sie plötzlich aus dem dichten
Nebel auftauchen sahen. Das Phänomen "Schlacht am Weißen Berg" hatte
begonnen.
Im Laufe des Vormittags nahmen die
Bayern eine verlassene Brücke am Fuße des Weißen Berges ein,
ohne auf Widerstand zu stoßen. Dann überquerten sie die sumpfige
Flußaue und marschierten los. Die Kaiserlichen rückten langsam nach,
ohne daß die gegnerische Armee versuchte, Teile des Geländes zu
sichern, obwohl es für sie von Vorteil gewesen wäre.
Zahlenmäßig unterlegen (ungefähr 21.000 gegen 30.000 Mann),
bemühte sich die böhmische Armee, ihre Stellung auf dem Gipfel zu
halten, ohne sich zu weit zu verteilen. Sie konzentrierte ihre
Verteidigungsstellung auf den Lustgarten des Schlosses Stern zu ihrer Rechten.
Weil er seinen Truppenverband nicht auseinanderziehen wollte verzichtete Anhalt
darauf, mit einem Teil seiner Truppen die Bayern anzugreifen, die sich im Tal in
einer verwundbaren Lage befanden. Er ließ abwechselnd Kavallerie und
Infanterie von zwei Linien aus angreifen, und zwar so, als ob er ein kompaktes
Infanterie-Karree aufgestellt hätte [5], was ihm die Absicherung
der am meisten bedrohten Punkte ermöglichte. Die ungarischen
Streitkräfte sollten den linken Flügel unterstützen, da, wo der
Abhang an wenigsten steil war. Doch sie hielten sich nicht an seine Befehle,
blieben im Hintergrund und bildeten eine dritte, ungeplante Linie.
Zahlenmäßig überlegen, waren die beiden katholischen Armeen auf
zwei Linien verteilt, die aus riesigen Karrees mit vier Regimentern aus
Musketieren und Pikenieren bestanden. Sie mußten eine Steilwand erklimmen,
die vor ihnen wie eine Mauer lag. Während die Bayern nach links
vorrückten, wo der Hang am schwierigsten zu überwinden war, sie aber
vor den Blicken des Feindes schützte, befanden sich die Kaiserlichen zur
Rechten, wo der Abhang am wenigsten steil war. Man fragt sich, ob es unter
diesen Bedingungen sinnvoll war, sich eine Schlacht zu
liefern.
Buquoy war dagegen: Der Feind habe eine
zu starke Position, und eine Niederlage vor den Toren Prags werde sich schnell
zu einer Katastrophe entwickeln. Warum nicht um den Berg herumgehen und sich der
Stadt nähern? Die Bayern wollten sich auf keinen Fall die Gelegenheit
entgehen lassen, sich einen müden, noch nicht verschanzten Feind vom Halse
zu schaffen, obgleich sie wußten, daß die bevorstehende Schlacht
große Verluste bringen würde. Tilly meinte, man würde mit der
"Barmherzigkeit der Geschütze" durchkommen. Zu diesem Kriegsrat, der sich
nicht einigen konnte, stieß - ohne eingeladen worden zu sein - ein
spanischer Karmeliter, der die bayerische Armee begleitete, mit Namen Dominicus
a Jesu Maria. Er zeigte dem Kriegsrat ein von protestantischen Ikonoklasten
beschädigtes und geschändetes Gemälde und beteuerte, daß
ihm in mehreren Visionen der Sieg prophezeit worden sei, weil damit die
Gottlosigkeit der Ketzer bestrafe werde, und daß die Engel an der Seite
der Soldaten kämpfen würden. [6] Die Entscheidung für die
Schlacht fiel. Die Soldaten erhielten am Morgen nach der Beichte den
Marschbefehl, den sie mit Geschrei und Freudengesängen
aufnahmen.
II. Die Erfahrung der Gewalt
Gegen Mittag stimmte der jesuitische Beichtvater
von Buquoy, Pater Fitz-Simon, das Salve Regina an. Der Schlachtruf,
ausgewählt von Anführer der katholischen Liga, Maximilian von Bayern,
hallte von den Hängen des Weißen Berges zurück: "Maria!", wie in
Lepanto. Er spornte die Männer an, er schweißte sie in dem Augenblick
zusammen, in dem es hieß, den ersten Schritt nach vorn zu tun und
Entschlossenheit statt Angst zu zeigen. Ein Wald aus Piken setzte sich in
Bewegung, zuerst von der rechten Seite aus, wo die Kaiserlichen lagen. Mit dem
Vorrücken der spanischen Kavallerie und der wallonischen Infanterie
löste sich auch der linke Flügel des Truppenverbandes auf, wenn auch
langsamer wegen des steilen Abhangs. Ohne zu kämpfen, schossen ganze
Söldnerverbände des Gegners in die Luft und flohen dann nach Prag,
dabei erleichterte ihnen die vom Fürsten Anhalt gewählte Aufstellung
in kleinen Einheiten auf fatale Weise, zu desertieren. Andere hingegen
rückten vor, um die Lücken zu schließen und kämpften mit
unbändiger Wut. So auch die Soldaten des jungen Prinzen von Anhalt, dem
Sohn des befehlshabenden Generals. Er ging zu einem kraftvollen Gegenangriff
über, schlug die spanische Kavallerie zurück, die in alle
Himmelsrichtungen davonlief, und zerschlug ein wallonisches Karree, das, von
Artillerie und Musketieren besiegt, die Hälfte seiner Männer verlor.
Die Soldaten verloren in diesem Chaos den Überblick und nahmen das alles
nur noch flüchtig und als Halluzination wahr: den Lärm der
Schüsse und Schreie, den schwarzen Rauch aus den Musketen und Kanonen; es
war für sie eine ungeheure physische Anstrengung. [7] Die Soldaten
bemühten sich, beieinander zu bleiben, um mit ganzer Kraft zuschlagen zu
können. Wir wissen nur sehr wenig von der Schlagkraft dieser Unmenge von
Pikenieren. Die bildlichen Darstellungen ignorieren dieses schreckliche
Geschehen, die Augenzeugen bleiben stumm. Die Kämpfenden wollten eine
Bresche in die gegnerische Linie schlagen. Sie rückten vor, so gut sie
konnten und marschierten dabei über die Leichen der schon Gefallenen -
über aufgeschlitzte, zerquetschte, erstickte Körper. In der Endphase
des Kampfes fochten die Pikeniere und Musketiere mit Schwert und Dolch, Mann
gegen Mann. Zu diesem Zeitpunkt kämpfte nur noch eine Minderheit der
Soldaten, doch für sie war es die Hölle auf
Erden.
Die Kavalleristen des Fürsten von
Anhalt schrien schon "Sieg". Aus Furcht, ihnen könne die Beute vorenthalten
werden, schwangen sich die Ungarn in den Sattel, um auf den ins Wanken geratenen
Feind loszustürzen. Den Kaiserlichen drohte schon eine Niederlage. Tilly
beschloß daraufhin, die italienische Kavallerie in den Kampf zu schicken,
und vor allem die "Kosaken", polnische Reiter, die aus der Steppe kamen und auf
ihrem Weg Angst und Schrecken verbreiteten. Eine neue Schwelle der Gewalt war
überschritten und verwandelte die Schlacht in einen unwiderruflichen
Paroxysmus. Furchtbares Gebrüll ausstoßend, rasten die Kosaken auf
die Ungarn zu, wobei sie die Zügel ihrer Pferde zwischen den Zähnen
hielten, um ihre großen zweischneidigen Schwerter besser halten zu
können. Ihr Eingreifen machte das Schlachtfeld zu einem Ort des Grauens.
Die Angst hatte die Fronten gewechselt. Vom Feind verfolgt, rissen die Ungarn
die Zügel herum und sprangen von ihren Pferden, um schneller in die
Weinberge flüchten zu können. Sie wandten sich nicht gen Prag, denn
die Straße dorthin war mit Bagage verstopft, sondern strömten in eine
Talmulde, die zu der Moldau abseits der Stadt führte. Vom Grauen gepackt,
stürzten sich viele in den Fluß und ertranken. Auf dem Weißen
Berg traten alle katholischen Einheiten, die Bayern eingeschlossen, in Aktion
und erfreuten sich haushoher Überlegenheit, obwohl die gegnerischen
Einheiten noch standen. Die Soldaten sahen, wie der Karmeliter zu Pferde aus dem
Rauch und dem Donner auftauchte; er hielt ihnen sein geschändetes
Gemälde entgegen, schwang sein Kruzifix und brüllte dem Feind die
Verse aus dem nächsten Sonntagsevangelium entgegen: "Gebt dem Kaiser, was
des Kaisers ist (gemeint war Böhmen) und Gott, was Gottes ist." Diese
unerwartete Erscheinung löste bei ihnen Ergriffenheit aus: War es nicht die
Gerechtigkeit Gottes, die diese Schlacht gewendet hatte? Die
übermüdeten Männer verspürten ein starkes Gefühl der
Unverwundbarkeit, verursacht durch die Flucht der Ungarn und die Erscheinung des
Paters Dominicus.Waren sie noch auf der Erde oder etwa schon im Himmel? Die
Soldaten versicherten später, sie hätten gesehen, wie das Gemälde
und das Kruzifix Flammen gegen den flüchtenden Feind spien. Jetzt war die
Zeit für den Kampf Mann gegen Mann und für das Metzeln gekommen. Die
Wallonen und Neapolitaner schüttelten ihre Angst ab und massakrierten ihre
Gegner. Ein letztes mährisches Karree wurde entlang der Schloßmauer
zerschlagen. Als die Truppen im Innern des Parks um Gnade flehten, folgten die
italienischen Soldaten nicht mehr den Befehlen ihrer Offiziere und machten nur
sehr wenig Gefangene. Mordlust und das Bedürfnis, die Kameraden zu
rächen, charakterisieren diesen Paroxysmus. Am Ende ließen sich die
völlig entkräfteten Sieger auf der Stelle hinfallen und vergaßen
die Toten und die Verwundeten, die überall auf den Hängen
lagen.
Die Welle des Schreckens erreichte nun auch
Prag. Im Glauben, die Schlacht stünde noch bevor, erhob sich König
Friedrich von der Tafel im Schloß, um sich auf den Weg zu seinen Truppen
zu machen, als er die vor dem Feind fliehenden Soldaten herannahen sah. Er
verließ Hals über Kopf seine Residenz, um mit den Seinen auf der
anderen Seite des Ufers in der Altstadt Schutz zu suchen. Mala Strana, die
Prager Kleinseite, wurde in der Eile auch aufgegeben. Niemand unternahm den
Versuch, die vier Städte Prags (Altstadt, Kleinseite, Neustadt und
Hradschin), in die vor Entsetzen starre Flüchtlinge strömten, zu
verteidigen. Am darauffolgenden Tag, dem 9. November, verließ der
"Winterkönig" seine Hauptstadt für immer, um in ein lebenslanges Exil
zu flüchten, während Maximilian und Buquoy in die Stadt eindrangen und
bei den Kapuzinern ein Te Deum singen ließen. An diesem Tag sah ein
Bürgersmann, wie ein Kavallerist schreiend und nackt, aber bewaffnet und
mit Mütze durch die Altstadt lief, ein lebendes Bild des Wahnsinns, ein
Zeuge des erbarmungslosen Grauens auf dem
Schlachtfeld. [8]
III. Den Paroxysmus
verstehen
Die Schlacht am Weißen Berg war
keine gewöhnliche Schlacht. Zwar finden sich auch die üblichen
religiösen Beigaben, die Gebete vor der Schlacht und das Te Deum des
Siegers, dennoch spielt die Religion hier eine unvergleichlich große
Rolle, die im Dreißigjährigen Krieg ohne Beispiel ist. Das einzige
vergleichbare Ereignis hinsichtlich der Prophezeiungen, der Rolle der Kapuziner,
der Verehrung des Rosenkranzes und der Anrufung der Heiligen Jungfrau des Sieges
ist Lepanto im Jahre 1571. Bei der Schlacht am Weißen Berg hat die
Religion jedoch einen ungleich größeren Stellenwert, weil die
karmelitische Mystik in Person des Pater Dominicus a Jesu Maria plötzlich
auf dem Schlachtfeld anwesend war.
Den Knoten zum
Verständnis der Schlacht am Weißen Berg bildet der Kriegsrat, die
Entwirrung dieses Knotens ist das Herzstück der historiographischen
Streitigkeiten über die Schlacht. Das Auftreten und die Rolle des
Karmeliters waren Gegenstand vieler wissenschaftlicher Untersuchungen, die,
teils mit scharfen Kontroversen, widersprüchliche Ansätze zur Analyse
der Schlacht am 8. November 1620 hervorbrachten. Ähnlich heftig war die
Polemik um die Schlacht bei Königgrätz, eine Polemik, bei der auch die
deutsche Einheit, der Kulturkampf und der Beginn der Nationalbewegung der
Tschechen eine Rolle spielten. Die Tschechen waren den Habsburgern und dem
Katholizismus feindlich gesonnen. Die unterschiedlichen Hypothesen der
Wissenschaftler haben den historischen Tatbestand häufig verschleiert, doch
führten sie auch dazu, daß bisher unveröffentlichte Quellen
zugänglich gemacht wurden. So ermöglichten die Wiederentdeckung der
Kriegstagebücher bayerischer Jesuiten [9] wie auch der Akten
(unvollendet) des Seligsprechungsprozesses [10] des Paters Dominicus,
dessen Existenz zu bezeugen und dessen Rolle zu beleuchten. Das ist der
Zeitpunkt, in dem die Geschichtsschreibung eine vollkommen andere Richtung
nimmt. Der überkommene Rahmen der Kriegskasuistik, wie ihn Vitoria, Suarez
oder der Jesuit M. Becan, Feldprediger von Ferdinand II., definierten, ist
gesprengt. In den wiederentdeckten Schriften finden sich die Bedingungen
für eine Legitimierung von Kriegsgewalt: Ein Krieg ist nur unter ganz
bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt, die Strafe erfolgt je nach erlittenem
Schaden, und das Blutbad ist auf die Dauer der Schlacht begrenzt. Das Eingreifen
von Pater Dominicus ging weit über die Gepflogenheiten der Feldgeistlichen,
hier der Jesuiten, und ihrer wohlgeordneten Gebetspraxis hinaus. Dieses Ereignis
verschiebt am Ende das Zentrum der Kriegsentscheidungen, indem es die Macht der
Befehlshaber an den Rand drängt. All dies erklärt, warum Teilaspekte
dieses außergewöhnlichen Krieges in Schweigen gehüllt
sind.
Das geschändete Gemälde, das der
Karmeliter vor den Kriegsrat und später mitten in das Kampfgeschehen trug,
verlieh der Schlacht eine spezifische Dimension, nämlich die einer
praktizierten Apologetik. Pater Dominicus hatte die gerechte Strafe für
ikonoklastische Vergehen gefordert, am bekanntesten waren die Zerstörung
der Statuen am Prager Dom und des Kruzifixes auf der Karlsbrücke im
Dezember 1619. Der Pfälzer, beeinflußt von seiner Frau Elisabeth
Stuart und seinem Hofprediger Scultetus, zog abgrundtiefen Haß auf sich,
als er Befehle zu derartigen Handlungen erteilte. Die Katholiken haßten
ihn aus ganzem Herzen, und die Zerstörungen erregten auch außerhalb
des Reiches großes Aufsehen. Sollte das den Habsburgern entrissene
Böhmen etwa calvinistisch werden? In Böhmen selbst waren die treuen
Anhänger der nationalen Kirche beunruhigt. Der lutherische Kurfürst
von Sachsen war in noch größerer Sorge, weil die Ambitionen des
pfälzischen Kurfürsten, der König von Böhmen geworden war,
Unordnung in die gesamte Reichsverfassung brachte. Zwischen Lutheranern und
Calvinisten gab es mannigfaltige Querelen. Im entscheidenden Augenblick zog der
Kurfürst von Sachsen, versehen mit einem Mandat des Kaisers, gegen den
Pfälzer in den Krieg. Das Gemälde steht hier in unmittelbarem
Zusammenhang mit den Vorkommnissen. Die Protestanten waren in zwei unvereinbaren
Lagern zerstritten, was ihre Kaisertreue und ihre Wertschätzung für
bildliche Darstellungen betraf.
Es war am 10.
Oktober, als Pater Dominicus in Strakonitz in einer Ruine ein Gemälde fand,
das die Anbetung Christi durch die Hirten darstellte. Die Augen aller
Abgebildeten, mit Ausnahme des Jesuskindes, waren ausgestochen worden. Der
Karmeliter rahmte dieses Gemälde dennoch mit größter Sorgfalt
und schwor Rache im Namen des Herzogs von Bayern, seiner Offiziere und des
Volkes, wobei er den Sieg über die häretischen Rebellen
prophezeite. [11] Die Zerstörung des Bildes wurde als große
Beleidigung empfunden. Für die Soldaten aus den Niederlanden, aus
Lothringen, Bayern, Italien und Spanien waren Gemälde keine sinnlosen
Gegenstände. Sie waren Sinnbild der Verehrung, die man den abgebildeten
Heiligen entgegenbrachte. Das Gemälde und das Kruzifix des Geistlichen,
zwei bei den Calvinisten verhaßte Gegenstände, wurden zu greifbaren
Symbolen des bevorstehenden Sieges. Pater Dominicus trennte sich nie von ihnen
und zeigte sie überall herum. Als am 8. November die Dämmerung
hereinbrach, betrachtete man die Schlacht als einen Triumph des Gemäldes,
als das geheimnisumwobene Zeugnis der Wahrheit katholischer Lehre: "Genau acht
Tage nach Allerheiligen haben sich die Heiligen im Himmel für alle
erlittenen Missetaten an den Kalvinisten gerächt, die ihnen in Prag
Hände, Lippen, Nasen und Köpfe zerschnitten haben", schrieb P. Drexel
in seinem Tagebuch. [12] Der Sieg erschien wie eine Apologie, die
Heiligen hatten bezeugt, daß sie den Gebeten und dem Schicksal ihrer
Bilder Aufmerksamkeit schenkten.
Die Schlacht am
Weißen Berg wurde im nachhinein als Triumph über die Beschlüsse
des Konzils von Trient und im Streit mit den Protestanten erlebt, nicht nur als
solcher interpretiert. Dominicus a Jesu Maria trat auf wie der Prophet Elias,
der, von Gott beauftragt, die Baalspriester auf dem Berg Karmel herausforderte
und tötete. [13] War Elias nach der Tradition seines Ordens nicht
der erste Eremit der Karmeliter? Mehr als jede andere wurde diese Schlacht als
Urteilsspruch Gottes empfunden, und das schreckliche Gemetzel (mehrere Tausend
Tote in zwei Stunden) war die richtig bemessene Vergeltung für die schwer
beleidigte Glaubensinbrunst der Anhänger der Marienverehrung und des
Heiligenkults. Hier liegen die starken psychologischen Triebfedern für
diesen außergewöhnlichen Paroxysmus. Im Gegensatz zu den Protestanten
glaubte man an die Gemeinschaft der Heiligen. Die Schlacht fand acht Tage nach
Allerheiligen statt. Vor dem Kriegsrat erklärte der Karmeliter, daß
die triumphierende Kirche im Himmel der auf der Erde kämpfenden Kirche zur
Seite stehen würde. Vor dem Angriff wurden viele Gebete gen Himmel
geschickt. Am häufigsten wurde die Jungfrau Maria angerufen. Die Mutter
Christi, Symbol der Sanftmut, war es ja, die die Schlange der Häresie
zertreten hatte. Das Monogramm Marias war auf die Reiterfahne der Bayern
gestickt, mit der Aufschrift "terribilis ut castorum ordinata". Auf der
kaiserlichen Reiterfahne war sie als Königin der Engel mit der Losung
"monstra te esse matrem" abgebildet. Unmittelbar vor dem Angriff erscholl ihr
Name aus Tausenden von Mündern. Soldaten, die schon gegen die Türken
gekämpft hatten, erlebten hier ihr zweites Lepanto, als sie sich am
Weißen Berg unter den großen Schutzmantel der Jungfrau begaben. Die
Schlacht war eingebunden in ein riesiges Geflecht aus Träumen, Ängsten
und Hoffnungen. Als die Regimenter sich in Marsch setzten, fühlte jeder
einzelne, daß sein persönliches Schicksal Teil eines großen
Ereignisses wurde.
Niemand hegte Zweifel daran,
daß diese Schlacht eine Sache der Vorsehung war. Auf beiden Seiten
erwartete man große Dinge. Die Protestanten, die teils aus der Lausitz,
teils aus Schlesien stammten, hatten den Pfälzer mit apokalyptischen
Prophezeiungen überschüttet. Man hoffte, daß er der "letzte
Kaiser" sei, durch den die Weissagung über das herannahende Ende der Zeiten
in Erfüllung gehe. Der Heidelberger Hof hatte zu diesem Zweck die
mysteriösen Offenbarungen der Rosenkreuzer aus den Jahren 1614-1616
hervorgeholt. Es gab nicht wenige, die glaubten, daß die "Erneuerung des
Universums" [14] kurz bevorstünde. Aus Schlesien kamen eher
politische Prophezeiungen, wie jene von Christoph Kotter, die den Sieg
Friedrichs über die Habsburger ankündigte. [15] Seine Wahl auf
den Thron von Böhmen im Jahre 1619 wurde als Vorzeichen der Apokalypse und
der Pansophie gedeutet. Jakob Böhme war zu dieser Gelegenheit eigens nach
Prag geeilt. [16] Der mystische Schuhmacher aus Görlitz begann nach
jahrelangem Schreibverbot mit einer literarischen Produktion enormen
Ausmaßes, weil er dachte, daß der letzte Kampf zwischen den Kindern
Zions und den Kindern Babels nahe sei. Trotz der Bemühungen des
Fürsten von Anhalt fehlte diesen apokalyptischen Hoffnungen eine solide
politische und militärische Grundlage, so daß der religiöse
Eifer der Katholiken bei der Schlacht auf dem Weißen Berg kein
gleichwertiges Gegenüber hatte. Bei der Schlacht stießen zwei
religiös motivierte Streitkräfte zusammen, doch mit einem Held trat
nur eine von ihnen auf den Plan. Für Pater Dominicus war der 8. November
der Endpunkt einer Reihe von mystischen Erfahrungen, die sich immer mehr
verdichteten: innere Stimmen, Visionen und schließlich
Ekstasen. [17] Der Karmeliter erschien also wie ein Prophet, denn er
hatte die seit August aufkommenden Siegesprophezeiungen noch um ein vielfaches
bekräftigt. In der Nacht vor der Schlacht waren ihm im Traum Engel
erschienen, die zum Kampf bereit waren und ihm den Weg nach Prag zeigten.
Während des Kampfes fiel er in Ekstase und wurde vom Herzog von Bayern, der
die Schlacht schon als verloren ansah, aus diesem Zustand herausgerissen. So ist
es wohl der Karmeliter, der der Schlacht am Weißen Berg ihren
außergewöhnlichen Charakter verleiht
.
Als Paroxysmus der Gewalt war die Schlacht auch
der Höhepunkt mystischen Erfahrung. Auf zwei unterschiedliche Weisen
gerieten die Männer in einen Zustand außerhalb ihrer selbst: Der
Karmeliter fiel in mystische Ekstase und die anderen verfielen dem Rausch des
Kampfes. Diese beiden Erscheinungen ein und desselben wirren Erlebnisses haben
dennoch ihre Gemeinsamkeit in dem Gefühl, einer Theophanie teilhaftig
geworden zu sein. In dem Bezug auf die Figur des Elias vereinten sich zwei
Aspekte: für die Karmeliter repräsentierte er Gebet und göttliche
Inspiration und für die Soldaten stand er für die Zerstörung der
falschen Propheten. So ist die Schlacht am Weißen Berg als herausragendes
Ereignis der katholischen Gegenreformation zu sehen. Volksfrömmigkeit kam
zusammen mit karmelitischer Gottesverehrung, die Brutalität der Soldaten
mit den Erfahrungen der mystischen Elite. In diesem Sinne ist die Schlacht
weitaus mehr als eine Schlacht. Sie ist ein absolutes Ereignis, das uns alle
Soldaten in einem Zustand zeigt, den wir sonst nicht zu sehen bekommen. Der
Paroxysmus der Gewalt ist beredt. Auch für den Historiker kann er
"apokalyptisch", das heißt enthüllend
sein.