DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
JONATHAN ISRAEL Der niederländisch-spanische Krieg und das Hl. Röm. Reich Deutscher Nation (1568-1648) |
Mitte des 16. Jahrhunderts waren die
gesamten niederländischen Provinzen - die heutigen Niederlande, Belgien und
Luxemburg sowie ein beträchtlicher Teil Nordfrankreichs
(Lille-Arras-Cambrai und Dünkirchen), jedoch nicht Lüttich, das ein
unabhängiges Fürstbistum war - unter dem Habsburger Kaiser Karl V.
(Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 1519-1556; König von Spanien
1516-1556) zusammengeführt worden und bildeten eine politische Einheit. Die
siebzehn Provinzen der Niederlande, eines der ökonomisch
fortschrittlichsten und am stärksten urbanisierten Gebiete Europas,
stellten den Hauptteil eines der wichtigsten Gebiete des Kaiserreiches Karls V.,
das Burgundische Erbe, wozu außerdem die Franche-Comté und
burgundische Ansprüche auf andere französische Gebiete gehörten.
Die burgundischen Länder bildeten zusammen mit den beiden anderen Erblanden
Karls V., den habsburgischen Ländern und der spanischen Krone, in der
damaligen Zeit das größte Reich der
Welt.
Karl V. war väterlicherseits der Enkel
des deutschen Kaisers Maximilian I. und Marias von Burgund, der Erbin Burgunds,
und mütterlicherseits der Enkel Ferdinands und Isabellas, des
Königspaars von Aragon und Kastilien. Nach dynastischem Recht war er also
unbestreitbar legitimiert, die habsburgischen Niederlande - das waren alle
niederländischen Provinzen außer Lüttich - zu regieren und
gleichzeitig König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen
Reiches zu sein. Dieses unanfechtbare Recht übertrug er seinem Sohn Philipp
II., der zwar nicht die habsburgischen Länder in Mitteleuropa und auch
nicht den Titel Kaiser des Heiligen Römischen Reiches erbte, jedoch
gleichzeitig König von Spanien (1556-1598), Herrscher der Niederlande und
Herrscher der spanischen Vizekönigreiche in Italien und Amerika war. 1580
erbte Philipp II. auch die portugiesische Krone und das portugiesische Reich,
die beide bis 1640 mit Spanien verbunden waren. Die habsburgischen Niederlande
waren also auch im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts noch integraler
Bestandteil des weiterhin größten und mächtigsten Reiches der
Welt. Den allgemein anerkannten Konventionen und der herrschenden Praxis dieser
Zeit zufolge war der Anspruch Philipps II. auf die Herrschaft der Niederlande
unbestreitbar. Auch die niederländischen Rebellen gegen Habsburg zweifelten
nie daran, daß Philipp und nach ihm sein Sohn und sein Enkel, Philipp III.
(er regierte von 1598 bis 1621) und Philipp IV. (1621-1665), nach dynastischem
Recht legitime Herrscher der Niederlande
waren.
Die unablässig wachsenden Spannungen
zwischen der spanischen Krone und den niederländischen Untertanen, die in
den unruhigen Jahren 1566-68 zum Ausbruch des niederländischen Aufstandes
führten, hatten zwei Hauptursachen. Einerseits wuchs - vor allem seit den
1540er Jahren - der Unmut über die Politik des Königs, die
königliche Verwaltung auszudehnen, die einheimischen Rechts-,
Stadtverwaltungs- und Finanzbehörden mehr und mehr der königlichen
Kontrolle zu unterwerfen und die Steuern zu erhöhen, um so die Niederlande
zu einer funktionierenden spanischen Machtbasis umzugestalten - vor allem mit
Blick auf die praktisch ununterbrochenen kriegerischen Auseinandersetzungen mit
Frankreich. In den 1560er Jahren herrschte in den Niederlanden das Gefühl
vor, die spanische Krone versuche, das komplexe Gefüge der im Mittelalter
erworbenen Freiheiten, Privilegien und Rechte der Städte und Provinzen, das
die Basis ihrer Autonomie darstellte, zu untergraben und zu zerstören. Aber
wenn die Krise in den Niederlanden nicht mehr beinhaltet hätte als diesen
Konflikt zwischen einer zentralistischen Monarchie und dem hartnäckigen
Widerstand gegen solche Zentralisierungsbestrebungen vor allem von seiten der
drei größten Provinzen, Flandern, Brabant und Holland, hätten
Kompromisse gefunden und ein Ausgleich geschaffen werden können, durch die
der sich nun entwickelnde gewaltige Konflikt hätte vermieden werden
können. Daß es zu diesen Kompromissen nicht kam, ist dem zweiten
Faktor zuzuschreiben: dem eskalierenden Glaubenskampf, in den die Niederlande
seit den 1520er Jahren verwickelt waren. [1] Der Einfluß der
lutherischen Reformation hatte sich in den Niederlanden zumindest in den
urbanisierten niederländischsprachigen Provinzen schon früh stark
bemerkbar gemacht. Aber obwohl die Reformation in den Niederlanden früh
begann und ursprünglich lutherischen Charakter trug, schwand der
lutherische Einfluß, als die Lehren Zwinglis, Bucers und der
Wiedertäufer und später, seit den 1550er Jahren, die calvinistische
Lehre sich in der niederländischen Gesellschaft verbreiteten, vor allem
unter den Bürgern der Städte und in Teilen des Adels. Und während
die früheren Strömungen kaum Auswirkungen auf die
französischsprachigen, sogenannten wallonischen Provinzen im Süden der
Niederlande hatten, faßte der Calvinismus in den 1550er Jahren auch hier
Fuß.
Um dieser Ausbreitung des
Protestantismus zu begegnen, griff Karl V., unterstützt durch die Kirche
und die juridischen Autoritäten in den Niederlanden, aber ohne
nennenswerten Rückhalt bei den Städten und im Adel, zu Mitteln wie
Bücherverbrennungen, Hausdurchsuchungen und bald auch Exekutionen. Die
religiöse Verfolgung nahm ein im damaligen Europa - abgesehen von Spanien
und Portugal - bis dahin unbekanntes Ausmaß an. Die Repressalien, die
Maßnahmen der von Karl V. in den Niederlanden eingeführten
Inquisition und die um die Mitte des Jahrhunderts in großem Umfang
vorgenommene Konfiszierung von Eigentum erregten nicht nur die Empörung der
protestantischen Sympathisanten, sondern auch großer Teile des Adels und
anderer Eliten des Landes, die die mit der Verfolgung einhergehenden politischen
und juridischen Neuerungen und Übergriffe mißbilligten. Folglich
wandten sich, als die habsburgische Regierung 1566 zeitweilig die Kontrolle
über das Land verlor, protestantische Gruppen zumeist in Flugblättern
und Pamphleten offen gegen die königliche Politik. Als in Flandern,
Brabant, Seeland und Holland der Bildersturm ausbrach - eine Welle von Angriffen
auf Kirchenaltäre, Gemälde, Plastiken und Meßgewänder - und
in Antwerpen, der damals größten niederländischen Stadt, alle 42
Kirchen geplündert wurden, unternahm man kaum Versuche, die
Bilderstürmer aufzuhalten. Allgemein konnte man, außer in einigen
französischsprachigen Provinzen, insbesondere in Lille, in den Niederlanden
wenig von dem militanten Volkskatholizismus spüren, wie er zu dieser Zeit
in Frankreich zu finden war. Es trifft sicherlich zu, daß in den
frühen Stadien des Aufstandes gegen Spanien nur eine Minderheit der
niederländischen Bevölkerung aktiv protestantisch war. Aber es trifft
ebenso zu, daß die Bindung der Bevölkerung an die katholische Kirche
generell eher schwach war und daß der kompromißlose, doktrinäre
Katholizismus, wie er von der beginnenden Gegenreformation in Europa propagiert
wurde, zu dieser Zeit eher die Religion der staatlichen und kirchlichen
Würdenträger war als die der niederländischen
Bevölkerung.
Philipp II. beantwortete den
Angriff auf seine Autorität und auf die katholische Kirche mit großer
Entschiedenheit. Obwohl Spanien Ende der 1560er Jahre in einen zermürbenden
Krieg mit den Türken in Nordafrika und generell im Mittelmeer verwickelt
war und trotz der hohen Kosten des See- und Landkrieges im Süden
beschloß Philipp, eine mächtige Armee unter dem Befehl des Herzogs
von Alba in die Niederlande zu schicken, um diese zu einer demütigeren
Haltung zu zwingen. [2] Trotz oder vielleicht gerade wegen der
offensichtlichen Schwäche der spanischen Autorität in den Niederlanden
ließ der König sich zu der harten Linie Albas überreden und
griff zu drastischen Mitteln. Es war allerdings klar, daß die Kosten
für zwei große Armeen, eine im Süden und eine in den
Niederlanden, nicht lange aufgebracht werden konnten. Daher erschienen wohl
durchgreifende Maßnahmen, um den gesamten Widerstand rasch zu brechen, als
der einzig realistische Weg.
Alba marschierte mit
10.000 spanischen und italienischen Soldaten von Genua und Mailand nach Norden
und kam im August 1567 an. Seine Härte in den Niederlanden hatte zweifellos
eine spektakuläre Wirkung, und zwar keinesfalls nur in den Niederlanden. In
den Jahren 1567-72 wurden insgesamt 8.950 Personen aus allen sozialen Schichten
wegen Verrats oder Abtrünnigkeit oder wegen beider Vergehen angeklagt und
verurteilt, und mehr als tausend der Verurteilten wurden öffentlich
hingerichtet, in vielen Fällen auf dem Scheiterhaufen
verbrannt. [3] Viele adlige und bürgerliche Wohnsitze wurden
durchsucht und geplündert, auch verschiedene Residenzen Wilhelms von
Oranien (1533-1584), dem reichsten und bedeutendsten Edelmann der Niederlande.
Sowohl im Escorial als auch von den königlichen Beamten in Brüssel
wurde er, obwohl er noch nicht gegen den König zu den Waffen gegriffen
hatte, als Führer der Opposition gegen die königliche Politik und als
potentieller Schirmherr der Protestanten angesehen. Um der Verfolgung zu
entgehen, verließen viele politische und religiöse Flüchtlinge
das Land, vor allem im Frühjahr und Sommer des Jahres 1567 sowie im Winter
1567/68. Viele flüchteten nach England. Die meisten aber ließen sich
zeitweilig oder in einigen Fällen auch für immer in Emden, Köln,
Hamburg, Bremen, Frankfurt und anderen Städten Nordwestdeutschlands nieder.
Eine nicht unbedeutende Anzahl emigrierte nach Dänemark und in das
Baltikum. Die Mehrheit dieser ungefähr 60.000 Flüchtlinge waren
nichtlutherische Protestanten, hauptsächlich Calvinisten, außerdem
Mennoniten, Spiritualisten und andere. Dieser dramatische Exodus von Adligen,
hohen Beamten und anderen Personen von hohem Rang verstärkte einerseits die
Reformation in Nordwestdeutschland, einem Gebiet, in dem viele geistliche
Fürsten im Bündnis mit Spanien die alte Kirche mit allen zur
Verfügung stehenden Mitteln verteidigten; andererseits trugen die
protestantischen Flüchtlinge aus den Niederlanden auch in hohem Maße
zur Zersplitterung des Protestantismus am Niederrhein und in Westfalen
bei. [4] In Städten wie Hamburg und Frankfurt wuchs die
calvinistische Minderheit durch die niederländische Immigration zu einer
mächtigen Gruppe an.
Albas
Schreckensherrschaft schüchterte die niederländische Bevölkerung
eine Zeitlang gründlich ein und hatte die gleiche Wirkung auf die
Fürsten und Stadtregierungen am Niederrhein und in Westfalen. Gleichzeitig
schuf sie jedoch auch ein großes Flüchtlingsreservoir in der
Nähe der niederländischen Grenze. Die Exilniederländer konnten
ihre Heimat und ihre konfiszierten Güter nur durch den Kampf gegen die
spanische Herrschaft in den Niederlanden zurückgewinnen und gründeten
zu diesem Zweck eine politisch-religiöse Befreiungsbewegung. Die zwei
herausragenden deutschen Fürsten am Niederrhein waren zu dieser Zeit der
Erzbischof von Köln und Herzog Wilhelm, der ein halbes Jahrhundert lang
(1539-1592) die drei Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg und
außerdem die Grafschaften Mark, Ravensberg und Ravenstein regierte. War
Herzog Wilhelm zu Beginn seiner Regierung noch Lutheraner gewesen und den
Habsburgern feindlich gesonnen, änderte sich seine Haltung mit der Ankunft
Albas, und er bekannte sich nun zum Katholizismus. [5] Trotzdem
verdächtigten die Beamten in Brüssel ihn nicht nur der Sympathien,
sondern auch der aktiven Unterstützung Wilhelms von Oranien. Dieser war
kurz vor der Ankunft Albas in den Niederlanden nach Dillenburg geflüchtet.
1568 begann er den bewaffneten Aufstand gegen Philipp II. und stellte sich an
die Spitze der Befreiungsbewegung im Exil. Er konnte auf die Unterstützung
seiner Verwandten und die finanziellen Mittel des kleinen calvinistischen
Staates Nassau-Dillenburg, seines Familiensitzes in Deutschland, rechnen. Es
waren aber vor allem die vielen niederländischen Exulanten und die
lutherischen und kryptolutherischen Fürsten Deutschlands, die ihm
ausreichende Mittel und damit genügend Soldaten für einen Angriff
verschafften, der eine ernstzunehmende Herausforderung für die spanische
Regierung in den Niederlanden darstellte. Der Angriff wurde sowohl zu Wasser,
von Emden aus, als auch zu Land, von Nordwestdeutschland aus,
gestartet.
1572 brach in großen Teilen der
Niederlande der offene Aufstand gegen Albas hartes Vorgehen, die ständigen
Steuererhöhungen (den Zehnten) und die Mißachtung der
konstitutionellen Privilegien der Provinzen und Städte aus. Der Aufstand
von 1572 war teilweise spontan und teilweise durch die Invasion der Rebellen in
Gang gesetzt worden; die Wassergeusen kamen vom Meer aus, das Heer kam aus
Deutschland und aus Frankreich. Zu Anfang sah es so aus, als würde das
spanische Regime geschlagen. Aber Alba war ein erfahrener und tüchtiger
Feldherr, der seine Truppen mit maximaler Wirkung einzusetzen verstand und
geneigt war, strategisch gezielten Terror auszuüben, um ganze Regionen in
Schrecken und Angst zu versetzen. Nach wenigen Monaten und verschiedenen
entsetzlichen Blutbädern - insbesondere in Mechelen (September 1572),
Zutphen (14. November 1572) und Naarden, wo die Spanier praktisch alle
Einwohner, Männer, Frauen und Kinder, ermordeten (2.Dezember 1572) - war
der größte Teil der Niederlande vollständig unterworfen und
befriedet. Die Städte Hollands und Seelands leisteten jedoch weiterhin
hartnäckigen Widerstand - mit Ausnahme von Middelburg und Amsterdam, wo
royalistische, prokatholische Stadtregierungen zum König hielten, in
Amsterdam bis 1578. Die Grausamkeit des religiösen Konfliktes und die
Gewißheit, daß ihnen ein furchtbares Schicksal drohte, wenn sie in
die Hände Albas fielen, bestärkten die Rebellen in ihrer
Hartnäckigkeit. So gelang es Alba nicht, den Aufstand in den Jahren 1572/73
niederzuschlagen. Trotzdem konnten Philipp und seine Anhänger die ganze
Zeit über mit einigem Recht den endgültigen Sieg Albas über die
Rebellen erwarten - bis zur berühmten Belagerung von Leiden im Jahre 1574.
Monatelang blieb die Belagerung unentschieden. Erst im letzten Augenblick gelang
es Wilhelm von Oranien, durch Überschwemmung der Umgebung Leidens die
Spanier zum Rückzug zu zwingen und die Stadt zu entsetzen. Diese
entscheidende Niederlage führte dazu, daß die Spanier Südholland
aufgaben und sich auf ihre Stützpunkte in Haarlem, Amsterdam und Utrecht
zurückzogen, wenn auch mit der Absicht, zurückzukommen - wie sie
selbst, die Royalisten und die katholischen Anhänger hofften und
erwarteten.
Der Entsatz von Leiden im Jahre 1574
und die inzwischen chronische Zwangslage der königlichen Finanzen
bedeuteten, daß es keine schnelle Lösung des Konfliktes zugunsten
Spaniens geben würde. Im Gegenteil, in den Jahren 1574-76 verschlechterte
sich die finanzielle und politische Lage der spanischen Krone in den
Niederlanden so weit, daß die Soldaten - Deutsche und Wallonen und auch
Spanier und Italiener - meuterten, weil kein Sold ausbezahlt wurde, und die
Armee sich langsam auflöste. Das führte zum praktischen Zusammenbruch
der spanischen Regierung in den meisten niederländischen Provinzen. Im
November 1576 überfiel eine Horde meuternder Soldaten Antwerpen, die
größte und reichste Stadt der Niederlande, metzelte Tausende von
Einwohnern nieder, plünderte und zerstörte einen Teil der Stadt. Um
ihren Städten ein ähnliches Schicksal zu ersparen, unterzeichneten der
Adel und die Stadtregierungen in den meisten Provinzen einen Vertrag, der
bekannt wurde als die "Pazifikation von Gent" (November 1576). Darin vereinbarte
man, politisch und militärisch mit den beiden Rebellenprovinzen Holland und
Seeland, die bereits seit 1572 gegen den König kämpften, mit dem Ziel
zu kooperieren, das spanische Militär zu vertreiben und den Krieg zu
beenden. Über die endgültigen politischen Ziele oder das dornige
Religionsproblem wurde jedoch zwischen den beiden aufständischen und den
anderen niederländischen Provinzen, die zwischen 1572 und 1576 unter
spanischer Herrschaft gestanden hatten, nichts
vereinbart.
Von 1576 bis zur spanischen
Wiedereroberung Antwerpens im Jahre 1585 gab es in den Niederlanden faktisch
drei politische Gruppierungen, die jeweils eine andere politische Lösung
des Konfliktes anstrebten. [6] Erstens gab es das königstreue
Gebiet im Süden - hauptsächlich Luxemburg und Namur -, das unter
spanischer Herrschaft und Spanien gegenüber loyal geblieben war, als die
anderen Provinzen die Pazifikation von Gent unterschrieben. Zweitens gab es das
im Jahre 1572 in Holland und Seeland errichtete Rebellenregime unter Leitung
Wilhelms von Oranien, das den König mit aller Macht zur Aufgabe eines
großen Teils seiner Macht in den Niederlanden zwingen wollte, offiziell
calvinistisch war und seit 1573 die katholische Religionsausübung verboten
hatte. Aber zwischen diesen beiden Extremen stand eine mittlere Gruppe, die zu
Anfang in den meisten, auch in den beiden größten und volkreichsten
Provinzen Flandern und Brabant sowie in den wallonischen Provinzen die Mehrheit
hatte. Diese Gruppe wollte zweifellos ebenfalls eine Einschränkung der
spanischen Macht und den Abzug des spanischen Militärs erreichen;
gleichzeitig wollte sie aber auch so schnell wie möglich zu einem
befriedigenden Kompromiß mit dem König kommen und war - teilweise aus
diesem Grunde - entschlossen, die Vorrangstellung der katholischen Kirche
aufrechtzuerhalten und die öffentliche Ausübung der calvinistischen,
lutherischen oder irgendeiner anderen protestantischen Religion zu verbieten.
Die unvermeidliche Folge dieser Differenzen war, daß sich zusätzlich
zu den fortdauernden Kriegshandlungen zwischen den beiden Gruppen
aufständischer Provinzen auf der einen und den Spaniern und den
königstreuen Provinzen auf der anderen Seite ein erbitterter
politisch-religiöser Dreieckskampf entspann. In diesem Streit eroberten
revolutionäre calvinistische Gruppen, die mit Wilhelm von Oranien und den
Provinzen Holland und Seeland verbündet waren, erst die Städte Gent,
Brügge und später Brüssel und Antwerpen. Dadurch verloren sie
freilich die Unterstützung des größten Teils des Adels und der
Patrizierschicht Flanderns sowie Brabants. Wilhelm von Oranien kalkulierte,
daß die Unterstützung von seiten des Adels und des Patriziats im
Süden für den Kampf wichtiger war als die Ausbreitung des
calvinistischen Glaubens, und wandte sich schnell gegen diese radikalen
Calvinisten in den südlichen Städten. Er machte die Situation dadurch
noch komplizierter und verworrener, als sie bereits war. [7] Der Prinz
fand sich in einem unlösbaren Zwiespalt: Im Süden versuchte er, eine
Politik des "Religionsfriedens" zu verfolgen, die Calvinisten zu zügeln und
die öffentliche Ausübung des katholischen Glaubens zu
gewährleisten; im Norden leitete er ein Regime, das die
ausschließliche Herrschaft des Calvinismus aufrechterhielt und den
Katholizismus verbot.
Die Ausbreitung und
Vertiefung des Konfliktes in den Niederlanden hatte unvermeidlich Auswirkungen
auf die religiösen und politischen Konflikte im benachbarten
Nordwestdeutschland. Die zahlreichen weltlichen und geistlichen Territorien in
dieser Region bildeten zusammen mit dem Elsaß, Lothringen und der
Franche-Comté ein riesiges Machtvakuum, das in der gesamten frühen
Neuzeit ständig entweder von Frankreich oder Spanien (nach 1700 ersetzt
durch Österreich) bzw. von beiden beherrscht war. Zu diesem Zeitpunkt waren
Frankreich jedoch durch seine eigenen Religionskriege die Hände gebunden,
während Spanien teilweise durch seine chronisch schlechte Finanzlage und
den sich ausbreitenden Aufstand in den Niederlanden gelähmt war. Seit den
1550er Jahren war Nordwestdeutschland die Bühne für einen
eskalierenden und stets unerbittlicher werdenden Dreieckskampf zwischen
Katholiken, Lutheranern und Calvinisten gewesen. Mit dem verschärften Kampf
in den Niederlanden intensivierte sich auch der Kampf um die Vorherrschaft am
Niederrhein und in Westfalen. Obwohl eine Einmischung in die deutschen
Angelegenheiten zu diesem Zeitpunkt nahezu unmöglich war, konnte Spanien
sich aufgrund der engen Verwobenheit des spanischen Hofes mit dem Reich in
diesem Konflikt keine Passivität
erlauben.
Als in den frühen 1580er Jahren die
Spanier im Süden der Niederlande wieder an Boden gewannen und die mittlere
Gruppe der niederländischen Politik mehr und mehr zwischen den spanischen
Erfolgen im Süden und den protestantischen Eroberungen im Norden und in der
Mitte des Landes zerrieben wurde, geriet der Kampf in Nordwestdeutschland
ebenfalls in seine entscheidende Phase. Seit den 1550er Jahren war die Position
der geistlichen Territorien am Niederrhein und in Westfalen - Köln,
Münster, Osnabrück und Paderborn - durch die schwindende
Anhängerschaft der katholischen Kirche, zumindest in den Städten, und
den Zuwachs an Lutheranern und Calvinisten geschwächt worden. Es war
vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis einer der geistlichen Fürsten in
Versuchung geraten würde, dem katholischen Glauben abzuschwören und
mit protestantischer Hilfe eine neue dynastische und politische Einheit zu
schaffen. Dies geschah 1582, als der Erzbischof von Köln, Gebhard
Truchseß von Waldburg, dem Papst die Treue aufkündigte, seine
Bekehrung zum Protestantismus verkündete und mit Hilfe der
niederländischen Rebellen versuchte, in seinem Kurfürstentum die
Reformation durchzusetzen. Im April 1583 setzte der Papst ihn ab und machte so
den Weg frei für die Wahl des neuen Erzbischofs, Ernst von Bayern. In dem
darauf folgenden Kölner Krieg (1583-1589) hatten zuerst die Protestanten
die Oberhand, aber im Januar 1584 wandelte sich das Kriegsglück, als eine
Gruppe Adliger, unterstützt von spanischen Truppen, die Stadt und
kurfürstliche Residenz Bonn in Besitz nahm. In den folgenden Monaten
eroberte Erzbischof Ernst den größten Teil des Kurfürstentums,
und im Jahre 1585 sicherte er sich auch die Wahl zum Fürstbischof von
Münster, dem größten und strategisch wichtigsten der geistlichen
Territorien Westfalens. Der doppelte Sieg Ernsts in Köln und Münster
kennzeichnete den tatsächlichen Beginn der Gegenreformation am Niederrhein
und in Westfalen, das langsame Abebben der protestantischen Welle und die
Gegenoffensive eines ständig selbstbewußter und kraftvoller werdenden
Katholizismus. Dieser erhielt kräftige Impulse von den neuen, sich
sprunghaft vermehrenden Jesuitenkollegien, in denen die Söhne des Adels,
der Beamten und der reichen Kaufleute erzogen wurden. Es muß darauf
hingewiesen werden, daß Ernst von Bayern nicht zufällig seinen
doppelten Sieg in Nordwestdeutschland zur der Zeit errang, als in den Jahren
1584/85 der Herzog von Parma Flandern und Brabant im Namen Philipps II.
triumphierend zurückeroberte. Beide Ereignisse waren politisch, strategisch
und logistisch aufs engste miteinander verbunden. Der Erfolg Alexander Farneses,
des Herzogs von Parma, gipfelte in der Wiedereroberung Antwerpens für
Spanien im Jahre 1585. Als die Stadt fiel, bemannte Parma die Zitadelle mit
kastilischen Elitetruppen. Protestanten, die sich der Rückkehr zum
Katholizismus verweigerten, mußten ihre Güter verkaufen und die Stadt
verlassen. Tausende emigrierten, die meisten nach Holland und Seeland, eine
beträchtliche Anzahl ließ sich aber auch in nordwestdeutschen
Städten nieder.
Doch nach Antwerpen kam die
spanische Gegenoffensive zum Stillstand, obwohl Parma auch noch Nimwegen,
Deventer und Zutphen einnahm. Der größte Teil des Territoriums der
sieben Provinzen, die sich 1579 in der Union von Utrecht zu einem engeren
Verteidigungsbündnis zusammengeschlossen hatten, blieb in Händen der
Aufständischen. Ebensowenig waren die geistlichen Fürsten und ihre
Verbündeten in der Lage, in Nordwestdeutschland einen endgültigen Sieg
zu erringen. Spanische Truppen eroberten im Juli 1587 die Stadt Neuss für
den Kurfürsten und metzelten die dort ansässigen Protestanten nieder,
im Dezember aber stürmte eine von den Niederländern unterstützte
protestantische Truppe erfolgreich Bonn. Im März 1588, als die
"unüberwindliche Armada" sich auf ihre Fahrt von La Coruña und
Lissabon nach England vorbereitete, umzingelte eine spanische Division auf
Befehl Farneses die Stadt Bonn und zwang sie nach sechsmonatiger Belagerung zur
Übergabe. Im September 1589 schickte Farnese eine weitere Armee zur
Belagerung der wichtigen Rheinfestung Rheinberg im Norden des
Kurfürstentums Köln. Die Stadt war vorwiegend protestantisch und
beherbergte eine ausgehungerte niederländische Garnison, die sich im
Februar 1590 ergab. Danach stationierten die Spanier ihre eigenen Truppen in der
Festung, wodurch diese Stadt die erste in einem von der spanischen Krone seit
1590 aufgebauten Netz von spanischen Garnisonen auf dem Boden des Reiches
war. [8] Sie dienten zur Sicherung der prekären Vorherrschaft, die
die Spanier seit der Mitte der 1580er Jahre in Nordwestdeutschland erworben
hatten und die sie bis 1630 aufrechterhalten konnten.
Was den spanischen Vorstoß in den
Niederlanden nach 1585 zum Stillstand brachte - endgültig, wie sich
später herausstellte, - war das Ergebnis einer Reihe von Faktoren: die
zunehmende Konsolidierung und Spannkraft des sieben Provinzen umfassenden
niederländischen Rebellenstaates, das große ökonomische Wachstum
und nicht zuletzt der immer beeindruckendere Ring von technisch hochentwickelten
Festungen, den die neue niederländische Regierung nach der Ermordung
Wilhelms von Oranien durch einen fanatischen Katholiken zum Schutz des jungen
Rebellenstaates gegen die spanisch besetzten Gebiete im Süden und Osten
anlegen ließ. Dieser massive Verteidigungsring verlief von Sluis an der
Scheldemündung im Süden die großen Flüsse entlang, folgte
der IJssel, lief dann bis Coevorden in Drenthe und weiter nach Norden bis
Delfzijl an der Emsmündung.
Die allgemeine
strategische Lage der niederländischen Rebellen und auch der
protestantischen Fraktion in Nordwestdeutschland verbesserte sich schlagartig im
Jahre 1590, als Philipp II. beschloß, die spanische Armee aus Flandern
abzuziehen und im Bürgerkrieg in Frankreich einzusetzen. Dort war die
katholische Liga jetzt in der Defensive, und es sah so aus, als ob Heinrich IV.
- zu diesem Zeitpunkt noch protestantisch - König von Frankreich, vor allem
aber der erste protestantische König von Frankreich werden würde.
Philipp wollte beides um jeden Preis
verhindern.
Der Preis für Spaniens
Intervention in Frankreich in den Jahren 1590-98, bis zum Frieden von Vervins
(1598), war, daß die spanischen Streitkräfte in den Niederlanden und
in Nordwestdeutschland ihren Feinden im Norden den Rücken kehren und alle
Aufmerksamkeit und Energie auf Frankreich konzentrieren mußten. Die
daraufhin unvermeidliche Vernachlässigung der Garnisonen entlang und
nördlich der großen Flüsse und auch am Niederrhein verschaffte
dem jungen niederländischen Staat - jetzt unter der Leitung Johans von
Oldenbarnevelt (1547-1619) in seiner Eigenschaft als Ratspensionär von
Holland - und der antispanischen Fraktion am Niederrhein und in Westfalen die
günstige Gelegenheit, auf Kosten der Spanier und der Katholiken Boden zu
gewinnen.
Die niederländische Offensive von
1591 unter Leitung von Moritz von Nassau (Statthalter von 1585-1625) vertrieb
die Spanier in schneller Folge aus Zutphen, Deventer und Nimwegen und festigte
den niederländischen Zugriff auf das Südufer der Emsmündung. 1594
eroberten die Niederländer die Stadt Groningen, den letzten Stützpunkt
der Spanier in den nordwestlichen Niederlanden. In seiner zweiten großen
Offensive im Jahre 1597 versuchte Moritz die Spanier an der Ostgrenze der
Republik und aus Nordwestdeutschland zu vertreiben, zumindest nördlich des
Rheins. Er erreichte beide Ziele und feierte einen großartigen Triumph. Am
10. August 1597 erschien Moritz mit 8.200 Soldaten und einer eindrucksvollen
Artillerie, die auf einer Flotte niederländischer Kähne von Holland
aus den Rhein aufwärts geschleppt worden war, vor der Festung
Rheinberg. [9] Bereits nach zehntägiger, so heftig noch nie
erlebter Beschießung ergab sich die erfahrene, aber erschöpfte
spanische Garnison. Nachdem er durch die Eroberung dieses spanischen
Brückenkopfes am Rhein seinen Rücken gedeckt hatte, eroberte Moritz
schnell nacheinander Groenlo, Oldenzaal, Enschede, Bredevoort und die
zweitwichtigste spanische Garnisonstadt im Reich, die Stadt
Lingen.
Nachdem der französisch-spanische
Krieg von 1590 bis 1598 vorbei war, konnten Philipp III., der neue König
von Spanien, und die neuen habsburgischen Herrscher der katholischen Niederlande
- Erzherzog Albrecht von Österreich und seine Frau Isabella Clara Eugenia,
älteste Tochter Philipps II., der er auf seinem Sterbebett die Niederlande
zugewiesen hatte - sich ernsthaft der Wiederherstellung der spanischen Hegemonie
in den nordöstlichen Niederlanden, in Westfalen und am Niederrhein widmen.
Aber es dauerte einige Jahre, bevor die Herrschaft der Erzherzöge in den
südlichen Niederlanden ausreichend konsolidiert war. Ostende, die letzte
große niederländische Bastion in Flandern, konnte eingenommen, die
spanischen Finanzen saniert und die Flandrische Armee soweit wiederaufgebaut
werden, daß das gesetzte Ziel erreicht werden konnte. Im Jahre 1605 waren
die Umstände günstig, und der brillante neue Feldherr der Flandrische
Armee, Ambrogio Spínola (1569-1630) leitete in den Sommern der Jahre 1605
und 1606 zwei Feldzüge ein, die die spanische Herrschaft am Niederrhein und
im westlichen Westfalen wiederherstellten. 1605 eroberte Spínola
Oldenzaal und Lingen, die bedeutende Festungsstadt an der Ems. 1606 gewann er
Groenlo, Bredevoort und, nach heftiger Beschießung, Rheinberg zurück,
das so oft den Besitzer gewechselt hatte, daß Spínola es eine
"Kriegshure" nannte.
Doch im Jahre 1606
beschlossen Philipp III. und sein Günstling, der Herzog von Lerma, den
langen spanischen Kampf mit den Niederlanden und den benachbarten deutschen
Gebieten zu beenden, zum Teil wegen erneuter Finanzprobleme, zum Teil, weil sie
die Ressourcen des spanischen Reiches anderswo einsetzen wollten. Es wurden
geheime Verhandlungen geführt, die im April 1609 mit der Unterzeichnung des
zwölfjährigen Waffenstillstandes (1609-1621) endeten. In den
Überlegungen Philipps und Lermas spielte der kürzlich errungene Erfolg
der Niederländer in Ostindien eine große Rolle. Die Niederländer
hatten 1605 Amboina und zwei andere "Gewürzinseln", Ternate und Tidore, von
den Portugiesen erobert, die seit 1580 Untertanen der spanischen Krone waren. Es
war deutlich, daß Spanien der Flotte, die die holländische
Ostindische Kompanie (VOC) seit 1602 in den asiatischen Gewässern aufgebaut
hatte, nicht gewachsen war. Als der einfachste Weg, die niederländische
Expansion in Ostindien aufzuhalten und die verlorenen Stützpunkte des
portugiesischen Weltreiches zurückzuerobern, schien eine Abmachung zwischen
den Rebellen und der spanischen Krone, der zufolge die spanische Krone die
rebellischen Provinzen als "freie Provinzen" anerkennen würde, über
die der König nichts mehr zu bestimmen hätte, die Niederländer
aber im Gegenzug auf ihre Ansprüche in Ostasien verzichten und die Seefahrt
nach Ost- und Westindien gleichermaßen aufgeben würden. [10]
Philipp III. und Lerma waren zu einem vollständigen und endgültigen
Friedensschluß bereit, falls die Niederländer auf dieses Angebot
eingingen. Die niederländische Weigerung, die VOC aufzulösen und von
der geplanten Gründung der Westindischen Kompanie abzusehen - wozu
Oldenbarnevelt durchaus bereit war -, bedeutete, daß es keinen Frieden
geben würde. Schließlich war der Kunstgriff eines
zwölfjährigen Waffenstillstandes für beide Seiten
annehmbar.
Der Waffenstillstand aber, von dem
Lerma und vielleicht auch Oldenbarnevelt gehofft hatten, daß er zu einem
endgültigen Friedensschluß führen würde, erwies sich als
nicht tragfähig. Auf jedem Schauplatz, in Ostindien, Westafrika und in der
Karibik wie auch in den Niederlanden und Nordwestdeutschland nahmen die
Spannungen zwischen Niederländern und Spaniern schnell wieder zu. Die
wechselseitige Abhängigkeit der Situation in den Niederlanden und in
Nordwestdeutschland zeigte sich nie deutlicher als während des
zwölfjährigen Waffenstillstandes. Als der Herzog von Jülich-Kleve
im Jahre 1609 ohne Erben starb, entflammte eine internationale Krise wegen der
unklaren Erbfolge. Die Frage, wer die Nachfolge in den drei Herzogtümern
und den drei Grafschaften antreten sollte, wurde nicht nur in
Nordwestdeutschland und den Niederlanden, sondern auch im übrigen Europa
strategisch, politisch und vom religiösen Standpunkt aus als entscheidend
angesehen. Der verstorbene Herzog war spanienfreundlich und katholisch gewesen,
die beide rivalisierenden Bewerber um die Nachfolge aber, der Kurfürst von
Brandenburg und der Herzog von Neuburg, waren zu diesem Zeitpunkt Lutheraner.
Daher widersetzte sich Spanien beiden Ansprüchen und stützte
anfänglich die Politik des Kaisers, der einen Reichsverweser einsetzen
wollte, bis alle Aspekte der Frage gründlich untersucht seien und er
entscheiden könne, wie den Ansprüchen aller Beteiligten gerecht zu
werden sei. Der französische König, Heinrich IV., akzeptierte diese
Lösung nicht und marschierte zusammen mit den Niederländern,
unterstützt auch durch den vorwiegend protestantischen Adel und den
Städte in Jülich, Berg und Mark, in Jülich ein, dem einzigen
Herzogtum, dessen Adel Spanien, den Kaiser und den Reichsverweser
unterstützte. Im September 1610 ergab sich die stark befestigte Stadt
Jülich der vereinten französisch-niederländischen Armee. Aber die
Ermordung Heinrichs IV. im Mai 1610 führte dazu, daß die Franzosen
schnell wieder von der Bildfläche verschwanden und die Niederländer
allein Jülich besetzt hielten.
Der Abzug der
Franzosen vom Schauplatz ermutigte die Spanier, am Niederrhein aktiver zu werden
und ihre Vorherrschaft wieder zu festigen, obwohl Lerma und die Erzherzöge
sehr vorsichtig blieben. Nachdem Spínola und die Erzherzöge in den
Jahren 1609/10 ausmanövriert worden waren, wollten sie schnell und
kraftvoll eingreifen, als der Erbfolgestreit im Jahre 1614 wieder ausbrach. In
der Zwischenzeit waren die Herzogtümer zwischen den beiden rivalisierenden
Bewerbern aufgeteilt worden, was die verdeckten Spannungen aber keineswegs
verminderte. Diese wurden wieder intensiver, als der Kurfürst von
Brandenburg und sein Hof im Jahre 1613 zum Calvinismus übertraten und sich
den Niederländern annäherten, während sein Rivale, Wolfgang
Wilhelm von Neuburg, nachdem er eine Schwester des Herzogs von Bayern geheiratet
hatte und zum Katholizismus konvertiert war, sich dem Kaiser und Spanien
annäherte. Die neue Krise kam zum Ausbruch, als Neuburg mit Hilfe einiger
spanischer Offiziere Düsseldorf, die Hauptstadt des Herzogtums Berg,
eroberte und die Beamten und Truppen des Kurfürsten aus der Stadt vertrieb.
Es drohte Krieg. Zu diesem Zeitpunkt erschien Spínola an der Spitze einer
mächtigen spanischen Armee von 22.500 Mann, stürzte die calvinistische
Stadtregierung von Aachen [11], ersetzte sie durch eine katholische und
versetzte das gesamte deutsche Niederrheingebiet in Schrecken. Er besetzte
Düren und eine Reihe anderer Städte und Dörfer in Jülich und
Berg, verstärkte die spanische Garnison in Düsseldorf, marschierte in
Kleve ein und eroberte Duisburg, Orsoy und schließlich Wesel, die
Schlüsselfestung am Rhein. Wesel, damals eine Stadt von 6.000 Einwohnern,
war seit 70 Jahren vorwiegend protestantisch gewesen und eines der
calvinistischen Zentren in Deutschland. Um das spanische Publikum zu
beeindrucken, beschrieb ein zeitgenössisches spanisches Nachrichtenblatt,
das in Sevilla erschien, Wesel "noch viel schlimmer als Genf". Spinola
quartierte 1.200 Soldaten, davon ca. 1.000 Spanier, in der Stadt ein und
ernannte einen kastilischen Offizier zum neuen militärischen Gouverneur der
Stadt. Spanien besaß nun ein weites Netz von Garnisonen am Niederrhein,
und von 1614 bis 1629 waren spanische Truppen auf Reichstterritorium in
Dutzenden kleiner Städte und Dörfer stationiert, ebenso wie in einigen
großen Festungsstädten, von denen Wesel, Rheinberg und Lingen die
wichtigsten waren. [12]
Der
Achtzigjährige Krieg zwischen Spanien und den Niederländern wurde nach
dem Ende des zwölfjährigen Waffenstillstands im April 1621
wiederaufgenommen. Inzwischen war - drei Jahre vorher - in Böhmen der
Dreißigjährige Krieg ausgebrochen. Kaiser Ferdinand II. hatte mit
Hilfe Spaniens eine Offensive zur Unterdrückung des antihabsburgischen,
vorwiegend calvinistischen und von den Niederländern unterstützten
Aufstandes in Böhmen und Mähren eingeleitet. Von Anfang an waren die
Konflikte im Heiligen Römischen Reich und in den Niederlanden unentwirrbar
miteinander verknüpft. Für den holländischen Statthalter, Prinz
Moritz, war der deutsche Krieg vor allem ein politisch-strategisches Instrument,
das nützlich war, um die spanischen Streitkräfte und Mittel von den
Niederlanden abzulenken und im Sumpf des deutschen Kampfes zu binden.
Gleichzeitig war es für die Niederländer jedoch lebenswichtig,
daß die antihabsburgischen Elemente im Reich durch den Kaiser und Spanien
nicht vollständig geschlagen wurden. Denn wenn sich im Ergebnis die
habsburgische Hegemonie über ganz Deutschland erstrecken würde, so
wären die Vereinigten Provinzen von Spanien und dem Kaiser umklammert,
womit sich ihre strategische Position gravierend verschlechtern würde. Bis
zu seinem Tod im Jahre 1625 war Prinz Moritz faktisch der wichtigste
Bündnispartner der antihabsburgischen Fraktion im Reich und vor allem
Friedrichs V. von der Pfalz. Seit dem Sturz Oldenbarnevelts im Jahre 1618 konnte
Moritz die auswärtige Politik der niederländischen Republik praktisch
nach eigenem Ermessen gestalten. Er war zwar der Onkel Friedrichs V., dessen
Mutter, Louise Juliana, die Tochter Wilhelms von Oranien aus dessen dritter Ehe
mit Charlotte von Bourbon war. Aber die Familienbande waren nicht besonders eng,
da Moritz nicht dieselbe Mutter hatte wie Louise Juliana, sondern der Sohn aus
Wilhelms zweiter Ehe mit Anna von Sachsen war. Es waren also eher ernsthafte
politische Erwägungen, die Moritz, in weit stärkerem Maße als
Friedrichs Schwiegervater, den friedliebenden König James I. von England,
dazu brachten - oft geheim und hinter den Kulissen -, den Angriff auf die
Habsburger in Böhmen zu stimulieren und zu unterstützen. Als Friedrich
den Krieg in Böhmen vorzeitig aufgab und seine Hauptstadt und Lande
verließ, war es selbstverständlich, daß er, seine Frau,
"Königin" Elisabeth von Böhmen, und sein Hof, an den calvinistischen
Hof des niederländischen Statthalters in Den Haag fliehen und sich dort
niederlassen würden.
Ähnlich stellte der
Kampf im Reich und der wiederaufgenommene Krieg in den Niederlanden für den
spanischen Hof zwei Seiten einer unendlich schwierigen
politisch-militärischen Schachpartie dar. Anfang der 1620er Jahre war es
keineswegs die spanische Strategie, in das Kerngebiet der niederländischen
Republik einzumarschieren und das Land einzunehmen. Angesichts der damaligen
Kriegslage und der Tatsache, daß die Niederländer eine wesentlich
stärkere Festungslinie besaßen als irgendein Gebiet im Reich, waren
die leitenden Minister Philipps IV. - erst Don Balthasar de Zúñiga
(gestorben 1622) und später der Conde Duque de Olivares, beide bekannt als
feurige Befürworter der Zusammenarbeit zwischen Madrid und Wien - der
Ansicht, daß es einfach unrealistisch und zu kostspielig sei, die
niederländischen Verteidigungslinien zu durchbrechen und die sieben
Provinzen zu erobern. Ihr Ziel war nicht die Wiedervereinigung der
nördlichen Niederlande mit dem spanischen Reich, sondern vielmehr eine
bedeutende Schwächung der niederländischen Republik. Durch den starken
Druck einer riesigen spanischen Armee auf die niederländischen
Verteidigungslinien und die Umkehrung der Rollen in Deutschland sollte die
Niederländische Republik so sehr in die Enge getrieben werden -
militärisch, ökonomisch und politisch -, daß sie gezwungen
wäre, ihre Unterstützung der Feinde Habsburgs in Europa und ihre
koloniale Expansion aufzugeben und die Ost- sowie Westindische Kompanie
aufzulösen. Die Schwächung der Niederländer hatte das Ziel, den
Weg zur ungehinderten Vorherrschaft Spaniens und Portugals in Amerika, Afrika
und Asien frei zu machen und Spaniens strategische Hauptbasis in Nordeuropa, die
südlichen Niederlande, zu konsolidieren. Dem Kaiser im Reich und in
Böhmen zum Sieg zu verhelfen, war ein Weg, die spanische Hegemonie in
Europa glanzvoll wiederherzustellen und dauerhaft zu sichern, durch einen Sieg
über den internationalen Calvinismus, einen Bund mit Frankreich und einer
Umklammerung der Niederländer. Ein Nebenprodukt dieser enormen
Veränderungen wäre, so hoffte man in Madrid, die kommerzielle und
finanzielle Wiederbelebung Antwerpens und der gesamten Spanischen Niederlande
durch eine Umlenkung des Handels weg von
Amsterdam.
Infolge dieser Strategie wurde die
Flandrische Armee in den frühen 1620er Jahren, als Spanien noch eine
beherrschende Stellung innehatte, nicht eingesetzt, um tief ins
niederländische Territorium einzudringen, sondern um die Verbindungslinien
zwischen der Republik und Zentraldeutschland zu unterbrechen, um vorgelagerte
niederländische Festungen zu erobern und um den finanziellen und
militärischen Druck auf den niederländischen Verteidigungsring und den
niederländischen Staat selbst auf ein Maximum zu erhöhen. [13]
Diese Strategie war entworfen worden, um die Niederländer zum Unterhalt
einer ihre finanziellen Kräfte übersteigenden Armee zu zwingen,
während gleichzeitig ihrer Wirtschaft durch Handelsembargos, durch eine
Seeräuberkampagne gegen die niederländische Flotte von Dünkirchen
und Ostende aus, und später, 1625-29, auch durch eine Flußblockade in
den Niederlanden schwerer Schaden zugefügt wurde. Die Strategie war
einigermaßen logisch und zeitigte zu Anfang auch ziemliche Erfolge. Zur
Zeit der Belagerung von Breda (1624/25), der berühmtesten Heldentat
Spínolas, waren die niederländischen Finanzen aufs
äußerste angespannt und die niederländische Moral auf einen
Tiefpunkt gesunken. In den Jahren 1624/25 beurteilten ausländische
Beobachter der Republik, wie z.B. der französische Gesandte in Den Haag,
die Aussichten der Vereinigten Provinzen sehr
pessimistisch.
Ein wesentlicher Teil der
spanischen Strategie bestand darin, die niederländischen Außenposten
in Nordwestdeutschland auszuheben und die spanische Hegemonie über den
ganzen Niederrhein und Westfalen auszudehnen. Die Spanier eroberten Jülich
im Frühjahr 1622 und stationierten dort eine große Truppeneinheit. Im
selben Jahr eroberten und besetzten sie die Festung Pfaffenmütz, die die
Niederländer einige Jahre zuvor auf einer kleinen Rheininsel nördlich
von Bonn erbaut hatten, um den Erzbischof von Köln zu überwachen und
ihre Verbindung mit der Pfalz zu sichern. [14] Nach der Niederlage der
protestantischen Armee Christians von Braunschweig gegen Tilly am 6. August 1623
bei Stadtlohn, nahe der niederländischen Grenze, marschierten spanische
Truppen in die Grafschaft Mark ein und eroberten nacheinander die Städte,
in denen die Niederländer seit 1614 im Namen des Kurfürsten von
Brandenburg Truppen stationiert hatten. Im Dezember 1623 hatten die Spanier die
Städte Lippstadt, Hamm, Unna, und Kamen fest in ihrer Hand, und drangen
schließlich bis zur Weser vor, nachdem sie auch die Grafschaft Ravensburg
überrannt und Herford erobert hatten. Ende des Jahres 1623 war Spanien in
dem Gebiet von Aachen und Jülich im Westen bis Herford im Osten und Lingen
an der Ems im Norden die unbestrittene
Vormacht. [15]
Diese unbestrittene
spanische Vorherrschaft in Nordwestdeutschland blieb bis 1629 bestehen. In der
nachstehenden Tabelle sind die zwölf wichtigsten spanischen Garnisonen in
Nordwestdeutschland mit der im März 1627 registrierten Truppenstärke
aufgeführt. Die Zahlen stammen aus dem königlichen Archiv Spaniens in
Simancas in
Altkastilien. [16]
Stadt | Gebiet | Span. Truppenstärke | |
1 | Wesel (und Büderich) | Herzogtum Kleve | 2.500 |
2 | Lingen | Grafschaft Lingen (Ems) | 2.000 |
3 | Lippstadt | Grafschaft Mark | 1.000 |
4 | Rheinberg | Kurfürstentum Köln | 800 |
5 | Hamm | Grafschaft Mark | 800 |
6 | Düsseldorf | Herzogtum Berg | 600 |
7 | Jülich | Herzogtum Jülich | 500 |
8 | Pfaffenmütz (Mondorf) | Kurfürstentum Köln | 350 |
9 | Orsoy | Herzogtum Kleve | 250 |
10 | Düren | Herzogtum Jülich | 200 |
11 | Eschweiler | Herzogtum Jülich | 200 |
12 | Sparrenburg | Grafschaft Ravensberg | 150 |
Aber obwohl die spanische Strategie in den Niederlanden und in Deutschland sich
zumindest bis etwa 1626 als insgesamt ziemlich wirkungsvoll erwies, hatte sie
doch eine fatale Schwäche: Ihr Erfolg hing davon ab, ob Spanien es sich
erlauben konnte, mehr Truppen und mehr Ressourcen zu mobilisieren als die
Vereinigten Provinzen. Dies wiederum hing davon ab, ob Spanien in der Lage war,
seine ganze Aufmerksamkeit und den größten Teil seiner Ressourcen auf
diesen Teil Europas zu konzentrieren. Die Vereinigten Provinzen waren eine
winzige Republik mit weniger als zwei Millionen Einwohnern. Die spanische
Monarchie hingegen war ein Weltreich mit Vizekönigreichen und
abhängigen Gebieten in allen Teilen der Welt, mit mehr als 16 Millionen
Einwohnern allein in Europa. Nach damaligem Maßstab schien es
unmöglich, daß ein riesiges Weltreich nicht über mehr als
ausreichende Mittel verfügen sollte, um eine junge, lächerlich kleine
Republik zu unterwerfen. Aber die Welt hatte nie zuvor eine so blühende
Handels- und Seerepublik gesehen. Daher war es für die Zeitgenossen kaum
vorstellbar, wie sich diese Prosperität auf das finanzielle, logistische
und auch technische Potential auswirkte. Am Ende schlug die spanische Strategie
fehl, weil die Mittel nicht ausreichten - was deutlich wurde, als Spanien Ende
der 1620er Jahre in den Mantuanischen Erbfolgekrieg (1628-1631) in Norditalien
hineingezogen wurde.
Der Streit um die Erbfolge in
Mantua und die ausgedehnten Interessen Spaniens in Italien führten dazu,
daß Olivares dort zu einem besonders kritischen Zeitpunkt
beträchtliche Truppenkontingente einsetzte. Man nahm ein großes
Risiko in Kauf, um zu verhindern, daß Frankreich die spanische Herrschaft
in Norditalien untergraben könnte. Im Frühjahr 1629 war die
Flandrische Armee infolgedessen ernstlich geschwächt, was die
Truppenstärke und die zur Verfügung stehenden Mittel betraf. Vom
Habsburger Standpunkt aus konnte der spanische Rückzug aus dem Norden zu
keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen. Die Infantin Isabella, die seit dem
Tod Alberts im Jahre 1621 und der Rückkehr der südlichen Niederlande
unter die direkte Herrschaft Spaniens als Regentin Philipps IV. in Brüssel
residierte, geriet nahezu in Panik. Dem neuen niederländischen Statthalter,
Friedrich Heinrich (1624-1647), gelang es aufgrund des leichten Rückgangs
der wirtschaftlichen Rezession und der Verminderung des spanischen Drucks, die
niederländischen Streitkräfte gerade zu diesem Zeitpunkt zu
vergrößern. Anfang des Jahres 1629 war die niederländische Armee
zum ersten Mal im Achtzigjährigen Krieg größer und auch besser
organisiert und finanziert als die spanische.
Die
von der Infantin Isabella in den Briefen an ihren königlichen Neffen
vorhergesagte Katastrophe trat bald ein. Da Friedrich Heinrich zu diesem
Zeitpunkt keine spanische Gegenoffensive zu erwarten brauchte, versammelte er
eine riesige Streitmacht und belagerte in aller Ruhe das nach Antwerpen
zweitwichtigste Bollwerk Spaniens in Nordeuropa, die starkbefestigte Stadt
's-Hertogenbosch,
Zentrum einer großen fruchtbaren Region in Nordbrabant. Sie war der
Angelpunkt, die strategische Achse, die die spanischen Stützpunkte in
Flandern und Brabant mit dem gesamten Netz der spanischen Bastionen an der Maas,
dem Rhein und nördlich des Rheins in Deutschland miteinander verband. Ohne
's-Hertogenbosch
entstand mitten in diesem Netz eine große Lücke, die die gesamte
strategische Position Spaniens in den Niederlanden und auch in Deutschland
sinnlos
machte.
'S-Hertogenbosch
war mit seinen technisch hochentwickelten Befestigungen und vielen kleinen
vorgeschobenen Forts keine einfache Aufgabe für die Niederländer. Die
Belagerung, die sich viele Monate hinzog, war eines der wichtigsten
Kriegsereignisse der zweiten Hälfte des Achtzigjährigen Krieges. Die
spanischen Amtsträger in Brüssel baten in Panik und Schwäche den
Kaiser um Hilfe. Es wurde eine kaiserliche Armee unter dem Befehl des Grafen
Raimundo Montecuccoli (1609-1680) geschickt und zur Ablenkung eine gemeinsame
spanisch-kaiserliche Invasion über die IJssel gestartet, die bis Amersfoort
in der Provinz Utrecht vordrang. Aber der niederländische Statthalter
ließ sich nicht von seiner Belagerung weglocken und blieb an Ort und
Stelle.
Als 's-Hertogenbosch
(und ebenfalls Wesel) im Jahre 1629 schließlich fiel, bedeutete das nicht
nur einen unendlichen Schaden für die spanische reputación,
ihr Prestige, in Europa, denn es war die größte spanische Niederlage
in Europa zwischen dem Verlust der Armada im Jahre 1588 und der Schlacht von
Rocroi im Jahre 1643. Sie hatte aber auch weitreichende strategische Folgen,
weil die spanische Kontrolle über das Maastal, den Niederrhein in
Deutschland und die spanisch besetzten Gebiete nördlich des Rheins
ernsthaft geschwächt war. [17] Da der Mantuanische Erbfolgekrieg
noch andauerte und in absehbarer Zukunft nichts getan werden konnte, um die
militärische Überlegenheit Spaniens in den Niederlanden
wiederherzustellen, riet der neue spanische Oberbefehlshaber der Flandrischen
Armee, Marques de Aytona, der spanischen Krone in einem Brief zu Beginn des
Jahres 1630, die spanischen Truppen aus Hamm, Lippstadt, Unna, Kamen, Herford,
Pfaffenmütz und selbst Lingen zurückzuziehen und sie in den
Niederlanden zu stationieren. [18] Olivares machte sich große
Sorgen um den Prestigeverlust Spaniens, wenn der ganzen Welt kundgetan
würde, daß der König von Spanien nicht mehr genügend Mittel
hatte, um Orte von so offensichtlicher strategischer Bedeutung wie Lingen und
Pfaffenmütz zu halten, aber es gab einfach keine andere
Lösung.
1630 zog sich Spanien aus allen
deutschen Stellungen nördlich des Rheins zurück, verschanzte sich
jedoch in verschiedenen Brückenköpfen am Rhein. [19] Wesel war
verloren, aber Rheinberg, Orsoy und auch Jülich und Geldern wurden
verstärkt. Das neue Machtungleichgewicht jedoch lastete schwer auf Spanien.
Den Niederlagen von 1629 folgten andere, nicht weniger demütigende
Rückschläge für die spanische Armee im Norden. 1632 zog Friedrich
Heinrich siegreich durch das Maastal und eroberte Venlo, Roermond und Sittard
schnell hintereinander, danach belagerte er die große spanische Festung
Maastricht. [20] Wieder riefen die Spanier die kaiserlichen Truppen zu
Hilfe, aber selbst zusammen schafften die Spanier und die Kaiserlichen es nicht,
die Belagerung zu durchbrechen. Der Fall der Stadt schnitt Geldern und die
spanischen Bastionen am Rhein praktisch von dem Hauptgebiet der spanischen
Niederlande ab. Im folgenden Jahr eroberten die Niederländer Rheinberg und
Orsoy, die Spanier behielten nur Geldern und
Jülich.
Nach Beendigung des Mantuanischen
Erbfolgekrieges gelang es den Spaniern jedoch, ihren gelockerten Griff über
die südlichen Niederlande wieder zu festigen und die Flandrische Armee
wieder aufzubauen. Besonders nach der Ankunft des jüngeren Bruders des
spanischen Königs, Kardinalinfant Ferdinand, der bis zu seinem Tode 1641
Statthalter der spanischen Niederlande war, Ende 1634 besaß Spanien wieder
- zum letzten Mal vor dem Frieden von Münster - in den Niederlanden eine
wirklich schlagkräftige Armee.
Historiker
haben zumeist angenommen, daß mit der Verschlechterung der
französisch-spanischen Beziehungen und dem Eintritt Frankreichs in den
Krieg gegen spanischen und österreichischen Habsburger im Jahre 1635 der
spanisch-niederländische Konflikt in den Hintergrund getreten sei, weil die
Spanier ihre Aufmerksamkeit jetzt auf die Franzosen konzentrierten. Diese
Auffassung klingt plausibel, ist tatsächlich aber völlig falsch. Vom
französischen Eintritt in den Krieg im Jahre 1635 bis zum Jahre 1640, als
Spanien infolge der Aufstände in Portugal und Katalonien, die die Monarchie
sehr schwächten, seine noch verbliebenen offensiven Kapazitäten
verlor, war die spanische Strategie darauf gerichtet, defensiv gegen die
Franzosen zu kämpfen und eine guerra ofensiva, einen offensiven
Krieges, gegen die Niederländer zu führen. Auf dieser Strategie
beharrte Olivares hartnäckig, und sie wurde weitgehend - mit kurzer
Unterbrechung durch den Vorstoß auf Corbie im Jahre 1636 - vom
Kardinalinfanten akzeptiert. [21] Es gab zwei Hauptgründe für
die Wahl dieser Strategie zu diesem kritischen Zeitpunkt. Einerseits war man
sich klar darüber, daß die Schlüsselstädte Flanderns und
Brabants, die Kerngebiete der Spanischen Niederlande, Städte wie Antwerpen,
Brügge und Gent, den Angriffen aus dem Norden viel stärker ausgesetzt
waren als den Angriffen der Franzosen und daß im Gegensatz dazu die
französischen Erfolge in Artois und im Hennegau (während die Spanier
die Niederländer bekämpften) wesentlich weniger Schaden anrichten
konnten und besser zu ertragen waren. Andererseits glaubte man, wahrscheinlich
auch zu Recht, daß das französisch-niederländische Bündnis
gegen Spanien eher durch einen Sonderfrieden mit den Niederländern als mit
den Franzosen zu brechen sei. Denn die niederländischen Städte, die
die Streitkräfte der Republik finanzierten, hatten kaum noch einen Grund
den Krieg fortzusetzen, nachdem die Sicherheit der Republik gewährleistet
und ihr Territorium mit dem Erwerb Nordbrabants und des Maastales
vergrößert war. Außerdem war die einzige dringende Forderung
Spaniens in diesem fortgeschrittenen Stadium des Achtzigjährigen Krieges
die Rückgabe der von der Westindischen Kompanie seit 1630 besetzten Gebiete
in Brasilien. Wenn Spanien einmal bewiesen hätte, daß die
Niederländer mit der Fortsetzung des Krieges nichts mehr zu gewinnen
hätten, sondern nur noch verlieren konnten, und es einen Sonderfrieden oder
Waffenstillstand mit den Vereinigten Provinzen geschlossen hätte,
könnten sich die spanischen Streitkräfte wieder mit Erfolg gegen die
Franzosen wenden.
Infolgedessen richtete sich die
Offensive des Kardinalinfanten im Jahre 1635 nicht gegen die Franzosen, sondern
gegen die Niederländer und zielte auf den Rhein. Spanische Truppen
überrannten einen großen Teil des Herzogtums Kleve und nahmen die
wichtige Grenzfestung Schenkenschanz auf einer kleinen Rheininsel ein. Olivares'
Hoffnungen stiegen hoch, aber nach einer erbitterten Belagerung im Winter
1635/36 gelang es Friedrich Heinrich, die Schanze zurückzuerobern. Zu
Olivares' großem Leidwesen wurden die Spanier wieder aus Kleve und vom
Niederrhein vertrieben. Trotzdem drang er bei jeder Gelegenheit beim
Kardinalinfanten darauf, das verlorene Maas- und Niederrheingebiet um jeden
Preis für Spanien zurückzuerobern. Die Rückgewinnung zumindest
eines Hauptbrückenkopfes am Rhein, vorzugsweise Rheinberg oder Orsoy, hielt
er für lebenswichtig, denn ohne eine derartige Basis besaß Spanien
keinen Zugriff auf das deutsche
Binnenland.
Tatsächlich hat Spanien keinen
seiner verlorenen Posten am Rhein zurückgewinnen können, obwohl der
Kardinalinfant im Jahre 1637 einen erfolgreichen Durchbruch in das Maasgebiet
verbuchen und die Städte Roermond und Venlo zurückerobern konnte. Nach
der zweifachen Katastrophe des Jahres 1640 in Katalonien und in Portugal
mußten die spanischen Staatsmänner alle weiteren Hoffnungen auf
Wiedergewinnung verlorenen Bodens aufgeben, zumindest bis zum Abschluß des
Sonderfriedens mit den Vereinigten Provinzen, der endlich im Jahre 1648 erreicht
wurde. Mit dem Beginn der Unruhen in Frankreich, die unter dem Namen "Fronde"
(1648-1653) bekannt wurden, erhielten die Spanier erneut die Gelegenheit, ihren
europäischen Einfluß wieder geltend zu machen. In den Jahren um 1650
unterhielt Spanien noch Garnisonen in Jülich und Frankenthal und hatte die
Hoffnung, den Fleckenteppich kleiner Rheinstaaten vom Elsaß bis Köln
zu beherrschen, noch nicht völlig aufgegeben. Die endgültige
Niederlage und die Aufgabe des spanischen Traumes von der europäischen
Hegemonie kam erst mit der Unterzeichnung des Pyrenäenfriedens mit
Frankreich im Jahre 1659.