DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
SIMON GROENVELD Der Friede von Münster als Abschluß einer progressiven Revolution in den Niederlanden |
I. Robert Fruins konservative
Revolution
Robert Fruin, der Altmeister unter den
niederländischen Geschichtsschreibern, publizierte im Jahr 1865 einen
Artikel mit dem Titel "De drie tijdvakken der Nederlandsche geschiedenis" (Die
drei Epochen niederländischer Geschichte). [1] Darin konstatierte
er in verschiedenen Staaten lineare politische Entwicklungen seit dem
Mittelalter bis in seine Zeit hinein. So führte in Frankreich eine
durchgehende Linie hin "zur Stärkung der Oberherrschaft des Fürsten"
und in England zu einem Gleichgewicht zwischen der Macht des Königs und der
des Parlaments.
In den Niederlanden konnte laut
Robert Fruin von einer derartigen Entwicklung keine Rede sein. Hier folgten drei
Perioden mit radikal entgegengesetztem Charakter aufeinander. Die erste Epoche
hatte ihren Schwerpunkt im späten Mittelalter und reichte bis zur Mitte des
16. Jahrhunderts. Die siebzehn niederländischen Provinzen kamen nach und
nach unter die Herrschaft desselben Landesherrn, anfangs aus Burgund stammend,
später aus dem Haus Habsburg. Wie die Herrscher in anderen Ländern,
versuchten diese Landesherren ihren Zugriff auf die unterschiedlichen
Territorien dadurch zu sichern, daß sie ihnen einen zentralen
Verwaltungsapparat voranstellten.
Doch als nach
1555 Philipp II., der zugleich König von Aragonien und Kastilien war, diese
Zentralisation weiter vorantrieb, wuchs die Unzufriedenheit unter den Menschen
aus allen Schichten der Bevölkerung.
An
dieser Stelle setzte Robert Fruin die zweite Periode an. Die Einwohner begannen,
ihre Regierung als "fremd" und "anti-national" [2] zu betrachten.
Hieraus entwickelte sich ein allgemeiner Aufstand, der letztendlich die Bildung
einer Republik von sieben vereinigten Provinzen nördlich der großen
Flüsse zur Folge hatte. Dort gab es fortan keine zentrale Gewalt mehr, jede
der sieben Provinzen war wieder souverän. Die Entscheidungsmacht lag nicht
in den Händen eines Fürsten - der war im Jahr 1581 abgesetzt worden -
, sondern bei provinzialen Ständeversammlungen (oder: Ständen). "Der
Staat entwickelte sich [...] in eine Richtung, die der, in die er sich bisher
bewegt hatte, entgegengesetzt war". [3] Die Republik, in der die
mittelalterlichen Privilegien und andere traditionelle Sitten laut Robert Fruin
wieder die Oberhand bekommen hatten, wurde mit dem Frieden von Münster im
Jahre 1648 endlich internationale anerkannt und hatte in dieser Form bis 1795
Bestand.
Es folgte eine Übergangsphase zur
dritten Epoche: dem Königreich der Niederlande - einem Staat,
"eingerichtet, wie ihn die Landesherren aus dem burgundischen und
österreichischen Stammhaus im Sinn gehabt hatten". Dieser Einheitsstaat
ohne Privilegien, aber mit gleichen Rechten für jeden Bürger, galt dem
liberal gesinnten Fruin als "glücklicher Zustand", die Verwirklichung einer
wohl eher ins 19. Jahrhundert gehörenden Idealvorstellung von der
Herrschaft Karls V. [4]
Der
niederländische Aufstand, der das Ende der burgundisch-habsburgischen
Herrschaft herbeigeführt hatte, war also nationalistischer und vor allem
konservativer Natur. Seit langem überholte Regeln und Bräuche wurden
durch die Ständeversammlungen erneut zur Anwendung gebracht. Modern dagegen
war für Robert Fruin die Entwicklung hin zum monarchistischen
Einheitsstaat. Diese Sichtweise, die von vielen niederländischen
Historikern übernommen wurde, steht im Zusammenhang mit der internationalen
Erforschung der "neuen Monarchien", die seit dem späten Mittelalter in
verschiedenen Staaten entstanden waren. [5] Aber: Verdiente das
Aufkommen dieser Monarchien wirklich so ausschließlich das
Modernitäts-Attribut? Und, war die Entwicklung der Stände zu
Verwaltungsapparaten wirklich so rückwärtsgewandt? Die
niederländische Situation, in Theorie und Praxis, kann auf diese Fragen
eine Antwort geben.
II. Fürsten und
repräsentative Gremien
Manch älterer
Historiker vertrat die Ansicht, daß die verschiedenen repräsentativen
Gremien in Europa darauf aus waren, die fürstliche Machtentfaltung zu
blockieren. Überall hätte denn auch ein fortwährender Streit
zwischen Fürsten und diesen Korporationen geherrscht. Seit Mitte unseres
Jahrhunderts hat sich diese Interpretation stark geändert.
Repräsentative Körperschaften entstanden, so meint man nun, bereits
seit dem 12. oder 13. Jahrhundert und hatten die Aufgabe, die Interessen und
Rechte einer Stadt oder Region zu vertreten. Die mit dem Aufbau ihres Staats
beschäftigen Fürsten strebten eine Zusammenarbeit mit diesen Gremien
an, um die eigene Position zu stärken. Sie hatten eigentlich keine andere
Wahl, denn ihnen fehlten die Mittel, um die lokalen oder regionalen Gewalten
durch eigene Amtsträger zu ersetzen - und sie hätten dadurch
wahrscheinlich nur Rebellion in den Provinzen provoziert. Außerdem machten
die großen Unterschiede zwischen den Provinzen ein einheitliches Vorgehen
unmöglich. Bei diesen Fürstenstaaten handelte es sich um "composite
states", um Staatengefüge, die höchstens auf lange Sicht zu einer
Einheit zusammenwachsen konnten. Hierzu sollte die Gründung nationaler
repräsentativer Gremien beitragen, wie die Generalstände sie
darstellten. In manchem Land hatte dieses Modell Erfolg, in anderen stellte sich
die Verbindung Fürst/regionales Gremium als optimale Form der
Zusammenarbeit heraus. Dies alles bedeutete indessen nicht, daß die
repräsentativen Körperschaften ihren eigenen, bereits begonnenen
Vormarsch aufgegeben hätten. Unvermeidlich führte dies mehrmals zu
Zusammenstößen mit dem Fürsten. Es liefen also zeitgleich zwei
Entwicklungen ab: die Stärkung der Fürstenmacht und die Stärkung
der repräsentativen
Körperschaften. [6]
Auch das
politische System in den Niederlanden wies vielerlei Kennzeichen eines
"composite state" auf. In Flandern und Brabant, den Provinzen der großen
Städte, gab es bereits im 12. Jahrhundert die ersten Zusammenkünfte
von Adel und Städten, die zunehmend die Form von Ständeversammlungen
annahmen. Holland und Seeland blieben hinter dieser Entwicklung zurück. Die
Stände in diesen Provinzen waren aber ähnlich strukturiert: Hier
versammelten sich Abgeordnete der Geistlichkeit, des Adels und der Städte,
in Holland fehlte allerdings der Klerus. Anders verhielt es sich in Gelderland.
Diese Provinz war in vier landesherrliche Amtsbezirke, sogenannte
Kwartiere, gegliedert, wovon jede für sich eine Versammlung der
Ritterschaft und Städte abhielt. Diese Versammlungen hatten zwar Kontakt
untereinander, doch wurden nie gemeinsame Zusammenkünfte anberaumt. Die
Provinz war demzufolge ein kleiner Bundesstaat für
sich. [7]
Gewöhnlich wurden die
Ständeversammlungen durch den Landesherrn oder dessen Statthalter
einberufen. Anlaß hierfür waren vor allem finanzielle Engpässe,
die den Landesherrn dazu zwangen, seine Untertanen um Geld zu bitten: Er
mußte eine sogenannte Bede einreichen. Die Stände legten dann
Gegenforderungen vor, die die Ständeversammlungen stärken sollten.
Daneben hatten die Ständeversammlungen auch andere Aufgaben. Sie wurden bei
der Verteidigung der Provinz herangezogen, bei ausländischen
Angelegenheiten - vor allem, wenn es um ihre eigenen, oft materiellen Interessen
ging -, bei juridischen Fragen, in Belangen des Handels und bei Fragen
inländischer, intern provinzialer Politik. Oftmals waren ihre eigenen
Anliegen oder Eingaben Anlaß für dieses Engagement. Außerdem
wurden sie einberufen, wenn wichtige Mitteilungen gemacht werden mußten.
Der Spielraum der Stände war allerdings
gering. Außer auf finanziellem Terrain war es der Landesherr, der den
Handlungsrahmen absteckte. Immerhin gehörten all diese Dinge, besonders die
Auslandspolitik, zu seinen Prärogativen. Zur Übertragung solcher
Zuständigkeiten neigte der Fürst höchstens aus Schwäche oder
aus Nützlichkeitserwägungen heraus. So überließen die
Habsburger in den Jahren nach 1550 das Einziehen der Gelder aus der Bede
den Ständen von Holland. Dies war eine aus der Not geborene Reaktion auf
einen noch weitergehenden Wunsch der Stände. Diese wollten, wie auch in
anderen europäischen Ländern, politischen Einfluß, und
verwendeten zur Durchsetzung ihres Anspruchs die Finanzen als Druckmittel: die
Kontrolle über die Verwendung der zugesagten Gelder oder das Einziehen gab
ihnen die Möglichkeit, bei der Politik selbst
mitzusprechen. [8]
Dasselbe Streben konnte
man auch bei Generalständen beobachten, einem Gremium, in dem der
Fürst die Vertreter der meisten Provinzialstände zusammenrief. Da die
Fürsten permanent unter Geldmangel litten, wurden sie vor 1558 mit
großer Regelmäßigkeit zusammengerufen. Ihre Gegenforderungen
wurden zunehmend härter, auch wenn die Generalstände noch kein
einheitliches Gremium darstellten. So sagten sie von 1557 bis 1558 Philipp II.
für einen Zeitraum von neun Jahren eine Bede von 800.000 Gulden pro
Jahr unter der Bedingung zu, daß die Einziehung und Ausbezahlung der
Gelder durch ihren eigenen Verwalter kontrolliert wurde. Auf diesem Wege hatten
die Generalstände ein Auge darauf, ob der Fürst diese Gelder wirklich
für den gesetzten Zweck verwendete. Für Philipp II. reichte dieser
Umstand aus, um regelmäßige Zusammenkünfte der
Ständeversammlung in Zukunft zu verbieten. [9] Es dauerte bis 1569,
ehe wieder eine gewöhnliche Versammlung der Generalstände zusammenkam,
die auch wieder über Politik sprechen
wollte.
III. Der Durchbruch der
Ständesouveränität
In den sechziger
Jahren wurde die Rebellion immer gewalttätiger. Unerwartet konzentrierten
sich die bewaffneten Aktionen im Jahr 1572 auf Holland. Im Jahr 1576 verschoben
sie sich in die reichen Provinzen Flandern und Brabant [10], was direkte
Auswirkungen auf das Machtstreben der Ständeversammlungen
hatte.
Im Juli des Jahres 1572 trafen einige
holländische Adelige und Delegierte aus zwölf holländischen
Städten als Ständeversammlung in Dordrecht zusammen. Hinzu kam der
Vertreter des Prinzen von Oranien. Sie taten dies eigenmächtig, gegen die
Vorschriften. Sie gingen aber noch weiter, zogen die Regierungsgewalt an sich
und ernannten Willem von Oranien zum Statthalter, womit sie de facto einen
Gegenstatthalter zu dem von Philipp II. eingesetzten Graf von Bossu
aufstellten. [11]
Dasselbe wiederholte
sich vier Jahre später, als immer mehr Provinzen von dem Streit betroffen
waren, in den Generalständen. Unter dubiosen Umständen wurden sie im
Herbst des Jahres 1576 zusammengerufen und begannen sofort, politisch zu
agieren. Eigenmächtig verhandelten sie mit den aufständischen
Provinzen Holland und Seeland und schlossen Frieden: die Pazifikation von
Gent. [12] Die Befugnisse, die der Fürst ihnen nicht zugestehen
wollte, hatten die Stände Hollands und die Generalstände nun auf
revolutionärem Weg erlangt.
Nachdem mit
Philipp II. über dieses Vorgehen keine Einigung erreicht werden konnte,
veränderte sich fortwährend die Anzahl der aufständischen
Provinzen. Um 1585 konzentrierte sich die Rebellion ganz auf das Gebiet
nördlich der großen Flüsse. Dorthin waren auch die
Generalstände ausgewichen, die von 1593 an täglich in Den Haag
zusammentrafen. Auch die Ständeversammlungen der aufständischen
Provinzen, seit 1595 sieben an der Zahl, hatten sich inzwischen zu
Verwaltungsorganen entwickelt. Ihre Position hatten sie weiter gefestigt, indem
sie 1581 Philipp II. als ihren Landesherrn abgesetzt hatten. [13]
Anfangs hatten sie wohl noch einen Nachfolger für ihn gesucht, doch als
dies zu keinem Erfolg führte, beschlossen die Stände im Jahr 1588,
fortan ohne fürstliche Leitung weiterzumachen. Die Republik der Vereinigten
Niederlande war geboren.
Jede der territorialen
Ständeversammlungen wurde nun eine Art Graf oder Herzog der Provinz, also
unterstanden die einzelnen nordniederländischen Provinzen einem
mehrköpfigen Landesherrn. Dies bedeutete, daß die neuen
Souveräne sowohl die Aufgaben der vormaligen Landesherren übernahmen
als auch ihre früheren repräsentativen Funktionen. So hatten sie, wie
die Habsburger zuvor, festzustellen, wieviel Geld sie für die provinziale
Verwaltung und die Kriegsführung benötigten. Allerdings konnten die
Stände direkt, ohne eine Bede, beschließen, aus welcher Steuer
diese Gelder kommen sollten. Die Ständeversammlungen waren also eigentlich
absoluter als jeder absolute Fürst in
Europa.
Für Belange, die die Allgemeinheit
betrafen, kamen die Delegierten der Provinzen in den Generalständen
zusammen. Dort wurden Fragen der Landesverteidigung behandelt sowie deren
Bezahlung. Auch das Anwerben von Verbündeten gehörte in den
Aufgabenbereich, was einer Einflußnahme auf die Außenpolitik
gleichkam. Die Generalstände bildeten also eine Art supranationales
Gremium, an das die sieben Souveräne einzelne Befugnisse delegierten .
Selbst besaß es keine souveräne Entscheidungsgewalt. Wenn die
Generalstände z.B. Gelder für die allgemeine Kriegsführung
benötigten, mußten sie die einzelnen Ständeversammlungen darum
bitten. Daß sie für die Verteidigungsaufgaben zuständig waren,
führte dazu, daß die Generalstaaten, mit einer Anzahl Bürgern in
ihren Reihen, die gesamte Kriegsführung übernahmen. Die
Ausführung der Beschlüsse lag natürlich bei den
militärischen Technikern. Hier war also ein Ansatz zur Trennung von
politischer und militärischer Gewalt gegeben, während woanders beides
noch in der Hand des Fürsten lag.
Auch
Amtsträger, die ihre früheren Titel behielten, bekamen nun
gelegentlich andere Aufgaben. Der Statthalter wurde jetzt zum Untergebenen des
neuen Souveräns, der provinzialen Ständeversammlung. Sie wies ihm in
Form von Aufgabenübertragung seine Funktionen zu. So erhielt er die
Befugnis, jährlich die städtischen Magistrate neu zu ernennen. Diese
untergeordnete Position des Statthalters stand jedoch im Gegensatz zur sozialen
Realität. Die Statthalter entstammten stets den hochadeligen Familien derer
von Oranien und Nassau, übertrafen die Herren in den Ständen weit an
Ansehen und wurden von so manchem durchaus als Fürsten betrachtet. Dies um
so mehr, weil die Statthalterschaft mit dem Oberbefehl über die Truppen,
dem Amt eines Generalkapitäns, verbunden war. Neben den Statthaltern
amtierte als hoher territorialer Beamter der Landesadvokat oder
Ratspensionär als Kopf der provinzialen
Administration. [14]
All diese
Verwaltungsreglements waren aus der Praxis hervorgegangen. Sie sind nie in einer
zentralen Staatsakte festgeschrieben worden. Veränderungen notierte man
höchstens in unregelmäßigen Resolutionen der Territorial- oder
Generalstände, so etwa in Instruktionen oder Kommissionsbriefen für
besondere Amtsträger. Diese Handhabung sollte bis zum Ende der
niederländischen Republik im Jahr 1795 beibehalten
werden. [15]
Allerdings bestand doch
Bedarf an theoretischen Schriften, um dies alles nach innen und außen
darzulegen und zu rechtfertigen. Die Absetzung eines Fürsten und die
Einrichtung einer Republik erzeugte immerhin einen gewissen
Erklärungsbedarf. Hierzu bedienten sich die Behörden und
Privatpersonen vor allem der Pamphlete. In diesen Flugblättern zeigt sich,
wie jede neue Tatsache eine Anpassung der Theorie zur Folge hatte. In immer
raffinierteren Argumentationen wurde ausgeführt, daß es das gute
Recht der Untertanen war, sich gegen einen tyrannischen Fürsten zu erheben.
Hierbei spielten die Ständeversammlungen eine zentrale Rolle.
Auffällig ist, daß diese Theorienbildung sich außerhalb der
Universitäten vollzog. Dort, losgelöst von der eigentlichen
Realität und völlig auf das Philosophieren "an sich" konzentriert,
beschäftigten sich in diesen Jahren Gelehrte mit der Monarchie, nicht mit
der Republik. Dies sollte sich erst nach dem Frieden von Münster
ändern. [16]
IV. Zusammensetzung
und Stimmverhalten der
Ständeversammlungen
Wie funktionierten nun
diese neuen Institutionen unter altem Namen? Die Antwort auf diese Frage suchen
heutige Historiker nicht länger in Satzungen und Vorschriften, sondern
dort, wo das tägliche Agieren der Gremien seinen Niederschlag gefunden hat,
vor allem in ihren Beschlußbüchern.
Die
Zusammensetzung der verschiedenen Ständeversammlungen fiel aufgrund der je
eigenen Traditionen sehr unterschiedlich aus. Im verstädterten Holland z.B.
standen der Ritterschaft mit nur einer Stimme achtzehn Stimmen der Städte
(eine pro Stadt) gegenüber. Jede Stadt entsandte zwei bis vier Delegierte,
die Ritterschaft war meist durch drei Delegierte vertreten. In Utrecht waren
neben der Ritterschaft und den Städten weiterhin auch Gesandtschaften der
Kapitel, die "geëligeerden", in der Ständeversammlung
vertreten. [17] In Overijssel besaßen Abgeordnete aus
ländlichen und städtischen Regionen gleich viel Stimmen, und in
Geldern blieben die Kwartier-Versammlungen bestehen, die ihre Treffen
zwar zur selben Zeit und am selben Ort, jedoch niemals miteinander
abhielten.
Während die meisten
Ständeversammlungen nur ein-, maximal zweimal jährlich zusammenkamen,
trafen sich die Holländer vier bis sieben Mal pro Jahr einige Wochen lang.
In der Phase zwischen den Sitzungen wurden die laufenden Angelegenheiten durch
einen ständigen Verwaltungsapparat bearbeitet. Hiermit stand diese
Ständeversammlung teilweise in der Nachfolge der Statthalter der Habsburger
Zeit - ein Grund, warum letztere andere Aufgaben als zuvor erhalten
hatten. [18]
Alle Ständeversammlungen
schickten Abgesandte in die Generalstände. Diese waren, ähnlich wie
die Ständeversammlungen in einigen anderen europäischen Ländern,
mit einem imperativen Mandat [19] ausgestattet, mit Instruktionen
für ihr Verhalten in bezug auf die einzelnen Themen. Für darüber
hinausgehende Fragen mußten sie mit den heimischen Ständen
Rücksprache halten. Die Zahl der Abgeordneten nahm im Lauf der Jahre zu:
von 35 bis 55 pro Jahr um 1600 auf 70 bis 95 um 1650. [20] Aus dieser
Gruppe erwuchs in der Praxis eine Kerngruppe von ca. 17 Personen, die die
Politik im wesentlichen
bestimmte. [21]
Die Beratungen in all
diesen Gremien waren in starkem Maße auf Einmütigkeit ausgerichtet.
Der Vorsitzende stellte die anstehenden Themen und eingegangenen
Schriftstücke zur Diskussion. Nach einer festgeschriebenen hierarchischen
Rangordnung äußerte sich dann jeweils ein Deputierter pro Stand dazu.
Nachdem der letzte seine Meinung kundgetan hatte, wurde nicht abgestimmt,
sondern der Vorsitzende faßte die vernommenen Ansichten zusammen und
formulierte eine Schlußfolgerung. Diese bildete dann die Grundlage
für den Gremiumsentscheid.
Lagen die
Meinungen nah beieinander, oder verlangte ein Thema nur die einfache
Stimmenmehrheit, dann konnte eine Angelegenheit recht problemlos abgewickelt
werden. In anderen Fällen wurden diverse Methoden angewendet. So konnte
eine Sache zwecks näherer Untersuchung vertagt werden - mehrfach ein
Anlaß, um sie für imme verschwinden zu lassen -, oder um ein
abweichendes Mitglied durch "persuasie", durch Überredung, doch noch auf
die eigene Seite zu ziehen. Vertagt wurde auch, um in einer formellen
Beratungssitzung die Divergenzen zwischen den schärfsten Widersachern
außerhalb der regulären Versammlung zu lösen. [22] Am
schwierigsten wurde es, wenn in Angelegenheiten, die mit einfacher
Stimmenmehrheit entschieden werden mußten - so z.B. die Frage von Krieg
oder Frieden -, ein Mitglied sich halsstarrig widersetzte und aller Druck nichts
dagegen ausrichtete. In einem solchen Fall blieb eigentlich nur ein Mittel
übrig: Der Betreffende mußte "überstimmt", d.h. durch die
größtmögliche Mehrheit zum Nachgeben gezwungen werden. Ein
solches Vorgehen kam einer Roßkur gleich, denn es blieb fraglich, ob auf
diese Weise die Souveränität des sich sträubenden Mitglieds nicht
substantiell gefährdet würde. Darüber hinaus bestand die Gefahr,
daß durch ein solches Vorgehen die Beziehungen untereinander auf lange
Sicht gestört würden. [23]
Diese
Vorgehensweise machte das Handeln der sieben ständischen Souveräne
oftmals undurchsichtig und mühsam. Vor allem von ausländischer Seite
wurden hierüber wiederholt Klagen laut. [24] In Monarchien, wo eine
relativ geringere Zahl von Menschen in die Beschlußfassung einbezogen war,
gestaltete sich der Ablauf einfacher. Dem stand allerdings gegenüber,
daß in wirklichen Notsituationen sehr schnell Resolutionen getroffen
werden konnten, und dies selbst unter Wahrung der Geheimhaltung - was
außergewöhnlich war, weil im Falle kollektiver Beschlußfassung
wie in der Ständeversammlung doch immer irgend jemand, absichtlich oder
unbewußt, seinen Mund nicht halten
konnte. [25]
V. Ausschüsse und
Faktionen
Sowohl in den Generalständen als
auch in den Ständen von Holland nahm die Arbeitsbelastung ständig zu.
Diese hätte man theoretisch durch eine Ausweitung des Amtsapparates
auffangen können, doch die Bürokratisierung befand sich noch in den
Kinderschuhen. [26] Also bewältigte man die wachsende Arbeitsmenge
mittels Arbeitsverteilung innerhalb der Versammlung selbst. Erst die
holländischen Stände, dann auch die Generalstände verwiesen
allerlei Aufgaben, sowohl vorbereitende wie ausführende, in ad hoc aus
ihren Reihen zusammengestellte Arbeitsausschüsse, sogenannte "besognes".
Dies war eine Methode, die auch in anderen Ländern angewandt
wurde. [27]
In beiden Gremien nahm die
Anzahl dieser Kommissionen vor 1650 schnell zu. Außerdem wuchs ihre
Mitgliederzahl, damit mehr Arbeit bewältigt werden konnte. Einige davon,
sogenannte "secrete besognes", erhielten als Sonderausschüsse Aufgaben
zugeteilt, die wegen ihres heiklen oder dringlichen Charakters unter Beachtung
der Geheimhaltung erledigt werden mußten. Zusätzlich hatten die
holländischen Stände sich durch die Einrichtung ihres ständigen
Verwaltungsapparates de facto mit einer ersten permanenten Kommission
ausgerüstet. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts richteten sie zunehmend
Ausschüsse dieser Art ein. [28]
In
den Generalständen entstanden in der gleichen Zeit immer mehr Kommissionen,
in denen alle Provinzen vertreten waren, und die dementsprechend etwa sieben bis
acht Mitglieder umfaßten. [29] Sie bildeten in den
Generalständen die Basis der festeingerichteten Ausschüsse. Dieselbe
Teilnehmerzahl wurde darüberhinaus für die "secrete besognes"
gebräuchlich. Untersuchungen zur Zusammensetzung dieser Sondergremien in
der Zeit vor 1650 haben ergeben, daß die meisten Mitglieder zur Kerngruppe
der Deputierten in den Generalständen
gehörten. [30]
Auch wenn die
Ausschüsse grundsätzlich eine gute Möglichkeit zu effizienterer
Verwaltung boten, so ging doch vieles verloren, weil in den
Ständeversammlungen - und auch in den Kommissionen - ganz gewiß keine
Eintracht zwischen den Abgesandten herrschte. Dies galt ebenso in den
Städten und Dörfern und auch für die Generalstände. Auf
allen Ebenen bekämpften Regierungsangehörige sich in kleinen Gruppen,
in "facties". Hierbei handelte es sich um unorganisierte Splitterparteien, meist
von kurzer Lebensdauer und häufig ohne Ideologie. Ihre Mitglieder waren
oftmals auf vorteilhafte Verwaltungsposten aus und auf die Wahrung des - wie sie
es sahen - örtlichen oder provinzialen Wohlergehens
bedacht.
In den Städten konzentrierten sich
derartige Interessengruppen meist um einen prominenten Regenten. Dieser fand
wiederum Unterstützung bei Angehörigen seiner Familie, bei
Standesgenossen und Freunden, die ihre Interessen mit den seinen
verknüpften. Saßen sie einmal fest im Sattel, kamen zu dem Ansehen
auch Nebeneinkünfte von zum Teil nicht geringem Umfang. Selten allerdings
erhielten sie ein festes Gehalt. Auch konnten sie ihre Position nicht unbegrenzt
ausnutzen, denn Fehltritte der regierenden Faktion wurden sofort von der nicht
amtierenden Gegenfaktion bemerkt und bestraft. Dies war eine natürliche
Garantie für soziale
Kontrolle. [31]
Seit kurzem konstatiert
man auch Faktionen in territorialen Ständeversammlungen. Dort trafen
Abgeordnete aufeinander, die zugleich die Interessen der städtischen
Administration und solche der lokalen Faktion vertraten. Auf Grund von
Übereinstimmungen von Interessen und Vorstellungen, die auch lokal eine
Rolle spielten, kam es zwischen manchen von ihnen zur Zusammenarbeit, oft nur
für begrenzte Zeit. So bildeten sich manchmal zwei, selten drei Faktionen
in den Ständen. Hinzu kamen einige Abgeordnete, die jeweils ihre eigene,
individuelle Position vertraten.
Die Form der
Zusammenarbeit in den Ständeversammlungen glich der in den Städten.
Stets gruppierten die Deputierten sich um einen bestimmten Kern - manchmal eine
Person, öfter eine tonangebende lokale Faktion. Die Figur des
Ratspensionärs konnte ein solch bindendes Element darstellen [32],
oder auch die Delegation einer einflußreichen Stadt wie z.B. Amsterdam
oder Leiden. Es ist auffällig, daß in dieser Hinsicht ebenso mancher
Statthalter eine wichtige Rolle spielte. Obgleich kein Mitglied der Stände,
vermochte er auf Grund seiner Ernennungsgewalt und seines hohen sozialen
Ansehens städtische Regenten an sich zu binden. Seine Anhänger traten
daraufhin in den Ständen als Kern einer Faktion auf. Deutlich ist,
daß der Oranier dabei stets mit einigen Regenten gegen andere Regenten
zusammenarbeiten mußte, und daß er nicht, wie in älteren
Geschichtswerken suggeriert wird, per se der erbliche Widersacher der
gesamten Regentenklasse war. [33]
Trotz
des lokalen, höchstens territorialen Blickfeldes der meisten Regenten,
bestanden während des gesamten Jahrhunderts dennoch interprovinziale
Kontakte. Diese konnten zur Bildung von Faktionen führen, deren Mitglieder
verstreut über die ganze Republik wohnten, und die sich vor allem in den
Generalständen manifestierten. An solchen Faktionen konnten auch der Prinz
von Oranien oder der friesische Statthalter beteiligt sein. So entstand ein
äußerst komplizierter Zustand, weil auf diese Weise die Praxis im
Widerspruch zum staatlichen System stand. Mitglieder solch einer landesweiten
Faktion waren schließlich auch Angehörige der einen oder anderen
territorialen Delegation. Diese waren denn auch intern geteilt, was zu einigen
Problemen führte, ehe ein gemeinsamer provinzialer Standpunkt eingenommen
werden konnte. So wurden die Generalstände und die provinzialen
Ständeversammlungen schon früh zu einer Schule im Erreichen eines
Konsens.
Diese interprovinzialen Faktionen
scheinen Ähnlichkeiten mit den Parteien des 19. und 20. Jahrhunderts
aufzuweisen und wurden deshalb anachronistisch als solche angesehen. Sie
schienen auch deshalb vergleichbar, weil man hinter ihrem Handeln eine Ideologie
zu entdecken vermeinte. Hatten die Oranier, die sich doch in das
Streitgewühl der Faktionen stürzten, nicht eine ihnen wohlgesonnene
politische Partei hinter sich? Und stand dem dann nicht eine Regentengruppe,
eine ständisch eingestellte Partei, gegenüber? Moderne Analysen der
Faktionen zeigen allerdings, daß diese Idee unhaltbar geworden ist. Erst
im späten 18. Jahrhundert werden diesbezüglich Veränderungen
sichtbar.
VI. Die Souveränität der
Stände und der Friede von Münster
Beim
Friedensschluß in Münster spielten vielerlei Aspekte dieser
ungewöhnlichen Verwaltungsstruktur eine wichtige Rolle. Dementsprechend
bieten dieser Prozeß und seine Vorgeschichte eine gute Möglichkeit
zur Veranschaulichung ihrer
Wirkungsweise. [34]
Die
niederländische Republik durchlebte seit ihrer Entstehung eine wechselvolle
Geschichte. In der Periode bis 1609 hatte man es zwar verstanden, das Kerngebiet
zu sichern, doch an den Grenzen gingen zum Teil wichtige Gebiete wieder
verloren. Kriegsmüdigkeit und Insolvenz zwangen beide Gegner im Jahr 1609
schließlich zu einem zwölfjährigen Waffenstillstand. Friede
schien zu diesem Zeitpunkt noch unerreichbar. Ein formales Hindernis entstand
dadurch, daß die Habsburger ihre im Jahr 1581 auf revolutionärem Weg
durchgesetzte Absetzung, "de Verlatinge", nie anerkannt hatten, sich noch stets
als Souverän der Provinzen "ihrer Rebellen" betrachteten und dies auch
bleiben wollten. Sie waren dagegen, den Calvinismus in diesen Regionen
zuzulassen, während auf der anderen Seite "die Rebellen" sich weigerten,
dem Katholizismus eine öffentliche Position einzuräumen.
Außerdem konnte Madrid die Anwesenheit der Niederländer in Ostindien,
das es als sein Gebiet ansah, nicht dulden. Letztendlich war Philipp II. nur
dazu bereit, die Republik für die Dauer des Waffenstillstands als solche zu
akzeptieren. [35]
International gesehen
blieb durch diese zeitliche Unterbrechung des Kampfes ein doch etwas
unangenehmer Zustand bestehen. Diverse Staaten, vor allem Frankreich und
England, hatten die aufständischen Niederländer nicht nur mit Geld
unterstützt, sondern als offizielle Verbündete, obwohl dies - selbst
nach dem lückenhaften internationalen Recht dieser Tage - sehr
fragwürdig war. Ihnen ging es dabei vor allem um die Stärkung der
eigenen Position. Die Republik aber erhielt so Zugang zum internationalen
politischen Terrain, was vorläufig auch so bleiben
sollte.
In den sieben Provinzen läutete der
Waffenstillstand eine Periode der internen Organisation ein. Während der
Kriegszeit waren nämlich allerlei Probleme des jungen Staatenbundes in den
Hintergrund gerückt. Nun entluden sich die unterschwelligen Spannungen.
Klärungsbedarf bestand in politischen und religiösen Fragen, wie
bezüglich des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche. Am Ende des
Waffenstillstandes war die politische Vorherrschaft Hollands etwas
gemäßigter, und die Kirche hatte sich für eine strenge
Lehrrichtung entschieden, mußte aber staatliche Einflußnahme
hinnehmen. In den folgenden Jahren hatte jedoch keines dieser Ergebnisse
Bestand. [36]
Die Periode des
Waffenstillstands hatte auch noch etwas anderes deutlich gemacht. Mit der
Unterbrechung des Kampfes wurden auch zeitweise die Beschränkungen
außer Kraft gesetzt, die dem Handel und der Schiffahrt auferlegt waren.
Diese erlebten nun eine schnelle Blüte. Die Textilindustrie hatte jedoch
sehr unter der Konkurrenz flämischer Städte mit ihren berühmten
Tuchmanufakturen zu leiden, deren Export nun nicht mehr durch die
Kriegsereignisse behindert
wurde. [37]
Trotz der Vorteile des
Waffenstillstands, wurde der Krieg 1621 wiederaufgenommen. Bis ins Jahr 1625
verlief er für die Republik allerdings alles andere als glücklich.
Danach setzten die Generalstände in zunehmend engerer Zusammenarbeit mit
dem Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien eine aggressive Politik gegen Spanien
durch. Das Augenmerk richtete sich auf den Erwerb von Pufferzonen zur Sicherung
der natürlichen Grenzen - die Ijssel, den Rhein und die Maas sowie die
Westerschelde. Diese Politik der Regierung verlief mit der Eroberung von Twente,
dem Achterhoek und Teilen von Limburg, Brabant und Flandern äußerst
erfolgreich.
Gerade diese Erfolge riefen bereits
seit 1629 bei vielen den Wunsch nach Frieden hervor. Konnte am Konferenztisch
nicht dasselbe erreicht werden wie durch den Krieg? Vor allem in Holland, das
zunehmend unter den schweren Kriegslasten zu leiden hatte und enormen Schaden im
Seehandel davontrug, wurde dieser Ruf ständig lauter. In den
holländischen Ständen sind dann auch bald zwei Friedens-Faktionen zu
beobachten. Die Handelsstädte Amsterdam und Rotterdam spielten hier eine
zentrale Rolle. Sie vertraten zusätzlich die Ansicht, daß, auch wenn
vorerst noch kein Friede erreicht werden könnte, der Kampf auf See doch um
so mehr Aufmerksamkeit verdiente. Ihnen stand eine Faktion von
Kriegsbefürwortern gegenüber, deren Hauptvertreter die
Textilstädte Leiden und Haarlem waren. Diese plädierten für eine
Fortsetzung des Kampfes, weil so ihre Konkurrenten, die
südniederländischen Textilstädte, ausgeschaltet und der spanische
und südniederländische Katholizismus zurückgedrängt
würden.
In den Generalständen erhielten
beide Lager Unterstützung aus anderen Provinzen, quer durch die
territorialen Delegationen - wodurch die Beschlußfassung insgesamt
ernstlich erschwert wurde. Auch weil Verhandlungen mit dem Süden
mißlangen, ging der Krieg vorläufig weiter. Nachdem im Jahr 1637
durch die Eroberung der Stadt Breda und ihres Umlandes mehr oder weniger die
ganze Südseite der Republik gesichert worden war, gewann die
Friedensfaktion aber besonders an
Kraft. [38]
Welche Rolle spielte Friedrich
Heinrich nun inmitten dieses Kräftespiels? War er als General nicht
automatisch Mitstreiter der kriegswilligen Faktion? Genaues Lesen seiner
Äußerungen zeigt, daß der Prinz zwischen diesen beiden
Faktionen stand. Er hielt zwei Eisen im Feuer: Einen Waffenstillstand könne
man unter äußerst günstigen Voraussetzungen beschließen
oder anderenfalls weiterkämpfen, um im nachhinein wünschenswerte
Resultate zu erzwingen. Demnach sah er den Krieg als Mittel zur Sicherung dieser
Länder und einer starken Verhandlungsposition. [39] Da er
allerdings vorläufig weiter Krieg führte, erschien er durchaus als ein
Befürworter der Kriegsfaktionen. Dies änderte sich erst, nachdem im
Jahre 1645 die Stadt Hulst im seeländischen Flandern als letzte Festung
erobert wurde, und in Münster die Friedensverhandlungen bereits begonnen
hatten.
Die spanisch-niederländische
Auseinandersetzung war zwar nicht Teil des Dreißigjährigen Krieges,
doch waren auch diese streitenden Parteien vom Kaiser zu den Verhandlungen
eingeladen worden, damit alle europäischen Kriege zugleich beendet
würden. Den Niederländern verschafften ihre militärischen Erfolge
eine zunehmend bessere Ausgangsposition. Darüber hinaus gab es Anzeichen
dafür, daß Spanien sich zugänglicher als noch 1609 zeigen
würde, denn das Land hatte sehr an Stärke verloren. Also stellten die
Niederländer harte Forderungen. Sie verlangten die Anerkennung ihrer
Souveränität und dazu für die Generalstände den Titel
"Illustres Hauts et Puissants Seigneurs" - Hochmögende Herren - und
für ihre wichtigsten Diplomaten den Botschaftertitel - der höchste
Rang. Weiterhin wollten sie in die feste Hierarchie der Staaten aufgenommen
werden, und zwar in die Kategorie direkt nach dem Kaiser und den Königen,
aber vor den Kurfürsten, Herzogen und Grafen. Zu dieser Kategorie
zählte bereits die Republik Venedig. Die Ständischen wünschten,
direkt danach plaziert zu werden. Die spanische Nachgiebigkeit manifestierte
sich bereits 1640 darin, daß den zu Friedenskongressen gesandten
Delegierten der Stände der geforderte diplomatische Rang zuerkannt
wurde. [40]
Intern blieben jedoch noch
eine Reihe Probleme bestehen. Was sollten die Instruktionen für die nach
Münster zu sendenden Botschafter beinhalten? Wieviele Botschafter sollte
man abordnen und welche Personen hierfür auswählen? Mußten nicht
vor einem Friedensabschluß oder erneutem Waffenstillstand Absprachen
bezüglich der zukünftigen Zusammenarbeit zwischen den sieben Provinzen
getroffen werden? Und nach welchen Kriterien sollte man die
Verhandlungsergebnisse beurteilen, mit denen die Gesandten aus Münster
zurückkehren würden? [41]
In
erster Linie wurden diese Fragen zumeist in den Generalständen diskutiert,
aber auch in den provinzialen Ständeversammlungen und auf lokaler Ebene.
Natürlich waren mit diesen Themen allerlei Dinge verknüpft, die
geheimgehalten werden mußten und deshalb an die "secrete besognes"
weiterverwiesen wurden. In den Generalständen erhielten die Mitglieder des
für die Friedensverhandlungen eingerichteten Sonderausschusses
außerdem als einzige Vertreter ihrer Provinz die Aufgabe, wichtige Akten
ihrer provinzialen Ständeversammlung vorzulegen, dort zu besprechen, und
die Ergebnisse dieser Sitzungen der Kommission in Den Haag zu unterbreiten. In
den provinzialen Ständeversammlungen wiederholte sich dieser Vorgang.
Mitgliedern der dortigen Ausschüsse wurde der Eid zur Geheimhaltung
abgenommen. Sie durften die Friedensangelegenheiten in ihrer Heimatstadt zwar
erörtern, aber nicht in der Öffentlichkeit sondern nur mit einem oder
mehreren
Bürgermeistern. [42]
Natürlich
kamen die Deputierten mit unterschiedlichen Meinungen zurück in die
Generalstände. Also begann dann die Mühle der Faktionsstreitigkeiten
und Überredungsaktivitäten zu mahlen. Holland wollte beispielsweise,
um Kosten zu sparen, nur vier Botschafter nach Münster schicken.
Selbstredend sollte darunter ein Holländer sein. Aber auch die anderen
Provinzen wollten hier nicht außen vor bleiben. In dieser Angelegenheit
mußte Holland klein beigeben und die Entsendung eines Gremiums
üblicher Größe von acht Mitgliedern akzeptieren. Seeland
forderte, daß die Absprachen bezüglich der zukünftigen
Zusammenarbeit genauestens schriftlich fixiert werden sollten, ehe über
irgendeine Verhandlung in Münster gesprochen werden würde. Dies wurde
von Holland und den anderen Provinzen abgelehnt, denn man wollte nicht im
nachhinein in zu enge Formulierungen verstrickt sein. Die Seeländer gaben
gegen Ende des Jahres 1645 in diesem Punkt nach, doch bezogen sie sogleich neue
Positionen. Eine Mehrheit ihrer Stände plädierte für eine
Fortsetzung des Krieges, wie auch Utrecht und die holländische Stadt
Leiden. Der seeländische Vertreter Johan de Knuyt, ein Anhänger der
Oranier, war jedoch für den Frieden und sollte deshalb noch viele
Schwierigkeiten mit seiner Provinz bekommen.
Im
Januar des Jahres 1646 traf die ständische Delegation in Westfalen ein. Sie
verhandelte anfangs nur über einen Waffenstillstand mit den Spaniern, doch
bald wurde deutlich, daß diese über Frieden sprechen wollten. Nachdem
sich alle Provinzen hiermit einverstanden erklärt hatten, kamen die
Gespräche, die für viele Beteiligte eine Wiederholung der
Waffenstillstandsverhandlungen des Jahres 1609 darstellten, schnell voran. Am
30. Januar 1648 lag ein kompletter Vertragsentwurf auf dem Tisch, der durch
beide Staaten ratifiziert werden konnte. In Madrid und Den Haag fanden dann
ausführliche Besprechungen statt, wobei Seeland schließlich doch
überstimmt wurde. Am 15. Mai des Jahres kamen die Abgesandten wieder in
Münster zusammen, um die angenommenen und ratifizierten Schriftstücke
auszutauschen und den Eid darauf zu schwören. Anschließend wurde der
Friedensvertrag am 5. Juni in fast allen Provinzen und Städten festlich
verkündet. Allein in Seeland, das erst nach der Vereidigung den Vertrag am
30. Mai unter Murren akzeptierte, kam keine Feststimmung auf, ebensowenig wie in
der Stadt Leiden in Holland.
Und doch war das
Resultat wahrlich des Feierns wert. Der spanische König bestätigte in
der Tat die Republik als eine Union von freien, souveränen Provinzen. Somit
war auch anderen Ländern die Möglichkeit eröffnet, nicht
länger auf informellem Wege Kontakte mit der Republik zu pflegen. Dies
wurde auch dadurch unterstrichen, daß die sieben Provinzen ihren
gewünschten Platz in der internationalen Staatenhierarchie zugewiesen
bekamen. Das westfälische Prinzip der Anerkennung der
Souveränität und Integrität einzelner Staaten wurde in diesem
Vertrag erstmalig festgeschrieben. Rein rechtlich betrachtet, war dies der
Moment der Gründung des nordniederländischen
Staates.
Weitere Angelegenheiten entschieden sich
in Folge dieser Entwicklungen. Spanien widersetzte sich nicht länger der
öffentlichen Anerkennung des Calvinismus in den sieben Provinzen. Es hob
die Beschränkungen der niederländischen Seefahrt bezüglich Ost-
und Westindiens auf, obgleich es seinen Anspruch auf die Monopolposition dort
aufrechterhielt. Auch ließ Spanien sich darauf ein, die Schiffahrt auf der
Schelde, vor allem in Richtung Antwerpen, durch die Erhebung hoher Zölle zu
begrenzen.
VII.
Schlußfolgerung
Die Befugnis zur
Beschlußfassung durch die Ständeversammlungen, die Delegierung der
Zuständigkeiten an die supranationalen Generalstände,
Zusammenstöße zwischen Regentenfaktionen, auch über provinziale
Grenzen hinweg, das Einrichten von Ausschüssen, um die repräsentativen
Körperschaften von einem Teil der Tätigkeiten zu entlasten, und die
Kompromißfindung, wenn auch nur unter Zwang - dies alles waren Elemente
des Beschlußfindungsprozesses innerhalb der Republik zum Frieden von
Münster. Sie gehörten zu den Entwicklungen, die die
Ständeversammlungen durchlebten, nachdem sie die Regierungsgewalt im
späten 16. Jahrhundert an sich gezogen
hatten.
Zweifellos baute diese Verwaltungsstruktur
auf die früheren burgundischen und habsburgischen Systeme auf, die
ihrerseits noch tiefere Wurzeln hatten. Das bereits vorhandene korporative
Streben nach Regierungsgewalt hatte seit 1572 in den Niederlanden einen
gewaltigen Sprung nach vorn gemacht und selbst ehemals fürstliche
Befugnisse in den neu gewonnenen Machtbereich integriert. In anderen
europäischen Staaten verfolgten gerade die Fürsten den Anspruch auf
Machtkonzentration weiter, konnten aber angesichts der repräsentativen
Körperschaften längst nicht soviel
erreichen.
Absolute Monarchie und
Souveränität der Stände - beide nahmen in Europa einen, in etwa
gleichen, Ausgangspunkt im Mittelalter. Weil in den meisten Ständen der
Schwerpunkt auf die Monarchie gelegt wurde, und diese Tendenz auch im 19.
Jahrhundert noch vorherrschte, hat Robert Fruin dies als progressiv
eingeschätzt. Doch trugen auch die Stände die Möglichkeit zu
einer Progression durch die Jahrhunderte hindurch in sich. Gerade die
fortwährenden inhaltlichen Veränderungen in den Aufgabengebieten der
niederländischen Stände zeigen, daß diese Gremien in den
Niederlanden einen deutlichen Aufstieg erfuhren. Hierin waren sie allen anderen
europäischen Staaten weit voraus. Wenn man eben diesen Aspekt des
niederländischen Aufstands in den Vordergrund rückt, muß man ihn
nun nicht mehr als konservative, sondern als progressive Revolution bezeichnen.
Es war der Friede von Münster, der dem unter dieser besonderen Regierung
geformten Staat schließlich seinen formalen Status
verlieh.