DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
BERND ROECK Venedigs Rolle im Krieg und bei den Friedensverhandlungen |
Daß unbedingt Frieden werden
mußte in Deutschland, dürfte dem venezianischen Patrizier, der im
Sommer 1643 durchs Heilige Römische Reich reiste, klargeworden sein, wenn
er nur aus seiner Karosse auf die vorüberziehenden Landschaften blickte. Er
sah verbrannte Erde; unbewohnte Dörfer, Städte, die, wie er an die
Serenissima schrieb, vier Fünftel ihrer Bevölkerung verloren hatten.
Augsburg, vor dem Krieg eine überaus volkreiche Stadt, erschien ihm nun
"sozusagen auf das Maß einer Spelunke gebracht" - als Zeichen der Not, die
da herrschte, wertete er, daß ihm nicht einmal mehr die früher
übliche Willkommensgabe, einige Krüge Wein, überreicht wurde.
Hundert Jahre, so glaubte er, würden nicht reichen, jene Provinzen wieder
in jenen Stand zu versetzen, in dem er sie zu anderen Zeiten erlebt
hatte. [1]
Alvise Contarini, dessen
dispacci diese Beobachtungen enthalten, war auf dem Weg nach
Münster, zu jenem Kongreß, von dem man hoffte, er werde den
großen Krieg beenden können. Contarini sollte als Vermittler agieren;
der damals 46jährige war ein erfahrener Diplomat, vielleicht der beste
Mann, den Venedig für die schwierige Mission aufbieten konnte. Bei den
Generalstaaten, in England, Frankreich, beim Heiligen Stuhl und
schließlich in Konstantinopel hatte er als Botschafter die Interessen der
Republik vertreten. [2] In seinen Berichten erweist er sich als
scharfsichtiger Beobachter, die Quellen lassen gelegentlich einen
freimütigen [3], ja rücksichtslosen Charakter aufblitzen,
während die Persönlichkeit sonst kaum schärfere Konturen
gewinnt. [4] Anselm van Hulles Portrait zeigt einen nach schwarzer
spanischer Mode gekleideten, offensichtlich beleibten Herrn von jener
gravitas, welche dem Staatsmann wohl ansteht. Sein Gesichtsausdruck
spiegelt intellektuelle Überlegenheit; fast
Arroganz.
Contarini agierte für eine Macht,
die zu der Zeit, als er durch das zerstörte Deutschland reiste, den Zenit
ihrer Bedeutung endgültig überschritten hatte. Aber auch dies war eine
Voraussetzung dafür gewesen, daß man sich ihrer Vermittlung bediente.
Um verstehen zu können, warum gerade Venedig zu dieser Funktion auf dem
Westfälischen Friedenskongreß kam, bedarf es einer knappen Skizze
seiner Situation im Spannungsfeld der europäischen Politik zur Zeit des
Dreißigjährigen Krieges.
Das Antlitz
der Stadt hatte im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts nahezu vollständig
jenes Aussehen gewonnen, das es, als versteinerte Form, den Heutigen zuwendet:
der spektakulärste Akzent, den die Stadt noch gewinnen würde, war der
Bau der Kirche S. Maria della Salute am Ausgang des Canal Grande. Der Senat
hatte sie nach der Pestepidemie von 1630 als Votivkirche errichten
lassen.
Durch Immigration war die
Bevölkerungszahl nach der Seuche bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts
wieder auf etwa 140.000-160.000 angestiegen. [5] Dadurch wurde der
ökonomische Niedergang aber nur überdeckt. Die Welt Venedigs war
kleiner geworden; die Verschiebung der weltwirtschaftlichen Gewichte vom
Mittelmeerraum hin zum Atlantik machte sich bemerkbar: am zunehmend
beschränkten Radius der Galeerenfahrten läßt sich der
wirtschaftliche Abstieg der alten mittelmeerischen Weltwirtschaft am
deutlichsten ablesen. Die "Biberrepublik" (Jacob Burckhardt) war zur
Regionalmacht geworden. Ihre Interessenschwerpunkte lagen in der Adria, in der
nordwestlichen Ägäis und in Oberitalien. In diesen Zonen gelang es
Venedig allerdings, sich durch eine geschickte, auf relative militärische
Stärke gegründete Neutralitätspolitik noch im 17. Jahrhundert
Spielräume zu bewahren.
Zur See hatte sich
die Republik in den Jahren unmittelbar vor Ausbruch des
Dreißigjährigen Krieges erfolgreich dem "habsburgischen Schraubstock"
(Frederic C. Lane) entwunden. Der Versuch des spanischen Vizekönigs von
Neapel, des Herzogs von Ossuna, Venedigs Dominanz im "Golf" - wie man die Adria
bezeichnenderweise nannte - zu brechen, war unter Einsatz einer Armada von
eindrucksvoller Dimension abgewehrt worden. [6] Mittels einer 86
Galeeren, Galeassen und Segler umfassenden Flotte, für deren Aufstellung
man auch englische und niederländische Schiffe und Mannschaften angeheuert
hatte, war es gelungen, Ossuna zum Abzug zu zwingen; ein zur selben Zeit von
Spanien angezetteltes Komplott gegen die venezianische Regierung wurde
aufgedeckt und blutig
niedergeschlagen. [7]
Während der
Veltlin-Krise spielte Venedig eine aktive Rolle. Angesichts der ersten
spanischen Erfolge ließ der Senat Söldner werben; man nahm Ernst von
Mansfeld als Condottiere unter Vertrag, dann Heinrich Matthias von Thurn. Am
Zustandekommen der Liga von Lyon bzw. Avignon - sie verband Frankreich, Savoyen
und Venedig und sollte Spaniens Ambitionen Einhalt gebieten - war die Diplomatie
der Serenissima aktiv beteiligt, sah sich aber in den folgenden Jahren immer
mehr an den Rand des Geschehens gedrängt. Aus dem Kampf um Genua hielt sie
sich heraus, das Arrangement unter den Großmächten im Frieden von
Monzon (5. 3. 1626) erfolgte über die Köpfe der Venezianer
hinweg.
Der mantuanische Erbfolgekrieg sollte erst
recht die Grenzen der politischen Möglichkeiten Venedigs aufzeigen. Ein
Versuch der Republik, die von habsburgischen Söldnern belagerte Hauptstadt
des kleinen Staates zu entsetzen, endete in einem Desaster. Kaiserliche Truppen
schlugen das venezianische Heer, Mantua fiel und wurde
geplündert.
Was die Situation auf dem
italienischen Festland betraf, ging, jedenfalls aus der Perspektive der
Serenissima, um 1630 die nach wie vor gefährlichste Bedrohung von Habsburg
aus. [8] Der Senat unterstützte zeitweilig selbst die schwedische
Invasion in Norddeutschland durch Subsidien [9]; aber er vermied, allzu
eindeutig Position zu beziehen - auch nicht zugunsten jener Macht, die allein
Rückhalt gegen Spanien und dessen Verbündeten zu bieten versprach,
nämlich Richelieus Frankreich. Dessen Position in Oberitalien war durch den
Frieden von Cherasco (1631), der die Mantua-Frage weitgehend im
französischen Sinne regelte, stabilisiert worden. Bei der Gestaltung der
Vertragsbedingungen hatte Venedig nichts mitzureden gehabt. [10] Die
venezianische Staatsräson sah sich angesichts der unbeherrschbaren
Konfliktsituation zwischen den Großmächten immer entschiedener auf
Neutralität, auf vorsichtiges Lavieren
verwiesen.
Richelieu war es trotz des Erfolges im
Kampf um Mantua nicht gelungen, dem Friedensvertrag eine allgemeine
Garantieklausel einzuverleiben und durch eine Liga der italienischen Staaten ein
schon länger projektiertes kollektives Sicherheitssystem - unter
französischer Führung - zu etablieren [11]; eine solche
Allianz hätte für die Italiener zumindest kurzfristig die Gefahr einer
direkten Konfrontation mit Habsburg erhöht. Jedenfalls dürfte Venedigs
Zurückhaltung dazu beigetragen haben, daß sich der Krieg in
Oberitalien nicht ausweitete. In Madrid wurde die Haltung der Republik 1635
sogar als "standhaftig, und wohlaffectionirt gegen das Erzhaus"
bewertet. [12] Wenn die Serenissima sich im Jahr darauf von Richelieu
für eine auf Erweiterung des Kölner Kongresses um Schweden und die
Generalstaaten zielende Initiative gewinnen ließ, lag das in der
Konsequenz ihrer Ausgleichspolitik [13] - ein Vorzeichen der Rolle,
welche die venezianische Diplomatie auf dem Westfälischen
Friedenskongreß spielen wird. Ebenso folgerichtig war es, daß sich
die Republik in jenem bizarren Krieg, den Papst Urban VIII. um die Lehen Castro
und Ronciglione gegen Odoardo Farnese führte (1641-1644) [14], an
einer Allianz italienischer Staaten, die Roms Ambitionen Einhalt gebieten
konnte, beteiligte. [15] Der Frieden von Venedig-Ferrara (31. März
1644) wurde dann von Mazarin vermittelt, und man hat ihn der Garantie
Frankreichs unterstellt: ein deutliches Anzeichen dafür, daß sich die
Gleichgewichte auch in Italien zugunsten der westeuropäischen
Großmacht verschoben hatten; Signal zugleich eines Bedeutungs- und
Prestigeverlusts der Kurie mit Auswirkungen auf die diplomatischen
Aktivitäten des päpstlichen Nuntius Fabio Chigi im Reich. [16]
Die prekäre italienische Situation war zweifellos ein Hauptgrund für
Venedigs neutrale Haltung. Wichtiger noch für seine auf Konservierung des
Status quo zielende Politik - wie überhaupt für seine
Ausgleichsbemühungen in Italien und in Mitteleuropa - ist aber die
türkische Bedrohung gewesen.
Die osmanische
Expansion blieb seit dem späten Mittelalter eine der wichtigsten
Konstanten, welche die Erwägungen der Außenpolitik der Serenissima
bestimmten. Während der gerade geschilderten italienischen Entwicklungen
hatte der türkische Druck im östlichen Mittelmeerraum zwar
nachgelassen, da die Hohe Pforte ihrerseits durch Auseinandersetzungen mit dem
persischen Reich beansprucht war. [17] Indes blieb die venezianische
Flotte durch einen lästigen Kleinkrieg gegen christliche und
mohammedanische Piraten, die von den Großmächten als
Stellvertreter-"guerilla" instrumentalisiert wurden, beschäftigt, und eine
wehrhafte, wachsame Friedenspolitik erschien schon in einer Quelle von 1615 als
einzige Möglichkeit, der drohenden osmanischen Expansion
entgegenzuwirken. [18]
So herrschte hier,
in einer der Bruchzonen zwischen den frühneuzeitlichen Großreichen,
ein kalter Krieg, der durch einige vertragliche Abmachungen mühsam im Zaum
gehalten wurde. [19] Venedig mußte jedenfalls für den
Ernstfall gerüstet sein. Ständig war man auf der Suche nach
Verbündeten, analysierte mögliche Konfliktkonstellationen und
entwickelte Strategien, wie gegen die Türkei vorgegangen werden konnte,
etwa durch Entfesselung eines Korsarenkrieges durch von Polen abhängige
Kosaken im Schwarzen Meer. [20] Auch hoffte Venedig, Ladislaus IV.
könnte durch einen Angriff auf türkische Tartaren die Hohe Pforte zur
Intervention zugunsten ihrer Schützlinge
zwingen.
Daß die Befriedung Deutschlands
eine entscheidende Voraussetzung für konzertierte Aktionen darstellte,
verstand sich von selbst. [21] Aber der Verlauf des Kölner
Kongresses, auf dem auch Venedig sich vermittelnd engagiert hatte - während
es bei den anderen Vorgesprächen nicht hervortrat [22] -, gab kaum
Anlaß zur Hoffnung auf eine rasche Beendigung der Kampfhandlungen.
Richelieus Nachfolger Mazarin wurde mit bemerkenswerter
Begründung [23] als kriegslüstern eingeschätzt. Nur
äußerste Zwänge, so meinte Venedigs Botschafter in Frankreich,
würden diesen Minister zum Frieden
bringen. [24]
Venedig, Zentralort schon im
utopischen Weltfriedensplan von Émeric Crucé [25], war
somit aus verschiedenen Gründen zum Mediator der Friedensverhandlungen
prädestiniert. [26] Die Vermittlung eines europäischen
Friedens lag wegen der Türkengefahr und angesichts der komplexen
inneritalienischen Situation in seinem Interesse, die Initiative zur Mediation
ging offenbar von der Serenissima selbst aus. [27] Nicht gering
veranschlagt werden darf der Prestigegewinn, den eine Partizipation an den
Verhandlungen versprach. [28] Richelieu und später Mazarin
favorisierten die venezianische Intervention, weil sie - wie sich zeigen sollte,
zu Unrecht [29] - auf antispanische Neigungen Venedigs
hofften [30]; die italienische Mittelmacht war zudem von den
Interessengegensätzen, die in Münster auszutarieren waren, allenfalls
indirekt berührt. [31] Für die Republik sprach
schließlich, daß sie über eine seit langem berühmte, als
unbestechlich geltende [32] Diplomatie verfügte, vor allem aber der
Umstand, daß sie, katholisch zwar [33], aber traditionell auf
Distanz zu Rom als geeigneter Verhandlungspartner für alle
Konfessionsparteien gelten konnte - anders als die Kurie, die direkte
Verhandlungen mit den Protestanten ablehnte. Als wegen des schwedischen
Einmarsches in dänisches Gebiet Ende 1643 die dänische Vermittlung in
Osnabrück obsolet wurde, gab es sogar Überlegungen, die Vermittlung
Venedigs auch auf den zweiten Kongreßort auszudehnen. In wohl zutreffender
Einschätzung der zu erwartenden Widerstände und der Risiken, die ein
solches Engagement mit sich gebracht hätte, entzog Contarini sich mit
einigem Geschick diesem Ansinnen. [34]
Am
16. Juli 1643 hatte der venezianische Senat die Instruktionen für den
Botschafter beraten, zwei Wochen später war er abgereist; von Augsburg aus
war es zunächst nach Frankfurt gegangen, wo gerade Messe gehalten wurde.
Contarini fand die Stadt vom Krieg fast unberührt, voll Leben und Treiben;
Waren gab es im Überfluß, und diesmal erwies der Rat dem Diplomaten
durch ein Weingeschenk die gebührende Ehre. Über den Deputationstag,
der seit Januar in den Mauern Frankfurts tagte, urteilte er despektierlich -
und, was die Situation im Spätsommer 1643 anbelangte, zutreffend -, man
trinke dort nach Landesbrauch viel, diskutiere nicht weniger, brächte aber
nichts zustande. [35]
Contarini nutzte so
seine Reise, um sich ein möglichst umfassendes Bild der politischen
Situation zu machen. Die Reichsstadt Köln, seine nächste Station, war
eine Nachrichtenbörse: zahlreiche Diplomaten und Militärs hatten sich
hier eingefunden, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Ein bayerischer General
schmeichelte dem Venezianer, es liege an der Serenissima, das durch Spaniens
Schwäche und Frankreichs Dominanz gestörte Gleichgewicht wieder
auszutarieren, womit er reichlich
übertrieb.
Am 16. November langte Contarini
in Münster an, Anfang April traf der päpstliche Nuntius Fabio Chigi am
Kongreßort ein. [36] Der Castro-Krieg - "dises Welsche Unwesen",
heißt es in einer kaiserlichen Instruktion [37] - war gerade durch
den Friedensschluß liquidiert worden, so daß einer Zusammenarbeit
zwischen den beiden Vermittlern nichts mehr im Wege stand. [38] Als
Urban VIII. starb (29. Juli 1644), engagierte sich Contarini erfolgreich
für das Verbleiben Chigis im Amt, um französischen Irritationen wegen
der prohabsburgischen Neigungen von Urbans Nachfolger Innozenz X.
entgegenzuwirken. [39]
Auch der Venezianer
hatte sich mit allerlei Zeremonialstreitigkeiten, die das äußere Bild
des Friedenskongresses so nachhaltig prägen sollten, auseinanderzusetzen.
Der französische Bevollmächtigte d'Avaux demonstrierte gegenüber
Contarini auf subtile Weise, daß er den Rang der Republik Venedig für
geringer hielt als jenen der auf dem Kongreß vertretenen
Monarchien. [40] Mehr noch war das ein Signal an die
Niederlande. [41] Für den Vertreter Venedigs lag in solchen
Zurücksetzungen ein heikles Problem. Wenn er, weil ihm beim Empfang des
Herzogs von Longueville der gebührende Rang nicht eingeräumt wurde,
sogar mit Abreise drohte, reflektiert dies nicht zuletzt die komplexe Verfassung
des venezianischen Staates. Im Innern aristokratisch organisiert, umgab Venedig
seinen Pseudomonarchen mit äußeren Ehren und Attributen, die einem
König, ja selbst dem Papst nicht schlecht angestanden hätten. Der Doge
- nach dem bissigen Wort eines Chronisten nicht mehr als eine Art
"Wirtshausschild" - sollte wenigstens im Konzert der europäischen
Potentaten Venedigs Glanz
vorspiegeln. [42]
So nahm Contarini,
unterstützt von einem Sekretär und drei Koadjutoren, unter
mannigfachen Schwierigkeiten seine Mission in Angriff. Peinlich bemüht, die
gebotene Neutralität nicht zu verletzen, geriet er bei den Kaiserlichen
doch in den Verdacht, "sich gar zuvil parteyisch an seiten der Frantzosen" zu
halten. [43] Ja, im Juli 1644 hielt der kaiserliche Diplomat Graf
Auersperg es für ratsam, auf die Ablösung des Venezianers
hinzuarbeiten. [44] Und auch die Spanier waren
mißtrauisch. [45] Erst mit der Zeit gewann Contarini das Vertrauen
der habsburgischen Diplomatie, wie sich in den Verhandlungen um die pommersche
Frage zeigen sollte. [46] Der Senat blieb nicht weniger strikt auf
Neutralität bedacht; so entzog sich Venedig im Januar 1647 dem Ansinnen
Mazarins, die Republik in ein italienisches Allianzsystem
einzubinden. [47]
Gewöhnlich war es
Contarinis Aufgabe, den Parteien die verschiedenen Verhandlungsangebote
mitzuteilen. [48] Oft fanden die Beratungen in Anwesenheit der
Vermittler - häufig in Contarinis Quartier am Domplatz - statt, an
über 800 Einzelgesprächen sollen diese teilgenommen haben. Der
Diplomat agierte indes nicht immer nur als "Briefträger", obwohl er selbst
seine Rolle und die Chigis einmal als die "einfacher Berichterstatter"
charakterisierte. [49] Er war ein "Kommunikator" mit umfassender
Kenntnis des diplomatischen Gesamttableaus, dessen Auffassungen sensibel
registriert wurden; führte "Hintergrundgespräche" unter vier Augen,
geschickt auf die Psychologie des Gegenübers rechnend [50]; empfing
Delegationen in seinem Quartier, denen er dann Empfehlungen zur
Verhandlungstaktik gab [51]: kurz, die Akten bestätigen Bougeants
Urteil, ihm seien Raffinesse und die Kunst der Dissimilation nicht fremd
gewesen. Einmal legte er den kaiserlichen Diplomaten sogar unverblümt nahe,
den schwedischen Gesandten Adler Salvius "zu seinem particularinteresse zu
gewinnen", auf deutsch: ihn zu bestechen. [52] Er verzichtete keineswegs
darauf, Forderungen oder diplomatische Strategien in Einzelunterredungen mit den
Parteien kritisch zu werten. [53] Seine Einschätzungen wurden denn
auch den Zentralen mitgeteilt. Gelegentlich wagte der Venezianer sich mit
eigenen Projekten hervor, denen allerdings nicht der gewünschte Erfolg
beschieden war. [54]
Das in Münster
übliche schriftliche Verfahren hat zwar die Verhandlungen schwerfällig
gemacht, indessen Präzision und Klarheit der Darstellung der Positionen
befördert. [55] Vielfach blieb der Beitrag der Mediatoren darauf
beschränkt, das Klima zu verbessern, äußere Einflüsse nach
Möglichkeit zurückzudrängen. [56] Dabei finden wir
Contarini in seinen Briefen an die Serenissima und in privaten Schreiben als
scharfsichtigen Kommentator des Kongreßgeschehens. In seinen vertraulichen
Briefen nimmt er kein Blatt vor den Mund. Hart geht er mit Eitelkeiten und
Eigennutz ins Gericht, spart andererseits nicht mit Lob für die
vernünftigen Pragmatiker - wie den Grafen Trauttmansdorff [57] -,
deren eigentliches Werk der Frieden sein wird. Mazarin sieht er kritisch, und
für die desaströse Situation im Frühsommer 1647 macht er den
Egoismus Maximilians von Bayern verantwortlich; er hielt ihn für einen
Heuchler, der unter dem Vorwand, es gehe ihm um die Christenheit, das eigene
Interesse verfolge. [58] Dem Dogen gegenüber äußert er
tiefe Bestürzung - das Herz breche angesichts all der kleinen
Leidenschaften um nichts, die zur Folge hätten, daß so viel
Christenblut unschuldigerweise vergossen werde. [59] Er kann sich das
nicht anders erklären denn als göttliche Züchtigung - wie er
überhaupt all das verwirrende Geschehen auf dem Friedenskongreß und
auf den Schlachtfeldern einordnet in einen Kosmos göttlicher Strafe und
Gnade. Nur so mag er, der das christliche Abendland dramatisch bedroht sah, die
eigene Ohnmacht sublimiert haben.
Inmitten seines
Netzes von Korrespondenten und in Kontakt mit dem einzigartigen
Informationssystem der Serenissima gewann Contarini auch ein umfassendes Bild
der Entwicklung an der Peripherie des venezianischen Seeimperiums. [60]
Seit Januar 1645 häuften sich alarmierende Hinweise auf eine bevorstehende
Eskalation der Auseinandersetzung mit den Türken. Im Sommer wurde ein
Zwischenfall im östlichen Mittelmeer von der Hohen Pforte zum Anlaß
genommen, eine Flotte zur Eroberung Kretas in Bewegung zu setzen. [61]
Am 22. August 1645 fiel Kanea; ein Krieg, der fast ein Vierteljahrhundert dauern
sollte, nahm seinen Anfang. [62] Allein von den Verhandlungen in
Münster und Osnabrück, schreibt Contarini in einem privaten Brief,
hänge die Verteidigung der Christenheit ab, während die venezianische
Führung in angstvollem Immobilismus verharre [63]; hier ergaben
sich mit der Zeit Spannungen zwischen dem Senat und seinem Gesandten, der eine
aktivere Rolle Venedigs favorisierte. [64] Die bedrohliche
Verschärfung der Lage in der Ägäis bildete den Hintergrund
für Contarinis diplomatische Aktivität, der die Gelegenheit wahrnahm,
direkt um Unterstützung für den Türkenkrieg zu
werben. [65] Die Kraftlinien, die die Mittelmeerwelt strukturierten -
die Auseinandersetzungen zwischen Spanien und dem von Frankreich
unterstützten Portugal, die katalanische Krise, das italienische Tableau -,
bildeten das Koordinatensystem, das sein politisches Denken bestimmte; der Kampf
gegen die Türken war sein eigentliches Thema. Als sich der Vorvertrag mit
Frankreich abzeichnete, glaubte der venezianische Botschafter allen Ernstes,
hunderttausend abgedankte Söldner für Venedig anwerben zu können;
bezeichnenderweise hielt es der Senat nach Abschluß des Ulmer
Waffenstillstands im März 1647 für angebracht, den Sekretär
Gerolamo Cavazza nach Bayern zu entsenden, damit er dort die Soldaten in Sold
nehme, welche Kurfürst Maximilian zu entlassen
gedenke. [66]
Genau zu umschreiben, welche
Bedeutung die venezianische Vermittlung für das Zustandekommen des Friedens
insgesamt hatte, ist nicht möglich; in der Forschung wurde sie eher
zurückhaltend beurteilt. [67] Contarinis Stimme blieb jedenfalls
unüberhörbar im Gewirr der diplomatischen Gespräche, und sie nahm
an Gewicht zu, je deutlicher seine Rolle als überparteilicher Anwalt der
Staatsräson Kontur gewann. Er erscheint als ein Tropfen Öl in der
Friedensmaschinerie, und seine Handlungsmaxime war: alles zu tun, was die pax
universalis beförderte, allem entgegenzuwirken, was ihr im Weg
stand. [68] Er setzt sich dafür ein, daß die Verhandlungen
den Reichsständen geöffnet würden [69] und
verschließt sich Versuchen Spaniens, ihn in eine chancenlose Aktion
zugunsten der Bewahrung Breisachs für das Haus Habsburg zu verwickeln:
Friede müsse sein um jeden Preis, ist sein Argument. [70] Deutlich
zu fassen ist Contarinis positive Rolle beim Zustandekommen des Vorvertrags mit
Frankreich. Auch sein unermüdliches Engagement während der Krise des
Kongresses im Frühsommer 1647 wird aus den Quellen evident. Damals schrieb
er an seinen Neffen, er hätte keinen Moment, um zur Ruhe zu kommen; der
gichtkranke Diplomat schleppt sich am Stock von Gespräch zu
Gespräch. [71] Außerdem wurde er mit zahlreichen kleineren
Angelegenheiten - etwa Beschwerden über Kontributionsforderungen im Umland
von Münster - befaßt. [72]
Aus
den Verhandlungen zwischen Spanien und den Generalstaaten hat man Contarini und
den Nuntius weitgehend herausgehalten [73]; Gelegentlich bediente man
sich ihrer, um den spanisch-französischen Dialog wieder in Gang zu bringen,
doch zogen die Niederländer die Vermittlerrolle - als interpositori
- zum Verdruß Contarinis und Chigis an sich. [74] Hier waren
besonders sensible venezianische Interessen berührt, ist doch Amsterdam ein
Hauptumschlagplatz niederländischer Waffenlieferungen für den
Türkenkrieg gewesen. [75]
Die
Schlußphase der Verhandlungen wurde von den Vermittlern als dramatisch
empfunden. Was hinter den Kulissen vorgeht, ist ihnen undeutlicher denn je, und
im Februar 1648 scheint Contarini alle Zuversicht verloren zu haben, daß
aus dem "teutschen Frieden" noch etwas werden könne, und er erbittet vom
Senat die Erlaubnis zur Abreise. [76] Aus den Berichten spricht
Nervosität, mehr noch ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber einem
Prozeß, der eine unbeherrschbare Eigendynamik gewonnen zu haben scheint.
Erst im Frühsommer wird der Ton der Berichte
optimistischer.
Als am Ende das Kamel durch
ein Nadelöhr gegangen war - so umschreibt ein zeitgenössisches Emblem
das Wunder des Friedensschlusses - war Contarini gewiß stolz darauf,
daß die venezianische Vermittlung und im speziellen seine Person im
Friedensvertrag ausdrücklich genannt wurden. Er erwähnt dies gleich am
Anfang seiner Schlußrelation. Andererseits gelang es nicht, Servien die
Zustimmung zu einem Geheimartikel, der Frankreich zur Assistenz "gegen den
Türken" verpflichtet hätte, abzuringen. So seien der Republik zwei
Vorteile aus dem Friedensschluß erwachsen, resümiert Contarini
gegenüber Dogen und Senat: die Präpotenz des Kaisers habe
Beschränkungen erfahren, und die Vermittlung Venedigs sei von jedermann mit
allgemeinem Beifall bedacht
worden. [77]
Contarini hat sich in keiner
Phase des Kongresses Illusionen über die Handlungsspielräume der
Vermittler gemacht. "Dieses Schiff von Münster", kommentiert er einmal,
"wird nicht auf die Reise gehen, es sei denn mit den Winden, die von den
Höfen her wehen." [78] Die schockierende Erfahrung des
Masaniello-Aufstandes gegen die spanische Herrschaft in Neapel (1647) und die
Nachrichten über die Unruhen in Frankreich belehrten den Italiener freilich
darüber, daß Stürme auch von anderswoher drohten und daß
die Kombinationen der Politiker nicht endlos mit der Geduld der Völker
rechnen durften. [79]
Wicquefort, der
bedeutendste Diplomatie-Theoretiker des 17. Jahrhunderts, urteilte, die
Vermittler in Münster hätten mehr Leiden geerntet als Erfolg, und noch
weniger Ehre. [80] Und er fährt fort: "Ihre Absichten waren gut,
aber sie trafen auf alle Härten, welche die stärksten Gründe der
Welt nicht in der Lage gewesen wären aufzuweichen [...] In Wahrheit
läßt sich sagen, daß es nicht die Vermittler sind, welche die
Verträge schließen lassen, sondern die gute Einstellung der
Konfliktparteien." Freilich liegt die säkulare Bedeutung des
Westfälischen Friedens gerade darin, daß er ein
Kompromißfrieden war, der unter der äußeren Form der
Vermittlung zustandekam. Das Engagement der Mediatoren gewann plakative, ja
programmatische Bedeutung für den Stil der Verhandlungen - auch wenn sie
nur die Gewalt ihrer Worte hatten gegen Interessen aus
Eisen.