DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
ROBERT M. KINGDON Der internationale Calvinismus und der Dreißigjährige Krieg |
Bei Beginn des Dreißigjährigen Krieges war die calvinistische Bewegung streng
religiös und militant. Ihre Militanz war in der Tat einer der Faktoren, die
den Krieg heraufbeschworen. Es ist wichtig, sie zu verstehen. Von Anfang an
waren in der calvinistischen Glaubensrichtung des Protestantismus drei Merkmale
ausgeprägt, die bis 1618 noch an Gewicht gewonnen hatten. [1]
Zusammen ergeben sie ein gutes Erklärungsmuster für die Militanz der
Bewegung.
I.
Internationalismus
Der Internationalismus war ein
erstes Merkmal des Calvinismus. Er war viel internationaler und kosmopolitischer
als andere protestantische Glaubensrichtungen. Diesbezüglich konkurrierte
er in der Tat mit dem römischen Katholizismus. Die dem Calvinismus
vorausgehenden lutherischen Formen des Protestantismus waren in ihrem Charakter
sehr deutsch. Sie wurzelten in erster Linie im Heiligen Römischen Reich
Deutscher Nation und gingen einher mit ersten Anzeichen deutschen
Nationalbewußtseins. Selbst wenn sie über die geographischen Grenzen
des Reiches hinausgingen, faßten sie vorwiegend in deutschen Enklaven
Fuß. Eine nennenswerte Ausnahme bildeten lediglich die skandinavischen
Länder, aber auch sie gehörten weitgehend zum germanischen
Kulturkreis. Die aus der protestantischen Reformation hervorgegangenen radikalen
Sekten waren ebenfalls in erster Linie deutsche und überdies meist
örtliche und kurzlebige Erscheinungen. Die einzigen radikalen Gruppen von
Dauer und mit anscheinend breiter Anhängerschaft waren die Böhmischen
Brüder, die weitgehend auf Böhmen beschränkt blieben, sowie die
Mennoniten, die im wesentlichen in den Niederlanden und in den an Deutschland
angrenzenden Gebieten lebten. Der Calvinismus hingegen wurde zu einer wirklich
internationalen Erscheinung. Er wurde die vorherrschende protestantische
Glaubensrichtung in Frankreich, dem Herkunftsland Calvins und seiner
Hauptanhänger; in Verbindung mit dem Zwinglianismus ebenso in der Schweiz,
und zwar sowohl in Gebieten deutscher als auch französischer Kultur; in den
Niederlanden in dem Teil, der sich damals auf dem Weg zur Unabhängigkeit
befand; in Britannien sowohl in Schottland, wo er sich in relativ reiner Form
durchsetzte, als auch in England, dessen Staatskirche die calvinistische
Theologie mit traditionelleren Formen der Liturgie und der Kirchenordnung
verband; in Ungarn, wenn auch mit einer Episkopalverfassung mehr nach dem Muster
der englischen als anderer calvinistischer Kirchen. In Böhmen und Polen
sprach er wesentliche Teile des Adels an. Für kurze Zeit gewann er einzelne
Gruppen in Italien, vor allem im Stadtstaat Lucca, und in Spanien. Im Reich
wurde der Calvinismus zur einzigen Alternative zum Luthertum, die wirklich von
Bedeutung war. Bis 1618 hatte er in zwei von sieben Kurfürstentümern
die Anhängerschaft der führenden Elite gewonnen - in der Pfalz und in
Brandenburg. Ebenso hatte er in einer beträchtlichen Anzahl kleinerer
deutscher Staaten vornehmlich in den westlichen Teilen des Reiches, an der
Grenze zu den Niederlanden und nach Frankreich, eine Anhängerschaft
gefunden.
Durch die Wanderungsbewegungen wurde der
internationale Charakter des Calvinismus ständig verstärkt. Calvin und
seine engsten Anhänger waren in Genf selbst Flüchtlinge aus ihrem
Geburtsland Frankreich. Die meisten der Führer des frühen
niederländischen Calvinismus hatten ihr Flüchtlingsdasein in London,
in deutschen Städten wie Emden und anderswo verbracht. Viele der
führenden Köpfe des frühen britischen Calvinismus hatten sich
während der Regierungszeit von Maria Tudor als Flüchtlinge in
deutschen und schweizerischen Städten aufgehalten. Sie alle teilten die
Erfahrung von Exodus und Diaspora, die ihre tiefe religiöse Bindung zum
Vorschein brachte und verstärkte. Sie schweißte die Mitglieder eng
zusammen. Dieser internationale Austausch setzte sich fort, auch nachdem sich
der Calvinismus in einigen dieser Länder etabliert hatte. Die Akademien und
Universitäten, die sich zu den bedeutendsten Ausbildungszentren der
calvinistischen intellektuellen Elite entwickelten - Genf, Heidelberg und Leiden
-, waren von Anfang an darauf ausgerichtet, Studenten für eine
internationale Bewegung auszubilden, und zogen ständig eine
beträchtliche Anzahl an Lehrern und Studenten aus anderen Ländern
an. [2] Sie waren nicht wie einige deutsche Universitäten in erster
Linie auf den Bedarf des Heimatgebietes
ausgerichtet.
Sein internationaler Charakter
erklärt den großen Anklang, den der Calvinismus bei vielen der
deutschen Regierungen fand, die im Dreißigjährigen Krieg eine
wichtige Rolle spielten. Als z.B. im Jahre 1608 unter Führung der Kurpfalz
eine Union protestantischer Fürstentümer und Städte, die mit dem
Calvinismus sympathisierten, gegründet wurde, geschah dies u.a. auch in der
Hoffnung auf die Unterstützung ihrer politischen Ziele durch die
französischen adligen Hugenotten und durch die niederländischen
Calvinisten unter Führung der Prinzen von Oranien. Als der pfälzische
Kurfürst Friedrich V. im Jahre 1613 Prinzessin Elisabeth, die Tochter
Jakobs I. von England, heiratete, war diese Heirat zum Teil mit Blick auf eine
etwaige englische Unterstützung der Politik der deutschen Calvinisten im
Reich arrangiert worden. Als die böhmischen Stände Friedrich V. im
Jahre 1619 anstelle des Habsburgers die Königskrone anboten, spekulierte
man damit auf internationale Hilfe zugunsten einer Regierung, die weniger
abhängig wäre von ihren mächtigen habsburgischen Nachbarn. Der
Lauf der Ereignisse sollte zeigen, daß diese Hoffnungen Illusionen waren,
aber die Tatsache, daß sie bestehen konnten, ist der Beweis für den
internationalen Charakter des Calvinismus.
II.
Kirchenzucht
Die Betonung der Kirchenzucht war ein
zweites Merkmal des Calvinismus und möglicherweise dasjenige, das ihn am
stärksten von seinem lutherischen Gegenpart unterschied. Offizielle
lutherische Äußerungen machten nur zwei notae oder Kennzeichen
einer wahren Kirche geltend: die wahre Verkündigung der Bibel und die
rechte Spendung der Sakramente. Nach den Worten der maßgeblichen
Augsburger Konfession konstituierte eine Gruppe von Menschen eine wahre Kirche,
wenn unter den Mitgliedern das "evangelium pure docetur et recte administrantur
sacramenta". Calvin hingegen bestand mit zunehmender Vehemenz darauf, daß
es für Christen wesentlich sei, nicht nur den wahren Glauben anzunehmen,
sondern auch das richtige Verhalten auszuprägen. In den meisten seiner
Schriften fehlt diese Formel, sie findet sich aber in denen einiger seiner
Nachfolger und Anhänger, insbesondere bei Peter Martyr
Vermigli. [3] Und einige der nationalen reformierten Konfessionen
fügten den beiden lutherischen ein drittes nota oder Kennzeichen der
wahren Kirche hinzu, das Merkmal der Kirchenzucht, die die Ausprägung eines
wahrhaft christlichen Lebenswandels gewährleisten sollte. Die Betonung der
Kirchenzucht war in der calvinistischen Bewegung von Anfang an deutlich. Als
Calvin im Jahre 1541 die Führung der reformierten Kirche von Genf
übernahm, bestand er auf der Gründung einer Institution mit der
Befugnis zur Überwachung des Lebenswandels eines jeden Gemeindemitglieds.
Es wurde Konsistorium genannt und war ein gemeinsames kirchliches und weltliches
Organ mit weitreichenden Befugnissen zur Prüfung und Besserung des
Verhaltens jeder einzelnen Person in der Gemeinde, ungeachtet ihrer sozialen
Stellung. [4] Calvin tat alles, um diesem Organ zum Erfolg zu verhelfen.
Als die Vollmachten des Konsistoriums in späteren Jahren ins Kreuzfeuer der
Kritik gerieten, drohte er, Genf zu verlassen und gewann schließlich die
allgemeine Zustimmung zu den Aktivitäten dieses Organs. In fast allen
Gemeinden, in denen sich Calvinisten etablierten, wurden ähnliche
Institutionen geschaffen. [5] Am ehesten sind sie vielleicht bekannt
für ihre Bemühungen um die Überwachung des Sexualverhaltens, um
die Integrität der christlichen Familie zu bewahren. Dabei übernahmen
sie einige der Funktionen der bischöflichen Gerichte in katholischen
Ländern, denen häufig vorrangig, wenn nicht ausschließlich die
Rechtsprechung in Ehefragen oblag. Ebenso wie diese Vorgängerinstitutionen
wurden die Konsistorien tatsächlich häufig in Fällen von
gebrochenem Eheversprechen tätig. Sie bemühten sich um die
Beurteilung, ob tatsächlich gültige Eheversprechen vorlagen und ob ein
Paar daher verpflichtet werden sollte, zusammenzuleben. Sie entwirrten ebenfalls
Fälle von Bigamie, indem sie entschieden, welche von verschiedenen Heiraten
die gültige sei. Sie waren auch mit Scheidungsverfahren befaßt und
hatten die Vollmacht, die Erlaubnis zur Wiederheirat zu erteilen - etwas, was
bei den katholischen Gerichten nicht möglich gewesen war. Überdies
handelten sie als Moralgerichte, indem sie unentwegt Kampagnen führten zur
Eindämmung oder Abschaffung von Unzucht und Ehebruch. Doch die Konsistorien
versuchten auch viele andere Arten des Verhaltens zu kontrollieren. Oft
maßregelten sie Geschäftsleute, um Wucher (übermäßige
Darlehnszinsen) und andere skrupellose Praktiken zu verhindern. Häufig
griffen sie ein, um religiöses Verhalten zu regulieren, Menschen von
traditionellen katholischen Riten abzubringen und ihnen protestantische
Ersatzrituale beizubringen, sie vor dem Rückfall zum Katholizismus zu
bewahren und sie von radikalen religiösen Gruppen fernzuhalten. Sie waren
bemüht, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu sichern,
indem sie z.B. wegen öffentlicher Trunkenheit Verurteilte - ein häufig
anzutreffendes Problem in der calvinistischen ostfriesischen Stadt Emden -
zurechtwiesen und bestraften. [6] Oftmals war die wichtigste Funktion
der Konsistorien einfach, Streitigkeiten zu schlichten, ob zwischen Eheleuten,
Geschäftspartnern oder engen Nachbarn. In der Tat scheinen sie häufig
eher Pflichtberatungsstellen gewesen zu sein als juristische
Institutionen.
Das konkrete Ausmaß der
Befugnisse der Konsistorien hing natürlich davon ab, wieviel
Unterstützung die Calvinisten in der jeweiligen Gemeinde für ihre
Grundsätze erlangten. Eine vollständige Verhaltenskontrolle war nur
möglich in Gebieten wie Genf oder Schottland, wo die Calvinisten auch die
lokale Regierung unter Kontrolle hatten. In Ländern wie Frankreich, wo die
Calvinisten normalerweise geschützte Minderheiten waren, oder den
Niederlanden, wo neben den Calvinisten ansehnliche Gemeinden von Mennoniten und
Katholiken ihren Glauben ausüben durften, wurden die Konsistorien
zwangsläufig eher zu rein kirchlichen Institutionen, deren Reichweite
eingeschränkt war.
Folglich war die
Bevölkerung dort, wo der Calvinismus sich durchgesetzt hatte, streng
diszipliniert, und traditionelle Verhaltensexzesse wurden systematisch
unterbunden und reduziert. Der Erfolg dieser Kirchenzucht wird durch eine Reihe
von Zahlen belegt. Charakteristischerweise fiel z.B. die uneheliche Geburtenrate
auf ein sehr niedriges Niveau.Die guten Erfolge der Calvinisten bei der
Herstellung von Disziplin konnten sich für Regierungen, in deren
Zuständigkeit die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung
grundsätzlich liegt, als sehr attraktiv erweisen. Zur Rechtfertigung seines
Übertritts zur calvinistischen Glaubensrichtung des Protestantismus betonte
der pfälzische Kurfürst Friedrich III. im Vorwort zum Heidelberger
Katechismus von 1563 ausdrücklich, daß er der Ansicht sei, sie
würde einhergehend mit einer "reformatio doctrinae" eine "reformatio vitae"
beschleunigen. [7] Andere deutsche Regierungen mögen sich ebenfalls
in der Hoffnung auf eine willkommene Disziplinierung ihrer Untertanen vom
Calvinismus angezogen gefühlt haben.
III.
Theologie der Souveränität Gottes
Ein
drittes Merkmal des Calvinismus war die Hervorhebung der Souveränität
Gottes, die das deutlichste Kennzeichen dieser Theologie darstellte. Die
Majestät, die Allwissenheit und Allmacht eines transzendenten Gottes wurde
von calvinistischen Theologen stärker betont als in den meisten
christlichen Kirchen. Diese Betonung der Macht Gottes erklärt viele der
theologischen Differenzen, die schließlich den Calvinismus sowohl vom
römischen Katholizismus als auch vom Luthertum, den beiden anderen
bedeutenden Konfessionen im Deutschland des späten 16. und des 17.
Jahrhunderts, trennten. Der Streitpunkt, der die erbittertste Debatte der Zeit
heraufbeschwor, war die Frage, was im zentralen christlichen Sakrament des
Abendmahls geschieht. Die Lutheraner stimmten mit den Katholiken darin
überein, daß der Leib Christi in den Elementen Brot und Wein, die im
Abendmahl dargereicht werden, physisch gegenwärtig sei. Die Calvinisten
vertraten die Lehre, daß der aufgefahrene Leib Christi sich immer im
Himmel, zur Rechten Gottes, befinde und daß er nicht durch die Handlung
menschlicher Priester auf den Altar heruntergeholt werden könne, an dem das
Abendmahl gefeiert wird. Im Geiste sei Christus natürlich im Abendmahl
gegenwärtig, und die Calvinisten hatten sogar die Vorstellung, daß
sich die Seelen der wahren Gläubigen während des Sakraments in den
Himmel erhöben, um mit dem aufgefahrenen Christus in seinem auferstandenen
Leib zu kommunizieren. In diesem Sinne könne man sagen, daß Christus
im Abendmahl leiblich anwesend sei. Aber sie beharrten darauf, daß
Christus nicht vom Himmel heruntergeholt werden und seinen Leib geben könne
zur Umwandlung in Substanzen wie Brot und Wein, die von Menschenhand gemacht
sind. In der Tat beschuldigten Calvinisten häufig ihre Gegner, eine Art von
Kannibalismus zu vertreten, indem sie wagten, den Leib Christi in grobe Nahrung
zu verwandeln, die nach der Verdauung zu Exkrementen würde. Diese
Anschuldigungen erregten ihre Gegner und führten zu immer erbitterteren
Kontroversen. [8]
Die starke Hervorhebung
der Macht Gottes erklärt auch das Festhalten der Calvinisten an der
Doktrin, durch die der Calvinismus bis heute am ehesten bekannt ist, der
Prädestinationslehre. Die meisten orthodoxen Christen glaubten
natürlich in der einen oder anderen Form an die augustinische
Prädestinationslehre. Sie hielten an der Verurteilung der Häresie der
Pelagianer durch die frühe Kirche fest, der Lehre, daß Christen durch
eigenes Verdienst den Lohn des ewigen Lebens erlangen können, daß sie
sich durch freie Entscheidung im Einklang mit Gottes Geboten richtig verhalten
können. Dies war für Augustinus und seine Anhänger untragbar. Sie
meinten, diese Lehre mindere die Macht Gottes auf nicht hinnehmbare Art und
Weise, indem sie davon ausgehe, die Menschen seien stark und klug genug, ihr
eigenes Schicksal zu wählen und dem allmächtigen Gott vorzuschreiben,
daß er sie in den Himmel einlassen müsse. Augustinus lehrte, nur Gott
könne die Rettung einer individuellen menschlichen Seele bewirken. Und er
lehrte darüber hinaus, daß Gott diese Entscheidung vor der Geburt
eines jeden Individuums getroffen habe, daß jeder Seele, die den Lohn der
ewigen Seligkeit erlange, dieses Ziel vorherbestimmt
sei.
Diese Doktrin ließ verschiedene
Probleme ungelöst. Sie erklärte im einzelnen nicht das Schicksal der
Verworfenen, der Mehrheit der Menschen, die der Strafe der ewigen Verdammnis
anheimfielen. Calvin und seine Anhänger lehrten, daß die Verworfenen
ebenfalls prädestiniert seien, daß sie im vorhinein von Gott zur
ewigen Verdammnis bestimmt worden seien. Kurz, sie glaubten an die doppelte
Prädestination, nämlich der zum Heil Auserwählten sowie der zur
Verdammnis Verworfenen. Die Mehrheit der übrigen Christen erblickte darin
eine extreme Haltung. Für sie wurde Gott damit zum Tyrannen, zum
Schöpfer des Bösen gemacht. Sie gaben der Position den Vorzug, die als
"Lehre der einfachen Prädestination" bezeichnet wurde: Gott allein sei es
zu verdanken, wenn Menschen das Heil erlangten, und diese seien in der Tat
vorherbestimmt; doch diejenigen, die der Verdammnis anheimfielen, seien selbst
verantwortlich für ihr Schicksal, indem sie sich freiwillig gegen das
Gnadenangebot Gottes wendeten. Für die Calvinisten war diese Art der
Prädestination unannehmbar. Sie mindere die Macht Gottes. Sie beinhalte,
daß die Menschen stark genug seien, Gott zu widerstehen und zu trotzen.
Sie sei außerdem unlogisch: Wenn Gott mächtig genug sei, einige zum
Heil vorherzubestimmen, so müsse er auch mächtig genug sein, andere
zur Verdammnis vorherzubestimmen.
Ein anderes
Problem, das in der augustinischen Lehre ungelöst blieb, war eine
historische Frage. Wann entschied Gott, daß jedem Individuum entweder das
Heil oder die Verdammnis zuteil werde? War die Entscheidung nach der Erschaffung
Adams, des ersten Menschen, gefallen, als Gott entdeckte, daß sein neues
Geschöpf ernstlich fehlerhaft und so verdorben war, daß kein
Verlaß darauf sei, daß er das Heil verdiene, und daß er es nur
durch Gottes gnädigen Ratschluß, ihn trotz seiner Sünden zu
retten, erlangen könne? Oder war sie gefallen, bevor Adam erschaffen wurde,
vielleicht sogar schon vor Bestehen der Zeit? Der erste Standpunkt wurde
infralapsarisch genannt, nämlich daß Gott diese Entscheidung nach dem
Fall des ersten Menschen, Adams, getroffen habe, der letztere supralapsarisch,
nämlich daß Gott die Notwendigkeit dieser Entscheidung bereits vor
der Erschaffung des Menschen vorhergesehen habe. Die meisten Calvinisten waren
supralapsarisch. Die Annahme, daß Gott vor der Erschaffung Adams nicht
gewußt habe, daß dieser sich als verdorben erweisen würde,
hieße, daß Gott nicht allwissend sei. Daher müsse Gott
über das endgültige Schicksal einer jeden Seele vor Beginn der
Schöpfung, vor Beginn der Zeit entschieden
haben.
Die calvinistische
Prädestinationslehre war so hart, daß sie für viele, auch
innerhalb der calvinistischen Gemeinde, kaum zu akzeptieren war. Schon zu
Lebzeiten Calvins stieß sie auf Kritik, und er wehrte sich dagegen, indem
er die Doktrin immer dogmatischer weiterentwickelte. Die Calvinisten in den
Niederlanden waren im frühen 17. Jahrhundert in dieser Streitfrage
ernstlich gespalten. Die eine Seite versuchte unter Führung eines Theologen
namens Arminius, die calvinistische Prädestinationslehre zu mildern. Ihre
Mitglieder erarbeiteten im Jahre 1610 eine Fünf-Punkte-Remonstration, die
Vorschläge zur Abmilderung enthielt. Die Punkte lauteten
folgendermaßen: 1. Gottes ewiger Ratschluß zur Erwählung
bezieht sich nur auf diejenigen, die glauben und dem Glauben treu sind, nicht
auf Ungläubige. 2. Christus starb, um alle Menschen zu erlösen,
wenngleich dieses Sühneopfer nur Gläubigen zugute kommt. Gott wollte
die gesamte Menschheit erlösen, mit anderen Worten: letztlich vermochte er
es jedoch nicht. 3. Der Mensch kann nichts Gutes tun, bevor er durch den
Heiligen Geist wiedergeboren ist, doch nach dieser Wiedergeburt kann er Gutes
tun. 4. Die Gnade ist nicht unwiderstehlich. Gott kann den Menschen nicht
zwingen, das ewige Heil anzunehmen. 5. Den Gläubigen wird durch die Gnade
geholfen, der Versuchung zu widerstehen, und sie werden vor dem Versagen
gerettet, jedoch nur, wenn sie die Hilfe Christi ersehnen und nicht untätig
sind.
Die andere Seite der niederländischen
Calvinisten wies diese Remonstration als groben Verrat an den Lehren Calvins und
deren Folgerungen heftig zurück. Diese Gruppe wurde von einem Theologen
namens Gomarus angeführt. Die Kontroverse war so erbittert, daß sie
die gesamte calvinistische Bewegung nicht nur in den Niederlanden, sondern auch
darüber hinaus zu spalten drohte. Innerhalb der Niederlande lief der Streit
darauf hinaus, daß sich einige der wohlhabenderen Kaufleute in Amsterdam
und anderen Städten, die sich von den Lehren des Arminius angezogen
fühlten, den vielen Frommen in ländlichen Gebieten, die weiterhin dem
traditionellen Calvinismus anhingen, feindlich gegenüberstellten. Er
spaltete auch die Regierung: Johan von Oldenbarnevelt, Ratspensionär der
Provinz Holland, unterstützte die Arminianer; Moritz von Nassau,
Statthalter der Niederlande und in dieser Eigenschaft auch Oberbefehlshaber der
Streitkräfte, unterstützte die
Gomaristen.
Um diese Kontroverse beizulegen, wurde
eine Synode, auf der die gesamte internationale Gemeinde der Calvinisten
vertreten sein sollte, in die Stadt Dordrecht in den Niederlanden einberufen und
tagte in den Jahren 1618 und 1619 über einen Zeitraum von mehreren Monaten.
Es fanden sich Vertreter ein, nicht nur aus den Niederlanden, sondern auch aus
deutschen Staaten wie der Pfalz, aus Schottland und England sowie aus
verschiedenen unabhängigen - heute schweizerischen - Städten wie
Zürich und Genf. Die königliche Regierung Frankreichs verhinderte den
Besuch protestantischer Delegierter aus ihrem Land. Die Synode kam
schließlich zu Entscheidungen, die im wesentlichen die gomaristische
Position stützten. Sie verpflichteten die gesamte calvinistische Bewegung
auf die sogenannten Fünf Artikel des Calvinismus: 1. Bedingungslose
Erwählung - Gott ist vollkommen frei, einen jeden Menschen zum Heil
vorherzubestimmen, ungeachtet dessen, ob er vorhersieht, daß er glaubt
oder nicht. 2. Eingeschränktes Sühneopfer - Christus starb nur
für diejenigen, die zum Heil vorherbestimmt sind. 3. Totale Verworfenheit -
der Mensch ist durch den Sündenfall einer solchen Verderbnis
anheimgefallen, daß er gar nichts tun kann, um das Heil zu erlangen. 4.
Unwiderstehliche Gnade - das Angebot göttlicher Gnade ist so mächtig,
daß der Mensch sich ihr nicht widersetzen kann. 5. Die Standhaftigkeit der
Heiligen - diejenigen, die zum Heil vorherbestimmt sind, können nicht
abtrünnig werden oder ihres ewigen Lohns verlustig
gehen.
Der Kanon der Synode von Dordrecht wurde
generell von den calvinistischen Gemeinden der ganzen Welt angenommen. Somit
hatten die ideologischen Führer des internationalen Calvinismus die gesamte
Bewegung genau zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Dreißigjährigen
Krieges im Heiligen Römischen Reich auf eine ungewöhnlich rigide und
kompromißlose Version der Prädestination verpflichtet. Darüber
hinaus taten die politischen Führer, die diese Theologen unterstützt
hatten, alles in ihrer Macht Stehende, um diesem Standpunkt den Erfolg zu
garantieren. In den Niederlanden selbst wurde unter Führung von Moritz von
Nassau generell rigoros gegen die Remonstranten - wie die Anhänger
Arminius' im allgemeinen genannt wurden - vorgegangen. Oldenbarnevelt wurde
sogar zum Tode verurteilt, und andere, wie der berühmte Rechtsphilosoph
Hugo Grotius, wurden verbannt.
Freilich ist zu
bezweifeln, daß die breite Masse der Calvinisten den Debatten zur
Prädestination, die in Dordrecht geführt wurden, in allen ihren
Nuancen folgen konnte. Tatsächlich wird von Moritz von Nassau, dem
zeitweiligen Führer der Partei der harten Linie unter den Calvinisten,
behauptet, er habe zugegeben, daß er nicht wisse, ob die
Prädestination blau oder grün sei. Er war einfach der
Überzeugung, daß die Partei von Gomarus recht habe und die Partei von
Arminius unrecht. Deutlich ist aber, daß genügend von der
Prädestinationslehre bis ins Volk durchsickerte, um den durchschnittlichen
Calvinisten davon zu überzeugen, daß Gott so mächtig sei,
daß er über das ewige Schicksal eines jeden einzelnen Menschen
bereits vor unser aller Geburt entschieden habe. Die Calvinisten wurden somit
auf eine Weltanschauung verpflichtet, die von Grund auf fatalistisch ist, die
davon ausgeht, daß alles, was in diesem Universum geschieht, von Gott
bestimmt sei. So waren die meisten überzeugt, daß sie zu den
Auserwählten gehörten, daß sie Gottes Heilige seien,
prädestiniert zur ewigen Erlösung, und daß es nichts in dieser
Welt oder darüber hinaus gebe, was ihnen ihren Lohn streitig machen
könne.
Die Geschichte zeigt, daß
Menschen mit dieser fatalistischen Auffassung besonders militant werden
können. Sie können leicht der Überzeugung anheimfallen, daß
sie Gottes erwählte Werkzeuge auf Erden seien und daß nichts sie
hindern könne; selbst wenn sie im Kampf für die Wahrheit Gottes
sterben, erwarte sie der Lohn der Ewigkeit. Auffallende Parallelen gibt es z.B.
bei den Moslems, die dem Dschihad verpflichtet sind, dem religiösen
Krieg gegen die Ungläubigen ohne jegliche Möglichkeit des Kompromisses
oder des Verschonens. Diese geistige Disposition ist ein Erklärungsmuster
für die Psychologie der Calvinisten, die den Krieg mit in Gang setzten.
Viele derjenigen, die Christian von Anhalt zugunsten des pfälzischen
Kurfürsten Friedrich V. mobilisierte, waren der Überzeugung, daß
sie die prädestinierten Erwählten Gottes seien, daß Gott auf
ihrer Seite stehe, daß sich keine Macht dieser Erde ihnen widersetzen
könne und daß selbst wenn sie in der Schlacht geschlagen würden,
die Niederlage nur temporär und der endgültige Sieg der ihre sein
würde.
IV.
Auswirkungen
Nachdem wir nun die calvinistische
Militanz erklärt haben, betrachten wir ihre Auswirkungen. Die
offensichtlichste war der Krieg. Über weite Strecken des späten 16.
und frühen 17. Jahrhunderts waren Calvinisten gerade in besonders grausamen
Religionskriegen die treibende Kraft. Diese begannen in Frankreich und
verwüsteten das Land von 1562 bis 1598, als das Edikt von Nantes sie
schließlich durch eine eingeschränkte Duldung des Calvinismus
beendete. Nach diesen Kriegen war der Calvinismus in Frankreich an Zahl und
Stärke wesentlich geschwächt. Das Massaker der Bartholomäusnacht
von 1572 erwies sich als besonders verheerend, indem es zur Rückkehr vieler
Calvinisten zum Katholizismus und zur Auswanderung nicht weniger in andere
Länder führte. Die Religionskriege setzten sich in den Niederlanden
fort, dieses Mal zielten sie außerdem auf die Unabhängigkeit von der
spanischen Herrschaft. Sie begannen dort im Jahre 1566 mit Aufständen in
großem Maßstab, steigerten sich 1572 zur offenen Revolte unter
Führung der Prinzen von Oranien und wurden während des gesamten
Dreißigjährigen Krieges im Reich fortgesetzt. In der Tat endeten sie
erst mit dem Westfälischen Frieden, der in einer seiner vielen Regelungen
schließlich die Unabhängigkeit der nördlichen Vereinigten
Provinzen der Niederlande und sie damit als einen neuen europäischen Staat
anerkannte. Später im 17. Jahrhundert stürzten militante Calvinisten
in Schottland und England ihre Insel in einen religiösen Bürgerkrieg,
die puritanische Revolution, die im Jahre 1640 begann, durch die später die
Monarchie beendet und der König zum Tode verurteilt wurde. Die Monarchie
wurde zunächst durch ein von calvinistischen Presbyterianern in Verbindung
mit den Schotten dominiertes Parlamentsregime ersetzt, dann durch die
Militärdiktatur Cromwells in Verbindung mit den unabhängigen
calvinistischen Kongregationalisten.
In keinem
Land, in dem die Calvinisten den Religionskrieg mit heraufbeschworen, war der
Kampf so intensiv oder hatte so verheerende Folgen wie im Heiligen
Römischen Reich. Die calvinistische Militanz begann sich dort erst im Jahre
1608 zu formieren, als Christian von Anhalt die Organisation einer evangelischen
Staatenunion anführte, die die Glaubenssätze der reformierten Richtung
des Protestantismus teilte. Einen Höhepunkt erreichten sie am
pfälzischen Hof, wo Christian von Anhalt - jetzt als leitender Minister des
Kurfürsten - eine Gruppe calvinistischer adliger Sympathisanten aus ganz
Europa zu einer Art Generalstab für die Bewegung versammelte. [9]
Diese Gruppe förderte die Kandidatur von Kurfürst Friedrich V.
für die böhmische Krone - ein Schritt, der die katholischen Habsburger
so sehr in Rage versetzte, daß er das erste Stadium des
Dreißigjährigen Krieges
heraufbeschwor.
Freilich kann von keinem dieser
Kriege behauptet werden, er habe zu einem wirklichen Sieg für den
Calvinismus geführt. In Wirklichkeit erlitten die Calvinisten weitaus mehr
Niederlagen als Siege. In Frankreich sahen die Calvinisten ihre Position als
eine geduldete Minderheit über das gesamte Jahrhundert hinweg zunehmend
ausgehöhlt. Nach einer weiteren Episode des bewaffneten Aufstands wurde ihr
wichtigster Stützpunkt La Rochelle im Jahre 1629 durch königliche
Armeen zum vollständigen Gehorsam gegenüber der Krone gezwungen, und
sie verloren die meisten ihrer politischen Rechte, insbesondere das Recht, in
ausgewählten Städten bewaffnete Garnisonen zu unterhalten. Nachdem
Ludwig XIV. im Jahre 1661 persönlich die französische Regierung
übernommen hatte, erfuhren die Calvinisten eine weitere Aushöhlung
ihrer Rechte und waren ständigen Angriffen ausgesetzt, bis der König
im Jahre 1685 schließlich einseitig das Edikt von Nantes widerrief und
damit ihre Existenz im Lande für illegal erklärte. In den Niederlanden
verloren die Calvinisten in ihrem Achtzigjährigen Krieg gegen die Spanier
jegliche Kontrolle über die zehn südlichen Provinzen, erlangten
allerdings den Aufbau eines eigenen Staatswesens in den sieben nördlichen
Provinzen. Neuere Forschungen machen jedoch deutlich, daß dieser Sieg kein
vollständiger und ungetrübter Triumph des Calvinismus war. Ein
wesentlicher Prozentsatz der Bevölkerung im Norden blieb katholisch oder
wurde mennonitisch. Nur eine herrschende Elite, oft eine Minderheit, war
wirklich calvinistisch. In Britannien endeten zwanzig Jahre calvinistischer
Herrschaft der einen oder der anderen Richtung - von 1640 bis 1660 - mit einer
Restauration der Monarchie und der Kirche von England, die nunmehr in ihrer
Theologie viel weniger calvinistisch war als im 16. Jahrhundert und viel
stärker der Episkopalverfassung und den traditionellen Formen der Liturgie
verpflichtet war.
Im Heiligen Römischen Reich
war der Calvinismus nahezu völlig ausgelöscht. In der Schlacht am
Weißen Berg in Böhmen wurden die von Christian von Anhalt zugunsten
Friedrichs V. versammelten Streitkräfte vernichtet und das gesamte
Territorium zwangsweise rekatholisiert. Beide hussitischen Kirchen, die
länger als ein Jahrhundert Bestand gehabt hatten, sowie später
gegründete protestantische Kirchen wurden geschlossen. Die Pfalz selbst
wurde eine Zeitlang von katholischen Armeen besetzt und Friedrich aus dem Gebiet
insgesamt vertrieben und gezwungen, sein Leben im Exil in den Niederlanden zu
verbringen. In Ungarn wurde eine Gruppe eifriger Calvinisten in eine Enklave im
östlichen Landesteil abgedrängt, wo sie nur deshalb überlebte,
weil vordringende türkische Armeen dem habsburgischen Vorstoß
standhielten und sie unter den Schutz des Islams stellten. Das übrige Land
wurde wie Böhmen rekatholisiert. Zwar wurde der Dreißigjährige
Krieg fortgesetzt, doch die Hauptgegner waren nun Lutheraner und
Katholiken.
Freilich überlebten die
Calvinisten den Dreißigjährigen Krieg durchaus. In der Tat gab der
Westfälische Friede ihnen eine Art Rechtsgrundlage, die sie nie zuvor
besessen hatten. Das Recht der Religionswahl für die Herrscher im Reich war
nun nicht mehr beschränkt auf Katholiken und lutherische Anhänger der
Augsburger Konfession. Es gab nun eine dritte Option, die des
Calvinismus.
Die Calvinisten gingen jedoch aus der
Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges erheblich ernüchtert und
gemäßigt hervor. Sie blieben so international wie je. In der Tat
stärkten und vertieften die Verfolgungs- und Exilperioden, die durch diese
Kriege herbeigeführt worden waren, ihre internationalen Bindungen. Sie
blieben der Sittenzucht so verpflichtet wie vorher, doch im allgemeinen nur in
bezug auf ihre eigenen Gemeinden, kaum mit der Erwartung, andere in ihr Netz der
sozialen Kontrolle einbeziehen zu können. Eine Zeitlang blieben sie auch
der Theologie der Souveränität Gottes, der allein verantwortlich sei
für die Vorherbestimmung der gesamten Menschheit zum Heil oder zur
Verdammnis, weiterhin verpflichtet. Doch in diesem Punkt begannen sie zu
schwanken. Während der mittleren Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts begann
eine Reihe französischer Theologen - die meisten von ihnen standen in
Verbindung mit der Akademie von Saumur, und der prominenteste unter ihnen war
Moise Amyraut - Theorien zur göttlichen Erwählung zu entwickeln, die
die calvinistische Prädestinationslehre in Details abschwächten. Als
Reaktion darauf erarbeiteten verschiedene schweizerische Theologen Versionen der
Doktrin und damit verbundener Inhalte der theologischen Kontroverse, die noch
extremer waren als die von Dordrecht. Die extremste aus dieser Sichtweise je
entwickelte offizielle Stellungnahme ist wohl der Helvetische Consensus von
1675, der in Zürich von Johann Heinrich Heidegger in enger Absprache mit
dem Genfer François Turrettini und anderen schweizerischen Theologen
entworfen worden war. Er wurde von den reformierten Regierungen der Schweiz
zwischen 1675 und 1678 formal angenommen, und alle in ihre kirchlichen Dienste
eingestellten Geistlichen mußten sich ihm verpflichten. Anders als der
Kanon der Synode von Dordrecht erhielt dieser jedoch nicht viel Zustimmung von
den Calvinisten in anderen Ländern. In der Tat protestierte der Große
Kurfürst von Brandenburg bald im Namen der deutschen Calvinisten dagegen,
ebenso taten es die Engländer und die Hugenotten in Frankreich; selbst
für die Schweizer blieb der Helvetische Consensus nicht annehmbar. In der
nächsten Generation wurde seine Verwerfung in Genf durch den Sohn von
François Turrettini, Jean-Alphonse, vorangetrieben, der den Weg zu einer
liberaleren und ökumenischeren Form des Protestantismus wies. Immer weniger
schweizerische Regierungen verlangten die Anwendung des Helvetischen Consensus.
Nach weiteren Protesten aus Brandenburg und England im Jahre 1722 wurde er ganz
aufgegeben. In den folgenden Jahren verlor der traditionelle Calvinismus durch
den Pietismus und den Rationalismus in vielen anderen Teilen Europas mehr und
mehr an Glaubwürdigkeit.
Im frühen 18.
Jahrhundert war deutlich, daß der Calvinismus im Schwinden begriffen war
und daß er keinerlei Militanz mehr besaß, die zu Religionskriegen
führen konnte. Er überlebt natürlich bis heute in mehr oder
minder gemilderter Form. Aber er ist nicht mehr die mächtige politische
Kraft, die er einst war.