DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
FRIEDHELM JÜRGENSMEIER "Multa Ad Pietatem Composita" - Bestand und Wandel. Katholische Frömmigkeit zwischen 1555 und 1648 |
Zu den dominanten Begriffen der Zeit vom 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts zählen
reformatio und religio. Reform als Forderung und in konkreter
Umsetzung wurde nachgerade epochebestimmend: Reform der Kirche an Haupt und
Gliedern als zentraler, doch im wesentlichen uneingelöst gebliebener
Programmpunkt der Konzilien von Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1438/1449),
reformatio generalis, wie sie ein Nikolaus Cusanus (1402-1464) und andere
einforderten, monastische Reformbestrebungen, Reformanstöße der
vielgestaltigen Strömung des Humanismus, Reichsreform, dann
reformatorischer Aufbruch, reformatorische Bewegung, Reformatoren, Reformation,
Reformtheologen, reformiertes Bekenntnis, tridentinische Reform. Ungeachtet der
zum Teil heftigen Kritik an der bestehenden Gestalt und Struktur der Kirche
wollten diese auf Erneuerung des kirchlichen und religiösen Lebens
drängenden Kräfte zunächst nicht Spaltung, sondern für
notwendig erachtete Veränderung und Verbesserung. Dennoch endete der 1517
in neuer Dimension und Qualität in Gang gekommene Reform- und
Emanzipationsprozeß mit Trennung. Politische Konstellationen, die
fortgeschrittene Entwicklung der evangelischen Konfessionsbildung und
Kirchenverfassung und wiedergewonnener katholischer Behauptungswille
ließen es nicht mehr zu, daß aus dem 1545 eröffneten Konzil von
Trient (bis 1563) eine Kirchenversammlung der Einheit wurde. Dessen
Entscheidung, parallel zu der Reform auch die umstrittenen Glaubensfragen zu
behandeln sowie die im Verlaufe des Konzils vielfach erfolgte Festlegung von
Glaubensinhalten und Normen in Dekreten und Canones [1]
forcierten vielmehr den Fortgang der Trennung. Auf der Ebene des Reiches war
diese Entwicklung 1548 in die entscheidende Phase getreten. Das Vorhaben des
Kaisers, über das politische Diktat des Interims die konfessionelle Einheit
im Reich wiederherzustellen, mißlang und trug zur weiteren Verhärtung
der Fronten bei. Nach dem Fürstenaufstand und der Niederlage des Kaisers
1552 war die Kirchenspaltung faktisch vollzogen. Der Reichstag von 1555 trug dem
in der politischen Entscheidung der reichskirchenrechtlichen Anerkennung von
zwei Konfessionen Rechnung. [2] Es war eine tiefgehende Zäsur, die
in ihrer weitreichenden Konsequenz katholischerseits erst 1566 richtig zum
Bewußtsein kam [3] und ab den 70er Jahren deutliche Reaktionen
auslöste. Inzwischen hatte als weiteres Bekenntnis auch die von Jean Calvin
und Genf ausgehende Reformation im Reiche Fuß gefaßt. Somit standen
sich drei Konfessionen gegenüber, die alle für sich in Anspruch
nahmen, das rechte Bekenntnis zu haben und die wahre Religion zu sein, eine
religio, die es nach innen und außen zu festigen, abzusichern,
durchzusetzen und zu verteidigen galt. Religion ist ein Schlüsselwort der
Zeit von 1555 bis 1648: Reichsreligionsfrieden, französische
Religionskriege, Religionskontroversen, Religionsgravamina,
Religionsverhandlungen auf dem Westfälischen Friedenskongreß - zur
Beendigung jenes vielgestaltigen Kriegsgeschehens, das als
"Dreißigjähriger Krieg" [4] in die Geschichte einging, bis
etwa 1635 in unterschiedlicher Qualität und Intensität Religion als
Motiv und Ursache mit einbezog [5] und dennoch nur undifferenziert als
"Religionskrieg" [6] deklariert werden kann -, Regelung der
Religionsangelegenheiten schließlich in Artikel V des am 24. Oktober 1648
in Münster unterzeichneten Instrumentum Pacis Osnabrugense, mit dem
für rund 150 Jahre ein geordnetes und relativ friedliches Nebeneinander der
drei jetzt rechtlich anerkannten Konfessionen bzw. Kirchen oder Religionen im
Reich ermöglicht wurde.
Bei so gehäufter
Präsenz von Reform und Religion, beide Begriffe offen für
vielfältige Inhalte und Interpretationen, wundert es nicht, daß sich
seit dem 16. Jahrhundert die Wissenschaft intensiv mit dieser Thematik
befaßte. Dabei kam vielfach zur Sprache, daß Fehlentwicklungen im
religiösen Leben und Frömmigkeitsformen, die zentrale
Glaubenswahrheiten überwucherten, den Ruf nach Reformen laut werden
ließen und die Reformation mitverursachten. Viele religiöse
Traditionen kamen auf den Prüfstand. Mit den verschiedenen Formen der
Frömmigkeit bzw. dem, was pietas - Frömmigkeit [7] -
ist und welche Rolle sie im Leben der Menschen spielt, beschäftigte sich
die Wissenschaft erst seit Ende des 18. Jahrhunderts, als Vertreter der
Aufklärung begannen, die Eigentümlichkeiten von Land und Leuten zu
untersuchen und dabei auf das zentrale Phänomen des Religiösen
stießen. Ihre Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf volkstümliche
Traditionen, mit dem 1846 in England aufgekommenen Kunstwort auch Folklore
genannt. Aus dem anfänglichen Interesse formierte sich die Volkskunde, die
sich seit Ende des 19. Jahrhunderts als Wissenschaft vom "Leben in
überlieferten Ordnungen" (Leopold Schmidt) an den Universitäten
etablierte. [8] Die früh erkannte Bedeutung von Religion im Leben
des Volkes führte zur Herausbildung einer eigenen Sparte "Religiöse
Volkskunde" [9], deren Forschung sich auf die religiös
geprägten Ausdrucksformen und bald auch Verhaltensnormen, insbesondere der
Unterschichten, richtete. [10] Bevorzugte Behandlung kam dabei den
exzessiven Formen und Verhaltensweisen zu. Als Forschungsziel galt vornehmlich
die Erkundung der Ursprünge. Mit "Religiöse Volkskunde" befaßten
sich außer den Volkskundlern gelegentlich noch Liturgiewissenschaftler und
Kirchenhistoriker [11], und zwar unter dem Aspekt der
"Volksfrömmigkeit", weithin gleichgesetzt mit den volkstümlichen
Frömmigkeitsformen der etablierten Kirchen. Religiöse Ausdrucksweisen,
die wirklich oder vermeintlich mit Magie und Zauberei in Verbindung standen,
blieben unberücksichtigt oder wurden als Aberglauben
abgetan.
Erst als nach dem Zweiten Weltkrieg eine
Neuorientierung der historischen Wissenschaft einsetzte und die Fragen und
Methoden der Soziologie in der jetzt auch in Deutschland betriebenen
Gesellschaftsgeschichte Niederschlag fanden, gewann mit der zunehmenden
Wertschätzung der Volkskultur auch die Befassung mit der Frömmigkeit
hohen Stellenwert. [12] Da sie bald Forschungsgegenstand sehr
unterschiedlicher Disziplinen wurde, brach rasch eine heftige Debatte über
die Definition von Volksfrömmigkeit und über das Verhältnis von
Volksfrömmigkeit bzw. Laienfrömmigkeit, Volksreligion, Volksglaube und
Volkskultur einerseits und andererseits Elitereligion, Klerikerreligion,
Hochreligion und Elitekultur aus. Diese Kontroversen machten deutlich, daß
es einen einheitlichen Frömmigkeitsbegriff nicht gibt. [13] Ein Weg
aus diesem Dilemma bietet sich an, wenn unter Frömmigkeit bzw.
Volksfrömmigkeit die praxis pietatis verstanden wird, die gelebte
Frömmigkeit des Volkes [14] also, die unter den verschiedensten
Gesichtspunkten nach Ausdrucksformen und Verhaltensnormen, nach Bleibendem und
Sich-Wandelndem, nach Gründen der Veränderung und der Art ihrer
Durchsetzung befragt wird. In diese Befassung mit der Frömmigkeit schalten
sich in zunehmendem Maße auch kirchengeschichtliche Untersuchungen
ein. [15] Dabei gilt die besondere Berücksichtigung der Frühen
Neuzeit, und zwar in ihrer Gesamtheit, also nicht, wie lange geschehen,
lediglich der Reformationsphase bis 1555. Durch die wesentlichen
Denkanstöße und Impulse, die Ernst Walter Zeeden mit seiner
Interpretationskategorie "Konfessionsbildung" [16] und insbesondere
Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard mit ihrem Konzept der
"Konfessionalisierung" gaben, rückte das Jahrhundert nach 1555 sogar in das
bevorzugte Blickfeld. Konfessionalisierung meint jenen in allen Konfessionen
erkennbaren Umbildungsprozeß, der auf zentrale Lenkung und Leitung,
frühmoderne staatliche Bürokratisierung und Disziplinierung der
Gläubigen abzielte. [17] Sie wird gemeinhin als Kardinalvorgang der
um 1550 ansetzenden und, mit Höhepunkt in den letzten Jahrzehnten des 16.
Jahrhunderts und den ersten zwei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, um 1650
endenden Epoche begriffen. Es kann hier nicht der Ort sein, erneut in die
Debatte über die Definition von Volksfrömmigkeit einzusteigen oder zu
erörtern, wieweit dem Konzept der Konfessionalisierung zuzustimmen ist.
Gefragt wird nach der "katholischen Frömmigkeit" im Zeitraum zwischen dem
Reichsreligionsfrieden um 1555 und dem Westfälischen Frieden von 1648,
einem Jahrhundert von frömmigkeitsgeschichtlich eminenter Bedeutung und
zugleich ein Zeitraum, der, das wird sich zeigen, in bezug auf das Thema kein
abgeschlossener ist, sondern dem in erheblichem Maße transitorischer
Charakter zukommt.
Als Einstieg in die
Fragestellung sei das Protokoll jener Visitation herangezogen, die im Auftrag
des neuen und nach langer Zeit erstmals wieder dezidiert katholischen
Osnabrücker Fürstbischofs Kardinal Eitel Friedrich von
Hohenzollern-Sigmaringen (1623-1625) [18] der Generalvikar Albert
Lucenius in der Zeit vom 27. November 1624 bis zum 17. Mai 1625 im Bistum
durchführte. [19] Es ist ein Bericht von hohem Aussagewert
über den kirchlich-religiösen Zustand im konfessionell noch nicht
geprägten Hochstift und Sprengel. Von vielen Mißständen ist in
der Relation die Rede, von Pfarrern, Küstern, Schullehrern und Kirchenvolk,
die so lebten und agierten, daß schwer auszumachen ist, ob sie katholisch
oder evangelisch waren. In dem vielseitigen Protokoll ist nur wenige Male von
pietas -Frömmigkeit - die Rede und wenn, dann ist "katholische
Frömmigkeit" gemeint. So sah der Visitator im Studierzimmer des Pfarrers
von Schledehausen "multa ad pietatem composita" - "vieles nach [katholischer]
Frömmigkeit eingerichtet" [20]: einen Hausaltar mit Bildern und
anderem, "was Frömmigkeit bekundet", einen Bußgürtel, einen
herabhängenden Rosenkranz, fromme Büchlein. Er führte das auf den
Einfluß der Jesuiten zurück, bei denen der Seelsorger studiert hatte.
Lucenius war sich nicht sicher, ob hier wirklich religiöse Haltung zum
Ausdruck kam oder ob Katholischsein vorgetäuscht werden sollte, denn
immerhin erwartete der 1616 in Köln geweihte Priester von seiner
Köchin das vierte Kind. Für den Geistlichen sprach, daß in der
Kirche "vestigia expressa catholicae religionis" - "ausgeprägte Spuren der
katholischen Religion" anzutreffen waren: eine Monstranz mit dem
Allerheiligsten, heiliges Öl im Sakramentshäuschen, Fahnen, ein
schön geschmückter Altar, ein neues Meßgewand, ein
römisches Meßbuch. Bisher habe er, so Lucenius, in der gesamten
Diözese derart deutliche Spuren der katholischen Religion nicht
gefunden. [21] Am folgenden Tag bemerkte der Generalvikar beim Volk und
den Kindern von Gesmold "katholische Kniebeugen" und "das katholische Falten der
Hände". Auch wurde nach dem "satis rustice" - "recht plump" gestalteten
Sonntagsgottesdienst der eucharistische Segen erteilt. Weiter, so hieß es,
würden an bestimmten Tagen Bitt- und eucharistische Prozessionen
abgehalten, Zeichen katholischer Religion und Frömmigkeit. In der sehr
verwahrlosten Kirche von Gütersloh fand er ebenfalls viele noch aus alter
Zeit stammende "Zeichen der rechtgläubigen Religion", nämlich
Reliquien und Bilder der Heiligen und der Muttergottes. [22] Besonders
erfreut zeigte sich Lucenius über die kirchliche Situation in Neuenkirchen.
Der Pastor sei gut katholisch, ohne Köchin, kompetent, gelehrt, eifrig und
mutig im Auftreten. Der Küster und Schullehrer trage in der Kirche den
Katechismus vor und unterweise trefflich die Kinder, die "nicht allzu weit von
der Frömmigkeit und den kultivierten Sitten" ("a pietate et cultoribus
moribus") entfernt schienen. [23] Insgesamt aber waren die gemachten
Erfahrungen für den Visitator eher trist. Geistliche und Kirchenvolk
würden "nach der Sitte des Landes" leben, für ihn wie "Menschen, die
Gott nicht mit dem Herzen und den Händen
suchen". [24]
Das hier vom Visitator
gezeichnete Bild von "katholischer Frömmigkeit" ist eindeutig und ebenso
das, was für ihn nicht dazu zählt, nämlich jene Form von
religiösem Brauch, auf den der Generalvikar in Gehrde aufmerksam wurde.
Dort trugen bei der Prozession an Bittagen ein Mann eine Fahne und eine Frau ein
Marienbild durch alle Häuser des Dorfes. Mit der Fahne ging der Mann um den
Herd, und das Muttergottesbild wurde von der Frau auf das Ehebett gelegt. Es
herrschte die Meinung, dadurch würde das Jahr gut, das Ehebett freundlich,
und Zank und Streit blieben vermieden. Dieser Brauch war für Lucenius
Aberglaube, und er verbot ihn. Das dürfte zur Folge gehabt haben, daß
diese mit magischen Vorstellungen durchsetzte volksfromme Sitte bald ebenso
schwand wie etwa jene in Köln übliche, von der Hermann von Weinsberg
(1518-1597) in seinen volkskundlich sehr wertvollen autobiographischen
Aufzeichnungen berichtet. Dort wurde bis Mitte des 16. Jahrhunderts ein St.
Hubertus-Heiltum von der St. Jakobskirche aus in die Häuser der Bürger
gebracht. Mit der Reliquie des Heiligen wurden Lederriemen und Brot
berührt, um dadurch Schaden durch rasende Hunde und Tiere zu bannen. Der
Jurist, reiche Kaufmann und Ratsherr bedauert, daß dieser "vorher mein
Lebtag in großer Verehrung gehaltene" Brauch nicht mehr
existiert. [25]
Die wenigen Bemerkungen
zur "Frömmigkeit", die im Protokoll des Visitators Albert Lucenius zu
finden sind, lassen mehrere allgemeine Feststellungen zu: 1. Ist von
Frömmigkeit die Rede, dann ist damit nicht die fromm- religiöse
Haltung und Lebensführung eines Individuums gemeint, sondern das
Praktizieren bestimmter geprägter Formen von Frömmigkeit, die für
die Religion, im gegebenen Fall für die katholische, signifikant sind bzw.
als signifikant angesehen werden. [26] Bei dieser Frömmigkeit gibt
es nach Inhalt, Norm und Form Bleibendes und Wandel, der bis zum Ausklammern von
dem führen kann, was als Mißbrauch, Aberglaube und Magie bezeichnet
und somit als nicht mehr "der katholischen Religion" entsprechend verworfen
wird. 2. Lebensart, Glaubens- und Sittenverhalten sowie Bildungsstand des Klerus
und der Amtsträger wie Küster und Schullehrer werden in
Wechselbeziehung gesehen mit der Frömmigkeitshaltung der Gemeinde. Um
Mißstände zu beseitigen und Reformen zu bewirken, erfolgen
Verordnungen und werden obrigkeitliche Dekrete und Erlasse gefordert. 3.
Für den beklagten religiösen und sittlichen Verfall und für das
Fehlen von Frömmigkeit werden die große Unwissenheit von Klerus und
Volk, die "Unvernunft, Kälte und Religionsfreiheit (religionis
libertas) der vorhergehenden Zeiten" und die allgemeine Tolerierung der
vielfach gerügten Mißachtung des Zölibats verantwortlich
gemacht. [27] Dem gilt es durch Reformvorschriften der Bischöfe und
Fürsten und kräftiges Durchgreifen zu begegnen. 4. Als besonders
wichtige Reformträger und Reformbeweger bzw. Reformmittel werden genannt
die Jesuiten, ein gut ausgebildeter, kompetenter, nach kirchlichen Vorschriften
lebender und mutiger Klerus, der Katechismus, die neuen Katechismuslieder und
insbesondere das Konzil von Trient mit seinem Reformprogramm und dem
Glaubensbekenntnis, das den Pfarrern zur Annahme vorgelegt wurde.
Frömmigkeitsformen, die im Sinne des tridentinischen Reformprogramms als
katholisch gelten, sollen als Teil der kirchlichen Erneuerung sowie der
Rekatholisierung neubelebt und durchgesetzt
werden.
Was im Osnabrücker Land und Bistum
erst spät einsetzte, nämlich Frömmigkeitserneuerung und
Frömmigkeitsveränderung durch kirchliche Reform und Reformvorschriften
im Sinne der Konfessionalisierung, war andernorts bereits seit längerem im
Gange. Bezogen auf die Frömmigkeit mußte solche Neubelebung um so
dringlicher sein, da während der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
die überkommene praxis pietatis durch die Reformation mit ihrer
zentralen Verkündigung von Gottes Wort und Gottes Gnade radikal in Frage
gestellt worden war. Die traditionellen Frömmigkeitsformen verfielen in
manchen protestantischen Gebieten bis zum völligen Traditionsbruch. Unter
dem Vorwurf der "Werkgerechtigkeit" und durch veränderte Glaubensinhalte
hatten sie ihren Wert verloren oder doch wesentlich eingebüßt. Das
brachte ihr Ende oder doch zumindest, wie selbst in katholisch gebliebenen
Ländern und Reichsgebieten feststellbar, erhebliche Einbrüche. Das
Prozessions- und Wallfahrtswesen war vielfach ebenso geschwunden wie etwa die
Eucharistieverehrung oder der Heiligenkult. Auch viele der bis dahin
üblichen Segnungen und Weihen von Wasser, Salz oder Wachs waren ebenso
entfallen wie zuvor die religiösen Schauspiele in der Passionszeit oder zu
Ostern. Religions- und frömmigkeitsgeschichtlich ging die Zäsur so
tief, daß sie erhebliche Auswirkungen hatte bis hin auf das, was als
Volksreligion und Volksglauben bzw. kirchlich nicht oder nur indirekt gesteuerte
religiöse Lebensgestaltung des einfachen Volkes verstanden
wird. [28]
Diese einschneidende
Veränderung war nicht lediglich Verlust und Wegfall. Als Ausdruck oder
Ergebnis notwendig gewordener reformerischer Glaubensanfrage und Kirchenkritik
war sie vielmehr auch Chance für die Neugestaltung jetzt konfessionell
geprägter Frömmigkeitsformen. Stärkste Eingriffe in die
Volksfrömmigkeit erfolgten in der reformierten Kirche. Auf das Wort
konzentrierte Gottesdienste ohne besonders gestaltete Liturgie in weithin bild-
und schmucklosen Kirchen, eine streng gehandhabte Kirchenzucht, die Verwerfung
und Abschaffung fast aller bisher gepflegter Frömmigkeitsformen sowie eine
strikte Entmythologisierung der Religion lenkten die Frömmigkeit fast
ausschließlich auf Formen der Bibellektüre, der
Katechismusbearbeitung und des karitativen
Tuns.
Trotz des raschen Wegfalls vieler tradierter
Frömmigkeitsformen waren die Eingriffe in der lutherischen Kirche nicht so
rigoros. Die Bilderstürmerei etwa blieb Ausnahme. Auch vermochten sich
manche überkommene Frömmigkeitsformen vor allem in ländlichen
Gegenden oder in den Ländern Skandinaviens noch lange zu halten.
Grundsätzlich bestimmend wurden jedoch im Luthertum die
Bibelfrömmigkeit, das fromme Bekenntnis- und dann Andachtslied und die
spätere Prägung durch den Pietismus.
Im
Gegensatz zu den Kirchen der Reformation hielt die katholische Kirche
grundsätzlich an der tradierten Frömmigkeit und ihren Formen fest,
unterzog sie jedoch einer kritischen und reformorientierten Befragung und
Veränderung. Kritik an der bestehenden Frömmigkeitshaltung und den
praktizierten Frömmigkeitsformen sowie Unbehagen gegenüber mancher
Ausprägung des kirchlichen Lebens hatten mit einer bibelorientierten
"evoluzione collettiva del sentimento religioso" in Italien schon früh
eingesetzt. [29] Aus diesem religiösen Aufbruch waren zu Beginn des
16. Jahrhunderts jene Oratorien bzw. religiösen Laienzirkel erwachsen, von
denen infolge der seit Mitte des Jahrhunderts einsetzenden Hierarchisierung und
Verengung des religiös-kirchlichen Freiheitsraumes einige in
ordensähnliche Männer- und Frauenkongregationen
einmündeten. [30] Über das 1611 in Paris von Pierre de
Bérulle gegründete Oratoire de Jésus-Christ gewannen
sie maßgeblichen Einfluß auf die französische
Spiritualität des 17. Jahrhunderts. [31] Schon vor den Oratorien
war Kritik an der bestehenden praxis pietatis von der devotio
moderna ausgegangen, die eine an die Heilige Schrift angelehnte
verinnerlichte Christusfrömmigkeit anstrebte. Ihr Einfluß auf die
katholische Frömmigkeit nach 1555 war eher mittelbar, obwohl die "Nachfolge
Christi" des aszetisch-mystischen Schriftstellers Thomas von Kempen (gest. 1471)
viel gelesen wurde und prägend wirkte. Unmittelbarer dagegen war der
Einfluß der "biblischen Humanisten", insbesondere der des Erasmus von
Rotterdam, dessen Denken vor allem in Italien und Spanien über die
akademischen Repräsentanten hinaus in breiten Schichten des Volkes
Niederschlag fand. [32] Allerdings ist nicht zu verkennen, daß
wertvolle Impulse des Humanismus für das Frömmigkeitsleben in
nachtridentinischer Zeit auch unterdrückt wurden und
verlorengingen.
Dabei kann von einer spezifisch
tridentinischen Frömmigkeit bzw. Volksfrömmigkeit nicht einmal die
Rede sein. Wohl aber hat das Konzil mit seinen Entscheidungen, Festlegungen und
Vorschriften in Glaubens- und Reformfragen deutliche Akzente auch für die
"katholische Frömmigkeit" gesetzt [33]; eine Frömmigkeit, die
dann in ihrer langfristig erfolgten Ausprägung je nach Land und Leuten sehr
unterschiedlich sein konnte. Die Impulse lassen sich an mehreren Punkten
festmachen. So gab das Konzil zum einen durch seine klaren Aussagen zu
umstrittenen Glaubensfragen den katholischen Gläubigen eine lange
vermißte Sicherheit zurück. Es entschied etwa im Eucharistiedekret
von 1551 [34], daß dem heiligsten Sakrament auch losgelöst
vom Empfang jene Anbetung und Verehrung entgegengebracht werden darf, die Gott
gebührt. Die Realität, Totalität, Permanenz und
Anbetungswürdigkeit des Leibes und Blutes Christi wurde also bejaht und
damit die Grundvoraussetzung geschaffen für die Eucharistieverehrung
überhaupt. Die Neubelebung des Eucharistiekultes wurde noch dadurch
verstärkt, daß die Fronleichnamsprozession und ähnliche
eucharistische Frömmigkeitsformen die ausdrückliche Anerkennung des
Konzils erhielten. Ähnlich war es mit der Heiligenverehrung. Die Heiligen
werden nicht nur als Vorbilder angesehen, sondern auch als Fürbitter bei
Gott, deren Anrufung nicht Irrglaube und Wahn, sondern frommes Tun
sei. [35] Auswirkungen auf die "katholische Frömmigkeit" hatte
weiter das Rechtfertigungsdekret. [36] Es anerkannte die
Verdienstlichkeit der guten Werke, die der Gerechtfertigte durch Gottes Hilfe
vollbringt, und gab damit der katholischen praxis pietatis wichtige
Impulse.
Das Konzil übte aber auch heftige
Kritik an vielen Frömmigkeitsformen, indem es Fehlhaltungen und
Mißbräuche scharf geißelte und auf eine neue Ausrichtung der
Frömmigkeit drängte. Die ernste Anfrage der Reformation wird deutlich,
wenn dabei eine starke Bibelorientierung gesucht und
unmißverständlich dargelegt wird, daß alle Frömmigkeit
christozentrisch ausgerichtet, das heißt in Beziehung zum allein
erlösenden Wirken Gottes in Jesus Christus gesetzt wird. Ebenso würde
die alles überragende Bedeutung der Gnade betont. Gott ist es, der wirkt;
Christus ist es, der die guten Werke in uns wirkt, lauteten die zentralen
Aussagen des Konzils - bei gleichzeitigem unbedingtem Festhalten an der
vermittelnden Aufgabe und Funktion der Kirche und der Betonung der kirchlichen
Autorität. Im wesentlichen war es Ziel des Konzils, die Frömmigkeit
weg vom Peripheren auf das Zentrum hinzurücken. "Die Erneuerung drang
allenthalben von der Form auf das Wesen und stufte das Äußerliche und
Formelle geringer ein als das Innerliche und Substantielle", schreibt Ernst
Walter Zeeden. [37]
Das Konzil wollte der
"doktrinären Verwirrung" (Hubert Jedin) ein Ende setzen, es legte das
rechte Bekenntnis fest, drang durch Reformvorschriften auf eine innerkirchliche
Erneuerung und schuf damit gleichzeitig eine scharfe Gegenposition zu den
"Häretikern", das heißt zu den sich bildenden und ebenfalls sich
abgrenzenden Kirchen der lutherischen und reformierten Konfession. Das leitete
ein neues römisch-katholisches Kirchen- und Selbstbewußtsein ein und
formierte eine akzentuiert katholische Frömmigkeit bzw. spezifisch
katholische Frömmigkeitsformen, die unverkennbar konfessionellen
Bekenntnischarakter trugen. Wirklich angenommen war diese so geprägte
Frömmigkeit jedoch erst, als gegen Ende des 17. Jahrhunderts das Empfinden
und die künstlerische und kulturelle Ausdrucksform des Barock ihren
Siegeszug antraten. Wie sehr solche Formierung über die kirchlich geartete
Frömmigkeit hinaus durch Normgebung und Ausgrenzung bestimmend oder
verändernd auf das religiöse Lebensverhalten des Volkes
einwirkte [38], ist Gegenstand zahlreicher neuerer
Untersuchungen.
Die Forderung des Tridentinums
schließlich, die Bischöfe hätten die Lenkung und Leitung ihrer
Sprengel zu übernehmen und den Pfarrern obliege es, das Volk zu
unterweisen, was es zu glauben und wie es sein Leben einzurichten
habe [39], lag im Trend der ab etwa 1570 auch katholischerseits
einsetzenden Konfessionalisierung. In Zusammenarbeit von kirchlicher und
weltlicher Obrigkeit wurde ein "methodisches, planmäßiges und
organisiertes Vorgehen" [40] zweifelsohne Einfluß auf die
Frömmigkeitsformen genommen. Einbezogen in das, was nach dem Konzil
"offizielle Religion" und als wichtiger Teilbereich der Gesamtheit des Lebens
der Menschen [41] in die politischen Entscheidungen und
gesellschaftlichen Verantwortungen der Zeit integriert war, erhielt die
"katholische Frömmigkeit" nicht nur eine konfessionstypische Prägung,
sie wurde auch funktionalisiert, das heißt mit politischen und
erzieherischen Aufgaben betraut. Sie hatte außer dem Lob Gottes und der
Heiligen sowie dem Seelenheil des einzelnen und dem erflehten Wohl der
Gemeinschaft der neuen Kirchlichkeit, der moralischen Aufrüstung, dem
konfessionsbestimmten territorialen Bestand und in gewissem Sinne auch dem, was
in bezug auf den frühmodernen Staat unter Sozialdisziplinierung verstanden
wird, zu dienen.
Dabei werden verschiedene
Züge der nachtridentinischen katholischen Frömmigkeit deutlich. Zum
einen war sie anders als bisher auf christliches Tugendhandeln ausgerichtet.
Damit stand sie unverkennbar in Bezug mit den vielen kirchlichen und noch mehr
weltlichen Erlassen, die eben solch sittliches und moralisches Verhalten
verordneten. [42] Die Befrachtung der Frömmigkeitsformen mit
reformkatholischen und erzieherischen Aufgaben ist gut am Beispiel der
Entwicklung der "Heilige Familie"-Darstellung zu erkennen. [43]
Beherrschten in der Malerei bis zum 16. Jahrhundert Geburts- und
Epiphaniedarstellungen die Szene mit Josef als eher unbedarftem und altem Mann,
so rückte jetzt die Heilige Familie als Vorbild der christlichen Familie in
den Vordergrund. St. Josef, nun treusorgender Schützer und Hüter der
Familie, kam ab Mitte des 17. Jahrhunderts im Zuge der
Fürstenfrömmigkeit durch das habsburgische Kaiserhaus sogar zu
besonderer Verehrung und wurde der Patron von Kirche und
Reich. [44]
Zum christlichen
Tugendhandeln, in allen drei Konfessionskirchen zur Richtschnur des christlichen
Lebens erhoben, gehörten Nächstenliebe, Askese und Bußgesinnung.
Auch diese Elemente liefen mit Forderungen in die Frömmigkeitsformen ein.
Zu denken sei etwa an die Bitt- und Bußprozessionen mit langen und
beschwerlichen und ab dem 17. Jahrhundert geordneten Fußmärschen. Die
Passionsmotive und die Versenkung in das Marienleben gehörten ebenfalls
dazu. Die Bedeutung, die dem Rosenkranz [45], bald ein
Devotionsgegenstand, den jeder fromme Katholik bei sich zu tragen hatte,
beigemessen wurde, weist in die gleiche
Richtung.
Für die katholische
Frömmigkeit vom späten 16. Jahrhundert an ist sodann ihre Sinnen- und
Weltfreudigkeit bezeichnend. Südländischer Einfluß spielte hier
eine Rolle, die Suche des Volkes nach Freude und Lustempfinden, aber auch der
Einfluß der Jesuiten mit ihrem didaktischen und pädagogischen
Geschick, ihrer Nähe zum Humanismus und ihrer zu einer verleiblichenden
Vermittlung tendierenden Anthropologie. Der junge und dynamische Orden vermochte
den neuen katholischen Frömmigkeitsstil in mehrfacher Hinsicht zu
prägen. Seine Erfolge beim Aufbau einer schulischen und gymnasialen
Infrastruktur, die Jugend- und Ständearbeit in den "Marianischen
Kongregationen", das Jesuitentheater, die Gründung des römischen
Kollegs, die von Jesuiten geführten oder beeinflußten
Universitäten, ihre kontroverstheologischen und gegenreformatorischen
Aktivitäten, ihre großen missionarischen Leistungen, die Katechismen
eines Petrus Canisius, all das trug dazu bei, katholisches Lebensgefühl zu
wecken und Einfluß auf die Frömmigkeitshaltung zu gewinnen. Als
Berater katholischer Fürsten waren sie allerdings auch wesentlich daran
beteiligt, daß im Zuge gegenreformatorischer Maßnahmen und einer
teilweise rigoros durchgeführten Konfessionalisierung einheitlich
geprägte Frömmigkeitszonen entstanden, etwa die stark marianisch
ausgerichtete pietas
Bavarica. [46]
Wie initialzündend
bestimmte, gezielt und systematisch durchgeführte Aktivitäten sein
können, läßt das Beispiel der sich entfaltenden barocken
Eucharistieverehrung am Mittelrhein erkennen. [47] Den seit 1612 in
Aschaffenburg residierenden Jesuiten gelang es 1618, die jahrzehntelang
unterbrochene und fast in Vergessenheit geratene Wallfahrt der Stadt zum
Heiligblut-Heiltum in Walldürn [48] wieder einzuführen. Damit
war ein Bann gebrochen. Die mit Aufwand durchgeführte Prozession belebte
die Eucharistiefrömmigkeit bis hin nach Mainz, wo bereits 1624 die
Neugründung der Sakramentalischen Bruderschaft [49] an der Kirche
St. Quintin erfolgte. Von dort aus begann am Mittelrhein die Geschichte des
eucharistischen Mehrstunden-Gebetes, jener Frömmigkeitsform, die von den
Oratorien und Bruderschaften Italiens als Bitt- und Sühneandacht
herstammte, in Deutschland - unter anderem zur Erflehung des Friedens
während des Dreißigjährigen Krieges - zunächst als "Sechs-
oder Zwölfstündiges Gebet" in Gebrauch kam, dann in Anlehnung an die
40 Stunden der Grabesruhe Jesu als "Vierzigstunden-Gebet" zahlreiche Freunde
fand und schließlich zum "Ewigen Gebet" wurde. Es war eine Gebetsform,
die, versehen mit päpstlichen Privilegien, Kurfürst Ferdinand Maria
von Bayern 1674 in seinen Landen einführte und welcher der Mainzer
Kurfürst Lothar Franz von Schönborn 1722 als "Gottschuldigste Lieb-
und Lob=reiche, zu allen Tags- und Nachtstunden durchs gantze Jahr, mit
beständiger Ablösung von Orth zu Orth fortgesetzte, vom Heiligen
apostolischen Römischen Stuhl approbierte Verehr- und Anbettung unseres
liebreichsten Herrn und Heylands Jesu Christi in dem Allerheiligsten Sakrament"
für seinen Sprengel letzte Ordnung und Form gab. Diese mit allem barocken
Pomp gestaltete Frömmigkeitsform fand Akzeptanz in allen Schichten des
Volkes. Ihr historischer Weg war weit. Er setzte als typisch "katholische
Frömmigkeitsform" im frühen 17. Jahrhundert an, er wies
Kontinuität und Wandel auf, war, wie die katholische Frömmigkeit
überhaupt, zur Mitte des 17. Jahrhunderts erst in Ansätzen
geprägt, trug in sich Elemente des Elitären und des
Volkstümlichen, hatte mit persönlicher Frömmigkeit zu tun und war
gleichzeitig Volksfrömmigkeit. Der Weg war vielschichtig, er hatte mit
anderen Frömmigkeitsformen viele Gemeinsamkeiten und war doch
spezifisch.
Anders zwar als diese
äußeren Anstöße und Verordnungen, doch langfristig kaum
weniger effektiv wirkten die religiöse Literatur und Dichtung auf die
Frömmigkeitshaltung und deren Ausdrucksformen ein. [50] Im Liedgut
und in den literarisch beachtenswerten Schriften konnten polemische und
apologetische Propaganda und der kontroverstheologische Einfluß zum
Ausdruck kommen, aber auch tiefreligiöse Sensibilität und engagierte
Kirchlichkeit. Die Erforschung und Bearbeitung der katholischen Literatur und
Lyrik weist noch erhebliche Defizite auf. Dennoch ist erkennbar, daß in
bezug auf die Frömmigkeit dem Kirchenlied [51] und katholischen
Volkslied - 1594 eingeleitet durch die "Catholische Kirchengesäng / vor und
nach dem Catechismo / zu unterschiedlichen Zeiten / durch das gantze Jahr
zusinge / sampt denn Fürnemesten Artickeln unseres Glaubens / in kurtze
Frag und Antwort gestellt" des Petrus Canisius [52] - große
Verbreitung und wichtige Bedeutung
zukommt.
Friedrich Spee von Langenfeld
SJ [53] (gest. 1635), der bekannte Verfasser der "Trutz-Nachtigal" und
der "Cautio criminalis", der eindrucksvollsten Schrift gegen den damals
grassierenden Hexenwahn, hat in seinen vielen Lieddichtungen und Gesängen
diese pastorale Aufgabe beibehalten und zugleich in krisengeschüttelter
Zeit Hoffnung und Trost zugesprochen. Friedenssehnsucht und christliche Deutung
der Zeitnöte klingen in seinen Liedern ebenfalls an und machten sie so
beliebt, daß viele von ihnen bis heute zum Liedgut der Kirchen
gehören. Eine ähnliche Langzeitwirkung zeigte Kaspar Ulenbergs (gest.
1617) 1582 in Liedform gedruckter "Psalter Davids" [54] . Weniger als
Lieddichter, wohl aber als Verfasser der 1567 erschienenen "Serta honoris et
exultationis ad catholicorum devotionem et hilarandam", einem Büchlein mit
Gebeten für alle Wochentage und Anliegen, gewann der 1595 in Mainz
verstorbene Jesuit Peter Michael, gen. Brillmacher [55], Einfluß
auf die Frömmigkeit seiner Zeit.
Anregungen
aus diesem Gebetbuch nahm selbst Johann Heermann (gest. 1647) auf, der wohl
bedeutendste evangelische Kirchenlieddichter zwischen Martin Luther und Paul
Gerhardt. Noch über Brillmacher hinaus ging die spirituelle und
fromm-religiöse Wirkung seines Ordensbruders Jeremias Drexel (gest. 1638).
Die Schriften dieses Professors der Rhetorik in Dillingen und späteren
Münchener Hofpredigers über "die ewigen Wahrheiten", die Tugenden und
die christlichen Vorbilder wurden zu Hunderttausenden gedruckt und neuaufgelegt.
Allein in München sollen bis 1642 170.700 Exemplare seiner Werke
veröffentlicht worden sein. [56] Aufzuarbeiten wäre noch das
weite Feld der katholischen Predigtliteratur zwischen 1555 und 1648. Trotz der
verdienstvollen Katalogveröffentlichungen von Werner Welzig [57]
ist hier noch eine weite terra incognita. Ähnlich ist es mit der
katholischen Frömmigkeitsforschung. Sie steht vielfach noch am Anfang und
ist immer wieder für Überraschungen
gut.