DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
MARTIN BRECHT Evangelische Friedensliteratur: Der Bußruf Johann Rists |
I. Einleitung
Unter der Kriegs- und
Friedensliteratur, die der Dreißigjährige Krieg hervorgebracht hat,
befindet sich - ganz abgesehen von etwaiger literarischer Qualität -
wesensmäßig allerhand von kirchen-, theologie- oder
frömmigkeitshistorischem Interesse. Dies ist an sich nicht erstaunlich. Wie
die Erfahrung lehrte, überstiegen die Kriegsnot und das Friedensverlangen
die menschlichen Regulierungsmöglichkeiten, und man sah sich im
Widerfahrenden mit der höheren Instanz konfrontiert oder an sie verwiesen.
Noch vor der Mythologie hielten die Bibel und die christliche Tradition Texte,
Vorstellungen und Bilder bereit, die richtungweisend sein konnten. Auf den
religiösen Horizont konnte eigentlich nicht verzichtet werden.
Überdies waren die Konfessionen im damaligen Konflikt jeweils selbst
Partei, die für die eigene Seite nicht zuletzt mit den Argumenten des
rechten Glaubens agitierte und polemisierte. Insgesamt läßt die
religiöse Kriegs- und Friedensliteratur etwas davon erkennen, auf welch
spezifische, heute vielleicht auch überraschende Weise das Geschehen
aufgenommen und verarbeitet worden ist.
Das
einschlägige Quellenmaterial ist überaus vielfältig. Dabei werden
nicht einmal selten Text und bildliche Darstellung oder auch Text und
musikalische Gestaltung kombiniert. Innerhalb der irgendwie als religiös
anzusehenden Literatur finden sich ganz unterschiedliche Sparten: Predigten,
Gebete, Lieder, Berichte, Pamphlete, Devisen, Schauspiele usw. Ein
kirchenhistorischer Überblick mit seiner gegenüber der
Literaturgeschichte eigenständigen Fragestellung zu diesem Bereich fehlt,
obwohl das Thema überraschende Aspekte
bietet.
Einige Komplexe seien erwähnt. Der
Dreißigjährige Krieg samt dem Frieden hat, abgesehen von sonstiger
lyrischer Dichtung, auch Kirchenlieder gezeitigt, die zum Teil bis in die
Gegenwart lebendig geblieben sind. Noch im bis vor kurzem gebrauchten
Evangelischen Kirchengesangbuch stand das Friedenslied des bedeutenden
evangelischen Kirchenlieddichters Paul Gerhardt "Gott Lob, nun ist erschollen
das edle Fried- und Freudenwort". [1] Die 2. Strophe bezeichnet die
erfahrene Strafe und den Zorn Gottes wegen der Sünde als verdient und
stellt deswegen die bedrängende Frage: "Wer ist, der Buße tut?" Die
Zerstörungen, Verwüstungen und Verluste an Menschen machen erst und
zugleich nochmals schmerzlich bewußt, was man an der Gabe des Friedens
besitzt und wie es ihn durch entsprechendes Verhalten zu bewahren gilt. Der
Ausblick richtet sich auf den ewigen Frieden bei Gott. Paul Gerhardts Umdichtung
des 85. Psalms "Herr, der du vormals hast dein Land mit Gnaden angeblicket"
(1653) [2] nimmt selbstverständlich die Bilder von der Begegnung
von Güte und Treue und vom Kuß von Frieden und Gerechtigkeit auf. Das
Vertrauen auf Gottes nahe Hilfe ist auch hier verbunden mit der Forderung eines
Handelns, das Gottes Zuwendung entspricht. Insofern bleibt in dem Friedensjubel
ein ernster Ton.
II. Johann
Rist
Krieg und Frieden nehmen im Schaffen Johann
Rists einen größeren Raum ein, als normalerweise bekannt ist;
insofern bietet er sich für eine exemplarische Beschäftigung mit einem
Kriegs- und Friedensschriftsteller an. Außerhalb der Literaturgeschichte
ist er durch seine Kirchenlieder bekannt geblieben, von denen einige auch die
Kriegsnot ansprechen. [3]
Rist wurde 1607
in Ottensen bei Hamburg als Sohn des dortigen Pfarrers geboren. [4] Sein
Theologiestudium absolvierte er unter anderem in Rostock und Rinteln, wo der
gleichfalls als Kirchenlieddichter hervorgetretene Josua Stegmann sein Lehrer
war. Von 1635 bis zu seinem Tod 1667 war er Pfarrer in Wedel/Holstein, von wo
aus er am Kulturleben Hamburgs partizipieren konnte. Die Stelle ließ ihm
Muße für seine literarischen Aktivitäten. Er war Mitglied des
Nürnberger Pegnesischen Blumenordens sowie der Fruchtbringenden
Gesellschaft und gründete selbst die an Opitzschen Idealen orientierte
Sprachgesellschaft des Elbschwanenordens. Mit dem Krieg kam er 1643 in
unmittelbare Berührung, als beim Einfall des schwedischen Generals
Torstenson sein Haus schlimm geplündert wurde. Man könnte Rist
theologisch als frommen Lutheraner einordnen, würde damit jedoch der Weite
seines geistigen Horizonts wohl nicht gerecht. Es läßt sich mehrfach
zeigen, daß ihm die wichtigen Erbauungsschriften Johann Arndts, gest. 1621
als Generalsuperintendent in Celle, durchaus bekannt waren. Arndts Gebetbuch,
das "Paradiesgärtlein", sowie Andachtsbücher von dessen
Gesinnungsgenossen, den Theologieprofessoren Johann Gerhard und Josua Stegmann,
dienten Rist als Vorlagen für seine "Himmlische [n] Lieder"
(1641). [5] Außerdem gesteht er bei beteuerter
Rechtgläubigkeit Kontakte zu Rosenkreuzern, neuen Propheten, Weigelianern
und den chymischen Wissenschaften, also charakteristischen religiösen
Untergrundströmungen jener Zeit. Bei solchen Leuten habe er "offt mehr
Gottseligkeit und ein viel christlicher Leben gespühret, als an manchem,
der für den allerreinesten Lutheraner will gehalten werden". Beeindruckt
hat Rist an diesen Außenseitern die Weltverleugnung, die Priorität
der Gottesliebe, die Fürsorge für den armen Nebenchristen und das
sehnliche Verlangen nach dem himmlischen Jerusalem. Daß Rist bei all dem
auch der Arzt Paracelsus und die Kabbala nicht fremd waren, verwundert
eigentlich nicht mehr. [6] Rist ist also wohl schon seit seinem Studium
bei Joachim Jungius in Rostock jenen Kreisen eines gebildeten Luthertums
zuzuordnen, die sich neuen naturwissenschaftlichen und sogar umstrittenen
religiösen Impulsen keineswegs von vornherein verschlossen haben. Dazu
paßt auch seine nachweisbare Sympathie mit der abgemilderten Helmstedter
Orthodoxie.
Im Zusammenhang mit dem
Westfälischen Frieden hat Rist zwei dramatische Dichtungen, "Das
Friedewünschende Teutschland" und "Das Friedejauchtzende Teutschland"
geschaffen, die in ihrer Durchführung und mit ihrer Aussage hier vor allem
Interesse verdienen. Der heutige Leser könnte meinen, die Dramen seien mit
ihren häufig langen Reden bei spärlicher Handlung zum Teil wohl nur
begrenzt bühnenwirksam gewesen, aber so ganz fremd war Rist das Handwerk
des Stückeschreibens nicht, er kannte auch wirksame oder sogar opernhafte
Effekte einschließlich der Musik und der Schaubilder. Die Stücke
wurden jedenfalls gespielt, und der Leser erfährt allemal einiges über
die Beurteilung der Zeit. Tatsächlich stellen sie "nach Inhalt und Form die
bedeutendsten Zeugnisse der Friedensdramatik
dar". [7]
III. Das
Friedewünschende Teutschland
Die Thematik von
Frieden und Krieg als dramatischer Stoff hatte Rist schon früh
beschäftigt. Von ihm oder seinem Schwager Ernst Stapel stammt bereits die
"Irenaromachia Das ist Eine Newe Tragico-comaedia Von Fried und Krieg"
(1630). [8] Die politische Konfliktsituation von 1630 wird in dem Drama
allerdings ebensowenig erkennbar wie die geradezu verschwiegenen konfessionellen
Spannungen. Dabei ist die Wahrnehmung nichtsdestoweniger durchaus religiös
bestimmt, aber dies so, daß die parteiliche Konkretion dadurch
zurückgedrängt wird. [9] Genannt werden die verbreitete
Auflösung sozialer Bindungen in den unterschiedlichen Gemeinwesen sowie die
Zerrüttung des Bildungs- und Rechtswesens. Als Voraussetzung der Misere
werden persönliche Sünde und Schuld angegeben, denen durch Besserung,
Bekehrung und Buße begegnet werden soll. Dementsprechend besteht die
Erwartung, daß Gott seinen Zorn wieder in Gnade wandeln und dadurch eine
Veränderung der Verhältnisse zum Guten bewirken wird. Auch die
irdische Wohlfahrt entscheidet sich also am persönlichen
Gottesverhältnis. Die Regulierung des Konflikts wird nur noch einem
letztinstanzlichen Gerichtsverfahren zugetraut. Von seiner Bußtendenz her
ist der Autor an weiterer Ursachenerforschung und entsprechender Explikation der
Handlung gar nicht interessiert. Der religiös geformte Vorstellungsrahmen
der Irenaromachia stimmt bereits weitgehend mit dem von Rists späteren
Friedensdramen überein.
Rist hat sodann die
einzelnen Phasen, die zum Frieden führten, aufmerksam
wahrgenommen. [10] Dies zeigt ein Gedicht an Kaiser Ferdinand III.,
nachdem (Ende) 1644 mit den Friedensverhandlungen begonnen worden
war. [11] Der Kaiser wird hoch gelobt dafür, daß er das
Friedenswerk in Gang gesetzt hat. Deutschland wird zu wahrer Reue und Buße
gemahnt, die Gott von seinem Strafen abbringen sollen. Es wird eingestanden:
"Wir sind es ja nicht werth, daß Gott unß lässet blikken Die
Friedes Hoffnung..." Beständiger Friede setzt Erkenntnis des bösen
Lebens und der Sünde voraus. Es wird sich zeigen, daß das Gedicht
bereits Vorstellungen hinsichtlich des noch keineswegs erreichten Friedens
enthält, die später wieder begegnen.
Als
Dänemark und damit auch Holstein 1646 durch den Frieden mit Schweden aus
dem Krieg ausschieden, ließ Rist eine "Friedens-Posaune" in 572 Versen
erschallen. [12]
Sogleich wird auch hier
festgestellt, daß es zu Reue und Besserung noch nicht gekommen sei. Rist
erinnert daran, daß Holstein vom Krieg lange Zeit unberührt geblieben
ist [13], bis er sich 1643 in seinem "Holsteinischen Klag- und
JammerLied" mit dem als Gottes Strafe verdienten Einfall der Schweden befassen
mußte. Rist schildert die Vorgänge mit den Bildern eines verheerenden
Unwetters. Später wird an die schwere Pestepidemie von 1628, die
nachfolgende Hungersnot und an die verlustreiche Überschwemmung von 1634
erinnert, ohne daß die Unheilserfahrung zwischen Naturkatastrophen und
Krieg unterscheidet. Aber sie wird jeweils als Aufruf zur Umkehr von Sünde,
Lastern und Undankbarkeit verstanden. Es wird vorgeführt, wie der Friede
allen Gliedern und Schichten der Gesellschaft zugute kommt. Anschaulich wird
angegeben, was mit den Waffen geschehen soll: "Ach müchten doch verrosten
Pistolen / Schwehrter / Spieß' und Stükke groß und klein! Ach
mücht' uns kein Gewehr hinfohrt mehr schädlich sein? O wolte Gott /
man solt' aus den Mußquetten machen Nur Pflüge / Gabeln / Beil und
tausend andre Sachen / Wodurch der Akkerbau wird treulich fortgesetzt / Der
nicht nur Reichthum bringt / besondern auch ergetzt! O wolte wolte GOtt / es
möchten doch die Tauben Ir Eier brüten auß in lauter
Pikkelhauben! O wolte wolte GOtt / daß doch der Akkersmann Die starken
Küraß nehm' als Körb und Wannen
ann!" [14]
Das letzte Lob für den
Frieden gilt neben Gott dem Landesherrn. Auffallend ist, daß von den
konkreten Friedensbedingungen und von der Vormachtrolle Schwedens nichts
erwähnt wird.
Die interessanteste
Friedensdichtung Rists dürfte zunächst sein Drama "Das
Friedewünschende Teutschland" sein. [15] Es ist Ende 1647
entstanden und 1649 in einer um zusammenfassende Lieder erweiterten Fassung
gedruckt worden. Noch war der Friede nicht erreicht - entgegengesetzte
Gerüchte gaben zu Zweifeln Anlaß -, noch konnte die "hellklingende
Friedens-Posaune" nicht durch das ganze Vaterland erschallen, und das galt
für Rist auch in einem tieferen Sinn; vorläufig bestand (auch von den
mentalen Bedingungen her) nur eine Hoffnung auf den
Frieden. [16]
Zu Beginn [17]
führt ein Mercurius, der sich aber alsbald teilweise entmythologisiert und
viel von einem Prediger an sich hat, die alten deutschen Helden wie Ariovist,
Arminius und Widukind zu einer neuerlichen Besichtigung Deutschlands ein. Die
Vorstellungen der Helden sind alter- und deutschtümelnd, wie dies Rist und
seinen Gesinnungsgenossen von ihrem deutschen Sprachideal her entsprach. Vor
allem französische Umgangsformen wie der Handkuß und Sprachformeln
waren ihm verpönt. Der Patriotismus drängt den Konfessionalismus
zurück, wobei jedoch das beherrschende Frömmigkeitsinteresse nicht
preisgegeben wird. [18] Sodann wird das glückselige Teutschland
personifiziert zwischen den in gespanntem Verhältnis zueinander stehenden
Frieden und Wollust vorgeführt. Die den Helden gewährte Audienz
verläuft unerfreulich. Sie verstehen sich nicht mit dem in verschiedenen
Fremdsprachen parlierenden Teutschland. Mercurius wirft Teutschland darauf
Verachtung von Gott und dessen Wort, Schmähsucht, Völlerei, Unzucht
und Unterdrückung vor; insgesamt gebe es mehr Sünde und Untugend als
Sand am Meer. Buße und Umkehr sind angesagt. Empört weist Teutschland
die Helden fort. Der Friede ergreift ihre Partei, sind doch die, die zur
Buße mahnen, die besten Freunde. Er zieht sich aber dafür nur
Schläge und schließlich gleichfalls die Ausweisung
zu.
Am Anfang der "ander Handlung" [19]
faßt der Friede seine Errungenschaften für Teutschland zusammen: Das
"edle Wort des Lebens" wurde "rein und lauter" gelehrt, hohe und niedere Schulen
blühten, den Untertanen wurden Recht und Gerechtigkeit zuteil, Fürsten
und Herren regierten glücklich, Handel und Wandel konnten getrieben werden,
Feld- und Gartenbau blieben erhalten. Alle Stände konnten ihre anbefohlenen
Ämter und Arbeit sicher Gott zu Lob, dem Nächsten zur
Ersprießlichkeit und sich selber zum besten bedienen. Wieder fällt
auf, daß der konfessionelle Zwist überhaupt nicht (mehr) erwähnt
wird, als ob sich der Protestantismus vor dem Krieg in einer konsolidierten
Situation befunden hätte. Der Friede wird Teutschland erst wieder
beispringen, "dafern es rechtschaffene Reue und Buße
würket".
In Entsprechung zur ersten Handlung
führt die Wollust nunmehr einen Spanier, einen Franzosen, einen Kroaten und
einen deutschen Reiter ein. Von den Schweden ist nicht die Rede. Die
Animosität in der Darstellung der Fremdländer sowie der
Konfliktursachen ist dabei offenkundig. Die Gäste betäuben dann
Teutschland mittels ihrer Gaben wie spanischem und französischem Wein,
opiumhaltigem Ziegenkäse und vergifteten Handschuhen. Das Fremde gilt als
das Schädliche; politische Kriegsziele wie zum Beispiel Okkupationen werden
nicht thematisiert. Die Fremden bringen Teutschland zwar nicht um, aber
genießen ihre Güter und liefern sie dem Mars aus; dazu rauben sie ihr
noch ihr Kleinod Concordia. Nur damit wird angedeutet, daß es auch
innerdeutsche Konfliktherde gibt. Der mordlustige Mars ist als eine
transpersonale Macht konzipiert, die erst durch die ausländischen Herren
ihre Wirkungsmöglichkeiten erhält.
Das
Zwischenspiel [20] führt den laut eigener Prahlrede in allen
Künsten versierten lustigen Studenten Sausewind vor. Mars macht ihm klar,
wie wenig solche "Blakscheisser" in der Welt tatsächlich gelten. Sausewind
hat jedoch nicht vergessen, "daß das Kriegeswesen bei weitem nicht so
glükselig sei / als viele unerfahrne liederliche Leute davon urtheilen".
Aber Mars ködert ihn mit der Aussicht auf Geld, Gelage, Frauen und
Karriere. Während er noch von seinem räuberischen Soldatenleben und
seinem Aufstieg träumt, kommt ihm Mercurius in die Quere. Dies ist für
Sausewind genierlich, er will seine Entscheidung nicht in Frage stellen lassen
und kritisiert deshalb zunächst die Prediger, die ihre Predigten mit
verlogenen Kriegsnachrichten oder mit persönlichen Beschimpfungen
bestreiten, "als ob sie lauter Jeremias wären, da sie doch rechte Phariseer
und Heuchler in der Haut sind und bleiben". Die Vorstellung, daß nicht
alle leichtfertigen Soldaten gen Himmel fahren, kontert Sausewind mit dem
Hinweis auf ihre allerbesten und lustigsten Tage, solange sie leben. Mercurius
läßt ihn die anderen Perspektiven sehen: Streit, Totschlag und
Verzweiflung untereinander, die tödlichen Folgen des Saufens, die
Franzosen-Krankheit infolge des Hurenlebens, die Gefahr der Meuterei gegen
hochgestellte Offiziere. Mercurius hat Sausewind damit den Kriegsdienst
gründlich vermiest.
Die dritte
Handlung [21] führt Teutschland zunächst in seinem ganzen
Elend vor, ehe es dann doch noch zu einer Wendung kommt. Die Klage des
allergeplagtesten, zerrissenen, beraubten, geplünderten, verbrannten,
ausgemergelten und verderbten Teutschland wird eindrucksvoll unter Verwendung
biblischen Sprachmaterials artikuliert. Die Schuld und Torheit wird im
Sich-Einlassen mit den fremden Mächten gesehen, die Teutschland darauf an
den totalen Krieg ausgeliefert haben, der dann noch als seine schrecklichen
Schwestern und zusätzliche Peiniger Pest und Hunger mit sich brachte.
Selbst Mars will nicht, daß Teutschland ganz umkommt, weil es dann nichts
mehr zu holen gibt. Das verletzte Teutschland wird darum dem Feldscher "Ratio
Status", d.h. der damals auch bei anderen protestantischen Autoren in schlechtem
Ruf stehenden machiavellistischen Staatsräson, einem Quacksalber und
Kurpfuscher wie er im Buche steht, zur zweifelhaften Behandlung übergeben.
Seine Pflaster sind die Liga, die Union, die Neutralität oder die
Bündnisse mit Fremdmächten. Hier sind immerhin politische
Gegebenheiten erfaßt, aber der Autor wahrt ihnen gegenüber kritische
Distanz.
Nunmehr sucht der vertriebene Friede -
eben das, was Teutschland fehlt, - diese wieder auf, freilich noch nicht, um
wieder bei ihr zu wohnen, sondern um ihr im Auftrag der göttlichen
Barmherzigkeit wenigstens einen "gnädigen Blik zu ertheilen". Der Prediger
Mercurius erklärt Teutschland, daß es zur Erlösung aus dem Elend
der Vorbereitung durch rechtschaffene wahre Buße bedürfe. Falls es
dazu nicht käme, würde der Gnadenblick des Friedens wieder von
Teutschland genommen und ihr noch größere Trübsal als bisher
widerfahren. Wie zu erwarten, reagiert Teutschland verständnislos mit dem
Hinweis auf all das Schlimme, das sie durchgemacht hat. Mercurius beharrt jedoch
darauf, daß all dieses als gerechte Strafe zu akzeptieren sei. Die fremden
Völker gelten nur als die Instrumente des Zornes Gottes. Der Abfall wird
dabei umfassend mit einem politischen, ethischen und sprachlichen Abfall vom
deutschen Herkommen gleichgesetzt. Nun kann sich auch Teutschland dieser
Erkenntnis nicht mehr verschließen; es bleiben der Sünderin nur noch
die Bitte um Barmherzigkeit, Reue über die Missetaten, Vertrauen auf Gottes
Barmherzigkeit und der Vorsatz zu einem wohlgefälligen
Wandel.
Unter diesen Voraussetzungen soll
Teutschland schließlich Gott selbst um die erneute Gabe des Friedens
bitten. Die Vermittlung übernimmt der Friede selbst, der sich aber nochmals
sagen lassen muß, daß das Gebet Teutschlands Gott bisher ein Greuel
gewesen ist, "dieweil Jhre Hände voll Bluht und all Jhr thun lauter
Sünde und Schande". Der springende Punkt ist also die aufrichtige und
rückhaltlose bußfertige Einstellung. Hierauf folgt das große
Sündenbekenntnis Teutschlands. Der Sündenkatalog nennt Verachtung von
Gottes Wort, Lästerung, Hoffart, Lügen, Eigenliebe und -ehre,
Ungehorsam, Feindschaft, Zorn, Rachgier, Ungeduld, Unzucht, Ungerechtigkeit,
Geiz, allerlei böse Lüste und tausend andere Sünden. Rist bleibt
damit wieder recht allgemein. Dies geht dann über in die Bitte um Frieden,
Frieden im persönlichen Kreis, in Ländern und Städten, in Kirchen
und Rathäusern, unter Fürsten und Untertanen, unter Geistlichen und
Weltlichen, unter Jungen und Alten, bei allen Menschen. Die Antwort der
göttlichen Majestät übermittelt die Gerechtigkeit. Sie weist
darauf hin, daß die Buße nicht aus freiwilliger Erkenntnis, sondern
erst aus Not und Elend erwachsen sei, und schenkt der "Heuchelbuße", die
schon oft Besserung zugesagt, aber dies niemals gehalten hat, zunächst
keinen Glauben. Darauf legt sich die Liebe ins Mittel und behaftet Gott bei
seiner unermeßlichen Barmherzigkeit. Ein Engelschor stimmt "Verleih uns
Frieden gnädiglich" an. Nunmehr erklärt Gott seine Gerechtigkeit durch
die Liebe überwunden. Aber Teutschland muß ihre Besserung mit der Tat
und Wahrheit noch beweisen. Inzwischen läßt ihr Gott die Hoffnung des
Friedens zukommen, dieser selbst wird ja in Westfalen noch ausgehandelt. Die
Mahnung bleibt bestehen, vom Bösen zu lassen, Gutes zu tun, dem Frieden
nachzujagen, anzuhalten im Gebet und geduldig in Kreuz und Trübsal zu sein.
Den Schluß bildet ein Loblied. Angesprochen ist durchaus populär eher
eine gottesdienstliche Gemeinde als ein
Theaterpublikum. [22]
Der Umstand,
daß Rist einen wirklichen Frieden nur nach erfolgter Buße für
möglich hielt, daß er erwartete, die Schuld für Unglück und
Katastrophen werde von den Menschen der unzulänglichen Verwirklichung ihrer
christlichen Existenz zugeschrieben, und daß es für angemessen
gehalten wurde, daß einstweilen lediglich eine Hoffnung auf den Frieden
bestand, ist einigermaßen überraschend und erstaunlich. Es fragt
sich, ob dies die Sichtweise Rists allein war oder ob sie allgemeinere Bedeutung
besaß.
Aus Rists Vorbericht [23]
läßt sich immerhin ansatzweise entnehmen, wie das Drama aufgenommen
worden ist. Rist hat wohl aus Schriftstellerkreisen anonyme Anfeindung
zunächst wegen seines Eintretens für die Opitzsche deutsche
Sprachreform erfahren. Weiter suchte ihm sein Kritiker Beleidigung vornehmer
Mitglieder des Militärs zu unterstellen. Die Behauptung, Deutschland sei
von fremden Völkern jämmerlich zugerichtet worden, wurde ihm
angekreidet. Rist blieb aber dabei, daß Teutschland durch ihre eigenen
Kinder und fremde Völker geplagt worden sei. Was für ein Recht die
fremden Nationen dazu haben, habe er nicht untersucht, es sei ihm viel zu hoch;
keiner Nation sei mehr Schuld zugemessen worden als der andern. Die politische
Analyse der Ereignisse war nicht Rists Thema. Die Kritik am Soldatenleben war
nicht persönlich gemeint, sondern wollte die Laster tadeln und wurde so
auch in der Regel aufgenommen. Der rechte Leser des Dramas wird Gott "in wahrer
Demut und Bußfertigkeit von gantzem Herzen anrufen um den
Frieden".
Mit seiner Verbindung von Friedenswunsch
und Bußruf stand Rist, wie sich schon durch Paul Gerhardt angedeutet hat,
zweifellos nicht allein, sondern dürfte repräsentativ für die
reformbereite lutherische Pastorenschaft gewesen sein. Der Friede war nicht
stolze menschliche Errungenschaft, sondern göttliches Geschenk, das
verspielt werden konnte. Das Flugblatt "Es ist Fried" (M. Rembold, Ulm 1648)
kombiniert einen "FriedensSpruch", einen "FrewdenSpruch", einen "LobSpruch" und
einen "BußSpruch". [24] Das Flugblatt "Germania o Vatterland, dein
grose Schand ist Gott doch nit verborgen" (Adam Fabritius 1648) [25]
läßt Gott mit Jes. 45,7 konstatieren: "Ich gebe den Frieden und
schaffe das Übel." Das Bild zeigt Christus mit seinen Jüngern im
Schiff während des Seesturms. Der Text mahnt ernst zur Umkehr. Das anonyme
"Klaglied des H. Röm. Reichs und Teutschen Landes" (Nürnberg 1649)
kombiniert die Sündenwarnung mit der drastischen Beschreibung des
erfahrenen Unheils. [26] Mit dem Kunstgriff, lediglich "Das
Friedewünschende Teutschland" darzustellen, vermochte Rist 1647 die
konkrete politische und zugleich seelsorgerliche Situation vor der Erlangung des
Friedens zu erfassen. Dem Drama Rists folgt weithin der Wolfenbütteler
Jurist Justus Georg Schottelius mit seinem Schauspiel "Neu erfundenes Freuden
Spiel genandt Friedens Sieg" (1642/1648), das mit seiner Schwerfälligkeit
freilich das Format Rists erst recht erkennen
läßt. [27]
IV. Das
Friedejauchtzende Teutschland
Daß Rist auch
der Freude über den Frieden freien Ausdruck geben konnte, zeigt sein
Gedicht für das Fried- und Freudenfeuer am 5. September 1650. [28]
Endlich war die Kriegsmacht abgetan, aber die Erinnerung verweilt bei der
früheren Angst und dem erfahrenen Unheil: "In diesen Kriegen war Land /
Volk und Geld die Beut." Der Entschluß der Fürsten zu den
Friedensverhandlungen wird göttlichem Antrieb zugeschrieben. Das Verdienst
des Kaisers um den Frieden wird hervorgehoben und gleichzeitig nicht
verschwiegen, wie hart Deutschland unter der Kriegsführung der Kronen
(Frankreich und Schweden) gelitten hatte. Um so größer ist der Jubel
über den in Münster und Osnabrück sowie auf dem Nürnberger
Exekutionstag 1650 geschlossenen Frieden. Die besondere Verschonung Hamburgs vom
Krieg verdient entsprechenden Dank, ist aber auch Anlaß zu dem
Freudenfeuer, dessen Bilder Rist dann beschreibt. [29] Auch dieses Lied
mündet in ein Gebet mit Sündenbekenntnis und schließlich mit Lob
und Dank, bevor der Kriegswirklichkeit Gute Nacht gesagt
wird. [30]
Obwohl man meinen könnte,
daß das Thema damit abgehandelt war, hat Rist, wie schon im
"Friedewünschenden Teutschland" in Aussicht gestellt, nachdem der Friede
erlangt war, 1653 das schon zuvor aufgeführte Schauspiel "Das
Friedejauchtzende Teutschland" herausgebracht. [31] Der
Vorbericht [32] gibt sofort zu erkennen, daß der erreichte Friede
auch damals brüchiger und problematischer als erwartet empfunden wurde. Die
Vorrede trägt "die Wahrheit" vor, anonym, als "unansehnliches /
schlechtgekleidetes / armes Weibsbild", das mit Spott, Verachtung und Haß
rechnet. Es gebe für sie keinen Ort in der Welt, wo sie mit dem Frieden
wohnen könnte: "Die Gotteshäuser / welche ja billich Freystädte
und sichere Plätze für alle / sonderlich die Tugendhaffte Menschen
seyn solten / sind mir zu meinem Auffenthalt sehr gefährlich / und will man
mich auch in den Kirchen fast gar nicht mehr leiden." Bei Hofe sehe man den
schwarzen Teufel lieber als die Wahrheit und hetze sie mit Hunden. In den
Rathäusern der Reichs-, Kauf- und Handelsstädte werde sie empfangen
wie ein Dieb im Kohlgarten oder auf dem Kornboden von einem Bauern. Von
Kaufleuten, Handwerkern, Schiffern, Ackergesellen und Tagelöhnern erfahre
sie Anfeindung; die Kriegsleute hätten sie des Landes verwiesen. Den
Verdacht, man könne mit ihr nicht auskommen, weist die Wahrheit als
völlig unberechtigt zurück. Als ihren eigentlichen Wohnort gibt sie
den Himmel an. Jeder sei gefragt, ob er ihr günstig sei. Sie bekommt jedoch
gesagt, "wer die Lauten der Warheit schlägt / und ein recht klingendes
Stück darauf spielet, dem soll man das Saitenspiel auff dem Kopffe
zertrümmern, packe dich Warheit!" Die Wahrheit kann sich aber das Wort
nicht nehmen lassen und stellt fest: Das durch den Krieg verderbte Teutschland
habe Gott in seiner Barmherzigkeit wieder mit dem Frieden beseligt. Ob dieser in
Teutschland bliebe, kann die Wahrheit nicht
sagen.
Die "Erste Handlung" (Akt) [33]
zeigt zunächst einen Geistlichen, einen Vornehmen und einen Bürger,
also die Vertreter der drei Hauptstände, die von dem die kriegsbedingte
Gewalt verkörpernden Wühterich nach wie vor geplagt werden. Von einem
Ende der alle Stände betreffenden Verheerung durch den Krieg oder gar einer
Abhilfe ist einstweilen nichts zu erkennen, es bleibt nur das flehende Gebet.
Teutschland klagt über das Herzeleid, "daß keines Redners Zunge so
fertig / kein Dichter so sinnreich / kein Schreiber so geschwind / der es mit
Worten / oder auch nur auff dem Papier / der Welt könte fürstellen".
Sie muß sich aber von ihrem Begleiter Wahremund, einem "ansehnlichen unnd
auf gar altfränckische Art bekleideten Priester", der offenbar das
Sprachrohr der Wahrheit ist, sagen lassen, daß die großen und
vielfältigen Plagen durch ebensolche Sünden verursacht
seien.
Teutschland versteht nicht, warum die
Strafe undifferenziert ohne Ansehen der Person alle treffen muß. Dies gibt
Wahremund Gelegenheit zu einer großen Strafpredigt: "Etliche Fromme und
Gottselige außgenommen" seien die Geistlichen der Kriegszeit "setzame
Geschöpfe", die eben nicht zur Sanftmut und Friedfertigkeit ermahnten,
sondern "sich selber auf das eusserste untereinander bestreiten / Sie sind es /
die einander verdammen / verketzern / ja gar dem Teuffel übergeben..."
Weniger als die Fürsten trügen sie zum Frieden bei. Sie könnten
doch nicht mit dem Frieden begabt werden. Viele seien dazu Mammons-Diener,
gewinnsüchtig wie gewissenslose Kaufleute und Wucherer. Etliche fluchten
wie ein ruchloser Landsknecht und söffen mit ihren Pfarrkindern im
Wirtshaus. Ein großer Teil bekümmere sich wenig um die Erbauung der
Kirche Gottes und die Seligkeit ihrer Schäflein. Viele gäben nichts
auf theologische und gelehrte Arbeit, sondern widmeten sich ihrer
Landwirtschaft. Die Strafe habe sie also zu recht getroffen. Manches an dieser
Kritik ist gewiß topisch. Anderes dürfte den Umständen der
Kriegszeit zuzuschreiben sein. Auffallend ist vor allem, daß sich Rist
überhaupt in die Reihe der sonst eher unter den Spiritualisten zu findenden
Kleruskritiker eingliedert und daß auch er zu denen gehört, die der
Streittheologie Schuld am Kriege beimessen. So verwundert es nicht, daß er
später in den Monatsgesprächen Sympathien mit dem Helmstedter
Synkretismus erkennen ließ, der die konfessionellen Streitigkeiten
überwinden wollte. [34]
Daß die
Fürsten nicht selten ein unordentliches Leben und Regiment führen,
liege vielmals an ihrer üblen Erziehung und an der fehlenden Kritik. Rist
beeilt sich aber zu beteuern, daß es auch tapfere, vernünftige,
gelehrte, erfahrene, tugendhafte und fruchtbringende Helden jederzeit gegeben
habe. Zum Teil seien auch die Räte, Amtleute und Richter an den
Mißständen schuldig, sofern bei ihnen die Gottesfurcht als Mutter
aller anderen Tugenden fehle. Der größte Teil der Hofleute glaube
nichts, habe für christliches Leben nur Spott übrig und meine, sich
nicht um die Pfaffenhändel und die Bibel kümmern zu können. Eben
diese seien jedoch beispielgebend für die Beamtenschaft. Die Regierenden
seien an sich die Beschützer der beiden Gesetzestafeln, befolgten aber
selbst die Gebote nicht, hielten sich nicht an die Sonntagsheiligung, lebten
epikurisch, fänden sich jahrelang nicht zu Beichte und Abendmahl ein,
führten selbst schwere Streitigkeiten anstatt Konflikte zu vergleichen,
seien die größten Wucherer, Schinder und Bauernplager, leiteten gegen
die Vorschrift Hurenhäuser und hielten sich selbst Konkubinen. So sei es
kein Wunder, wenn Gottlosigkeit und unchristlicher Wandel trotz der
Bemühungen getreuer Seelenhirten grassierten und es keine Gerechtigkeit
gebe. Nicht Qualifikation, sondern Beziehungen und Korruption verhülfen zu
Ämtern. Die Schärfe der Kritik an der Beamtenschaft steht der an der
Geistlichkeit in nichts nach. Offenkundig fällt es der Kirche schon nicht
mehr leicht, christliche Normen in der Breite des Beamtenapparats konsequent
durchzusetzen. Die schlimmen Zustände im Hausstand der Bürger und
Bauern ergeben sich aus dem vorigen und werden erstaunlicherweise gar nicht mehr
breit entfaltet. Eine erhöhte Verantwortlichkeit für die
Verhältnisse wird offenbar der Pfarrerschaft und der Beamtenschaft
beigemessen.
Wie man aus Rists
Vorbericht [35] erfährt, haben Wahremunds Bußpredigten
Anstoß erregt. Rist muß beteuern, daß es auch rechte
Geistliche gebe, aber insgesamt bleibt er bei seinen Behauptungen, hat er doch
selbst die größte und heftigste Verfolgung von Geistlichen erlitten,
und zwar von solchen, die ihre Predigten aus Postillen ausschrieben und sonst
ein ungeistliches Leben führten. Überraschend wird fortgefahren: "ja /
von solchen Geistlichen, welche offt besser geschicket sind / arme / unschuldige
Weiber, welche sie Hexen nennen / an die Folter werffen zu lassen / ja sich
grausamer als die Hencker gegen ihnen zuerweisen". Rist entpuppt sich hier als
Gegner der Hexenverfolgung. Weiter werden einfältige Kollegen genannt, die
es andern neiden, wenn diese ihre Begabung zu Gottes Ehre, zur Erbauung der
Kirche, zur Aufmunterung christlicher Herzen und [!] zum Erwerb eines
rühmlichen Namens anwenden: "Da stehen sie alsdenn und spitzen die Ohren /
wie des Bileams Leibroß / rümpfen die Nasen / wie die Affen /
schüttlen die krausen Haare / wie die / vom schwimmen ermüdete
Wasserhunde." Auch Wahremunds Kritik an der Beamtenschaft meint Rist ganz und
gar belegen zu können. Mit dem Philander von Sittewald des Johann Michael
Moscherosch ist Rist der Meinung, wer getroffen sei, solle es sich selbst
zuschreiben.
Das Zwischenspiel [36]
führt vor, wie einige Bauern sich im Krieg jeder politischen, kirchlichen,
sittlichen und wirtschaftlichen Ordnung entwöhnt haben und gar keinen Wert
mehr auf normale Friedensverhältnisse legen. Als Landpastor wußte
Rist, wovon er sprach.
Die "andere
Handlung" [37] berichtet zunächst, daß Mars, "um die in
Westphalen neuangestellte Friedentractaten" zu hintertreiben, die Ratio Status
als geheimsten Rat angenommen und diese ihm eine neue Rüstung verpaßt
habe, auf der rechts "Religion" und links "Freyheit oder Libertas" stehe, die
die Deutschen blenden solle, daß sie keinen Frieden begehrten. Rist ist
also gegen diesen "Deckmantel aller geführten Kriege". Ratio Status hat
noch weitere Argumente für die Fortsetzung des Krieges wie die notwendige
völlige Unterwerfung des Gegners, die unmögliche Erstattung der
Kriegskontributionen und die schwierige Demobilisierung so vieler Soldaten.
Außerdem will sich Ratio Status des "Fräulein Mißtrau / Madame
Diffidence" als Kriegsagentin bedienen. Sie soll den Deutschen den "Unterschied
der Religionen" predigen, der keine wahre Einigkeit zulasse. Rist wird nunmehr
deutlich als Ireniker erkennbar. Fräulein Mißtrau verbreitet auch,
daß es mit dem Frieden erhebliche wirtschaftliche Verlierer geben werde.
Der Trost, der zunächst bleibt, besteht in der unpolitischen Erwartung,
daß Gott die Anschläge der Feinde zunichte machen kann. Wahremund
erläutert Teutschland, dies setze voraus, "daß ein anderes und
besseres Christenthum unter uns Teutschen künfftiger Zeit angerichtet"
werde: Auf die frühere Zustandsanalyse folgen nun Reformvorschläge.
Den Predigern habe es allein um Gottes Ehre und das Seelenheil ihrer
anvertrauten Schäflein zu gehen. Die Polemiker, Zeitungen-Prediger und
Aristoteliker könne man nicht mehr brauchen. Wie man zu dem neuen
Pfarrstand kommen solle, wird freilich nicht gesagt. Ebenso bleibt es bei der
bloßen Forderung nach gottesfürchtigen Fürsten und
tüchtigen, Gott und der Tugend ergebenen Beamten. An dieser Stelle treten
als Beispiel eines geglückten und recht ideal beurteilten, gottgeschenkten
Friedensschlusses nach Achtzigjährigem Krieg die Königin Batavia,
bezeichnet als Tochter Teutschlands, und der König Ibero auf. Immerhin wird
damit auf einen konkreten politischen Vorgang Bezug
genommen.
Zugleich ist bereits klar, daß der
Friede auch Teutschland von Gott gegeben werden muß, indem es zu einem
Übereinkommen des Kaisers mit den Kronen Frankreich und Schweden
einschließlich gegenseitigem "ewigem Vergessen" (Amnestie)
kommt. [38] Mars muß mit seinen Hilfskräften vor dem Frieden
fliehen. Infolge dieser Wendung führen nun der Geistliche, der Vornehme und
der Bürger ihrerseits Wühterich gefangen, und der Friede
läßt Mars in Ketten legen, warnt aber Teutschland, damit er nicht zur
Strafe wieder losgelassen werden müsse. Nun gilt es, das gottgefällige
Leben zu verwirklichen. Der Friede rät zur guten Ordnung von Gottesdienst,
Regierung und Verteidigung. Die Glückseligkeit aller Herrschaft bestehe
gegen die Auffassung der verfluchten Machiavellisten in der Gottesfurcht. Die
Aufsicht über die Kirche wird Wahremund übertragen, der für
Lehrer zu sorgen hat, "die das Göttliche Wort lauter und rein / ohne
Menschliche Zusätze / lehren und predigen / die heiligen Sacramenta nach
der Ordnung und Einsetzung unsers Heilandes / ihren Zuhörern darreichen /
nicht ablassen alle und jede Menschen ernstlich zu ermahnen / die blöden
und erschrokkenen Hertzen mit Verheissung Göttlicher Gnade und
Barmhertzigkeit auffzurichten / die Bußfertige Sünder zu trösten
/ die Verstokkete und Halsstarrige aber zu bedräuen / zu straffen / ja
endlich zu verbannen". Zudem sollen sie ein vorbildliches Leben vor der
anvertrauten Herde führen. Dieses Anforderungsprofil entspricht weitgehend
dem Standard der lutherischen Kirche; lediglich die mögliche
Exkommunikation hartnäckiger Sünder ist etwas schärfer als
üblich formuliert. Von Regierung und Beamtenschaft werden vorweg
Gottesfurcht, sodann Gerechtigkeit, auch gegen die Armen, Unbestechlichkeit,
Schutz der Frommen, Strenge gegen Gottlose und Friedensstörer sowie
Bestrafung von Sünde und Lastern erwartet. Insgesamt zeichnen sich die
Vorstellungen von der Friedensordnung kaum durch Originalität, sondern
durch nüchterne christlich-konservative Gediegenheit aus, was
wahrscheinlich nicht eben zu begeistern vermochte, aber von den Realitäten
her gefordert war. Der "herrlich" oder auch opernhaft zu spielende, jauchzende
Schlußchor gilt Gott, dem Bezwinger des
Krieges.
"Gott zu Ehren / seinem H [eiligen] Namen
zu Lobe und Preise, den Frommen zur Lust und Lehre, den Gottlosen zur Warnung
und Ermahnung / und denn endlich den Nachkommenden zum Unterricht und Zeugnisse
von allen den grosse Wercken, die Gott an uns gethan," hatte auch Rist sein
"Wercklein" geschrieben. [39] Die letzte, entscheidende Instanz war
für ihn immer Gott; deshalb blieb sein Interesse an der Herausarbeitung der
politischen Umstände begrenzt. Dabei schwebte Rist mit der
Wiederherstellung sittlich integrer Verhältnisse in Kirche, Politik und
Gesellschaft ein konservatives Ideal vor. Immerhin ergab sich von daher ein
Ansatz zu konkreter Kritik beispielsweise an der destruktiven Streittheologie
des Konfessionalismus, am ungeistlichen Leben der Pfarrer oder an der allgemein
grassierenden Korruption, wobei die Gegenmaßnahmen freilich allenfalls
rudimentär erkennbar wurden. Ein Reformer war Rist eigentlich noch nicht.
Für ihn stand fest, daß eine allgemeine Aufarbeitung der
Vergangenheit zu erfolgen hatte, und dies mußte durch Buße
geschehen, die die Zuwendung Gottes wieder ermöglichte. Insofern konnte die
Reaktion auf den gewonnenen Frieden trotz des Gotteslobs nur demütig und
ernst sein, was insgesamt der harten Realität angemessen gewesen sein
dürfte. Aus dem Blickwinkel der Buße hat der Dichter eine
charakteristisch protestantische und zugleich den neuen Herausforderungen
entsprechende Wahrnehmung der akuten Wirklichkeit
geschaffen.