DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
WILHELM SCHMIDT-BIGGEMANN Apokalypse und Millenarismus im Dreißigjährigen Krieg |
I. Die Haupttopoi der Apokalyptik
Der Vorabend des
Dreißigjährigen Kriegs war auf protestantischer Seite apokalyptisch
durchzittert. Da das Konzil von Trient alle apokalyptischen
Gegenwartsinterpretationen weitgehend zurückgedrängt hatte, waren die
politisch-theologischen Ideen der Apokalypse vor allem in den protestantischen
Kirchen zu finden. Zwei Momente waren für diese Bewegungen
konstitutiv:
a. Die apokalyptischen Reformgruppen
durften nicht weltlich- rechtlich, sondern mußten spirituell verfaßt
sein. Ihre politischen Ziele sollten stets mit nachgerade unmittelbarer
göttlicher Hilfe verwirklicht werden.
b. Die
apokalyptischen Bewegungen hatten von Beginn an einen antihabsburgischen Affekt.
Der Tenor der Polemik war, daß das Haus Habsburg eigentlich international,
nicht deutsch sei, daß es den Hausinteressen alle vaterländischen
Interessen unterordnete und dadurch auch seine Legitimation auf den
römisch-deutschen Kaisertitel verspielt habe. In der Bibel mußten die
Merkmale geistlicher Politik gefunden werden, mit denen der Endkampf der
Gegenwart bestritten werden konnte. Hier liegt die Ursache der apokalyptischen
Interpretation der Politik mit biblisch-prophetischen Mustern. Die Merkmale
einer solchen politischen Apokalyptik richteten sich nach der Vorgabe von
biblisch formulierten Prophetiemustern. Dabei waren das Buch Daniel, die
Lobpreisungen des Jesaia auf die Könige von Mitternacht und Morgenland und
die Geheime Offenbarung des Johannes besonders wichtig. Das Buch Daniel lieferte
die Motive von den vier Reichen, vom Kampf der Könige vor dem Weltenende
und vom Erzengel Michael.
Die Lehre von den vier
Reichen (Dan. 7,1-28) war für die Selbstinterpretation des Reiches
schlechterdings konstitutiv. Das Heilige Römische Reich begriff sich im
Anschluß an das Imperium des geflügelten Löwen, des Bären
und des Flügelpanthers als Herrschaft des vierten, namenlosen Tieres, nach
dessen Ende das Gericht des Herrn hereinbrechen sollte. Diese Interpretation war
im Dreißigjährigen Krieg besonders virulent, denn der Zusammenbruch
des Reichs hätte auch das Ende der Welt
bedeutet.
Die Vision vom Kampf der Könige
(Dan. 11,20-12, 3) und vom hilfreichen König von Norden ließ sich
vielfach auf die Situation im Dreißigjährigen Krieg applizieren: Der
König des Südens fällt im Heiligtum ein und zwingt das Volk zum
Abfall vom Glauben. Der König des Nordens kämpft gegen den König
des Südens und überflutet das Land des Südkönigs mit seinem
Heer. "Zu jener Zeit wird Michael, der große Engelsfürst, der
für dein Volk eintritt, sich aufmachen. [...] Aber zu jener Zeit wird dein
Volk errettet werden, alle, die im Buch geschrieben
stehen."
Diese Vision vom hilfreichen König
aus Norden wurde durch die Prophetie Jesaias (Jes. 41,25 und 49,12)
verstärkt, der den König von Norden mit einem aus dem Osten
verband.
Die wichtigsten Topoi der Geheimen
Offenbarung sind die Visionen von der kosmischen Madonna, vom
Tausendjährigen Reich, vom Weltgericht und vom Himmlischen
Jerusalem.
Die kosmische Frau, Symbol Mariens und
der Kirche, ist "mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren
Füßen, auf dem Haupt eine Krone von 12 Sternen." Sie schreit in
Geburtswehen und wird von einem Drachen mit sieben Köpfen, zehn
Hörnern und sieben Kronen verfolgt, der ihr Kind fressen will. "Aber das
Kind ward entrückt zu Gott und zu seinem Thron", die Frau flieht vor dem
Drachen, der im himmlischen Kampf von Michael gestürzt wird (Apok. 12,
1-9).
Die Lehre vom Tausendjährigen Reich
gründete sich auf Apok. 20, 1-7: Der Engel bindet den Drachen, die alte
Schlange, für tausend Jahre. In dieser Zeit regieren die Märtyrer,
gemeinsam mit Christus. Danach gibt es eine letzte Drangsal, ehe das
Jüngste Gericht eintrifft. Diese Lehre von der doppelten Auferstehung und
der tausendjährigen Herrschaft der Gerechten war im lutherischen Bekenntnis
seit der Augsburger Konfession (1530) als theologisches Lehrstück
verboten.
Dagegen wurde die Lehre vom Fall der
großen Hure Babylon, die auf einem Drachen mit sieben Köpfen sitzt
und untergehen wird (Apok. 17 und 18), im Anschluß an Luthers
Interpretation mit der römischen Kirche und dem Papst identifiziert. Ihrem
Untergang folgte die Bekehrung der Heiden und Juden nach Röm. 11, 25-27:
"Blindheit ist Israel nur zum Teil widerfahren, solange, bis die Fülle der
Heiden eingetreten ist, und als dann wird das ganze Israel gerettet werden."
Danach erfolgt das Jüngste Gericht, in dem der Herr nach dem Buch des
Lebens die Toten richtet (Apok. 20, 12). Diese Lehre vom Weltgericht war
dogmatisch unabdingbar, weil Teil des apostolischen
Glaubensbekenntnisses.
II. Johann Heinrich
Alsteds Restitution des Millenarismus
Im Jahr 1627
erschien in Herborn ein unscheinbares Büchlein, "Diatribe de Mille Annis
Apocalypticis". Es beanspruchte, eine genaue Exegese der Bücher Daniels und
Johannes' zu sein, keine chiliastische oder millenaristische Schwärmerei.
In einer Analyse von Apok. 20 und Dan. 11f. stellte das Büchlein fest,
daß der Beginn des Tausendjährigen Reiches im Jahre 1694 zu erwarten
sei. Die wesentlichen Kriterien: Der Endkampf sei bis dahin für den
König aus Norden entschieden, die Bekehrung der Juden stehe bevor, da mit
der Entdeckung Amerikas nun an allen Enden der Erde das Evangelium bekannt sei.
Mit der Bekehrung der Juden verbindet der Autor, Johann Heinrich Alsted, die
Erwartung der Bekehrung der "heidnischen"
Türken.
1627 war der Protestantismus, nach
dem Strohfeuer des Winterkönigtums, in einer dramatischen Situation. Tilly
und Wallenstein hatten die protestantischen Territorien, die nicht mit dem
Kaiser zusammenarbeiten wollten, weitgehend erobert, Wallenstein stand an der
Ostsee; es konnte wohl nur noch Hilfe von oben die protestantischen Kirchen
Deutschlands retten. Die Bedrückung, die nach der geheimen Offenbarung der
Ankunft des Tausendjährigen Reichs voranging, war also politisch
offenkundig. Sie würde, nach Alsteds Berechnungen, noch bis 1694 dauern.
Dann sollte das Millennium beginnen.
Mit Alsteds
Traktat, der nicht nur im Reich, sondern vor allem im revolutionären
England eine erhebliche Wirkung hatte, wurde der Millenarismus theologisch
akzeptabel.
III. Jakob Böhmes Rosen- und
Lilienzeit
Als Alsteds "Diatribe" erschien, war
der Dreißigjährige Krieg schon fast zehn Jahre alt. Der Versuch der
böhmischen Stände, mit Hilfe Friedrichs V. von der Pfalz ihre
Unabhängigkeit zu erreichen, war mit der Schlacht am Weißen Berge
(1620) gescheitert. Mit dem Winterkönig war die gesamte protestantische
Elite Böhmens und Mährens auf der Flucht, und Jakob Böhme klagte
in einem Brief vom 10. Dezember 1622 "des grossen Jammers und greulichen
Raubens, Mordens und unerhörter Teufeley bey der Christenheit" und deutete
die Schrecken als "eine Figur des künftigen Gerichts über diese
Lande".
Es war die Zeit politischer Propheten, und
gerade die spirituellen radikalen Gruppen konnten die Niederlage Friedrichs
nicht als Ende ihrer biblisch prophezeihten millenaristischen Hoffnungen
verstehen. Böhme rechnete mit einem geistlichen Goldenen Zeitalter: "Dann
das Aureum Saeculum wird mitten im Feuer zu Babel anheben zu grünen",
schrieb er am 8. Juni 1621. "Nur demüthig unterm Creutze eine kleine Zeit
der Majen wird seine Rosen wol bringen, und der Lilien-Zweig seine
Frucht."
1623 (20. Februar) hat Böhme seine
Eschatologie konzise zusammengefaßt: "Die Tribulation und Zerbrechung
Babels nahet sich heftig sehr, das Ungewitter zeucht an allen Orten auf, es wird
sehr wüthen: Vergebene Hoffnung betreuget, dann des Baumes Zerbrechung
nahet sich". Die Zerbrechung Babels bedeutet das Ende aller
institutionalisierten Kirchen. "Der Thurn zu Babel ist grundlos worden, man
meinet den mit Stützen zu erhalten, aber ein Wind vom HErrn stösset
ihn um." Das zielt auf Österreich und die katholische Reform: Der Versuch
der katholischen Parteien, die alte Kirche, Luthers Babel, mit Hilfe des Hauses
Habsburg wieder zu installieren, wird im göttlichen Sturm scheitern. "Das
Orientalische Thier kriegt ein menschlich Hertz und Angesichte; und ehe das
geschiehet, so hilft es den Thurn zu Babel mit seinen Klauen umreissen." Hier
erscheint das prophetische Motiv von der Bekehrung der Türken, mit deren
Hilfe das Haus Habsburg gestürzt werden soll. Dieses Motiv kennzeichnet die
gesamte radikale protestantische eschatologische Propaganda, sie wird durch die
Nordprophetie ergänzt: "In der Finsterniß der Mitternacht gehet eine
Sonne auf, welche ihren Schein aus den sensualischen Eigenschaften der Natur
aller Wesen, aus dem geformeten, ausgesprochenen und wiederaussprechenden Worte
nimt; und das ist das Wunder, dessen sich alle Völcker freuen." Hier wird
die Jesaia-Vision so interpretiert, daß sie auf den schwedischen
König angewandt werden kann; und der kennt das Wesen der Dinge und steht im
Worte Gottes; er hat mithin die Erlöserfunktion, die Dinge zu ihrem
Ursprung zurückzuführen und die Unterdrückung der Völker in
Freude zu verwandeln.
Diese Prophetie wird nun mit
Wappen-Emblematik erläutert: "Ein Adler hat junge Löwen in seinem
Neste ausgebrütet, und ihnen den Raub zugetragen, bis sie groß worden
sind, in Hoffnung, sie werden ihm wieder ihren Raub zutragen; aber sie haben das
vergessen, und nehmen dem Adler sein Nest, und rupfen ihm seine Federn aus, und
beissen ihm vor Untreue die Klauen ab, daß er nicht mehr Raub holen kann,
ob er möchte verhungern: Sie aber werden um des Adlers Nest uneinig, und
zerreissen sich im Zorne, bis ihr Zorn ein Feuer wird, welches das Nest
verbrennet, und solches vom HErrn aller Wesen." Der Adler ist natürlich das
Haus Österreich. Die Löwen sind zwar nicht eindeutig zu
identifizieren, deuten aber auf die Wappentiere Böhmens und der Kurpfalz
hin. In jedem Falle wird erneut das Verschwinden des Hauses Habsburg
prophezeiht, das wegen seiner Bündnispolitik zugrundegehen wird. Aber auch
die Bündnispartner werden als politische Instanzen nicht überleben,
sagt Böhme voraus. Böhmes Interessen können nicht ohne weiteres
politisch vereinnahmt werden. Ihm geht es um eine innere, spirituelle Kirche.
Eine in politische Macht umschlagende Spiritualität lehnt er ab. Sein Ideal
ist die Lilie, das Erblühen der Welt nach dem göttlichen primordialen
Plan. Böhme hat den Endzustand symbolisch beschrieben: "Eine Lilie stehet
von Mittag gegen Mitternacht: welcher dieselbe wird zum Eigenthum bekommen, der
wird singen das Lied von Gottes Barmherzigkeit; und in seiner Zeit grünet
des Herren Wort, wie Gras auf Erden, und die Völker singen das Lied von
Babel in einer Stimme, dann der Anfang hat das Ende funden." Die Lilie
symbolisiert die Zeit der Wiederherstellung der Paradieswelt im eschatologischen
Prozeß.
IV.
Comenius' "Lux in tenebris"
Mit den böhmischen
Exulanten war auch die Gemeinde der Böhmischen Brüder und ihr
spiritus rector Johann Amos Comenius auf der Flucht. Comenius
(1592-1670), der 1612 bei Alsted in Herborn studiert hatte, ist sein Leben lang
Millenarist geblieben. Zehn Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen
Krieges hat er ein letztes Mal versucht, die Weissagungen, die sich schon auf
den Winterkönig bezogen hatten, politisch wirksam zu machen. Er
veröffentlichte nach dem Tode des Kaisers Ferdinand III. 1657 eine Sammlung
von Prophetien aus dem Dreißigjährigen Krieg: "Lux in Tenebris", die
die Gesichte von Christoph Kotter, Christiana Poniatovia und Nicolaus Drabic aus
den Jahren 1616-1656 enthielten. Der Tenor war die Vorhersage des Untergangs des
Hauses Habsburg. Comenius wollte noch 1657 die Wahl eines weiteren Habsburgers
zum neuen Kaiser verhindern, auch, um damit die Herrschaft eines apokalyptischen
Königs zu ermöglichen. Das Unternehmen scheiterte, der neue Kaiser war
wieder ein Habsburger: Leopold I.
(1640/1658-1705).
Im Vorwort zu seiner
prophetischen Sammlung hat Comenius den Duktus der Prophetien, die nach seiner
Überzeugung göttlichen Ursprungs waren, in 15 Thesen
zusammengefaßt: "1. Die Welt ist so verdorben, wie sie es zu Zeiten Noas
vor der Sündflut war, vor allem die christlichen Völker, zumal das
deutsche. 2. Der Papst ist jener große Antichrist und die Hure Babylon. 3.
Das Tier, auf dem die Hure reitet, ist das Römische Reich, genauer das Haus
Habsburg. 4. Gott wird dies nicht länger ertragen, er wird die Welt der
Gottlosen erneut zerstören und mit Blut überschwemmen. 5. Deshalb wird
er Himmel und Erde in Bewegung setzen, d.i. er wird alle Völker
gegeneinander hetzen und eine unerhörte Verwirrung erzeugen. 6. Wenn dieser
Krieg zu Ende ist, werden der Papst und das Haus Österreich untergegangen
sein. 7. Wegen ihrer himmelschreienden Tyrannei werden sie von allen vier Seiten
der Welt geschlagen. 8. Die ersten werden die nördlichen und östlichen
Völker sein. 9. Das sind vor allem die Schweden, gemeinsam mit ihrem
König, dem Pfalzgrafen bei Rhein, und dem Haus Rákóczi. 10.
Sie werden es einzeln versuchen, aber vergeblich, schließlich wird von
ihrer Vereinigung das Werk Gottes ausgehen. 11. Das wird mit unerhörter
Schnelligkeit geschehen, in einem Jahr, Monat, Tag, einer Stunde, zum Erstaunen
der ganzen Welt. 12. Die Türken und Tartaren werden intervenieren und das
Werk beschleunigen. 13. Als Lohn wird ihnen das Licht des Evangeliums
verkündet werden. 14. Es wird die Reformation des gesamten Erdkreises
eintreten, vor dem Ende der Welt. 15. Diese Reformation wird folgende Gesetze
und Form haben: Die Bilder werden mit dem Bilderkult vergehen, der reinste
Dienst der Höchsten wird überall
blühen."
Für Comenius war klar: Mit dem
Ende des Krieges 1648 war die apokalyptische Aufgabe der Kriegsparteien nicht
erfüllt. Es ist wenig verwunderlich, daß sein Buch in katholischen
Ländern verboten wurde.
Christoph Kotters
heraldische Visionen
Comenius' Sammlung war
der Versuch, die geistlich-apokalyptische Interpretation der Geschichte
fortzuführen, die mit den Visionen von Christoph Kotter (gest. 1647) noch
vor Beginn des Dreißigjährigen Kriegs begonnen hatte: Der Sprottauer
Gerber hatte seit 1616 Gesichte gehabt, die politisch immer konkreter wurden: Am
6. September 1620 prophezeihte ein himmlischer Bote, Friedrich werde König
bleiben, wenn er seine Feldzeichen auf Gott setze. Der Winterkönig wurde am
8. November geschlagen. Die Vision wurde deshalb spirituell als der allgemeine
Kampf der Löwen gegen den Adler des Hauses Habsburg umgedeutet. Der
Löwe wurde allmählich das Wappentier des Protestantismus: die Pfalz,
Böhmen, Schweden und England hatten Löwen als
Wappentiere.
Am 25. August 1622 hatte Kotter
folgende Vision: "Ein herrlicher Adler von großer Gestalt, mit
federreichen Flügeln, wird von einem weißen Löwen angegriffen.
Der reißt eine Feder aus dem linken Flügel. Danach wird der Vogel von
einem roten Löwen attackiert, der ihm eine große Feder aus dem Rumpf
zieht". Der Vogel stirbt an seinen Wunden. Dem weißen Löwen ist "der
Ton 'Weh' gegeben, mit dem er über die Erde tönt. Und dieser Löwe
wird einen großen Teil des Staates erobern und weise verwalten. Vom roten
Löwen wisse dies: [...] Jener rote Löwe, der den Schein der
Morgenröte trägt, wird den Liebhabern des Evangeliums zu Hilfe kommen,
und er wird einen Teil des Staates erobern. Und weil er ihn liebt, wird er mit
dem blauen Löwen gut zusammenwirken. Der blaue Löwe [...] wird von
Gott Festigkeit der Seele, Stärke, Ruhm und Macht gegen die Feinde
erhalten. Er ist der, den du siehst, wie er von einer dreifachen mächtigen
Hand gekrönt wird: Die Hand, die von oben kommt, ist die Hand Gottes
selbst. Die beiden, die von der Seite kommen, sind die beiden Mittler, die Gott
als Hilfe vorgesehen hat: vom Norden und vom
Osten."
Der Sinn der Vision ist eindeutig: Der
habsburgische Adler wird von drei protestantischen Löwen zuerst zu Tode
gerupft, danach übernehmen der rote, der weiße und der blaue
Löwe je ihr Regiment. Der weiße Löwe ist wohl der Schwede, der
rote Löwe ist der Fürst von Siebenbürgen, Bethlen Gabor, und der
blaue Löwe das neue, heilige Böhmen. Das neue Königreich
Böhmen wird von den beiden bei Jesaia prophezeihten Königen aus
Mitternacht und Morgenland gegründet, und es wird selbst ein neues Israel
sein, vom Himmel gekrönt.
Christiana
Poniatovias Vision des himmlischen Königs
Friedrich
Am 23. Januar 1628 hatte Christiana
Poniatovia (1610-1644), eine polnische Adelige im Gefolge des Comenius, ein
Gesicht: Die allerheiligste Trinität, ein Alter, der Herr und eine dritte
Person, eröffnete ihr die Zukunft in Bildern. Die Seherin sah den Kaiser
Ferdinand auf einem Stuhl sitzen, von einer großen Menge umgeben. Die
Menschen legten ihr Gold vor ihm ab, warfen sich vor ihm nieder und
küßten ihm die Füße. Er gab ihnen Blätter von Papier
und befahl ihnen, davonzugehen. Auf die Frage der Seherin, wer das denn sei,
antwortet der Herr: "Das ist die Hure Babylon, das wilde Tier, das sich
geistliche und weltliche Hoheit anmaßt und sie seiner Gewalt unterwerfen
will. Das ist der Mann, der die Welt beunruhigt, die Herrschaft verändert,
den gesamten Erdkreis in Unordnung versetzt und die Nationen zwingt, ihm zu
gehorchen. Das ist der Basilisk aus dem Geschlecht der Schlangen." (Lux in
Tenebris II,37) Die Geduld des Herrn, berichtet die Seherin, sei zu Ende, die
Welt Ferdinands solle nun die Strafe des Herrn erwarten. Dieser ruft die
Mächte des Nordens und Ostens herbei, damit diese Riesen die
Hochmütigen vom Throne stürzen. "Und ich sah sogleich die beiden
Männer wiederkehren, die die Könige niedergeworfen hatten, und in
ihrer Mitte führten sie Friederich! Als er bis zu uns kam, erblühte
Friedrich, wie ein Baum erblüht, und ich rief, als ich ihn sah: Du bist der
Olivenbaum der im Angesichte des Herrn ergrünt. Und der Herr sagte erneut:
Sieh! Und ich sah einen schimmernden, herrlich schönen Thron, und der Herr
sprach zu den Riesen: Führt ihn zum Thron und setzt ihn darauf." Wie der
blaue Löwe in der Vision Kotters, so bekommt auch Friedrich seine Krone vom
Herrn und den Mächten des Nordens und Ostens aufgesetzt: "Und es sprach
abermals der Herr und jener Alte: 'So spricht Jehova, der die Könige der
Erde einsetzt und verwirft, daß ich meinem Diener in Ewigkeit barmherzig
sein werde und meinen Bund mit ihm in Treue halten werde. Meine Augen werden
immer über ihm sein, meine Hand wird ihm helfen, und mein Arm wird ihm
Stütze sein. Mein Erbarmen und mein Segen werden mit ihm sein, er wird
meinen Ohren immer genehm sein, und seine Bitten finden Gehör.' [...]
Friedrich aber stieg vom seinem Thron auf, fiel vor den drei Personen auf sein
Angesicht und sprach: 'O Jehova, großer und gerechter Herr, von Dir kommt
dieser Sieg, von Dir die Weisheit, Dein ist der Ruhm. Dir will ich auf ewig
dienen.'" (Lux in tenebris II, S. 38f.)
Diese
Prophetie, die an Ps. 21,1-9 orientiert ist, erläutert aufs genaueste das
heraldisch verschlüsselte Gesicht der Vision Kotters. Der Kaiser ist die
Hure Babylon, die mit Hilfe der Mächte aus dem Norden und Osten, durch
Schweden und Ungarn/Siebenbürgen, eventuell sogar durch die Türken
gestürzt werden wird, um endlich den messianischen König Friedrich zu
inthronisieren.
V. Gustav Adolf als
eschatologischer König
Die Rolle Schwedens im
Dreißigjährigen Krieg, der Löwe aus Mitternacht zu sein, war die
geistliche Legitimation der Invasion Gustav Adolfs ins Reich. Gewiß, die
geistliche Interpretation entsprach der politischen Interessenlage Schwedens.
Die Entscheidung der Alternative, Wallenstein an der Südküste der
Ostsee als direkten Gegner zu haben oder mit der Zurückdrängung der
Habsburger ein schwedisches Reich als Ostsee-Imperium zu arrondieren, war nicht
schwer. Gleichwohl hat es sich Gustav Adolf nicht leicht gemacht. Er war sich
darüber klar, daß eine Invasion die offene Internationalisierung des
bis dato weitgehend auf das Reich beschränkten Krieges war. Aber er wurde
gedrängt. Comenius war im Lager in Tilsit einer seiner geistlichen
Ratgeber; dort, in Tilsit, wurden Medaillen geschlagen, die das Portrait des
Königs auf der einen und den Löwen aus Mitternacht auf der anderen
Seite zeigten. Und genau so sahen ihn auch die evangelischen Stände des
Reichs, die, wie in Kotters Vision deutlich wurde, lieber ihren Glauben bewahren
als ihr Vaterland geeint halten wollten. Die Ikonographie der Flugblätter
zeigte die Beurteilung: Der Löwe beschützt die Kirche vor dem
Drachen.
Ein Flugblatt aus dem Jahr 1631 stellt
die Situation der protestantischen Kirche in einer Vision dar, in der
Morgenröte ihrer Errettung, beim Hahnenschrei der schwedischen Invasion vom
6. Juli 1630.
Die Kirche steht auf den drei
Säulen göttlicher Prädikate: omniscientia - auslaufend in
eine Lichtsäule und gekrönt von dem Auge, das alles sieht;
omnipotentia - auslaufend in eine Wolkensäule, mit der Hand, die die
Weltkugel hält. Die dritte Säule ist "ein Aeschenbaum / der allen
Gifft verlachet / auff den der Pelican Alls wieder lebend machet". Die
Säulen der göttlichen Prädikate der Kirche haben die Bibel zum
Fundament: "Verbum domini manet in aeternum". Auch wenn von den fünf
Säulen der Vorhalle nur noch Stümpfe existieren, so ist ihre Basis
doch unzerstörbar. Auf den abgebrochenen Säulen Österreich,
Böhmen, Mähren, Augsburg und Pfalz liegt der römische Drache: Von
den sieben Köpfen sind zwei unbestimmt; die andern tragen ein
Jesuitenbarett, zwei einen Kardinalshut, einer eine Tiara, ein Drachenkopf hat
eine Mönchstonsur.
Auf der linken Seite wird
die wahre Lehre auf einem Felsen dargestellt: "Abr Sieh' ein Sonnen straal im
Norden schoß zuhand / Auff einen Felß / da auch die wahre Lehr sich
fand." In einer Höhle am Fuße dieses Felsens der wahren Lehre liegt
der schwedische Löwe, der zunächst "etwas scheu" das Schiff erwartet,
das ihn in den Krieg gegen den Drachen tragen soll: "Ein Langes Gelbes Creutz
mit einer blawen Fahn" [das schwedische Wappen, die Inschrift ist die, mit der
der erste christliche Kaiser, Konstantin, 312 das Heidentum mit der Schlacht an
der Milvischen Brücke beendete: In hoc signo
vinces].
"Ein See-Hahn auff dem Mast einn
Beutel Wol verwachte" [die Hansestädte, die Gustav Adolf finanziell
unterstützten].
"Ein Engel so Posaunt der
ward der Steuermann" [Bote des göttlichen Gerichts - zugleich Ruhm Gustav
Adolfs].
"Ein Holländischer Schipper trieb
stark zu Lande" [Holland unterstützte Gustav Adolf finanziell; Exulanten
aus den katholischen Niederlanden gab es auch in
Schweden].
"Nah' bey des Schiffes Port ein
schwarzer Lew lag lauschend' /
Mit einem Bischofs
Hutt / vor den in Meer her rauschend /" [Christian Wilhelm von Brandenburg hatte
sich nach seiner Absetzung als Administrator von Magdeburg dem
Schwedenkönig angeschlossen und kehrte mit der schwedischen Flotte aus
seinem Exil zurück].
"Ein hochgekrönter
Lew großmüthig sprang auffs Land /
Und
Frewdig mit sein Schwerdt Eiffrich zum Drachen
rand
Drauff hört ich ein Geschreiy: Jauchzet
ihr Exulanten /
Auch alle die ihr seyd Religions
Verwandten /
Barmhertzigkeit hat Gott durch sein
Allmächtigkeit /
In der Allwissenheit uns
allen zubereit /
Von Ewigkeit zu
Ewigkeit."
Die Symbolik dieses Flugblattes
arbeitet ganz selbstverständlich mit den Endzeitmustern der Apokalypse: die
wahre Lehre wird im Norden verkündet; der Löwe aus Mitternacht ist
natürlich schwedisch; die zweideutige Figur des apokalyptischen
Posaunenengels steuert das Invasionsschiff der heiligen Armee. Die Inschrift des
schwedischen Wappensegels zeigt Gustav Adolf als in der Tradition Konstantins
stehend und als den eigentlichen Erben des christlichen Kaisertums. Der
apokalyptische Drache gehört seit Luther zum Standardrepertoire
protestantischer Polemik gegen die Papstkirche, und dieses Symbol ist stabil.
Freilich fehlen der Kirche auf diesem Flugblatt alle Zeichen des himmlischen
Jerusalem und einer internen Erneuerung: Die protestantische Kirche hat mit
ihrem Fundament, der Schrift, und mit ihren drei Säulen der göttlichen
Prädikate Allwissenheit, Allmacht und Barmherzigkeit ihre zeitlose
Konsistenz gefunden.
LITERATUR