DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
HANS PETERSE Irenik und Toleranz im 16. und 17. Jahrhundert |
Luthrisch, Päbstisch und Calvinisch, diese Glauben alle drey
Sind
vorhanden; doch ist Zweiffel, wo das Christenthum dann
sey.
Friedrich von Logau,
1649
Das Scheitern der Religionsverhandlungen
zwischen Altgläubigen und Protestanten auf dem Augsburger Reichstag im
Jahre 1530 zerschlug die Hoffnung auf eine baldige Einigung und machte allen
Beteiligten deutlich, wie prekär die Lage war. Aus Furcht vor einem
bevorstehenden Krieg schlossen sich die protestantischen Fürsten 1531 im
sogenannten Schmalkaldischen Bund zusammen und suchten Kontakt zu Frankreich.
Durch diesen Schritt zwangen sie Kaiser Karl V. zur Zurückhaltung bei
seiner Bekämpfung der Reformation, die sich unaufhaltsam in den Territorien
des Reiches zu verbreiten schien.
Während
sich eine Spaltung der Kirche abzeichnete, veröffentlichte der Humanist
Erasmus von Rotterdam sein "Liber de sarcienda ecclesiae concordia" (1533). In
dieser Schrift formulierte er seine Überlegungen über die
Wiederherstellung der kirchlichen Eintracht. [1] Für Erasmus steht
außer Frage, daß sich im Laufe der Jahrhunderte Mißstände
in die Kirche eingeschlichen haben. Eine Beseitigung dieser
Mißstände, ohne daß es dabei zu einem Schisma kommt, hält
er nach wie vor für möglich: "Diese Krankheit ist noch nicht so weit
fortgeschritten, daß sie unheilbar wäre." [2] Er
befürwortet eine Form der Heiligenverehrung, die die menschlichen Tugenden
der Heiligen in den Vordergrund stellt, eine Reduzierung der Zahl der Feiertage
und eine Erleichterung der Fastengebote. Ein Konzil soll den Frieden innerhalb
der christlichen Gemeinschaft wiederherstellen und eine Reform der Kirche
durchführen. Aus seinen Überlegungen geht hervor, daß er die
Lehre der Kirche in ihrem Kern akzeptierte und unversehrt, auch in der Frage der
Willensfreiheit, aufrechterhalten wollte. Zugleich läßt er in seiner
Schrift jedoch die Bereitschaft erkennen, den Protestanten bei einem Scheitern
der Verhandlungen eigene kirchliche Formen zu
gewähren.
Das Konzil von Trient (1545-1563),
das erst nach schwierigen und langjährigen Verhandlungen zustande gekommen
war, führte im Interesse der Kirchenreform heilsame Korrekturen durch. Von
großer Bedeutung war die Entscheidung, Priesterseminare zu errichten, die
die Ausbildung von Geistlichen verbessern sollten. Das Konzil scheiterte aber
bei seinem Versuch, die Einheit der Kirche wiederherzustellen. Die Anathemata
des Konzils, die sich gegen die Protestanten richteten, schlossen faktisch jede
Möglichkeit zu einem Vergleich aus. Wie sehr das Klima sich verhärtet
hatte, zeigte auch die Verurteilung der Werke des Erasmus durch Rom im Jahre
1559.
Erasmus von Rotterdam und Philipp
Melanchthon sind als die Gründer der irenischen Bewegung, die sich im 16.
und 17. Jahrhundert für die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit im
Abendland mit friedlichen Mitteln eingesetzt hat, zu betrachten. Die Geschichte
der Irenik zeigt ein recht diffuses Bild. Von einer Bewegung im eigentlichen
Sinne kann nicht gesprochen werden, da die Ireniker unterschiedliche Ziele
verfolgten. Vor allem im Hinblick auf die Frage, inwiefern der Toleranzgedanke
mit dem christlichen Wahrheitsbegriff in Einklang zu bringen war, lassen sich
Meinungsverschiedenheiten feststellen. [3] Was jedoch alle miteinander
verband, war das Anliegen, auf friedliche Art und Weise eine Verständigung
der christlichen Konfessionen herbeizuführen. Zu den Irenikern
gehörten sowohl Katholiken als auch Protestanten, die vom humanistischen
Gedankengut geprägt waren. [4] Das Wort Irenik ist vom griechischen
eirene (Friede) abgeleitet. Der Theologe Franciscus Iunius hat den
Begriff als erster in seinem 1593 veröffentlichten "Eirenicum de Pace
Ecclesiae Catholicae" verwendet.
Der Augsburger
Religionsfriede des Jahres 1555 führte zu einem Vergleich zwischen
Altgläubigen und Protestanten, der den politischen Verhältnissen in
Deutschland Rechnung trug. Wie kaum ein anderer hatte sich Kaiser Ferdinand I.
für diesen Frieden eingesetzt. Dennoch war er sich der Brüchigkeit des
Abkommens bewußt. Aus diesem Grund ergriff er die Initiative, den Frieden
durch eine Wiederherstellung der kirchlichen Einheit unumkehrbar zu machen. 1564
forderte er Georg Witzel und Georg Cassander dazu auf, Gutachten zu verfassen,
die die Übereinstimmung zwischen der katholischen und der protestantischen
Lehre untersuchen und die Grundlage für ein Religionsgespräch bilden
sollten. Beide Humanisten hatten sich schon in der Vergangenheit in mehreren
Schriften um eine Aussöhnung der Konfessionen bemüht. Sie betrachteten
das Apostolikum als Norm für die christliche Glaubenslehre und
befürworteten eine Rückkehr zur Kirche der ersten fünf
Jahrhunderte, die als das goldene Zeitalter des Christentums gefeiert wurden. In
der Frage der Priesterehe und des Laienkelches waren sie zu weitreichenden
Zugeständnissen an die Protestanten bereit. In ihren Gutachten setzten sie
sich eingehend mit der Confessio Augustana, dem evangelischen
Glaubensbekenntnis aus dem Jahre 1530, auseinander und versuchten festzustellen,
welche Artikel für ein gemeinsames Gespräch auf der Grundlage der
Beschlüsse des Konzils von Trient in Betracht
kämen.
Kaiser Ferdinand I. starb vor
Fertigstellung der Gutachten. Sein Nachfolger Maximilian II. bat Witzel und
Cassander, die Arbeit fortzusetzen. Zu konkreten Ergebnissen haben die Gutachten
nicht geführt. [5] Die historische Leistung der beiden Ireniker
liegt vor allem darin, daß sie das Konzept des Erasmus von Rotterdam
für die Reunion aufgegriffen und systematisch weiterentwickelt haben. Mit
ihrer Hochschätzung der Alten Kirche haben sie die Brücke zu der
Irenik des 17. Jahrhunderts geschlagen.
Die
schnelle Verbreitung des Calvinismus in der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts führte zu neuen Konstellationen in der konfessionellen
Landschaft Europas. Davon war auch die Irenik betroffen. Als Reaktion auf die
verheerenden Kämpfe zwischen Katholiken und Hugenotten in Frankreich, die
die politischen und sozialen Strukturen des Landes zu zerschlagen drohten,
schlossen sich Adelige und bürgerliche Intellektuelle zu der Parti des
Politiques zusammen. Die Politiques vertraten die Auffassung, die
politischen Interessen der Monarchie seien prinzipiell höher zu bewerten
als die Frage der konfessionellen Zugehörigkeit. Sie befürworteten
eine mutua tolerantia zwischen den Konfessionen: Katholiken und
Hugenotten sollten innerhalb des einen Staates friedlich nebeneinander leben und
ihre Religion frei ausüben können.
In
den Niederlanden verknüpfte sich die Religionsfrage mit dem
Unabhängigkeitskampf gegen Spanien. Wilhelm von Oranien, die Symbolfigur
dieses Kampfes, strebte eine Konstellation an, die eine freie Entfaltung der
verschiedenen Konfessionen ermöglichte. Mit seinem Konzept für
religiöse Pluralität scheiterte er allerdings. Weder die Spaltung der
Niederlande noch die Unterdrückung der katholischen Kirche in den von den
Aufständischen eroberten Gebieten konnte er verhindern. Den Katholiken
wurde lediglich das privatum exercitium ihres Glaubens
gestattet.
Der politische Sieg der Calvinisten in
den nördlichen Niederlanden hatte zwar Folgen für die konfessionellen
Verhältnisse, doch nicht in dem Umfang, der vorher von vielen
befürchtet war. Die Regierung der jungen Republik sah von einer Verfolgung
der Katholiken ab und bediente sich statt dessen einer moderaten
Religionspolitik. Dafür waren zwei Gründe verantwortlich: Einerseits
war die erasmianische Tradition in der niederländischen Kultur tief
verwurzelt. Die Regenten, die meistens aus den gehobenen Bürgerschichten
stammten, hatten sich nicht an dem Aufstand beteiligt, um sich nach der
Vertreibung der Spanier dem Joch der calvinistischen Pfarrer zu unterwerfen.
Andererseits erhofften sie sich von einer religiösen Toleranz
wirtschaftliche Vorteile. Man denke in diesem Zusammenhang an ihre liberale
Haltung gegenüber jüdischen Flüchtlingen, die aus Spanien und
Portugal vertrieben waren und hier ein Refugium fanden. Rasch stiegen diese
Flüchtlinge zu führenden Positionen im Handel und Finanzwesen empor
und trugen zur wirtschaftlichen Expansion des Landes
bei.
Das geistige Klima der Niederlande
ermöglichte die Entstehung einer breiten irenischen Strömung, die
nachhaltig gewirkt hat. Sie ließ sich von den Toleranzgedanken Sebastian
Castellios (1515-1563), der sich in seinen Schriften gegen die Ketzerverfolgung
gewandt hatte, inspirieren. [6] Am Anfang des 17. Jahrhunderts erlitt
die Irenik in den Niederlanden einen Rückschlag. Die Kontroversen zwischen
Calvinisten und Remonstranten führten zur Verhaftung und Hinrichtung des
mächtigen Landsadvokaten Johan von Oldenbarnevelt, der einer der
Architekten der moderaten Religionspolitik war. Während der Synode von
Dordrecht (1618/19) setzten die Calvinisten die Verurteilung der Remonstranten,
die eine gemäßigte Form der Prädestinationslehre
befürworteten, durch. 1621 entfachte sich der Krieg gegen Spanien von
neuem. Obwohl die Irenik durch die Niederlage der Remonstranten an Einfluß
einbüßte, prägte sie auch in den nächsten Jahrzehnten die
politische Kultur der Niederlande.
Während
Calvinisten und Remonstranten sich über die Frage der Prädestination
entzweiten, fehlte es in den Niederlanden nicht an Stimmen, die zu Besonnenheit
mahnten. Hugo Grotius bedauerte in seiner 1611 verfaßten Schrift
"Meletius" die Unversöhnlichkeit der Kontrahenten und warnte davor, den Weg
des Consensus in theologischen Sachfragen zu verlassen. Die Streitigkeiten
dürften nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Lehre Christi
die gemeinsame Grundlage der verfeindeten Parteien sei. Um sie daran zu
erinnern, hat er seinen Traktat, der von den Fundamenten der christlichen
Religion handelt, geschrieben. Obwohl der "Meletius" nicht veröffentlicht
worden ist, hat sein Inhalt das irenische Programm des Grotius in späterer
Zeit bestimmt. [7]
Nach seiner Flucht aus
den Niederlanden im Jahre 1621 verbrachte Grotius mehrere Jahre in Paris, wo er
"De iure belli ac pacis" schrieb. 1634 trat er als Diplomat in die Dienste
Schwedens. Die Theologie und besonders die Frage der Religionsfreiheit
rückte unterdessen immer mehr in den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen
Interessen. Er plädierte in seinen Schriften für eine "mutua
tolerantia" als einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer Wiederherstellung des
religiösen Consensus. Großes Aufsehen erregte die "Commentatio de
Antichristo" (1640), in der Grotius die bis dahin in der protestantischen
Theologie geläufige Meinung, der Papst in Rom sei mit dem Antichrist
gleichzusetzen, widerlegte. Kurze Zeit später erschienen seine "Annotata ad
Consultationem Cassandri", ein Kommentar zu dem 1565 für Ferdinand I.
verfaßten Gutachten, das die Glaubensspaltung im erasmianischen Sinne
überwinden wollte. Wie Georg Cassander war auch Grotius der Auffassung,
zwischen dem tridentinischen Glaubensbekenntnis und der Confessio
Augustana gebe es keinen unversöhnlichen Widerspruch. [8] Mit
seinen irenischen Bemühungen setzte er sich heftigen Anfeindungen von
calvinistischer Seite aus. In seinen letzten Lebensjahren kursierten
Gerüchte, die sowohl von Katholiken als auch von Protestanten genährt
wurden, er sei zur katholischen Kirche
übergetreten.
Im Gegensatz zu Frankreich und
den Niederlanden, wo in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts über
die Frage der Religionsfreiheit erbittert gerungen wurde, schien sich im
Heiligen Römischen Reich eine relativ günstige Konstellation
anzubahnen. Der Augsburger Religionsfriede von 1555 hatte die Entscheidung
über den konfessionellen Status eines Territoriums grundsätzlich in
die Hände der Fürsten gelegt. Den Einwohnern der konfessionell
gemischten Reichsstädte, wie z.B. Augsburg, wurde eine gewisse
paritätische Ordnung und religiöse Toleranz gewährt. Damit setzte
sich das Prinzip der Toleranz, sei es auch mit erheblichen Einschränkungen,
zum ersten Mal in der Reichsverfassung durch. [9] Das Ringen um die
Interpretation des Augsburger Religionsfriedens und die Forderung der
Calvinisten, als Konfession anerkannt zu werden, unterminierten aber auf die
Dauer die 1555 getroffenen Vereinbarungen. Der Dreißigjährige Krieg
ist als die logische Konsequenz dieser Spannungen zu betrachten, die eine
Befriedung des Landes unmöglich machten.
Auf
dem Hintergrund des Krieges konzipierte der evangelische Theologe Georg Calixt
(1586-1656), der an der Helmstedter Universität lehrte, sein irenisches
Programm. Die Auffassung, daß die Theologie in Disputationen den Konsens
mit der Alten Kirche zu demonstrieren habe, machte er zum Herzstück seiner
Irenik. Anfänglich betrachtete er den "consensus antiquitatis" als ein
geeignetes Instrument im Kampfe gegen das Papsttum. Anhand des altkirchlichen
Traditionsprinzips entlarvte und verurteilte er das Meßopfer, den
Ablaß und die Lehre des Fegefeuers als Neuerungen, die im Laufe des
Mittelalters vom Papst eingeführt worden waren. Die Wende von der Polemik
zur Irenik vollzog Calixt mitten im Krieg, als er erkannte, daß sowohl die
Protestanten als auch die Katholiken sich in ihren Auseinandersetzungen auf die
altkirchliche Tradition beriefen. Die Lektüre der Schriften Cassanders und
anderer Ireniker des 16. Jahrhunderts hat dabei möglicherweise eine
entscheidende Rolle gespielt.
Die ersten Vorboten
einer Wende sind in Traktaten des Calixt aus den Jahren 1633 und 1634 zu finden.
Er befürwortete Religionsgespräche zwischen Vertretern der
verschiedenen Konfessionen auf der Grundlage der Heiligen Schrift und der Lehre
der Alten Kirche, die zu einer Wiederherstellung der kirchlichen Eintracht
führen sollten. [10] Seine Vorschläge waren nicht originell
und fanden deshalb kaum Beachtung. Nur der Mainzer Erzbischof Anselm Casimir
Wamboldt von Umstadt zeigte Interesse, indem er die Vorschläge von
Theologen der Mainzer Universität prüfen ließ. Die Theologen
reagierten ablehnend: Sie waren der Meinung, Calixts "consensus antiquitatis"
biete eine unzureichende Grundlage für ein Religionsgespräch, weil er
die Lehre des päpstlichen Primates außer acht lasse. Als ihr
Wortführer trat der Jesuit Vitus Erbermann auf. In Schriften wie "Anatomia
Calixtina" (1644) und "EIPHNIKON catholicum" (1645) erteilte er dem Aufruf
Calixts eine Absage. Er warf ihm vor, die konfessionellen Unterschiede zwischen
Katholiken und Protestanten herunterzuspielen. Eine Aussöhnung könne
nur stattfinden, wenn die Protestanten sich vorher bereit erklärten, sich
der päpstlichen Autorität zu
unterwerfen.
Während Calixt sich vergeblich
um eine Verständigung mit den Mainzer katholischen Theologen bemühte,
erreichte ihn die Nachricht, daß der polnische König Ladislaus IV.
(1632-1648) sich mit dem Gedanken trug, in Thorn ein Religionsgespräch
zwischen Vertretern der evangelischen, katholischen und reformierten Kirche zu
veranstalten. Der König hoffte, mittels eines Religionsgespräches die
komplizierten konfessionellen Verhältnisse in seinem Lande zu klären
und die Dissidenten wieder in den Schoß der Kirche Roms
zurückzuführen. Calixt setzte alle Hebel in Bewegung, als Berater an
dem Thorner Gespräch teilnehmen zu können. Seine Anstrengungen
schienen schon bald von Erfolg gekrönt. Die Stadt Danzig erwog, ihn als
Mitglied ihrer Delegation zu bestellen. Der Plan scheiterte jedoch am Widerstand
Abraham Calovs, eines Danziger Geistlichen, der in der Irenik Calixts eine
Gefahr für die evangelische Lehre sah. Schließlich erhielt er vom
Brandenburger Kurfürsten eine Einladung, als dessen Berater nach Thorn zu
fahren und sich an dem Religionsgespräch zu beteiligen. Calixt akzeptierte
diese Einladung.
Das "Colloquium charitativum" zu
Thorn wurde am 28. August 1645 eröffnet und gilt als der bedeutendste
Versuch während des Dreißigjährigen Krieges, einen Ausgleich
zwischen den Konfessionen herbeizuführen. An dem Religionsgespräch,
das 1631 in Leipzig geführt worden war, hatten sich nur Lutheraner und
Calvinisten beteiligt. Bei der Eröffnungssitzung in Thorn waren 26
katholische, 24 reformierte und 15 lutherische Theologen anwesend. Das
Kolloquium sollte in drei Phasen ablaufen: 1. Die Darlegung der
Glaubensstandpunkte der Konfessionen; 2. die Überprüfung dieser
Standpunkte auf ihre Richtigkeit; 3. die Klärung der Kontroversen. Schon
bald zeigte sich, daß die Delegationen vor allem daran interessiert waren,
die Auffassungen der anderen Seite als Irrlehre zu entlarven. An dieser Haltung
ist das Thorner Religionsgespräch letztendlich gescheitert. Die Debatte kam
nicht über die erste Phase hinaus. Am 21. November 1645 wurden die
Verhandlungen abgebrochen, ohne daß die Teilnehmer ein konkretes Ergebnis
vorweisen konnten. [11]
Für Calixt
war dieser Ablauf eine herbe Enttäuschung. Trotzdem ließ er sich
davon nicht entmutigen und setzte seine Bemühungen um den Religionsfrieden
fort. Die Opposition gegen die von ihm angestrebte "concordia ecclesiastica"
erreichte in den nächsten Jahren im sogenannten "Synkretistischen Streit"
ihren Höhepunkt. Orthodoxe Protestanten wie Abraham Calov beschuldigten
ihn, er betreibe mit seinen Plänen eine gefährliche
"Religionsmischerei", die der evangelischen Kirche Schaden zufügen
würde. Außerdem nahmen sie es ihm übel, daß er sich als
Lutheraner von dem reformierten Kurfürsten von Brandenburg für das
Thorner Religionsgespräch hatte anwerben lassen. Der Kampf endete erst mit
dem Tode Calixts im Jahre 1656. Wer die Bedeutung Calixts für die Irenik
der frühen Neuzeit bewerten möchte, hat sich primär auf seine
Lehrtätigkeit in Helmstedt zu konzentrieren. Als Professor der Theologie
hat er zahlreiche Schüler ausgebildet, die durch seine Aufforderung zur
Toleranz gegenüber Katholiken und Reformierten geprägt waren. Dank
seines Wirkens konnte die Universität sich zu einer Hochburg der Irenik in
Deutschland entwickeln.
Seit der Glaubensspaltung
im 16. Jahrhundert hat die Kirche Roms unablässig versucht, die
Protestanten zu einer Rückkehr zu bewegen. Die 1622 errichtete
Congregatio de Propaganda Fide erhielt von ihr den Auftrag, sich neben
der weltweiten Mission auch um die Wiedergewinnung der verlorengegangenen
Territorien zu kümmern. Die Propagandakongregation widmete ihre
Aufmerksamkeit den evangelischen Fürsten Deutschlands, die seit dem
Augsburger Religionsfrieden die konfessionelle Zugehörigkeit ihrer
Territorien bestimmen konnten. Deshalb verfolgte sie eine Strategie, die auf die
Konversion dieser Fürsten oder Mitglieder ihrer Familie abzielte. Durch die
Nuntien in Köln und Wien war sie von den Entwicklungen im Reich
ständig unterrichtet.
Im Laufe des 17. und
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts haben im Reich zahlreiche
Fürstenkonversionen stattgefunden. Dabei handelt es sich überwiegend
um Übertritte zur katholischen Kirche. Obwohl dieses Phänomen auch in
anderen Ländern wahrgenommen werden kann, ist doch vor allem das
konfessionell stark aufgesplitterte Deutschland davon betroffen gewesen.
Unterschiedliche Faktoren haben bei der Entscheidung der einzelnen Fürsten
eine Rolle gespielt. Die Perspektiven, die eine Karriere in der Reichskirche
oder in der kaiserlichen Armee versprach, dienten gelegentlich als Anreiz. Bei
der Konversion der Wolfenbütteler Prinzessin Elisabeth Christine im Jahre
1707 spielten dynastische Interessen eine Rolle. Dennoch dürfen bei der
Frage nach den Motiven, die einen Übertritt ausgelöst haben, mehr
persönliche Aspekte nicht übergangen werden. Die katholische
Barockkultur und die hierarchische Struktur der Kirche übten auf viele
protestantische Fürsten eine starke Faszination aus. Außerdem hatten
Ireniker wie Calixt die theologischen Differenzen zwischen den Konfessionen
relativiert, was die Entscheidung zugunsten einer Konversion psychologisch
erleichterte. [12]
Trotz der Erfolge, die
die Propagandakongregation erzielte, haben keine bemerkenswerten Verschiebungen
im Besitzstand der Konfessionen stattgefunden. Der Westfälische Friede
schränkte das ius reformandi der Fürsten erheblich ein, indem
er bestimmte, daß ein Konfessionswechsel des Landesherrn in der Zukunft
keine unmittelbare Folge mehr für die Untertanen hatte. Auf diese Weise
wurde der Strategie der Propagandakongregation ein Riegel vorgeschoben. Der
Widerstand Roms gegen den Westfälischen Frieden ist zum Teil auf diesen
Artikel des Vertrages
zurückzuführen.
Mit der Wahl Johann
Philipps von Schönborn zum Erzbischof von Mainz im Jahre 1647 trat eine
tatkräftige Figur auf die politische Bühne, die entscheidend dazu
beitragen sollte, die Friedensverhandlungen zu Münster und Osnabrück
zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen. Seine Bemühungen um einen
Ausgleich zwischen den Kontrahenten und seine Bereitschaft, den Protestanten in
Religionssachen entgegenzukommen, verschafften ihm auf dem Friedenskongreß
Ansehen, doch ließen sie in Rom Mißtrauen gegenüber seinen
kirchenpolitischen Absichten aufkommen. Trotz dieses Mißtrauens verstand
er es, den Grundstein für die führende Rolle der Schönborns in
der Reichskirche des 17. und 18. Jahrhunderts zu
legen. [13]
Als Mainzer Kurfürst und
Erzkanzler des Reiches hat Johann Philipp von Schönborn in den Jahrzehnten
nach dem Westfälischen Frieden eine Politik geführt, die sich die
Vermittlung zwischen Frankreich und Habsburg zum Ziel setzte. Dadurch hoffte er,
nicht nur den Frieden im Reich zu sichern, sondern sich auch seine
Unabhängigkeit gegenüber dem Kaiser in Wien zu bewahren. Die
spektakulärste Frucht dieser Politik war die Errichtung des Rheinbundes im
Jahre 1658, einer Föderation einzelner Reichsstände zum Schutze ihrer
Interessen, der später auch Frankreich beitreten sollte. Aufgrund seiner
Rolle als Vermittler ist Schönborn von der deutschnationalen Literatur des
19. Jahrhunderts als Marionette Frankreichs gescholten
worden.
Im direkten Umkreis des Johann Philipp von
Schönborn befand sich eine relativ große Anzahl von Konvertiten, die
im Verwaltungsapparat des Mainzer Erzstiftes Schlüsselpositionen besetzten.
Als Teil eines kirchlichen Reformprogramms auf der Grundlage der Entscheidungen
des Konzils von Trient förderte der Erzbischof die Konversion einzelner
Protestanten und leistete auch finanzielle Hilfe. [14] Mit konvertierten
Fürsten wie Ernst von Hessen-Rheinfels, Christian August von Sulzbach und
Johann Friedrich von Hannover stand er in engem Kontakt. Seine irenische
Gesinnung kommt im sogenannten Gnadenvertrag vom 17. Dezember 1650 deutlich zum
Ausdruck. In diesem Edikt sicherte Johann Philipp von Schönborn als
Fürstbischof von Würzburg der protestantischen Gemeinde der Stadt
Kitzingen eine freie, uneingeschränkte Religionsausübung
zu.
Der wichtigste der Konvertiten am Mainzer Hofe
war Johann Christian von Boineburg. 1622 als Sohn eines
herzoglich-sächsischen Geheimrates geboren, studierte er in Jena, Marburg
und Helmstedt, wo er Schüler des Juristen Hermann Conring war. Von 1645 bis
1652 war er als Diplomat für den Landgrafen Johann von Hessen-Braubach
tätig. Er erledigte seine Aufgaben dermaßen erfolgreich, daß
Johann Philipp von Schönborn auf ihn aufmerksam wurde. Nach dem Tode des
Landgrafen wechselte er in den Dienst des Mainzer Kurfürsten und trat zur
katholischen Kirche über. Die Vermutung liegt nahe, daß Boineburg
eine Konversion für opportun hielt, um sich in seiner neuen Position
behaupten zu können. Inwiefern Johann Philipp von Schönborn Druck auf
ihn ausgeübt hat, läßt sich nicht feststellen. Boineburg wurde
zum Oberhofmarschall und ersten Minister des Kurfürstentums ernannt und
hatte an dem Zustandekommen des Rheinbundes regen Anteil. Sein Höhenflug
kam 1664 zu einem abrupten Ende. Ein schwerer Konflikt mit dem Kurfürsten
über den politischen Kurs führte zu Boineburgs Verhaftung. Zwar wurde
er nach sechs Monaten wieder freigelassen, doch als Lenker der Mainzer
Staatsgeschäfte hatte er seine Rolle
ausgespielt.
Für die Geschichte der Irenik
ist Boineburg vor allem wegen seines Briefwechsels mit Hermann Conring, seinem
früheren Professor aus Helmstedt, von Bedeutung. Ihre Korrespondenz ist
eine einzigartige Quelle, die über 400 Briefe umfaßt und erst mit dem
Tode Boineburgs im Jahre 1672 endete. Sie berührt Themen wie die kirchliche
Reunion, die päpstliche Primatslehre und die Mainzer Bibeledition aus dem
Jahre 1662. [15] Conring empfand die Primatslehre als eine Tyrannei, die
eine Rückkehr der Protestanten unter die Obhut des Papstes unmöglich
machte. Den Kult der katholischen Kirche verurteilte er als eine Idolatrie.
Boineburg erwiderte, der Apostolische Stuhl garantiere die Einheit der Christen.
Er teilte allerdings die Vorbehalte Conrings gegenüber den
Machtansprüchen der Kurie. Sein Vorschlag, ein Religionsgespräch
zwischen Vertretern der Helmstedter Universität und dem Mainzer Domkapitel
abzuhalten, hatte keine konkreten Folgen.
Parallel
zu den Bemühungen Boineburgs, seine Verbindungen nach Helmstedt für
die Idee der Wiedervereinigung auszunutzen, unternahm der Mainzer Weihbischof
Peter von Walenburch Schritte, die der konfessionellen Trennung im Erzstift ein
Ende bereiten sollten. Während einer Visitationsreise im Sommer 1660
führte er Gespräche mit Mitgliedern der protestantischen Gemeinde in
Frankfurt am Main über eine Rückkehr zur katholischen Kirche. Die
Protestanten erklärten, dazu bereit zu sein, wenn man ihnen die
Laienkommunion sub utraque specie gestatten würde. Da nur der Papst
in dieser Frage eine Entscheidung treffen konnte, schickte Johann Philipp von
Schönborn einen Diplomaten nach Rom mit der Bitte, den Frankfurter
Protestanten ihre Forderung zu gewähren. Der Mainzer Vorstoß wurde
jedoch von einem Schreiben durchkreuzt, das im Herbst 1660 auftauchte und als
sogenannter "Mainzer Unionsplan" bekannt geworden ist. Das Schriftstück,
das achtzehn Artikel enthält, befürwortet eine Union zwischen
Katholiken und Lutheranern und eine Reform der Kirche. Der Laienkelch und die
Priesterehe sollen gestattet werden. Dagegen werden der päpstliche Primat
und die Ohrenbeichte abgelehnt. Eine Kommission von 24 Personen soll die
Reformen in die Wege leiten. Zum Schluß verlangt das Schreiben, daß
die Reformierten von den Vereinbarungen ausgeschlossen werden, "weil sie in der
Gnadenwahl, im h. Abendtmahl und der Person Christi halben hefftig
irren". [16]
Der Plan erregte großes
Aufsehen und führte zu Spekulationen über die Frage, wer der Verfasser
war. In Kreisen der römischen Kurie wurden Stimmen laut, die Johann Philipp
von Schönborn als den Drahtzieher des Plans und Boineburg als seinen
Verfasser nannten. Die Verdächtigungen hatten zur Folge, daß der
Papst in der Frage des Laienkelches der Mainzer Bitte eine Absage erteilte. Von
Mainzer Seite hat nur der Konvertit Timotheus Laubenberger, der zum Umkreis des
Kurfürsten gehörte, öffentlich auf den Unionsplan reagiert. In
seiner "Religions-Union" (1662) distanzierte er sich von dem Projekt; zugleich
zeigte er aber sein Einverständnis für Forderungen wie den Laienkelch,
die Priesterehe und den Gottesdienst in der Landessprache. Die Schrift erschien
mit dem Imprimatur des Mainzer Bücherzensors Adolph Gottfried Volusius und
darf deshalb als die offiziöse Stellungnahme der Mainzer Regierung zu dem
Unionsplan betrachtet werden.
Die Blütezeit
der Mainzer Irenik fand mit dem Sturz Boineburgs ein jähes Ende. Seine
Entmachtung wirkte sich wie lähmend auf die anderen Ireniker aus. Der
Gedanke der Wiedervereinigung wurde aber einige Jahrzehnte später wieder
aufgegriffen, als Cristobal de Rojas y Spinola im Auftrag des Kaisers versuchte,
die protestantischen Fürsten Deutschlands für eine Union zu gewinnen.
An den Gesprächen, die stattfanden, beteiligte sich auch Gottfried Wilhelm
Leibniz, der während seiner Mainzer Jahre von Boineburg protegiert worden
war.
Das Ringen um die Einheit der Kirche ist im
17. Jahrhundert schließlich an der Frage des päpstlichen Primats
gescheitert. Obwohl Ireniker wie Hugo Grotius und Georg Calixt sich intensiv um
eine Verständigung zwischen den Konfessionen bemühten, lehnten sie
eine Unterwerfung ihrer Kirchen unter die Autorität des Papstes ab. Weder
der Jurisdiktionsprimat noch die Infallibilitätslehre, die katholische
Theologen propagierten, waren für sie tragbar. Statt dessen forderten sie
eine Kirche, die sich an altchristlichen Strukturen orientierte. Dies hätte
faktisch eine Entmachtung des Papsttums bedeutet und war deshalb für die
Mehrheit der Katholiken nicht akzeptabel. Erst die Erkenntnis, daß alle
Versuche zu einer kirchlichen Wiedervereinigung zum Scheitern verurteilt waren,
ebnete den Weg für die Verbreitung der Toleranz in der europäischen
Gesellschaft der frühen
Neuzeit.