DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
BERNHARD R. KROENER "Die Soldaten sind ganz arm, bloss, nackend, ausgemattet" Lebensverhältnisse und Organisationsstruktur der militärischen Gesellschaft während des Dreißigjährigen Krieges |
Die im Titel zitierte Charakterisierung vom Zustand seiner Truppen, die Kurfürst Maximilian I.
von Bayern 1637 Kaiser Ferdinand III. übermittelte, will so gar nicht zu
dem Bild einer brutalen, zu allen Schandtaten bereiten internationalen
Soldateska passen, mit dem Gustav Freytag einem bildungsbeflissenen
Bürgertum des 19. Jahrhunderts das Gruseln lehren wollte. [1]
Bereits die zeitgenössische Publizistik und wenig später die
Verfechter des "miles perpetuus" zeigten sich aus durchsichtigen Motiven
bemüht, das Bild des Soldaten des Dreißigjährigen Krieges
ausschließlich aus der Täterperspektive zu
zeichnen.
"Es kann ein jeder, wohl einen langen
Spieß tragen", heißt es zum Beispiel in einer anonym gebliebenen
Schrift aus den letzten Jahren vor Ausbruch des Dreißigjährigen
Krieges, "eine Hellebarde oder Schlachtschwert und einen Harnisch, dazu
Feldzeichen, und zierlich zur Musterung gehen, auch wohl auf einem Gaul sitzen
und in schöner Rüstung herprangen, gleich als wollt man jungfrauen zu
Ehren reiten. Ja, wenn man sollt mit den Leuten scharmützeln, die
weiße Schärpen vorhaben, da sollt sich ein jeder gebrauchen lassen
als sein Vater und Mutter gethan haben und sollten kriegen, daß aus je
einem Paar drei würden. Da man aber soll mit ihnen zu Feld liegen,
Städte und Festungen belagern, stürmen und einnehmen oder
Feldschlachten thun: das ist Geckswerk. Viel besser thut die Obrigkeit, sie
läßt das Land Schatzung, Rent und Zinse geben und nimmt böse
Buben, Landläufer und solch Gesinde, das nichts zu verlieren hat als das
Leben." [2]
In einer Zeit, als das
Exerzieren mit der Muskete noch 143 unterschiedliche Kommandoworte erforderlich
machte [3], war die Anwerbung von Berufskriegern eine unabweisbare
Notwendigkeit. Noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts verfügten aber selbst
die großen europäischen Flächenstaaten nur ansatzweise über
die notwendigen Verwaltungseinrichtungen. Weder bestand eine zur Versorgung
größerer Truppenteile in dünnbesiedelten Gebieten ausreichende
regionale Logistik, noch besaß die jeweilige Landesherrschaft Mittel und
Möglichkeiten, eine Heeresmacht von bis zu hunderttausend Mann
kontinuierlich unter Waffen zu halten. Daher bot es sich an, zumal zur
Verteidigung des Territoriums, auf ausgehobene Landeskinder
zurückzugreifen. Die entsprechenden Einrichtungen der Landesdefension,
bisweilen auch als Landrettungswerke bezeichnet, betonten den Milizcharakter
dieser Wehrform. [4] Als defensives Instrument der Landesverteidigung
verfügten die Soldaten indes weder über die Ausbildung noch über
die Motivation, um gegen eine Armee von Berufskriegern eingesetzt zu werden.
Dennoch sind sie vor allem in der ersten Hälfte des
Dreißigjährigen Krieges auch mit dieser Zielsetzung verwendet worden,
was den eingangs zitierten unbekannt gebliebenen Spötter zu seiner
beißenden Bemerkung veranlaßt haben
mag.
In der Regel musterten die Kriegsherren das
für einen Feldzug geworbene und daher auch so bezeichnete "extraordinari
Kriegsvolck" jeweils nach dem Ende der Kampfhandlungen wieder ab. Die Sorge um
neuen kriegerischen Broterwerb trieb dann die gartenden, d.h. bettelnden Knechte
auf der Suche nach einem neuen Herrn durch die Lande. Dieses Prinzip wurde auch
nach dem Dreißigjährigen Krieg noch nicht aufgegeben, wie die
umfangreichen Demobilisierungsmaßnahmen nach Abschluß des
Nürnberger Exekutionstages zeigen. [5] Der große Krieg, der
Europa über mehr als eine Generation in seinen Bann schlug, führte
zwar zu einer Verstetigung des Krieges, die aber nicht ohne weiteres auch eine
Verstetigung des Kriegswesens nach sich zog. [6] Ein häufiger
Wechsel zwischen Anwerbung, Reformation, Reduktion und Auflösung von
Regimentern war während des Dreißigjährigen Krieges und auch
noch Jahrzehnte danach gängige Praxis in allen europäischen
Armeen. [7] Die militärischen Mißerfolge von
Ausschüssern gegenüber Berufssöldnern führten im Verlauf des
Krieges zu einer weitgehenden Marginalisierung der Milizeinrichtungen, ohne
daß diese aber gänzlich aufgegeben wurden. Gerade in der zweiten
Hälfte des Krieges erfolgte der organisierte bäuerliche Widerstand
gegen kleinere Gruppen von Soldaten nicht selten vor dem individuellen
Erfahrungshorizont kriegerischer Bewährung im Rahmen eines
Landrettungswerkes. [8] (Abb. 1) Bisweilen waren Landesherren
versucht, den Einsatz wehrfähiger Mannschaft außerhalb der
unmittelbaren Landesverteidigung anzuordnen. So wurden etwa die
nationalschwedischen Regimenter durch Konskription (utskrivning)
ausgehoben. [9] Für ein Land mit kaum einer Million Einwohner
geriet der obligatorische Militärdienst während des
Dreißigjährigen Krieges zu einer demographischen
Katastrophe. [10] Die Armeen aller kriegführenden Parteien
bestanden aus unterschiedlich großen Kontingenten berittener Knechte,
Fußsoldaten und Artilleristen, deren zünftiger Charakter in der
Bezeichnung "Büchsenmacher" auch noch in der Epoche des
Dreißigjährigen Krieges fortbestand. [11] In der Tradition
der älteren Landsknechtsheere bildeten zu Beginn des Krieges in allen
Armeen die Knechte zu Fuß die Masse der Soldaten. Erst im Laufe des
Krieges, als sich vor allem die Ernährungsbasis der Soldaten verringerte
und immer größere Strecken zurückgelegt werden mußten, um
die tägliche Versorgung sicherzustellen, gerieten die Fußtruppen mit
ihrem geringeren Bewegungsradius zunehmend ins Hintertreffen. Entsprechend
veränderte sich auch die Form der
Kriegführung. [12]
Die
Fußsoldaten unterschieden sich nach ihrer Bewaffnung in Pikeniere und
Musketiere. Die Aufgabe der Pikeniere bestand darin, Reiterangriffe durch den
Einsatz einer 15-18 Fuß (4,50m-5,40m) langen Pike abzuwehren. Zu ihrem
Schutz trugen sie ein schußfreies Bruststück, eine Halsberge, einen
Blechschurz und eine eiserne Sturmhaube. Ein Degen diente ihnen zur Verteidigung
im Nahkampf. Die Musketiere schützten die Pikeniere, konnten sich aber auch
im Nahkampf, wenn ihnen ihre Feuerwaffe nicht mehr von Nutzen sein konnte,
zwischen die Spieße der Pikeniere flüchten. [13] Im Gegensatz
zum Pikenier verfügte der Musketier nur über eine Sturmhaube, die
bisweilen sogar durch einen Leder- oder Filzhut ersetzt wurde. Ein Säbel
vervollständigte seine Ausrüstung. [14] Zu Beginn des Krieges
besaß eine Kompanie zu Fuß eine Sollstärke von 120 Pikenieren,
20 altgedienten Hellebardenträgern als Sicherung der Fahne und von 160
Musketieren unter dem Kommando eines Hauptmanns, eines Leutnants als
Kompanieoffizier und eines Fähnrichs als Offizierstellvertreter. Drei
Sergeanten waren für die Ausbildung der Soldaten verantwortlich. Ein
"Capitaine d'armes" sorgte für die Instandhaltung der Waffen. Drei
Korporale und drei Landpassaten als ihre Stellvertreter sowie ein
Gefreiten-Korporal als Fahnenträgerstellvertreter bildeten das
Unterführerkorps einer Kompanie. Schließlich sollten neun Gefreite
als altgediente Soldaten den inneren Zusammenhalt der Mannschaft sichern
helfen. [15] Je 10 Kompanien bildeten einen Regimentsverband zu 3.000
Mann. Zu keinem Zeitpunkt des Krieges ließen sich die dekretierten
Sollstärken der Truppen auch nur annähernd erreichen. In der Regel
betrug die Differenz zwischen der in den Reglements festgeschriebenen Soll- und
der tatsächlich erreichten Ist-Stärke bis zu 30 Prozent. [16]
Nicht selten verfügten die Regimenter sogar nur über ein Drittel der
vorgeschriebenen Mannschaft.
Zur Steigerung von
Disziplin und innerer Kohärenz der Verbände begannen einzelne
Befehlshaber während des Krieges eine einheitliche Uniformierung der
Soldaten durchzusetzen. Engpässe, vor allem bei der Herstellung einer
größeren Anzahl Uniformen, ließen entsprechende Vorhaben jedoch
über erste tastende Versuche nicht hinausgelangen. Der witterungsbedingte
starke Verschleiß der Monturen zwang die Soldaten in
regelmäßigen Abständen, sich Kleidungsstücke bei den
Marketendern auf dem Lagermarkt, aus Plündergut oder von den Leichen
gefallener Gegner zu verschaffen. [17] Die Ausstattung der
Fußknechte aller kriegführenden Parteien bestand in der Regel aus
weitgeschnittenen Hosen und einem jackenähnlichen Kamisol mit weiten
Ärmeln. Mäntel waren weitgehend unbekannt, der Besitz von Schuhwerk
bildete eher die Ausnahme. Eine durchgängige Vielfalt im äußeren
Erscheinungsbild erzwang zusätzliche Unterscheidungsmerkmale, um im Gefecht
Freund und Feind auseinanderhalten zu können. Verbündete Truppen
suchten sich bisweilen durch die Verwendung rasch gebrochener grüner
Zweige, die sie an der Kleidung befestigten, gegenseitig zu erkennen.
Während der Schlacht, im Gewühl hin- und herflutender Menschenmassen,
wo Pulverdampf und Staub die Sicht erheblich einschränkten, vermochten
diese Erkennungszeichen letztlich nur noch wenig auszurichten. Fahnen und
Feldzeichen, Schlachtrufe und Feldgeschrei boten in derartigen Situationen den
Soldaten noch am ehesten eine gewisse
Orientierungsmöglichkeit. [18]
Auch
die berittenen Truppen des Dreißigjährigen Krieges entwickelten
entsprechend den ihnen zugewiesenen Aufgaben im Gefecht eine ausrüstungs-
und einsatzspezifische Differenzierung. Neben den schweren Reitern, den mit
einem Trabharnisch, Radschloßpistolen und einem Pallasch
ausgerüsteten Kürassieren, entwickelten sich leichte Verbände,
deren Angehörige einen Halbküraß trugen und zusätzlich zu
Reiterschwert und Radschloßpistole einen Radschloßkarabiner
führten. Diese Truppen wurden zunächst als "Arkebusiere", später
nach der Einführung der Karabinerwaffe als "Karabiniers"
bezeichnet. [19] Als rasch bewegliche, aufgesessene Infanterie erhielten
die Dragoner während des Krieges eine besondere Bedeutung. Sie
ermöglichten handstreichartige Unternehmungen. Hinsichtlich ihrer
Versorgung profitierten sie von ihrem größeren
Bewegungsspielraum.
Die Artillerie gewann im
Verlauf des Krieges einen erhöhten Stellenwert. Während die
schwerbewegliche Belagerungsartillerie im Dreißigjährigen Krieg keine
wesentlichen Neuerungen erfuhr, verzeichnete die Feldartillerie vor allem in der
schwedischen Armee einen qualitativen Sprung. Durch den Einsatz beweglicher
drei- und sechspfündiger Geschütze (sog. "Regimentsstücke"), die,
vor der Front eingesetzt, dem Gegner empfindliche Verluste beibringen konnten,
verlor die Artillerie ihre bisher eher statische Funktion und wurde zu einem
bedeutsamen Faktor im taktisch-operativen Konzept der
Heerführer. [20]
Über die
Herkunft der Söldner und ihre Motive besaß die ältere Forschung
ein dezidiertes Urteil. Die Auswertung vornehmlich normativer Zeugnisse
verfestigte die Auffassung, nach der jeder Soldat des Dreißigjährigen
Krieges einer Internationale arbeitsscheuer und krimineller Elemente
angehört habe. Nicht von ungefähr besitzt der Begriff "Soldateska",
während des Dreißigjährigen Krieges als Bestandteil in der
militärischen Verwaltungssprache verwendet, heute einen unbestritten
pejorativen Charakter. Inzwischen ist diese traditionelle Sichtweise allerdings
erheblich korrigiert worden.
Die Anwerbung von
Soldaten konnte auf verschiedene Weise erfolgen. Zunächst verfügten
auch die fürstlichen Kriegsherren weder über einen ausreichend
leistungsfähigen Verwaltungsapparat noch über regelmäßige
Einnahmen, die es ihnen gestattet hätten, Armeen von bis zu 100.000
Soldaten buchstäblich aus dem Boden zu stampfen. Wie zur Zeit des freien
Söldnertums im 16. Jahrhundert erhielten daher finanzkräftige oder
kreditwürdige Kriegsunternehmer den Auftrag, ein Regiment, seltener eine
ganze Armee auf eigene Kosten aufzustellen. Das eingesetzte Kapital
erwirtschaftete nicht nur eine erhebliche Verzinsung, sondern vermehrte sich
zusätzlich durch geschickte Manipulationen in verschiedenen Bereichen der
Heeresversorgung zum Schaden des Landesherren und zum Nachteil der einfachen
Soldaten. [21] Das erhebliche geschäftliche Risiko wurde in vielen
Fällen durch materiellen und politischen Gewinn ausgeglichen. [22]
Neben genialen Großunternehmern wie Wallenstein, die ein weitverzweigtes
System der Heeresaufbringung und -versorgung etablierten, denen
militärische Subunternehmer, Bankiers und Heereslieferanten zur Seite
standen, erwirtschafteten Kriegsgewinnler im Waffenrock wie etwa die
schwedischen Heerführer Königsmarck und Wrangel im Laufe einiger Jahre
große Vermögen. [23] Unterhalb dieser Spitzenverdiener
standen die Obersten und Regimentskommandeure, die häufig in
Klientelbeziehung zu ihren Oberkommandierenden die Regimenter aufstellten,
für die jene das Patent erhalten hatten. Die Obersten wiederum bedienten
sich in der Regel persönlich bekannter Offiziere, die als Hauptleute
Soldaten für ihre Kompanien rekrutierten. Bezeichnungen, wie
Regimentsinhaber oder Kompaniechef, die die Epoche des
Dreißigjährigen Krieges weit überdauerten und zum Teil noch
heute verwendet werden, verdeutlichen anschaulich das Besitzverhältnis, das
diesen Benennungen zugrunde lag. [24] Die Bezeichnung "Kompanie", die
bereits seit dem 13. Jahrhundert in Italien verwendet wurde, kennzeichnete
wahrscheinlich, zunächst durchaus im Sinne des Wortes, die Brotgemeinschaft
der Soldaten. [25] Bis in unsere Tage bildet sie den Organisationsrahmen
für die kleinste administrative Einheit einer Armee. In den existentiell
ungesicherten Zeiten des Dreißigjährigen Krieges symbolisierte die
Kompanie den unmittelbaren Schutz- und Lebensraum des einzelnen Soldaten. Die
Vorstellung, daß Soldaten häufig freiwillig die Kompanie gewechselt,
sie also keine innere Beziehung zu dem Verband entwickelt hätten, dem sie
angehörten, fügte sich so einprägsam in das Bild des
vagabundierenden Söldners, daß erst neuere sozialgeschichtliche
Forschungen dieses Bild nachhaltig korrigieren konnten. [26] Durch die
vergleichsweise hohen personellen Verluste, sei es durch die unmittelbaren
Kriegsereignisse - oder in weit größerem Umfang durch Hunger und in
dessen Gefolge auftretende Epidemien - schmolzen die Regimenter rasch zusammen,
so daß Zusammenlegungen von Verbänden unvermeidlich
wurden. [27] Der Soldat wechselte nicht ohne weiteres die Kompanie, die
ihm in vieler Hinsicht zu einem Heimatersatz geworden war. Die Regimenter
spiegelten die landsmannschaftliche Struktur des Rekrutierungsraumes wider, in
dem sie aufgestellt worden waren. Bei den auf dem Boden des Reiches geworbenen
Truppen stammte üblicherweise nur ein relativ geringer Prozentsatz (10-20
Prozent) der Soldaten aus dem nichtdeutschen Sprachraum. Eine gewisse
landsmannschaftliche Homogenität stellte ein wichtiges Element der inneren
Kohärenz der Verbände dar und beförderte auch deren Kampfkraft.
Die Musterungslisten vermitteln in dieser Hinsicht sehr aufschlußreiche
Hinweise auf die unterschiedliche Intensität sozialer Entwurzelung und
geographischer
Mobilität. [28]
Innerhalb der
Kompanien entwickelte sich unter den Bedingungen des Krieges ein kompliziertes
Netzwerk persönlicher Beziehungen, von Abhängigkeiten und
Verpflichtungen. Eine wichtige Funktion besaßen die altgedienten, die
"beschossenen" oder "versuchten" Knechte. Sie galten ihren Kameraden als
Garanten für die individuellen Überlebenschancen und verkörperten
häufig die soziale Moral einer
Truppe. [29]
Eine informelle
Hierarchisierung innerhalb der Mannschaften erfolgte aber auch über die
familiäre Situation der Soldaten. Während die meisten der
neugeworbenen Söldner zwischen 18 und 24 Jahre alt und in der Regel
unverheiratet waren, folgte dem altgedienten Knecht häufig eine
Gefährtin mit Kindern. [30] Der Troß, der die Armeen
begleitete, hat Zeitgenossen und spätere Betrachter zu der Annahme
verleitet, die Armeen des Dreißigjährigen Krieges seien wenig
professionell und ihr Daseinszweck in erster Linie auf Plünderung und
Ausbeutung gerichtet gewesen. [31] In seiner 1615 erschienenen und
während des Dreißigjährigen Krieges wiederholt aufgelegten
"Kriegskunst zu Fuß" charakterisierte der einflußreiche
Militärschriftsteller Johann Jacob von Wallhausen die Zusammensetzung der
zeitgenössischen Armeen mit dem Hinweis: "Wan man heutigen Tages ein
Regiment Teutsches Kriegsvolck wirbt, hastu dreytausend Mann, so wirstu
gewiß vier tausend Huren und Jungen finden, vnd das abgefeimbte
leichtlosest Gesindlein, was nirgends in Landen und Stetten bleiben will, das
laufft dem Krieg zu, ist alles gut genug. Da hoeret man vntere demselbigen
Gesindlein solches fluchen, schweren, zotten, mausen, packen, stehlen,
pluendern, Haeuser vnd Kisten fegen, vnd andere leichtfertige, lose, boese
Haendel, davon vor vnsern Zeiten, so ein Heidnischer Kriegsmann hette gesehen,
solte er erstarret seyn." [32 ] (Abb. 2) Wallhausen übernahm
hier das bereits im 16. Jahrhundert bekannte und bis zum Ende der
alteuropäischen Söldnerheere verbreitete Vorurteil, das die
militärische Gesellschaft wegen ihrer Unbehaustheit, ihrer erheblichen
geographischen Mobilität zu den Fahrenden und Vaganten rechnete, denen der
eingesessene, mit Haus und Hof versehene Bürger und die an sozialer
Kontrolle interessierte Obrigkeit mit Mißtrauen und Ablehnung
gegenübertraten. [33] Eine derartige Beurteilung, die sich
bisweilen heute noch in Schulbüchern und Handbuchdarstellungen findet,
übersieht, daß der reguläre Troß in den Armeen des 17.
Jahrhunderts Aufgaben wahrnahm, die später eigens zu diesem Zweck
geschaffene Truppenteile und Verwaltungseinrichtungen zu bewältigen hatten.
Während des Dreißigjährigen Krieges sicherte der Troß die
gesamte Versorgung der Armeen. In seinem Zentrum stand das "Lager", dem zentrale
Aufgaben der Kommunikation und Distribution übertragen
waren.
Bereits die Zeitgenossen verglichen
Funktionsweise und Struktur der Armeen des Dreißigjährigen Krieges
mit einem menschlichen Körper. Dabei bildete der Befehlshaber mit seinem
Stab den Kopf, die Truppe die Glieder, während Troß und Lager die
Funktion des Ernährungs- und Verdauungsapparates wahrnahmen. Im Mittelpunkt
aller Bemühungen zum Unterhalt der Truppen stand die Nahrungsversorgung der
Soldaten.
Zunächst suchten die Kriegsherren
die Lebensmittelversorgung durch entsprechende Geldzahlungen an die Truppe zu
sichern. [34] Schon bald stellte sich heraus, daß selbst der
kurzfristige Aufenthalt von mehreren zehntausend Soldaten die Marktpreise
für Getreide in einer Region in schwindelnde Höhen trieb. Die Soldaten
sahen sich in dieser Lage außerstande, ihren Lebensunterhalt mit Bargeld
zu bestreiten. In dieser Situation kam es immer wieder zu wilden
Plünderungen, die durch die Gegenwehr der betroffenen Bevölkerung
nicht selten in Gewaltexzesse ausarteten. (Abb. 3) Daher gingen die
Landesherren schon bald dazu über, mit überregional tätigen
Großhändlern Lieferungsverträge abzuschließen. Man
erteilte die Zuschläge nach dem Prinzip des jeweils günstigsten
Angebots, wobei der fürstliche Kriegsherr in der Regel ein Drittel der
berechneten Summe vorschoß, ein weiteres Drittel zu dem Zeitpunkt
fällig wurde, an dem der Lieferant die notwendigen Transportmittel
bereitgestellt hatte, während die Restsumme unmittelbar vor Beginn der
Lieferungen gezahlt werden sollte.
Die
entsprechenden normativen Regelungen besaßen aber unter den Bedingungen
des frühen 17. Jahrhunderts keine Chance auf eine auch nur ansatzweise
adäquate Realisierung. Zum Teil entstanden Friktionen durch höhere
Gewalt, denen die Lieferanten, selbst wenn sie guten Willens gewesen wären,
machtlos gegenüberstanden. Regionale Mißernten führten zu
Preissteigerungen, die durch die vertraglich festgelegten Summen nicht gedeckt
waren. [35] Der Seetransport über die Ostsee barg das Risiko nicht
nur des Verlustes von Transportschiffen, sondern viel häufiger des
Verderbens von Teilen der Ladung, etwa durch Wassereinbruch. Auf dem Landweg
fielen die Brot- und Getreidekolonnen nicht selten dem Gegner in die Hände
oder wurden von Marodeuren und Streifparteien
geplündert.
Mindestens ebenso häufig wie
der Verlust von Lebensmitteln war der Versuch der Händler, ihr Risiko durch
gezielte Manipulationen und Unterschlagungen aller Art zu minimieren. Dabei
konnten sie nicht selten auf die Unterstützung durch Offiziere und
Proviantkommissare zählen. Den Soldaten stand in der Regel eine Ration von
730 Gramm Brot zu, davon zwei Drittel aus Weizen und ein Drittel aus
Roggenmehl. [36] Je zwei Tagesrationen sollten in einem Brot ausgebacken
und verteilt werden. Doch nur selten erhielten die Mannschaften in Menge und
Qualität das, was ihnen in den Reglements zugesagt worden war. Die regional
unterschiedlichen Maße und Gewichte lieferten immer wieder eine
ausreichende Begründung für Gewichtsreduktionen. Half diese
Maßnahme nicht, die Gewinnspanne der Lieferanten zu erhöhen, so
mochte ein mit minderwertigem Getreide wie Gerste und mit Futterwicke
versehenes, mit Kleie und Wasser versetztes Brot und schließlich die
Ausgabe selbst verdorbener Rationen für den erhofften Profit sorgen.
Offiziere und Kommissare duldeten das Treiben, bei dem auch sie ihren Schnitt
machten. Nahmen die einen unmittelbar Bestechungsgelder an, legten die anderen
Verpflegungslisten vor, in denen desertierte, vom Feind gefangengenommene,
gefallene und verstorbene Soldaten als Empfänger aufgeführt wurden.
Die Leidtragenden waren in allen Fällen die Soldaten. Bohrender Hunger,
dessen Wirkungen man nicht selten mit Alkohol zu betäuben suchte, war dabei
noch nicht einmal das größte Problem. Gravierende
Durchfallerkrankungen mit hohen Mortalitätsraten traten in den Armeen des
Dreißigjährigen Krieges immer wieder als Folge betrügerischer
Manipulationen in der Nahrungsversorgung der Soldaten
auf.
Während den Soldaten die Brotrationen
unmittelbar geliefert werden sollten, mußten Fleisch, Bier, Wein oder Most
auf dem Lagermarkt erworben werden. Die schwedische Verpflegungsordonnanz von
1632 sah für einen gemeinen Soldaten täglich ein Pfund Fleisch und
eine Maß Wein vor. [37] Butter, Käse, Speck und
Hülsenfrüchte ergänzten nur selten den Speisezettel eines
gemeinen Kriegsknechtes. Fleisch, Trank und Zubrot wurden häufig zu
überhöhten Preisen, die sich an der erheblichen Nachfrage
orientierten, auf den Lagermärkten feilgeboten, durch eigens bestellte
Metzger zubereitet und von Sudlern in Garküchen und Schankzelten
ausgegeben. (Abb. 4) Die mit Genehmigung des Feldherrn dem Heer folgenden
Marketender arbeiteten auf eigene Rechnung. Sie belieferten die Truppe nicht nur
mit Nahrungsmitteln, sondern auch mit allen anderen Gegenständen des
täglichen Gebrauchs. Sie gehörten zu der sozialen Spitzengruppe der
Lagergesellschaft, ihr relativer Reichtum und der Besitz von Gütern, die
der Soldat dringend zu seinem Lebensunterhalt benötigte, die er sich aber
nur gegen vergleichsweise hohe Kosten leisten konnte, trugen den Marketendern
Neid und Mißgunst von seiten der Soldaten ein, denen sie durch eine
besonders enge Beziehung zu den Offizieren zu begegnen suchten. [38]
Metzger und Sudler standen nicht umsonst im Verdacht, durch die Verarbeitung von
minderwertigem oder durch Maden verunreinigtem Fleisch, durch schimmelige
Hülsenfrüchte und durch Bier- oder Weinpanscherei ihre Gewinnspannen
unrechtmäßig zu vergrößern. Dennoch gehörten sie zu
den Angehörigen des regulären Trosses. Sie standen unter dem
Militärrecht und beanspruchten für sich und ihre Angehörigen
Schutz und Versorgung, wie sie auch den Soldaten gewährt wurden.
Verzögerten sich die Soldzahlungen, was in den Armeen des
Dreißigjährigen Krieges eher die Regel als die Ausnahme darstellte,
oder operierte eine Armee glücklos, so verschwanden die Marketender, ohne
sich um die Not ihrer Kundschaft zu kümmern. Daher entwickelten die
Soldaten ihnen gegenüber ein durchaus ambivalentes Verhältnis.
Einerseits suchten sie durch Eheschließungen, Patenschaften und andere
persönliche Beziehungen für sich und die Ihren eine Vorzugsbehandlung
zu erwirken. Andererseits begegneten sie den Marketendern, die ihnen nur
Gefährten im Glück waren, mit kaum gezügeltem
Haß.
Frauen spielten innerhalb der
Lagergesellschaft frühneuzeitlicher Heere eine zentrale Rolle. Zumeist
Angehörige der Unterschichten, wie Mägde, Ammen oder
Aufwärterinnen, war ihnen ihre bisherige Existenz in Armut und
Abhängigkeit so beschwerlich geworden, daß das Leben als Frau oder
Gefährtin eines Soldaten als ein Ausweg erschien. Auf ihren Schultern
beförderten sie die gesamte bescheidene Habe eines mehrköpfigen
Soldatenhaushaltes. Sie gebaren Kinder, von denen nur die wenigsten die
Strapazen der Heerzüge überlebten. [39] Die zahlreichen
Troßbuben, die zur Versorgung der Pferde und für die Beaufsichtigung
der Viehherden verwendet wurden, stammten häufig aus Soldatenfamilien.
Vielfach gerieten die 13 bis 15 Jahre alten Jugendlichen als Trommlerbuben und
Pferdejungen ins unmittelbare Kriegsgeschehen.
(Abb. 5)
Frauen übernahmen weitgehend
die Sanitätsversorgung, während Wundärzte in der Regel nur zur
Behandlung der Offiziere eines Regiments, häufiger erst eines Armeestabes,
zur Verfügung standen. Die Feldscher, die sich zumeist aus der Gruppe der
Bader rekrutierten, fungierten als Knochensäger bei größeren
chirurgischen Eingriffen. [40]
Frauen
waren es aber auch, die Soldaten beim "beuten" unterstützten. Da der Sold
oft ausblieb, bildete die Beute ein unverzichtbares Element zur
Existenzsicherung der Soldatenfamilien. In erster Linie war es der Kampf ums
Überleben und weniger eine latente kriminelle Neigung, die den Soldaten zum
Stehlen veranlaßte. Hinzu kam die gesellschaftlich sanktionierte
Vorstellung, daß eine herausgehobene Position in der Armee und ihrer
Verwaltung sich für ihren Träger rentieren müsse. Diese Haltung
ließ bei den Führungskadern aller Armeen des
Dreißigjährigen Krieges eine Ausbeutungsmentalität zu Lasten des
Landesherrn und der Truppe entstehen, die in vielen Fällen die Soldaten
geradezu zum Plündern zwang. Insofern erscheint es auch nicht
verwunderlich, daß buchstäblich alles, selbst das, was niet- und
nagelfest war, von den Soldaten entwendet wurde. So stahlen sie die
Weißwäsche, die vor den Städten auf der Bleiche lag, um sie
gegen ihre zerlumpte Kleidung einzutauschen. Sie bemächtigten sich der
Erntevorräte und des Viehs, beluden sich mit Hausrat und Mobiliar. Selbst
Türen, Fensterrahmen und Dachsparren wurden aus den Bauernkaten und den
Hütten der Vorstädte herausgebrochen, um vor allem in den kühlen
und feuchten Frühlings- und Herbstnächten den Soldaten als
Brennmaterial zu dienen. In einer zeitgenössischen Abhandlung zum
Kriegswesen wird das mühselige Leben der Frauen im Troß anschaulich
beschrieben. Beladen mit "Watsäcken, Mänteln, Tüchern
Töpffen, Kesseln, Pfannen, Keerbesen, Anzug, grossen ungeheuren Taschen,
Hanen und Hunden & c. Auch allerley Plunder, einem Hispanischen Maulesel
nicht ungleich" zogen sie ihrer Wege. [41] Kein Wunder, daß der
Troß den Armeen nur langsam folgen konnte. Die Entbehrungen, die in erster
Linie Frauen und Kinder zu ertragen hatten, dazu Entbindungen unter
unsäglich primitiven Bedingungen, ließen viele von ihnen vorzeitig an
Entkräftung sterben. Kaum ein Soldat, der seine Gefährtin nicht im
Laufe des Krieges verlor. Während die Männer in der Regel problemlos
eine weitere Verbindung eingehen konnten, bedeutete der Verlust des
Beschützers, sei es durch Tod oder Gefangennahme, für die Frau eine
existentielle Bedrohung. Waren sie bereits älter, hatten sie für
mehrere Kinder zu sorgen oder keinen materiellen Vorteil aus ihrer
vorangegangenen Beziehung ziehen können, was in der Regel nur bei
verheirateten Paaren möglich war, bestand die Gefahr, daß sie in die
sozial stigmatisierte und extrem gefährdete Gruppe der ungeschützten
Frauen absanken. Gelegenheitsarbeit, Betteln oder Lagerprostitution wurde dann
ihr Schicksal. Damit öffnet sich der Blick auf ein weiteres Feld der
sozialgeschichtlichen Betrachtung der militärischen Gesellschaft des
Dreißigjährigen Krieges: auf den irregulären Troß, die
Lemuren der Lagergesellschaft.
Der Troß
erfüllte unverzichtbare Versorgungs- und Betreuungsaufgaben, ohne die das
Funktionieren der Armeen nicht gewährleistet gewesen wäre.
Andererseits suchten Kriegsherren und Befehlshaber den zahlenmäßigen
Umfang dieses schwerfälligen Anhangs, der die Bewegungen der Armeen
verlangsamte und deren Ernährungsspielraum zusätzlich verengte, so
gering wie möglich zu halten. Sie konnten jedoch nicht verhindern,
daß im Schutze des Lagers ein jeder Reglementierung unzugängliches
Gefolge mitzog. Hier fanden sich Hökerer, die ungefüges
Plündergut verschacherten, Gaukler, Spieler und Glücksritter jeder
Art, die nichts unversucht ließen, um auf ihre Weise vom wechselnden
Kriegsglück zu profitieren oder wenigstens einen Rest von Existenzsicherung
finden zu können.
Das Kapital, das die
Söldner des Dreißigjährigen Krieges in das
Vertragsverhältnis mit ihren Werbeherren einbrachten, bestand in ihrer
Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit. Beides war im Krieg aufs
höchste gefährdet. Unterernährung, Kälte und Nässe
stellten neben Infektionskrankheiten die häufigste Todesursache nicht nur
der Soldaten, sondern mehr noch ihrer Familienangehörigen dar. Während
des Dreißigjährigen Krieges trafen auf dem mitteleuropäischen
Kriegsschauplatz in einer für die Geschichte der Frühen Neuzeit bis
dahin unbekannten geographischen Mobilität Bewohner der entferntesten
Gegenden des Kontinents aufeinander. Viele von ihnen übertrugen
Krankheitskeime auf die Bevölkerung des jeweiligen Kriegsschauplatzes,
gegen die sie selbst durch eine generationenlange Gewöhnung inzwischen
immun geworden waren. [42] Für viele Soldaten und ihre
Angehörigen lag zwischen einer Verwundung oder Erkrankung und dem Tod eine
lange und entbehrungsreiche Phase der Invalidität. Ein Soldat, der seine
Körperkraft verloren hatte, war in den Augen seiner Vorgesetzten nicht mehr
den Sold wert, für den man ihn angeworben hatte. Er war im Sinne des Wortes
"invalidus", wertlos, geworden. [43] Jeder verwundete oder kranke Soldat
suchte daher zunächst eine medizinische Versorgung durch seine
Angehörigen im Schutze der Kompanie zu erreichen. Wie wichtig den Einheiten
die Rückführung der Genesenen in den Verband der Kompanie war, beweist
die Schilderung des anonymen Soldaten aus dem Dreißigjährigen Krieg,
der mehrfach berichtet, er sei mit einigen Soldaten zur Sicherung der Kranken
abkommandiert gewesen. [44] Erst wer auf Dauer nicht mehr in der Lage
war, der Truppe zu folgen, wurde mit einem geringen Zehrgeld der Sorge
städtischer Spitäler übergeben. Hier aber bestand in der Regel
kein großes Interesse an einer Gesundung des Patienten. War das
Barvermögen aufgezehrt, entließ man den Soldaten in ein ungewisses
Schicksal. Notdürftig wiederhergestellt, ohne jedoch wieder
vollständig zu Kräften gekommen zu sein, sahen sich diese ehemaligen
Soldaten ihres einzigen in der militärischen Gesellschaft relevanten
Kapitals beraubt.
Sozial bindungslos, suchten sie
Anschluß an die Armee, ohne jedoch in die soziale Struktur ihrer Einheit
wieder integriert werden zu können. In dieser Situation war ihnen das
Schicksal eines Marodeurs vorgezeichnet. Die "maroden" ehemaligen Soldaten,
häufig noch im Besitz ihrer Waffen, entwickelten sich unter dem Zwang, sich
ihren Lebensunterhalt selbst suchen zu müssen, zu den Desperados, den
Verzweifelten dieses Krieges. Diese ausgebrannte Schlacke einer zunehmend
verrohten Gesellschaft, verstärkt durch lichtscheues Volk aller Art, wurde
den Armeen und der Bevölkerung, je länger der Krieg dauerte, desto
mehr zum Fluch. [45] Jacques Callots Kupferstich mit dem Motiv "des
Baumes der Gehängten", in moralisierender Absicht geschaffen, verdeutlicht
recht anschaulich diesen Sachverhalt. (Abb. 6) Stellte bereits die
Versorgung des regulären Trosses die Führung einer Armee vor schier
unüberwindliche Schwierigkeiten, so bedeutete das irreguläre
Heeresgefolge eine zusätzliche Belastung, der man sich unter einer immer
ungünstiger werdenden Versorgungssituation und vor dem Hintergrund
ständiger Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung zu entledigen
suchte. So wurden die Marodeure von den zum Widerstand entschlossenen Bauern
ebenso gnadenlos gejagt wie von den Profossen der Armeen und ihren
Steckenknechten. Callot schildert diese Situation recht anschaulich, wenn er
einzelne dieser hingerichteten Elendsgestalten mit Prothesen ausstattet und
obendrein noch eine ganze Anzahl dieser kümmerlichen Bewegungshilfen
sinnfällig unterhalb der Hinrichtungsstätte aufhäuft. Diese
Menschen stellten offenkundig weniger eine Gefahr als eine Belastung der
Kriegführung dar.
Die Armeen des
Dreißigjährigen Krieges befanden sich, sei es aus Gründen der
Kriegführung, sei es zu ihrer Versorgung, fast ständig in Bewegung.
Nur während der Zeit zwischen Mitte November und Ende März lagen die
Soldaten in den
Winterquartieren. [46]
Unmittelbar vor
Beginn des Sommerfeldzuges wurden dann die Regimenter durch Werbungen personell
wiederaufgefrischt. Dadurch war die Truppe häufig gezwungen, mit frisch
geworbenen Soldaten, die noch kaum ausreichend in ihre jeweilige Kompanie
integriert waren, in den Sommerfeldzug ausrücken, eine Maßnahme, die
gerade unter den Rekruten hohe Opfer forderte.
Die
durch den Umfang ihrer Trosse behinderten Armeen und die zunehmende Verknappung
von Lebensmitteln führten im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges
dazu, daß neben den regulären großen Schlachtentscheidungen der
Einsatz kleinerer, beweglicher Heeresabteilungen eine größere
Bedeutung gewann. Der Gewinn fester Plätze zur Sicherung von
Straßenverbindungen und Flußübergängen, aber auch als
Zentren, von denen aus das umliegende Gebiet "ausfouragiert", also zur
Versorgung der Armee herangezogen werden konnte, bestimmte in den letzten Jahren
das Erscheinungsbild des Krieges. [47]
Die
hierzu verwendeten "Streifparteyen" stellten bewegliche Reiterverbände dar,
die zunächst zur Aufklärung über die Stärke und Stellung des
Gegners beitrugen, später auch versorgungstechnisch günstige
Marschkorridore und Quartierräume erkundeten und sicherten. In dem
Maße, in dem das Aufspüren von Nahrungsmitteln, das Aufbringen von
gegnerischen Konvois und das Wegnehmen von Magazinen zur Hauptaufgabe dieser
leichten Truppen wurde, lockerte sich auch deren Disziplin. Je unbeweglicher die
großen Heereskörper wurden, desto unentbehrlicher wurden die leichten
Truppen. Ihr Einsatz weit vor oder neben der Armee machte eine kontinuierliche
Überwachung und Disziplinierung, die ohnehin gerade bei den
irregulären Truppen kaum im Interesse der militärischen Führung
lag, unmöglich. Die Aussicht, ungestraft Beute machen zu können,
veranlaßte nicht nur versprengte, sondern auch straffällig gewordene
Soldaten sowie bewaffnete Desperados unterschiedlichster Herkunft als
"Freireuter" auf eigene Rechnung Krieg zu führen. Die Zeitgenossen haben
diese Angst und Schrecken verbreitenden Truppen häufig mit den in
kaiserlichen Diensten stehenden Kroatenregimentern in Verbindung
gebracht. [48] Mit der Bezeichnung "Crabaten" wurden alle erdenklichen
Scheußlichkeiten in Verbindung gebracht, wobei sich unmittelbares Erleben,
Greuelpropaganda und irrationale Fremdenängste unheilvoll miteinander
mischten. Die erhebliche geographische Mobilität, die während des
Krieges auf dem mitteleuropäischen Kriegsschauplatz deutlich wurde,
führte auch gegenüber den Soldaten aus anderen Regionen Europas zu
ähnlichen Vorurteilen. (Abb. 7) Sie schlugen in Süd- und
Westdeutschland den Angehörigen der nationalschwedischen Regimenter ebenso
entgegen, wie sie die deutschen Regimenter der ehemaligen Armee Bernhards von
Sachsen-Weimar auf ihrem Marsch durch die südliche Champagne
erfuhren. [49] Neben einem immer erbarmungsloser geführten Kampf um
schwindende Subsistenzmittel dürften auch wechselseitige angstgesteuerte
Affektreaktionen eine Ursache für die immer wieder zu beobachtenden
Gewaltsamkeiten zwischen Bevölkerung und Soldaten gewesen sein. Für
die vom Krieg betroffenen Zeitgenossen, deren Zeugnisse uns erhalten geblieben
sind, spielte es keine Rolle, ob das Leid und der Schaden, den sie zu beklagen
hatten, von regulären Soldaten, Streifparteien, Freireutern, Marodeuren,
von Trossern oder von den zahlreichen im Gefolge der Armeen mitziehenden
Verbrecherbanden angerichtet worden war. Für sie waren die Fremden
unterschiedslos Kriegsvolk, wobei sie höchstens noch grob nach den
kriegführenden Mächten
unterschieden. [50]