DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
RUTH E. MOHRMANN Alltag in Krieg und Frieden |
I. "Gejagt wie das Gewildt in
Wälden"
"Was aber mir ursach und Anlaß
gegeben, dis büechlein zu schreiben, ist diße wie volget: Anno Domini
1618 ist ein grosser commet erschine, zu herbst umb und im Novembris. Des
selbigen ansehen ist schröcklich und wunderlich, der bewegt mich in meinem
gemüet, das ich anfang zu schreiben, weil mich bedünckht, er werden
etwas gross bedeüten und mit sich bringen, wie dan solches geschehen ist,
wie der lesser hierin gnug bericht finden
wirdt." [1]
Mit dieser Begründung
beginnt eine der faszinierendsten zeitgenössischen Darstellungen der
Zeitläufte im Dreißigjährigen Krieg, das "Zeytregister" des Hans
Heberle, eines leibeigenen Schusters aus dem Städtchen Neenstetten, 16
Kilometer nordöstlich von Ulm auf der Schwäbischen Alb gelegen. Bis
zum Dank- und Freudenfest am 18. November 1648 in Ulm ist Hans Heberle mit Weib
und Kind, mit Vieh, Hab und Gut immer wieder hinter die Mauern Ulms und in die
Hölzer und Wälder sowie andere Flecken und Dörfer geflohen. Das
Ulmer Friedensfest hat der Chronist mit seiner Familie "so steiff und fest
gefeyret als imer den heiligen Christtag", und er bilanzierte die vergangenen
drei Jahrzehnte so: "In summa es so ein jämerlicher handel geweßen,
das sich einem stein solt erbarmet haben, wüll geschweigen ein menschliches
hertz. Dan wir seyen gejagt worden wie das gewildt in wälden. Einer ist
ertapt und ubel geschlagen, der ander gehauwen, gestochen, der drit ist gar
erschoßen worden, einem sein stückhle brot und kleider abgezogen und
genomen worden. Darumb wir Gott nit könen genug loben und preißen
für den edle frieden, den wir erlebt haben. Dan waß haben wir
außgestanden in denen 30 fluchten, die allein nach der stat Ulm geschehen
sindt. Eine ist geschehen bey finster nacht und grossem wetter, die ander in
schne und große kelte, die drite ist geschehen in gefehrlichkeit mit dem
kriegsvolckh, das wir offt umb unser armut komen auff dem weg, ja, umb leib und
leben." [2]
So wenig repräsentativ
Lebensläufe im 17. Jahrhundert waren, so exemplarisch ist doch mancher Zug
in Heberles Leben. Von seinen insgesamt zehn Kindern überlebten ihn
lediglich zwei, eine seiner Töchter, die noch das Ende des großen
Krieges miterlebt hatte, verstarb im Kindbett. Seine Eltern, vier Geschwister
und zwei seiner Kinder waren der großen Pestepidemie 1634/35 zum Opfer
gefallen. Fast achtzigjährig verstarb Hans Heberle 1677, der es mit seinem
Handwerk und einer kleinen Landwirtschaft zu bescheidenem Wohlstand gebracht
hatte. "Jamer und not, hunger und todt" (1634) - das war das alltägliche
Einerlei vieler Kriegsjahre, das dennoch dem Chronisten weder sein Gottvertrauen
noch den Humor nahm. Und immer wieder notierte Heberle die Wunderzeichen am
Himmel, die Blutregen und Feuerflammen, die die Menschen damals in Angst und
Schrecken versetzten. Kaum eine Chronik der Zeit, die nicht den Kometen von 1618
und als Ankündigung der Ankunft Gustav Adolfs 1630 den Kampf zweier
Kriegsheere am Himmel beschrieb. Flugblätter, Zeitungen und Reisende
verbreiteten diese und andere Nachrichten in erstaunlich kurzer Zeit auch in
entlegene Landstriche. Zuverlässige Informationen und "Kundschaft" zu
erhalten, konnte über Leben und Tod entscheiden. Die Ungewißheit
über die Ereignisse schon in der nächsten Stadt oder Herrschaft
setzten jeden "Informationsträger" ständigen Befragungen aus, seien es
reisende Mönche oder Kaufleute, Bettler, Boten oder fahrendes Volk.
Gerüchte schwollen oft schnell zu großer Gewißheit an,
erweckten große Hoffnungen oder stürzten umgekehrt in tiefes Elend.
Gerade Nachrichten aus weit entfernten Landstrichen benötigten oft
längere Zeit, bis ihr richtig oder falsch sich verfestigte. "Ob was daran
wahr, kan ich derzeit nit schreiben. - Es soll nit wahr sein. - Das grade
Widerspiel ist wahr": so kommentierte Pfarrer Johannes Schleyß aus der
altwürttembergischen Dorfgemeinde Gerstetten anno 1632 die Nachricht,
daß "Chursachsen [...] von den ungarischen König hart geschlagen
worden sein" soll. [3]
Zweifellos hat
gerade das 17. Jahrhundert eine enorme Kommunikationsverdichtung erlebt, und
hierzu hat der Dreißigjährige Krieg nicht wenig beigetragen. Doch das
Wach- und Warnsystem, das sich von Dorf zu Dorf, über Kirchtürme und
Berge mittels Rauch- und Feuerzeichen erstreckte, konnte bei aller
Unzulänglichkeit vor allem einem nicht abhelfen: der tiefsitzenden Angst,
die die Menschen drei endlose Jahrzehnte lang begleitete und jeden vorsorgenden
Blick selbst in die nahe Zukunft oft genug in ungewisser Trostlosigkeit enden
ließ.
Ein Krieg, der 30 Jahre währt,
hat viele Wirklichkeiten. Nicht überall war der Krieg. Viele Landstriche
hat er ganz verschont, sie standen sogar in Blüte und verdienten noch am
Krieg. Auch war der Krieg nicht überall gleichzeitig, und auch in stark
heimgesuchten Regionen gab es ruhige Perioden und lange Erholungspausen. Und
auch die kriegerischen Truppen agierten nicht überall gleich entfesselt
gegenüber der schutzlos ausgelieferten Landbevölkerung. Offiziere, die
ihre Truppen in Zucht hielten, ließen die schlimmsten Peiniger unter ihren
Soldaten, die auch Pfarrer nicht verschonten, kurzerhand aufhängen oder
aber ließen von den Soldaten ins Lager entführte junge Mädchen
aus angesehenem Hause "ohne alle Entgelt und mit Ehren ihren lieben Eltern"
zurückbringen. [4] Andere Truppen tobten wie wahre Teufel, und oft
genug waren die vermeintlichen Freunde die schlimmsten Feinde. "So wünschte
jedermann die noch besseren Schweden" zurück, als Ende des Krieges in
Bayern noch einmal die Kaiserlichen einrückten. [5] Die
Wirklichkeit des Großen Krieges hatte viele Gesichter, doch der Grundtenor
war die immerwährende Angst, waren Ohnmacht und
Hilflosigkeit.
Will man den Alltag der kleinen
Leute in Stadt und Land, der meist namenlos gebliebenen leidenden
Bevölkerung nachzeichnen, so kann diese Mannigfaltigkeit nur
annäherungsweise erfaßt werden. Alltag im Dreißigjährigen
Krieg - das waren schier unvorstellbare Extreme vom glaubhaft bezeugten
Kannibalismus in ausgehungerten belagerten Städten und festen
Plätzen [6] bis hin zu Luxusverordnungen über die "grausame
pracht in der kleydung, die der gestalt gestiegen, dass es nicht mehr zu dulden
war" [7], vom unglaublichen Reichtum an Silber und Geschmeide, das auch
am Ende des Krieges sich noch in Bürgerhäusern fand, bis hin zu
Hungersnöten, in denen "ein acker [...] umb ein leyb brot
hingeben". [8]
Alltag ist, so wissen wir
mit Fernand Braudel [9], gleichbedeutend mit winzigen Fakten, die
räumlich und zeitlich kaum ins Gewicht fallen. Das Alltägliche
wiederholt sich und wird durch die Wiederholung zum Allgemeingültigen; es
erfaßt die Gesellschaft auf allen Ebenen und kennzeichnet übliche
Lebensformen und Handlungsweisen. Es zeigt uns, was und wie die Menschen
gegessen, wie sie gewohnt und sich gekleidet haben, wie sie gearbeitet haben und
wie sie mit Krankheit, Sterben und Tod und miteinander umgegangen sind. Der
Alltag, auf den die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges traf, war
ein Alltag im Frieden, der auch erfaßt werden muß, um die
Alltäglichkeit der Kriegsgreuel erfassen zu
können.
II. " [...] Hausrath, Leinwath,
Bettgewand, Kleider und was ein wenig etwas wert, wird den Leuten genommen,
verkauft und allenthalben durchtrieben"
Auf welche
alltäglichen Formen des Wohnens und Haushaltens aber traf die Soldateska,
wenn sie sich plündernd und raubend in eines der schutzlosen
Bauerndörfer warf oder aber eine belagerte Stadt eingenommen war? Wie
lebten Bauern und Bürger, Handwerker, Kaufleute und Geistliche mit ihren
Familien und ihrem Gesinde inmitten, am Rande oder fernab des jeweiligen
Kriegsgeschehens? Die Landbevölkerung, die der peinigenden Drangsal der
Soldaten ungleich stärker ausgesetzt war als die Stadtbevölkerung
hinter dem Schutz ihrer oft unbezwingbaren Mauern, suchte bei drohendem
Soldateneinfall zunächst nur das nackte Leben, das des Viehs und das
nötigste Hab und Gut zu retten. Die Flucht in nahe gelegene Wälder,
Weinberge und Moore war oft eine allnächtlich, ja monatelang geübte
Überlebenspraxis. Zogen große Truppenteile vorbei, empfahl es sich,
in den nächsten festen Platz, sei es ein Kloster, eine Wehrkirche oder der
grundherrliche Burghof, oder aber in die nächst gelegene größere
Stadt zu fliehen. Nicht überall waren die Flüchtlinge willkommen, und
angesichts ihrer großen Zahl erschienen die Verhältnisse oft
unerträglich. Kloster Andechs als Fluchtort mehrerer Dörfer war
mehrfach mit "über die tausend Menschen [...] voll geschoppt, einer lehnte
sich an den andern". [10] In den Städten war auf christliche
Nächstenliebe allein nicht zu zählen. Hier bestand Meldepflicht
für die Flüchtlinge, und Schutzgelder waren für "weib, kinder,
roß und vieh" zu zahlen. War die Stadt zu stark überlaufen, forderte
der Rat die Landbevölkerung unter Androhung von Strafgeldern zur Heimkehr
auf, wie es im tiefsten Winter 1643 Hans Heberle in Ulm
geschah. [11]
Reiche Vollbauern auf
großen Höfen und verarmte Tagelöhner und Heuerlinge in elenden
Katen und Hütten standen an den extremen Polen
ländlich-bäuerlicher Existenzen. Doch wenn es auch je nach sozialer
Differenzierung große qualitative und quantitative Unterschiede gab, so
war ländliches Wohnen doch weitgehend nur eine Befriedigung der elementaren
Bedürfnisse von Schlafen, Essen und Aufbewahren in stetem Nebeneinander von
Wohnen und Wirtschaften. Dies galt vor allem für das gesamte Gebiet des
niederdeutschen Hallenhauses, das auch innerhalb der Städte verbreitet war.
So hat es für Münster amüsiert und ironisch der päpstliche
Gesandte Fabio Chigi beschrieben, der sonst verfeinerten italienischen Luxus
gewöhnt war: "Alle wohnen hier unter einem Dach: Menschen, trächtige
Kühe, stinkende Ziegenböcke und Schweine." [12] Wohnung, Stall
und Erntebergungsraum unter einem Dach - diese Wohneinheit erstreckte sich von
einem großen Einfahrtstor über eine Tenne mit beiderseitigen
Ställen bis hin zum Zentrum familiären Lebens und Wirtschaftens, dem
offenen Herdfeuer. Der frei abziehende Rauch trocknete das unter dem Dach
gelagerte Getreide ebenso, wie er die über der offenen Herdstelle
aufgehängten Schinken und Würste räucherte. Die von
Viehausdünstungen und beißendem Rauch geschwängerte Luft bot im
Winter auch im engen Umkreis des Herdfeuers kaum hinreichende Wärme.
Für die Wohnzone des Fletts kann lediglich eine Temperatur von vier bis
sechs Grad über dem Außenwert angenommen
werden. [13]
Doch auch das Hallenhaus des
17. Jahrhunderts hatte mit dem angebauten Kammerfach in der Stube schon die
Errungenschaft übernommen, die die mittel- und oberdeutschen Bauern- und
Bürgerhäuser längst kannten. Die Stube als heizbarer und
rauchfreier Wohnraum war eine der folgenreichsten Erfindungen
mitteleuropäischer Wohnkultur. Gleichbleibend behagliche Wärme durch
den rauchfrei beheizten Ofen - das garantierten weder die offenen Feuerstellen
noch Kamine. So konnte sich familiäres Leben in den Bürger- und
Bauernhäusern an durchaus unterschiedlichen Orten konzentrieren: vor dem
offenen Herdfeuer im Flett, vor dem Kamin in der Küche oder um den
Kachelofen in der Stube.
In der Zeit des
Dreißigjährigen Krieges sind Stuben noch recht unterschiedlich
genutzt worden. Waren sie im einen Fall als Wärmestube höchst sparsam
möblierter Arbeitsraum eines kleinstädtischen Handwerkers oder
Kaufmanns, so im anderen Fall mußebetonter Rückzugsort zu
familiärer Intimität mit Wandschmuck, Spiegeln und Dekor, mit
Büchern, Bankpfühlen und Stuhlkissen. Die Möblierung war dennoch
in diesen recht kleinen Räumen meist karg: Die "Diagonalstruktur" der Stube
mit dem Ofen in der einen, dem Tisch und der zumeist wandfesten Bank in der
gegenüberliegenden Stubenecke hatte sich früh in der "oberdeutschen"
Stube verfestigt. Stühle kannte entgegen landläufiger Meinung auch die
frühneuzeitliche Stube; sie boten meist ein buntes Durcheinander von hohen
und niedrigen, großen und kleinen sowie unterschiedlicher
Bezugsmaterialien.
Ofen, Kamin oder offenes
Herdfeuer - bei aller Unterschiedlichkeit der Wärmenutzung waren dies die
eigentlichen Zentren eines jeden Hauses. Im "eigen Rauch und Schmauch" war
sinnbildlich der Hausbesitz erfaßt, die Feuerstelle als Ort der
Nahrungszubereitung sicherte ganz handfest das Überleben und war im
übertragenen Sinne die eigentliche Kernzone häuslichen
Friedens.
Genau bis zu diesem
Kristallisationspunkt häuslichen Friedens drang immer wieder die Soldateska
vor: Hören wir genauere Informationen über ihr Rauben und
Plündern in Bauerndörfern, so hatte sie in den Häusern "die
Öfen zerschlagen". [14] Brutaler konnte der Soldat dem Bauern nicht
seine Überlegenheit und Machtfülle in dessen eigenen vier Wänden
demonstrieren. Daß hieraus Todfeindschaft und Haß zwischen beiden
erwuchs, war die logische Konsequenz, und die Bauern wehrten sich auf ihre Weise
gegen ihre Peiniger. [15] Nicht nur Soldaten, selbst Offiziere sind "von
den pauren entleibet und geplundert
worden". [16]
Was aber fanden die Soldaten
in den Häusern der Zeit zum Rauben und Plündern vor, bzw. welcher
Hausrat erleichterte die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse? Der
Bestand an Mobiliar war auch in wohlhabenderen Häusern nicht
übermäßig groß und eher einfach, ja oft von derber
Klobigkeit. Zahlreiche Möbel im heutigen Sinne waren nicht mobil, nicht
beweglich, sondern fest eingebaut. Wandfest und eingebaut waren nicht nur die
Bänke, die teils ganze Wände umliefen und als Ofenbank beliebte Sitz-
und Schlafplätze boten. Wandfest waren auch Schränke und Truhen und
nicht zuletzt die Wandbetten. Aber das "hölzerne Gerät" war damals
nicht nur vergleichsweise gering an Wert im Gesamtgefüge des Hausrats,
sondern auch ungeeignet als Statussymbol. Festkleidung und Schmuck sowie die
Speisen bei festlichen Anlässen - dies waren in den Friedenszeiten des
Dreißigjährigen Krieges die eigentlichen
Repräsentationssphären, in denen gegebenenfalls Reichtum und Stand
demonstriert worden sind.
Wichtigstes
Verwahrmöbel der Zeit waren die Truhen. Kisten und Laden waren in oft
erstaunlich großer Zahl vorhanden, und diejenigen, die den wertvollsten
Inhalt an Wäsche, Kleidung, Schmuck und ähnlichem bargen, waren
praktisch immer in den Schlafkammern des Elternpaares deponiert. Die
Schlafkammer war somit zugleich der "Tresor" der Familie. Bemerkenswert
erscheint, daß es mutmaßlich Offiziere des
Dreißigjährigen Krieges waren, die eine Neuerung unter den
Truhenmöbeln wenn vielleicht auch nicht selbst einführten, so doch
aber als erste benutzten. Die vor allem in Nord- und Mitteldeutschland im 18.
und 19. Jahrhundert weit verbreitete Runddeckeltruhe, der sogenannte Koffer, ist
Jahrzehnte vor den nächsten Belegen im Besitz von Offizieren
bezeugt. [17] Schrankmöbel, abgesehen vom Wirtschaftsschrank, dem
süddeutschen Almer, fanden erst allmählich Eingang in Bürger- und
deutlich später in Bauernhäuser. Kleiderschränke etwa, die
städtische Bürger schon im 16. Jahrhundert nutzten, bürgerten
sich in ländlichen Haushalten erst im 18. Jahrhundert ein. Dieser lange
Prozeß beinhaltete auch eine Veränderung in den Verwahrtechniken.
Flache Truhen, Laden und Kästen als Verwahrmöbel für Wäsche
und Kleidung erforderten diffizile Falt- und Rolltechniken der liegend
geschichteten Stücke. Scharfe Falten, die durch das Aufbewahren entstanden,
waren allerdings keineswegs unerwünscht. Als "Plicaturen" in den
Tischdecken waren sie begehrte Zier gehobener Tischkultur und waren in
Wäsche- und Kleidungsstücken ein Zeichen von Ordentlichkeit und
größerer Vorräte an "liegendem
Zeug".
Leinen hatte seit dem 16. Jahrhundert
europaweit den Status eines teuren Luxusgutes verloren. Dadurch konnten sich
Bürger und reichere Bauern seit dem Ende des Jahrhunderts
größere Vorräte an ungeschnittenem Linnen anlegen. Doch diese
häusliche Bevorratung fand im Dreißigjährigen Krieg ein rapides
Ende. Für die Soldaten war Leinwand ein begehrtes Beutestück, und sei
es, daß sie nur ihren Mutwillen damit trieben und die Linnenstücke
"zerhempelten" und "zerstümpelten". Nicht minder begehrt von den Soldaten
waren auch Bettwerk und Bettgewand, das diese nicht zuletzt für ihren
Troß benötigten, der oft genug "ein zerlumpet, zerhudelt Gesindlein
mit Huren und Buben"
war. [18]
Bemerkenswert ist, daß das
Bettwerk in frühneuzeitlichen Haushalten einen enorm hohen Stellenwert
besaß. Gemessen an dem vergleichsweise gering bewerteten Mobiliar, machten
"vollständige Betten" in ärmeren Haushalten oft ein Viertel bis ein
Drittel des gesamten Mobiliarvermögens aus. Allerdings gab es europaweit
scharfe regionale Gegensätze. Pointiert hatte der weitgereiste Montaigne
konstatiert, daß der Deutsche beim Schlafen auf einer Matratze krank
würde, so wie der Italiener auf Federbetten und der Franzose ohne
Bettvorhang und Kaminfeuer. [19] In der Tat spielte das Schlafen auf und
unter Federbetten in mitteleuropäischen Betten eine immens große
Rolle. Vollständige Betten guter Qualität wogen früher 50 und
mehr Pfund, das entsprach den Federn von 200 Gänsen. In ärmeren
Haushalten ersetzten Stroh- oder Laubsäcke die federnen Unterbetten, und
Zahl und Qualität der Kissen, Pfühle und Oberbetten waren zweifellos
erheblich geringer. Geschlafen wurde in halbsitzender Position, was die
Kürze früherer Betten erklärt. Scham- oder peinlichkeitsbesetzte
Trennungen gab es in der frühneuzeitlichen Schlafkultur kaum. Alt und Jung,
Kinder und Gesinde, Männer und Frauen schliefen nicht nur in einem Raum,
sondern auch selten allein in einem Bett. Zudem schlief man bis ins 17.
Jahrhundert hinein meist nackt, wenn auch nicht gänzlich unbekleidet -
Nachthaube und Schlafmütze blieben noch lange
obligatorisch.
Auch der Verrichtung
körperlicher Vitalfunktionen fehlte noch lange ein schambesetztes
Abstandhalten. Ein abgetrenntes "Secret" oder "heimliches Gemach" reihte sich
nur langsam in die Reihe differenzierter Wohnräume ein. Der pot de
chambre oder "pruntzscherben", wie ihn Hans Sachs in seinem Spruchgedicht
"Der ganze Hausrat" treffend benannte, blieb unentbehrliches Requisit. Die
Bauernfamilie entrichtete ihre Notdurft im Stall und im weiteren
Hofbereich.
Die Bettmöbel selbst boten
höchst unterschiedliche Varianten. Neben den Wandbetten, den mit
Vorhängen oder Holztüren zu verschließenden Schlafkojen, die vor
allem in der bäuerlichen Bevölkerung Norddeutschlands und Nordeuropas
verbreitet waren, gab es mit dem Himmelbett das genaue Gegenteil. Verschwand der
"Durk" fast unsichtbar in und hinter der Wand, so war das Himmelbett oft ein
wahres Prunkbett mit schier erdrückenden Ausmaßen. Im 16. Jahrhundert
in Frankreich aus Spanien übernommen, breitete es sich im 17. Jahrhundert
in ganz Europa aus und erreichte mit deutlicher Verzögerung auch die
bäuerliche Bevölkerung. War das Himmelbett zugleich auch
Repräsentationssymbol patriarchalischen Ehe- und Familienlebens, so verwies
es mit seinem Standort im Hauptwohnraum der Familie auch auf die fehlende
Trennung der Wohnfunktionen. [20]
Für
die Zeit des Dreißigjährigen Krieges aber muß mit einer
Vielzahl anderer Schlafvarianten gerechnet werden. Provisorisch
aufgeschüttete Strohlager auf dem Boden, einer Bank oder dem Tisch werden
für Flüchtlinge in Städten oder anderen Dörfern eher die
Regel denn die Ausnahme gewesen sein. Und bei nächtlicher Flucht in die
Wälder und Moore waren die ungetümen Federbetten mehr hinderlich als
nützlich.
Küchen-, Eß- und
Trinkgeräte unterschieden sich in ihrem Grundbestand in den verschiedenen
Haushalten kaum. Eher sind Qualität und Quantität hier Indizien
für den Wohlstand oder die Armut der Familien. In der Stadt wie auf dem
Land sind Topf und Krug, Schüssel, Teller und Löffel die wichtigsten
Haushaltsgegenstände dieser Zeit. In der Skala von Arm zu Reich waren
Teller und Schüsseln aus Holz oder Zinn, Trinkgefäße aus
geböttchertem Holz, aus einfacher Irdenware oder aufwendigerem Steinzeug,
aus Zinn bis hin zu kostbarem Glas und Silber auffindbar. Glasierte und bemalte
Irdenware sowie Steinzeug und Zinngeschirr spielten über ihren reinen
Gebrauchswert hinaus eine bedeutende Rolle als Schauobjekte und
Repräsentationssymbole. Zinngeschirr in Bürgerhäusern war von
beeindruckender Redundanz. Bei einem Maximum von fast neun Zentnern sind in
untersuchten Braunschweiger Haushaltungen des 17. Jahrhunderts durchschnittlich
immerhin 230 Pfund Zinngeschirr vorhanden
gewesen. [21]
Die Bauernfamilie aß
gemeinsam aus einer Schüssel, und auch in städtischen Haushalten wird
sich das Essen von Einzeltellern noch nicht in allen Ständen und für
jegliches Gericht durchgesetzt haben. Universales Eßgerät war der
einfache holzgeschnitzte Löffel, der allerdings auch in unteren
städtischen Bevölkerungsgruppen überraschend häufig aus
Silber gefertigt war. Dies war nicht zuletzt eine Art der Thesaurierung
ähnlich wie bei den deutlich höherwertigen silbernen Bechern, die im
äußersten Notfall "versilbert" werden konnten. Messer dienten weniger
als Eß- denn als Vorschneidegerät. Zum "gedeckten Tisch"
gehörten sie auch in wohlhabenden Bürgerhäusern noch nicht.
Messer waren Teil des ganz persönlichen Besitzes jedes einzelnen, die in
eigenen Messerscheiden gefahrlos am Körper getragen werden konnten und die
auch jeder Gast bei Gastmahlen mitbrachte und benutzte. Daß sie gerade in
der Zeit des Dreißigjährigen Krieges oft genug als Waffe dienten, sei
nur am Rande erwähnt. [22] Die Gabel gehört zu den am
spätesten in die neuzeitlichen Eßtechniken integrierten
Besteckteilen. Sie diente in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts
häufig nur der Vorlage ausgewählter Speisen und war, wenn
überhaupt, meist kostbar in Silber gearbeitet und nur in geringer
Stückzahl vorhanden. Einer Verfeinerung der Eßsitten stand in
kriegerischen Zeiten mehr als die fehlende Muße entgegen. Bis der Griff
mit bloßer Hand in die Schüssel mehrheitlich als peinlich empfunden
worden ist, so wissen wir nicht erst seit Norbert Elias [23], dauerte
auch in Adelskreisen noch länger. Doch für ein gewisses Maß an
Hygiene beim Essen ist auch in einer großen Zahl von
Bürgerhäusern gesorgt worden. Das Waschen der Hände vor und nach
dem Essen war weithin üblich; entsprechendes Waschgerät gab es vom
kostbaren Silbergeschirr über aufwendige "Handfaßschapps", vom
messingenen Gießlöwen bis hin zu einfachen irdenen
Handfässern.
Mobiliar und Hausrat in
Bürger- wie in Bauernhäusern war bis ins 17. Jahrhundert hinein noch
nicht sehr differenziert. Ein Grundbestand ist quantitativ und qualitativ
variiert worden, der in engster Ausführung knapp das Überleben
sicherte und in Luxusausstattungen feinster Materialien und großer
Stückzahl Reichtum und Status repräsentieren konnte. Beides aber war
in den drei langen Jahrzehnten des Krieges ständiger Bedrohung ausgesetzt.
War bei Raub und Plünderung gegebenenfalls noch die Hoffnung auf
Rückgabe oder Rückkauf möglich, so waren alle Sachwerte verloren,
wenn der Feind als Waffe das Feuer einsetzte. Vom Heiligenberg des Klosters
Andechs aus waren Anfang August 1634 beim Rückzug der Schweden von Landshut
nach Augsburg nicht weniger als 40 Feuersbrünste in Dörfern und
Schlössern zu sehen. [24] Schutt und Asche blieben hier wie bei den
Hunderten, wenn nicht Tausenden von Feuersbrünsten von den Hütten der
Armen wie von den Prachtbauten der Reichen zurück. Alle Betroffenen konnten
noch von Glück sagen, hatten sie wenigstens ihr Leben retten
können.
III. "Dieses herliche fruchtbare
Landt [...] totaliter ruiniert worden und [...] sich die Armen Einwohner im
Lande [...] mitt Wurtzeln und Kraeuttern aus der Erden erhalten
mussten" [25]
Als im Herbst 1649 die
Kaiserlichen und die Schweden zu Nürnberg im großen Saal des
Rathauses ihr Friedensbankett hielten, da wurde den Gästen in vier
Gängen aufgetragen, jeder Gang mit 150 Speisen. Den Abschluß bildeten
riesige Marzipane, die Tische waren mit kandierten Blumen überstreut. Am
selben Tag waren für die Armen "zwei Ochsen geschlachtet und vieles Brot
ausgeteilt, und aus einem Löwenrachen lief sechs Stunden lang weißer
und roter Wein herab." [26] Freudenmahle aus Anlaß des Friedens
feierte die erleichterte Bevölkerung allerorten, und wenn sie nicht zu
einem gemeinsamen Fest zusammenkam, so ist "jedem nachtbahren zum
gedechtniß des friedensschluß [...] ein maß ins haus geschickt
worden". [27]
Welche der drei Ruten
Hunger, Krieg und Pest die Bevölkerung während des großen
Krieges am heftigsten geißelte, das konnte je nach Zeitläuften und
Region unterschiedlich sein. Am schlimmsten war es, wenn "die 3 Ruten
miteinander [gehen], der bellum, fames, pestis". [28] Doch der Hunger
war für einen großen Teil der Bevölkerung ein ständiger
Begleiter und für viele der Tod. Hunde und Katzen, Pferde und gestorbenes
Vieh, Rinderhäute, Wurzeln und Kräuter - das war in durch Hunger
bezwungenen festen Plätzen wie 1638 in Breisach die letzte verbliebene
Nahrung. Als die Überlebenden auf neun Schiffen Straßburg erreichten,
da lief "die gantze statt [...] hinauss, diesse ellende menschen zu sehen, die
mehr geystern und gespenstern alss lebendigen menschen gleich
sahen". [29]
Doch auch in weniger extremen
Situationen war die Nahrungsbeschaffung, war das schiere Überleben für
viele ein ständiger Balanceakt. Gewiß, es gab auch Jahre mit reichen
Ernten und köstlichem Wein und Jahre, in denen keine
übermäßige Teuerung Korn-, Brot- und Fleischpreise ins
Unermeßliche steigerte. Doch in Jahren, in denen der Bauer kaum sein Feld
bestellen konnte, da ihm auch noch sein Saatgut genommen war, in Jahren, in
denen außer Plünderungen und Einquartierungen Wölfe und
Wildschweine, Mäuseplagen sowie Hagel und Frost grausam wüteten, da
war die Not groß. Und übermäßig groß war auch der
Unterschied zwischen der überquellenden Tafel der Reichen und
Mächtigen und der kargen Kost der Armen und
Ohnmächtigen.
Versucht man, einen
allgemeineren Überblick über die Nahrungssituation der
Bevölkerung im Dreißigjährigen Krieg zu bekommen [30],
so läßt sich von einem Ausklang mittelalterlicher Speisesitten bei
deutlichen regionalen Unterschieden sprechen. Wesentliche Grundlage der Nahrung
bildete das Getreide, wobei die lokalen Anbaumöglichkeiten die Gerichte
bestimmten, die aus den jeweiligen Getreidearten bereitet wurden. Seit dem
Mittelalter dominierte als Hauptgericht der Brei, der aus Hirse und Hafer,
Buchweizen, Gerste und Weizenarten wie Spelz und Dinkel verfertigt werden
konnte. Im Norden stand Haferbrei an erster Stelle, in Süddeutschland
dagegen Hirsebrei. Brot als Butterbrot oder mit Belag spielte vor allem in
Mittel- und Norddeutschland eine zunehmend wichtigere Rolle. Butterbrot war
hierbei oft lediglich Zuspeise zu Mehlsuppen und Gemüsebreien. Es fand sich
im frühen 17. Jahrhundert sowohl bei festlichen Mahlzeiten reicher
Bürger als auch als relativ gering geachtete Kinder- und Gesindespeise in
deren Zwischenmahlzeiten. Die unterschiedliche Qualität - das hoch
geschätzte Weißbrot gegenüber grobem Schrotbrot - machte diese
soziale Differenzierung möglich. [31] Die westfälische
Variante des Pumpernickel war dem Gesandten Chigi "ein scheußlicher
Fraß, den ich selbst Bauern und Bettlern nicht anbieten
würde". [32]
Was die Hauptmahlzeiten
betrifft, so hatte sich bis zum frühen 17. Jahrhundert ein deutlicher
Nord-Süd-Gegensatz herausgebildet. In Süddeutschland überwogen
gegenüber der Fleischkost des 16. Jahrhunderts nun die Mehl- und
Milchspeisen. Fast alle der noch heute geschätzten Mehlspeisen wie
Knödel, Dampf- und Topfnudeln, Küchle und Striezel waren schon
bekannt, wie wir aus Speisezetteln von 1618 (Gut Schleißheim)
wissen. [33] In Norddeutschland hatte es dagegen keine einschneidenden
Kürzungen des Fleischverzehrs gegeben. Rindfleisch, gefolgt von Schaf- und
Kalbfleisch, überwog den Verzehr von Schweinefleisch, wobei generell galt,
daß Schlachtvieh inklusive praktisch aller Eingeweide und Weichteile
verwertet wurde. Geflügel war vorwiegend Sonn- und Festtagskost. Als
Beikost zu Fleischspeisen spielten vor allem Blatt- und Knollengemüse eine
zunehmende Rolle. Fisch war vor allem als Fastenspeise wichtig. Die
mittelalterlichen Fastengebote, die neben der vorösterlichen Fastenzeit
eine Vielzahl weiterer Fast- und Abstinenztage kannten, sind bis zur Mitte des
17. Jahrhunderts in katholischen Regionen zwar schon in vielem gelockert, aber
dennoch, etwa in städtischen Hospitälern, überraschend
verbindlich gehandhabt worden. [34] In Zeiten äußerster Not
ist allerdings auch die Fleischabstinenz in der Fastenzeit durch
bischöfliche Verordnung aufgehoben
worden. [35]
Das Mahlzeitensystem sah
immer noch wie im Mittelalter zwei tägliche Mahlzeiten vor, wobei
Zwischenimbissen allerdings zunehmende Bedeutung zukam. Als Getränk spielte
Bier die wichtigste Rolle, ein zumeist sehr dünnes, oft auch
selbstgebrautes Getränk. Wein war dem Tisch der Reichen und wenigen
hochfestlichen Anlässen vorbehalten. Der kaum vergorene "Most" war in
Weinbaugebieten ein auch von einfachen Leute gern genossenes Getränk.
Branntwein, der bisher vorwiegend als Arznei genutzt worden war, erhielt im 17.
Jahrhundert zunehmend als Getränk eine wichtige Stellung. Wasser hatte als
Getränk nur dort Bedeutung, wo es Trinkqualität besaß. In vielen
Gegenden war das Brunnenwasser modriges dunkles Brackwasser und
ungenießbar.
Eine Neuerung, die Ende des 16.
Jahrhunderts über England und die Niederlande nach Europa kam, hat
während des Dreißigjährigen Krieges auch in Mitteleuropa weitere
Verbreitung erfahren. Das "Tabaktrinken" ist vor allem von der städtischen,
aber auch der bäuerlichen Bevölkerung schon bald als wichtiger
Bestandteil von "Gastereyen" und Festlichkeiten, ja des Alltagslebens integriert
worden.
Die Ernährung der einfachen Leute in
Stadt und Land war auch in guten Erntejahren und ohne die Drangsal von
Einquartierungen oder Plünderungen von großer Eintönigkeit.
Lediglich bei Festlichkeiten wie Hochzeiten und Kindtaufen, bei Kirmes und
Schützenfesten, bei Gemeindezechen und Gildefesten etc., wenn sie denn bei
Abwesenheit der drei Geißeln Pest, Hunger und Krieg gefeiert werden
konnten, bogen sich unter der Last der Schüsseln die Tische, und
größere Vielfalt der Speisen war üblich. Die zahlreichen
Hochzeits- und Polizeiordnungen, die auch während des
Dreißigjährigen Krieges erlassen worden sind, versuchten, meist
vergeblich, den immensen Aufwand
einzuschränken.
Die Tische der Reichen wiesen
deutlich größere Auswahl an Speisen und Zubereitungsarten auf.
Charakteristisch für "Herrenspeisen" waren neben meist ungeheuren Mengen an
Wein verschiedene Sorten an Fleisch, Fisch, Wildbret und Geflügel - vor
allem gebratenes Fleisch war begehrte Herrenspeise -, daneben seltene und teure
Nahrungsmittel wie Reis und Zucker, Konfekt und Marzipan sowie exotische
Gewürze. Gewürzt wurde, gemessen am heutigen Geschmack, im
Übermaß.
Der hohe Alkoholkonsum in
damaliger Zeit - Exzesse in Trunkenheit und tagelange Räusche waren keine
Seltenheit - ließ schon im frühen 17. Jahrhundert
Mäßigkeitsbewegungen entstehen. Doch erst Jahrzehnte nach dem
großen Krieg führten der große Ernüchterer, der Kaffee,
und die anderen neuen Heißgetränke Tee und Schokolade sowie die neue
Basisfrucht der Kartoffel zu einer völligen Neustrukturierung der
Mahlzeitensysteme und der Ernährung. Die Zeit des
Dreißigjährigen Krieges war, was die Ernährung betrifft,
deutlich stärker dem Mittelalter als der Neuzeit
verbunden.
IV. "Weiber und Kinder verjagt und
[...] schier nacket und erfroren [...]
einkommen" [36]
Das Bewußtsein
ständig möglicher Bedrohung durch Hunger, Krieg und Pest hat die
Menschen während des Krieges zutiefst verunsichert und die Angst zu ihrem
ständigen Begleiter gemacht. [37] Eines der wesentlichen Kriterien
des Alltagslebens dieser Zeit ist das Nebeneinander von Angst und Furcht auf der
einen und der Suche nach Sicherheit und Geborgenheit auf der anderen Seite. Die
Lebensformen, die in dieser Doppelbödigkeit Gestalt gewannen, waren trotz
aller Differenziertheit nur von geringer Komplexität. Direktheit und
Nähe besaßen stärkeres Gewicht als Distanz und Verfeinerung. Das
elementare Geworfensein in Lebensbedingungen, deren kausale Verknüpfung
nicht durchschaubar war und die zu ändern man kaum Möglichkeiten sah,
haben zahlreiche Einzelstränge des Alltags nachhaltig bestimmt.
Sphären möglicher Sicherheit konnte der einzelne sich nicht allein
schaffen; er war immer auf die Mithilfe anderer angewiesen, sei es in der
Familie und Nachbarschaft, in Zunft und Gilde, in Gemeinden und Kommunen. In der
kleinsten Einheit, der Familie, war dies gemäß dem patriarchalischen
Leitbild der Zeit im steten Miteinander von Hausvater und Hausmutter gegeben,
das keineswegs immer harmonisch ablief. Die Rolle der Frau war auf dieser
untersten Ebene möglicher Geborgenheit von eminenter Bedeutung. Nicht nur,
daß sie mit Kochen und Wirtschaften, mit der Versorgung der Kinder und des
Haushalts essentiellen Anteil am alltäglichen Überleben hatte, sie war
auch für die Berufswelt des Mannes unverzichtbar. So wie ein Handwerker die
Meisterwürde nur gleichzeitig mit einer Eheschließung gewinnen
konnte, so war auch die bäuerliche Ökonomie zwingend auf dem
Miteinander von Bauer und Bäuerin aufgebaut. Auf die Mitarbeit der Frau,
aber auch auf die der Kinder, konnte nicht verzichtet
werden.
Eine der Schlüsselkategorien
frühneuzeitlichen Zusammenlebens war der Ehrbegriff. [38] Der
ungeschmälerte Besitz der dem jeweiligen Stand und Geschlecht
gemäßen Ehre war eine der unabdingbaren Voraussetzungen
überhaupt. Ehre als allgegenwärtige Lebensnorm war ein ungemein
kostbares Gut und leicht verletzlich, so daß der Umgang der Menschen
miteinander in hohem Maße ritualisiert war. Die Fülle ritualisierter
Formen, sei es Gruß und "Bescheid Geben" beim Zutrinken, sei es die
Respektbezeugung durch Abstand und Zurücktreten, die Reihenfolge bei
Prozessionen und Festlichkeiten, die Sitzordnung in "ehrlichen" Gelagen und
anderen Veranstaltungen, darf allerdings nicht zu steif und zeremoniell
verstanden werden. Mit der strikten Wahrung der eigenen Ehre korrespondierte ein
geradezu zwanghaftes Verhalten, die Ehre der jeweils anderen zu schmälern.
Ehrenhändel, die leicht zu Raufhändeln werden konnten, füllen
denn auch mit ihren Verbal- und Realinjurien die Protokolle und Akten dieser
Zeit.
Im Gegensatz zur Ehre des Mannes, die eine
Vielzahl von Angriffsflächen bot, war die Ehre der Frau am stärksten
von Gesichtspunkten der Sexualmoral bestimmt. Der Vorwurf mangelnder
geschlechtlicher Integrität traf die weibliche Ehre am
härtesten. [39]
Nun lebten gerade in
der Zeit des Dreißigjährigen Krieges nicht alle Frauen entsprechend
dem zeittypisch geforderten Idealbild. Dem großen Troß, der den
kämpfenden Truppen hinterherzog, gehörten nicht nur Ehefrauen und
Kinder an, für die auch einfache Soldaten nach den Regeln ihres Berufes
treu sorgten [40], sondern auch Marketenderinnen und das "Gesindel
liederlicher, verlauster Huren". Weibliche Existenz hatte in der frühen
Neuzeit aber auch noch eine weitere Ausprägung, die zu den fatalsten der
abendländischen Geschichte gehört. Von den Scheiterhaufen, auf denen
im Verlauf der Hexenverfolgung (Schwerpunkt 1580-1650) vorwiegend Frauen
jeglichen Alters und Standes hingerichtet worden sind, brannten besonders viele
während des Dreißigjährigen Krieges. Ein aberwitziger Wahn, der
den Vorwurf zauberischer Praktiken mit abstrusen Vorstellungen der
Teufelsbuhlschaft verquickte, stellte den Kriegsgreueln und dem Pest- und
Hungerelend noch die unsäglichen Qualen unschuldig gefolterter und
hingerichteter Frauen, aber auch Männer, zur
Seite.
Zweifellos spielten Glaubensvorstellungen,
die mit der christlichen Religion nur teilweise in Einklang standen, nicht nur
in den unteren, ungebildeten Bevölkerungsgruppen eine wichtige Rolle.
Für die Stationen des Lebens, von der für Mutter und Kind
gleichermaßen gefahrvollen Geburt bis hin zu Sterben und Tod wissen wir
von einer Vielzahl magischer Praktiken, die oft genug auch zur Anwendung
gekommen sein werden.
Dennoch darf man als sicher
annehmen, daß gerade die "kleinen Leute" sich in die göttliche
Ordnung eingebunden sahen und ihr Dasein der höheren Verantwortlichkeit vor
Gott unterworfen wußten. Und dort, wo die Hilfe Gottes gegen die
Geißeln Hunger, Krieg und Pest und andere Fährnisse des Lebens weder
durch Gebet noch durch Gelübde, weder durch Votivgaben noch durch
Wallfahrten zu erreichen war, da war das unabwendbare Schicksal ein
gottgegebenes. So war es eine besondere Pein, wenn in schlimmen Kriegs- und
Pestjahren nicht einmal ein christliches Begräbnis stattfinden konnte.
Pfarrer und Priester, Mönche und Nonnen konnten während des
Dreißigjährigen Krieges nur bedingt auf bessere Behandlung durch das
Kriegsvolk rechnen. Auch geistliche Einrichtungen standen in der Gefahr,
gebrandschatzt oder geplündert zu werden. Auch Pest und Hungersnot machte
vor Klostertoren und Pfarrhäusern nicht halt. [41] So sehen wir
Nonnen mit eigenem "Patent zum Betteln" in die Schweiz ziehen [42], und
den Abt des Klosters Andechs bei Nacht und Nebel mit den drei geweihten Hostien
am Hals den Schatz und die Reliquien des Klosters immer wieder hinter die
schützenden Mauern des Münchner Franziskanerklosters
retten. [43]
Doch so groß das Elend
in den Städten auch war, wo "die Reichen ihre Reichtümer auf geladenen
Wagen hinaus, und die Armen ihre Armut auf blutendem Rücken hinein
schleppten" [44], so gab es auch erstaunliche Annäherungen zwischen
dem Soldatenvolk und der Bevölkerung. So waren es Soldaten, die
zunächst ihren Offizieren, dann aber auch der Obrigkeit der
quartiergebenden Orte und der Stadt insgesamt als erste Maibäume
aufrichteten und dafür "Verehrungen" erhielten. [45] Soldaten als
früheste Innovatoren eines friedlichen Frühlingsbrauches - eine
wahrlich ungewöhnliche Facette der widersinnigen Zeitläufte, aber
vielleicht auch Symbol der Hoffnung auf bessere Zeiten und einen friedlichen
Alltag.