DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
GERD STEINWASCHER Kampf um städtische Unabhängigkeit und konfessionelle Selbstbestimmung - Osnabrück während des Dreißigjährigen Krieges und der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden |
Am 25. Oktober des Jahres 1648
herrschte in Osnabrück keine euphorische Stimmung über die Meldung des
abgeschlossenen Friedens. [1] Es wurde zwar offiziell gefeiert, doch
jeder Bürger wußte, daß das Schicksal der Stadt damit
keineswegs entschieden war. Es ist bezeichnend, daß die Unterzeichnung des
Friedensvertrages in Osnabrück eine sehr praktische Konsequenz hatte: Der
Abbruch der bischöflichen Zwingburg und Residenz im Nordwesten der Stadt
wurde beschleunigt, ja nahm zeitweise die Form eines Volksfestes an. Die Stadt
reagierte auf den Frieden folglich mit einer Kampfansage an den alten und neuen
Landesherrn.
Osnabrück war also nicht nur Ort
der Friedensverhandlungen, die Stadt war auch Gegenstand des Disputs, so wie das
Hochstift Osnabrück insgesamt zur Verhandlungsmasse gehörte. In der
Stadt selbst agierten deshalb nicht nur die zahlreichen Gesandten, sondern auch
die Vertreter der Landstände des Hochstifts Osnabrück. Der
Friedenskongreß tagte also in einer auch lokal aufgeheizten
Atmosphäre. Man verhandelte in einer Stadt, die um politische
Unabhängigkeit kämpfte, zugleich aber auch um ihre Konfession bangen
mußte. Wie war es zu dieser Situation
gekommen?
I. Osnabrück zu Beginn des
Dreißigjährigen Krieges
Im
Fürstbistum Osnabrück spielte die Stadt Osnabrück, die vor dem
Dreißigjährigen Krieg etwa zwischen 6.000 und 8.000 Einwohner hatte,
die Rolle eines wirtschaftlichen und politischen Zentrums. [2] Auch wenn
die Osnabrücker Bischöfe im Mittelalter die Stadt verließen und
ihre Residenz nach Iburg oder Fürstenau verlegten, blieb ihnen
Osnabrück nicht verschlossen. Als sich im 16. Jahrhundert mit der Kanzlei
eine ständige fürstbischöfliche Verwaltung herausbildete, erhielt
diese ihren festen Platz in Osnabrück und verband durch ihre Lage im
Schnittpunkt zwischen Dom und Marienkirche die wichtigsten Machtpole des
Fürstbistums. Osnabrück war zwar seit dem 12. Jahrhundert auf dem Weg
zu einer vom bischöflichen Landesherrn weitgehend unabhängigen Stadt.
Versuche im 15. Jahrhundert, auf die Bischofswahl Einfluß zu nehmen,
konnten allerdings vom Domkapitel abgewehrt werden, das sich - ebenso wie die
Ritterschaft - durch die 16fache adlige Ahnenprobe gegenüber dem
Bürgertum abschloß. [3] Die städtische Selbstverwaltung
war seit 1348 durch eine Sate (Satzung) festgeschrieben, die im Grundsatz bis
zum Ende des Ancien Régime Gültigkeit behielt. Der alte,
stillsitzende Rat und die Vertreter der Gilde und Wehr bildeten seit dem
ausgehenden Mittelalter die Stände, ohne die wichtige Entscheidungen kaum
getroffen werden konnten.
Schon auf diese Weise
war die Handwerkerschaft der Stadt, die in elf Gilden organisiert war, an den
Regierungsgeschäften beteiligt. Zwar gehörte Osnabrück der Hanse
an, doch war sie keinesfalls eine Stadt der Fernhändler. Wirtschaftlich und
politisch war sie in den Kreis der westfälischen Hansestädte
eingebunden, ökonomisch dominierend war sie nur in der näheren Region.
Überregional bedeutend war die Osnabrücker Legge, die Weberei
bestimmte ohnehin das städtische Gewerbe, die Leinwand blieb der
wesentliche Exportartikel der städtischen Kaufmannschaft. Der von
Friedensgesandten geäußerte Eindruck einer von der Landwirtschaft
geprägten Stadt war keineswegs übertrieben. Die Landwirtschaft blieb
ein Pfeiler der städtischen Ökonomie, auf die man bei der Ansetzung
von Ratssitzungen Rücksicht zu nehmen hatte. In Form von Laischaften wurde
die Weidewirtschaft vor den Toren der Stadt genossenschaftlich
organisiert.
Osnabrück war seit der
Reformation, die Fürstbischof Franz von Waldeck durch Hermann Bonnus in
Stadt und Hochstift 1543 hatte einführen lassen, eine mehrheitlich
lutherische Stadt. [4] Während im Fürstbistum nach der
Zurücknahme der Reformation im Jahre 1548 ein bis in den
Dreißigjährigen Krieg anhaltender konfessioneller Schwebezustand
eintrat, der selbst das Domkapitel bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert
bestimmte, hielt die Mehrheit der Bürger am neuen Glauben fest. Zwar blieb
mit der Dompfarrei und der Pfarrei der Stiftskirche St. Johann sowie dem
Dominikaner- und einem Klarissenkloster der katholische Glaube in der Stadt
präsent, doch war die lutherische Lehre - anders als im übrigen
Fürstbistum - durch ein städtisches Konsistorium
abgesichert.
Das Domkapitel wählte aus
taktischen Erwägungen bevorzugt evangelische Administratoren, die trotz
ihrer Schwächung durch fehlende päpstliche und z.T. auch kaiserliche
Bestätigung am Ausbau ihres Territoriums zu arbeiten verstanden, vor allem
aber zu verhindern wußten, daß das Land in den nahen
niederländisch-spanischen Konflikt direkt einbezogen wurde. Gegen Ende des
Jahrhunderts verschärften sich aber auch in Osnabrück die
konfessionellen Gegensätze. Das bis dahin simultan von Stadt und Domkapitel
unterhaltene Gymnasium am Dom erhielt nach der Entlassung der evangelischen
Lehrer mit der Neugründung eines Ratsgymnasiums Konkurrenz, was zu harten
Auseinandersetzungen führte. Im Domkapitel setzte sich eine Fraktion durch,
die auf Rekatholisierung drängte. Noch aber deckte die imponierende Gestalt
des Administrators Philipp Sigismund von Braunschweig-Wolfenbüttel, der
auch von den Katholiken seines Hochstifts geschätzt wurde, die
Gegensätze zu. [5] Er sorgte auch noch dafür, daß der
drohend näherrückende Krieg auf Osnabrück nicht unmittelbar
übergriff. Mit seinem Tod im Jahre 1623 aber war klar, daß diese
Zeiten mühevoll aufrechterhaltener Duldung der Konfessionen auch im
Fürstbistum Osnabrück vorbei
waren.
II. Osnabrück unter katholischen
Fürstbischöfen
Die Wahlen der beiden
folgenden katholischen Bischöfe Eitel Friedrich von Hohenzollern und Franz
Wilhelm von Wartenberg standen unter dem Druck der Kriegsereignisse. [6]
Das Domkapitel hatte, obwohl nun nur noch katholische Kandidaten in Frage kamen,
äußeren Einfluß bei der Wahl abzuwehren. Beide Bischöfe
waren aber von den militärischen Erfolgen der Liga abhängig. Die Stadt
selbst verfolgte eine defensive Politik. Man verlangte Neutralität und vor
allem das Festschreiben der konfessionellen Verhältnisse. Drohende
Einquartierungen durch ligistische und protestantische Truppen wehrte man mit
Geldzahlungen ab, die Stadtbefestigung wurde notdürftig ausgebaut, sogar
einige Söldner angeworben.
Die Hoffnungen,
mit den beiden katholischen Bischöfen auf der bisherigen Basis
weiterzuleben, erfüllten sich nicht. Das Domkapitel verweigerte der
überwiegend lutherischen Ritterschaft und der Stadt die Bestätigung
ihrer Privilegien in der Wahlkapitulation, Eitel Friedrich von Hohenzollern
erstickte im eigenen Interesse Versuche der Stadt, die Bestätigung und
Erweiterung ihrer Vorrechte vom Kaiser zu erlangen, im Keim. Mit dem Bischof
kamen im Dezember 1624 Jesuiten in die Stadt, auch die Kalenderreform
mußte vom Rat akzeptiert werden. Eine Rekatholisierung der lutherischen
Pfarrkirchen der Stadt blieb im Gegensatz zu den Landpfarreien aber
aus.
Diese war erst Franz Wilhelm von Wartenberg
vorbehalten, dessen Wahl im Oktober 1625 eine dänische Belagerung der Stadt
zur Folge hatte, bei der es den Dänen gelang, unter dubiosen Umständen
zwei Domherren aus der Stadt zu entführen. Es nutzte der Stadt wenig,
daß sie auch angesichts der dänischen Militärmacht auf
Neutralität bestand und dabei den Schulterschluß mit Domkapitel und
Ritterschaft äußerlich wahrte. Die Mitglieder des Domkapitels
verließen die Stadt und reisten dem neuen Bischof entgegen, mit dem sie -
gesichert durch ligistische Truppen - zum Jahreswechsel 1627/28
zurückkehrten.
Der Einzug Franz Wilhelm von
Wartenbergs in Osnabrück am 12. März 1628 hatte einen anderen
Charakter als der seines Vorgängers. Der von Jesuiten erzogene
Wittelsbachersproß war nicht geneigt, sich von den verbrieften Rechten der
Stadt einschränken zu lassen. Die Bürger wurden entwaffnet und
Militär in die Stadt gelegt. Der Bischof betrieb ohne jede Rücksicht
und unter Anwendung von Gewalt die Rekatholisierung der Stadt, belegte das bei
der Reformation aufgelöste Barfüßerkloster mit Franziskanern und
betrieb erfolgreich die Gründung einer Jesuitenuniversität im
ehemaligen Augustinerkloster. Das evangelische Ratsgymnasium wurde geschlossen.
Auch in die Zusammensetzung des Rates am traditionellen Handgiftentag (2.
Januar), dem Tag der Wahl und der Verpflichtung des neuen Rates, griff er 1629
ein und erzwang die Einsetzung eines ihm genehmen Rates. Schon im Mai 1628
begann er mit dem Bau der Petersburg [7] im Südosten der Stadt,
einer bischöflichen Zwingburg, von der aus die Stadt militärisch
beherrscht wurde und in der auch das Residenzschloß entstehen
sollte.
Franz Wilhelm von Wartenberg nahm mit
seiner Politik in Kauf, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil der
vermögenden protestantischen Familien die Stadt verließ. 1629 hatten
bereits über 100 Familien Osnabrück den Rücken gekehrt, die
Prediger waren ohnehin sofort ausgewiesen worden. Trotz aller Maßnahmen
wie Steuerfreiheit für Katholiken gelang keine schnelle Umkehr der
konfessionellen Verhältnisse. 1629 zählte man 255 katholische
Haushaltungen in der Stadt. 138 evangelische Haushaltungen waren so verarmt,
daß sie zu dieser Zeit zahlungsunfähig waren. [8] Die
restliche Bevölkerung trug zeitweise die gesamte Steuerlast, so auch die
Kosten für die einquartierten ligistischen Truppen. Dennoch blieb die
Mehrheit der Bevölkerung evangelisch. Die Schilderung des Osnabrücker
Schuhmachermeisters Bellinckhausen, der die dramatischen Jahre in einer Chronik
gekonnt festhielt [9], verbreitete Hohn und Spott über die in der
Stadt herrschenden Katholiken.
III.
Osnabrück unter schwedischer Herrschaft
Kaum
mehr als sechs Jahre blieben Franz Wilhelm von Wartenberg, um die
Verhältnisse in seiner Haupt- und Residenzstadt zu verändern. 1632
hatte er noch mit großem Aufwand die baulich nicht ganz vollendete
Karls-Universität eröffnet. [10] Die Niederlage der Liga bei
Oldendorf an der Weser im Juni 1633 veränderte aber sehr schnell die
Situation in Osnabrück. Als die schwedischen Truppen am 13. August 1633 vor
der Stadt erschienen, hatte der Bischof diese bereits verlassen. Zum ersten und
einzigen Mal wurde Osnabrück im Dreißigjährigen Krieg gezielt
und dauerhaft belagert. Der Angriff der Schweden erfolgte im Nordwesten der
Stadt, wo das Gelände nicht morastig war und man sich in Deckung der
Stadtmauer nähern konnte. Große Schäden entstanden bei der
Belagerung nicht. Am 12. September 1633 wurde die Stadt von den Kaiserlichen
aufgegeben, die sich in die Petersburg zurückzogen, wo sie am 5. Oktober
endgültig kapitulierten.
Damit begann eine
fast zehnjährige schwedische Besatzungszeit [11], unter der die
Einwohner der Stadt nicht weniger zu leiden hatten. Mußte die Stadt dem
ligistischen Grafen Anholt 1623 39.000 Reichstaler zahlen und dabei vergeblich
auf die Hilfe von Ritterschaft und Domkapitel hoffen, so hatte man nun von
insgesamt 60.000 Reichstalern 40.000 aufzubringen, um die schwedischen
Forderungen für eine Verschonung der Stadt zu erfüllen. Während
die Ritterschaft auch diesmal nicht belastet wurde, hatte das Domkapitel 20.000
Reichstaler beizusteuern, was den Osnabrücker Domschatz erheblich
zusammenschmelzen ließ. Zudem mußte die Stadt eine schwedische
Garnison von 600 Mann beherbergen und
verpflegen.
Dennoch war für die Mehrheit der
Bürgerschaft zumindest die religiöse Unterdrückung beendet. Man
rief die vertriebenen Ratsherren und evangelischen Prediger zurück, doch
nicht alle konnten oder wollten diesem Ruf folgen. Das evangelische
Ratsgymnasium wurde zum dritten Mal innerhalb von neun Jahrzehnten ins Leben
gerufen und die Kalenderreform rückgängig gemacht. Eine Verfolgung der
katholischen Bevölkerung blieb im wesentlichen aus. Vereinzelt kam es zu
Übergriffen gegen Jesuiten und Franziskaner, die die Stadt bald
verließen. Dies galt zunächst auch für die meisten Mitglieder
des Domkapitels. Der katholische Besitzstand in der Stadt aber blieb in der Form
von 1623 auch unter schwedischer Herrschaft weitgehend
gewahrt.
Die Herrschaft über das Hochstift
Osnabrück und damit auch über die Stadt wurde einem illegitimen Sohn
Gustav Adolfs, Gustav Gustavson, übertragen, der Ende Januar 1634 die
Huldigung der Stände in Osnabrück entgegennahm. Da Gustavson sich bis
1639 fast ausschließlich im schwedischen Heer aufhielt, lag die
Regierungsgewalt in den Händen seines Hofmeisters und seiner Räte.
Zwischen diesen und der protestantisch dominierten Bürgerschaft entwickelte
sich fortan ein Kleinkrieg um Einquartierungen, Kontributionen und
Festungsarbeiten. Diese Spannungen wurden durch den Umstand verschärft,
daß die schwedische Seite zunehmend Toleranz gegenüber den Katholiken
der Stadt wahrte, das Domkapitel weitgehend von Kontributionen und
Einquartierungen verschonte, ja Gustavson sogar das vor der Stadt gelegene,
strategisch wichtige Benediktinerinnenkloster auf dem Gertrudenberg
restituierte. Vor allem aber ging es dem Rat darum, von der städtischen
Unabhängigkeit, die schon durch die Anwesenheit einer schwedischen Garnison
gebrochen war, zu retten, was zu retten war.
Am
Handgiftentag 1636, zu einer Zeit, als kaiserliche Truppen nochmals erfolglos
vor der Stadt standen, wählte man in Osnabrück mit Wilhelm Pelzer
einen Mann zum Bürgermeister, der dieser Aufgabe gewachsen schien. Der
promovierte Jurist und erfahrene Syndikus gehörte zu den Emigranten, die
1633 in die Stadt zurückgekehrt waren. Die Entscheidung für Pelzer war
zugleich eine Entscheidung gegen den seit 1633 regierenden Bürgermeister
Albert Modemann, einen gleichfalls promovierten Juristen und ebenso wie Pelzer
Emigrant in der Wartenberg-Phase. Der Machtkampf zwischen den beiden war eine
wesentliche Ursache für die nun einsetzende zweite große Welle der
Hexenverfolgung in
Osnabrück. [12]
Bereits in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatte es unter Bürgermeister
Rudolf Hammacher eine erhebliche Zahl von Hinrichtungen von Frauen gegeben, die
aber keinen konkreten politischen Hintergrund hatten, sondern eher das unsichere
Klima in einer konfessionell gespaltenen und von der Pest betroffenen Stadt
widerspiegelten. Pelzer zielte aber mit seinen Verfolgungsmaßnahmen auf
den politischen Konkurrenten Modemann, dessen Mutter - neben anderen Frauen der
städtischen Oberschicht - ein Opfer der Prozeßlawine wurde. Da
Modemann inzwischen Rat Gustavsons war und somit Vertreter der Landesherrschaft,
verlagerte sich der Konflikt schnell auf eine höhere politische Ebene und
gewann damit eine für zahlreiche Frauen der Stadt verhängnisvolle
Eigendynamik: Durch die Hexenprozesse wurden die städtischen Privilegien
gegen absolutistische Einmischungsversuche des Landesherrn verteidigt, dem man
ohnehin nur unter Vorbehalt gehuldigt hatte. Als Gustavson 1639 persönlich
in Osnabrück die Regierungsgeschäfte übernahm, kulminierte der
Streit. Pelzer mußte 1640 gegen den Willen der Wahlmänner unter
wüsten Drohungen Gustavsons das Feld räumen. In der Stadt war die
Stimmung gespalten. Breite Teile der Bevölkerung begrüßten die
Prozesse, schon weil diesmal auch die Oberschicht betroffen war. Insbesondere
die evangelischen Prediger der Pfarrkirche St. Marien aber wandten sich gegen
die Verfolgungen und nahmen sogar die zeitweise Schließung ihrer Kirche
hin. Es war wohl nur den Drohungen Gustavsons zuzuschreiben, daß der nach
wie vor populäre Pelzer 1641 nicht auf die vakant gewordene Stelle eines
Stadtsyndikus gesetzt wurde. Der neue regierende Bürgermeister Meyer, der
an Pelzers Stelle trat, war eher ein Spielball der divergierenden Interessen in
der Stadt.
Die Verhältnisse in Osnabrück
waren also gespannt, als Weihnachten 1641 in Hamburg der Präliminarfrieden
Osnabrück neben Münster zur Kongreßstadt für die
Friedensverhandlungen bestimmte. Die komplizierten Verfassungsverhältnisse,
die die sozialen Gegensätze in der Stadt auffingen, stellten die
städtische Politik in Krisenzeiten vor große Probleme, ja machten
diese häufig unbeweglich. Davon war der katholische Rat zwischen 1629 und
1633 ebenso betroffen wie der protestantische Rat in den übrigen Jahren.
Eine von den Ständen praktizierte Verweigerungshaltung beeinträchtigte
vor allem die städtische Finanzpolitik. Die Stadt war hoch verschuldet,
weniger bei ihren eigenen Bürgern, sondern vor allem in der näheren
und weiteren Region. Dies gefährdete den Handel der städtischen
Kaufleute und damit deren Verbleib in der Stadt. Die Stadt verlor wohl auch in
der schwedischen Zeit weiter an Bevölkerung, in welchem Umfang dies
geschah, ist ein noch offenes
Forschungsfeld.
IV. Osnabrück
während der
Friedensverhandlungen [13]
Rat und
Bürgerschaft sahen den Friedensverhandlungen mit großer Sehnsucht
entgegen, denn das Verhältnis zum schwedischen Militär verschlechterte
sich zusehends. Angesichts der bevorstehenden Neutralisierung und des damit
notwendigen Abzugs der schwedischen Truppen aus der Hasestadt war die
Bereitschaft, Einquartierungen und Kontributionen hinzunehmen sowie schuldig
gebliebene Gelder an das Militär abzuführen, weiter gesunken. Je
näher der Kongreßbeginn heranrückte und je mehr Quartieranfragen
die Stadt erreichten, um so selbstbewußter wurden die Osnabrücker.
Man ließ sich nicht mehr von martialischen Drohungen Gustavsons
beeindrucken, der der Stadt das Schicksal Magdeburgs ankündigte, vielmehr
schickte man den neuen Syndikus Böger zu Verhandlungen direkt nach
Stockholm und suchte den Kontakt zu den schwedischen
Friedensgesandten.
Man hatte mit der Taktik, einen
Keil zwischen das schwedische Militär und die schwedische Diplomatie zu
treiben, schließlich Erfolg. Johann Salvius, vom Rat mit
Bestechungsgeldern geködert, trat für die Stadt ein. Als der
kaiserliche Bevollmächtigte Johann Krane am 4. Juni 1643 Osnabrück vom
Eid auf Kaiser und Bischof für die Kongreßzeit entband, drohte das
schwedische Militär in der Stadt noch mit der Zwangseintreibung der
schuldigen Gelder. Doch auch Gustavson mußte sich den Gegebenheiten beugen
und die Stadt verlassen. In Osnabrück war man nun unabhängig wie kaum
jemals zuvor, man besaß wieder die militärische Hoheit über das
Stadtgebiet, ja kam sogar in den Besitz der so verhaßten
bischöflichen Petersburg.
Trotz dieses
Erfolges waren die strukturellen Probleme keineswegs gelöst. Mit dem Abzug
der schwedischen Truppen sank die Zahlungsmoral der Bürger auf einen neuen
Tiefpunkt. Die dringend benötigten Gelder, um die eintreffenden Gesandten
mit Geschenken empfangen zu können, waren kaum zu erhalten. Ebenso schlecht
war es um die Moral der städtischen Wachen bestellt. Dabei war es nun die
Aufgabe der Stadt, die Neutralität der Stadt und damit die Sicherheit der
Gesandten zu gewährleisten. Drohungen des Rates, später dann der
Gesandten, änderten nichts an diesem jahrelangen Drama, das weder durch
Geld- noch durch Kerkerstrafen gelöst werden
konnte.
Dabei war man sich in Osnabrück
durchaus bewußt, daß die Stadt eigentlich wichtige Voraussetzungen
für die Abhaltung eines Kongresses dieser Bedeutung nicht erfüllte.
Die einzige Druckerei der Stadt hatte ihren Betrieb eingestellt. 1643 versuchte
man vergeblich, Petrus Lucius in Rinteln zur Eröffnung einer Druckerei in
Osnabrück zu bewegen. Manche aus dem Süden nach Osnabrück
kommende Gesandte empfanden den Aufenthalt in den westfälischen
Kongreßstädten als Zumutung. Ihre Klagen galten vielleicht mehr dem
Klima als den hygienischen Verhältnissen, die so ungewöhnlich nicht
gewesen sein dürften. Natürlich hatte Osnabrück seine
Schmutzecken: Der Neue Graben, das stehende Gewässer zwischen Alt- und
Neustadt, dürfte eine Kloake gewesen sein. Auch dauerte es bis zum 16.
November 1647, bis der Rat sich entschloß, aus den wohl häufigen
Beschwerden der Gesandten den Schluß zu ziehen, eine Art Müllabfuhr
zu bestellen, die jeden Samstag die Gassen von Misthaufen zu reinigen hatte. War
es aber nicht noch peinlicher, daß im Herbst 1645, also schon während
der Verhandlungen, das neue Rathaus ohne richtiges Dach
dastand?
Eindeutiger ging man nun gegen weiterhin
erfolgende Denunziationen von Hexereien vor. Als man 1647 nochmals zwei Knaben
wegen des Verdachts der Hexerei vernommen, ein gerichtliches Verfahren
eröffnet und sogar ein Gutachten der Universität Rinteln eingeholt
hatte, wurde man sich noch früh genug bewußt, welches Aufsehen ein
Hexenprozeß bei den Gesandten erregen mußte. Konnte sich der Rat
hier durchsetzen, so mußte er andererseits hinnehmen, daß die
Stände die durchaus noch vorhandene vermögende Oberschicht zu bremsen
verstanden: Mühsam war es, die spartanische Hochzeitsordnung der Stadt zu
lockern; schließlich verbot man gar zeitweise den Ausschank des
qualitätvolleren Mindener Biers. Es waren alles andere als gesellige
Zeiten!
Der Kongreß selbst machte weniger
Probleme als man annehmen mag, vor allem wenn man sich vor Augen hält, wie
rasch sich die Zahl der in Osnabrück Lebenden erhöhte. Als 1659 die
Stadt Augsburg in Osnabrück anfragte, wie man mit den Gesandtschaften
umgegangen sei, weil man als Kongreßstadt für Verhandlungen zwischen
Frankreich und Spanien ins Gespräch gekommen war, fand man in
Osnabrück folgendes bemerkenswert: Erstens habe man keine zusätzlichen
Wachen einstellen müssen, sondern dies durch die Bürgerschaft
erledigt. Zweitens habe man die kaiserlichen, königlichen,
kurfürstlichen und andere außerordentliche Gesandtschaften durch die
Ratsmitglieder mit einer Anzahl bewaffneter Bürger am Stadttor empfangen,
willkommen geheißen und unter Salven aus Musketen und Kanonen in die
Quartiere begleitet. Drittens seien diese Quartiere unter Aufsicht des Rates von
den Gesandten bezahlt worden, ohne daß es zu Beschwerden gekommen sei.
Viertens habe man die wichtigsten Gesandten und vor allem solche, von denen man
selbst Unterstützung bei den Verhandlungen erhoffte, mit Wein, Fischen und
anderen Aufmerksamkeiten bedacht. Und fünftens sei zum Glück keine
bedeutende Straftat aus den Kreisen der Gesandtschaftsmitglieder zu beklagen
gewesen. Kleinere Zwischenfälle, die zumeist in der Nacht durch Diener oder
Angehörige der Gesandtschaften verursacht worden seien, habe man so
lösen können, daß die Übeltäter von der Wache
ergriffen und inhaftiert und dann durch die Gesandten selbst bestraft worden
seien.
Über die Unterbringung der
Gesandtschaften in Osnabrück durch eine hierfür eingesetzte
Ratskommission ist leider wenig bekannt. Daß durch den
Bevölkerungsverlust wirklich geeignete Wohnungen leerstanden, ist eher
unwahrscheinlich. Es fällt auf, daß die Gesandten, soweit sie sich
dies leisten konnten, die Höfe der Geistlichen und des Adels vorzogen. Die
Schweden belegten das wohl größte Quartier an der Nordseite der
Großen Domsfreiheit, das zuvor Gustavson innegehabt hatte. Die Dänen,
der brandenburgische Gesandte Graf Sayn-Wittgenstein und der kaiserliche
Prinzipalgesandte Graf von Trauttmansdorff bewohnten adelige Höfe am Neuen
Graben und in der Hakenstraße. Fehlende Bequemlichkeit wurde durch
aufwendige Umbauten beseitigt, wie sie vom spanischen Gesandten de Saavedra
überliefert sind, der offenbar in der Krahnstraße in einem
Bürgerhaus unterkam. Für katholische Gesandte war ansonsten das
Dominikanerkloster eine geeignete Herberge, die bayerischen Gesandten wohnten
auf der Freiheit des katholischen Stifts St. Johann in der Neustadt. Wer
über wenig Geldmittel verfügte, mußte bei Osnabrücker
Familien eine Unterkunft suchen. Wie einfach es da zuging, hat der Baseler
Delegierte Wettstein geschildert [14], der bei einem Wollweber zur Miete
wohnte.
Die Anwesenheit der Gesandten wurde von
Handel und Handwerk der Stadt natürlich ökonomisch ausgenutzt. Der Rat
hatte alle Mühe, hier die Kontrolle zu wahren. Dies galt für die
Preise, für die Münzqualität und die Wechselkurse, die schon
früh von den Gesandten moniert wurden. Der schwedische Gesandte Oxenstierna
beschwerte sich im Dezember 1644 beim Rat über das hohe Preisniveau und
drohte gar mit einem Abzug der Gesandten. Der Rat kam den Forderungen sofort
nach, verbot den Handel vor den Toren der Stadt, bestimmte einen Marktvogt und
verpflichtete die Bürgerschaft von der Kanzel herab auf die neue Linie. Man
ergriff zudem die Gelegenheit, Maße und Gewichte in der Stadt zu
überprüfen und vor allem zu
vereinheitlichen.
Das hohe Preisniveau lag nicht
zuletzt an den zahlreichen, neu erhobenen Zöllen, die den Warenfluß
lähmten. Vergeblich versuchte die Stadt zusammen mit Münster hiergegen
vorzugehen. Widerstand gab es auch gegen Versuche der Gesandtschaften,
auswärtige Krämer für den Handel mit Waren zu privilegieren -
notfalls ging man sogar gewaltsam gegen diese vor, was im März 1648 zwei
hamburgische Krämer, die unter dem Schutz Oxenstiernas standen, in
Osnabrück erleben mußten. Auch wenn die Versorgung der
Gesandtschaften in vieler Hinsicht, wohl vor allem in bezug auf Luxusgüter,
am städtischen Markt vorbeigegangen sein wird, so zeigt dieses Beispiel
doch, daß man in der eigenen Stadt die Kontrolle
behielt.
Zwischenfälle zwischen der
Bürgerschaft und den Gesandtschaftsmitgliedern waren selten. Zum Teil
hatten sie einen konfessionellen Hintergrund, wenn etwa im Dezember 1644
Mitglieder der Delegation Kranes bei protestantischen Geistlichen in der Nacht
die Fenster einschlugen. Der Rat spielte solche Vorfälle aus gutem Grund
herunter. Schlägereien, Messerstechereien und wüste Beschimpfungen
fanden während der Verhandlungszeit fast ausnahmslos in alkoholisiertem
Zustand statt. Gegen eigene Bürger ging man bei Verfehlungen unerbittlich
vor, auch gegen Frauen der Hasestadt, die sich mit Dienern der Gesandtschaften
einließen. Der Bier- und Weinkonsum in Osnabrück dürfte in
diesen Verhandlungsjahren erheblich gestiegen sein. Im St. Jürgenshaus in
der Großen Straße, das von der Stadt verpachtet war, wurde das
begehrte Mindener Bier ausgeschenkt. Es gab aber auch Bier aus Hamburg, Bremen,
Paderborn und Braunschweiger Mumme. Von einem Sittenverfall während der
Verhandlungszeit in Osnabrück zu sprechen, würde aber die
Verhältnisse auf den Kopf stellen. Das Leben in der Stadt war zweifellos
interessanter geworden. Man erfuhr Neuigkeiten aus ganz Europa. Magnetisch wurde
fahrendes Volk angezogen, von dem man leider nur erfährt, wenn
Maßnahmen des Rates erforderlich wurden. So fiel der Schwärmer Tobias
Schnauber auf, der im Mai 1645 aus der Stadt verwiesen wurde. Im Januar 1645
machten vier englische Komödianten mit 15 Begleitpersonen in Osnabrück
Station, um ihre Tragödien und Komödien aufzuführen. Sogar Juden
sind in Osnabrück in dieser Zeit nachweisbar. Die Aussicht auf eine
bezahlte Stellung in einer Gesandtschaft lockte die Menschen von weit her.
Berufliche Chancen gab es auch für Osnabrücker. Der schwedische
Gesandtschaftssekretär Bärenklau stellte den Osnabrücker Jobst
Knemeyer in seine Dienste ein und ließ ihn in Oldenburg in der Küche
ausbilden, um ihn dann als Koch und Einkäufer mit nach Wien, Prag und
Regensburg zu nehmen.
V. "Alß es auch
mit den gantzen tractaten ein seltsames außsehen hat" - Die Teilnahme der
Stadt an den Friedensverhandlungen und die Folgen des Friedens für
Osnabrück
Kaum waren die Gesandten
eingetroffen, wurden sie von Domkapitel, Ritterschaft und Rat umworben und
für deren eigene Interessen eingespannt. Oxenstierna hatte gerade sein
Quartier erreicht, als ihn die Stadt mit einer Liste von Forderungen
bedrängte. In gleicher Weise wurde der Sekretär des französischen
Gesandten von katholischen Geistlichen der Stadt um Unterstützung
angegangen. Auch die Ritterschaft wurde aktiv und verlangte bei Oxenstierna die
Beteiligung der Stadt an den Kontributionszahlungen, die auf das
Fürstbistum gelegt wurden. Ärgerlich war es für den Rat vor
allem, wenn gar einzelne Bürger Rückhalt bei Gesandtschaften suchten,
denn die Situation wurde weidlich ausgenutzt. So hofften die Barbiere der Stadt,
ein eigenes Gildeamt zu erhalten und bedrängten in dieser Angelegenheit die
Gesandten der Hansestädte.
Gefährlicher
war die einsetzende Agitation der Katholiken der Stadt: So streute die
Äbtissin des Klosters Gertrudenberg im Oktober 1645 gegenüber den
Vertretern der Stadt Nürnberg das Gerücht aus, die Stadt habe 1636 dem
schwedischen Militär Geld geboten, um das schon beschädigte Kloster
vor den Mauern Osnabrücks endgültig einzuäschern. Ohnehin
witterten die Katholiken Morgenluft: Im Natruper Kloster veranstalteten die
dortigen Mönche 1646 eine öffentliche Disputation, in der Neustadt
wurde im gleichen Jahr eine vom Domküster betriebene Privatschule
aufgedeckt. In die Stadt zog es auch Auswärtige, die über die
Gesandten ihre Interessen gegen die Stadt durchzusetzen hofften. Dies waren vor
allem die Gläubiger der Stadt. Deren Forderungen stießen bei den
Gesandten nicht unbedingt auf Unverständnis, war die Bürgerschaft doch
von allen Kontributionen befreit und lebte - etwa nach Ansicht Oxenstiernas -
sehr gut von dem Kongreß.
Die Verhandlungen
selbst wurden aufmerksam beobachtet. Selbstbewußt verwies man auf die der
Stadt zustehenden Privilegien wie das Befestigungsrecht, die Kirchenhoheit, das
Privilegium de non evocando und betonte, schon lange eine freie
Reichsstadt zu sein. Verlagerten sich die Gespräche nach Münster, so
scheute man bereits 1646 nicht die Kosten, um mit dem Ratsherrn Brüning und
dem städtischen Syndikus auch dort vertreten zu sein. Die Notwendigkeit
einer kompetenten Verhandlungsführung bestimmte denn auch die Wahl von
Gerhard Schepeler zum Bürgermeister der Stadt im Jahre 1647.
Schepeler [15], ein promovierter Jurist, hatte in Hamburg die Tochter
des emigrierten ehemaligen Osnabrücker Bürgers Christian Grave
geheiratet und deshalb finanzielle Interessen in Osnabrück. Er war in der
Stadt keineswegs unumstritten, hatte dafür aber gute Kontakte zur
Ritterschaft und auch zum Domkapitel.
Mit
Schepeler gewann man einen Verhandlungsführer, der der städtischen
Führung sehr bald mitteilte, worauf es ankam. Ohne Bestechungsgelder waren
sowohl die zunächst noch angestrebte Reichsunmittelbarkeit als auch die
Bestätigung weitreichender Privilegien Illusionen. Daraus die Konsequenzen
zu ziehen und die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, war man
aber nicht bereit oder in der Lage. Konsequent war man nur in der Beseitigung
der bischöflichen Petersburg. Bereits im Juli 1647 wurde mit der Abtragung
begonnen, zunächst noch vorsichtig und mit ängstlicher Beobachtung der
Reaktionen der Gesandten. Das Osnabrücker Domkapitel reagierte sofort,
informierte den Bischof und erreichte mit dessen Unterstützung Proteste der
kaiserlichen Gesandten. Die Stadt war dauernd darum bemüht, die
protestantischen Gesandten, vor allem die Schweden, in dieser Frage zu
eindeutigen Positionen zu bewegen, denn sogar der ehemalige Statthalter
Gustavson legte aus Stettin im September 1647 seinen Widerspruch ein. Dem Rat
war von Beginn an klar, daß der Abbruch der Petersburg vertraglich
abgesichert werden mußte, zumal die Restitution Franz Wilhelm von
Wartenbergs, der in Münster als Bevollmächtigter des
Kurfürstenkollegiums selbst als offizieller Gesandter auftreten und
entsprechenden Einfluß geltend machen konnte, nicht zu verhindern
war.
Mit der sich abzeichnenden Alternation im
Fürstbistum, die dem Haus Braunschweig-Lüneburg zugestanden wurde,
stieg die Bedeutung der welfischen Gesandten für die Stadt, was aber
keineswegs deren Verhandlungsposition verbesserte. Die städtischen
Gesandten, die keinen offiziellen Status besaßen, hatten während der
gesamten Verhandlungsphase einen schweren Stand, da ihre Vollmacht nicht weit
reichte und das Mißtrauen im Rat und in den Ständen der Stadt
groß war. War es schon schwer, überhaupt Audienzen bei den Gesandten
zu erlangen, so hatte man dann bei den Gesprächen kaum Spielraum. Zudem war
es fast unmöglich, geheime Dinge vor dem Rat oder gar den Ständen zu
beraten, ohne daß diese sofort in die Öffentlichkeit gelangten. Der
welfische Gesandte Lampadius sprach nicht umsonst von einem notorischen "status
democraticus" in Osnabrück.
Was der Stadt
letztlich allein gelang, war die Zerstörung der Petersburg. Kaum waren die
Böller der Friedensfeier vom 25. Oktober 1648 verklungen, war die Stadt auf
den Beinen, um der bischöflichen Zwingburg endgültig den Garaus zu
machen. Es sei ein Wunder, daß niemand dabei umgekommen sei, berichtete
man stolz nach Münster. Für den Bischof war der Umstand, daß die
Zerstörung seiner Burg mit fliegenden Fahnen und Trommelschlag erfolgt war,
eine Demütigung. Der kaiserliche Gesandte Volmar versuchte noch Ende
November 1648, mit den städtischen Gesandten einen Kompromiß zu
finden, und auch Oxenstierna war von dem Zerstörungswerk nicht mehr
angetan. Die Stimmung zwischen der Stadt und dem Bischof war auf dem Tiefpunkt,
in Osnabrück kursierten wilde Gerüchte von heimlich eingetroffenen
Jesuiten.
Die Verhandlungen gingen für die
Stadt nach dem Friedensschluß ohne Unterbrechung weiter, allerdings hatte
sich der Kongreß seit dem Herbst 1648 ganz nach Münster verlagert.
Längst verhandelte man hier schon über die Capitulatio
perpetua, die konkrete Umsetzung der Resultate des Friedensvertrages
für das Fürstbistum Osnabrück. [16] Weiterhin verlangten
Rat und Stände Unmögliches von ihren Gesandten. Insbesondere die
Beziehungen zu den welfischen Gesandten verschlechterten sich zusehends, weil
die Stadt standhaft eine schriftliche Huldigung für den angehenden
Fürstbischof Ernst August verweigerte, ohne im Gegenzug eine umfassende
Privilegienbestätigung zu erhalten. Man lehnte es zudem ab, sich als Stadt
an einem evangelischen Landeskonsistorium zu beteiligen. So wurden die
städtischen Gesandten bald wie Quälgeister behandelt, die man abwies,
weil man ihre Argumente nicht mehr anhören mochte. Auch Schepeler, der im
Frühjahr 1649 in Münster wieder mit den Verhandlungen beauftragt war,
erreichte keine eindeutige Stellungnahme der städtischen Gremien, obwohl
mit der Ratifikation der Verträge im Februar 1649 die Bestimmungen des
Präliminarfriedens von 1641 ihre Wirkung verloren. Man mußte erneute
Einquartierungen befürchten und wußte um die 80.000 Reichstaler, die
Gustavson als Entschädigung für seinen Abzug zugestanden waren.
Während Münster die Ratifikation der Verträge feierte,
wußte man in Osnabrück nicht
weiter.
Angesichts der Bedeutung der Situation war
niemand bereit, wirklich Verantwortung zu übernehmen. Wichtige Fragen,
nicht nur solche finanzieller Art, wurden den Ständen vorgelegt, z.T. auch
zusätzlichen Bürgerausschüssen. Erst recht scheiterten Versuche
Wartenbergs, die harten Fronten durch die Abhaltung eines Landtages in
Schöneflieth bei Greven aufzuweichen, um bei den Verhandlungen
voranzukommen. Dagegen erreichte Wartenberg im Einvernehmen mit dem kaiserlichen
Delegierten Volmar die Verlegung der Verhandlungen über die Capitulatio
perpetua nach Nürnberg. Die Stadt war brüskiert; man hatte
gehofft, weiterhin als Kongreßstadt dienen zu
können.
Die jahrelang und mit Genuß
gepflegte Unabhängigkeit von den Verhältnissen im Fürstbistum war
nun vorbei. Man mußte Bereitschaft zeigen, mit den Ständen des
Fürstbistums in Verhandlungen einzutreten. Dies war vor allem nötig,
um den baldigen Abzug der schwedischen und kaiserlichen Truppen zu erreichen,
von deren Versorgung die Stadt so lange befreit gewesen war. Auf Anraten der
welfischen Gesandten schickte man zudem im November 1649 den Ratsherrn
Brüning als Bevollmächtigten der Stadt nach Nürnberg.
Brüning blieb bis zum Abschluß der Verhandlungen im Juli 1650 in der
fränkischen Reichsstadt. Erreicht hat Brüning in Nürnberg wenig.
Zwar mußte der Bischof einen Revers ausstellen, daß der Abriß
der Petersburg unter die Amnestie des Friedens fiel, alle offenen Fragen aber
blieben im Vertragswerk der Capitulatio perpetua stehen. Sie wurden nur
als solche inseriert. Man nahm das Nürnberger Ergebnis mit Widerwillen
entgegen; nach der Zustimmung war man ohnehin nicht gefragt
worden.
Im Spätherbst kehrte Franz Wilhelm
von Wartenberg offiziell in sein Fürstbistum zurück. Während der
Verhandlungen hatte er lediglich einige Zeit auf der Eversburg, dem Sitz des
Domdechanten im Westen der Stadt, residiert. Erst nach dem Abschluß eines
Vertrages mit Gustavson, in dem die Entschädigungszahlungen geregelt waren,
reiste der Bischof zunächst auf die Iburg, bevor er am 18. Dezember 1650 zu
einer Ständeversammlung in die Stadt kam. Die Bürgermeister Schepeler
und Schardemann kamen dem Bischof bereits Anfang Dezember nach Iburg entgegen,
um ihm zu einer Restitution zu gratulieren, die man gerne verhindert hätte.
Die Spannungen waren nicht im mindesten beseitigt; es waren die
äußeren Verhältnisse, die beide Parteien zusammenbrachten. Die
Form der Huldigung blieb umstritten, man entschied sich aber, den Streitpunkt
auszuklammern. Selbst die endgültige Einführung des Gregorianischen
Kalenders war keine
Selbstverständlichkeit.
Die Sorgen der
Bürger, die im Oktober 1648 den Frieden eher beweint hatten, erwiesen sich
als unberechtigt. [17] Anders als dem benachbarten Münster, als
Braunschweig oder Erfurt blieb der Stadt eine militärische Unterwerfung
durch den Landesherrn erspart. Als Ernst August I. die Landesherrschaft antrat,
kam die Stadt dem Fürstbischof entgegen. Ohne Widerstand des Rates konnte
der Welfe in der Neustadt sein Residenzschloß errichten und 1673 beziehen;
man mußte auch hinnehmen, daß die Verteidigung der nunmehrigen
Residenzstadt von einer bischöflichen Garnison übernommen wurde. Auch
die Einbeziehung der Stadt in das landesherrliche Steuersystem war nicht mehr zu
umgehen.
In die übrigen innerstädtischen
Verhältnisse aber hat auch Ernst August I. nicht eingegriffen. Von den ihm
nachfolgenden Bischöfen hat lediglich Ernst August II. ständig in
Osnabrück residiert, für die übrigen Bischöfe war das
Hochstift Osnabrück Nebenland und die inneren Verhältnisse der Stadt
Osnabrück ohne Interesse. Für den konfessionellen Frieden, der
zeitweise eher einem "kalten Krieg" glich, aber sorgte der Friedensvertrag von
1648. Er zwang die beiden Konfessionen in der Stadt zu einem Neben- und
Miteinander, das man eigentlich schon seit der Einführung der Reformation
von 1543 gepflegt
hatte.