DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
ZDENĚK HOJDA Der Kampf um Prag 1648 und das Ende des Dreißigjährgen Krieges |
Der Sinn der Kriegshandlungen im letzten
Jahrzehnt des Dreißigjährigen Krieges kann uns nur bei
genügender Distanz als der zielbewußte und systematische Versuch
beider kriegführenden Lager erscheinen, jeweils für sich den
"besten Frieden" zu
erlangen. Freilich, auch militärische Teilerfolge konnten sich kurzfristig
mehr als einmal als Ereignisse von beträchtlicher politischer Tragweite
erweisen, die auch bei diplomatischen Schachzügen von Nutzen sein konnten.
In Wirklichkeit aber besaß keine der kriegführenden Parteien mehr die
Kraft für den entscheidenden Sieg, und die eskalierten Kriegshandlungen
erwiesen sich immer mehr als Alltagsroutine und Stellungskampf. Für die
unmittelbar Beteiligten war der Krieg vor allem eine Existenzweise.
"Der Krieg
ernährt sich durch den
Krieg",
Gewalt wurde als Teil des Alltags wahrgenommen. Das Besetzen und Plündern
von Städten, das Eintreiben von Brandsteuern, der Raub der
Speisevorräte, die Requirierung der Ernte, des Viehs und der Pferde bei den
Durchzügen und plötzlichen Einfällen
"fremder"
Truppen bzw. die Kriegslieferungen und außerordentlichen Kontributionen
sowie finanzielle Hilfe für den Unterhalt und Nachschub der
"eigenen"
Armeen - dies alles waren nur mehr oder weniger gewaltsame Formen der Verarmung
der Bevölkerung. Dieses System, das im Verlauf des Krieges in einem immer
elender werdenden Land immer vollkommenere Organisationsformen annahm, hing mit
der gegenseitigen
"Ermüdungs"-Taktik
der Heere - sie war zur überwiegenden Kampfesweise geworden - in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts zusammen. Die Notwendigkeit, zehntausend Mann
starke Armeen für lange Zeit gefechtsbereit zu halten, machte in den
vierziger Jahren zwar eine Vervollkommnung der Versorgungslogistik erforderlich
(als Beispiel seien die in den Kreisen entstehenden Getreidelager genannt),
hatte aber einen Bevölkerungsschwund auf dem Lande, dessen
Siedlungsstruktur zerstört war, sowie verschuldete und durch die Leiden des
Krieges und durch Krankheiten dezimierte Städte zur Folge, die seit Beginn
der Schwedeneinfälle oft wiederholten
"Streifzügen"
beider Armeen ausgesetzt waren (Cheb/Eger, Chomotov/Komotau,
Litoměřice
/Leitmeritz, Slaný/Schlan, Brandýs n.L./Brandeis an der Elbe und
viele andere). Als einer der wenigen Auswege für die so Betroffenen bot
sich ein Überlaufen
"auf die
andere
Seite" an,
also der Eintritt in eine der Armeen, was im Falle der Beförderung
wenigstens zu einem der unteren militärischen Grade die Chance bot,
daß aus dem Beraubten jetzt der Räuber wurde. Nicht mehr entscheidend
war, für welche Seite man kämpfte, und jede Gefangenschaft bot eine
willkommene Gelegenheit, die Farbe zu wechseln, womit man in allen Armeen, die
aus Söldnern bestanden, mehr oder weniger
rechnete.
Die Schweden in den böhmischen
Ländern 1639-1648
Der Zeitraum von 1639-1648,
in dem die böhmischen Länder fast unentwegt Schauplatz von
Kämpfen waren, ist durch einen relativ anhaltenden Druck des schwedischen
Heeres und einige spektakuläre Erfolge charakterisiert, die jedoch in
keinem einzigen Fall zu einem entscheidenden Angriff auf den Kern der
kaiserlichen Länder, also Österreich und Wien, genutzt werden konnten.
Einen merklichen Durchbruch stellte aber bereits allein der Umstand dar,
daß die Schweden in mehreren Städten Böhmens (1645
Frýdlant/Friedland, 1646 Most/Brüx, 1647 Cheb/Eger) und insbesondere
Mährens (1642 Olomouc/Olmütz, 1643 Fulnek, 1645
Uničov/Mährisch-Neustadt,
Sovinec/Eulenberg und Jhlava/Iglau) Fuß gefaßt hatten, womit die
Front der kaiserlichen Residenz gefährlich nähergerückt war und
den Strategen der katholischen Koalition Kopfzerbrechen bereitete. Trotz
allgemeiner Erschöpfung gegen Kriegsende stieg die Stärke des
schwedischen Heeres regelmäßig - Ende 1647 betrug sie zwischen 50.000
und 60.000 Mann. Zudem verfügten die Schweden unter ihren Befehlshabern
über mehrere ausgesprochene Persönlichkeiten. Demgegenüber befand
sich die kaiserliche Armee zumeist in der Defensive, und markante
Befehlshaberpersönlichkeiten fehlten ihr spürbar, doch zu den bislang
noch unerschöpften Ressourcen hatte sie es immerhin näher, und im
Falle kühnerer Vorstöße des Gegners tiefer ins kaiserliche Land
hinein arbeitete die Zeit eigentlich für
sie.
Die Geschichte schwedischer Einfälle in
Böhmen beginnt im April 1639. Während man sich in Böhmen bislang
ausgiebig gerüstet hatte und es in Prag sogar eine aus Studenten bestehende
akademische Legion gab, die 1648 voll zu Einsatz kommen sollte, fiel das
schwedische Heer unter dem Kommando von Johan Banér entlang der Elbe in
Nordböhmen ein. Zunächst vertraute Banér - und dies war
zugleich das letzte Mal in diesem Konflikt - auf die allgemeine
Unterstützung durch die einheimische Bevölkerung, an die er am 24.
April einen Aufruf mit dem Versprechen richtete, der evangelischen Konfession
Glaubensfreiheit zu gewähren, und gleichzeitig versuchte er, die
üblichen Übergriffe seiner Soldaten zu zügeln. In seiner Armee
kamen zahlreiche Emigranten aus den Reihen des Adels nach Böhmen
zurück. Sein Appell indes fand kein nennenswertes Gehör, und so kehrte
Banérs Heer sehr schnell zurück. Am 29. Mai schlug Banér bei
Kostelec/Brandeis an der Elbe unweit von Prag die Truppen Lorenz Hofkirchs,
eines ehemaligen sächsischen Offiziers, der an der Besetzung Prags durch
sächsische Truppen im Jahre 1631 teilgenommen hatte, und am 30. Mai stand
er vor Prag. Doch zur Einnahme der Stadt fehlte ihm diesmal die Kraft - wie
übrigens auch später im Oktober, als er es erneut versuchte. Von ihrem
Hauptlager aus unternahmen die schwedischen Truppen ihre Kriegszüge in die
gesamte Elbniederung. Ein Drittel Böhmens wurde gründlich
gebrandschatzt, auch Emigranten waren daran beteiligt, unter ihnen tat sich
besonders Zdeněk von
Hoditz in Ostböhmen hervor. Die große Offensive klang Anfang 1640
aus, als die Schweden allmählich aus Böhmen verdrängt wurden.
Sein Hauptquartier in Leitmeritz verließ Banér erst Ende März
1640.
Im Herbst 1640 unternahm Banér den
Versuch, den Reichstag in Regensburg auseinanderzutreiben. Zur Einnahme der
Stadt besaß er allerdings nicht mehr genügend Kraft, und so schlug er
sein Winterlager im oberpfälzischen Cham auf, in unmittelbarer
Nachbarschaft zur böhmischen Grenze. Hier nun wartete er darauf, sich mit
den Regimentern des französischen Befehlshabers Jean Baptiste
Guébriant vereinigen zu können, der noch in Süddeutschland
operierte, so daß die Kaiserlichen genug Zeit hatten, sich auf die neue
Gefahr einzustellen. Am 17. März griffen diese Banér direkt vor Cham
bei Neunburg an, und Erzherzog Leopold Wilhelm feierte hier einen seiner wenigen
Siege in seiner Militärlaufbahn. Die zahlenmäßig deutlich
unterlegene und durch Verluste zudem geschwächte Armee Banérs
mußte auf dem kürzesten Weg über böhmisches Gebiet eiligst
den Rückzug nach Sachsen antreten, verfolgt von kaiserlichen
Kavallerieregimentern. Am 27. März begaben sich die Schweden von
Kadaň/Kaaden
aus ins Gebirge in Richtung
Přísečnice/Preßnitz,
in dessen Umgebung ein schweres, bis Mitternacht dauerndes Rückzugsgefecht
entbrannte. Der zahlenmäßig schwächere Banér deckte sich
den Rücken durch die im Norden und Süden des Städtchens gelegenen
tiefen Wälder und errichtete sogar eine Wagenburg, von der aus er die
Kaiserlichen mit seiner Artillerie unter Beschuß nahm, unter deren Deckung
sich die schwedischen Truppen nach Annaberg zurückzogen. Die schwedische
Infanterie, von den Geschützen hinter der Wagenburg gedeckt, war in dem
stark verschneiten und schlammigen Gelände gegenüber der schweren
kaiserlichen Kavallerie zwar im Vorteil, doch erwies sich die
zahlenmäßige Überlegenheit ihres Gegners als allzu groß.
Banér verlor etwa 4.000 Mann, das heißt nahezu ein Drittel jener,
die ihm nach Neunburg noch verblieben waren. Trotzdem entging das schwedische
Heer einer völligen Niederlage; kurz nach dieser Schlacht starb
Banér in einem Feldlager bei
Halberstadt.
Das Gemetzel am Preßnitzer
Paß war zwar kein bedeutender Konflikt, steht aber am Beginn eines
bedrückenden Grenzkrieges. Auch in Zeiten, als Böhmen durch die
Hauptstreitmacht der Schweden kein unmittelbarer Angriff drohte, operierten in
Sachsen Truppen, die über die Pässe in das angrenzende Gebiet am
Fuße des Erzgebirges eindrangen, Kontributionen und Brandsteuern
einforderten und Vieh und Pferde wegtrieben. Die Pässe im Erzgebirge
effektiv zu sichern, gelang bis zum Ende des Krieges nicht. Der Preßnitzer
Paß auf der alten Route vom sächsischen Annaberg in das Egertal
sollte dann in den 1640er Jahren seine strategische Bedeutung noch mehrmals
unter Beweis stellen. Am 31. Mai 1642 errang der schwedische General Lennart
Torstenson bei Schweidnitz in Schlesien einen bedeutenden Sieg und fiel kurz
darauf in Ostböhmen und Mähren ein, wo er Panik auslöste. Die
vermögenden Bevölkerungskreise von Olmütz und anderen
nordmährischen Städte flohen nach Brünn und Wien. Die Landtafeln
und das sogenannte Mährische Tribunal, das heißt die Statthalterei in
Mähren, wurden nach Znojmo/Znaim verlegt, denn selbst Brünn galt nicht
als sicher. Die Befehlshaber von Olmütz, Oberst Antonio Miniati,
kapitulierte nach viertägiger Belagerung vor den Schweden gegen die Zusage
freien Abzugs seiner Soldaten, wofür er zwei Jahre später als
Hochverräter verurteilt wurde. Die Schweden aber erhielten die erste
bedeutende Festung in den böhmischen Ländern, die sie bis zum Ende des
Krieges auch halten sollten. Einen wertvollen Verbündeten auf ihrem ersten
Mährenfeldzug sowie in den Kriegszügen des folgenden Jahres fanden die
Schweden in den mährischen Walachen, die nach dem Abzug der Schweden wegen
Paktierens mit dem Feind drastisch bestraft wurden. Ansonsten erlebten
Böhmen und Mähren in der ersten Jahreshälfte 1643 einen neuen
verheerenden Feldzug der Schweden, der sich dadurch auszeichnete, daß
nicht eine einzige Schlacht geschlagen wurde. General Gallas, der nur
zögernd die Verfolgung von Torstenson aufnahm, kostete diese
Unentschlossenheit bereits das zweite Mal den Befehlshaberposten. Nach einer
einjährigen Verschnaufpause begann im Dezember 1644 - zufälligerweise
gleichzeitig mit der Aufnahme der westfälischen Friedensverhandlungen - das
wohl dramatischste Jahr der abschließenden Kriegsphase in Böhmen. Am
Beginn stand erneut die Einnahme des Preßnitzer Passes. Von hier aus begab
sich Torstensons Armee auf Umwegen über Pilsen und Südwestböhmen
nach Mähren und Wien, bei Jankov/Jankau südlich von Prag stellten sich
ihr jedoch am 6. März 1645 die Kaiserlichen unter dem Befehl von Melchior
Hatzfeld entgegen. Dieser hatte den Vorteil der Wahl des Kampfgebietes sowie ein
zahlenmäßiges Übergewicht, doch Torstenson gelang es zur
Überraschung seines Gegners, das hügelige Gelände mit
Beschuß aus leichten Kanonen, die auf den Anhöhen südlich der
Stadt in Stellung gebracht worden waren, maximal zu nutzen. Zudem konnte er von
einer gehörigen Portion Glück reden, daß sein Gegner in der
erfolgreichen Vergeltungsphase der Schlacht mehr mit Plündern des
schwedischen Geländes als mit Kriegshandlungen beschäftigt war.
Torstenson riß den Sieg an sich - in einer Schlacht übrigens, die zu
den blutigsten in Böhmen überhaupt zähl: 4.000 kaiserliche
Soldaten fanden den Tod, und weitere 2.000 gerieten in Gefangenschaft; die Zahl
der schwedischen Verluste war nicht viel geringer. Die politischen Auswirkungen
dieser Schlacht äußerten sich auch in einer Schwächung der
Position des Kaisers bei den westfälischen Friedensverhandlungen, und zwar
nicht nur gegenüber der schwedisch-französischen Seite, sondern auch
gegenüber den Reichsständen. Nach der Schlacht bei Jankau folgte die
schwedische Offensive in Mähren und in Niederösterreich; hier standen
die Schweden auch zum ersten und zum letzten Mal vor Wien (in Brigittenau). Als
entscheidend für die Rettung des Kaisers erwiesen sich die
Nachschubprobleme des Gegners und insbesondere die erfolglose und
kräftezehrende Belagerung Brünns, die vom 3. Mai bis 23. August 1645
dauerte. Bei der erfolgreichen Verteidigung der Stadt wird erstmals das
Zusammenwirken von Soldaten und Bürger und Studentenmilizen erprobt, wie
dies in Prag drei Jahre später der Fall sein sollte, so daß der
schwedische Befehlshaber sich im August 1645 zum Friedensschluß von Linz
und anschließenden Rückzug nach Schlesien gezwungen sah. Das Netz
schwedischer Garnisonen in Mähren freilich war merklich dichter
geworden.
Nach Torstensons krankheitsbedingter
Abdankung folgte an der Spitze des Schwedenheeres Carl Gustaf Wrangel, der im
Januar 1646 mit der Einnahme des Schlosses von Brüx eine neue Offensive
gegen die kaiserlichen Länder unternahm. Obgleich die kaiserliche Armee
unter Leopold Wilhelm die Schweden auf der bewährten Route über den
Preßnitzer Paß nach Sachsen vertrieben hatte, gelang es nicht, die
Burg von Brüx zurückzuerobern. Der General der schwedischen Artillerie
Axel Lillie erhielt von Königin Christina sogar eine Schenkungsurkunde
über zahlreiche Herrschaften in dem Gebiet am Fuße des Erzgebirges,
und obgleich eine tatsächliche Wahrnehmung obrigkeitlicher Rechte
illusorisch war - unter der Drohung seiner Streitmacht gelang es Lillie dennoch,
hin und wieder Renten einzutreiben. Auch solche Kuriositäten gehörten
durchaus zur Realität des Krieges.
Mit Beginn
des Jahres 1647 hielten die schwedischen Truppen Nord- und Ostböhmen in
Atem; an der Spitze des kaiserlichen Heeres stand jedoch seit April der
Kalvinist Melander von Holzapfel, dem es nach der Übernahme dieser Funktion
gelungen war, das Heer relativ erfolgreich zu reformieren. Dennoch hatte
Wrangel, den Waffenstillstand mit Bayern nutzend, am 17. Juli nach schwerem
Beschuß Eger eingenommen und hielt somit den Schlüssel zum
Königreich Böhmen in seinen Händen. Hier nun fanden die Schweden
reiche Beute an Waffen und Lebensmitteln vor, und die Bevölkerung kehrte
schnell zum Luthertum zurück. Nach erfolgloser zwölftägiger
Belagerung, bei der auch der Herrscher persönlich zugegen war, begannen die
Kaiserlichen, sich nach Pilsen zurückzuziehen und lockten den Gegner hinter
sich her. Am 21. August kam es bei
Třebel/Triebl
in der Nähe von Planá/Plan zu einem Gefecht, aus dem die
Kaiserlichen als entschiedene Sieger hervorgingen. Einer zweiten Schlacht vor
Stift Tepla/Tepl wich Wrangel aus und zog aus Böhmen ab, nicht ohne jedoch
in Eger eine Garnison zurückgelassen zu haben. Das Ergebnis dieses nicht
allzu wirksamen kaiserlichen Sieges war in diplomatischer Hinsicht indes die
Unterzeichnung einer neuen Allianz mit Bayern. Das letzte Jahr des Krieges
begann für die kaiserliche Koalition abermals recht unglücklich. Bei
Zusmarshausen brachten die Schweden und Franzosen am 17. Mai dem kaiserlichen
Heer eine schwere Niederlage bei; daraufhin trennte sich Hans Christoph
Königsmark vom schwedischen Heer und besetzte strategisch wichtige
Positionen in der Oberpfalz. Die Vorbereitungen des streng geheimgehaltenen
Blitzüberfalls auf Prag waren bereits in vollem Gange. Nach mehreren
Beutezügen nach Westböhmen begab sich Königsmarck am 24. Juli
nach Rakovník/Rakonitz, das er besetzte und wo er sämtliche schwere
Ausrüstung zurückließ. Von hier aus war Prag nur noch einen
Tagesmarsch entfernt.
Der Überfall auf
Prag, die Besetzung der Prager Burg und der
Kleinseite
Am 25. Juli feierte der Kaiser in
Innsbruck seine Vermählung mit Maria Leopoldine von Tirol, und auch Prag
nahm diese Gelegenheit zum Feiern wahr, unter anderem mit einem Feuerwerk, das
noch um Mitternacht anhielt. Erst um halb drei Uhr morgens, als in der Stadt
bereits Ruhe herrschte, wagten sich etwa hundert Berittene unter der
Führung von Anošt Ottovalský, einem ehemaligen kaiserlichen
Oberstleutnant in schwedischen Diensten, zu den Mauern des schlafenden Prag und
drangen hinter dem Kapuzinerkloster auf dem Hradschin an einer Ottovalský
gut bekannten Stelle, wo man die Stadtmauer gerade instandsetzte, in die Stadt
ein. Von hier aus eilten sie zum Strahover Tor, wo sie die Wache erschlugen und
das Tor öffneten. Damit war der Weg frei für Königsmarck und
seine schwedischen Soldaten, die jetzt ungehindert in die Stadt eindringen
konnten. Bis zum Morgen hatte er den Stadtteil Hradschin und die Prager Burg
genauso fest in den Händen, wie die Kleinseite mit allen wichtigen Punkten
auf den Stadtmauern, an den Stadttoren und am Fluß, insbesondere den
kleinseitener Brückenturm und die umliegenden Häuser. Nur der
zahlenmäßigen Schwäche des Gegners hatten es die Altstädter
zu verdanken, daß sie vor einem augenblicklichen Überfall verschont
blieben (Königsmarck hatte nur etwa 2.500 Mann zur Verfügung); zudem
waren sie durch Geschützfeuer und den Fähnrich des
Wallensteinregiments gewarnt, dem trotz seiner Verwundungen die Flucht über
die Brücke gelungen war. Den Schweden entkam auch der befehlshabende
General Rudolf Colloredo, der auf einem Kahn über die Moldau setzte, obwohl
die Fähren bewacht wurden.
Der
Altstädter Bürgermeister und Wachtmeister Mikuláš Turek
von Rosenthal ließ sogleich Alarm läuten und berief die
Bürgermilizen auf den Markt. Dasselbe tat der Neustädter Wachtmeister,
der königliche Richter Václav Augustin Kavka. Die Studenten
versammelten sich noch vor Tagesanbruch im Karolinum und erneuerten die bereits
1639 gegründete Legion. Bereits um sieben Uhr früh war der
Altstädter Brückenturm besetzt, die Brücke (die heutige
Karlsbrücke) mit Fallgittern gesperrt und das Brückentor noch mit
einem Bollwerk verschanzt. Die Altstadt stand zur Verteidigung
bereit.
Unterdessen erlaubte Königsmarck
seinen Soldaten auf der Kleinseite ein dreitägiges Plündern, das
besonders in den ersten Stunden nicht ohne Gewaltakte ablief. Wer sich auf der
Straße oder unvorsichtigerweise am Fenster zeigte, setzte sich
höchster Gefahr aus. Die Zahl der Getöteten schätzt man auf 100
bis 200 Personen. Die Schweden fanden in der Stadt, die zuvor als vollkommen
sicher galt, nicht nur ungeheure Beute (dazu vgl. unten), sondern nahmen
überdies noch mehr als 200 bedeutende Personen gefangen, für die man
Lösegeld erwarten durfte. Ihr prominentester Gefangener war der Prager
Erzbischof Ernst Graf von Harrach. Die Häuser der Gefangenen - zumeist
Adlige, höhere Geistliche und Beamte - wurden mit derselben
Gründlichkeit geplündert wie die Klöster, darunter auch das
Kloster Strahov, und die Häuser der Domherren. Darüber hinaus waren
den Soldaten schon im voraus Quartiere zugeteilt worden, deren Besitzer sie
gleichfalls nicht schonten. An den Plünderungen beteiligten sich
wahrscheinlich auch der einheimische Pöbel und Personen aus dem Kreis der
Dienerschaft. Zu der wertvollen Beute gehörten Wagen für ihren
Abtransport und auch Waffen aus der Waffenkammer der
Burg.
Mittlerweile rief Colloredo Bürger- und
Studentenabteilungen zusammen, ließ eine kleine Insel in der Moldau
besetzen (die spätere Schützeninsel) und die Neustädter Stadttore
sichern, denn von
Poděbrady/Podiebrad
näherten sich Prag bereits weitere schwedische Truppen, die unter der
Führung General Wittenbergs standen. Zum Glück konnte diesem der
kaiserliche General Puchheim zuvorkommen, der am 30. Juni die städtische
Garnison um etwa 3.500 Mann verstärkte.
Schon
kurz darauf kam Wittenberg mit 3.000 bis 6.000 Mann angerückt und versuchte
am Morgen des 3. August nach vorausgegangenem Artilleriebeschuß einen
Durchbruch in die Stadt. Dieser mißlang jedoch, und so setzte er bei
Zbraslav/Königsaal mit tausend Mann über die Moldau und schloß
sich als Verstärkung Königsmarck an. Dieser führte unterdessen
den hauptstoß gegen die Altstadt auf der Brücke, wo er eine Mauer aus
Ziegeln hatte errichten lassen und unter ihrem Schutz das ganz nahe gelegene
Altstädter Flußufer unter ständigem Beschuß hielt. Danach
entschloß sich Wittenberg, der seinen Soldaten auch etwas Beute
gönnte, zunächst aus Prag abzuziehen, und zwar so lange die
Hauptstreitmacht unter Pfalzgraf Karl Gustav noch nicht eingetroffen war. Bis
Mitte August brandschatzten Wittenbergs Truppen in ständigen
Vorstößen die südliche Umgebung Prags, und am 15. August
verließ er sogar sein Lager in Königsaal und zog gegen
Konopiště/Konopischt
und Tabor, das er am 23. August einnahm.
Die
relative Mühelosigkeit, mit der das linksseitige Ufer Prags hatte
eingenommen werden können, ist vor allem auf den Überraschungsmoment
und den ungenügenden Zustand der Stadtbefestigung zurückzuführen,
die man zwar schon seit 1639 reparierte, ohne daß jedoch die Arbeiten
schon zu Ende geführt worden wären. königsmarck muß
zugestanden werden, daß er die ganze Aktion vollständig
geheimzuhalten verstand, rasch handelte und sie aufs beste organisiert hatte,
letzteres natürlich dank der Dienste Ottovalskýs. Dieser kannte die
Verhältnisse in Prag gut, hatte er sich doch ein halbes Jahr lang in der
Stadt aufgehalten, um - wie versprochen - für die bei der schwedischen
Einnahme Egers 1647 erlittenen Verluste entschädigt zu werden. Neben der
mustergültigen Ausführung dieser
"Nacht- und
Nebelaktion"
springt ihr unverhüllter Beutecharakter ins Auge, der auf das Konto der
Königsmarckschen Entscheidung geht, eine Aktion ohne das Zusammenwirken mit
weiteren Teilen des Schwedenheeres zu unternehmen. Wie jedoch aus dem
vorausgegangenen Briefwechsel zwischen Königsmarck und Wrangel hervorgeht,
war der Überfall auf Prag im wesentlichen schon früher vorbereitet
worden, offensichtlich deshalb, weil man von Wittenbergs geplantem Zug nach
Oberösterreich und eventuell auch nach Wien ablenken wollte. Nach
Königsmarcks Erfolg konzentrierte sich indes die Aufmerksamkeit des
schwedischen Kommandos voll und ganz auf Prag, wohin sich nach der Landung Ende
Juli auch frische und verstärkte schwedische Truppen unter dem Kommando von
Karl Gustav in Marsch
setzten.
Warten
Bereits
am 30. Juli stand Wittenberg erneut vor Prag, das diesen einen Monat, der ihm
als Verschnaufpause gegönnt war, dazu genutzt hatte, um sich auf eine lange
Belagerung vorzubereiten. Die Befestigungsarbeiten leitete Generalwachtmeister
Conti, der gemeinsam mit den Prager Zimmerleuten, Müllern und
Mühlbauern insbesondere den Abschnitt der Stadtmauern zwischen Roßtor
und Neutor verstärkte; auch Vorräte wurden in die Stadt geschafft.
Schon am 30. August war die Postverbindung mit Wien wiederhergestellt. Am
wichtigsten aber war die vollständige Mobilmachung der Einwohner der Alt-
und Neustadt. Kompanien, bestehend aus den Bewohnern der einzelnen Stadtviertel,
von denen es in der Alt- und Neustadt insgesamt acht gab, waren
herkömmlicher Bestandteil der Stadtverteidigung. Hinzu kamen in den Jahren
1642-1645 noch sechs Kompanien Handwerker und drei Kompanien aus den Bewohnern
der Nebenrechte, Mietleute, Untermietleute und Hausverwalter. Im August 1648
stieg ihre Zahl um weitere vier Kompanien, denen sich auch Beamte und
Bedienstete anschlossen, wobei eine Abteilung aus dem Hauspersonal des Adels
gebildet wurde. Aus den Prager Juden formierte man eine ständige Brandwache
sowie Streifen an den Stadttoren. Nehmen wir noch die Adelsschwadron, drei
Freiwilligenzüge von Geistlichen (insbesondere Ordensleute) sowie eine
studentische Freikompanie hinzu, stellen wir fest, daß sich eigentlich
alle Schichten der Prager Bevölkerung an der organisierten Form der
Verteidigung ihrer Stadt beteiligten. Wittenberg sah indes keinen Grund, in
seinen Stellungen vor dem schwer einnehmbaren Prag zu verharren, solange die
Verstärkung mit Karl Gustav noch nicht eingetroffen war. Er zog also
ungefähr am 15. September erneut von Prag aus in den Süden
Böhmens. Er umging das mit Truppen gut besetzte
Budějovice/Budweis
und nahm am 21. September Krumlov/Krumau ein. Von hier aus schickte er offene
Schreiben an die oberösterreichischen Bauern, die er zu einem Aufstand zu
bewegen versuchte. Gleichzeitig warb er in Südböhmen Soldaten für
sein Heer. Seine Bemühungen hatten allerdings nur hie und da Erfolg,
außerdem waren ihm von Budweis aus Zigmund Myslík von Hirschau und
von Prag aus General Puchheim auf den Fersen, mit letzerem er am 24. September
bei Hluboká/Frauenberg zusammenstieß. Wittenberg gelang es,
Puchheim zu überraschen und gefangenzunehmen, worauf er blitzschnell nach
Prag zurückkehrte, wo er seinen Gefangenen an Königsmarck
aushändigte. Eine Woche später, am 4. Oktober 1648, traf am
Weißen Berg bei Prag auch der lange erwartete Oberbefehlshaber der
schwedischen Armee, Pfalzgraf Karl Gustav, ein. Die schwedische Armee war
vereint, und zwar in einer Stärke, wie sie Prag zuvor noch nicht erlebt
hatte.
Der schwerste
Monat
Die schwedischen Truppen bezogen um die
Neustädter Stadtmauern allmählich ihre Stellungen, doch war bereits
von Anfang an klar, daß der Hauptangriff von Osten und Südosten, also
von den angrenzenden Hängen und Weingärten her geführt werden
würde, hinter deren Mauern die Schweden Deckung finden und die Stadt selbst
wirksamer unter Beschuß nehmen konnten. Doch auch weiterhin bedrohten sie
die Altstadt mit Beschuß vom Kleinseitner Ufer, von den Inseln und vor
allem von der Brücke her, wo sie eine mobile Barrikade errichtet hatten.
Ein erster Sturmangriff wurde in den Tagen zwischen dem 11. und 13. Oktober
versucht. Dabei verließen sich die Schweden hauptsächlich auf die
starke Kanonade, die einen Teil der Stadtmauer zerstörte. Die Verteidiger
wehrten sich mit Schüssen aus Handfeuerwaffen, warfen Granaten,
Pechkränze und Steine. Die schwersten Kämpfe spielten sich am Neutor
ab, wo die Verteidiger unter einem Turm eine Explosion verursachten, bei der
viele schwedische Angreifer ums Leben kamen. Schwere Verluste hatten aber auch
die Prager. Es fielen über 180 Soldaten und Bürger, deren
prominentestes Opfer Václav Obytecký von Obitetz aus der
Adelsschwadron war; er wurde feierlich in der Teynkirche bestattet und stieg in
das Pantheon legendärer Helden auf. Am 14. Oktober trafen die beiden
Parteien zu Verhandlungen zusammen. Die Prager boten die sogenannte
Neutralität zwischen beiden Moldauufern an, das heißt einen
Kräfteausgleich auf beiden Seiten, den Abzug der überflüssigen
Truppen aus Prag und einen Geiselaustausch. Damit war natürlich Karl Gustav
nicht einverstanden, der mit der Kapitulation rechnete und bereit war,
höchstens über ihre Bedingungen zu
verhandeln.
Während man verhandelte, waren
die schwedischen Sappeure vor den Stadtmauern nicht müßig: in Stollen
und Gräben arbeiteten sie sich bis zu den Stadtmauern vor, unter die sie
Minen legten. Die Verteidiger wiederum errichteten Bollwerke, gruben hinter den
Stadtmauern Wolfsgruben, legten mit Stroh getarnte Fußeisen aus und
beschafften sich Stroh und Pechvorräte zum Anbrennen. Am 25. Oktober
griffen die Schweden noch in den Nachtstunden erneut an; ihr Angriff war
abermals auf das Neutor und den in seiner Nähe befindlichen Speicher
gerichtet. Gemeinsam mit den Soldaten zeichnete sich hier in der Verteidigung
besonders die Studentenkompanie aus. Obwohl der Feind fast 800 Gefallene und
Verwundete zu verzeichnen hatte, ging der Angriff am nächsten Tag weiter,
und der Speicher wurde zusammengeschossen. Die folgende Bresche, die es den
Schweden hinter der Georgskirche zu schlagen gelang, wurde nun die
gefährdetste Stelle der gesamten Prager Verteidigung. Die Serie von
Angriffen erreichte ihren Höhepunkt am 30. Oktober, als der Pfalzgraf Prag
erneut zur Kapitulation aufforderte. Doch auf Geheiß von Colloredo
antworteten die Trompeter den schwedischen Unterhändlern, daß der
Prager Befehlshaber nicht in der Stadt sei. Daraufhin begannen die Belagerer,
sich allmählich zurückzuziehen. Bis zum 8. November fielen noch
vereinzelt Schüsse von der Kleinseite auf die Alt- und Neustadt, aber im
Grunde war der Kampf zu
Ende.
Frieden
So
endete die dritte große Offensive gegen die Prager Städte, eine
Offensive, die noch nach der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens
erfolgt war. Nachrichten über diesen Friedensschluß waren auf beiden
Seiten der Front schon einige Tage früher durchgesickert, doch erst die
anrückenden Hilfskorps überzeugten die Schweden, ihre Belagerung
aufzuheben. Die Aussicht auf Beute war bis zuletzt zu verlockend. Der Abzug der
Schwedentruppen aus Prag ging dann sehr rasch vonstatten, bereits am 3. November
war sämtliche Infanterie abgezogen, und die Prager konnten vor die Mauern
der Stadt strömen, wo sie verschiedene Souvenirs sammelten und die
Schützengräben zuschütteten. Die lange erwartete und jetzt in der
Tat wenig hilfreiche kaiserliche Verstärkung traf tags darauf in Prag
ein.
Der endgültige Waffenstillstand wurde
von den Bevollmächtigten beider Seiten erst am 29. November vereinbart, und
zwar in einer Holzbaracke, die auf der Brücke zwischen beiden Barrikaden
errichtet worden war. Pufendorf zufolge kamen auf schwedischer Seite insgesamt
etwa 500 Soldaten ums Leben, und 700 wurden verletzt; angesichts der
Informationsquelle darf diese Schätzung als Minimalschätzung angesehen
werden (die Prager Schätzungen der gegnerischen Verluste gehen in die
Tausende). Auf seiten der Prager und der kaiserlichen Garnison sind 219 Tote und
475 Verwundete belegt. Die schwedische Garnison blieb noch so lange in Prag, bis
alle Bedingungen des Friedensvertrages erfüllt waren. An Heiligabend des
Jahres 1648 verließ Königsmarck Prag, während Karl Gustav und
Wittenberg Weihnachten noch auf dem Hradschin feierten. Die letzten schwedischen
Soldaten zogen erst am 30. September 1649 aus Prag ab, aus den anderen
Garnisonen in Böhmen und Mähren traten die letzten Schweden erst im
Juli 1650 ihren Rückzug an.
Der Erfolg der
Prager Verteidiger, die zum großen Teil jedweder Übung und jeglicher
militärischen Erfahrungen entbehrten, darf hauptsächlich ihrem
verzweifelten Kampfesmut und natürlich auch jenem Umstand zugeschrieben
werden, daß sich die Offensiven der Schweden lediglich auf ein paar, zwei
bis fünf Tage währende Kampagnen beschränkt hatten und die
Schweden in keiner Phase mit all ihren Kräften an mehreren Stellen
gleichzeitig angegriffen hatten. Zudem hatten die Verteidiger im August und
September, als Wittenberg nicht vor Prag lag, genügend Zeit, sich mit
Vorräten einzudecken und Vorbereitungen zu treffen. Noch Anfang Oktober war
die schwedische Führung von dem Bestreben getrieben, in letzter Minute
einen Erfolg zu erzielen, der die westfälischen Friedensverhandlungen
hätte beeinflussen können. Ende Oktober freilich trieb sie nur noch
die Hoffnung auf Beute - und dies konnte bei sinkender Moral, schlechtem Wetter
und Mangel an Fußvolk nicht
genügen.
Prager
Beute
Die Brandschatzung der Kleinseite und des
Hradschins begann sogleich nach dem Überfall auf die beiden am
linksseitigen Moldauufer gelegenen Städte. Die Unmengen an Geld, der viele
Schmuck, doch sicherlich auch die zahlreichen Kunstgegenstände, die man in
den Privathäusern und in den Palästen geraubt hat, werden wohl kaum
noch auszumachen sein. Ein wenig besser dran sind wir im Falle kirchlicher
Institutionen, die ihre Verluste genauer verzeichneten. Wohl am besten sind wir
über das Schicksal der Sammlungen von Kloster Strahov informiert, wo sich
das im Kloster einquartierte Regiment außer um überwiegend kirchliche
Wertgegenstände vor allem um den Transport der Klosterbibliothek nach
Åbo
"kümmerte".
Die große
"Sensation",
die den Prämonstratensern viele Qualen bereitete, war allerdings die
Entdeckung des im Kloster versteckt gehaltenen
"Schatzes"
von Heinrich Graf von Schlick. Er wurde erst fünf Wochen nach der
Klosterbesetzung entdeckt, und zwar aufgrund eines von Schlick persönlich
stammenden Schreibens, dessen die Schweden habhaft werden konnten. Der Wert des
Schlickschen Schatzes belief sich zeitgenössischen Schätzungen zufolge
auf 70.000 bis 500.000 Reichtaler. Ein Beweis dafür, daß nicht nur
lebende Personen als Geisel genommen wurden, ist das Schicksal der aus der
Klosterkirche stammenden Reliquien des hl. Norbert. Die Schweden verbreiteten
das Gerücht, man habe die Reliquien nach Sachsen verbracht, und forderten
vom Konvent ein hohes Lösegeld; schließlich sollte sich aber zeigen,
daß die Reliquien die ganze Zeit über in Prag versteckt
waren.
Die größte Publizität wurde
den Resten der Kunstkammer und Gemäldegalerie der Burg zuteil, deren sich
die Schweden nach der Besetzung der Burg und der Verhaftung des Verwalters der
Sammlungen, Francesco Miseroni, bemächtigt hatten. Darüber wird aber
an anderer Stelle dieses Kataloges berichtet (E.
Fučiková).
Nicht weniger bedeutsam indes sind auch die Verluste in den Bibliotheken, die
die Schweden auf direkte Anweisung ihrer Königin besetzt hatten, da die
Monarchin nicht nur mit Zuwachs für ihre eigene Bibliothek, sondern mit
Neuzugängen vor allem für die neu errichtete Akademiebibliothek in
Uppsala und die Gymnasien in Strängnäs, Västerås und
Linköping rechnete. Die größte Beute stellte die Rosenbergsche
Bibliothek dar, deren späteres Schicksal auch der Codex argenteus, Ulfilas
gotische Bibelübersetzung, teilte. Verluste hatte auch die Bibliothek des
Metropolitenkapitels zu beklagen (Codex gigas), und komplett abtransportiert
wurden mehrere Olmützer Bibliotheken einschließlich des
Universitätsbestandes und auch die größte
"geistliche"
Beute, die Bibliothek des Olmützer Bischofs, Kardinal Franz von
Dietrichstein, in Mikulov/Nikolsburg.
Der
eigentliche Abtransport stellte
"logistisch"
kein kleines Problem dar. Militärisch hatten sich die Schweden den
Wasserweg auf der Elbe durch die Einnahme von
Děín/Tetschen
am 16. September 1648 gesichert. Das Verladen der Beute und ihr Transport nach
Norddeutschland mußte jedoch auf
"Friedenszeiten"
warten. Der größte Teil der erbeuteten Sachen wurde 1649 weggebracht,
nicht alles aber kam auch wirklich in Stockholm an. So einiges wurde von den
gemeinen Soldaten veruntreut, wie eine Eintragung in eines der Leitmeritzer
Bücher bezeugt. "Dieses Buch habe ich in Leitmeritz, wo die Schweden einen
Löwen aus Prag per Schiff auf der Elbe transportierten (der Transport eines
Löwen, den Königsmarck gleichfalls erbeutet hatte und als lebendiges
Wappensymbol des Königsreiches Böhmen nach Schweden verbringen
ließ, war offensichtlich eine erstrangige Sensation - Z.H.), von einem
ziemlich zerlumpten Schweden im Jahre 1649 gekauft - Jan Friedrich Šerner,
Bürger der Stadt Leitmeritz an der
Elbe." Den
anderen, weitaus größeren Teil der Beute beschafften sich einige
Diplomaten (Alexander Erskein) bzw. Kommandeure von Königin Christina (Carl
Gustaf Wrangel).
Ein besonderes Kapitel wäre
dann die Geschichte der Versuche, den außer Landes verbrachten Reichtum
wieder nach Böhmen zu bekommen. Johann Anton Graf von Nostitz, von
1684-1698 österreichischer Gesandter in Stockholm, kaufte 133 Urkunden
böhmischer Herkunft auf, die er dann dem Ständearchiv schenkte. Dies
ist ein Beweis dafür, daß man auch Archivalien nach Schweden
verbracht hatte. Eine systematische Durchforschung schwedischer Bibliotheken und
Sammlungen beginnt dann 1792 mit Josef Dobrovský und hält eigentlich
bis heute an. Ein Eigenleben führten neben dieser kritischen Durchsicht
auch phantastische Vorstellungen, die mit der schwedischen Beute verbunden waren
und eng mit dem Mythos von der Rudolfinischen Zeit als einem Goldenen Zeitalter
zusammenhängen.
Der
Siegerlohn
Schon unmittelbar nach Beendigung der
Kämpfe brachten die Verteidiger Prags in Bittschriften und Aufstellungen
von Verlusten ihre Verdienste in Erinnerung. Belohnungen und Privilegien selbst
waren in späteren Darstellungen der Beweis für Verdienste. Wie sahen
nun diese Belohnungen aus? Schauen wir uns das am 20. April 1649 von Ferdinand
III. in Preßburg erlassene Privileg der Altstädter an, dann sehen wir
auf ihm eine prächtige Miniatur mit dem neuen verbesserten Stadtwappen (zum
geöffneten Stadttor kam eine mit gezücktem Schwert gewappnete Hand
hinzu, aus zwei neuen Helmen wachsen ein Dutzend Hundertschaftsstandarten, also
die Zeichen jener Kompanien, die Prag verteidigt hatten, und auf dem mittleren
Helm mit der Kaiserkrone war ein schwarzer Adler mit Goldkrone und den
Kaiserinitialen auf der Brust angebracht), umgeben von den Gestalten Ferdinands
III., der Siegesgöttin und weiteren allegorischen Figuren. Im unteren Teil
der Miniatur fehlt auch eine Kampfesszene nicht, die die Verteidigung des
Neutores und zwei Putti mit militärischen Attributen zeigt. Für die
Neustädter wurde ein ähnliches Privileg am 3. Mai 1649 erlassen, doch
blieb die entsprechende Miniatur
unvollendet.
Diese Privilegien bestanden für
die Prager Altstadt und die Prager Neustadt nun nicht nur in einer Verbesserung
und Vermehrung der Stadtwappen, sondern brachten ihren Repräsentanten auch
zahlreiche persönliche Vorteile. Die Ratsmitglieder, die Stadtschreiber und
königlichen Richter der Alt- und Neustadt wurden nobilitiert und direkt in
den Ritterstand erhoben (was durchaus nicht selbstverständlich war, denn
nur wenige der vielen Bürger mit Prädikat schafften es, unter den
niederen Adel aufgenommen zu werden); es wurde ihnen der Titel
"slovutný"
und
"ehrenfest"
zuerkannt; die Namen der Beförderten wurden mit den Namen der
Gemeindeältesten sowie aller Kommandeure der Bürgermilizen - der
Hauptleute, Leutnants und Fähnriche der einzelnen Kompanien - einzeln im
Majestätsbrief aufgeführt. Die Belohnungen für die erfolgreiche
Verteidigung beider Städte ließen also neue Eliten entstehen, auf
deren Nachkommen man in beiden Städten noch nach Generationen trifft. Auch
sollte niemand mehr die beiden Städte daran erinnern, daß sie ja an
der
"schändlichen
Rebellion"
der Jahre 1618-1620 beteiligt gewesen waren; im Landtag erhielten sie einen
Extrasitz gleich hinter dem Ritterstand und wurden so über sie anderen
böhmischen Städte gestellt. Die praktische Bedeutung der
letztgenannten Maßnahme war freilich unter den politischen
Verhältnissen, wie sie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in
Böhmen herrschten, gleich Null, ebenso das Gewicht der Verfügung,
wonach keiner der höheren Stände Schoßhäuser kaufen und in
ihnen Gewerbe treiben soll. Nicht weniger interessant nehmen sich die
Privilegien für die Studenten aus. Der Karls-Akademie wurde aus
Kammergeldern 600 Reichstaler für die Behandlung der Verwundeten und
Kranken ausgezahlt, und die gesamten Studentenhundertschaften erhielten 5000
rheinische Gulden als dreimonatigen Sold. Alle freien Studenten wurden in den
Adelsstand erhoben; die unfreien Studenten wurden vor ihren Obrigkeiten
wenigstens dadurch geschützt, daß über sie nicht verfügt
werden durfte. Die Professoren erhielten das Privileg zuerkannt, Landgüter
frei kaufen zu können, und kamen zudem in den Genuß gewisser Steuer-
und Zollvergünstigungen, wodurch sie gleichfalls
"über
ihren
Stand"
nobilitiert waren. Eine neue Ära der Prager Universität bedeutete
allerdings erst der Erlaß des sogenannten
"Unionsdekrets"
durch Ferdinand III. im Jahre 1654, womit die vier Fakultäten vereinigende
Karl-Ferdinand-Universität geschaffen
war.
"Bürger
und
Studenten"
oder Zivilisten gegen Soldaten
Eines der
bemerkenswerten Umstände der Schlacht um Prag ist - wie natürlich auch
schon früher bei der erfolgreichen Verteidigung von Brünn - der hohe
Anteil nichtprofessioneller Verteidiger der Stadt. Diese zur Selbstverteidigung
geschaffenen Abteilungen waren in der letzten Phase des
Dreißigjährigen Krieges teils durch Erweiterung der traditionellen
Bürgermilizen, teils aber auch durch die Bewaffnung weiterer
Bevölkerungsgruppen entstanden, die eigentlich auf keine militärische
Tradition zurückblicken konnten: Studenten, Geistliche, nicht
seßhafte Bewohner. Besondere Verteidigungsaufgaben erfüllten sogar
Juden. Das Schaffen von Bürgerkompanien war natürlich möglich
geworden durch die spontane Bereitschaft der Einwohner der Prager Städte,
derartigen Formationen beizutreten, und zwar einerseits aus reiner Notwendigkeit
(zahlenmäßige Schwäche der Militärgarnison), andererseits
aus Mißtrauen gegenüber den Söldnern, die bei der leichten
Besetzung des linken Moldauufers der Stadt durch die Schweden versagt hatten.
Der Anteil dieser auf die Schnelle bewaffneten
Militär-"Amateure"
am Erfolg war von grundsätzlicher Art, auch wenn wir damit rechnen
können, daß sie ihre Erfolge später aufbauschten, sei es um
augenblicklicher Vorteile und Belohnungen willen oder im Interesse einer
absichtlichen Etablierung gegenreformatorischer (Jesuitenlegenden),
studentischer und ähnlicher Traditionen. Dabei vertuschte man
natürlich auch die zeitweiligen Probleme mit ungeschulten
"Soldaten",
die nicht immer so tapfer waren, wie man später glauben machen
wollte.
Realer Grund des
"Legendariums"
militärischer Erfolge waren die tatsächlichen Erfolge der Verteidiger:
die Erbeutung schwedischen Viehs auf den Weiden beim Holeschowitz im September,
also vor Beginn der neuen Belagerungsphase, die Abwehr des Angriffs am Neutor
durch eine studentische Hundertschaft und die erfolgreiche Verteidigung des
Altstädter Brückenturms während der gesamten Belagerung. Diesem
realen Hintergrund gesellte sich eine mündliche Tradition hinzu, die Jan
Norbert Zatočil von Löwenburg, Kanzler der Prager Altstadt und während der
schwedischen Belagerung Musketier der Studentenkompanie, als lebendige Legende
in seinem "Denopis"
(1685), d.h. seinem Tagebuch der schwedischen Belagerung, festhielt. Bei ihm
finden wir die Geschichte von der Beseitigung des gefährlichen schwedischen
Freischützen, der, ursprünglich Jäger auf der Herrschaft
Konopiště/Konopischt,
von den Schweden angeworben worden war; die Sage von der wundersamen Tapferkeit
des stellvertretenden Kommandeurs der Studentenhundertschaft des Pater
JiřÍ i
Plachý sowie davon, was die Schweden nach Aussagen von Gefangenen
angeblich glaubten, nämlich von Zetteln, die der Pater den Studenten zu
essen gebe und so gegen Kugeln
"gefroren und fest"
mache. Geschildert wird ferner der Waffenstillstand in letzer Minute, da Prag
nur noch über eine einzige Kiste Schießpulver verfügte, und
Königsmarcks Wutanfall, als er dieses
erfuhr.
Der Nährboden für derartige
"volkstümliche Berichterstattung"
war die natürliche Folge dessen, daß die Prager die Verteidigung
ihrer Stadt in die eigenen Hände genommen hatten. Obwohl eigentlich
sämtliche Hundertschaften, die als Hilfstruppen aufgestellt waren, dem
Militärkommando unterstanden, waren sie doch häufig auf eigene
Initiative und eigene Entscheidung angewiesen. Ohne die freiwilligen
Hilfsverbände war ein Halten der Stadt faktisch undenkbar, und ohne sie
wäre es sicher gleichfalls unmöglich gewesen, diesen Erfolg auch
propagandistisch zu nutzen - der Sieg mündete eigentlich in ein loyales
Bekenntnis der Prager zu der neuen,
"postwestfälischen"
Ordnung in Mitteleuropa.
Retter und Helden:
Propaganda und Tradition
Der Kampf der
Jesuitenstudenten war fester Bestandteil der neuen Universitätstradition
geworden und wurde immer dann zitiert, wenn es um die Privilegien und Freiheiten
der Universität zu tun war. Ein starkes Echo auf den bewaffneten Kampf der
Studenten können wir bei den Feierlichkeiten des
Universitätsjubiläum, im Jahre 1848 verzeichnen, wo der Kampf der
Studenten auf den Barrikaden als erneute Bestätigung für die
Tapferkeit der Studentenlegionen gewertet wurde. Die gegenreformatorische
Tradition erwachte hier paradoxerweise im Kampf für liberale Freiheiten zu
neuem Leben. Damals auch wurde den Prager Studenten ein Denkmal gesetzt:
nämlich der
"Prager
oder auch schwedische
Student" im
Vorhof des Klementinums, geschaffen von Josef Max (und angesichts des folgenden
reaktionären Umschwungs erst 1863
enthüllt).
Eine eigene Tradition des Jahres
1648 pflegten auch die Prager Juden, die uns in dem Werk
"Krieg und
Frieden"
(Milchama-be-Schalom) von Jehuda Leb ben Joshua ein eigenes Zeugnis über
den Verlauf der Belagerung Prags durch die Schweden hinterlassen haben. Das
Hauptaugenmerk galt hier natürlich den Ereignissen in der Judenstadt, doch
auch den Geschehnissen überall dort, wo Juden halfen, vor allem bei der
Instandsetzung der Stadtmauern und Schanzen sowie beim Löschen von
Bränden. Große Bedeutung kam den Juden auch als Lieferanten von
Waffen und Ausrüstungsgegenständen zu. Abschließend wird die
jüdische Teilnahme an dem Festumzug im Juli 1650 beschrieben, an dem die
Juden in voller Uniform mit zwei Standarten, die ihnen von früheren Kaisern
geschenkt worden waren, und einem Baldachin teilnahmen, unter dem sie die Thora
mitführten. Die Herausstellung der eigene Verdienste hatte hier
augenscheinlich Defensivcharakter.
Der Sieg
über die Schweden wird aber vor allem zum Baustein einer neuen
Heldengeschichte der Stadt, deren Grundthesen bereits in der anonymen Schrift
"Praga
caput regni, studiis aperrima belli 1649" formuliert waren. Der Sinn dieser
Geschichte ist gegenreformatorisch, es handelt sich eigentlich um eine Besserung
und
"Bekehrung"
Prags, wie sie sich in der mutigen Verteidigung bewährt hatten. Diesen
neuen
"Sinn"
der Prager Geschichte symbolisiert die Errichtung der Mariensäule auf dem
Altstädter Ring als Danksagung dafür, daß sich die Stadt
behauptet hatte (so auch früher in München). Die von Johann Georg
Bendl geschaffene Statue, deren Sockel in seinen Ecken vier Engelsgruppen zeigt,
wie sie jeweils mit den Teufeln (d.h. dem Bösen) ringen, und deren Spitze
von einer vergoldeten Marienstatue bekrönt ist, war am 30. September 1650
enthüllt worden. Die Studentenkongregation veranstaltete gemeinsam mit dem
Stadtrat dann an großen Marienfeiertagen (Empfängnis, Geburt und
Himmelfahrt) regelmäßige Prozessionen, die vom Klementinum zu dieser
Säule führten.
Der Neustädter
Magistrat veranstaltete mit sämtlichen Beamten und Ältesten der
Handwerkszünfte seine Gedächtnismesse in der Heinrichskirche, die
während der Schwedenangriffe im Oktober 1648 durch Beschuß so sehr in
Mitleidenschaft gezogen worden war. Eine Sonderstellung nahm die St.
Barbarakapelle ein, die 1673 erbaut und einer Heiligen geweiht wurde, die der
Sage nach das Gotteshaus vor einer Granate geschützt haben sollte. Am
Gewölbe hängt heute eine Holzkugel, die an diese Begebenheit erinnern
soll. Für den Hochaltar des Gotteshauses hatte man zum 50. Jahrestag der
Belagerung bei dem Maler Heinsch ein Bild bestellt, das den hl. Heinrich als
Beschützer der Stadt vor den Schweden zeigte: Die Stadt im Hintergrund
steht in Flammen, während der Heilige mit seiner Hand die
St.-Heinrichskirche bedeckt. Auch in der Emmauskirche befand sich ein
Gemälde, das an die Belagerung Prags mahnte: der hl. Wenzel schützt
Prag vor den Schweden; geschaffen wurde dieses Werk bereits
1658.
Auf der Kleinseite konzentrierte sich das an
die schwedischen Ereignisse erinnernde Gedenken auf die Kirche Maria unter der
Kette bei den Johannitern, wo der Militärführer Prags und
gleichzeitige Großprior der Malteser; Rudolf Colloredo-Wallsee, seine
letzte Ruhestätte fand (das Grabmal aus Carraramarmor mit der Statue des
Großpriors stammt von Emanuel Max aus dem Jahre
1848).
Eine besondere Rolle bei der
Traditionspflege des Jahres 1648 spielten die Jesuiten. In ihrer Altstädter
Kirche St.-Salvator wurde in der Kapelle des hl. Franz Xaver ein hölzernes
Kruzifix von der Karlsbrücke verehrt, dessen Beine bei dem Beschuß
der Altstadt durch die Schweden verlorengegangen war. Das Hauptaugenmerk galt
allerdings den jesuitischen Teilnehmern der Kämpfe, allen voran
JiřÍ i
Plachý, dessen Handschuhe von den Jesuitenstudenten in den oben
erwähnten Prozessionen zur Mariensäule gleichsam als Reliquie
mitgeführt wurden.
Der Sohn des Pilsener
Stadtschreibers Šimon Plachý von
TřÍ ebnic
hatte der Studentenlegion nicht kommandiert; Oberbefehlshaber war Don Juan
Arrigia und Plachý lediglich sein Adjutant. Das wirkliche Kommando lag
zudem bei dem Hauptmann der Legion, dem Anwalt Johann Kauffer. Der Tradition
zufolge hielt Plachý jedoch zu der auf dem Vorhof des Klementinums
versammelten Legion gleich nach dem Schwedeneinfall am 26. Juli eine Rede, und
auch danach sei der "lange Pater"
angeblich stets dort zu finden gewesen, wo es der Aufmunterung bedurfte. Zu
seiner Legende trug auch - wie oben gezeigt - der schwedische Feind das Seine
bei. Balbins Eloge auf Plachýs Portrait im Refektorium des Klementinums
enthält unter anderem folgende Charakteristik:
"Dieser mit seiner Körperlänge herausragende Mann (er übertraf 3 Ellen)
zerstreute den fliehenden Feind, indem er akademische Freiwillige zu den Waffen
rief [...]. Die Schweden bekannten, keinen anderen so gefürchtet zu haben
wie gerade jenen schwarzen
Popen". Das Portrait, das sich in Kutná Hora/Kuttenberg erhalten hat - hier war
Plachý gestorben -, stellt ihn mit Lanze und Banner in der Rechten und
mit der Linken auf das Panorama Prags im Hintergrund weisend dar. Die Beischrift
lautet:
" [..] die
geharnischte Pallas drückte ihm eine Lanze in die federgewöhnte Hand,
als sie ihm auftrug, Führer der Studentenkohorten gegen die Truppen der
Schweden zu sein. An die tapfere Brust heftete ihm Ferdinand III. eine
Goldmünze."
Gerade
Plachýs Geschichte machte die Grenzen der Legende von 1648 deutlich.
Während noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Böhmen
nicht weniger als vier Theaterstücke zum Thema
"Die Verteidigung Prags"
entstanden, in denen vor allem das Thema tätiger Vaterlandsliebe (die
Gestalt Plachýs) und Verrats (die Gestalt Ottovalskýs) aktuell
behandelt wurde, und während die Tradition des Jahres 1648 in den
Händen der Studenten in ungewöhnlich freidenkerischem Sinne auflebte,
wird in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Erinnerung an die
Verteidigung der Stadt gegen die Schweden bereits nur mehr in die Sphäre
bunter Erzählungen verlagert, die vor allem in dem Werk des Verfassers von
"Les
mystères de
Prague"
(Josef Scátek) oder in der gemalten
"Jahrmarktattraktion"
für ein nach Neuigkeiten hungerndes Publikum (gemeint ist das Diorama der
Gebrüder Liebscher auf der Prager
"Jubiläumsausstellung"
von 1891) lebendig werden. Politische Deutungen des
"Ereignisses"
wurden in der böhmischen Publizistik und in seriöser Literatur lieber
gar nicht erst versucht. War doch die Mariensäule inzwischen zum Symbol der
nationalen Unterwerfung geworden, und niemand war sich mehr sicher, ob die
Prager wirklich gut daran getan hatten, als sie 1648 Prag
"für
die
Habsburger"
erfolgreich verteidigten.