DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
HEINHARD STEIGER Konkreter Friede und allgemeine Ordnung - Zur rechtlichen Bedeutung der Verträge vom 24. Oktober 1648 |
I. Einleitung
Am 24. Oktober 1648 wurde nach einer
dreißigjährigen Kriegszeit und fünfjährigen Verhandlungen
zwischen Kaiser und Reichsständen im Reich und zwischen Kaiser und Reich
und der schwedischen Königin sowie dem französischen König
endlich Friede gemacht. Es war kein Sieg- oder Unterwerfungsfrieden, sondern ein
Friedensschluß durch zwei Friedensverträge, also durch gegenseitige
Übereinkommen, in denen die Partner einen Ausgleich ihrer Interessen durch
Regelung der Streitfragen suchten, wenn auch die im Krieg schwächeren
Seiten mehr nachgeben mußten und die stärkeren Seiten ihre
Wünsche besser durchzusetzen vermochten.
Zwar
waren die Verträge getrennt in Münster und Osnabrück ausgehandelt
worden, aber sie wurden beide in Münster unterzeichnet. [1] Die
beiden Verträge hingen inhaltlich und funktional eng zusammen, und nur
beide zusammen stellten den Frieden her. Vertragspartner des Vertrages von
Osnabrück (Instrumentum Pacis Osnabrugense - IPO) waren gemäß
der Präambel und Art. I der Kaiser Ferdinand III. und das Reich einerseits,
die Königin Christina von Schweden und das Königreich Schweden
andererseits, die des Vertrages von Münster (Instrumentum Pacis
Monasteriense - IPM) ebenfalls gemäß der Präambel und
§ 1
wiederum Kaiser und Reich sowie König Ludwig XIV. von Frankreich. Der
Friede wurde außerdem mit den jeweiligen Verbündeten
hergestellt. [2]
Der Friedensvertrag von
Osnabrück schloß zudem in Art. XVII
§§ 10, 11
alle weiteren damaligen Könige, die italienischen Fürsten und
Republiken, die Niederlande, die Schweizer und Graubündner Kantone, den
Fürst von Siebenbürgen sowie den Großfürst von Moskau ein.
Nur der Papst und der Sultan fehlten. Da diese Mächte an dem Krieg nicht -
bzw. nur in der Anfangsphase oder nur indirekt - teilgenommen hatten, war jedoch
mit ihnen kein solcher durch Friedensschluß zu beenden. Auch wurden diese
Mächte, ausgenommen die Schweiz, nicht von den inhaltlichen Regelungen des
Vertrages in ihrer rechtlichen Stellung betroffen. Trotzdem sollten auch sie an
den allgemeinen Wirkungen des Friedens teilhaben. Es war, so ein Autor des 18.
Jahrhunderts, "ganz Europa bey diesem Friedenswerk
interessiert." [3]
Die beiden
Verträge begründeten also einen konkreten Frieden zwischen den
Partnern und ihren Verbündeten, d.h. den Kriegsparteien, und regelten als
dessen Voraussetzung die zwischen ihnen bestehenden Streitfragen. Sie
errichteten keineswegs eine allgemeine rechtliche Friedensordnung und regelten
auch nicht alle Probleme und Konflikte in Europa. Sie bildeten kein Grundgesetz
für Europa. Beiden Verträgen wurde aber seit Anbeginn und wird bis
heute noch eine allgemeinere Bedeutung für die Ordnung Europas für das
folgende Jahrhundert sowie eine Schlüsselstellung für die Entwicklung
des modernen Völkerrechts zugeordnet.
II.
Friedensregelung
1. Rechtsinhalt: Der
Rechtsinhalt der beiden Verträge hat vier Teile: die Herstellung des
allgemeinen Friedens zwischen den Kriegsparteien und ihren Verbündeten; die
Regelung der reichsinternen Streitigkeiten zwischen Kaiser und
Reichsständen und den Reichsständen untereinander in weltlichen wie in
geistlichen Verfassungsfragen; die Regelung vor allem territorialer, aber auch
anderer Streitfragen zwischen Kaiser und Reich einerseits und den beiden Kronen
andererseits; die allgemeinen Schlußbestimmungen, insbesondere zur
Ratifikation, zur Garantie und zum Einschluß weiterer europäischer
Mächte in die Verträge. Alle vier Teile sind unaufhebbar miteinander
verknüpft. Denn die Herstellung des rechtlich vereinbarten Friedens setzt
die Regelung der reichsinternen wie der externen Probleme durch Konsens voraus,
nur um seinetwillen sind die Parteien zu den entsprechenden Regelungen bereit.
Vereinbarter Frieden kann nur wirksam werden, wenn die Probleme und Konflikte,
die den Krieg verursacht und begründet haben, gelöst werden. Da beide
Verträge ein einheitliches Friedenswerk bilden, stimmen ihre Regelungen
hinsichtlich des allgemeinen Friedens, der reichsinternen Fragen und der
Schlußbestimmungen wörtlich überein. Jedoch die Bestimmungen
bezüglich der jeweiligen Streitigkeiten mit den Kronen werden für sich
getroffen, im IPO mit Schweden und im IPM mit
Frankreich.
2. Allgemeiner Frieden
Gemäß Art. I IPO /
§ 1 IPM
soll ein christlicher, allgemeiner und dauerhafter Frieden zwischen den Partnern
hergestellt und eine wahre und ernsthafte Freundschaft zwischen ihnen
begründet werden. Zunächst endet das Recht des Krieges und damit das
Recht zu Kriegshandlungen gegen die andere Seite, vor allem aber auch gegen die
Bevölkerung. Die Gefangenen beider Seiten sind freizulassen. Zwar zogen die
fremden Truppen noch nicht ab, da es noch finanzieller Ausgleichsregelungen
bedurfte. Sie wurden jedoch an bestimmten Orten zusammengezogen und mußten
sich dort ruhig verhalten. Erst mit dem Nürnberger Friedensrezeß von
1650, gewissermaßen ein Ausführungsvertrag zu den Verträgen von
1648, wurde auch der Truppenabzug erreicht.
Es
wird weiterhin in Art. II IPO /
§ 2 IPM
eine Amnestie vereinbart, ein immerwährendes Vergessen, Vergeben, Verzeihen
des Unrechts, das alle "vor dem Kriege als auch im Kriege, mit Worten, Schriften
oder Taten zugefügten Beleidigungen, Gewalttaten, Feindseligkeiten,
Schäden und Unkosten ohne alles Ansehen der Personen oder Sachen" umfassen
soll.
Der Frieden wird vor allem mit wahrer und
aufrichtiger Freundschaft verknüpft, indem "jeder Teil des andern Nutzen,
Ehre und Vorteil" fördern soll, so daß "vertrauensvolle Nachbarschaft
und die gesicherte Pflege der Friedens- und Freundschaftsbestrebungen neu
erstarken und erblühen" können. Die Verträge führen das im
einzelnen nicht weiter aus. Dazu gehört jedoch, daß gemäß
Art. IX IPO /
§§ 62 ff.
IPM die Wege für die Handelsbeziehungen wieder geöffnet, die alten
Handelsprivilegien wiederhergestellt, die während des Krieges neu
eingeführten Zölle wieder aufgehoben und auch der freie Verkehr der
Untertanen wie vormals wiederhergestellt
werden.
3. Zweifacher Frieden: Dieser
allgemeine Friede hatte aber ein doppeltes Gesicht, wie auch der Krieg ein
doppeltes Gesicht hatte. Dieser hatte 1618 als reichsinterner Krieg zwischen dem
Kaiser und den mit ihm verbündeten Reichsständen auf der einen und
anderen Reichsständen auf der anderen Seite begonnen. Dann hatten sich
auswärtige Mächte eingemischt, 1625-1629 der König von
Dänemark, 1630 bzw. 1635 die Könige von Schweden und Frankreich. So
war es ein zwischenstaatlicher Krieg geworden, den der Kaiser mit seinen
Verbündeten, unter ihnen der König von Spanien, gegen diese Monarchen
führte, die ihrerseits mit den dem Kaiser im internen Krieg feindlichen
Reichsständen verbündet waren. Interner Reichskrieg und
internationaler Krieg waren unauflöslich miteinander verflochten. So
begründeten die Friedensverträge als völkerrechtliche
Verträge einen internationalen Frieden zwischen den Vertragspartnern und
ihren Verbündeten; gleichzeitig aber stellten sie als interne Verträge
den Reichsfrieden, den sogenannten Landfrieden, wieder her. Sie wurden daher
sowohl gemäß Art. XVII
§ 1 IPO /
§ 111 IPM
von den Partnern Kaiser, Königin und König sowie einer Deputation der
Reichsstände nach Völkerrecht unterzeichnet und ratifiziert als auch
gemäß Art. XVII
§ 2 IPO /
§ 112 IPM,
durch den "Jüngsten Reichsabschied" des Reichstages von 1654 als
Reichsgrundgesetz angenommen. In den Verträgen durchdringen sich
Europäisches Völkerrecht und Reichsverfassungsrecht, internationaler
und interner Frieden; sie bedingen einander und bilden eine unauflösliche
Einheit. In dieser Einheit bilden sie ein zentrales Element der politischen wie
der rechtlichen Ordnung Europas. Das Reichsverfassungsrecht erhält durch
diese Verknüpfung eine völkerrechtliche Verankerung. Es kann nicht
ohne völkerrechtlichen Akt verändert werden. Kaiser und Reich auf dem
Reichstag waren also nicht völlig frei und souverän in der Gestaltung
der inneren Angelegenheiten des Reiches. Ihrerseits enthält die
gesamteuropäische Rechtsordnung als zentralen Bestandteil die
Reichsverfassung. Diese ist gewissermaßen deren Widerlager, das
unsichtbare Fundament, auf dem diese Ordnung und damit der Frieden ruhen. Diese
enge Verknüpfung und Durchdringung von reichsverfassungsrechtlicher und
völkerrechtlicher Ordnung wurde in späteren Verträgen zwischen
den Partnern immer aufs neue bestätigt. Sie erschien, wie es hieß,
notwendig "pour le repos de la Chrétienté". [4]
4.
Reichsinterner Friede: Im Reich hatten sich seit dem Ende des 15.
Jahrhunderts eine Fülle von Problemen verknotet: das Verhältnis von
Kaiser und Reichsständen bei der Gesetzgebung, der Rechtsprechung, der
Führung von Krieg und dem Abschluß von Frieden; die Rechte der
Kurfürsten, Fürsten und sonstigen Territorialherren in ihren eigenen
Territorien und nach außen zu anderen Mächten; die Bewältigung
der religiösen Spaltung auf den Ebenen des Reiches und der Territorien in
Katholiken, Lutheraner und dann auch Calvinisten. Sie waren friedlich offenbar
nicht zu lösen und explodierten im Krieg. Seit 1618 hatte es zudem
ständig Verschiebungen in den Territorialherrschaften des Reiches gegeben.
So entstand die Forderung nach Restitution. Manche Reichsstände erhoben
Ansprüche auf diese oder jene Herrschaft aus anderen Gründen. Die
Lösung dieser Probleme wurde erschwert, weil die beiden ausländischen
Kronen an der Reichsverfassung Interesse nahmen und zudem eigene territoriale
Ansprüche stellten.
Die inneren
Verfassungskonflikte wurden weitgehend gelöst, zwar auf der Grundlage des
bisherigen Verfassungsrechts, aber doch durch Klärung der strittigen Fragen
zugunsten der Reichsstände und zu Lasten der Stellung des Kaisers. Sie
erhielten in Art. VIII IPO auf der Ebene des Reiches Mitwirkungsrechte, in ihren
Territorien die Landeshoheit und nach außen das Bündnisrecht. Aber
sie blieben der Reichsgesetzgebung, -rechtsprechung und -exekution
unterworfen. [5] Die Konfessionen erhielten auf Reichsebene
Parität, einschließlich der Calvinisten (Art. V IPO). In ihren
Territorien behielten die Reichsstände das ius reformandi, aber
beschränkt durch die Festlegung eines religiösen Besitzstandes zum 1.
Januar 1624. [6] Die territorialen Verschiebungen während des
Krieges wurden weitgehend, aber keineswegs vollständig, durch die
sogenannten Restitutionen gemäß Art. IV IPO rückgängig
gemacht.
Durch die Verträge wurden
verfassungsrechtliche Institutionen und Ordnungen festgelegt, die für die
Zukunft die friedliche rechtliche Regelung möglicher neuer Konflikte
sicherstellen sollten, so daß ein friedliches Zusammenleben und damit der
Landfrieden erhalten bleiben konnten. Das gelang für fast ein
Jahrhundert.
Damit trat das Recht als Sicherung
der Einheit und des Friedens des Reiches mehr und mehr an die Stelle von
Religion, Herkommen, Kaiser, Hierarchie und Politik. Diese besondere Funktion
des Rechts gehörte zwar ebenfalls zum Herkommen der Verfassung des Reiches,
seiner Einheit und seines Friedens. Aber jetzt wurde das Recht dominant, weil
die anderen Faktoren mehr und mehr ihre einheitsstiftende Wirkung
verloren.
5. Schwedischer Friede: Schweden
ging es sowohl um die Stützung seiner verbündeten Reichsstände
gegenüber dem Kaiser und um die Sicherung der evangelischen Konfession im
Reich als auch um den Ausbau seiner nord- und osteuropäischen
Großmachtstellung, die dann auch für ganz Europa wirksam werden
sollte. Außerdem erhob es Anspruch auf eine Satisfaktion für seine
Kriegsleistungen im Reich, da sein Eingreifen nach seiner Auffassung im
Interesse des Reiches, insbesondere der evangelischen Stände, deren
Bewahrung vor kaiserlich-katholischer Übermacht und Unterdrückung,
erfolgt sei.
So nahm die Königin zum einen
auf die Gestaltung der Reichsverfassung zugunsten der Reichsstände und der
Evangelischen nachdrücklich Einfluß. Zum anderen erlangte sie
für sich und ihre Nachkommen in Art. X IPO die Belehnung mit vielen
Territorien an Ost- und Nordsee. [7] Diese Territorien schieden nicht
aus dem Reich aus, und die Königin wurde als Lehnsnehmerin selbst
Reichsstand, was ihr unmittelbaren Einfluß im Reichstag sicherte. Sie war
dadurch aber auch in den internen Konflikten an die Verfassung und das Recht des
Reiches, jedenfalls rechtlich, gebunden.
Es wurde
somit eine im Reich herkömmliche Rechtsform, das Lehnsrecht, angewandt und
zur Geltung gebracht, um den internationalen Konflikt mit einer auswärtigen
Macht zu bewältigen, dabei jedoch das Reich territorial ungeschmälert
und in seiner Verfassung zu erhalten.
6.
Französischer Friede: Die Konflikte mit der französischen Krone
waren älter und grundlegenderer Art. Bereits seit dem Ende des 15.
Jahrhunderts prägte die Auseinandersetzung um Vorherrschaft oder Vormacht
zwischen dem Haus Habsburg und den französischen Herrschern die
gesamteuropäische Politik. Sie wurde in ganz Europa und in Übersee
geführt und endete 1648 keineswegs. Erst mit den Friedensschlüssen von
Utrecht, Baden und Rastatt 1713/14 zum Abschluß des spanischen
Erbfolgekrieges kam ein gewisses Ende, ohne daß eines der beiden
Häuser zu diesem Zeitpunkt die Vorherrschaft in Europa bewahrt oder
erworben hätte. Das Prinzip des Gleichgewichts der Mächte in Europa
wurde vielmehr in diesem Vertrag ausdrücklich zu einer tragenden Grundlage
europäischer Ordnung erhoben.
1648 war der
französische König der Mächtigere. [8] Er setzte
einerseits die Stärkung der Reichsstände gegenüber dem Kaiser
durch. Andererseits gelang es ihm, erhebliche territoriale Gewinne in Lothringen
und im Elsaß zu erzielen. Der König erwarb diese Gebiete jedoch nicht
als Lehnsmann, sondern jedenfalls z.T. zu voller Souveränität. Sie
schieden somit aus dem Reichsverband aus, und es wurde dafür sogar das
Verbot der Wahlkapitulation des Kaisers, Reichsgüter und Reichsrechte zu
entäußern, aufgehoben. Anders als für die schwedischen
Erwerbungen wurden nicht alte Institutionen des Reichsrechts, sondern solche des
modernen Völkerrechts zur Souveränitätsübertragung
eingesetzt.
Da es 1648 nur zum Frieden des
französischen Königs mit Kaiser und Reich, nicht aber mit dem
spanischen König kam, setzte der König schließlich in
§ 3 IPM
durch, daß Kaiser und Reich in dem fortdauernden Krieg neutral bleiben
mußten. Der burgundische Kreis, ein Teil des Reiches unter spanischer
Herrschaft, wurde sogar aus dem Friedensschluß vorläufig
ausgeklammert und sein Schutz durch das Reich
aufgehoben.
7. Schlußbestimmungen:
Die Schlußbestimmungen enthielten in Art. XVII IPO /
§§ 111 ff.
IPM einerseits die üblichen Regelungen über Unterzeichnung und
Ratifikation. Daran wurden neben Kaiser, König und Königin auch die
Reichsstände durch eine Deputation von 15 ausgewählten
Reichsständen beteiligt. Andererseits wurden neuartige Regelungen
getroffen. Zum einen wurde den Verträgen ein Vorrang gegenüber
entgegenstehenden älteren geistlichen wie weltlichen rechtlichen Regelungen
eingeräumt. Zum anderen wurde die Garantie der Verträge allen
Vertragspartnern übertragen. Beide Regelungen waren einerseits Ausdruck
veränderter Verhältnisse und Strukturen, festigten andererseits aber
auch diese Veränderungen.
8. Fazit:
Zweifellos war es ein großes Werk, nach dreißig Jahren eines
verheerenden Krieges, in den die bedeutendsten Mächte Europas verstrickt
waren, zentrale Konflikte der Zeit durch Vertrag, d.h. durch Kompromiß und
Übereinkunft, zu regeln und so Frieden im Reich und um das Reich
herzustellen. Die Verträge von Münster und Osnabrück erlangten
jedoch ihre epochale Bedeutung, weil es durch sie zum ersten Mal gelungen war,
mit dem Mittel des modernen Völkerrechts in einem Europa prinzipiell
gleichgeordneter Mächte ohne hierarchische Spitze Frieden herzustellen und
damit für die folgenden 150 Jahre die ersten völkervertragsrechtlichen
Grundlagen der europäischen Ordnung zu
legen.
III. Die Ordnung
Europas
1. Ausgangslage: Die politische
Welt im Europa des 17. Jahrhunderts wurde durch eine Vielzahl nach
Größe, Macht, Ansehen, rechtlichem Status und Verfassung,
religiöser Ausrichtung und wirtschaftlicher Stärke äußerst
verschiedener Mächte gebildet.
Das
äußere rechtliche Verhältnis dieser Mächte zueinander war
nach dem Prinzip der Nebenordnung und gegenseitigen Unabhängigkeit
gebildet. Die mittelalterlichen Prinzipien eines hierarchischen ordo mit
Kaiser und Papst an der Spitze waren schon seit dem 14. Jahrhundert umstritten
gewesen und verloren im 16. und 17. Jahrhundert mit dem Erstarken der
Könige, der zunehmenden Schwäche des Kaisertums und der
Glaubensspaltung endgültig ihre Akzeptanz. Die Souveränität als
umfassende und vollständige äußere und innere
Unabhängigkeit und Selbstbestimmung gegenüber jeder anderen Macht
wurde zum tragenden Prinzip der europäischen Ordnung. So entwickelte sich
eine horizontal konzipierte Mächteordnung, in der alle Mächte, auch
der Kaiser und der Papst, rechtlich einander nebengeordnet waren. Die
Verträge von Münster und Osnabrück bildeten in gewisser Weise den
bestätigenden Abschluß dieser Entwicklung und damit gleichzeitig auch
die Eröffnung der neuen Epoche.
Allerdings
war die volle Souveränität nicht notwendige Voraussetzung zur
Teilnahme am politisch-rechtlichen Geschehen, an Kriegen, Bündnissen,
Friedensschlüssen in Europa und Übersee. Es genügte ein hoher
Grad der Unabhängigkeit bzw. Selbständigkeit in der
außenpolitischen Willensbildung sowie die Fähigkeit, auf der
Grundlage territorialer Herrschaft völkerrechtliche, auch
militärische, Verpflichtungen einzugehen und zu erfüllen. Soweit diese
Befähigungen rechtlich und tatsächlich auch nichtsouveränen
territorialen Mächten zukamen, waren auch sie völkerrechtsfähig.
Das galt vor allem für die Reichsstände auf Grund ihres
völkerrechtlich verbürgten, verfassungsrechtlichen Rechts zu
Bündnissen, Krieg und Friedensschluß. Auch andere nicht voll
souveräne Mächte, wie der Fürst von Siebenbürgen,
italienische Stadtrepubliken etc. zählten zu diesem
Kreis.
2. Bedeutung des Rechts
Heterogenität, gegenseitige Souveränität bzw.
Selbständigkeit und Nebenordnung der Mächte in Europa führten
nicht dazu, die Vorstellung und das Bewußtsein der Einheit oder
Zusammengehörigkeit der europäischen Mächte aufzugeben. Die trotz
der Religionsspaltung bestehende gemeinsame christlich-religiöse Grundlage,
Geschichte und Herkunft, Kultur, auch das Recht und soziale Verknüpfungen
bildeten die Basis dieser Zusammengehörigkeit, die sich in Begriffen wie
respublica christiana, chrétienté, orbis
christianum, "Christenheit" in den Verträgen wie in anderen Quellen der
Zeit ausdrückten. Es fehlte in diesem Nebeneinander jedoch an einer
Organisation, außerdem war das herkömmliche Recht, weltliches wie
kanonisches, naturrechtliches wie positives, ungewiß, unsicher und
umstritten. Zwar bildete es die Grundlage, bedurfte aber der Anpassung und
Entwicklung im Hinblick auf die neue politische
Struktur.
So wurde aus älteren Ansätzen
das Europäische Völkerrecht entwickelt. Die beiden Verträge von
Münster und Osnabrück bildeten eine erste große
Bewährungsprobe. Indem es gelang, rechtlich über die verschiedenen,
gerade auch religiösen Unterschiede der beteiligten Mächte hinweg
Frieden zu schaffen, wirkten sie für die europäische Ordnung und deren
Zukunft grundlegend.
IV. Das Europäische
Völkerrecht
1. Ein modernes Recht: Das
Europäische Völkerrecht beruht auf dem aus der Antike
überlieferten ius gentium. Es war dies zunächst das Recht, das
bei allen Völkern gilt oder das allen Völkern gemeinsam
ist. [9] Als eine Art allgemeines Recht der Menschheit umfaßte es
auch das Recht zwischen den Mächten. Dieser Teil verselbständigte sich
seit dem 16. Jahrhundert praktisch wie theoretisch mehr und mehr zu einem
eigenen Rechtsbereich. Es schälte sich das Völkerrecht als ein
spezifisches Recht zwischen Monarchen, Völkern und Staaten im modernen Sinn
heraus. Es wurde daher auch von manchen Autoren als ius inter gentes
bezeichnet. [10]
Die Gründe für
diese Entwicklung sind vielfältig. Die Änderungen der Struktur der
Verhältnisse der europäischen Mächte zueinander wurden bereits
erwähnt. Zudem begannen die größeren europäischen
Mächte ab dem Ende des 15. Jahrhunderts eine gesamteuropäische
Außenpolitik zu führen, die sie untereinander in z.T. fundamentale
Konflikte um ihre Stellung in Europa brachte. Einige europäische
Mächte traten seit dem Zeitalter der Entdeckungen mit weiteren Erdteilen
und deren Mächten, die alle nichtchristlich, nichteuropäisch waren, in
Verbindung, in friedlicher wie in kriegerischer Art. Die europäische und
internationale Welt wurde komplexer und bedurfte nunmehr eines angemessenen
spezifischen Rechts.
In der Praxis werden
überkommene Institute fortentwickelt, wie das Vertragsrecht, und neue
geschaffen, wie die ständigen Gesandtschaften. Wissenschaftlich beginnt mit
den spanischen Spätscholastikern Francisco de Vitoria, Francisco Suarez,
Fernando Vasquez die Ausbildung des modernen Völkerrechts im 16.
Jahrhundert. Autoren in anderen Ländern wie Albericus Gentilis in England
traten hinzu. [11] Als epochales Hauptwerk galt der Zeit und gilt noch
heute die umfangreiche Darstellung des Niederländers Hugo Grotius "De iure
belli ac pacis", die 1625 in Paris zum ersten Mal erschien, aber alsbald
überall in Europa in lateinischer Sprache und in Übersetzungen verlegt
wurde und immer wieder Neuauflagen erlebte, bis in unser Jahrhundert
hinein. [12] Grotius nahm sich darin vor, "das Recht zwischen den
Völkern und ihren Lenkern" auszuführen und darzustellen, das bis dahin
nur wenige Autoren berührt hätten. Zwar ist er nicht der "Vater des
Völkerrechts", als der er lange angesehen wurde, er stellte es aber als
erster umfassend und gründlich dar.
2.
Völkerrechtslehre: Die zentrale Aufgabe der Völkerrechtslehre
bestand darin, dieses Recht jenseits der Rechtssetzung der Mächte als ein
ihnen vorgegebenes Recht zu verankern. Sie knüpfte dafür an die
ältere Lehre des ius gentium an, die das ius gentium in enge
Verbindung und Wechselwirkung mit dem Naturrecht, dem ius naturalis
gebracht hatte. [13] Die Darstellungen dieses Verhältnisses waren
seit den römischen Juristen bis zu Thomas von Aquin und späteren
Autoren zwar sehr verschieden. Generell erschien das ius gentium aber als
eine Konkretisierung des Naturrechts, war also von diesem inhaltlich bestimmt
und abhängig. Auch das moderne Völkerrecht erscheint bis in das
frühe 19. Jahrhundert hinein als das Naturrecht, angewandt auf die
Beziehungen zwischen Völkern, Mächten, Monarchen und
Staaten. [14]
Ebenso wandelte sich das
Naturrecht. Thomas von Aquin und die spanische Spätscholastik, aber auch
z.T. die reformatorische Lehre, hatten das Naturrecht in enge Verbindung mit dem
göttlichen Recht, ius divinum, und der göttlichen
Schöpfung gebracht. Diese enge Verknüpfung des Naturrechts mit dem
göttlichen Recht und der Schöpfungstheologie begann sich im 16.
Jahrhundert zu lösen, nicht zuletzt weil durch die Reformation das
göttliche Recht selbst unsicher und umstritten
wurde.
3. Hugo Grotius Der 1583 geborene
und 1645 gestorbene niederländische Politiker und Theoretiker [15]
knüpft maßgebend an die Bestimmung des Menschen als eines geselligen
Wesens an, das "in einer ruhigen und nach dem Maß seiner Einsicht
geordneten Gemeinschaft mit seinesgleichen" leben will. Die daraus
fließende Sorge für die Gemeinschaft entspreche der Vernunft und sei
"die Quelle dessen, was man recht eigentlich mit dem Namen Recht bezeichnet".
Dazu gehöre u.a. "die Verbindlichkeit, gegebene Versprechungen zu
erfüllen". Nach weiteren Ableitungen allgemeiner Sätze dieses Rechts
heißt es: "Diese hier dargelegten Bestimmungen würden auch Platz
greifen, selbst wenn man annähme, was freilich ohne die größte
Sünde nicht geschehen könnte, daß es keinen Gott gäbe, oder
daß er sich um die menschlichen Angelegenheiten nicht bekümmere".
Naturrecht gilt danach zwar unabhängig von dem ius divinum und der
Schöpfung. Letzten Endes schreibt aber auch Grotius dieses Recht Gott zu,
"weil er gewollt hat, daß dieses menschliche Wesen besteht". [16]
Das Naturrecht wird damit säkularisiert, dadurch aber auch in seinem
Geltungsanspruch über Europa und die Christenheit hinaus
verallgemeinert.
Inhaltlich bestimmt Grotius das
Naturrecht als "ein Gebot der Vernunft, welches anzeigt, daß einer
Handlung wegen ihrer Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit der
vernünftigen Natur selbst eine moralische Häßlichkeit oder eine
moralische Notwendigkeit innewohnt". Es gilt auch zwischen den Völkern, als
natürliches Völkerrecht, ius gentium naturale. Daneben steht
das auf menschlichem Willen beruhende Völkerrecht, ius gentium
voluntarium. Zu diesem gehören Gewohnheitsrecht und das Vertragsrecht.
Es gilt als menschliches Recht nicht gleichermaßen überall. Beide
zusammen, natürliches Völkerrecht und gewillkürtes
Völkerrecht, in der Vernunft gebotenes und durch den Willen der Völker
gesetztes Recht, bestimmen das Recht zwischen den
Völkern.
Das natürliche Völkerrecht
gehört zur objektiven Gegebenheit, in der die Mächte handeln und ihre
Verhältnisse allein ordnen können. Auf ihm beruht ihre Rechtsmacht bis
hin zur Souveränität. Zwar gibt es prinzipiell keine
Souveränität gegenüber dem natürlichen Völkerrecht. Es
ist für sie dem Grunde nach nicht verfügbar, aber seine Sätze
sind sehr allgemein und offen. So haben die Mächte, Völker, Staaten im
gewillkürten Völkerrecht ein Instrument der konkreten Gestaltung ihrer
Rechtsverhältnisse zueinander durch Gewohnheitsrecht und Vertrag, die ihre
grundlegende Verbindlichkeit zwar aus dem natürlichen Völkerrecht
gewinnen, aber dieses doch variieren und den Gegebenheiten auch der
Machtverhältnisse anpassen können.
4.
Wissenschaft und Praxis.: Das natürliche wie das gewillkürte
Völkerrecht haben allerdings eine bis heute nicht überwundene
fundamentale Schwäche: Es gibt niemanden, der mit Verbindlichkeit für
alle den Inhalt dieses Völkerrechts feststellt. Jede der gleichgeordneten
Mächte interpretiert und entscheidet für sich selbst, was
völkerrechtens ist. Wenn die Interpretationen voneinander abweichen, vor
allem im konkreten Fall eines Konfliktes, dann ist selbst Krieg nicht
ausgeschlossen. Lediglich die Wissenschaft hat eine gewisse allgemeine, aber
keineswegs neutral-unparteiische Bedeutung in der Ausarbeitung, Aufbereitung,
Darlegung und Entwicklung des neuen Rechtsgebietes. So entstanden im 17. und im
18. Jahrhundert eine Fülle von Schriften zum allgemeinen Völkerrecht,
aber auch zu speziellen Problemen.
Inwieweit diese
Werke eine Art autoritative Instanz für die Praxis darstellten, ist schwer
festzustellen. Die Praxis in Münster und Osnabrück tat, was sie zu tun
hatte, sie stellte durch Vertrag den Frieden her. Dabei diskutierte und stritt
sie über eine Fülle praktischer Rechtsfragen bis in das kleinste
Detail. Denn das Recht mußte im Verhandlungszimmer seine Konkretisierung
und z.T. seine Struktur finden. Man war sich bewußt, daß jede
Lösung so oder so rechtliche Wirkungen für die Zukunft haben
würde, die nicht ohne weiteres wieder abzuändern wären. Das
gewillkürte Völkerrecht der Verträge und Übungen bestimmte
die konkreten Verhältnisse, aber auch die längerfristige Entwicklung
des Völkerrechts. Das natürliche Völkerrecht gab lediglich die
allgemeine Grundlage. Die moderne Ordnung Europas gleicher und souveräner
Mächte bedurfte eines machbaren, anpassungsfähigen
Rechts.
Die beiden Verträge bilden nicht den
Beginn des modernen Völkerrechts. [17] Sie können aber zum
einen als ein sehr grundlegender Anwendungsfall des sich entwickelnden
Völkerrechts angesehen werden. Zum anderen prägen sie den Weg der
Entwicklung des gewillkürten Völkerrechts inhaltlich-strukturell
für die Zukunft und stellen so einen maßgeblichen Entwicklungsschritt
dieses neuen Rechts dar.
V. Die Verträge
und das Völkerrecht
1.
Vertragsfähigkeit: Die Vertragsfähigkeit kommt nunmehr
endgültig nur noch rechtlich organisierten unabhängigen Mächten
bzw. deren Herrschern mit eigener Herrschaftsgewalt zu, nicht untertänigen
Ständen oder privaten Personen. So waren an den Verhandlungen und den
Verträgen neben dem Kaiser, den Monarchen und Republiken zwar die
Reichsstände als Verhandlungspartner beteiligt, nicht aber die
französischen Stände. Auch wurden nur unabhängige Herrscher und
Mächte in den Vertrag von Osnabrück einbezogen, nicht aber wie in
früheren Verträgen des 16. Jahrhunderts die Mitglieder
fürstlicher Familien ohne
Herrschaftsmacht.
2. Gleichheit: Es gilt
grundsätzlich die rechtliche Gleichheit der Mächte. Die oben genannten
tatsächlichen Verschiedenheiten wirkten sich rechtlich prinzipiell nicht
aus. Alle Monarchen erhielten den Titel "Majestät". Die
Bevollmächtigten der Republiken erreichten protokollarisch die
Gleichstellung mit denen der Monarchen. Den Vertretern der Kurfürsten wurde
nach längeren Verhandlungen der gleiche Titel "Excellenz" wie den
Bevollmächtigten der Monarchen zuerkannt. Zwar gab es erhebliche
protokollarische Differenzierungen, Ehrenvorränge und
Abstufungen. [18] Auch waren die Reichsstände den Monarchien und
souveränen Republiken in ihren Rechten nicht völlig gleich. Die
rechtlichen Gleichheiten sind keine vollständigen. Das gewillkürte
positive Völkerrecht modifizierte die prinzipielle Gleichheit der
Mächte nach natürlichem
Völkerrecht.
3. Neues und altes
Recht.: Vor allem aber stehen die Verträge zwar einerseits in dem
gesamteuropäischen Herkommen, stellen jedoch andererseits einen
qualifizierten Neubeginn dar. In der Regel knüpften Verträge an
ältere Verträge zwischen den Partnern an. Die Verträge von
Münster und Osnabrück knüpften jedoch nur im internen
Verfassungsrecht des Reiches an den Passauer und den Augsburger Religionsfrieden
von 1552 und 1555 an. Ältere völkerrechtliche Verträge wurden
nicht einbezogen.
Das lag zum einen daran,
daß Kaiser und Reich früher keine maßgeblichen vertraglichen
Regelungen mit den beiden Kronen Frankreich und Schweden getroffen hatten. In
den beiden Verträgen von Münster und Osnabrück werden die
Verhältnisse zwischen Kaiser und Reich und den beiden Vertragspartnern zum
ersten Mal grundlegend geregelt.
Die Verträge
von Münster und Osnabrück stellten aber auch inhaltlich einen
Neuanfang dar. Wie bereits erwähnt, erhielt das neue Recht der
Verträge durch Art. XVII
§ 3 IPO /
§ 113 IPM
gegenüber dem alten geistlichen wie weltlichen Recht im Konfliktfall den
Vorrang. Vor allem konnte nicht auf dieser Grundlage deren Ungültigkeit
behauptet werden. Auf diese Weise sollte zunächst die Rechtswirksamkeit
eines erwarteten und dann auch eingelegten Protestes des Papstes gegen die
Verträge aufgrund ihres unleugbaren Widerspruchs zum kanonischen Recht
ausgeschlossen werden. [19] Die Formel war aber ganz allgemein und
umfassend gehalten, sie erfaßte ausdrücklich das geistliche und
weltliche Recht, das im einzelnen ausgeführt wurde, u.a.
Konzilsbeschlüsse, kaiserliche und andere Kapitulationen, Rechtsurteile,
auch Konkordate und insbesondere den Prager Friedensvertrag von 1635, also auch
Völkerrechtsakte. Damit war das neue gewillkürte Völkerrecht, das
auf den rechtserheblichen Willen der Vertragspartner beruhte, zur ersten
Rechtsquelle für die Verhältnisse zwischen Staaten geworden und
verdrängte das herkömmliche, selbst das gottgesetzte kanonische Recht.
Das galt aber auch für das Verfassungsrecht. Zwar wurden durch die Amnestie
und vor allem die weitgehenden Restitutionen ältere Zustände im Reich
z.T. wiederhergestellt, oder es wurde doch an diese angeknüpft; doch wurden
auch erhebliche Neuregelungen notwendig. Das galt im geistlichen wie im
weltlichen und auch im territorialen Bereich. So war nach außen wie nach
innen eine Dispositionsfreiheit der Vertragspartner
vonnöten.
Das Herkommen war zwar nicht ohne
weiteres verfügbar, aber es war auch nicht unantastbar. So konnte durch
vereinbarte rechtliche Regelungen der zentrale Raum Europas in wesentlichen
Teilen geordnet werden. Auch bei der Bildung des neuen Völkerrechts wurde
die neugewonnene Souveränität der Mächte bestimmend, deren Inhalt
bereits im 16. Jahrhundert von dem französischen Staatstheoretiker und
-praktiker Jean Bodin bestimmt worden war: "de donner la loi à tous en
général et à chacun en
particulier". [20]
4. Konfessionelle
Neutralität: In den Verträgen wurde vor allem auch die
konfessionelle Neutralität des modernen Völkerrechts bestätigt
und vorangetrieben. Teilnehmer an dem Kongreß waren alle am Krieg
beteiligten Mächte, unabhängig von ihrer Konfession. Zwar wurde ein
"christlicher Friede", "pax christiana", im "Namen der allerheiligsten
Dreifaltigkeit", "in nomine sacrosanctae et individuae trinitatis", geschlossen;
aber es handelte sich um eine allgemeine Christlichkeit, keine konfessionelle.
Nicht nur waren Katholiken, Lutheraner und Calvinisten Partner der
Verträge; auch die Orthodoxen wurden mit dem Großfürsten von
Moskau in das IPO und damit in die Völkerrechtsgemeinschaft einbezogen. Zu
dieser gehörte auch der Papst, aber nicht mehr als geistliches Oberhaupt
Europas oder der Welt, sondern als weltlicher Herrscher eines Territoriums. Auch
die geistlichen Reichsstände haben nur als Inhaber weltlicher Herrschaft an
der neuen Ordnung teil, nicht als Inhaber geistlicher Löse- und
Bindegewalt. Sogar der Sultan war, wenn auch in modifizierter Weise, Glied der
Völkerrechtsgesellschaft.
5. Garantie:
Die ebenfalls bereits erwähnte neuartige Garantie des Art. XVII
§§ 5, 6 IPO
§§ 115,
116 IPM durch die Vertragspartner sollte sich in zwei Stufen vollziehen.
Zunächst war gütlicher Vergleich oder rechtliche Entscheidung
anzustreben. [21] Erst wenn das binnen drei Jahren nicht zum Erfolg
führte, durfte zu den Waffen gegriffen werden. Diese Garantie trat an die
Stelle der älteren Garantie durch die Verknüpfung von Beeidung des
Vertrages durch die Vertragspartner und deren Unterwerfung unter die
päpstliche Binde- und Lösegewalt. [22] Die Verträge von
Münster und Osnabrück wurden nicht mehr beeidet. Ähnliche
Regelungen finden sich in späteren Verträgen. Aber auch diese
Regelungen beziehen sich immer nur auf diese Verträge. Zwar entsteht so ein
neues Instrument des Völkerrechts, aber es wird kein allgemeines System
friedlicher Streitbeilegung oder gar kollektiver Sicherheit
begründet.
6. Kongreßdiplomatie:
Auf dem Kongreß waren die Kriegsteilnehmer, aber auch andere Mächte
vertreten, sei es als Vermittler, so der Papst und die Republik Venedig, sei es
als Interessierte, so der König von Portugal oder die Stadt Basel. Zwar
waren nicht alle europäischen Staaten vertreten, trotzdem wurde durch die
große Zahl der anwesenden Mächte deutlich, daß eine allgemeine
Sache verhandelt wurde, die gemeinsam zu bewältigen
war.
Ein derartiger Kongreß prinzipiell
gleichberechtigter Vertreter der Monarchen, Republiken und sonstigen Mächte
war ohne Vorbild. Konzilien und Reichstage waren unvergleichbar, da diese eine
innere Ordnung hatten. Die rechtliche Stellung der einzelnen Teilnehmer war
festgelegt; die Formen und Verfahren der Verhandlungen waren vorgegeben. Es gab
eine Leitung etc. Das war hier nicht der Fall. Alles mußte neu entwickelt
werden. [23] Dabei waren protokollarische Fragen von höchster
Bedeutung. Man verhandelte in der Regel zweiseitig, in Osnabrück direkt, in
Münster durch die Vermittler. Vollsitzungen aller Vertreter hat es nie
gegeben. Da die Verhandlungen an zwei Orten zwischen verschiedenen Partnern
über teils identische, teils verschiedene Gegenstände stattfanden,
aber ein einheitliches Friedenssystem entstehen sollte, vor allem auch
Separatfrieden ausgeschlossen werden sollten, bedurfte es sehr komplizierter
Abstimmungsprozeduren und -verhandlungen zwischen den Verbündeten, deren
Ergebnisse dann gegen die jeweils andere Seite noch durchgehalten werden
mußten. Erschwert und kompliziert wurden die Verhandlungen ferner durch
die Beteiligung der Reichsstände und die Sonderwünsche kleinerer
Mächte.
Der Kongreßablauf bekam
seinerseits eine rechtsprägende Funktion. Waren einmal bestimmte Stadien
inhaltlicher Regelungen durch die Propositionen der Gesandten, Abreden zwischen
ihnen oder gar schriftliche Fixierungen erreicht, konnten die Parteien in der
Regel nicht mehr dahinter zurück, obwohl rechtliche Bindungen noch nicht
eingetreten waren. Die Texte beider Verträge entstanden über einen
langen Zeitraum. Sie mußten zudem eng aufeinander abgestimmt werden. In
wesentlichen Teilen, die den allgemeinen Frieden wie den reichsinternen
Landfrieden betrafen, mußten sie textidentisch sein. Beide Verträge
bildeten ein Vertragswerk. Das führte nicht nur zu einem komplizierten
Verhandlungsgefüge, sondern auch zu Verschachtelungen in den Texten. Da
bedurfte es solcher sukzessiven Festschreibungen, auf denen dann jeweils die
nächste Absprache aufbauen konnte. Dieses Verfahren wird
gewissermaßen hier geboren. Aber es wird dann auch weiterhin verwendet,
ausgebaut und verfeinert.
Insgesamt war es
gelungen, das moderne gewillkürte Vertragsvölkerrecht funktionabel zu
machen und auf der Grundlage prinzipieller rechtlicher Gleichheit aller
Vertreter, mit protokollarischer Differenzierung zwischen ihnen, ein
kompliziertes Vertragswerk zwischen mehreren Beteiligten auszuhandeln und
abzuschließen. Seine Dauerhaftigkeit und Zukunftswirksamkeit standen aber
unter dem Vorbehalt seiner Einhaltung.
VI.
Fortwirkung der Verträge
1. Pax perpetua:
Die beiden Verträge begründeten rein äußerlich keine
pax perpetua. Der französische König und Kaiser und Reich
führten 1672 wieder Krieg. Mit Schweden kam es bereits 1655 erneut zum
Krieg, da der Kaiser und einige Reichsstände nach dem Auslaufen des
schwedisch-polnischen Waffenstillstandes von 1635 auf Seiten Polens gegen
Schweden kämpften. Weitere Kriege folgten bis zum spanischen Erbfolgekrieg.
Es mußten daher auch immer neue Friedensverträge geschlossen werden:
1679 in Nimwegen, 1697 in Rijswijk, 1713 in Utrecht. Danach gab es weitere
Kriege. Jedoch wurde der jeweils neue Friedensschluß zwischen
Vertragspartnern eines der Verträge von Münster und Osnabrück auf
diese als norma bzw. norme oder fundamentum bzw.
base gestützt. Die durch sie geschaffene Regelung des gegenseitigen
Verhältnisses der Vertragspartner wurde also als grundlegend und dauerhaft
angesehen, die in den Strukturen und maßgeblichen Details nicht
verändert werden sollte, sondern deren Sicherung und Weiterentwicklung
anstand.
Verträge, die die eine oder andere
der Vertragsparteien der Westfälischen Friedensverträge mit anderen
Partnern oder die andere Mächte untereinander schlossen, nahmen die
Verträge von Münster und Osnabrück zunächst nicht in sich
auf. Sie waren eben keine allgemein-europäischen, sondern partikulare
Verträge zwischen bestimmten Partnern.
2.
Droit public de l'Europe: Die Verträge von Münster und
Osnabrück bilden auch einen Baustein in der rechtlichen wie politischen
Ordnung Europas, die durch die bereits genannten, aber auch durch weitere
Verträge im 18. Jahrhundert weiter ausgebaut wurde. [24] Es wurden
wiederum große Kongresse veranstaltet, um den europäischen Frieden
jeweils wiederherzustellen. Es wurde auch wiederum eine Vielzahl miteinander
verknüpfter bilateraler Verträge geschlossen; allerdings waren diese
Verknüpfungen weder formell noch inhaltlich so dicht und eng wie 1648;
dennoch wurden jeweils Gesamtregelungen gesucht und
erreicht.
Bereits das 18. Jahrhundert sah in
dieser Abfolge von Verträgen zur jeweils neuen vertraglichen
Friedensgewinnung die Herausbildung eines vertraglichen Europäischen
Öffentlichen Rechts, "droit public de l'Europe", "fondé sur les
traités" [25], eine selbstgeschaffene, vertragliche, konsensual
gebildete allgemeine Rechtsordnung. Kleinere Verträge betteten sich in
diese ein und vervollständigten sie. Zwar sind sie alle partikulare
Verträge zwischen den jeweiligen Partnern, aber sie ergänzen
sich.
Trotzdem entsteht keineswegs ein
geschlossenes Recht. Es regelt nicht alle Fragen und Probleme, sondern jeweils
nur Teilaspekte, die sich aus dem vorhergegangenen Kriegsverhältnis
ergaben, allenfalls einige Grundprinzipien, wie seit Utrecht 1713 das
Gleichgewicht der Mächte.
Noch gelingt es
nicht, die Zukunft zu regeln, indem etwa allgemeine Verfahren und Institutionen
zur Streitbeilegung entwickelt wurden. Die erwähnten
Streitbeilegungsklauseln gelten nicht für zukünftige, neue Konflikte,
weder für die Vertragspartner noch für dritte Staaten. Für deren
Lösung gibt es keine "cooling-off"-Phase vor einem Krieg. Dieses Recht
verhindert nicht neue Kriege auf Grund neuer Konflikte, aber es bildet einen
Rahmen für diese. Vertragliche Friedensbegründung ist im 17. und 18.
Jahrhundert immer durch neuen Krieg gefährdet und daher nie endgültig.
Es entsteht jedoch ein rechtliches, normatives Netz, das über 150 Jahre die
Kriege bändigt, eine allgemeine Grundlage, die immer wieder die
Rückkehr zu einem einvernehmlich hergestellten Frieden
ermöglicht.