DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
ANTON SCHINDLING Andersgläubige Nachbarn Mehrkonfessionalität und Parität in Territorien und Städten des Reichs |
Zu den besonderen Kennzeichen der
deutschen Geschichte in der Neuzeit gehört seit der Glaubensspaltung im 16.
Jahrhundert das konfessionelle Nebeneinander von Protestanten und Katholiken,
zeitweise auch von Lutheranern und Reformierten, wobei dieses Nebeneinander
stets geographisch unterschiedlich verteilt war. [1] Die Aufteilung der
Konfessionen ergab sich dabei seit den Anfängen der Reformation
gemäß den territorialen und städtischen Einheiten des Alten
Reiches, was durch den reichsrechtlichen Grundsatz des cuius regio eius
religio festgelegt wurde. In Abhängigkeit von obrigkeitlichen
Entscheidungen durch Landesfürsten und Stadtmagistrate bildeten sich
evangelische oder katholische Identitäten in Territorien und Städten
heraus, die in der Folgezeit die wechselseitige Wahrnehmung der Deutschen aus
unterschiedlichen Regionen ganz wesentlich mitbestimmten. Erlebnis und Erfahrung
der fremdkonfessionellen Nachbarschaft gehören zu den
mentalitätsbestimmenden Faktoren der deutschen Geschichte, wobei die
wechselseitige Wahrnehmung im Alltag oft von unsichtbaren Grenzen, von
Mißtrauen, Unkenntnis, Vorurteilen
und
Gehässigkeiten bestimmt war, auf der offiziellen Ebene aber von einer
starken Tendenz zur Juridifizierung im Sinne einer rechtlichen Parität und
Gleichbehandlung. Letzteres ist bis in das geltende Recht zwischen Staat und
Kirche in der Weimarer Reichsverfassung und im Bonner Grundgesetz eingegangen.
Daß all diese Tendenzen so wirkungsmächtig wurden, ist nicht zuletzt
dem Westfälischen Frieden zuzuschreiben, der als Reichsgrundgesetz gerade
die Religionsverfassung der deutschen Länder und Städte dauerhaft
regelte.
Es gab im Alten Reich Territorien und
Städte, die konfessionell weitgehend homogen waren und so dem Modell des
geschlossenen Konfessionsstaates entsprachen. Aber es gab daneben eine Vielzahl
von politischen Einheiten, die mit unterschiedlichen Anteilen konfessionell
gemischt waren, die den Minderheiten einen offiziellen Status einräumten
oder die sogar eine konfessionell paritätische Verfassung hatten. Der
Westfälische Frieden bestimmte in seinem Osnabrücker Teilfrieden fast
immer direkt oder indirekt die Positionen von Mehrheiten- und
Minderheitenkonfession und ihre Einbindung in die territoriale oder
städtische kirchliche Ordnung. Dafür war in erster Linie die
Normaljahrsregelung maßgebend, die die Besitzstände von Katholiken
und Augsburger Konfessionsverwandten auf den Stichtag des 1. Januar 1624
festschrieb. Zwischen Lutheranern und Reformierten sollte ein ähnlicher
Normaltermin mit dem Abschlußdatum des Westfälischen Friedens 1648
gelten. Bei Konfessionsstreitigkeiten war so eine formalisierte
Entscheidungsnorm gegeben, die nach den verworrenen Besitz- und
Konfessionswechseln des Dreißigjährigen Krieges Beruhigung und
Rechtssicherheit versprach. Die konkreten Auswirkungen des Normaljahrstermins
waren dabei vielfach von lokalen Umständen und Zufällen abhängig
- je nachdem, wie sich die besonderen Verhältnisse am 1. Januar 1624
gestaltet hatten. Dennoch lassen sich in der bunten Vielfalt der Territorien und
Städte des Reiches mehrere Typen von zweikonfessionellen oder sogar
dreikonfessionellen Konfigurationen ausmachen, die im folgenden beschrieben
werden sollen.
Der geschlossene Konfessionsstaat,
wie er katholischerseits in Spanien, Portugal und den italienischen Staaten,
lutherischerseits in den skandinavischen Königreichen verwirklicht war,
blieb auf dem Boden des Reiches nur annäherungsweise möglich. Am
nächsten kamen diesem Staatsmodell die habsburgischen Erblande, für
die gemäß dem Westfälischen Frieden das Normaljahr 1624 nicht
galt, da der Kaiser hier die während des Dreißigjährigen Krieges
durchgeführte Gegenreformation absichern wollte. [2] Aber die
habsburgische Rekatholisierung hatte ihre Lücken. Trotz der
Illegalität überlebten in den österreichischen Alpenländern,
in Böhmen und Mähren in abgelegenen ländlichen Gebieten im
Geheimen zahlreiche protestantische Gemeinden. Weltliche und kirchliche
Obrigkeiten wurden des Phänomens nicht Herr - weder durch Zwang, noch durch
geistliche Werbung. Eine geheime protestantische Schriftenmission aus den
Reichsstädten Regensburg und Nürnberg und aus Sachsen
unterstützte die verfolgten Glaubensbrüder. Auch Zwangsumsiedlungen
nach Siebenbürgen, wo die Protestanten Religionsfreiheit genossen,
lösten das Problem nicht. Als schließlich Kaiser Joseph II. 1781 das
Ruder herumriß und seinen nichtkatholischen Untertanen Toleranz
gewährte, meldeten sich die bislang illegalen Protestanten zu Hunderten und
ließen sich als Bethausgemeinden von den Behörden registrieren. Einen
Sonderfall unter den habsburgischen Ländern stellte 1648 Schlesien
dar. [3] In Schlesien mußte der Kaiser auf Drängen
Kursachsens und Schwedens den Protestanten einen offiziellen Status
einräumen. In der Stadt Breslau und in den noch von der einheimischen
Dynastie der Piasten regierten Mediatfürstentümern Liegnitz, Brieg und
Wohlau sollte öffentliche Religionsausübung für die Augsburger
Konfessionsverwandten erlaubt sein, und in den habsburgischen
Erbfürstentümern sollten an drei Orten, nämlich in Schweidnitz,
Jauer und Glogau, protestantische Kirchen neu erbaut werden dürfen, die
sogenannten Friedenskirchen. Den tatsächlichen
Konfessionsverhältnissen in der schlesischen Bevölkerung entsprach
dies allerdings nicht; vor allem in Oberschlesien waren die Protestanten in
einer ähnlichen Situation der Illegalität wie in den anderen
böhmischen und österreichischen Ländern. In Fortschreibung des
Westfälischen Friedens hat hier erst die Altranstädter Konvention von
1707 eine weitergehende Regelung zugunsten der protestantischen
Bevölkerungshälfte Schlesiens gebracht, als König Karl XII. von
Schweden von Kaiser Joseph I. als Zugeständnis den Bau weiterer
evangelischer Kirchen, der sogenannten Gnadenkirchen,
erzwang.
Ähnliche Verhältnisse wie in
den österreichischen Alpenländern bestanden in den benachbarten
geistlichen Fürstentümern Salzburg und Berchtesgaden, wo ein
ländlicher Geheimprotestantismus überlebte, der nicht die Chance
hatte, sich auf öffentlichen Gottesdienst im Normaljahr 1624 berufen zu
können. Als der Salzburger Fürsterzbischof 1732 seine protestantischen
Untertanen vor die Alternative Konversion oder Auswanderung stellte, hatte er
das formale Reichsrecht des Westfälischen Friedens auf seiner Seite,
belastete mit seinem Vorgehen jedoch schwer die interkonfessionellen Beziehungen
im Reich. [4] Sehr viel geschlossener als Salzburg stellte sich 1648 das
Kurfürstentum Bayern in seiner landeseinheitlichen Katholizität dar,
das auch die während des Krieges durchgeführte Rekatholisierung der
Oberpfalz unbeeinträchtigt über die Westfälischen
Friedensverhandlungen hinwegbrachte. [5] Auch das katholische Bayern
mußte jedoch mit den lutherischen Enklaven der Reichsstadt Regensburg und
der Grafschaft Ortenburg leben sowie mit der protestantischen Nachbarschaft in
Franken und Schwaben. Die Reichsunmittelbarkeit einer noch so kleinen
territorialen oder städtischen Einheit schützte gemäß dem
Westfälischen Frieden die von dem übermächtigen Nachbarn
abweichende Konfession. Ähnliche Konstellationen gab es öfter im
Reich, so beispielsweise mitten in der protestantischen Landgrafschaft Hessen
die kurmainzischen katholischen Enklaven Amöneburg, Neustadt, Naumburg und
Fritzlar oder das ebenfalls kurmainzische Eichsfeld zwischen lutherischen
Territorien der Wettiner und Welfen. [6] Der Geheimprotestantismus in
Österreich, Böhmen und Salzburg einerseits und das reichsunmittelbare
Zwergterritorium bzw. die reichsunmittelbare Enklave inmitten eines
konfessionell geschlossenen größeren Territorialstaats andererseits
sind zwei einander entgegengesetzte Grenzfälle im Spektrum der im Reich
möglichen Konfigurationen von Mehrkonfessionalität. Schlesien vertritt
daneben eine weitere Möglichkeit, nämlich den durch auswärtige
Verträge abgesicherten Minderheitenstatus einer Konfession. Mit Schlesien
vergleichbar war die Situation in den Lausitzen, wo die Abtretungsverträge
zwischen dem Kaiser und dem Kurfürsten von Sachsen den letzteren
verpflichteten, den Minderheitenstatus der Katholiken zu
bewahren. [7]
Die Lausitzer Katholiken
konnten sich gegenüber dem neuen sächsischen Landesherrn auch auf das
Normaljahr des Westfälischen Friedens berufen. Dies galt ebenso für
die katholischen Minderheitenpositionen in den seit dem 16. Jahrhundert
mehrheitlich lutherischen geistlichen Fürstentümern Magdeburg,
Halberstadt und Minden, die im Westfälischen Frieden an Kurbrandenburg
abgetreten wurden mit der ausdrücklichen Verpflichtung für den
Kurfürsten von Brandenburg, die Konfessionsverhältnisse zu
wahren. [8] Die katholischen Minoritäten scharten sich in allen
diesen Fällen um kirchliche Institutionen wie Domkapitel, Stiftskapitel
oder Klöster, die im Normaljahr ganz, teilweise oder auch nur noch mit
Randpositionen katholisch gewesen waren. Solche jetzt vom Normaljahr
abgesicherten Minderheitenpositionen markierten Grenzen der
Konfessionalisierungen in den vorangegangenen Jahrzehnten - Grenzen, die sich
manchmal aus glaubensfestem Widerstand von Minoritäten, manchmal auch nur
aus Zufällen stabilisiert hatten. Die fortbestehenden katholischen
Domherrenstellen, Stifte und Klöster in einem protestantischen Umfeld im
Norden hatten dem lutherischen Konfessionalisierungsdruck standgehalten, ebenso
wie gegenüber katholischen Landesherren die Protestanten in Erfurt und im
habsburgischen Schlesien. [9] Sogar im evangelischen Fürstbistum
Lübeck überlebten vier katholische Domherrenkanonikate im
Domkapitel. [10] Die Konfessionsverteilung des Normaljahrs 1624 legte
bis hinein in einzelne Ortschaften die Grenzen der gegenseitigen
Konfessionalisierbarkeit unwiderruflich fest. [11] In einer Reihe von
evangelischen Reichsstädten überdauerten so katholische Stifte und
Klöster sowie die - ohnehin reichsunmittelbaren und damit dem Zugriff des
reichsstädtischen Magistrats entzogenen - Kommenden des Deutschen Ordens.
Frankfurt am Main, Nürnberg, Regensburg, Wetzlar, Worms, Dortmund, Ulm und
Heilbronn seien hier als Beispiele genannt. [12] In Wetzlar wurde und
wird die Stifts- und Pfarrkirche St. Marien sogar simultan genutzt; die
Bikonfessionalität der kleinen Reichsstadt an der Lahn war eine wichtige
Voraussetzung dafür, daß am Ende des 17. Jahrhunderts das
Reichskammergericht von Speyer hierher verlegt wurde. Ein Sonderfall war die
Reichsstadt Regensburg, in der die lutherische Bürgerschaft einer Vielzahl
von katholischen Einrichtungen gegenüberstand - vom reichsunmittelbaren
Fürstbistum Regensburg über die ebenso reichsunmittelbare Abtei St.
Emmeram bis hin zu einer ganzen Reihe von weiteren Stiften und Klöstern,
gegen die der Rat keine Machtmittel
hatte.[13]
Die Mehrheit der Einwohner war
in Regensburg durch Zuwanderung schon einige Jahrzehnte nach dem
Westfälischen Frieden wieder katholisch, während das
Reichsstadtregiment bis zum Ende des Alten Reiches protestantisch blieb.
Demgegenüber erreichten die Katholiken in den anderen evangelischen
Reichsstädten, in denen abgesicherte katholische Rechtspositionen galten,
nirgendwo auch nur annähernd die Hälfte, geschweige denn eine Mehrheit
in der Einwohnerschaft. Eine Zuwanderung von Menschen, die nicht die
Stadtkonfession hatten, gab es immerhin in vielen der größeren
Reichsstädte. In den evangelischen Reichsstädten reichte das Spektrum
von katholischen Dienstboten bis zu katholischen Kaufleuten aus Italien. Blieben
die Zuwanderer auf Dauer, so erhielten sie meist das Recht von Beisassen, ganz
selten nur das Bürgerrecht - ein Beispiel für den Beisassenstatus sind
die italienischen Kaufleute, die sich schon bald nach dem Westfälischen
Frieden in der lutherischen Reichsstadt Frankfurt am Main niederzulassen
begannen. Eine katholische Migration in evangelische Städte wurde erkennbar
begünstigt durch die Existenz katholischer Institutionen, wie es auch in
Frankfurt die katholischen Stifte und Klöster waren. Eine ähnliche
Konstellation wie in evangelischen Reichsstädten gab es in einigen
größeren autonomen Territorialstädten. Hingewiesen sei hier auf
die klevische, dann kurbrandenburgische Stadt Soest, auf die Bischofsstädte
Hildesheim und Minden, auf das unter habsburgischer Herrschaft stehende
schlesische Breslau und auf das kurmainzische Erfurt: In diesen Städten,
deren Bürger zur Reformation übergetreten waren, überlebten
katholische Stifte, die auf Dauer die Präsenz von katholischen Minderheiten
garantierten.
Der Westfälische Frieden sagte
nichts aus über fremdkonfessionelle Zuwanderungen. Er sah - im Gegenteil -
das Auswanderungsrecht von Dissidenten vor, die sich der vom Normaljahr 1624
festgelegten Landeskonfession nicht anschließen wollten und die unter
Garantie ihres Besitzes in ein Territorium oder eine Stadt ihres Glaubens
auswandern durften. Dieses ius emigrandi sollte der konfessionellen
Homogenisierung von Territorien dienen, wie es noch 1732 bei der Ausweisung der
Salzburger (Geheim-)Protestanten durch den Fürsterzbischof praktiziert
wurde. Andererseits ließ eine Reihe von Städten und Territorien im
Reich aus wirtschaftlichen Gründen die Zuwanderung auch von Christen zu,
die nicht der eigenen Konfession anhingen - die gleichfalls wirtschaftlich
bedingte Zuwanderung von Juden muß hier außer Betracht bleiben. Die
lutherischen Handelsstädte Frankfurt am Main und Hamburg sind bekannte
Beispiele für Mehrkonfessionalität durch Migration [14]: Hier
konnten Katholiken und Calvinisten sich - als Beisassen, nicht als Bürger -
niederlassen und ihren Geschäften nachgehen; die Frage des
öffentlichen Gottesdienstes war allerdings ein Problem, wenn nicht das
Normaljahr zwingende Vorschriften zugunsten der Minderheit bereithielt (so zum
Vorteil der Katholiken in Frankfurt). Im Fall von Hamburg nutzten der Graf von
Schaumburg-Pinneberg und später der König von Dänemark die
Situation und gewährten von sich aus Religionsfreiheit im benachbarten
Altona (1592/94, 1640). Dabei wurden auch christliche Gruppen, wie etwa die
Mennoniten, einbezogen, für die das Reichsreligionsrecht des
Westfälischen Friedens keine Duldung vorsah. Eine solche über das
Reichsrecht hinausgehende Ermöglichung von Mehrkonfessionalität blieb
allerdings vorerst die Ausnahme. Sie wurde in Schleswig-Holstein früh auch
bei den Stadtneugründungen von Glückstadt (1616/17) und Friedrichstadt
(1621) praktiziert. [15]
Die großen
Wanderungsbewegungen, zu denen es im Reich nach dem Westfälischen Frieden
kam, waren lange noch stark konfessionell geprägt - wie die Zuwanderung in
die kriegszerstörten Gebiete der Kurpfalz, von Pfalz-Zweibrücken und
Württemberg, nach Hessen, Brandenburg-Preußen und nach Ungarn. Die
reformierten Schweizer und die Waldenser wurden von der Pfälzer und der
württembergischen Landeskirche integriert, die reformierten Hugenotten
verstärkten in Brandenburg-Preußen, in Hessen-Kassel, in
Hessen-Homburg oder in der wetterauischen Grafschaft Ysenburg die Konfession der
gleichfalls reformierten Landesherren, die Salzburger kamen in Ostpreußen
in ein lutherisch konfessionalisiertes Territorium, und zur Neubesiedlung
Ungarns wurden zunächst nur katholische Donauschwaben eingeladen. Obwohl
das Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden lebhafte
Migrationsströme im Reich brachte, wurde dadurch die im Frieden
festgeschriebene Konfessionskarte der deutschen Länder und Städte
zunächst allenfalls lokal verändert - am meisten noch in der Kurpfalz
und in Pfalz-Zweibrücken, zwei von der Ausgangslage her reformierten
Territorien, die sich durch lutherische und katholische Zuwanderung seit der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu dreikonfessionellen Gebieten
verwandelten. [16]
Der Aufschwung des
Katholizismus in der Kurpfalz, die vor dem Dreißigjährigen Krieg
einmal das Herzland des deutschen Calvinismus gewesen war, resultierte aus dem
dynastischen Herrscherwechsel des Jahres 1685: Auf die reformierte Simmerner
Linie der Pfälzer Wittelsbacher folgte die katholische Linie Pfalz-Neuburg,
von deren Kurfürsten die Rekatholisierung der Pfalz betrieben wurde - unter
Umgehung des Westfälischen Friedens und mit einem zumindest teilweisen
Erfolg. Die Neuburger Rekatholisierungspolitik in der Pfalz wurde möglich
im Zusammenspiel mit Frankreich durch die Rijswijker Klausel von 1697, die in
den Friedensvertrag nach dem Pfälzer Erbfolgekrieg eingefügt wurde und
die in den während des Krieges von den Franzosen besetzten Orten den
öffentlichen katholischen Gottesdienst garantierte. Es kam in der Folge in
der Kurpfalz zu erheblichen konfessionellen Zwistigkeiten, die zwar die
interkonfessionellen Beziehungen zwischen den Reichsständen schwer
belasteten, schließlich jedoch durch die von der Reichsverfassung
bereitgestellten Konfliktregelungsmechanismen eingedämmt wurden und sich
ebensowenig zu einem Flächenbrand ausweiteten wie alle noch nachfolgenden
Konfessionsstreitigkeiten im Alten Reich. [ ] In den meisten Orten der
Kurpfalz wurden die Kirchen dergestalt aufgeteilt, daß der durch eine
Mauer abgetrennte Chor den Katholiken und das Schiff den Reformierten zur
Verfügung standen. Auch die Lutheraner, die ebenso wie die Katholiken durch
Zuwanderung ins Land kamen, erhielten Kirchen für ihren öffentlichen
Gottesdienst; im Fall der Stadt Oppenheim am Rhein schrieb dies sogar der
Westfälische Frieden vor, der damit die mehrkonfessionelle
Nachkriegsentwicklung der Kurpfalz einleitete.
Das
Normaljahr des Westfälischen Friedens hinderte an sich Landesherren daran,
ihre eigene Konfession oder eine persönliche Konversion auch den Untertanen
aufzuzwingen. Obgleich der Westfälische Frieden das ius reformandi
der Landesobrigkeit und damit das Prinzip des cuius regio eius religio
explizit bestätigte, hob er es doch zugleich implizit mit der
Überordnung des Normaljahrs für die Zukunft auf. Die Konversion des
Landesherrn vom Protestantismus zum Katholizismus - was nach 1648 mehrfach
vorkam - konnte für ein evangelisches Land in unterschiedlichem
Ausmaß das Nebeneinander von zwei Konfessionen nach sich ziehen, indem
katholische Kirchengemeinden in Abweichung von dem Normaljahr 1624 neu errichtet
und gefördert und so die Spielräume des Westfälischen Friedens
jeweils ausgelotet wurden. In der Sekundogenitur Hessen-Rheinfels zum Beispiel
ermöglichte der Konvertit Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels die
Neugründung katholischer Gemeinden, im kleinen Fürstentum
Pfalz-Sulzbach in der Oberpfalz führte Pfalzgraf Christian August in den
Kirchen Simultaneen zugunsten seiner neuen katholischen Glaubensbrüder
ein. [17] In Hannover unter Herzog Johann Friedrich, in Schwerin unter
Herzog Christian Louis und in Dresden seit August dem Starken blieb der
Katholizismus auf eine Hofgemeinde im Umkreis des Fürsten und der
fürstlichen Familie begrenzt. So war es dann auch bei den späteren
Fürstenkonversionen im 18. Jahrhundert in Württemberg und
Hessen-Kassel. In Pfalz-Zweibrücken hatte die katholische Zuwanderung in
das kriegszerstörte Land bereits geraume Zeit vor der Nachfolge von
katholischen Herzögen in der Landesherrschaft begonnen. [18] Die
katholischen Residenzgemeinden in protestantischen Territorien der Barockzeit
hatten neben dem persönlichen Umfeld des Fürsten noch ein besonderes
Element durch die oft zahlreichen italienischen Hofkünstler, die eine
besondere Form der Arbeitsmigration mit konfessioneller Kontur darstellten. An
einer ganzen Reihe von deutschen Fürstenhöfen wurden so - ähnlich
wie in den großen Handelsstädten - die strengen
Konformitätsmuster der Konfessionalisierung seit der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts durchbrochen und damit in Frage
gestellt.
Die brandenburg-preußische
Konfessionspolitik wird oft als eine Art "Königsweg" zur Toleranz in der
deutschen Geschichte dargestellt - dies im Kontrast zu Österreich und den
anderen größeren Territorien des Alten Reichs. Jedoch muß dabei
auch, mehr als es meistens geschieht, auf die Rahmenbedingungen eingegangen
werden, die der Westfälische Frieden für die Berliner Regenten
setzte. [19] Seit dem Übertritt Kurfürst Johann Sigismunds zum
Calvinismus 1613 bildete sich in der Mark Brandenburg eine spezifische Form von
innerprotestantischer Zweikonfessionalität heraus: Das Land blieb
lutherisch, was der Kurfürst den Ständen 1615 auch vertraglich
zusichern mußte, die Dynastie, der Hof, die hofnahe Beamtenschaft und die
Landesuniversität Frankfurt an der Oder bekannten sich demgegenüber
zum Reformiertentum. Der Calvinismus profilierte sich in
Brandenburg-Preußen als eine Hof- und Beamtenreligion - dies im Gegensatz
zu anderen reformierten Territorien wie der Kurpfalz, Nassau-Dillenburg,
Wittgenstein, Bentheim-Tecklenburg, Lippe, Anhalt und Ostfriesland, wo die
reformierte Kirche entweder das gesamte Land oder doch zumindest wesentliche
Teile des Landes umfaßte. [20] Wenn es auch in Ostfriesland, Lippe
und Anhalt im territorialen Kontext ein andauerndes Nebeneinander von
Reformierten und Lutheranern gab, so war die reformierte Kirche doch nirgendwo
so prononciert eine Religionsgemeinschaft von Herrschafts- und Funktionseliten
wie in Brandenburg-Preußen. Durch die Ansiedlung der aus Frankreich
vertriebenen Hugenotten unter dem Großen Kurfürsten und deren
Stellung als eine staatsnahe, privilegierte Zuwanderergruppe wurde dieser
Charakter des Reformiertentums in den hohenzollernschen Territorien noch
verstärkt. Daß führende ostpreußische Adelsfamilien, wie
die Grafen von Dohna und von Finckenstein, ebenfalls zum Calvinismus
übertraten, paßt in dieses Bild der calvinistischen
Minderheitenposition, die für den werdenden preußischen Gesamtstaat
von einer tragenden Bedeutung werden
sollte.
Über die lutherisch-calvinistische
Zweikonfessionalität hinaus hatte sich für die Berliner
Kurfürsten jedoch früh der Zwang auch zur Duldung katholischer
Untertanen ergeben, und zwar durch das jülisch-klevische Erbe am
Niederrhein und in Westfalen seit 1609/1614. Die klevischen Herzöge hatten
in ihren Territorien aus erasmianischer Gesinnung auf Konfessionszwang
verzichtet und die freie Entfaltung aller drei Konfessionen zugelassen, was zu
einer unterschiedlich durchmischten Dreikonfessionalität in Jülich,
Berg, Kleve, Mark und Ravensberg führte. [21] In den
Erbverträgen zwischen Pfalz-Neuburg und Kurbrandenburg über die
Teilung der klevischen Lande wurde die Garantie für alle drei Bekenntnisse
festgelegt. Im Westfälischen Frieden wurden die Erbverträge über
die jülisch-klevischen Territorien zwar nicht erwähnt, aber es war
klar, daß die Normaljahrsregelung diese einschloß; allerdings gab es
noch Auseinandersetzungen, ob für diese Gebiete nicht ein früheres
Normaljahr als 1624 gelten müsse. Bei allen andauernden Reibereien zwischen
Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg wurde jedoch die grundsätzliche Festlegung
auf eine dreikonfessionelle Duldungspolitik in den fünf Territorien des
jülich-klevischen Erbes nie in Frage gestellt. Die Berliner Hohenzollern
wurden vielmehr durch den Westfälischen Frieden zusätzlich auf die
Gewährleistung der katholischen Minderheitenpositionen in den ehemaligen
geistlichen Fürstentümern Magdeburg, Halberstadt und Minden
verpflichtet, die 1648 zugunsten von Kurbrandenburg als Entschädigung
für Vorpommern säkularisiert wurden. Brandenburg-Preußen war
somit spätestens seit dem Westfälischen Frieden zumindest für
alle seine Territorien westlich der Elbe an eine mehrkonfessionelle
Minderheitenpolitik gebunden, die breiter angelegt war als in fast allen anderen
Territorien und Städten des Reichs. Im 18. Jahrhundert wurde diese
pragmatisch und reichsrechtlich begründete Toleranzpolitik dann durch die
Ideen des Naturrechts und der Aufklärung auch staatstheoretisch legitimiert
und sicherte Preußen einen Modernitätsvorsprung vor der
Habsburgermonarchie und anderen
Reichsterritorien.
Die Territorien der sogenannten
Zweiten Reformation waren auch sonst vom Westfälischen Frieden direkt
betroffen, und zwar mehrfach im Sinne einer Festschreibung von
lutherisch-reformierter Zweikonfessionalität. Das innerprotestantische
Normaljahr 1648 verankerte, daß beispielsweise die reformierten Landgrafen
von Hessen-Kassel in ihrem oberhessischen Landesteil um Marburg [22]
ebenso wie in dem hessischen Anteil an der Grafschaft Schaumburg das lutherische
Bekenntnis der Untertanen sowie den lutherischen Konfessionsstand der
Universität Rinteln gewährleisten mußten, daß die
reformierten Grafen zur Lippe an dem lutherischen Bekenntnis ihrer
Territorialstadt Lemgo nicht rühren durften und daß ebenso die
gleichfalls reformierten Grafen von Schaumburg-Lippe ihr Bekenntnis auf die
Schloßkapelle begrenzt halten und die lutherische Landeskirche
unbeeinträchtigt lassen mußten. [23] In Ostfriesland wurde
die konfessionelle Teilung des Landes zwischen Lutheranern und Reformierten
durch das Reichsrecht des Westfälischen Friedens zusätzlich
garantiert. Andererseits war umstritten, ob das Normaljahr des
Westfälischen Friedens auch in der dem Haus Oranien-Nassau gehörenden
Grafschaft Lingen an der Ems Geltung habe, als es dort während der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts zu erbitterten Konfessionskämpfen zwischen
reformierter Landesherrschaft und katholischer Bevölkerungsmehrheit
kam. [24] Die reichsunmittelbare reformierte Enklave Burgsteinfurt
mitten im katholischen Münsterland konnte sich ihrerseits gegen
Rekatholisierungsversuche des Kanonenbischofs Christoph Bernhard von Galen
behaupten, obwohl es diesem gelang, einen der Grafen von Bentheim zur Konversion
zu bewegen. Das Normaljahr bildete wie stets im Reich eine starke
Schutzwehr.
Die konfessionelle Entschiedenheit der
Zeit nach 1648 hatte sich jedoch erst allmählich herausgebildet. In den
Territorien und Städten des Heiligen Römischen Reichs trafen
frühe und späte Konfessionalisierungen im Zeitraum zwischen dem
Augsburger Religionsfrieden und dem Dreißigjährigen Krieg offenbar
auf einen von Generation zu Generation sich verdichtenden Prozeß der
religiös-konfessionellen Identitätsfindung und Traditionsbildung - ein
gestreckter Prozeß, in dem sich Druck von oben und Akzeptanz von unten
verbanden. Abgesehen von Stammländern der Reformation wie Sachsen, Hessen
und (Herzogtum) Preußen und den früh evangelischen Städten wie
Nürnberg, Straßburg und Hamburg war der Prozeß der
breitenwirksamen Ausbildung von neugläubig-protestantischem und
altgläubig-katholischem Kollektivbewußtsein zeitlich sehr gedehnt. In
vielen Regionen gab es Mischformen zwischen alter Kirche und neuem Glauben, und
es gab auch "konfessionelles Niemandsland", wie der Historiker Volker Press es
für Gebiete und Familien der Reichsritterschaft formuliert
hat.
Die konfessionelle Unentschiedenheit und das
Offenhalten von Optionen waren in Kreisen des ritterschaftlichen Adels
verbreitet, vor allem wenn männliche und weibliche Familienangehörige
in reichskirchlichen Domkapiteln und Damenstiften bepfründet waren und die
Entscheidung für den neuen Glauben den Verlust von Pfründenchancen
bedeutete. Stabile konfessionelle Familienprofile bildeten die Niederadeligen -
sowohl reichsritterschaftliche [25] als auch im Territorium
landsässige Familien - oft erst im Laufe des 17. Jahrhunderts aus. Die
Reichsritterschaft als reichsunmittelbare Korporation vermied jedoch im ganzen
eine konfessionelle Festlegung ebenso wie ihre Teilgliederungen, die
Ritterkreise und Ritterkantone in Franken, Schwaben und am Rhein, die in ihrer
Mehrzahl hinsichtlich der Mitgliederfamilien und hinsichtlich der Untertanen
konfessionell gemischt waren. Den Mitgliedern der Reichsritterschaft blieb
grundsätzlich die Entscheidungsfreiheit zwischen den im Reich erlaubten
Konfessionen; die einzelnen Ritter hatten das Glaubensbekenntnis ihrer
dörflichen Untertanen bestimmt, wobei natürlich gerade bei einem
solchen reichsnahen Verband nach 1648 das Normaljahr strikte Beachtung fand.
Auch die von niederadeligen Mitgliedern geprägten geistlichen Ritterorden,
der Deutsche Orden und der Johanniterorden, hatten - bei katholischer Dominanz -
ihre evangelischen Teile; die Deutschordensballei Hessen in Marburg zum Beispiel
war sogar dreikonfessionell mit reformierten, lutherischen und katholischen
Ordensangehörigen. [26] Im Falle der Reichsritter erwiesen sich die
Strukturen des Reichs - ebenso wie bei den Reichskorporationen der Reichsgrafen
und der Reichsstädte - als nicht konfessionalisierbar; die Reichsverfassung
blieb resistent gegenüber jeglichen Vereinnahmungsabsichten von seiten
einer Konfessionspartei. Hier klafften Lücken zwischen den konkurrierenden
Konfessionalisierungen - und zwar mehrfach ganz konkret auf der konfessionellen
Landkarte.
Konfessionelle Niemandsländer
waren nicht nur reichsritterschaftliche Gebiete, sondern auch manche Kondominate
von verschiedenkonfessionellen Herren, so die zweiherrischen oder mehrherrischen
Gemeinherrschaften der badischen Markgrafen [27] oder der
Kurfürsten von Mainz und der Pfalz. In manchen Kondominaten war faktisch
Religionsfreiheit für die Untertanen gegeben, die sich der Konfession eines
der konkurrierenden Kondominatsherren anschließen konnten. Das Normaljahr
1624 galt natürlich nach dem Westfälischen Frieden für die
Benützung der Kirchen. In der kleinen Lebenswelt der badischen,
pfälzischen und mainzischen Kondominate im Schwarzwald, im Hunsrück
und im Taunus bildete sich ein besonderes Nebeneinander der Konfessionen im
Alltag der Menschen heraus. Gerade aus Kondominaten werden eigentümliche
Bräuche des konfessionellen Zusammenlebens erzählt: In Tigerfeld auf
der Schwäbischen Alb, einem Kondominatsdorf zwischen Württemberg und
einem Reichsritter, gab es ein konfessionell geteiltes Bauernhaus; je nachdem in
welcher Haushälfte die Kinder geboren wurden, erhielten sie die Taufe in
der ritterschaftlich-katholischen oder in der württembergisch-evangelischen
Kirche. In Eppstein, einem kurmainzisch-hessischen Kondominat im Taunus, fand
sich der Brauch bei konfessionell gemischten Ehen, daß die Trauung in der
einen Kirche und die Kindstaufen in der anderen erfolgten. Die Familien lebten
hier buchstäblich zwischen den Konfessionen. Solche
Kondominatsverhältnisse zeigen lebenspraktische Grenzen der
territorialstaatlichen Konfessionalisierung. Allerdings scheint es in manchen
Kondominaten sowie in reichsritterschaftlichen Herrschaften, deren Inhaber die
Konfession wechselten, auch eine feste Korrelation von Konfession,
bäuerlichem Besitz und dörflicher Sozialstruktur gegeben zu haben, vor
allem wenn nach dem Dreißigjährigen Krieg eine von dem
Normaljahrsbekenntnis abweichende anderskonfessionelle Zuwanderung erfolgte.
Insgesamt ist zu betonen, daß die allzu wenig bekannte
Konfessionsgeschichte der reichsritterschaftlichen Herrschaften ebenso wie die
der Kondominate noch ein lohnendes Feld für künftige Forschungen ist.
Die Häufigkeit und Praxis von konfessionell gemischten Ehen wäre dabei
ein besonderes Problem, und zwar auf der Ebene der Herrschaft ebenso wie auf der
der Untertanen.
Die Aufteilung der konfessionellen
Niemandsländer und die Sortierung der Gläubigen erfolgten oft erst
nach dem Friedensschluß von 1648. Jetzt bildeten sich auch
unterschiedliche konfessionelle Erinnerungskulturen aus, gerade im
Rückblick auf den Dreißigjährigen Krieg und den
Westfälischen Frieden - mit Wallfahrten, Gelöbnistagen und
Friedensfeiern. Zu einer definitiven Abgrenzung der Konfessionen in den
äußeren Erscheinungs- und Lebensformen kam es vielfach erst nach
1648. Nicht nur in dem Fürstbistum Osnabrück vor dem
Dreißigjährigen Krieg, worauf noch näher einzugehen ist, sondern
auch anderswo waren in Liturgie und kirchlichem Brauchtum die Grenzen zwischen
Luthertum und alter katholischer Kirche bis ins 17. Jahrhundert hinein
fließend - vor allem in norddeutschen und ostdeutschen Landeskirchen. Dies
gilt für das Luthertum in der Mark Brandenburg und in Schlesien, das in den
äußeren Formen stark altkirchlich geprägt blieb. Altäre und
Bilder in den Kirchen, die deutsche Messe, die Verwendung der alten liturgischen
Gewänder, Versehgänge und die Feier der traditionellen kirchlichen
Feiertage belegen diese Kontinuität über den Bruch in der
theologischen Lehre hinweg. In den welfischen Territorien bestanden Stifts- und
Klosterkonvente fort mit einer evangelisch-monastischen Tradition. [28]
Für die Wahrnehmung des einfachen Volkes muß die Reformation im
Erfahrungsraum solcher Landeskirchen eher als ein gleitender Übergang denn
als eine grundsätzliche Wende erschienen
sein.
Am Ende des Überblicks über
zweikonfessionelle und mehrkonfessionelle Konstellationen bei den Teileinheiten
des Reichs ist nunmehr die Parität zu behandeln, auf die der
Westfälische Frieden als zweite Stütze neben dem Normaljahr den
Religionsfrieden in Deutschland gründete. Der Osnabrücker Frieden
nennt die Parität eine "Aequalitas exacta mutuaque", und er
präsentiert auch zwei Modelle für konfessionell paritätische
Ordnungen bei Gliedern des Reichs, nämlich einerseits die vier
schwäbischen Reichsstädte Augsburg, Biberach, Dinkelsbühl und
Ravensburg und andererseits das Fürstbistum Osnabrück. Es handelt sich
dabei um Einheiten, die vor und während des Dreißigjährigen
Kriegs von besonders heftigen Konfessionskämpfen erschüttert wurden.
Sowohl in Osnabrück als auch in den vier schwäbischen
Reichsstädten, vor allem in Augsburg, standen sich Katholiken und
Lutheraner als zahlenmäßig und politisch etwa gleich starke Lager
gegenüber; während des Krieges hatten sie je nach dem Vorherrschen der
kaiserlichen und ligistischen oder der schwedischen Heere versucht, die
Gegenseite mit Gewalt zurückzudrängen, wodurch die wechselseitigen
feindseligen Emotionen geschürt worden waren. Nur eine strikt formale
Juridifizierung des konfessionellen Nebeneinanders konnte in diesen heiklen
Fällen das Konfliktpotential entschärfen und eine politische Zukunft
dieser reichsständischen Einheiten sicherstellen. Der Osnabrücker
Frieden brachte hier zwei unterschiedliche Formen von Parität zur
Anwendung: in den schwäbischen Reichsstädten [29] sollte
strikte Ämterparität durch kollegiale Doppelbesetzung der
städtischen Ämter mit Katholiken und Protestanten die Zusammenarbeit
sichern; im Fürstbistum Osnabrück [30] sollte
Verfahrensparität bei der Besetzung des fürstbischöflichen Stuhls
gelten durch die sogenannte "alternative Sukzession" abwechselnd von
katholischen und lutherischen
Fürstbischöfen.
In Augsburg wurden nicht
nur die Magistratsämter aufgeteilt, auch die Pfarreien und Pfarrkirchen
wurden verdoppelt. Katholische und lutherische Pfarrkirchen stehen mehrfach
direkt nebeneinander, ebenso die Spitäler; beide Seiten hatten auch ihre
Kirchenvermögen und ihr Bildungswesen, insbesondere Gymnasien, nämlich
das evangelische Gymnasium bei St. Anna und das katholische Jesuitengymnasium
St. Salvator. Eine "unsichtbare Grenze" zog sich fortan durch die große
Bürgerstadt am Lech. Die Augsburger Katholiken hatten eine starke
Stütze am Fürstbistum, wenngleich der Fürstbischof
außerhalb der Reichsstadt in Dillingen an der Donau residierte, sowie am
Haus Fugger, das vom führenden Handels- und Finanzhaus in den
Reichsgrafenstand mit Territorialbesitz im Umland aufgestiegen war. Für die
evangelischen Augsburger gab es keine derart einflußreichen Helfer in der
Stadt selbst, wohl aber die Unterstützung durch die etwas entfernteren
evangelischen Reichsstände. Ihre Dankbarkeit für die Errettung aus den
konfessionellen Bedrängnissen des Dreißigjährigen Kriegs
drückten die Augsburger Protestanten mit der alljährlichen Feier des
Friedensfestes aus, das zunächst ein rein evangelisches Dankfest war und
erst im 19. Jahrhundert den Charakter eines ökumenischen Stadtfestes
erhielt. In Biberach, Dinkelsbühl und Ravensburg wurden analoge
paritätische Einrichtungen wie in Augsburg getroffen; in Biberach wurde
sogar die alte Stadtpfarrkirche von beiden Konfessionen simultan genützt.
An dem Muster der vier Städte orientierte sich auch die
gemischtkonfessionelle kleine Reichsstadt Kaufbeuren ebenfalls in Ostschwaben,
die allerdings im Osnabrücker Frieden nicht genannt wird. Augsburg als die
wichtigste der paritätischen Reichsstädte war nach 1648 einerseits
durch verhärtete Fronten im alltäglichen Nebeneinander der
Konfessionen gekennzeichnet, durch Verfestigung der konfessionellen
Identitäten und der wechselseitigen Abgrenzung: Konfessionelle Mischehen
und Konversionen blieben im späteren 17. und im 18. Jahrhundert
äußerst selten. [31] Andererseits gab es aber doch auch
mancherlei wechselseitige Berührungen, zum Beispiel im Feld der
religiösen Kunst, da die Stadt am Lech auch in der späten
Reichsstadtzeit ihren Rang als überregionales Zentrum für
Kunstwerkstätten und Kunsthandwerk behauptete: Aus evangelischen Augsburger
Goldschmiedewerkstätten kamen so zahlreiche prachtvolle katholische
Barockmonstranzen.
In Osnabrück wurde die
komplizierte Regelung der alternativen Sukzession in der Landesherrschaft
gefunden, um einerseits die von den Protestanten auf dem Westfälischen
Friedenskongreß geforderte Säkularisation des etwa zur Hälfte
wieder katholischen Fürstbistums zu vermeiden und um andererseits die bei
dem Friedensschluß etwas zu kurz gekommenen Welfen mit einem
Territorialgewinn zufrieden zu stellen. Das Osnabrücker Domkapitel war -
bei drei protestantischen Domherrenstellen - ganz überwiegend katholisch
und sollte in kanonischer Weise die katholischen Fürstbischöfe in
jeder zweiten Amtsperiode wählen. Die mit diesen katholischen Regenten
alternierenden lutherischen Fürstbischöfe sollten dagegen aus der
Calenberger, d.h. Hannoveraner Linie des Welfenhauses genommen werden. In der
Regierungszeit eines evangelischen Fürstbischofs war der Kölner
Erzbischof als geistlicher Oberhirte auch für die Osnabrücker
Katholiken zuständig; die Lutheraner konnten sich dagegen zur Zeit
katholischer Regentschaften an Hannover anlehnen. Die Kirchen und Pfarreien in
Stadt und Stift Osnabrück wurden gemäß dem Normaljahrstermin 1.
Januar 1624 zwischen Lutheranern und Katholiken aufgeteilt.
Bevölkerungsmäßig dominierten die Evangelischen in der Stadt
Osnabrück, die Katholischen in Teilen des Territoriums. Über die
komplizierten Aufteilungsfragen wurde 1650 die Capitulatio Perpetua als
eigenes Osnabrücker Staatsgrundgesetz ausgehandelt. Festgelegt wurde
jeweils gemäß dem Normaltermin die Konfession der Pfarrer und des in
einer Kirche abzuhaltenden öffentlichen Gottesdienstes. Das
Fürstbistum Osnabrück war bis zum Beginn des
Dreißigjährigen Krieges ein konfessionelles Niemandsland besonders
verworrener Art geblieben. Als der tridentinisch-katholische Visitator Lucenius
in den 1620er Jahren die Osnabrücker Kirchengemeinden überprüft
hatte, waren sich die Pfarrer meist im unklaren gewesen, was die
Unterscheidungsmerkmale zwischen Katholizismus und Luthertum seien. Mischformen
wie Laienkelch und Lutherlieder in der Messe sowie die Priesterehe wurden mit
dem Osnabrücker Landesbrauch begründet. Der Schub der
Konfessionalisierung war in Osnabrück bis dahin noch gar nicht angekommen;
er wurde jedoch schließlich nach dem Westfälischen Frieden und der
Capitulatio Perpetua nachgeholt. [32] Die Untertanen hatten
faktisch Wahlfreiheit zwischen Katholizismus und Luthertum, mußten sich
aber für die kirchlichen Amtshandlungen Taufe, Hochzeit und Beerdigung an
die sprengelmäßig zuständige Pfarrkirche halten. Bei der
Aufteilung der Pfarreien kam es mehrfach zu Ungerechtigkeiten in der Weise,
daß die Konfession des Pfarrers gemäß Normaljahrstermin und die
Konfession der Gemeindemehrheit gegensätzlich waren, woraus in der Folge
noch mannigfache lokale Streitigkeiten erwuchsen. Erst 1786 wurden zwei
besonders extreme Fälle durch Neugründung je einer evangelischen und
einer katholischen Pfarrei bereinigt - der evangelischen in Schledehausen und
der katholischen in Fürstenau; an dieser Maßnahme war der bekannte
Osnabrücker Staatsmann und Aufklärer Justus Möser entscheidend
beteiligt. Trotz der Gemengelage und dem Nebeneinander im Alltag kam es im
Osnabrückischen nach 1648/50 zur Ausbildung bemerkenswert stabiler
konfessioneller Identitäten in den Familien und zu einer unsichtbaren
Grenze zwischen den beiden Konfessionsgemeinschaften in der Stadt Osnabrück
und dem Hochstift. Der interkonfessionelle Alltag im Osnabrückischen war
einerseits von Mißtrauen und vielfältigen Nadelstichen und Schikanen
bestimmt, andererseits aber auch von einem pragmatischen Miteinanderauskommen.
So wie bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein in Osnabrück die
kirchlichen Mischformen in Glauben und Gottesdienst sehr verbreitet gewesen
waren, so blieb es auch nach 1648 bei jetzt ausdifferenzierten konfessionellen
Formen selbstverständlich, daß zum Beispiel die gleichen
Kunsthandwerker für die barocken Innenausstattungen von katholischen und
evangelischen Landkirchen arbeiteten.
Das
Bildungswesen war in Augsburg und anderen zweikonfessionellen Städten - so
in Hildesheim, Regensburg und Breslau - und selbstverständlich auch in
Osnabrück von der konfessionellen Parität geprägt: Dem
lutherischen Ratsgymnasium stand in der Bischofsstadt an der Hase das
Domgymnasium, das katholische Carolinum, gegenüber. Die Parität
führte freilich auch zu einer Mentalität der eifersüchtigen
Besitzstandswahrung mit starren, kaum innovationsfähigen Verkrustungen in
der städtischen und territorialen Gesellschaft; dafür ist das Armen-
und Fürsorgewesen in Osnabrück ein Beispiel. Der ständige Zwang
zur Rücksichtnahme auf die mißtrauische anderskonfessionelle Seite
lähmte fast jede Initiative, die über Detailverbesserungen
hinausführte. In Augsburg hatte das System der paritätischen
Ämterbesetzungen ähnlich immobile Konsequenzen. Das Ende des
Paritätssystems mit seinen Fesseln am Beginn des 19. Jahrhunderts durch die
Säkularisation und Mediatisierung brachte sowohl für Osnabrück
als auch für Augsburg den Beginn der modernen Stadtentwicklung. Dennoch
hinterließ die Parität des Westfälischen Friedens in beiden
Städten ihre Spuren bis weit in das 20.
Jahrhundert.
Das paritätische Nebeneinander
der Konfessionen in Augsburg und Osnabrück war in mancher Hinsicht ein
wegweisendes Modell, das der Westfälische Frieden zur Lösung der
Konfessionskonflikte bereithielt. Im Spektrum der Möglichkeiten von
Zweikonfessionalität im Reich haben wir in der Parität das konsequente
Gegenbild zu den vorhin dargestellten Verhältnissen in den habsburgischen
Erblanden mit ihrem in den Untergrund abgedrängten Geheimprotestantismus.
Zwischen diesen beiden Gestaltungsformen liegt eine ganze Skala von
Konfigurationen des zwei- oder dreikonfessionellen Nebeneinanders, die jeweils
ihre spezifischen Profilierungen hatten. Als strukturelle Typen stellten sich
nach dem Westfälischen Frieden die folgenden Konfigurationen dar, wobei der
Bezugsrahmen jeweils ein Territorium oder eine Stadt
ist: