DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft |
THEO H. P. M. THOMASSEN Der Friede von Münster: ein nationales Symbol in säurefreiem Papier |
Der schwarzlackierte,
gußeiserne Panzerschrank steht im Depot des Algemeen Rijksarchief Den Haag
zwischen Hunderten von Regalen, die mit Kartons und modernen Aktenmappen
gefüllt sind. Hat man den Schlüssel umgedreht, kann man aus dem
Inneren des Schranks eine Auslageplatte mit zwei Vitrinen hervorholen. In der
oberen sind, Rücken an Rücken, zwei Dokumente ausgestellt. Sie sind in
roten Samt gebunden und mit roten Samtbändern zum Zubinden versehen. Nun
sind aber die letzten Seiten aufgeschlagen, so daß wir die
angehängten goldenen Siegel und die Signaturen unter dem Text sehen
können:
"Yo el rey" (Ich der König) unter dem einen und
"Philippe" unter dem anderen Exemplar. Es sind die Urkunden, mit denen König Philipp
IV. von Spanien den Friedensvertrag ratifizierte, der 1648 von seinen
bevollmächtigten Botschaftern und denen der Generalstaaten in Münster
geschlossen worden war.
In beiden
Ratifikationsurkunden bestätigt Philipp den münsterschen
Friedensvertrag, der - samt den Vollmachten für die Gesandten, die ihn
geschlossen hatten - Wort für Wort in die Dokumente inseriert wurde. Das
eine Exemplar ist eine französischsprachige Ratifikation der
französischen Vertragsausfertigung, das andere eine spanischsprachige der
niederländischen Fassung. Dementsprechend werden im spanischen Simancas
zwei Ratifikationsurkunden der Generalstaaten aufbewahrt: eine
französischsprachige der französischen und eine
niederländischsprachige der niederländischen Vertragsfassung. Diese
Vereinbarung war getroffen worden, weil keine der beiden Parteien die Sprache
der anderen, beide aber französisch sprachen, und es keine spanische
Vertragsfassung gab. [1] Beide Urkunden tragen die Unterschrift des
Königs und die Kontrasignatur des spanischen Kanzlers Hieronimo de la
Torre. Ein massiv goldenes Siegel - auf der einen Seite eine Abbildung des
königlichen Wappens mit der Umschrift
"Philippus
IIII, DG Hispaniarum
Rex", die
andere Seite glatt - an einer Kordel aus Golddraht bekräftigt die
Dokumente.
In der unteren Vitrine steht eine
Kassette. Sie ist an der Außenseite mit rotem Samt bezogen und mit
Beschlägen und Verzierungen aus Silberdraht versehen. In ihrem mit Leder
ausgeschlagenen Inneren liegt eine verschlossene Aktenmappe, die kaum älter
als hundert Jahre sein kann. Sie enthält zwei hellblaue, moderne
Umschläge aus säurefreiem Papier und einen gelben Umschlag aus den
fünfziger Jahren. In letzterem steckt ein Faksimile des Friedensvertrags,
das, einer Bleistiftnotiz zufolge, im Oktober 1940 angefertigt wurde und demnach
eine symbolische Bedeutung gehabt haben muß. Die beiden
Friedensverträge, in welche die Vollmachten der unterzeichnenden Parteien
inseriert wurden, befinden sich in einem der anderen Umschläge. Sie wurden
am 30. Januar 1648 unterzeichnet und mit den Wappen der Gesandten gesiegelt.
Links sehen wir die Unterschriften und Siegel der spanischen Unterhändler
Gaspar de Bracamonte y Guzman, Graf von Peñaranda, und Antoine Brun,
rechts die ihrer niederländischen Kollegen: Barthold van Gent van Loenen
und Meynerswijk aus dem Gelderland, die Holländer Johan van Mathenesse und
Adriaen Pauw, der Seeländer Johan de Knuyt, der Utrechter Godard van Reede
van Nederhorst, Frans van Donia aus Friesland, Willem van Ripperda aus der
Provinz Overijssel und der Groninger Adriaen
Clant.
Die Anordnung der Siegel und Signaturen
spiegelt die Hierarchie unter den Vertragspartnern wider. Die Position nach den
gekrönten Häuptern und der Republik Venedig, die die Hochmögenden
Herren immer gefordert hatten, hatte der spanische König ihnen zwar
zuerkannt, doch blieb er natürlich ranghöher und zeichnete somit als
erster. Da er auf die Titel Herzog von Geldern, Graf von Holland und Seeland und
Herr von Utrecht, Friesland, Overijssel und Groningen endgültig verzichtet
hatte, konnten nun die niederländischen Gesandten im Namen der neuen
Souveräne dieser Provinzen den Vertrag unterzeichnen. Dabei wurde die
interne Rangordnung so peinlich genau beachtet, daß zwischen den
Unterschriften von de Knuyt und Donia Raum für Nederhorst, der
zunächst nicht unterzeichnen durfte, gelassen wurde. Vor allem auf dem
niederländischen Exemplar ist gut zu erkennen, daß Nederhorsts Siegel
und Unterschrift erst später, als Utrecht sich mit den Tatsachen abgefunden
hatte, in den Zwischenraum eingefügt
wurde. [2]
Im zweiten Umschlag befindet
sich eine Reihe genauerer Übereinkünfte, die von den spanischen und
niederländischen Unterhändlern getroffen wurden. In politischer
Hinsicht am wichtigsten ist sicherlich der separate Artikel über den Handel
in französischer Sprache mit der zugehörigen
"acte
obligatoir",
in der sich die Spanier verpflichten, den Artikel innerhalb von zwei Monaten in
Den Haag zu ratifizieren. In anderen Urkunden werden weitergehende
Vereinbarungen bezüglich einzelner Vertragsparagraphen getroffen.
Sämtliche Abkommen wurden kurz vor der Ratifikation geschlossen und auf die
gleiche Weise bestätigt wie der Vertrag selbst, mit der Einschränkung,
daß Unterschrift und Siegel von Johan de Knuyt fehlen, der inzwischen von
seinen seeländischen Herren zurückbeordert worden war. Diesen Abkommen
schließen sich zwei Erklärungen an: eine bezüglich der
Religionsfrage in der Meierij von seiten der niederländischen Gesandten mit
einer Empfangsbestätigung ihrer spanischen Kollegen und eine andere,
abgegeben von den Spaniern, diejenigen Fürsten betreffend, die nach
spanischen Vorstellungen unter den Vertrag fallen
mußten.
Darüber hinaus befinden sich im
zweiten säurefreien Umschlag noch Urkunden, welche die Formalitäten
rund um den Friedensschluß betreffen: die Vollmachten für die
Unterhändler zur Beschwörung der Ratifikation -
selbstverständlich erteilt von den Generalstaaten -, die Eidesformeln und
die Schriftstücke bezüglich der Verkündigung des Vertrags. Bei
den letzteren handelt es sich um die originale Verkündigungsurkunde in
Niederländisch, eine französischsprachige Kopie der Verkündigung
und ein Begleitschreiben der niederländischen Abgesandten an die
Hochmögenden Herren. Da ein Vertrag erst dann in Kraft trat, wenn er
verlesen und gehört worden war, war es Usus, den Bericht über die
Verkündigung der Urkunde zu registrieren oder zu
archivieren.
Rituale: die Beschwörung und
die Verkündigung des Friedens
Der
Panzerschrank in Den Haag enthält mehr als bloß die schriftlichen
Zeugnisse der in Münster geschlossenen Abkommen. Den Zeugnissen wurde eine
besondere Form gegeben, vor allem um ihnen Beweiskraft zu geben, aber auch als
Ausdruck des Werts, der ihnen beigemessen werden sollte. Doch nicht nur die
äußere Form der Urkunden, sondern auch die feierlichen Handlungen,
deren Widerspiegelung sie sind - die Beschwörung des Friedens, der
Austausch der Ratifikationsurkunden und die Verkündigung des Vertrags -
mußten den Vereinbarungen Beweiskraft und Bedeutung verleihen. Folglich
ist es nicht möglich, die Abkommen angemessen zu interpretieren, wenn die
Formalitäten und die dahinterstehenden Rituale außer acht gelassen
werden.
Der Friedensvertrag zwischen dem
König von Spanien und den Generalstaaten der Vereinigten Niederlande wurde
am 15. Mai 1648 von den spanischen und niederländischen Gesandten im
Festsaal des münsterschen Rathauses, bei offenen Türen und unter
großem öffentlichen Interesse, durch ihren Eid bestätigt.
Während die spanische Delegation vollzählig erschienen war, fehlten
auf niederländischer Seite Nederhorst und de Knuyt, ersterer wegen
Krankheit und letzterer wegen des Widerstandes seiner Auftraggeber gegen die
Ratifizierung. Nachdem die Ratifikationen auf französisch verlesen worden
waren, folgte der Moment der Beschwörung. Zuerst waren die Spanier an der
Reihe. Auf eine große Bibel, die vom Priester der spanischen Gesandtschaft
gehalten wurde, hatte man ein silbernes Kreuz gelegt. Hierauf legten die
spanischen Bevollmächtigten ihre rechte Hand. Peñaranda las seine
Eidesformel auf spanisch vor. In dem Moment in dem er schwor, daß Gott
sein Zeuge sein möge, hob er, ebenso wie Brun, die rechte Hand, und sie
küßten das Kreuz. Danach las Meynerswijk die Eidesformel für die
niederländischen Unterhändler auf französisch vor, und die Worte
"ainsi m'aide Dieu"
wurden von allen niederländischen Bevollmächtigten gesprochen, wobei
sie den Zeige- und Mittelfinger ihrer rechten Hand in die Höhe
streckten. [3]
Das Gemälde Gerard ter
Borchs, auf dem beide Beeidigungen verewigt worden sind, ist an anderer Stelle
Gegenstand einer Analyse [4], doch sei kurz vermerkt, daß die
Reihenfolge, in der ter Borch die Gesandten um den Tisch herum plaziert hat,
dieselbe ist wie die ihrer Unterschriften unter dem Vertrag und damit die
Widerspiegelung einer zwingenden politischen Konvention. Die Tatsache, daß
Donia und Ripperda scheinbar in zweiter Reihe stehen, ist dadurch
begründet, daß ter Borch Adriaen Pauw an prominente Stelle gesetzt
hat. Denn Pauw war nicht nur sein Gönner und Kunde, sondern auch der
Vertreter Amsterdams, der mächtigsten Stadt in der mächtigsten
Provinz. Und so durfte Pauw, der den Frieden faktisch zustande gebracht hatte,
ruhig einen Schritt vortreten, sofern er die festgesetzte Rangordnung nicht
zerstörte.
Nach der Beschwörung des
Friedens konnten die Ratifikationen mit allen dazugehörenden Dokumenten
ausgetauscht werden. Wie bereits beschrieben, lagen die Schriftstücke, die
den Niederländern von den spanischen Gesandten übergeben wurden, in
der mit rotem Samt bezogenen Kassette mit Silberbeschlag. Auf dem Gemälde
steht sie rechts auf dem Tisch, und davor liegt eine der spanischen
Ratifikationsurkunden mit Philipps goldenem Großsiegel. Die für den
spanischen König bestimmten Dokumente wurden laut den Berichten ebenfalls
in einer mit rotem Samt bezogenen Kassette aufbewahrt. Auf dem Gemälde ist
sie links auf dem Tisch zu sehen. Darauf liegt eine der Ratifikationsurkunden
der Hochmögenden Herren mit dem roten Wachssiegel der Generalstaaten.
Während die spanische Kassette die Form einer Schatzkiste hat, gleicht die
niederländische eher einer großgeratenen Zigarrendose. Wer es nicht
weiß, wird sie bei ter Borch nicht einmal entdecken. [5] Ist das
wieder so ein Ausbund holländischer Pfennigfuchserei? Zweifellos, doch die
unterschiedliche Ausführung sollte auch formaler Ausdruck der
hierarchischen Gegebenheiten sein.
Im
Panzerschrank in Den Haag findet sich, wie gesagt, auch eine
Verkündigungsurkunde. Verkündigung und Veröffentlichung waren
formale Erfordernisse. Keine Urkunde und somit auch kein Friedensvertrag kam
ohne mündliches Zeugnis und das mündliche Zeugnis nicht ohne die
Erinnerung aus. [6] Der Vertrag war bereits am 15. Mai verlesen worden,
doch am Morgen nach der Beschwörung wurde er von den Treppen des
münsterschen Rathauses herab noch einmal verkündet. Nacheinander
wurden vorgelesen: die niederländische Vertragsausfertigung, die spanische
Ratifikation auf spanisch, die Ratifikation der Generalstaaten auf
niederländisch, der Separatartikel samt den Ratifikationen und die
Verkündigungsurkunde auf französisch. Viele Zuhörer folgten der
stundenlangen Verlesung in diesen für sie unverständlichen Sprachen:
Die Verantwortlichen waren so klug, das Ereignis mit großem Prunk,
beeindruckendem diplomatischen Zeremoniell, prächtiger Dekoration, Musik
und öffentlichem Ausschank zu umrahmen. Noch am selben Tag schickten die
niederländischen Gesandten die originale Verkündigungsurkunde in
niederländischer Sprache und eine Abschrift der Verkündigung auf
französisch mit einem Begleitschreiben nach Den Haag. Erstere konnte auf
diese Weise schon bei der Zusammenkunft der Generalstaaten am 18. Mai verlesen
werden. Die Schriftstücke sollten später zu den Ratifikationsurkunden
in die Kassette gelegt werden.
Am 5. Juni 1648
wurde der Vertragstext vor allen Rathäusern der nördlichen und
südlichen Niederlande verkündet. Sämtliche Regenten,
Flottenoffiziere, hohen Militärangehörigen, Gouverneure, Kommandeure
und ausländischen Gesandten wurden über die Beeidung und die
Verkündigung informiert. Gedruckte Ausgaben der Publikationsurkunde, des
Vertrags in niederländischer und in französischer Sprache mit den
Vollmachten für die Gesandten und die Ratifikationsurkunden wurden weltweit
unter den Untertanen des Staats verteilt. Unter dem Vorbehalt, daß man
ihnen keine Schuld geben könne, wenn der Friedensschluß ein
Fehlschlag werde, verkündigten auch die Seeländer den
Frieden. [7] Nun waren alle formalen Anforderungen
erfüllt.
Die Dokumente aus Münster
in Den Haag
Am 8., 9. und 10. September 1648,
beinahe vier Monate nach dem Austausch der Ratifikationen, erstatteten die
niederländischen Gesandten in der Versammlung der Generalstaaten offiziell
Bericht. Die Sitzung des 8. Septembers 1648 war zu einem großen Teil der
Übergabe der Kassette und der Begutachtung ihres kostbaren Inhalts
gewidmet. Außer der Kassette übergab Meynerswijk während dieser
Sitzung auch eine große Zahl von Urkunden und Resolutionen aus der Kanzlei
der Generalstaaten, die ihm, als Abschriften oder Originale, auf seine Reise
nach Münster mitgegeben worden waren. Darunter befanden sich wichtige
Urkunden, die im Zusammenhang mit den Friedensverhandlungen ausgestellt worden
waren: die Pässe des Kaisers und des Königs von Spanien und die
Vollmachten und Instruktionen der Generalstände. Meistens jedoch waren es
Retroakten früherer diplomatischer Unterhandlungen. Sogar die alten
Protokollbücher der Waffenstillstandsverhandlungen (1607-1609), der
Unterhandlungen mit den Vertretern der südlichen Niederlande (1629 und
1632-1634) und der Verhandlungen, die dem Vertrag mit Frankreich vorangingen (ab
1634), hatte man mitgenommen. Dies blieb nicht ohne Folgen: Der Text des
Friedensvertrags von Münster wurde zu einem großen Teil wörtlich
aus dem Waffenstillstandsvertrag
übernommen. [8]
Acht Tage später
reichte van Meynerswijk schließlich noch ein Gesandtschaftsprotokoll ein,
das er nach Rücksprache mit seinen Kollegen erstellt hatte. Dieses
Protokoll enthielt den amtlich aufgesetzten und unterzeichneten Bericht
über die Beratungen und Beschlüsse der Gesandtschaft mitsamt den
Schriftstücken, die sich hierauf bezogen. [9] Das münstersche
Exemplar ist ein klassisches Gesandtschaftsprotokoll. Es umfaßt den
Zeitraum vom 5. Dezember 1645 bis zum 16. September 1648 und besteht aus drei
Teilen, wobei die beiden ersten das eigentliche Protokoll
darstellen. [10] Den Anfang bilden, wie üblich, die
konstituierenden Urkunden der Gesandtschaft: die Instruktion, die Eidesformel,
die vom Kaiser, dem spanischen König und dem Oberbefehlshaber der
südniederländischen Truppen ausgestellten Pässe, die
Indemnitätsakte (zur Gewährleistung der Straffreiheit), die
Vollmachten usw. Danach folgt eine chronologische Übersicht über die
Verhandlungen, die in erster Linie der Überleitung zu den zahllosen
Schreiben, Memorialschreibwerken und Urkunden dient, die die Unterhändler
mit den Generalstaaten und ihren Kollegen in Münster gewechselt haben. Es
schließt mit dem Bericht, den sie am 9. September 1648 in der Versammlung
der Generalstaaten mündlich erstattet hatten. Im dritten Teil haben die
Gesandten Abschriften der relevanten Schriftstücke erstellen lassen, die
ihnen übergeben oder zugesandt worden
waren.
Der Frieden war nun geschlossen,
bekräftigt, beschworen und verkündet worden. Jetzt galt es, ihn auch
zu bewahren. Was tat man in der Kanzlei der Generalstaaten mit den Urkunden, die
die Gesandten aus Münster mitgebracht hatten? Die Protokollbücher, die
vor der Abreise als Retroakten gezogen worden waren, wurden wieder im Gang der
Kanzlei auf das erste Regalbrett, neben die anderen Register und Protokolle der
Friedens- und Waffenstillstandsverhandlungen mit Spanien und den südlichen
Niederlanden und der Friedenskongresse zurückgestellt. Das münstersche
Protokoll stellte man dahinter. [11]
Die
losen Schriftstücke wurden in einem der Kanzleiräume deponiert. Einige
Jahre später wurden sie in einem der beiden Aktenschränke abgelegt,
die zur Aufbewahrung solcher Urkunden angefertigt worden waren. Bevor sie hier
archiviert wurden, wurden sie zunächst der Länge nach gefaltet,
zusammengebunden und beschriftet. Aktenschriftstücke, die nicht in eines
der Fächer paßten - aufgrund ungewöhnlichen Formats; bzw.
umfangreichere Sammlungen - wurden auf den Dachboden gebracht. Im Gefach Spanien
finden wir im Umschlag mit Retroakten ab 1608 Schriftstücke, die von den
Gesandten nach Münster mitgenommen und 1648 wieder zurückgebracht
wurden. [12]
Das Protokoll wurde kurz nach
seiner Übergabe im Archiv der Generalstaaten abgelegt, wo es noch heute
aufbewahrt wird. In diesem Archiv befinden sich auch zwei Exemplare, die dort
überhaupt nicht hingehören. Eines davon ist das Protokoll, von dem die
offizielle Ausfertigung abgeschrieben wurde. Es wurde von Meynerswijk
persönlich geführt, und nur ein einziges Mal griff einer seiner
Kollegen zur Feder. Zu dieser sechsbändigen Serie, in der auch die
Originalschriftstücke zu finden sind, deren Abschriften in das eingereichte
Protokoll übernommen wurden, gehören noch fünf Bände mit
originalen diplomatischen Noten. Die gesamten elf Aktenbände waren
offensichtlich Teil des privaten Archivs von Meynerswijk; sie kamen zu Beginn
des 19. Jahrhunderts über eine Auktion in den Besitz des
Rijksarchief. [13]
Mindestens ebenso
interessant, wenn auch eher formal als inhaltlich, ist eine zweibändige
Protokollkopie. [14] Die Handschriften lassen erkennen, daß die
beiden Bände von zwei Sekretären aus der Kanzlei der Generalstaaten
geschrieben wurden, und zwar von Aernout van Lelienberg, Sekretär für
Overijssel, und Ottho Viglius, seit dem 11. August 1648 Sekretär für
Friesland. Sie stammen aus dem Umkreis des Lieuwe van Aitzema, der sich im 17.
Jahrhundert als Diplomat, Spion, Nachrichtenagent und Historiker betätigte.
Lelienberg, ein angeheirateter Cousin Aitzemas, und Viglius, der wie Aitzema
Friese war, kopierten für ihn jahrelang, legal oder illegal, offizielle
Staatsdokumente aus der Kanzlei der Hochmögenden Herren. Aitzema nutzte sie
für seine diplomatischen Aktivitäten: Er war zwischen 1626 und 1669
Resident der Hansestädte in Den Haag. Darüberhinaus verwandte er die
Informationen auch für die von ihm betriebene Nachrichtenagentur, welche
um1648 hochgestellte Beamte und Diplomaten, die eng an den Verhandlungen
beteiligt waren, zu ihren Kunden zählte, darunter einen der
Friedensvermittler in Münster, den venetianischen Diplomaten
Contarini. [15] Wenn die Abschriften keinen politischen oder
journalistischen Zwecken mehr dienen konnten, nutzte Aitzema sie
schließlich für sein
"Verhael van de Nederlandsche
vreedehandeling",
das bereits 1650 veröffentlicht wurde, und sein
"Saken van staet en
oorlogh",
das er 1659 im Auftrag Frieslands zu schreiben
begann. [16]
Kurz nach dem Tod Aitzemas
1669 wurden drei seiner ehemaligen Schreiber wegen Verrats verurteilt. Sein
Archiv, mitsamt dem münsterschen Protokoll, wurde von den Generalstaaten
eingezogen und der Kanzlei übergeben. Dort wurde es auf den Dachboden
verbannt, wo man die Schriftstücke 1852
wiederfand. [17]
Die Kassette mit den
Ratifikationsurkunden schließlich wurde im Geheimaktenschrank deponiert,
der 1621 angefertigt worden war und seit 1646 im Sitzungssaal der
Hochmögenden Herren stand. Hier wurden die losen Schriftstücke
archiviert, die geheim waren oder deren Aufbewahrung für die Generalstaaten
von besonderem Interesse
war. [18]
Andere Schriftstücke
aus Münster im allgemeinen und im
Geheimaktenschrank
Neben den Dokumenten, die von
den niederländischen Gesandten mit zurückgebracht worden waren, wurden
natürlich auch die die Verhandlungen in Münster betreffenden
Resolutionen, die die Hochmögenden Herren im Laufe der Verhandlungen
verabschiedet hatten, samt den zugehörigen Anlagen im Archiv der
Generalstaaten deponiert. Die meisten Anlagen fanden ihren Platz im allgemeinen
oder im Geheimaktenschrank, wo man außer den bereits genannten Dokumenten
noch heute einige Dutzend Umschläge und Bündel mit Schriftstücken
findet, die in unmittelbarem Bezug zu den Friedensverhandlungen
stehen. [19]
Die dicksten Bündel
waren ursprünglich die beiden sogenannten Münsterschen Liasse. Unter
einer Liasse muß man sich ein Stück fester Pappe vorstellen, in
dessen Mitte eine Schnur mit einer metallenen Spitze befestigt ist. Hierauf
wurden sukzessive jene Schriftstücke gefädelt, die einem bestimmten,
auf der Pappe angegebenen Themenbereich zuzuordnen waren. Auf die
Münsterschen Liassen fädelte man die Geheimkorrespondenz mit denen,
die an den Verhandlungen beteiligt waren, insbesondere die mit den
niederländischen Gesandten. Sie wurden eigentlich zu den
Schriftstücken der Geheimregistratur gezählt, hingen aber wegen ihres
Umfangs über den Schränken mit den allgemeinen Registern und
Aktenbänden der Generalstaaten im Zimmer des
Kanzleileiters. [20]
Andere Exhibita
wurden von der Korrespondenz getrennt und in den Schränken archiviert: vier
Berichte und Memoranden, welche die niederländischen Gesandten in den
Jahren 1646-1648 ihren Auftraggebern aus Den Haag oder Münster hatten
zukommen lassen, eine Reihe von Schriftstücken, die sie 1647 zur Beratung
eingebracht hatten, Abschriften der spanischen Friedensvorschläge,
festgehalten in zwei Briefen des spanischen Unterhändlers Castel Rodriguo
von 1646, und ein Schreiben seines Kollegen Brun an die Generalstaaten aus dem
darauffolgenden Jahr. Einige der Nummern aus den Aktenschränken beziehen
sich auf die Reise der niederländischen Abgesandten nach Münster,
ihren Verbleib dort und auf den Paß, der ihnen vom spanischen König
ausgestellt worden war. Den Paß selbst, der soviel Staub aufgewirbelt
hatte und der als Kopie an verschiedenen anderen Orten zu finden ist, sehen wir
hier als Original zusammen mit einer beglaubigten Abschrift, die das
Vidimus des holländischen Gerichtshofs trägt. Die Retroakten
reichen zurück bis 1632.
Bemerkenswert sind
auch die Schriftstücke aus dem allgemeinen bzw. aus dem Geheimaktenschrank,
die aus dem Vorfeld der Verhandlungen stammen, wie zum Beispiel die geheimen
Entwürfe für Instruktionen und Vollmachten für die
niederländischen Unterhändler und die Vollmachten ihrer spanischen
Kollegen von 1645 und 1646, sowie ein Aktenbündel zu der Frage, unter
welchen Bedingungen der Waffenstillstand mit Spanien in einen Frieden umgesetzt
werden könne. Darüber hinaus befinden sich im Schrank für die
allgemeine Registratur die Schriftstücke zu den sogenannten
Präliminarien aus den Jahren 1643-1646, den Positionen der einzelnen
Provinzen bezüglich Union, Religion und Militär, welche diese vor
Verhandlungsbeginn klären wollten.
Die in
anderen Umschlägen enthaltenen - meist geheimen - Dokumente spiegeln die
Bemühungen der Generalstaaten um die Verhandlungen und ihre Standpunkte zur
Frage der römisch-katholischen Religionsausübung in der Meierij 's-Hertogenbosch
(1643 und 1647/48), zum Ostsee-Handel (1646) und zu den Ansprüchen auf das
geldrische Overkwartier (1646/47) wider. Andere Schriftstücke betreffen das
Verhältnis der Generalstaaten zu ihren Unterhändlern während der
Verhandlungen mit Frankreich 1647/1648 und zum Prinzen von Oranien 1647 oder
sind eng mit der Ratifizierung verbunden: eine Abschrift der
Ratifikationsurkunde mit niederländischer Übersetzung, die Memoranden,
die der Utrechter Deputierte Nederhorst und die anderen Gesandten miteinander
über dessen Weigerung, den Vertrag im Namen Utrechts zu unterzeichnen,
getauscht haben, und die Ratifikationen der Provinzen, d.h. die Empfehlungen,
die von den Provinzen hinsichtlich der Ratifikation in die Versammlung der
Generalstaaten eingebracht wurden.
Der Streit
um die Geheimhaltung und die Resolutionen
Der
Unterschied zwischen allgemein politischen und geheimen Akten ist für das
Archiv der Generalstaaten (und für alle anderen Archive kollegial
strukturierter Regierungen des ancien régime) nicht nur
charakteristisch, sondern auch bedeutungsvoll. Die Zuweisung von
Schriftstücken zur Geheimregistratur beschränkte nicht nur die Zahl
der Menschen, die von der betreffenden Angelegenheit Kenntnis nahmen, sondern
auch die Zahl derer, die darüber beschließen durften. Indem man einen
Vorgang zur Geheimsache erklärte, versuchte man sowohl dessen Verlautbarung
als auch die Rücksprache der Deputierten mit ihren Auftraggebern zu
begrenzen, sowohl den Feind als auch die Regenten anderer Provinzen und
Städte auszuspielen. Die Frage der Geheimhaltung war auch eine Frage der
Beschlußfindung. [21]
Aus diesem
Grund wurde nicht nur bei losen Einzelstücken, sondern auch bei Serien,
besonders bei Serien von Resolutionen, zwischen normal und geheim unterschieden.
Die Frage, ob ein Dokument geheim war oder nicht, wurde grosso modo durch
den Status der Resolution entschieden, die aufgrund dieses Dokuments getroffen
worden war oder deren Folge es war. Und im Archiv der Generalstaaten, wo alle
offiziellen Schriftstücke als Anlage zu der einen oder anderen Resolution
definiert sind [22], bedeutet dies, daß man den Grund, aus dem ein
Dokument als geheim eingestuft und behandelt wurde, in der Regel aus der
zugehörigen Resolution ableiten kann.
Die
politischen Auseinandersetzungen um Krieg und Frieden der Jahre 1636-1648 waren
auch ein Streit um die Verabschiedung und Bekanntgabe der Resolutionen. Wer die
außenpolitischen Angelegenheiten regelte, wollte so viel wie möglich
geheimhalten und so wenig wie möglich schriftlich festhalten. Die
vorübergehende Delegierung von Zuständigkeiten an geheime Kommissionen
war dazu ein probates Mittel. Diese unter dem Vorsitz des Statthalters tagenden
Geheimausschüsse konnten hochpolitische Entscheidungen im Namen der
gesamten Ständevertretung treffen, und ihre Beschlüsse mußten
manchmal nicht einmal registriert werden. [23] Wer keinen direkten
Einfluß auf die Außenpolitik hatte, forderte politische Kontrolle
und somit eine sorgfältige Registrierung und die Veröffentlichung der
entsprechenden Resolutionen. Praktisch lief es darauf hinaus, daß die
profranzösische Seite unter der Führung des statthalterlichen Hofes
und unterstützt vom Ratspensionär von Holland und dem korrupten
Kanzleileiter Musch bestrebt war, die Geheimhaltung weitestmöglich
auszudehnen. Diejenigen aber, die das Bündnis mit Frankreich eventuell
einem Frieden mit Spanien opfern wollten, insbesondere die holländischen
Städte mit Amsterdam an der Spitze, versuchten, die Deputierten, welche mit
dem Prinzen dem profranzösischen Kurs folgten, unter Kontrolle zu halten,
indem sie eine genaue Registrierung und adäquate Bekanntmachung der
Resolutionen verlangten.
Die Friedenspartei wurde
allmählich stärker. 1636 wurde der Kanzleileiter von den
Generalstaaten beauftragt, die Zusammenkünfte im Zimmer des Prinzen zu
protokollieren. Im Jahr darauf verschärften die Hochmögenden Herren
ihre Kontrolle über die Abfassung der Resolutionen und somit über den
Kanzleileiter, indem sie ihre Beschlüsse nicht mehr am Ende, sondern zu
Beginn der Sitzung des folgenden Tages resümierten und trafen. [24]
1643 und 1644 banden die meisten Provinzen, allen voran Holland, ihre
Deputierten generell an strikte Instruktionen bezüglich Rücksprache
und Geheimhaltung. 1646 versuchten die in den Generalstaaten vertretenen
Provinzen, ihren Einfluß auf die Beschlußfindung zu
vergrößern, indem sie auch Musch an strikte Anweisungen
banden. [25] Um ihrem Bestreben Nachdruck zu verleihen, ließen sie
kurz darauf den Geheimaktenschrank aus einem der Kanzleiräume in ihren
eigenen Sitzungssaal bringen. Und noch im selben Jahr trafen sie eine
nähere Vereinbarung über die Art und Weise, wie Resolutionen im
geheimen Protokollbuch zu verzeichnen
seien. [26]
Die Versammlung der
Generalstaaten hat eine große Zahl normaler und geheimer Resolutionen mit
Bezug zu den Friedensverhandlungen verabschiedet. Die meisten sind in ein- und
demselben Protokollbuch registriert worden, das gewöhnlich
"het boek van de handelinge van de vrede tot
Munster" oder kurz "het register van de vredehandel"
genannt wurde. [27] Dieses Register ist für die Forschung von
großem praktischen Wert. Es enthält nicht nur beinahe alle
Resolutionen, die die Hochmögenden Herren in den Jahren 1643-1649 in
Zusammenhang mit den Friedensverhandlungen beschlossen haben, sondern auch die
zugehörigen Objekte. Die meisten Urkunden, Resolutionen und Exhibita, die
Teil dieses Archivs sind, wurden hier in Abschrift registriert. Dazu
gehören auch die Originalurkunden, Exhibita und revidierten Konzepte der
ausgehenden Schriftstücke, die sich im allgemeinen und im geheimen
Aktenschrank und den dort deponierten Aktenpaketen befinden. Das Register
besteht aus vier Bänden, die den Zeitraum 1634-1649
umfassen. [28]
Zunächst wurde dieses
separate Register parallel zu dem normalen und dem geheimen Register
geführt, doch ab dem 20. Juni 1644 finden sich im
"register
van de
handeling"
immer mehr Resolutionen, die nur dort registriert worden sind. In den Monaten
Januar bis einschließlich April 1648 sind die revidierten Konzepte aller
münsterschen Resolutionen ausschließlich hier eingetragen
worden.
Das
"register
van de
handeling"
beginnt übrigens nicht mit den Resolutionen von 1643, sondern mit denen von
1634, denn man schrieb rückwirkend auch die Resolutionen aus den Jahren
1634-1643 und die begleitenden Schriftstücke ein. Für diesen Zeitraum
ist das
"register
van de
vredehandel"
nicht völlig, aber doch beinahe
komplett.
Strukturveränderungen und
Bedeutungsverlust zur Zeit des ancien
régime
Der Frieden mußte untermauert
werden, und zwar so fest wie möglich. Für Uneindeutigkeiten über
die Vertragsbestimmungen durfte kein Raum bleiben, weder 1648 noch in den
folgenden Jahrhunderten. Aus diesem Grund war man bestrebt, bei der
schriftlichen Repräsentation des Friedens drei Bedingungen zu
erfüllen: zuallererst mußten die Dokumente den formalen Anforderungen
genügen, das heißt, in der richtigen Form und mit den
zugehörigen, die Legitimität bestätigenden Dokumenten erstellt
werden. Daneben mußten sie fest in die Struktur des Archivs der
Generalstaaten eingebunden werden, um ihren Bezug zu den anderen
münsterschen Schriftstücken und damit den Verhandlungs- und
Beschlußfindungsprozeß zu fixieren. Drittens wurden sie mit
Gegenständen umgeben, die nicht nur der Aufbewahrung dienten, sondern auch
symbolische Träger jener Bedeutsamkeit waren, die dem Abkommen auch im
wörtlichen Sinne beigegeben werden sollte. Kurzum, die Archivalien
erhielten die Form, die Struktur und den Kontext, welche ihre Authentizität
und ihre Glaubwürdigkeit, ihren Wert und ihre Bedeutung für immer
sicherstellen sollten.
Dies ist nicht
vollständig gelungen. Relativ unangetastet blieben die physische
Erscheinungsform, die redaktionelle Form und die Legitimationsmittel. Weniger
unverfälscht wurde die Struktur, das heißt die Integrität des
Archivs als Ganzes und die innere Gliederung einiger seiner Bestandteile,
bewahrt. Vor allem der physische Kontext, das
"Verpackungsmaterial",
das den Dokumenten Bedeutung verleihen sollte, wurde
zerstört.
Die erste Störung war die
Umstrukturierung der regulären Resolutionsserien aus den Jahren 1637-1651.
Cornelis de Heijde, Archivar der Generalstaaten, bekam 1662 den Auftrag, die vor
1651 verabschiedeten Resolutionen zu indizieren und zu binden. Er ordnete sie
deswegen neu und paßte ihre ursprüngliche Struktur der von nach 1651
an. Sämtliche geheimen, revidierten Resolutionskonzepte der Versammlung der
Generalstaaten wurden von ihm, ungeachtet der Tatsache, ob sie sich in der
allgemeinen Registratur, im Geheimaktenschrank oder sonstwo befanden, zu einer
chronologischen Serie zusammengefaßt. Wenn normale und geheime revidierte
Konzepte auf einem Blatt standen, was häufig vorkam, machte er davon
Kopien. Soweit er sie noch finden konnte, integrierte er auch die Resolutionen
der Geheimausschüsse, unter denen sich unter anderem solche befanden, die
Kanzleileiter Musch - manchmal entgegen expliziter Anweisungen - nicht im
Geheimregister verzeichnet hatte. Es kann sich dabei sowohl um
Einzelresolutionen als auch um umfangreichere Sammlungen längerfristig
tagender Geheimausschüsse handeln, wie zum Beispiel die revidierten
Konzepte der Kommission, die 1645 die Instruktionen für die Gesandten nach
Münster erarbeiten mußte.
Außer
dieser Serie von Resolutionskonzepten legte de Heijde auch Kreuzregister mit
geheimen Resolutionen an, indem er lose Abschriftensammlungen und bestehende
Register (mit Ausnahme der Separatregister!) neu ordnete und einband. Dabei
löste er manchmal sogar Überschneidungen auf oder ließ gebundene
Abschriftensammlungen kopieren, um die Abschriften in einem Band vereinen zu
können. Auf diese Weise schuf er zum Beispiel ein Register, in dem
anscheinend alle geheimen Resolutionen aus den Jahren 1634-1646 in korrekter
chronologischer Reihenfolge verzeichnet sind, ungeachtet der Tatsache, ob sie
von der Vollversammlung oder einem Ausschuß getroffen wurden. Seitdem war
an der Ordnung der Resolutionen aus den vierziger Jahren kaum mehr der hektische
Beschlußfindungsprozeß abzulesen, der Anlaß zu diesen
Resolutionen gewesen war.
Schließlich wurden
die von de Heijde angelegten Serien normaler und geheimer Resolutionen, die
fünf münsterschen Protokollbände und das münstersche
Gesandtschaftsprotokoll von ihm indiziert und erstere auch
gebunden. [29] Eine neue Struktur war geschaffen und fixiert
worden.
Umzug, Sammlungsbildung und
mißglückte Rekonstruktion
1806
ließ Napoleon den Friedensvertrag von Münster mit allen anderen
Verträgen und Ratifikationsurkunden der Generalstaaten nach Paris bringen.
Doch da der Kaiser sie nicht als Symbole seiner eigenen Größe und der
seines Reiches nutzen konnte, wie es seine Absicht gewesen war, kehrten die
Kisten 1813 unversehrt nach Den Haag
zurück.
Dieser Umzug war der Vorbote einer
viel einschneidenderen Veränderung. In den Jahren nach 1806 wurde das
Archiv der Generalstaaten aus der Kanzlei, einem Hort symbolträchtiger
Rechtsschriften und Belege, ausgelagert und in ein Archivdepot, einen
Aufbewahrungsort historischer Schriftquellen, gebracht. Aufgrund dieser
Kontextveränderung wurden die münsterschen Schriftstücke nun als
historische Schriftquellen verstanden und der literaturhistorischen Untersuchung
der Archivare des 19. Jahrhunderts unterworfen. Sie wurden dazu bestimmt, von
jedermann zu Rate gezogen werden zu
können.
Das aber war nie die Intention
gewesen. Urkunden waren die Verkörperung der Rechte, die in ihnen
festgeschrieben worden waren. Nicht Einsichtnahme, sondern die Wahrung der
Rechte war der Sinn ihres Erhalts. Die Verträge und Ratifikationen des
Friedens von Münster waren, gemeinsam mit der Kassette und dem
Geheimaktenschrank, die säkularen Reliquien des Staates, die
Vergegenwärtigung seiner fundamentalen Rechte, die Symbole eines
staatsrechtlichen Meilensteins. Originale waren nicht dazu bestimmt, eingesehen
zu werden; wer etwas über den Inhalt der Dokumente erfahren wollte,
mußte sich mit Abschriften oder Registern begnügen. Darum hatten die
Hochmögenden Herren 1653 und 1670 beschlossen, von den wichtigsten
Originalverträgen und anderen Schriftstücken von Bedeutung aus dem
Geheimaktenschrank beglaubigte Abschriften anfertigen zu
lassen. [30]
Die Deponierung der
münsterschen Schriftstücke in einem historischen Archiv brachte einen
neuen Kontext und dadurch eine neue Bedeutung mit sich. [31] Sie wurden
nun lediglich als Träger historischer Informationen genutzt, interpretiert,
präsentiert und bewahrt, und nicht als Symbole, Objekte von geschichtlicher
Bedeutung oder Kunstgegenstände. So waren die Kisten und Schränke, in
denen die geschriebenen Dokumente bewahrt wurden, zu überflüssiger
Verpackung degradiert worden, da sie selber nicht beschrieben waren und somit
von den Archivaren nicht gelesen werden
konnten.
Nach dem Umzug des Archivs verschwand zum
Teil auch dessen ursprüngliche Struktur, und die münsterschen
Schriftstücke verloren ihren originalen Bezugsrahmen. Die
Friedensverträge und ihre Ratifikationsurkunden blieben im
Geheimaktenschrank, die anderen Schriftstücke jedoch wurden mit
ähnlichen Dokumenten aus anderen Archiven zu einer Sammlung
"Auslandsangelegenheiten"
vereint.
In den achtziger Jahren des 19.
Jahrhunderts startete der Reichsarchivar van Riemsdijk eine beeindruckende
Initiative mit dem Ziel, die Archive zu rekonstruieren. Der Mangel an Zeit, Geld
und Personal verhinderte aber die Vollendung seines Vorhabens. Als diese
Rekonstruktion des Archivs der Generalstaaten in der ersten Hälfte der
sechziger Jahre dieses Jahrhunderts zu Ende gebracht wurde, war mit dem
Spezialwissen auch der Respekt vor dem schwer Faßbaren aus dem
Rijksarchief verschwunden. Alle Exemplare der münsterschen Protokolle und
die separaten Protokollbände, die man noch im Gebäude finden konnte,
wurden in das Archiv aufgenommen. Das Vorhaben, die allgemeine und die geheime
Registratur zu integrieren, indem man die Schriftstücke ungeachtet ihrer
Herkunft chronologisch ordnete und hintereinander plazierte, wurde nicht mehr
ausgeführt.
Bedeutungswandel aufgrund
konservatorischer Maßnahmen
Struktur- und
Kontextveränderungen der münsterschen Schriftstücke wurden auch
durch die Vorkehrungen verursacht, die man im Laufe der Zeit im Rijksarchief
traf, um die Verträge, die Ratifikationen, die anderen Urkunden und die
Register besser einsehbar zu machen und, damit verbunden, auch besser
konservatorisch betreuen zu können. Die einseitige Betonung ihres
Informationsgehalts führte zu Maßnahmen, die der Erleichterung der
Einsichtnahme dienten; hierfür wiederum mußte die
Strapazierfähigkeit erhöht werden. All dieses beraubte die einzelnen
Schriftstücke ihrer Individualität, der Zeichen ihrer Würde und
ihrer Bedeutung. Doch nicht nur das: Die Objekte, die ihre Bedeutung an die
Dokumente weitergaben, wurden zu überflüssiger Verpackung degradiert.
Lediglich den symbolischen Wert der mit Silber beschlagenen Kassette versuchte
man zu bewahren. Als sie aus dem Geheimaktenschrank entfernt werden mußte,
wurde sie im Gegensatz zu den übrigen Bündeln mit Geheimakten nicht in
Archivdosen deponiert, sondern in einem gußeisernen Panzerschrank, der
vermutlich zu Beginn unseres Jahrhunderts speziell für diesen Zweck
angefertigt wurde. Dieser Tresor wurde im untersten Depot des
Archivgebäudes am Bleyenburg aufgestellt, von wo aus er 1981 zum Prins
Willem Alexanderhof gebracht wurde.
Bilder und
Objekte: Ruhestörung und Bedeutungswandel
[32]
Die äußere Form der
münsterschen Dokumente ist gut erhalten geblieben, die Struktur und der
physische Kontext sind nicht mehr völlig intakt, und zu einer ideellen
Erhöhung ist es nie gekommen. Künstlern wie Gerard ter Borch im 17.
oder Barend Wijnveld Jr. und Pieter François Greive in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts gelang es nicht, die Beschwörung des
Friedens als eine feierliche nationale Angelegenheit darzustellen. Auch die
hübsche Kassette hat daran nichts zu ändern vermocht. Als der
Spazierstock Oldenbarnevelts, die Zunge des Johan de Witt oder Hugo de Groots
Bücherkiste in den fünfziger und sechziger Jahren des neunzehnten
Jahrhunderts als weltliche Reliquien in den Dienst des Nationalgefühls
gestellt wurden, und man auch die Kassette ausstellen wollte, mußte der
Reichsarchivar Bakhuizen van den Brink sie erst Hals über Kopf restaurieren
lassen, da sie längst nicht mehr in dem Zustand war, in dem ter Borch sie
abgebildet hatte:
"Mit der
Zeit ist der Silberbeschlag hier und da oxydiert, ein Scharnier ist gebrochen,
einer der vier Füße hat sich
gelöst". [33]
Häufiger diente die Kassette als Symbol nationaler Uneinigkeit denn als
Symbol der nationalen Einheit. Als sie 1948 erneut ausgestellt wurde,
mußte Presser sich in seiner Einleitung zum Katalog noch dafür
rechtfertigen, daß er auch weiterhin hinter dem stehe, was er 1941 unter
einem Pseudonym geschrieben hatte:
"daß
der Frieden, der auf glanzvolle Weise einen achtzigjährigen Streit
beendete, zweifellos der Schönste (sei), den die Niederlande je in ihrer
Geschichte geschlossen
(hätten)". [34]
Und
der gußeiserne Schrank beweist das Gegenteil von dem, was er
wahrscheinlich hätte beweisen sollen. Man vergleiche ihn einmal mit dem
Aufwand, mit dem die Amerikaner ihre Unabhängigkeitserklärung im
National Archive in Washington ausgestellt haben. Täglich laufen Hunderte
von Menschen entlang einer Reihe spezieller Sicherheitsvitrinen, in denen die
Seiten ausgestellt werden. Beim Frieden von Münster hingegen werden keine
"Topfgucker"
zugelassen: Die Urkunden werden im Algemeen Rijksarchief hinten im Depot auf der
vierten Etage versteckt.
Der Frieden von
Münster ist für die Niederlande und die Niederländer ein Symbol.
Aber wofür genau? Die münsterschen Schriftstücke im Archiv der
Generalstaaten sind ein zeitgenössisches Abbild, ein Sinnbild der Taten,
Verhandlungen und Rituale, die von den Deputierten in der Generalversammlung
durchgeführt oder veranlaßt wurden. Sie waren die Autoren und taten
alles dafür, ihr Werk für die Ewigkeit zu bewahren. Sie haben ihm von
Kanzleileitern und Sekretären ihre Stempel aufdrücken lassen, indem
den Akten eine feste Struktur gegeben und sie in einen bestimmten materiellen
Kontext plaziert wurden. Und dennoch ist der sinnbildliche Gehalt verwischt
worden und hat seine traten andere Inhalte und anderer Bedeutungen an seinen
Platz.
Es ist schwierig, zu ergründen, wo die
Bedeutung des Friedens von Münster liegt, und wo sie einmal lag. Auf jeden
Fall hat sich seine Bedeutung stetig verändert. Als das Algemeen
Rijksarchief 1981 innerhalb Den Haags aus dem Depot vom Bleyenburg in das neue
Gebäude am Prins Willem Alexanderhof umgezogen ist (eine Entfernung von
nicht mehr als einem Kilometer), war ich derjenige, der den Umzug des
Friedensvertrags übernehmen durfte, einfach so, unter dem Arm. Eine
Aktenmappe diente als Schutz, falls es zu regnen beginnen sollte. Ich ging die
Bleyenburg hinunter, bog nach links in den Fluwelen Burgwal ein, überquerte
die Stationsplein und lieferte Mappe samt Inhalt ohne großes Aufheben an
der neuen Adresse ab. Es war ein befremdliches Gefühl als ich mich
plötzlich daran erinnerte, was mein Lehrer mir ungefähr fünfzehn
Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Geschichtsunterricht der
Grundschule eingebleut hatte:
"1648. Frieden von Münster: wir werden
frei."