DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur |
KLAUS HORTSCHANSKY Musik und Musikleben in Europa am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges |
Die Zeit um das Jahr 1600 wird
gemeinhin als eine Epochenwende in der Musikgeschichte begriffen. Mögen
Detailstudien auch immer wieder darauf hinweisen, daß der Wandel lange
vorbereitet war, allmählich erfolgte und von einer plötzlichen Wende
kaum oder nur sehr bedingt die Rede sein kann, so gibt es doch gute Gründe,
um 1600 eine neue Epoche entstehen zu sehen, wenn man wesentliche Aspekte des
musikalischen Alltags betrachtet. Es ist dabei keine Frage, daß an den
Experimentierstationen der musikgeschichtlichen Entwicklung - Venedig wäre
da zu nennen, auch auf Florenz wäre zu achten - die Grundlagen des Wandels
längst geschaffen waren, dessen Umsetzung und Verbreiterung erfolgte
allerdings erst kurz nach 1600.
Zuallererst
fällt ins Auge, daß die europäische Allgemeinkultur der
frankoflämischen Musik auseinandergebrochen war und regionalen Tendenzen
Raum gegeben hatte. Denn beinahe zwei Jahrhunderte lang hatten Komponisten aus
dem frankoflämischen Raum das gehobene musikalische Leben im christlichen
Europa bis an die Grenzen des russischen Reiches bestimmt, begünstigt durch
die, wenn auch kurze, aber desto geschichtsträchtigere Blüte des
burgundischen Staates im Westen Europas. Noch am Ende des 16. Jahrhunderts waren
zentrale Positionen des mitteleuropäischen Musiklebens von Musikern
besetzt, die aus den Niederlanden stammten und dort aufgrund der hervorragenden
Ausbildung in den Maîtrisen die Befähigung zur
künstlerischen Führerschaft
erhielten.
Seit 1563 war der in Mons im Hennegau
geborene Orlando di Lasso (um 1532-1594) Kapellmeister am Hofe Herzog Albrechts
V. von Bayern (reg. 1550-1579) und des Nachfolgers Herzog Wilhelms V. (reg.
1579-1598). Er schuf ein musikalisches Oeuvre von stupenden Ausmaßen -
rund 700 Motetten, 70 Messen, 100 Magnificat-Sätze, 110 Madrigale, 150
Chansons, 90 deutsche Lieder usw. - und von einem internationalen Anspruch, der
alle Wünsche befriedigte. Dank der hochentwickelten Notendrucktechnik in
Venedig und Antwerpen gelangte das Werk in alle Winkel mit auch nur irgendwie
nennenswerter musikalischer Aktivität im Bereich der liturgischen und der
weltlichen Kunstmusik.
Am kaiserlichen Hof der
Habsburger in Wien und - seit Rudolf II. (reg. 1576-1612) - in Prag wirkte von
1568 bis zu seinem Tode der aus Mecheln stammende Philippe de Monte (1521-1603),
dessen Schaffen durch die venezianischen Notendrucker ebenfalls europaweite
Verbreitung fand. Auch an zahlreichen Höfen in Italien wirkten bis zum
Jahrhundertende noch immer Frankoflamen, so z.B. bei den Gonzaga in Mantua der
aus Antwerpen stammende Giaches de Weert (1535-1596). Und schließlich
begegnen in einer Liste der Einwohner von Frankfurt am Main aus dem Jahre 1587
unter den dort aufgeführten zehn Berufsmusikern zwei Niederländer: der
Organist Watinus (de Wattines) aus Tournai und der Harfenist Franz de Quibber
aus Brüssel. [1] Noch sind also die Niederländer in der
Musikpraxis allgegenwärtig und tragen auch in der nicht sonderlich
auffallenden Stadtmusikpflege Frankfurts ihr Scherflein im Sinne des von ihnen
ausgehenden Internationalismus bei.
Die
frankoflämischen Komponisten des 15. und 16. Jahrhunderts hatten einen
musikalischen Stil ausgebildet und vervollkommnet, in dem die horizontale
Stimmführung den musikalischen Satz zu einem undurchdringbaren Gespinst
kunstvoll geführter musikalischer Linien von höchster Schönheit
und Reinheit werden ließ. Vom Konzept her waren die Linien im allgemeinen
für vokale Ausführung gedacht, auch wenn natürlich eine
Stützung oder auch alleinige Ausführung einzelner Stimmen durch
Instrumente in der Praxis stattfinden konnte. Auch wenn sich seit dem
beginnenden 16. Jahrhundert immer wieder und immer mehr nicht den
frankoflämischen Maîtrisen entwachsene Komponisten in die
bestehende Musikkultur einschalteten, so bedienten sie sich doch weitgehend der
vorgelegten Stilmodelle.
Unter dem Dach der
allgemein zugänglichen, verbindlichen und geübten Musikkultur
frankoflämischer Prägung entwickelten sich jedoch im Verlaufe des 16.
Jahrhunderts zahlreiche Sonderformen im Bereich der Musikpraxis ebenso wie auf
dem Sektor der musikalischen Gattungen, die zu jener Epochenwende nicht
unwesentlich beigetragen haben. Als besonders wirkungsmächtig sind die
Entstehung der Gattung des italienischen Madrigals vor allem in Oberitalien
(Mantua, Verona, Ferrara), ferner die Einrichtung einer ständigen
Instrumentalmusik-Banda an der Staatskirche S. Marco in Venedig und
schließlich die Praxis des mehrchörigen Musizierens an derselben
Kirche zu nennen.
Nachdem die literarische und
musikalische Gattung des Madrigals der ars nova zu Beginn des 15.
Jahrhunderts mit einem Mal aus der italienischen Kultur - anscheinend unter dem
Druck und Einfluß der gelehrten frankoflämischen Musik - verschwunden
war, entfaltete sich, angeregt durch das Mäzenatentum und das
Kunstverständnis der Markgräfin Isabella Gonzaga in Mantua, einer
geborenen Prinzessin Este (1474-1539), ein neuer literarisch-musikalischer
Geschmack, der sich aus der Wiederentdeckung Francesco Petrarcas (1304-1374) und
dessen Nachahmung speiste. Die weitgehende poetische Freiheit des literarischen
Madrigals - die freibleibend 7- oder 11-silbigen Verse können beliebig
gereimt werden - zieht eine ebensolche Freiheit der musikalischen Gestaltung
nach sich und begünstigt die Entfaltung einer spezifisch madrigalesken
musikalischen Kultur und Kompositionsweise im überkommenen vier-,
fünf- oder sechsstimmigen Satz. Hervorstechendes Merkmal ist das intensive
Eingehen auf einzelne Wörter des Textes, durch das Inhalt oder Ausdruck mit
musikalischen Mitteln interpretiert werden.
An der
Auskomposition der Gattung Madrigal sind italienische Komponisten ebenso
beteiligt wie Frankoflamen (z.B. Costanzo Festa, Jacques Arcadelt). Um 1600
hatte die Gattung einen Stand erreicht, der sie zur modernsten ihrer Zeit machte
und von der Neuerungen am ehesten zu erwarten waren. Die Anbringung sogenannter
Madrigalismen hatte längst auf die Gattungen der Messe und der Motette
übergegriffen und bildete den Grundstock für eine ausdrucksorientierte
Musik. Die Gattung Madrigal eroberte sich rasch die ganze europäische
Kultur. In Deutschland (z.B. Leonhard Lechner), England (z.B. Thomas Morley),
Spanien (z.B. Francisco Guerrero) und anderswo wurden Madrigale in italienischer
oder auch in der Landessprache komponiert.
Das
italienische Madrigal ist diejenige Gattung, von der zuallererst Neuansätze
ausgingen. Zwei Erscheinungen sind symptomatisch. Die freiheitlichen und
ausdrucksbetonten Möglichkeiten bildeten die Voraussetzung, das Madrigal
für das musikalische Theaterspiel zu nutzen. Konnte jedes einzelne Madrigal
dank seines literarisch-musikalischen Bilderreichtums schon ein kleines
Theaterstück in nuce sein, um wieviel mehr eignete sich die Gattung
dazu, aus der Kombination vieler charakterisierender und darstellender Madrigale
ganze Komödien zu bauen, wie dies Orazio Vecchi (1550-1605) und Adriano
Banchieri (1568-1634) mit Fleiß getan haben. Es ist sicherlich kein
Zufall, daß Madrigale des berühmtesten Gattungsvertreters, Luca
Marenzio (1553/1554-1599), mit im Gesamtkonzept der Florentiner Intermedien von
1589 aus Anlaß der Hochzeit von Ferdinando I. de' Medici (reg. 1587-1609)
mit Christina von Lothringen gestanden haben, die allgemein als frühe
Erprobungsphase der kurz vor der Jahrhundertwende eingeführten Gattung der
Oper gelten.
Noch an anderer Stelle zeigt die
Gattung des Madrigals die Einbruchstelle eines neuen Stilverhaltens und damit
einer ganz neuen Zeit. Claudio Monteverdi (1567-1643), überragender Neuerer
am Beginn des 17. Jahrhunderts, publizierte zunächst einmal von 1587 bis
1603 vier Bücher Madrigale in der herkömmlichen Satztechnik zu
fünf Stimmen a cappella, bevor er im 5. Madrigalbuch von 1605 das
neue aufführungspraktische Mittel der Generalbaßausführung ("col
basso continuo per il clavicembalo, chittarone od altro simile istromento") mit
hinzuzog.
Die Hinzunahme des Generalbasses, bei
dem ein Akkordinstrument (Orgel, Cembalo, Laute) und Baßinstrumente
(Basso, Violoncello, Fagott usw.) zusammen das Fundament bilden,
ermöglichte die Aufführung jedes beliebigen musikalischen Satzes; denn
fehlten in einer Besetzung Stimmen, so waren diese ja in der von der Gruppe der
Generalbaßspieler zu musizierenden Textur mit enthalten. Die
Generalbaßausführung garantierte die harmonisch vollständige
Wiedergabe jeder Partitur und war damit zu einem Musiziermittel für kleine
wie auch große Besetzung geworden, der einen zur Auffüllung, der
anderen zur fundierenden Sicherheit.
Im Grunde
erlaubte erst die Praxis des Generalbaßspiels solistische Musik, indem die
Generalbaßspieler jenen Teil des musikalischen Satzes übernahmen, den
der Solist - sei er Sänger, sei er Instrumentalist - nicht spielte, der
aber nach den Regeln des bestehenden Systems notwendigerweise den Satz
ausmachte. Auch wenn die Praxis schon 1587 nachgewiesen werden kann, so stellt
die Publikation der "Cento concerti ecclesiastici" von Lodovico da Viadana (um
1560-1627) im Jahre 1602 doch den eigentlich epochalen Schritt dar. Die
mehrfachen Nachdrucke dieses Werks in Venedig und ab 1609 in Frankfurt am Main
förderten die rasche Rezeption des Generalbaßspiels und sorgten
zugleich für eine Verbreitung der neuen Gattung des solistisch besetzten
Geistlichen Konzerts.
Mit dem Madrigal war
zunächst in Italien, dann aber auch außerhalb Italiens eine
hochgebildete, spezifische Gesellschaftskultur verbunden, die sich an den
Höfen und gleichermaßen in den patrizischen Stadtgesellschaften
ausbreitete. Sie eröffnete erstmals der Frau eine
Mitwirkungsmöglichkeit in einem von hohem literarischen und musikalischen
Anspruch geprägten Rahmen. Die 1601 veröffentlichten "Madrigale [...]
per cantare, et sonare a uno, e doi, e tre soprani" von Luzzasco Luzzaschi (um
1545-1607), wahrscheinlich schon 1570 für das berühmte Frauentrio des
Hofes von Ferrara komponiert, signalisieren eine entscheidende Wende der
Gesellschaftsmusik. Diese, die im Herzogtum Burgund noch weitgehend in den
Händen der Kleriker lag - auch Herzogin Isabella d'Este, die spätere
Markgräfin in Mantua, wurde noch von einem frankoflämischen Kleriker
(Johannes Martini) ausgebildet -, ist nun in diejenigen des Adels und des
bürgerlichen Patriziats übergegangen, wobei die falsettierenden
Männerstimmen mehr und mehr durch Frauenstimmen abgelöst
wurden.
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts gewinnt
Instrumentalmusik zunehmend an Bedeutung. Im Verlaufe des 16. Jahrhunderts
etabliert sie sich als ein eigenständiger Bereich im Gesellschaftsleben der
Höfe und der stadtbürgerlichen Kultur nicht allein Italiens, sondern
überall in Europa. In dieser Zeit vollzieht sich auch eine Trennung von
Vokal- und Instrumentalmusik. War diese in ihrer musikalischen Satzfaktur
zunächst noch weitgehend im Schlepptau der musikalischen Satzvorstellungen,
wie sie die frankoflämische Vokalkultur ausgeprägt hatte, so schuf
sich die Instrumentalmusik im 16. Jahrhundert eine eigene, teilweise
instrumentenspezifische musikalische Idiomatik sowie eigene Formen und
Gattungen. Um 1600 ist die Trennung grundsätzlich vollzogen, und es setzt
sich nun in breiter Front das Komponieren für spezifische Instrumente und
Instrumenten-Kombinationen durch.
Die mit der
Stadt Venedig untrennbar verbundene Mehrchörigkeit, begünstigt durch
die räumlichen Gegebenheiten der Markus-Kirche, wurde rasch zum Inbegriff
festlicher Musik. Zwar noch von dem Frankoflamen Adriaen Willaert (um 1490-1562)
in seinen "Salmi spezzati" von 1550 eingeführt, dann aber von italienischen
Komponisten wie Andrea und Giovanni Gabrieli (um 1510-1586 bzw. 1557-1612)
weiterentwickelt, fand sie außerhalb der Lagunenstadt zunächst nur
zögernd, dann allerdings nach 1600 auf dem schnellsten Wege Nachahmung,
nicht zuletzt auch nördlich der Alpen. Hans Leo Haßler (1564-1612) in
Nürnberg, Michael Prätorius (1571/72-1621) in Wolfenbüttel und
Heinrich Schütz (1585-1672) in Dresden griffen die Möglichkeit
begierig auf und machten das Verfahren zum festen Bestandteil der
Kompositionspraxis des 17. Jahrhunderts.
Die
Erfahrungen mit Mehrchörigkeit und der verbreitete Wunsch nach ihr hatten
ihre Konsequenzen: Im 1628 vollendeten Neubau des Salzburger Domes, der, auf der
Scheide zwischen Süd und Nord liegend, weithin in den süddeutschen
Raum ausstrahlen sollte und als Musterbau im Zeitalter der Gegenreformation
konzipiert war, wurden in der Vierung vier Musikeremporen - zwei davon mit
Orgeln bestückt - eingebaut, die eine Prachtentfaltung von bis dahin
unbekannten Ausmaßen zuließen. Das berühmteste Werk, die "Missa
Salisburgensis" von Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704) aus dem Jahre 1682
(?), früher allgemein Orazio Benevoli (1605-1672) zugeschrieben, ist
für 53 Stimmen zu fünf Chören
komponiert.
In der zweiten Hälfte des 16.
Jahrhunderts haben sich drei entscheidende Prozesse abgespielt, die
unlösbar miteinander verschränkt sind und im Bereich des Musiklebens
wie auch der Gattungen und Formen gravierende Veränderungen nach sich
zogen. Zum einen bahnte sich überall, hier früher, dort später,
die Ablösung der internationalen frankoflämischen Musikkultur an. So
lange diese fähig war, alle nationalsprachig aufkommenden
Anstöße aufzufangen, so lange konnte die Ablösung eine Weile
hinausgeschoben werden: Orlando di Lasso komponierte neben einem eindrucksvollen
lateinisch-geistlichen Oeuvre italienische Madrigale ebenso wie
französische Chansons oder deutsche (und auch niederländische) Lieder.
Der frankoflämische Komponist Jacobus Arcadelt (um 1500-1558) nahm sich
sofort beim Entstehen der neuen Gattungen des italienischen Madrigals und des
neuen Typs der Stadt-Pariser Chanson derselben an und zählte sogleich zu
den besten Erfüllern der ungeschriebenen
Gattungsnormen.
Am Ende des Jahrhunderts jedoch
war dieses kompositorische Potential verbraucht. Einsam steht als oft
apostrophierter "letzter Niederländer" (so die ältere Bezeichnung der
frankoflämischen Komponisten) Jan Pieterszoon Sweelinck (1562-1621) da,
dessen Vokalschaffen - Psalmenvertonungen und Cantiones sacrae - noch
einmal die hohe Kunst vollgültig repräsentierten, dessen
Wirkungsmächtigkeit allerdings vor allem auf dem Gebiet der
Orgelkomposition und des Orgelspiels beruhte. Gerade die nord- und
mitteldeutschen Meister wie Heinrich Scheidemann (um 1596-1663) in Hamburg und
Samuel Scheidt (1587-1654) in Halle an der Saale waren seine bedeutendsten
Schüler. Das mit der Einführung des Calvinismus einhergehende Verbot
von Kirchenmusik in Amsterdam, wo Sweelinck wirkte, und überhaupt in den
nördlichen Niederlanden hat sicherlich neben anderen Faktoren zu einem Ende
der Blütezeit der frankoflämischen Musik
beigetragen.
Die Ablösung der
Führungsrolle der frankoflämischen Komponisten führt zu einer in
der Kulturgeschichte einmaligen und noch längst nicht in allen Einzelheiten
erklärbaren Dominanz Italiens, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
ungebrochen angehalten hat. Auf dem Gebiet der Oper sollte sich diese sogar noch
bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts fortsetzen, als erst der
Antagonismus zwischen Richard Wagners Werk auf der einen Seite und dem
Opernschaffen Giuseppe Verdis auf der anderen Seite ein Ende signalisierte.
Spätestens um 1600 war die italienische Sprache allgemein zur
internationalen Fachsprache der Musik geworden und ist es bis heute geblieben.
Schon seit der Mitte des 16. Jahrhunderts waren alle bedeutenden theoretischen
Schriften nicht mehr in Latein abgefaßt worden, sondern in italienisch,
allen voran Gioseffo Zarlinos (1517-1590) für die humanistische Renaissance
richtungsweisendes Buch "Le istitutioni harmoniche" von
1558.
Symptomatisch für die neue
Führungsrolle, die auf dem Gebiet der praktischen Musik von Italien
ausging, ist die Tatsache, daß angehende oder auch nur halbwegs fertig
ausgebildete Musiker nach Italien gingen oder geschickt wurden, um sich zu
vervollkommnen. Dahinter steht auch die gewandelte Vorstellung, daß Musik
nicht mehr - wie zu Zeiten der frankoflämischen Komponisten, die sich im
allgemeinen aus dem Klerus rekrutierten - eine Wissenschaft sei, die im Trivium
der universitären Ausbildung ihren festen Platz hatte, sondern eine Praxis,
vergleichbar den mechanischen Künsten, die beinahe
handwerksmäßig zu erlernen sei.
Die
musikalische Welt um 1600 lebte von der durchaus an der Handwerkerausbildung
orientierten Vorstellung, daß begabte Nachwuchskräfte zum Lernen in
das Ausland zu gehen hätten. Dabei hatten sich zwei Anziehungspunkte
unterschiedlicher Art herauskristallisiert. Wenn die Tonkunst als Ganze erfahren
und erlernt werden sollte, so wurden die ausgewählten Kandidaten nach
Italien geschickt, wo vor allem Venedig mit seiner kunstvoll ausgebildeten
Vokal- und Instrumentalmusik sowie der glanzvollen Mehrchörigkeit
mächtig anzog. Der Aufenthalt Heinrich Schützens in Venedig bei
Giovanni Gabrieli aufgrund eines Stipendiums des sächsischen Kurhauses ist
ebenso bekannt wie folgeträchtig. Doch ist er längst nicht der einzige
Italien-Reisende. Zu nennen wären noch der Nürnberger Hans Leo
Haßler, der 1584 nach Venedig reiste, oder Johann Grabbe (1585-1655) aus
Lemgo, den Graf Simon VI. zur Lippe (reg. 1563-1613) 1607 zur weiteren
musikalischen Ausbildung ebenfalls nach Venedig zu Giovanni Gabrieli
schickte.
Ging es jedoch nicht um die Erlernung
der Tonkunst an sich, sondern um die handwerkliche Praxis des Orgelspiels mit
all ihren vielen Möglichkeiten, so schickte man die Kandidaten nach
Amsterdam zu Jan Pieterszoon Sweelinck. In Holland hatte nicht nur der Orgelbau
eine weit ausstrahlende Blüte erfahren, auch das Orgelspiel war zu seltener
Vollkommenheit gediehen, die auf Nord- und Mitteldeutschland eine besondere
Anziehungskraft ausübte. Die Kosten übernahmen nicht selten die
Städte. So schickte der Rat der Stadt Leipzig Andreas Düben (um
1590-1662) für sechs Jahre von 1614 bis 1620 "zue dem Künstler Johan
Pedersen" [Sweelinck], "dormit er seine Kunst desto beßer lerne und das
Componiren und Fugiren aus dem Fundament perfekt lernet". [2] Der so
geförderte dankte es seiner Heimatstadt allerdings schlecht, denn er ging
1620 oder 1621 nach Stockholm, wurde dort Hoforganist und Organist an der
deutschen Kirche und später (1640)
Hofkapellmeister.
Neben den beiden beschriebenen
Prozessen - Auslaufen der internationalen frankoflämischen Einheitskultur
und Gewinnung der musikalischen Hegemonie durch Italien - hat sich seit der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch ein dritter Prozeß
abgespielt, den der Sozialhistoriker Fernand Braudel vor allem im Bereich der
Wirtschaft und der Produktion untersucht hat, der aber auch im Bereich des
kulturellen Lebens wirksam wird: die allmähliche Verlagerung vom
Mittelmeerraum nach Zentral-, Nord- und
Mittelosteuropa.
In Europa ereignete sich im
Verlauf des 16. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Umkehrung und Verlagerung der
politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Gewichtungen. Bedeutete die
Renaissance eine kumulative Bündelung aller Kräfte und Interessen vor
allem in Italien als mediterranem Zentrum - erwachsen aus einer
frühkapitalistischen Wirtschaftsform und der entsprechenden politischen
Weitsicht -, so drängten nun nach 1500 andere Regionen in den Vordergrund,
in denen die Voraussetzungen für wirtschaftliche Innovationen besser
gegeben waren als im nunmehr politisch weitgehend ohnmächtigen Italien, das
zunächst in französische und nach 1550 in spanische Abhängigkeit
geraten war.
Die Umorientierung geschah vor dem
Hintergrund eines relativen Reichtums sowohl in Oberitalien als auch
nördlich der Alpen. Sie war verbunden mit einer sich
überstürzenden Erneuerung im Bereich der Technik, der Kunstfertigkeit,
der Mode und der Lebensformen. Die Ausweitung und Internationalität des
Erlebnishorizontes schufen einen zuvor nicht gekannten Reichtum von
Eindrücken. Dabei war nördlich der Alpen der "Nachholbedarf"
gegenüber der verfeinerten Zivilisation in Italien und im übrigen
Mittelmeerraum zweifelsohne groß. Und ihm gaben sich diese Regionen dann
auch mit unverbrauchter, sich überbietender Energie - so etwa wie
"Neureiche" - hemmungslos hin. Die Fülle der aus eigenen Kräften
gemachten Erfindungen und Neuentwicklungen ist dabei ebenso beeindruckend wie
die der Adaptionen und Importe aus fernen und fernsten
Ländern.
Die allenthalben in Deutschland im
16. Jahrhundert erkennbare Hereinnahme italienischer Musik darf nicht isoliert
gesehen werden, sondern sollte als Aneignung kultureller Formen im Zusammenhang
mit den anderen Künsten verstanden werden. Es ist ja offensichtlich so,
daß die bildenden Künste, so wie sie sich im 15. und 16. Jahrhundert
in Italien entfaltet hatten, allen voran die Malerei, aber auch die Skulptur und
die Architektur, eine Vorbildfunktion einnahmen, die so weit ging, daß
Künstler dieser Sparten regelmäßig nördlich der Alpen
arbeiteten und autochthone Entwicklungen, etwa in der Malerei, mit
beträchtlichem Erfolg zurückdrängten oder zeitweise gar zum
Erliegen brachten.
Eine zentrale, weil
verschiedene Kunstbereiche verbindende Rolle spielte offensichtlich das
höfische Festwesen, welches sich von dem des späten Mittelalters
erheblich unterschied. Erst in dem Maße, in dem man bereit war und es sich
aus Sicherheitsgründen auch leisten konnte, aus den engen Grenzen der
Burgen oder burgartigen Schlösser in großräumige
Gebäudekomplexe, die auch Freiplätze und Gärten einschlossen,
herauszugehen, entwickelte sich eine Fest- und Festspielkultur, die Malerei,
Skulptur, Architektur, Musik, Reitkunst und vieles andere in ein manches Mal
großartiges Gesamtkonzept zu bringen verstand. Die Feste am Hofe der
Medici gegen Ende des Jahrhunderts, über die man ja schließlich in
gedruckten Berichten nachlesen konnte, entfalteten eine
Wirkungsmöglichkeit, der gegenüber die internen höfischen
Beschreibungen des prunkvollen Ritualvollzugs am burgundischen Hofe Philipps des
Guten (reg. 1419-1467) eines Jean Molinet (1435-1507) und anderer eher nur eine
blasse Ahnung geben konnten.
In Dresden ist die
Anlehnung und Übernahme besonders deutlich zu spüren. Das junge
Kurfürstentum Sachsen bot nach 1555 die denkbar besten Voraussetzungen
für die Pflege und Aneignung von Kultur nach eigenen Vorstellungen, ohne
auf störende Vorbedingungen allzu große Rücksichten nehmen zu
müssen. Die Auseinandersetzungen um die neue Religion waren gewonnen, der
Konkurrent Brandenburg-Kulmbach wurde 1553 geschlagen, die nördlichen
Brandenburger hatten ihre eigenen Probleme und das Land des mächtigsten
Verbündeten, das des Landgrafen Philipp von Hessen (reg. 1509-1567),
zerfiel nach dessen Tode durch unnötige Erbteilungen. Sachsen war damit das
angesehenste weltliche Kurfürstentum im Reichsfürstenstand, dem mit
dem Amt des Erzmarschalls seit 1566 auch noch eine gewichtige
repräsentative Aufgabe zufiel.
Die die
bürgerlich-kapitalistische Eigeninitiative fördernde Staatsreligion
des Luthertums, eine technologisch moderne Wirtschaft und dazu ein großer
Vorrat an Bodenschätzen bildeten eine gesunde Basis für eine expansive
Territorialpolitik und eine kreative, flexible Kulturförderung. Mit der
Verlegung der Residenz von Wittenberg und Torgau nach Dresden konnte das
kulturelle Ornament als Symbol neugewonnenen Staatsbewußtseins in einer
Weise eingesetzt werden, die bereits das absolutistische Denken der Barockzeit
vorausnimmt. Man wird dies nicht allein in der Verpflichtung auswärtiger
berühmter Künstler zu suchen haben, sondern auch in der Öffnung
gegenüber dem kulturellen Angebot der Region, vor allem aber dem des
Auslandes.
Die Kapellordnung vom 1. Januar 1555,
die August von Sachsen gleich am Beginn seiner Regentschaft (1553-1586) erlassen
hatte [3], enthält ein Novum: Nicht nur, daß das Personal
beträchtlich vermehrt, also größeren repräsentativen
Aufgaben angepaßt wurde, man stellte neben den 19 Kapellsängern und
den 13 Kapellknaben nun auch die völlig neue Truppe der sieben "welschen
Instrumentisten" ein. [4] Die durchschnittlich höhere Besoldung der
Italiener ließ sie beinahe das Ansehen von uomini virtuosi gewinnen
und trug im übrigen nicht zur Harmonie in der
deutsch-niederländisch-italienischen Gesamtkapelle bei. Kantorei und
Instrumentistengruppe bildeten nach dem italienischen Vorbild der Organisation
an S. Marco in Venedig in der Folgezeit zwei getrennte Körperschaften. Der
Bereich der Instrumentisten wurde personell und auch materiell, d.h.
bezüglich der Anschaffung von Instrumenten ständig
erweitert. [5] Die Italiener standen zunächst unter der
Führung des Bergamasken Antonio Scandello (1517-1580), der den
poltitisch-religiösen Regeln gemäß Protestant wurde und dann
1568 mit dem damals erstaunlich hohen Jahresgehalt von 400 Gulden - als
Nachfolger des Frankoflamen Mattheus Le Maistre (um 1505-1577) - zum
Kapellmeister ernannt wurde.
Als Nachfolger des
Hofkapellmeisters in Dresden wurde 1580 wiederum ein Italiener benannt,
nämlich Giovanni Battista Pinello di Ghirardi (um 1544-1587), der sich
selbst als genuesischer Edelmann bezeichnete und von Rudolf II. aus Prag nach
Dresden empfohlen worden war. Mit ihm wurde jetzt nicht ein Instrumentalist
(wenn auch auf Wunsch der italienischen Instrumentalisten), sondern ein
Sänger (Tenorista) engagiert. Die Wachablösung der Frankoflamen
zugunsten von Italienern erscheint damit paradigmatisch vollzogen. Daß
sich Pinello nur vier Jahre in Dresden halten konnte, um dann - aufgrund von
Intrigen oder aufgrund mangelnder Führungsqualitäten, das bleibe
dahingestellt - einem deutschen Kapellmeister (Georg Forster) Platz zu machen,
ist für die allgemeine Tendenz ohne
Belang.
Wenn auch die humanistische Bewegung des
15. und 16. Jahrhunderts in Europa keine monolithische Einheit war, so lassen
sich doch zwei zentrale Aspekte im Blick auf alle europäischen Regionen
festhalten: Sie formulierte, erwachsen aus dem typisch italienischen
Verständnis von Commune, ein deutlich akzentuiertes Bewußtsein
der nationalen Eigenart, und sie schuf eine im bürgerlichen bzw.
staatlichen Leben tätige, nichtkirchliche Intelligenz, die es bisher kaum
gegeben hatte. Beide Aspekte sind auch für die musikgeschichtliche
Entwicklung in Europa von weitreichender Bedeutung. Hatten schon die
protestantischen Religionen den bürgerlichen, nicht dem Priestertum
zugehörigen Komponisten und Musiker freigesetzt, so war jetzt am Ende des
16. Jahrhunderts auch in den katholischen Ländern nicht selten an der
Spitze eines Musikwesens der bürgerliche, verheiratete Musiker zu sehen:
Orlando di Lasso, Hofkapellmeister in München, ist hier ebenso zu nennen
wie Claudio Monteverdi, Hofkapellmeister in Mantua und später Kapellmeister
an S. Marco in Venedig. Fünfzig Jahre früher wären ihre
kindergesegneten Biographien noch kaum denkbar
gewesen.
Der humanistische Anstoß aus
Italien hat besonders in Frankreich, England und Deutschland zu einer
eigenständig nationalen, auch an der Landessprache orientierten Musikkultur
geführt. Daß Spanien um 1600 im europäischen Konzert ebenfalls
eine selbständige und in ihrer Idiomatik, ihren Formen und Gattungen
eigenständige Musikkultur aufweist, sei betont, auch wenn Bewahrung und
Weiterentwicklung alter Traditionen eher die Ursache sein dürfte als die
fruchtbare Anverwandlung des humanistischen Konzepts
Italiens.
1570 wurde in Paris unter dem Patronat
König Karls IX. (reg. 1550-1574) von dem Dichter Jean-Antoine de Baïf
(1532-1589) und dem Musiker Joachim Thibault de Courville (um 1535-1581) die
Académie de Poésie et de Musique gegründet. Auch wenn
die dort konzeptionell gewollte Rückbesinnung auf die Antike und die daraus
resultierende Schaffung von quantitierenden Versen mit entsprechend
rhythmisierter Musik keine ungeteilte Zustimmung fand, so war damit doch ein
Zeichen gesetzt und eine nationale Institution geschaffen, in der
Zuständigkeit für Literatur und Musik gesucht werden durfte. Daß
zunächst einmal der Hugenottenpsalter - die Versifizierung der Psalmen
durch Clément Marot (1496-1544) und Théodore de Bèze
(1519-1605) - für beide Seiten, für Protestanten ebenso wie für
Katholiken, ein höheres Maß an kultureller Identifikation bedeutete,
tut der langfristigen Wirkung der Académie als zentraler
Pflegestätte keinen Abbruch.
Die Schaffung
eigener musikalischer Gattungen und Formen wurde in Frankreich noch
begünstigt durch das Zentralisierungsbestreben des Hofes. Der König
suchte dort alles zusammenzuziehen, was den Ruhm des Reiches mehren konnte. Zur
zentralen Einrichtung wurde der von König Heinrich IV. (reg. 1589-1610)
eingerichtete Posten des Surintendant de la musique de la Chambre im Jahr
1592, mit dem der Beginn einer offiziellen Hofmusikkultur neuer Art gesetzt war.
Unter Ludwig XIV. (reg. 1643-1715) nahm diese monarchische Zentralisation den
Charakter einer Kunstdiktatur an, die spätestens nach Beendigung des
Dreißigjährigen Krieges auf ganz Europa
ausstrahlte.
Eine erste nationale Ausprägung
hatte die Chanson in der sogenannten Stadt-Pariser Chanson erfahren, die in
unzähligen Drucksammlungen von Paris und Lyon aus seit den dreißiger
Jahren des 16. Jahrhunderts verbreitet wurde. Im Kontrast zur älteren
höfischen Chanson wollte die neue Gattung vor allem dem Wort, dem Verstand
und dem Esprit breiten Raum geben, damit das realistische Denken des
Bürgers einen Anreiz erhielte. In der Beliebtheit des Publikums
abgelöst wurde die Gattung von dem Air, d.h. von der instrumental
begleiteten, überwiegend einstimmigen Lied- oder auch Tanzmelodie, das in
vielerlei Formen begegnet und die Gesellschaftskultur um 1600 bis zum
Jahrhundertende als air à danser, als air à boire,
als air de ballet oder als air spirituel maßgeblich
geprägt hat. Einige dieser Formen wie das air à boire waren
der Volkskunst stark verpflichtet.
Unter den
Anregungen der Académie de Poésie et de Musique war in der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Ballet de cour entstanden,
in dem Tanz, Musik und Dichtung verbunden waren. Es war seiner Konzeption nach
eine Gattung ausschließlich für die höfische Gesellschaft, in
der neben wenigen Berufsmusikern hauptsächlich Mitglieder des Hofadels und
auch der königlichen Familie mitwirkten. Neben den Tänzen
gehörten zu einem Ballet de cour auch Vokalkompositionen in Form von
airs de cour und Deklamationen in Form der récits.
Textbücher setzten die Zuschauer in die Lage, der Handlung und den Texten
zu folgen. Diese Gattung, die sich am französischen Hof in mehreren
Spielarten entwickelt hatte, erwies sich während der Kriegszeiten in Europa
und vor allem danach als besonders wirkungsmächtig, wurde sie doch vielfach
nachgeahmt und hatte sie doch für die hofinterne Gesellschaftskultur
aufgrund der Mitwirkung aller einen nicht zu unterschätzenden, Auge, Ohr,
Verstand und Körper ansprechenden
Unterhaltungswert.
Bei aller intendierten
Eigenständigkeit der französischen Musikkultur eignete ihr auch eine
gewisse Einseitigkeit, die musikalisch Interessierte immer wieder nach Italien
blicken ließ und früh einen letztlich bis zum Ende des 18.
Jahrhunderts nie abreißenden Diskurs über die Vorzüge und
Nachteile bzw. die Überlegenheit der einen oder der anderen Musik
eröffnete. Begleitet wurde die ständige Diskussion durch die Einladung
an italienische Musiker und Literaten schon zu Zeiten der Katharina de Medici
(1519-1589), die unter Kardinal Jules Mazarin (1602-1661) dann zu einer wahren
Invasion italienischer Musik führte. Auch hier in Frankreich ist also die
permanente Dominanz italienischer Musikkultur - und wenn auch nur bereichsweise
als Folie - erkennbar.
Nach der Lösung der
englischen Kirche im Jahr 1531 vom Papsttum durch Heinrich VIII. (reg.
1509-1547) und der Konsolidierung des englischen Königtums unter Elisabeth
I. (reg. 1558-1603) begann eine große Blütezeit englischer Literatur
und Musik. Die enge Bindung der Musik an die Sprache hat ihre Wurzel in der
italienischen humanistischen Ästhetik und wird auch mittels italienischer
Vorbilder wie etwa der Übersetzung von Baldassare Castigliones (1478-1529)
"Il libro del cortegiano" nach England verpflanzt. Seit 1562 stand Alfonso (I.)
Ferrabosco (1543-1588) aus Bologna in Elisabeths Diensten und vermittelte den
englischen Komponisten die Kenntnis des italienischen Madrigals, das diese als
Hauptgattung der englischen Gesellschaftskultur weiterentwickelten und
anglisierten, wobei man bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts - im Gegensatz zur
Generalbaßpraxis auf dem Kontinent - an der vokalen Mehrstimmigkeit
festhielt.
Daneben fallen noch zwei weitere
spezifisch englische Gattungen ins Auge, die dann auch auf den Norden des
Kontinents ausstrahlten: das ayre und das consort. Die
Blütezeit der ayres - englischsprachiger Sololieder mit
Instrumenten- und/oder Lautenbegleitung - begann 1597 mit John Dowlands (um
1563-1626) "First Booke of Songes or Ayres" und endete 1622. Besonderer
Beliebtheit erfreute sich die consort-Musik, unter der eine Musik
für aus vier bis sechs Musikern bestehende Kammermusikensembles zu
verstehen ist; sie kann für Instrumente einer Familie (Whole
Consort) oder aber auch für Instrumente unterschiedlicher Familien
(Broken Consort) komponiert sein. Dahinter steht eine
außerordentlich reiche und intensive Instrumentalmusikpflege, aus deren
Einflußbereich nicht wenige Instrumentalmusiker und auch Lautenisten
zeitweise auf dem Kontinent wirkten, so z.B. John Dowland 1594/95 an den
Höfen in Wolfenbüttel und Kassel und 1598-1606 am Hofe Christians IV.
von Dänemark (reg. 1588-1648).
Unter allen
Neuerungen, die um 1600 von Italien ausgingen, ist sicherlich die Schaffung der
Oper die wirkungsmächtigste. Keine Gattung hat auf lange Sicht die
musikalische Kultur Europas derart entscheidend verändert. Mit ihr ist
nicht nur eine neue Gattung mit verschiedenen literarischen Formen und
Subgattungen aus der Taufe gehoben worden, mit ihr ist auch dem Darstellungsstil
in der Musik auf eine folgenschwere Weise zum Durchbruch verholfen worden, der
in der Zukunft immer deutlicher trennt zwischen einer Musik (mit allen
Begleitumständen wie Szene, Bild, Handlung usw.), die nur zum Zuhören
und Zuschauen, und einer Musik, die zum Selber-Musizieren gedacht
ist.
Die Oper entstand um 1600 in Italien und
speiste sich dabei aus drei Quellen, aus dem Pastoraldrama mit Musikeinlagen,
aus den Festveranstaltungen an den oberitalienischen Höfen, allen voran
denen in Florenz, und schließlich aus der Diskussion um eine mögliche
Wiedergewinnung der antiken Tragödie, wie sie vor allem in der "Camerata
Fiorentina" des Grafen Giovanni de' Bardi (1534-1612) geführt wurde. Mit
"Dafne", Dichtung von Ottavio Rinuccini (1562-1621), Musik von Jacopo Peri
(1561-1633) und Jacopo Corsi (1561-1604) (nur in wenigen Bruchstücken
erhalten), und "Euridice", Text wiederum von Rinuccini, vertont einmal von Peri
und ein zweites Mal von Giulio Caccini (um 1550-1618), liegen 1598 und 1600 die
ersten drei vollgültigen Opernversuche vor. In ihnen wurde in einem von der
Antike inspirierten Einzelgesang (der Monodie) über einem instrumentalen
Stützbaß in meist langen Notenwerten ein neuer Vortragsstil,
recitativo bzw. rappresentativo, praktisch erprobt. Ziel war es,
die Sprache durch den musikalischen-gestischen Vortrag zu einer erhöhten,
affektbetonten Wirkung kommen zu lassen.
Das
Florentiner Konzept der Oper wurde in verschiedenen Entwicklungsstationen rasch
erweitert. Neben ariose Formen mit der Tendenz zur weiteren Schließung der
Form traten Chorsätze, Instrumentalsätze und auch
Solo-Ensemblesätze. Zentren der Opernversuche und -pflege waren
zunächst die oberitalienischen Höfe (Florenz, Mantua) und die
Hofhaltungen der Kardinäle in Rom. Der Siegeszug der Gattung war
spätestens 1637 nicht mehr aufzuhalten, als in Venedig das erste
öffentliche Opernhaus - das Teatro di San Cassiano - seine Pforten
öffnete und Oper auf der Basis eines Unterhaltungsunternehmens für die
gebildeten Touristen Europas und die Oberschichten der Republik anbot. Claudio
Monteverdi, der sich schon in der Erprobungsphase in Mantua mit "Orfeo" (1607)
und "Arianna" (1608, nur das Lamento ist erhalten) an der
Weiterentwicklung der Gattung über das monodische Grundkonzept hinaus
beteiligt hatte, steuerte nun in Venedig zum kommerziellen Opernunternehmen noch
zwei bedeutsame Beiträge bei: "Il ritorno d'Ulisse in patria" (1640) und
"L'incoronazione di Poppea" (1642).
Wie alles, was
in der musikalischen Szene Italiens geschah, wurde auch die Entstehung der Oper
nördlich der Alpen wahrgenommen. Die Hofberichterstattung einerseits und
der Musikeraustausch andererseits sorgten für ziemlich genaue Mitteilung
wohl auch der Details. Daß es zunächst nicht zu einer direkten und
vor allem weitverbreiteten Übernahme des italienischen Modells im Norden
gekommen ist, daran trägt sicherlich der Ausbruch des Krieges die Schuld.
Denn dem italienischen Vorbild nacheifern können hätte man nur an den
Höfen, und dort waren die Kräfte mehr oder weniger gebunden durch die
Kriegsführung. Interesse bestand überall. Bereits 1628 fanden in
Warschau auf dem Schloß die ersten Aufführungen originaler
italienischer Opern statt, denen bald Neukompositionen ortsansässiger
Italiener (Marco Scacchi, Michelangelo Brunerio)
folgten.
In Dresden, wo schon die zahlreichen
italienischen Kapellmusiker eine ständige Verbindung mit dem Süden
garantierten, hatte man die Entwicklung der neuen Gattung auch beobachtet.
Jedenfalls ließ man die "Dafne" von Rinuccini 1627 in der Übersetzung
von Martin Opitz (1597-1639) anläßlich der Hochzeit der ältesten
Tochter des Kurfürsten auf Schloß Hartenstein in Torgau
aufführen. Heinrich Schütz komponierte die Musik, von der allerdings
nichts erhalten ist. So weiß man nicht, ob die Vertonung des Textes
durchweg in jenem monodischen Stil gehalten ist, der die erste Komposition von
Peri des Jahres 1598 auszeichnete, oder ob Schütz der Entwicklung der
Gattung, soweit sie ihm bekannt geworden ist, Rechnung getragen, einen
vielfältigeren und abwechslungsreicheren Stil der Vertonung angewendet und
dabei zusätzlich Erfahrungen aus dem Theaterstück mit Musik, wie es in
Deutschland mancherorts gepflegt wurde, eingewoben hat. Das letztere dürfte
der Fall gewesen sein.
Die Situation am Dresdner
Hof ist typisch für das Verhalten überall an den deutschen Höfen.
Man ist bezüglich der musikalischen Kultur voll auf der Höhe der Zeit
und auch bereit, neue Entwicklungen aufzugreifen und in das eigene Ambiente zu
verpflanzen, wenn erwünscht, dann eben in Übersetzung, wie in Torgau
geschehen. Die Jahre des Krieges führen jedoch zu einer gewissen
Stagnation, die sich naturgemäß besonders in der musikalischen
Festkultur und der privaten höfischen Unterhaltungskultur zeigen muß,
da die Führungsschichten meist auf Kriegszügen sind. Nur höfische
Zeremonialveranstaltungen wie Hochzeitsfeste mobilisieren die noch vorhandenen
Kräfte einer jeglichen
Hofmusikhaltung.
Exemplarisches läßt
sich auch an der Musikübung am württembergischen Hof in Stuttgart
ablesen. Dort findet man all die behandelten Aspekte innerbetrieblich umgesetzt
und damit die Voraussetzungen geschaffen, eine wirkungsvolle,
repräsentative, Geist und Seele ausfüllende musikalische Hofkultur zu
betreiben. Der Herzog verfügte bereits 1575 über eine aufwendige
Instrumentalmusik, die Philipp Nicodemus Frischlin (1547-1590) in großer
Überschwenglichkeit beschrieb: "in allen enden höret man mit den
Instrumenten ein Engelsüsse Music [...], mit vier, mit fünffen, mit
sechs stimmen, mit Saitenspilen, Clavizimmen, mit schreiend Pfeiffen vnd
Schalmeien, daß eim das Hertze möcht erfrewen." [6]
Später, 1625, ist die Hofmusikkapelle hinsichtlich der Instrumentalisten
auch noch um eine "Engelländische Compagnia"
vermehrt.
Die herzogliche Kapelle war seit dem
ausgehenden 16. Jahrhundert immer ausgezeichnet mit Personal ausgestattet. Im
Jahre 1611 bestand sie sogar aus 68 Mitgliedern einschließlich der
Kapellknaben. Unter den Mitgliedern befand sich auch ein Kastrat deutscher
Provenienz; ein "Eunuchus", von dem die Quelle sagt, er "singt auch ein Discant,
schlägt nit gar wol auff der Lautten, sunsten ein frommer
gesell". [7] Daneben ist auch ein italienischer Baß-Sänger in
der Kapelle anzutreffen. Nachdem die päpstliche Kapelle trotz Verbotes der
Kastration schon 1588 einen spanischen Kastraten aufgenommen hatte, konnten
diese von den kirchlichen Kapellen Italiens nicht mehr ferngehalten werden, wo
sie wegen des verbotenen kirchlichen Frauengesangs die falsettierenden
Männerstimmen verdrängten. In der italienischen Oper, namentlich in
den kommerziellen Unterhaltungsbetrieben Venedigs, hatten sie ihr eigentliches
Wirkungsfeld. Von daher wäre der württembergische Hof auf die Pflege
italienischer Oper einigermaßen vorbereitet gewesen. Zur Gesangskultur am
württembergischen Hofe gehörte auch die Praxis des Koloratursingens,
über die sich die Akten immer wieder auslassen; gerade für die
Kammermusik sollten die Diskantisten "zu einer feinen Coloratur angewisen
werden". [8]
Bei aller Aufgeschlossenheit
und modernen Ausrichtung der württembergischen Hofkapelle wie auch anderer
fürstlicher Kapellen ist die Basis der Kapellmusik noch immer die
frankoflämische Polyphonie vor allem in Gestalt des Oeuvres Orlando di
Lassos. 1604 wird der Herzog gebeten, dem Ankauf des gerade erschienenen "Magnum
opus musicum" bei "des Orlandi Erben" zu genehmigen, weil dieses Werk mit seinen
über 500 Motetten nicht allein der fürstlichen Kapelle, "sondern der
ganzen Universal-Musica allenthalben nützlich"
sei. [9]
Was hier für die herzogliche
Kapelle in Stuttgart belegt ist, hat nicht nur seine Parallelen in anderen
Hofkapellen, sondern teilweise auch in den Kantoreien der Städte (vgl.
meinen Aufsatz "Musikalischer Alltag im Dreißigjährigen Krieg" in
diesem Band). Die Hauptform der Kirchenmusik um 1600 war die Motette. Hatte sie
vor 1550 ihre klassische Ausbildung im vierstimmigen Satz erfahren, so war jetzt
der fünf- und sechsstimmige Satz die Regel; aber auch doppel- und
dreichörige Kompositionen zu acht bzw. zwölf Stimmen waren keine
Seltenheit und entsprachen dem Bedürfnis nach klanglicher Prachtentfaltung,
wie sie mancher Komponist in Italien, insonderheit in Venedig kennengelernt
haben mag. Dabei mußten nicht alle Stimmen vocaliter
ausgeführt werden, oft wurden Instrumente hinzugezogen, und der Organist
hielt den ganzen Satz durch sein Mitspiel einer Particell
zusammen.
Säulen der Motettenliteratur waren
auf der einen Seite die Werke des bayerischen Hofkapellmeisters Orlando di
Lasso, deren Drucke in jeder kleinen Kantoreibibliothek verfügbar waren,
wie die Bestände oder die erhaltenen Inventare belegen, und auf der anderen
Seite das "Florilegium musicum Portense" des Erhard Bodenschatz (1576-1636).
Dieser hatte (spätestens) während seiner Tätigkeit als Kantor an
der Eliteschule zu Schulpforta bei Naumburg eine Sammlung von 265 lateinischen
Motetten deutscher und italienischer Komponisten zusammengetragen und sie 1603
("Florilegium selectissimarum cantionum") und 1621 ("Florilegium musicum
Portense") in zwei Teilen publiziert. Die Sammlung blieb zumal in den
sächsischen Ländern bis in die Zeiten Johann Sebastian Bachs
(1685-1750) in Gebrauch.
Das lange Festhalten hat
seine Ursache. Grundlage der regelmäßigen Kirchenmusik vor allem in
den protestantischen Regionen war die sogenannte Figuralmusik. Doch ist sie
erst, wenn man nicht nur solche Vorreiterposten wie Leipzig, Wittenberg, Torgau
oder Dresden vor Augen hat, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
weitgehend flächendeckend etabliert gewesen. Aus Frankfurt am Main wird
berichtet, daß am 22. März 1573 "die Praeceptoren und discipuli des
Gymnasii zum erstenmal die Figural-Music in der [evangelischen]
Barfüßerkirche" gesungen haben, "so zuvor an diesem Ort nicht
bräuchlich gewesen." [10] Gerade bei der Frage, wann der aus
Italien herüberkommende Stilwandel in deutschen Landen aufgegriffen wird,
muß man das Festhalten an einer noch gar nicht so alten, aber inzwischen
bewährten Praxis sehen und ein gewisses Beharrungsvemögen aller daran
beteiligten Kräfte verstehen.
Dennoch wurden
überall in Deutschland, gleichgültig ob in den katholischen oder in
den protestantischen Ländern, die italienischen Neuerungen, d.h. der
konzertierende Stil in Verbindung mit der neuen Generalbaßpraxis und die
neue instrumentale Ensemble-Musik, begierig aufgenommen. Die stetig anwachsende
Menge der musikalischen Druckpublikationen belegt dies auf ihren
Titelblättern deutlich. Kaum ein Titel, der nicht auf italienische
("welsche") Anregungen oder Formen hinweist, wenn er nicht gleich auf
italienisch abgefaßt ist. Es bahnt sich eine Epoche der Neuorientierung
an, die durch die kriegerischen Wirren und Schicksale nur unwesentlich gebremst,
keinesfalls aber in eine andere Richtung gelenkt wird. Das sollte mit einer
deutlichen Orientierung nach Frankreich hin erst nach dem Kriege
geschehen.
Wenn auch der musikalische Aufwand, der
am Hofe Bischofs Ernst August I. (reg. 1662-1698) aus dem Hause
Braunschweig-Lüneburg auf dem Schloß in Iburg und später in dem
neuerbauten Schloß in Osnabrück betrieben wurde, sich nicht mit dem
in Celle messen konnte, so ist er hier wie dort eindeutig französisch
bestimmt. Auf Veranlassung der Fürstin Sophie, einer Prinzessin von der
Pfalz, wurden beinahe alle Musiker aus Frankreich berufen, allen voran als
Tanzmeister Jemmes. In einem Brief an ihren Bruder, den Kurfürsten Carl
Ludwig von der Pfalz (reg. 1650-1680) betont sie, daß ihr Tanzmeister
gerade aus Paris zurückgekehrt sei und "une très bonne bande de
violons, un qui joue de la thuorbe et du lut, et un autre qui chante la base"
mitgebracht habe. [11] Der Zweck dieser Ansammlung von
französischen Musikern war es offensichtlich, eine gepflegte Tafelmusik zu
haben und zusammen mit der ganzen Familie, einschließlich der herzoglichen
Kinder, regelmäßig gesellige Musik mit Masken- und
Gesangsaufführungen veranstalten zu
können.
Am Vorabend des
Dreißigjährigen Krieges herrschte, wie manche Einzeluntersuchungen
belegen, beträchtlicher Wohlstand in den Städten. Die Wirtschaftskraft
ließ es zu, daß nicht selten auch Katastrophen rasch bewältigt
werden konnten. So wütete 1599 in Zittau eine fürchterliche Pest, der
fast 3.000 Menschen zum Opfer fielen. Und 1608 brannte ein Drittel der Stadt ab.
Dennoch erholte sich die Stadt rasch, die Bevölkerung nahm ständig zu,
und der Kleiderluxus sowie das Festleben erreichten einen derartigen Umfang,
daß der Rat Verordnungen zur Eindämmung von "Hoffarth und Exceß
in Kleidungen" sowie der Dauer von Festen
erließ. [12]
Der zunehmende und
teilweise ausufernde Wohlstand wurde jedoch zugleich konterkariert vom Wachsen
böser Vorahnungen, abergläubisch interpretierter Anzeichen und einer
entsprechenden Publikationsflut auf der Ebene der Flugblätter. Besonders
Mißgeburten galten als böses Vorzeichen, wurden, wie in Zittau,
abgebildet und in langen Gedichten nach Choralmelodien besungen. [13]
Eine kriegerische Austragung der Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten
schien unausweichlich.
Die moderne
Musikgeschichtsschreibung hat sich nicht immer die Mühe gemacht, die
sozialen Verhältnisse der Musiker zu dokumentieren; wo dies jedoch
geschehen ist, zeichnet sich eine gut fundierte Prosperität ab, von der die
städtischen Musiker ebenso erfaßt sind wie die höfischen. Schaut
man auf Leipzig, so überrascht, daß beinahe jeder zweite Musiker, der
zur Zeit des Thomaskantors Sethus Calvisius (1556-1615), eines der bedeutendsten
Vorgänger Johann Sebastian Bachs, im Dienste der Stadt Leipzig ständig
wirkte, auch ein Häuschen oder gar ein ansehnliches Haus besaß.
Mancher von ihnen war sogar in schwunghafte permanente Hausverkaufshändel
verwickelt. [14]