DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
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HANS SOOP Der Skulpturenschmuck des Kriegsschiffs Vasa als Ausdruck der politischen Ansprüche, Pläne und Ambitionen Gustav Adolfs |
Im April 1961 wurde nach umfangreichen
Vorbereitungen das Kriegsschiff Vasa geborgen, das bei seiner
Jungfernfahrt am 10. August 1628 im Hafen Stockholms gesunken war. Der Rumpf
wurde in ein Trockendock bugsiert, auf einem Ponton plaziert und mit einem
schützenden Aluminiumgehäuse umbaut. Vom Spätherbst 1961 bis zum
Dezember 1988 konnte man die Vasa in einem provisorischen Museum
besichtigen, wo sie konserviert und restauriert wurde. Seit dem Sommer 1990 ist
das rekonstruierte Kriegsschiff im neuen Vasamuseum im Djurgården von
Stockholm ausgestellt. Mehr als 6 Millionen Besucher haben seither das Schiff
besichtigt, was das Vasamuseum zu dem meistbesuchten Museum Skandinaviens
macht.
Als die Vasa geborgen wurde, bestand
das Schiff nur noch aus dem Rumpf, der jedoch erstaunlich gut erhalten war. Das
gewaltige Takelwerk mit seinen Masten und Marsrahen und das hohe Hinterkastell
mit seinen Galerien und Spiegeln wie auch das kräftige Galion waren
während der 333 Jahre, die die Vasa auf dem Meeresgrund gelegen
hatte, zerstört worden, und viele Teile waren abgefallen. Zur Bergung der
Vasa gehörte daher auch die Sicherstellung von Tausenden von
Konstruktionsteilen sowie mehrerer Hundert Skulpturen und geschnitzter
Ornamente. Dies bildete die Grundlage für die Rekonstruktion des Schiffes.
Heute zeigt sich die Vasa in ihrem ganzen restaurierten Schmuck, mit dem
wiederhergestellten Hinterkastell und dem Galion, samt den vielen Skulpturen und
Ornamenten sowie Architekturteilen - alles am richtigen Platz. Dies ist das
Resultat vieler Jahre geduldiger Arbeit, die dadurch erschwert wurde, daß
weder Zeichnungen noch Abbildungen oder Angaben über das ursprüngliche
Aussehen des Schiffes erhalten sind.
Die
Vasa wurde auf der königlichen Schiffswerft in Stockholm in der Zeit
von 1626 bis zum Frühjahr 1628 im Zuge der Aufrüstung der schwedischen
Flotte gebaut. Von einem in Holland geborenen Schiffsbaumeister
hauptsächlich nach holländischer Manier konstruiert, gleicht sie mit
ihrem hohen und ziemlich schmalen Hinterschiff und dem großen, schweren
und leicht aufwärts geneigten Galion dem Schiffstyp, der in West- und
Nordeuropa während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelt
wurde. Das Kriegsschiff Vasa war mit einer Länge von 69 Metern,
einschließlich dem Bugspriet, für schwedische Verhältnisse ein
großes Fahrzeug, vielleicht das größte, das bisher in Schweden
gebaut worden war. Das Hinterschiff mit dem Achterkastell war nahezu 20 Meter,
der Großmast ca. 50 Meter hoch. Das Verdrängung betrug 1.400 Tonnen.
Erbaut mit doppeltem Batteriedeck für 48 schwere Kanonen, hatte das Schiff
insgesamt 64 Kanonen und war mit seinen 10 Segeln für eine Besatzung von
ca. 450 Mann, davon 300 Soldaten, bestimmt.
Um
1600 wurden gemalte Dekorationen an Schiffen mehr und mehr durch
dreidimensionale, vor allem geschnitzte Ausschmückung ersetzt. [1]
Die Schiffe des 17. Jahrhunderts zeigten demzufolge eine reiche
Skulpturenpracht, eine Entwicklung, die in der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte. Den Verzierungen kam eine wichtige
Aufgabe zu. Sie waren geprägt durch die symbolisch-allegorische Bildkunst
der Renaissance und des Barocks, deren Wurzeln bis in die antike Mythologie und
biblischen Historien, Philosophie und Geschichte sowie in die
nationalgeschichtliche Romantik (Störgotizismus) reichen. So
übermittelte auch der Skulpturenschmuck an Schiffen eine Botschaft. Zumeist
bezogen sich diese Botschaften auf den Fürsten, den Bauherrn des Schiffes,
und sollten der Welt seine Macht, seine moralische Integrität und
Herrschertugenden, seine politischen Absichten ebenso wie seine Ambitionen
zeigen. Die großen Kriegsschiffe sind in dieser Hinsicht den damaligen
Palastarchitekturen mit ihren allegorischen Dekorationsprogrammen vergleichbar,
die der Verherrlichung von Fürsten und Bauherren dienten. Den Stellenwert
innerhalb dieses Fürstenkultes kann man bei den großen Kriegsschiffen
nicht hoch genug ansetzen, wie ein Zitat des französischen Ministers
Colbert, das sich auf die großen Kriegsschiffe Ludwigs XIV. bezieht,
zeigt:
"[...] il
n'y a rien
qui frappe tant les yeux, ni marque tant la magnificence du Roy que de les (les
navires) bien orner comme les plus beaux qui ayent encore paru à la mer
[...]". [2]
Diese Schiffe wurden nicht nur als Kriegsmaschinen, sondern auch als eine Art
schwimmender Palast betrachtet. Dieser Aspekt ist bei der kunst- und
kulturgeschichtlichen Forschung zu Kriegsschiffen des 17. Jahrhunderts bisher
kaum oder gar nicht berücksichtigt worden. Der Grund ist natürlich,
daß sich nur äußerst wenig geschnitzte Schiffsdekorationen
erhalten haben - hier ist die Vasa eine positive Ausnahme. Andererseits
gibt es in vielen Ländern reiches Material in Form von Zeichnungen,
Bildern, Gemälden und Schiffsmodellen, die diesen Bereich beleuchten
könnten. Das gilt nicht zuletzt für Frankreich, wo während der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, also in der Regierungszeit Ludwigs
XIV., die allegorische Dekoration der großen Schiffe ihren Höhepunkt
erreichte. Hier geht es um die Glorifikation des Königs, und die Schiffe
waren ein wichtiger Bestandteil des Mythos, der in propagandistischer Absicht um
den Herrscher errichtet wurde. [3] Der englische Kulturhistoriker Peter
Burke behandelt dieses Thema zwar, beachtet dabei aber nicht die Rolle, die die
Ausschmückung der großen Kriegsschiffe in diesem Zusammenhang
spielt. [4]
Mit der Vasa hat sich
ein einmaliges Beispiel eines reich ausgeschmückten Kriegsschiffes
erhalten. Sie ermöglicht es erstmals, dem Prinzip der Ausschmückung
eines großen Kriegsschiffes im Detail zu folgen und zu studieren, wie es
Selbstbild, Machtanspruch und politische Absichten eines Fürsten zum
Ausdruck bringt. Die rekonstruierte Vasa zeigt mit fast 500 geschnitzten
Figuren heute nahezu die ursprüngliche Zahl des Figurenschmucks. Die
meisten dieser Skulpturen haben einen symbolischen Gehalt. [5] Sie waren
teils auf dem Hinterkastell, mit dem Achterspiegel als dem inhaltlich
prominentesten Teil des Schiffes, konzentriert, teils auf dem Galion. Die Wahl
der Motive der einzelnen Skulpturen und ihre jeweilige Plazierung machen
deutlich, daß der Dekoration des Schiffes ein detailliertes Bildprogramm
zugrunde lag. Wer für dieses Programm verantwortlich war, ist nicht
bekannt, doch liegt es nahe, dabei an den höchst gebildeten Reichsrat und
Universitätskanzler Johan Skytte (1577-1645), den Lehrer Gustav Adolfs, zu
denken. [6] Wer immer es war, er dürfte das Bildprogramm aber in
jedem Fall in enger Zusammenarbeit mit dem König entworfen
haben.
Die Vasa wurde im Winter 1625
bestellt, daher ist wahrscheinlich daß das Bildprogramm zu Beginn dieses
Jahres entstand. Sicher gab es, solange das Schiff im Bau war, auch die
Möglichkeit zu Änderungen oder Komplettierungen, schließlich
wurden die Skulpturen auf der Werft geschnitzt. Will man also versuchen, die
Pläne Gustav Adolfs, seine Gedanken und Ideen in dem Skulpturenschmuck
nachzuvollziehen, muß man seine Situation während der Periode von
1625 bis zum Frühjahr 1628 berücksichtigen, besonders in bezug auf die
damalige Außenpolitik.
Drei
Problemstellungen ergaben sich: der für Schweden aktuelle Krieg mit Polen,
der Krieg in Deutschland und die gespannten Beziehungen zum alten Erbfeind
Dänemark. Im polnischen Krieg ging es um die Vorherrschaft im Ostseeraum
(dominium maris Baltici), den Erhalt der Macht Schwedens in den neu
erworbenen baltischen Provinzen, und nicht zuletzt um den dynastischen Streit
zwischen Gustav Adolf und seinem Vetter Sigismund von Polen. Im Jahre 1592 wurde
dieser König von Schweden, wurde aber 1599 abgesetzt - was ihn allerdings
nicht hinderte, weiterhin Ansprüche auf den schwedischen Thron zu erheben.
Der Krieg in Deutschland war seit 1618 im Gange, und Gustav Adolf folgte dem
Geschehen mit allergrößtem Interesse. Er sah seinen eigenen Kampf in
Polen als einen Teil dieses Krieges, der Europa zersplitterte. [7] Als
evangelischer König stand er natürlich auf Seiten der Protestanten,
doch sah er den röm.-deutschen Kaiser auch als eine realpolitische
Bedrohung, besonders nachdem dieser 1625 Wallenstein in seinen Dienst genommen
hatte: Der Niederlage des dänischen Königs Christian IV. gegen Tilly
im August 1626 folgte die Invasion Wallensteins in Norddeutschland und
Jütland, was verständlicherweise als direkte Bedrohung der
schwedischen Machtstellung im Ostseeraum aufgefaßt wurde. Man kann daher
davon ausgehen, daß der König und seine Regierung in dieser Periode
mit dem Gedanken spielten, in den Krieg einzugreifen. Was Dänemark
betrifft, war Gustav Adolf zu diesem Zeitpunkt eher an einem entspannten
Verhältnis zu dem alten Rivalen interessiert. Die beiden Länder hatten
ja die deutschen Katholiken und den Kaiser als gemeinsamen Feind. Bereits
früher hatte der schwedische König angeregt, mit einer
schwedisch-dänischen Militäraktion in den Krieg einzugreifen, was
allerdings von dänischer Seite abgelehnt wurde. Zudem befand sich
Dänemark nach der Niederlage Christians IV. 1626 in der Defensive, obwohl
es noch immer die stärkste Macht im Ostseeraum war. Vielleicht hatte Gustav
Adolf aus diesem Grund darauf verzichtet, sich auf der Vasa, als Neptun,
den Herrscher der Meere, verherrlichen zu lassen. König Christian
gebrauchte die Neptunsymbolik in seiner Propaganda, und wahrscheinlich wollte
Gustav Adolf den dänischen König, den Herrscher der Ostsee, in dieser
schwierigen Lage nicht herausfordern. [8 ]Im Folgenden soll am Beispiel
einiger Skulpturen und Skulpturengruppen gezeigt werden, wie Gustav Adolfs
Selbstbild Eingang in das ikonographische Programm des Schiffes fand. Es handelt
sich um Skulpturen vom Achterspiegel und vom Bug des Schiffes samt dem Galion.
Diese sind, da sie sich eng an der gebräuchlichen Renaissance-Ikonographie
orientierten, eindeutig zu
entschlüsseln.
Die Bekrönung des
Achterspiegels mit dem Bild des Königs
Hoch
oben am Achterspiegel befindet sich eine große Skulpturengruppe. Unter
einem Rundbogen zeigt sie in ihrem Zentrum das Bild eines jungen Mannes mit weit
ausgestreckten Armen und kindlich rundem, bartlosem Gesicht. [9] Er ist
nach der zeitgenössischen Mode in Zivil gekleidet. Auf dem Kopf trägt
er ein Diadem mit Stirnschmuck und um den Hals eine Kette mit Medaillon. Was
dieses Medaillon zeigte, ist nicht mehr erkennbar. Er ist von zwei großen
Greifen flankiert, die eine mächtige königliche Krone über seinem
Haupt halten. An der Basis der Skulpturengruppe stehen die Buchstaben G A R S,
die als
"Gustavus
Adolphus Rex
Sueciae" zu
deuten sind. Es bestand also kein Zweifel, daß mit diesem jungen Mann
Gustav Adolf selbst dargestellt ist, der König des Landes und Bauherr der
Vasa. Doch warum erkennen wir ihn nicht? Warum sieht er nicht so aus, wie
wir ihn von anderen zeitgenössischen Bilden kennen, mit großem
Schnurr- und Spitzbart? Die Antwort liegt nahe: Es ist der junge Gustav Adolf,
der Thronfolger als Knabe. Wie alt mag er hier wohl sein? Der König war im
Jahre 1594 geboren worden, und wenn man ihn sich als Zehnjährigen denkt,
kann man das Bild mit einem Ereignis des Jahres 1604 in Verbindung bringen. In
diesem Jahr bestimmte der Vater des Prinzen, Herzog Karl, bald darauf Karl IX.,
auf einem Reichstag die Sukzessionsordnung des Landes. Er erwählte seinen
ältesten Sohn Gustav Adolf zu seinem Nachfolger und schloß Gustav
Adolfs Cousin Sigismund von Polen, dessen Sohn Prinz Vladislav und Herzog Johan
von Östergötland (der ein Halbbruder Sigismunds war), die alle
Anspruch auf den schwedischen Thron erheben konnten, von der Thronfolge
aus. [10] Die Krone über dem Haupt des jungen Gustav Adolf bedeutet
also, daß der Prinz schon als kleiner Knabe, nur 10 Jahre alt, als
derjenige auserwählt wurde, der als einziger, zu gegebener Zeit,
rechtmäßig Anspruch auf die Krone des Reiches erheben konnte. Die
Greifen waren die Wappentiere Herzog Karls, hierdurch wird die Symbolik der
Gruppe deutlich unterstrichen. Die Krönungsskulptur hatte also eine ganz
bestimmte Botschaft, deren Adressat ohne Zweifel Sigismund von Polen war. Ihm
wurde deutlich gemacht, daß er kein Recht habe, Anspruch auf Schweden zu
erheben. Als Motiv auf dem Achterkastell ist dies die wichtigste Skulptur.
Angesichts des schwedisch-polnischen Krieges, dessen Auslöser ja gerade
dynastische Gegensätze waren, erscheint die Skulpturengruppe für
dieses Kriegsschiff äußerst
passend.
Der Wappenschild des Vasageschlechts
und das gotische Erbe
Etwas weiter unten auf dem
Achterspiegel, in Höhe der Kajüte und fast im Zentrum des Spiegels,
befindet sich das Wappen der königlichen Dynastie, der Wappenschild des
Vasageschlechts. [11] Er besteht aus einem reich profilierten Schild mit
dem Familienzeichen: der naturalistisch geschnitzten Getreidegarbe unter einer
großen königlichen Krone. Der Schild wird von zwei nackten
geflügelten Putti gestützt, die in ihrer freien Hand einen Olivenzweig
halten. Neben ihnen sind schwere Fruchtgirlanden sichtbar, Festons. Durch die
Analyse erhalten gebliebener Farbpigmente hat man feststellen können,
daß der Schild, wie auch die übrigen Skulpturen am Schiff, reich
bemalt und teilweise vergoldet waren. So war zum Beispiel der Schild mit der
Vasagarbe dem seit 1560 geltenden Prinzip entsprechend gefaßt: Die
vergoldete Garbe stand vor einem blau-rotem Hintergrund, der von einem
Schräglinksbalken in weiß oder silber geteilt war. Das Vasawappen des
Achterspiegels ist vielleicht eine der interessantesten und ausdrucksvollsten
Skulpturen des ganzen Schiffes. Ebenso wie die oben beschriebene
Krönungsskulptur hat auch der Vasaschild dynastische Vorzeichen. Hier
handelt es sich um das Familienwappen von Gustav Adolf. Doch repräsentiert
es nicht nur den König und seine Familie. Es stand zugleich auch für
den Namen des Schiffes - in zeitgenössischen Dokumenten wird es
"Wasan"
oder
"Wasen"
genannt. Weit wichtiger aber war, daß mit dem Wappen auf die Geschichte
dieses schwedischen Adelsgeschlecht angespielt wurde: Der Begründer war
König Gustav Vasa, der 1560 starb. Er war der Großvater von Gustav
Adolf und hatte Schweden zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus der
Abhängigkeit von Dänemark befreit, sich 1523 zum König gemacht
und den Boden für den Nationalstaat Schweden bereitet. Wir wissen,
daß Gustav Adolf seinem Großvater oft in Wort und Schrift huldigte.
So ist überliefert, daß er über ihn sagte:
"Er
wußte wie man Frieden stiftet und Reiche
lenkt." [12]
Gerade das will der Vasaschild des Schiffes ausdrücken: Gustav Vasa und
seine Familie, die er zur königlichen Dynastie gemacht hatte, beendeten den
Krieg gegen Dänemark, schufen Frieden für ihre Untertanen, und
garantierten damit Wachstum und Wohlstand. In diesem Sinne sind die Olivenzweige
zu deuten, die die Putten hoch in ihren Händen halten - von alters her
Symbole des Friedens. Die schweren Fruchtbündel wiederum sind Symbole
für Reichtum und Üppigkeit. Der tiefere Sinn erschließt sich
durch den Vergleich mit Arcimboldos bekanntem allegorischen Portrait von Kaiser
Rudolf II. als Vertumnus im Schloß Skokloster. Vertumnus galt in der
Renaissance als römischer Gott der Jahreszeiten, der reiche Fruchtbarkeit
begünstigte [13], und entsprechend war das Gesicht des Kaisers aus
Früchten und Gemüse gebildet: Der Herrscher wurde als Garant von
Wachstum und Wohlstand für sein Volk
dargestellt.
Die Krone über der Vasagarbe ist
groß, fast überdimensioniert. Der Gedanke liegt nahe, daß mit
ihr der Anspruch der Vasa als königliche Dynastie, als gleichberechtigt mit
den übrigen königlichen Häusern Europas unterstrichen werden
sollte. Die Legitimität des Anspruchs der Nachkommen Gustav Vasas auf die
schwedische Krone war wiederholt bezweifelt worden, natürlich auch vom
dänischen König, der Gustav Vasa als einen Usurpator betrachtete. Es
hieß, das Vasageschlecht könne keinen Anspruch auf königlichen
Status geltend machen; es handele sich um eine einfache Bauernfamilie, die durch
Vertreibung des gesetzlich gekrönten dänischen Königs Christian
II. auf unrechtmäßige Weise in den Besitz der schwedischen Krone
gekommen sei. So ist das große Vasawappen des Achterspiegels sicher auch
ein Ausdruck für die Bemühungen Gustav Adolfs und seiner Familie, ihre
Legitimität vor der Umwelt zu dokumentieren. Der Anspruch, den das
Vasawappen ausdrückt, wird noch unterstrichen von den sechs großen
Rittergestalten, die das Wappen flankieren, drei auf jeder Seite. [14]
Es sind in zeittypische Rüstungen gekleidete Krieger. Sie tragen mit
Federbüschen verzierte Helme, bei vieren steht das Visier offen. Die dem
Wappen am nächsten stehenden Ritter haben junge, bartlose Gesichter,
während die anderen zwei mit offenem Visier erwachsene Männer mit
finsteren, schnurrbärtigen Gesichtern darstellen. Die verschiedenartigen
Gesichter der Ritter bieten tiefere Probleme, als sich hier erläutern
lassen. Daher sei hier lediglich darauf hingewiesen, daß sie in engem
Zusammenhang mit dem im Mittelalter wurzelnden Gotizismus stehen, der um 1550 in
der großen Arbeit des letzten katholischen Erzbischofs Schwedens, Johannes
Magnus'
"Historia
de omnibus gothorum sveonumque
regibus"
(in Rom 1554 herausgegeben), beredten Ausruck fand. In diesem Werk, das sich
unter anderem auf Jordanes Arbeit über die Goten von ca. 500 n.Chr.
stützt, konstruierte der Verfasser eine Chronologie der schwedischen
Könige zurück bis zu Noahs Enkel Magog, und betrachtet sie als Erben
der Goten, die einst das römische Reich unterwarfen. [15] In der
zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde diese historische Fiktion
für die Söhne Gustav Vasas, auch für Gustav Adolf, zur mythischen
Quelle des nationalen Selbstvertrauens. So wurde sie nicht zuletzt in der
Kriegspropaganda eingesetzt, die den polnischen Krieg einleitete, sowie
später, als Gustav Adolf sich dazu rüstete, in den
Dreißigjährigen Krieg einzugreifen. Es überrascht also nicht,
dieses Thema auch in der Dekoration der Vasa wiederzufinden. Als
Vertreter der alten Goten sind die gerüsteten Krieger oder Ritter
Vorgänger und Vorbilder Gustav Adolfs, ihnen soll er nacheifern in Mut und
Tatkraft, ihre Tugenden zu den seinen machen, sowohl auf dem Schlachtfeld als
auch als Staatsmann.
Die Krieger
Gideons
Ein Motiv, das sich möglicherweise
auf Gustav Adolfs Ansichten über den Verlauf des Krieges in Deutschland
bezieht und seine Pläne bezüglich eines eventuellen Eingreifens
beleuchtet, finden wir auf den oberen Heckgalerien und der oberen
Achterspiegelgalerie, unmittelbar oberhalb des Vasawappens und der gotischen
Krieger. Diese Skulpturengruppe besteht aus ingesamt 25 Kriegern in
römischer Rüstung und mit Federbusch versehenen Helmen. [16]
Sie sind alle individuell geformt, mit Blasinstrumenten (Trompete, Horn usw.) in
der einen Hand und einer brennenden Fackel oder einem Krug, aus dessen
Öffnung eine Flamme steigt, in der anderen. Durch diese deutlich
erkennbaren Attribute ist die Darstellung ohne größere
Schwierigkeiten zu deuten. Es handelt sich um eine Szene aus der
alttestamentarischen Erzählung von Gideon und seinem Sieg über die
Midianiter (Richter, Kap. 7). Der gottesfürchtige Gideon erhielt von Gott
die Botschaft, seine 300 Israeliten mit Posaunen und brennenden Fackeln
auszustatten, die in Tonkrügen zu verstecken seien. In der Nacht sollten
die Soldaten dann in das Lager des Feindes schleichen und auf Gideons Zeichen
die Krüge zerschlagen, die brennenden Fackeln hervorholen und in ihre
Posaunen stoßen. Die so entstehende Verwirrung würde es den
Israeliten ermöglichen, die Midianiter zu vertreiben. Die Bibel berichtet
weiter, daß Gideon tat wie ihm empfohlen. Große Verwirrung entstand
im feindlichen Lager, die Midianiter wandten sich gegen die eigenen Leute und
flohen. Gideon war der Sieger. Gideon galt im im Mittelalter und der Renaissance
als Vorläufer Christi. Es ist keineswegs erstaunlich, daß man
für das Skulpturenprogramm der Vasa auch die Gideonerzählung
auswählte. In panegyrischen Huldigungsgedichten, bei Leichenpredigten und
Gedächtnisreden sowie in einfacheren Volksliedern, kam es oft zu
Anspielungen auf Gideon als einem Vorbild für Gustav Adolf. Man sah im
schwedischen König einen neuen Gideon, einen schwedischen Gideon, der wie
der biblische Held auf Gott vertraute und auf dessen Wegen
wandelte. [17] Ein Beleg hierfür ist, daß keiner von den
Soldaten als Gideon identifiziert werden kann. Der Held ist also der König
selbst; er ist die Inkarnation Gideons. Vielleicht können wir dieses Motiv,
das auf der Vasa seinen einzigen Niederschlag in der schwedischen
Bildkunst dieser Zeit fand, als Ausdruck der Pläne Gustav Adolfs sehen,
eventuell in den Krieg einzugreifen - auch wenn nicht klar ist, wie weit seine
Pläne gediehen waren, als das Bildprogramm für die Vasa
entstand. Es war dem König bewußt, daß der Kampf gegen den
Kaiser hart werden würde. Doch wollte er beweisen, daß Gott mit ihm
sei und er wie Gideon auf Gottes Wegen wandere, was ihm Kraft und Stärke
gebe. Außerdem wissen wir, daß der schwedische König in der
geheimen Korrespondenz der vertriebenen Familie von Kurfürst Friedrich V.
sowie bei anderen deutschen Protestanten damals unter dem Namen Gideon bekannt
war und daß man stark mit der Hilfe von Gustav Adolf und Schweden
rechnete. [18] Vorrangig hatte das Gideon-Motiv jedoch die Aufgabe, die
Stellung von Gustav Adolf als christlicher König zu
betonen.
Der Starke schont den
Schwachen
Gustav Adolf als Inbegriff christlicher
Tugenden, als miles christianus und Vertreter des bellum
iustum [19], des gerechten Krieges, zeigt eine große Skulptur
vorne an der Steuerbordseite, gleich hinter dem Galion. Dargestellt ist ein
großer Krieger, fast ein Riese, in römischer Rüstung mit einem
mit prachtvollem Federbusch versehenen Helm und einem weiten Mantel, dessen
Falten im Wind zu flattern scheinen. [20] Mit der einen Hand hält
er einen großen Schild vor den Körper, während er die andere
Hand in die Höhe streckt, als hielte er eine Hieb- oder Stichwaffe. Diese
ist jedoch verlorengegangen. Der Mann steht mit seinen sandalenbekleideten
Füßen auf einem großen Löwenhaupt mit gefletschten
Zähnen. Ebenfalls auf dem Löwenhaupt ist ein kleiner, naturgetreu
geschnitzter Hund zu sehen, der den Löwen ins Ohr beißt. Eine Kopie
dieser dem Inhalt nach sehr eigenartigen Skulptur scheint sich, gewissen Details
nach zu urteilen, auch auf der gegenüberliegenden Backbordseite des
Schiffes befunden zu haben. Vermutlich sind der Löwe und der Hund die
Schlüssel für die Deutung dieser Figur: Es geht hier nicht um die
traditionellen Rollen der beiden Tiere als Ausdruck von Kraft und Stärke,
respektive Treue. Sie stehen wohl vielmehr in Zusammenhang mit dem
römischen Schriftsteller Plinius d.Ä. In seiner berühmten
Naturlehre
"Historia
Naturalis",
die von den Renaissancehumanisten als Essenz des Wissens der Antike über
die Natur aufgefaßt wurde, berichtet Plinius über die Natur des
Löwen. Er meint, der Löwe sei das einzige wilde Tier, das Milde und
Schonung gegenüber schwachen und unterlegenen Wesen zeige. [21] Der
Löwe habe es nicht nötig, seine Stärke oder Überlegenheit
einem minderwertigen Gegner zu zeigen, der um Barmherzigkeit bittet und bereit
ist, sich dem Löwen zu unterwerfen. Dieses Thema wird von einigen
Renaissancehumanisten, wie zum Beispiel Guillaume de la Perrière
aufgenommen, der in seiner Emblemsammlung
"La
Morosophie"
von 1553 die Eigenschaften des Löwen auf einen Mensch, in diesem Fall einen
Krieger in Rüstung, überträgt. Dieser hat dieselben positiven
Eigenschaften wie der Löwe bei Plinius. [22] Durch seinen edlen
Sinn, den er einem schwachen und unterlegenen Feind gegenüber demonstriert,
steht der Krieger unter dem Schutz Gottes und soll als Träger christlicher
Tugenden verstanden werden. Das Verhalten des Löwen gegenüber dem
kleinen Hund zu Füßen des Kriegers wird auf diesen selbst
übertragen. Mit den genannten Eigenschaften verkörpert der Krieger
natürlich Gustav Adolf, der hier seine Stellung als christlicher
König, als Verteidiger des Throns und als dem Feinde gegenüber edler
und humaner Krieger dokumentiert. Der große Krieger am Bug sowie sein
inzwischen fehlendes Pendant auf der anderen Seite können mithin als
Personifikationen des Königs aufgefaßt
werden.
Des Königs Feind ist natürlich
"der
Pole". Wir
finden ihn nahe dem großen Krieger unter dem Kranbalken der
Steuerbordseite, der sich vom oberen Deck schief hinaus über das Galion
erstreckt. Er dient als Stütze für den Kranbalken und hat die Form
eines unter einer Bank zusammengekauerten Mannes. [23] Das breite
Gesicht des Mannes mit großem Schnurrbart und Haaren in der Stirn sowie
auch der knielange Rock sind Details, die damals als typisch polnisch galten.
Darüber hinaus ist die Stellung, in der er abgebildet ist, eine
Bestrafungsweise, die in früheren Zeiten in Polen üblich war. Hatte
jemand gegen die Regeln verstoßen, wurde er gezwungen unter eine Bank zu
kriechen und dort in seiner schmachvollen Position wie ein Hund zu
"bellen",
um damit sein Verbrechen und seine Schlechtigkeit zuzugeben. [24] Dieses
Motiv in der Ausschmückung des Schiffes, das sich unter dem
Backbord-Kranbalken wiederholte, ist speziell für die Vasa im
Hinblick auf den aktuellen Krieg gegen Polen und die dynastischen Spannungen
zwischen den beiden Ländern entworfen worden. Eine den Feind erniedrigende
und verhöhnende Darstellung, eine Variante des Themas
"Der Sieg
der Tugend über das
Laster",
die hier besonders raffiniert zum Ausdruck
kommt.
Die römischen
Kaiser
Ebenso wie das Motiv der Krieger Gideons
dürften auch die römischen Kaiser am Galion Ausdruck für Gustav
Adolfs Haltung gegenüber dem Krieg in Deutschland und dem Kaiser sein sowie
auf seine Pläne in den Krieg einzugreifen, hindeuten. Entlang der Seiten
des Galions stehen 20 römische Kaiser, 10 auf jeder Seite. [25] Die
Kaiser stehen in chronologischer Ordnung und werden von Tiberius ganz vorn an
der Steuerbordseite eingeleitet. Weiter nach hinten auf gleicher Seite finden
wir Kaiser Titus. Die Reihe setzt sich auf der Backbordseite des Galions nach
hinten mit Nerva fort und dürfte mit Septimius Severus abgeschlossen haben,
diese letzte Skulptur wurde jedoch nie gefunden. Die Kaiser werden mit
Rüstung, Mantel und Lorbeerkranz oder Strahlenkrone auf dem Haupt
dargestellt. Die Namen der Kaiser konnten aufgrund der zum Teil kaum lesbaren
Inschriften am Fuße der Skulpturen identifiziert werden. Da Tiberius die
Reihe der Kaiser einleitet, fragt man sich, wo Augustus bleibt. Man wird
feststellen, daß für ihn kein Platz auf dem Galion vorgesehen war,
und er anscheinend nicht zu dieser Gruppe gehörte. Die Erklärung ist
so einfach wie naheliegend: Wahrscheinlich betrachtete sich der König
selbst als Augustus, den berühmtesten der römischen Kaiser und den
Schöpfer der Pax Romana. In panegyrischen Huldigungen auf den
schwedischen König wurden oft Anspielungen auf Augustus gemacht, und der
Name
"Gustavus"
als Anagramm des Namen
"Augustus"
gedeutet. [26] Ebenso wie der große Römer wollte auch Gustav
Adolf als Friedensfürst gelten, als ein schwedischer Augustus, der seinem
Volk den Frieden bringt. Vor diesem Hintergrund wird verständlich,
daß es nicht notwendig war, eine besondere Augustusfigur einzuplanen. Der
König sollte als Inkarnation von Augustus aufgefaßt werden, daher
hatte man ihn bewußt ausgelassen. Diese Gruppe folgt also derselben
Erzählstrategie wie die Gideon-Gruppe: Der eigentliche Held fehlt, und an
seine Stelle tritt der schwedischen König. So hat man in der
Ausschmückung der Vasa mit Hilfe eines alttestamentlichen wie auch
eines römisch-historischen Motivs, Gustav Adolf als Sieger, der seinem Volk
den ersehnten Frieden bringen kann, dargestellt. Es gibt auch andere
Erklärungen für das Kaisermotiv am Galion. Man kann die Verwendung
dieses Motivs als eine Herausforderung Gustav Adolfs an die Habsburgerfamilie
und den Kaiser, der sich ja als einen direkten Nachkommen und Erbfolger der
römischen Kaiser betrachtete, auffassen. So verstanden, steht diese
Skulpturengruppe in engem Zusammenhang mit Gustav Adolfs Plänen, in den
deutschen Krieg zu intervenieren und dadurch den Kaiser
herauszufordern.
Die 1620er Jahre waren eine
dynamische Zeit für Schweden, geprägt von offensiver
Kriegsführung und aktiver Diplomatie, in der mit der Eroberung der
baltischen Provinzen, dem Krieg gegen Polen und Gustav Adolfs Engagement im
Dreißigjährigen Krieg, das 1630 zur tatsächlichen Intervention
führen sollte, die Basis für die Entwicklung Schwedens zur
europäischen Großmacht gelegt wurde. Dem König lag daran, seine
Absichten und Ambitionen in Gesprächen mit seinen Ratgebern, in
diplomatischen Aktionen sowie in Briefen, Depeschen und Proklamationen deutlich
zu demonstrieren. Dies konnte jedoch auch mit Hilfe der großen
Kriegsschiffe geschehen, die mit ihrer skulpturalen Ausschmückung sein
"Sprachrohr"
waren. Durch die Bergung der Vasa und ihrer Skulpturen ist es
möglich geworden, ihre Botschaften zu rekonstruieren. Die gewählten
und hier kommentierten Motive zeigen, daß der König sein Schiff als
ein Werkzeug betrachtete, mit dem er der Umwelt ein Bild von sich selbst, seinem
Charakter und seinen Absichten vermitteln konnte. Die prägnante Bildsprache
wurde durch die klare Farbstellung und Vergoldung noch betont und zeigt,
daß Gustav Adolf keineswegs daran zweifelte, daß die Botschaft
verständlich
sei.