DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
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MICHAEL SCHOLZ-HÄNSEL Bildpropaganda gegen die Anderen. Spanische Kunst im europäischen Kontext der Toleranzdiskussion des Westfälischen Friedens |
Spanien scheint vom
Westfälischen Frieden nur mittelbar betroffen: die Sondervereinbarungen, in
denen die Vereinigten Provinzen der Nördlichen Niederlande von Spanien die
Unabhängigkeit erhalten, gehen den Hauptverhandlungen voraus, und der
Pyrenäenfrieden, der den Konflikt zwischen Frankreich und Spanien
vorläufig beendete, folgt erst über ein Jahrzehnt später. Auch
hinsichtlich der konfessionellen Mischung des neuen Staatengebildes nimmt das
nach 1648 weiter rein katholische Spanien mit seiner starken Verbindung von
Staat und Kirche eine Sonderrolle
ein.
Andererseits konnte Spanien noch bis zum
Sturz von Gaspar de Guzmán, Conde Duque de Olivares, weitgehend seine
Stellung als europäische Führungsmacht bewahren. Diese Rolle war ihm
einst durch seine geographische Lage zugewachsen, denn der europäische
Kontinent hatte im Mittelalter erst durch die Auseinandersetzung mit den Anderen
zu Wohlstand und einer eigenen Identität gefunden. [1] In diesem
Prozeß kam zunächst den Verbindungen nach Nordafrika und dem
kulturellen Austausch mit der islamischen Welt entscheidende Bedeutung
zu. [2]
Was 1648 blieb, waren in Spanien
einerseits die multiethnische Zusammensetzung der Bevölkerung und gewisse
Erfahrungen in der Assimilation des Fremden und andererseits eine, durch die
sich verschlechternde wirtschaftliche Situation und die Auseinandersetzung mit
Protestanten und Türken angeheizte, Konfliktbereitschaft auf
religiösem Feld. So bietet gerade der Umgang der katholischen Spanier mit
ihren nach wie vor ungenügend integrierten Minderheiten sowie den im
konfessionellen Streit neu hinzugekommenen "Ketzern" einen idealen
Prüfstein für die Ernsthaftigkeit und Allgemeingültigkeit der im
Westfälischen Frieden proklamierten Toleranz. Oder um es allgemeiner zu
formulieren: wie stand es wirklich um die damalige Haltung Europas
gegenüber den Anderen, das doch heute seine diesbezüglich liberale
Haltung gern als ideologische Waffe gegen deren angeblichen Fundamentalismus
benutzt?
Auch wenn wir in Rechnung stellten,
daß das Verbot von Judentum und Islam nach dem Fall von Granada 1492 auf
der traditionell multireligiös strukturierten Iberischen Halbinsel einen
erheblichen Einschnitt darstellte, nahm doch um 1500 in Spanien der Umgang mit
den fremden Religionsgruppen im europäischen Vergleich durchaus noch eine
positive Sonderstellung ein [3], denn andere Länder hatten bereits
viel früher alle Juden ausgewiesen, und Pogrome waren vielerorts an der
Tagesordnung. Erst im fortschreitenden 16. Jahrhundert, in dem spanische
Geistliche wie Bartolomé de Las Casas zwar noch eine Anerkennung gewisser
"Menschenrechte" für die heidnischen Indianer erreichten, verschärften
sich die religiösen Konflikte auch innerhalb der spanischen Gesellschaft.
Die Inquisition wurde nun zu einer festen Institution, die nicht mehr nur die
rückfälligen conversos (konvertierte Juden), sondern
sämtliche vermeintlichen Häretiker zu verfolgen hatte [4], und
1609 befahl Philipp III. schließlich sogar die Ausweisung aller bis dahin
im Land verbliebenen Morisken (konvertierte Mauren). [5] Die einzigen
noch verbleibenden Anderen waren nun in der Hauptsache schwarzafrikanische
Sklaven, z.T. wahrscheinlich ebenfalls ursprünglich Mohammedaner, die
anfangs offenbar so zahlreich blieben, daß wir sie auch als Gehilfen
mancher Maler finden. [6]
Der folgende
Text wird fragen, wie die bildende Kunst in Spanien auf die Verschärfung
der Glaubenskonflikte reagierte und ob die Vereinbarungen von Münster hier
einen erkennbaren Niederschlag fanden. [7] Wie wirkte sich der
Westfälische Frieden zwischen den großen christlichen Konfessionen
auf die Darstellung der Anderen in Spanien aus? Gab es einen visuell erkennbaren
Zuwachs an religiöser Toleranz oder verschoben sich lediglich die
Feindbilder in Richtung auf die Mauren?
Dabei
greife ich mit "Inklusion" und "Exklusion" auf zwei dem Diskurs in der
zeitgenössischen Kunst entnommene Kategorien zurück, die heute dazu
dienen, Praktiken der Ausgrenzung nicht-westlicher Künstler aus dem
Ausstellungsbetrieb zu thematisieren. [8] Eine Rechtfertigung für
diese methodische Anleihe sehe ich durch neue historische Forschungen gegeben,
die im multikulturellen Charakter der hispanischen Welt - zu der neben der
Iberischen Halbinsel, den südlichen Niederlanden, Süditalien und der
Lombardei damals auch die Philippinen und Lateinamerika zählten - ganz zu
Recht Vorformen z.B. für die Bevölkerungsstruktur der USA sehen und
sich somit aus einer intensiveren Beschäftigung
Problemlösungsvorschläge für die eigene Gegenwart
erhoffen. [9]
Den historischen
Rahmenbedingungen im 17. Jahrhundert werde ich aber insofern Rechnung tragen,
als bei der Diskussion von Inklusion und Exklusion nicht die unterschiedliche
Volkszugehörigkeit, sondern die damals noch alles bestimmenden
religiösen Faktoren im Vordergrund stehen sollen. Und eine weitere
Besonderheit ist vorab anzumerken: statt die Juden als die einzigen "Outcasts"
auf den Bildern des 15. bis 17. Jahrhunderts zu behandeln [10], bringt
es der hier formulierte Ansatz mit sich, daß erstmals auch Darstellungen
von Mauren und Morisken intensiver in die Diskussion der Bildpropaganda gegen
die Anderen einbezogen werden. Gab es nach ihrer realen Vertreibung 1609 auch
eine neue Welle ihrer künstlerischen Exklusion? Warum finden sich in den
Bildern keine Beispiele ihrer zumindest ideellen Inklusion, wie wir sie aus der
zeitgenössischen Literatur kennen? Hatten die Anderen schließlich
überhaupt keinen Platz mehr in Werken der bildenden Kunst
Spaniens?
Beginnen wir also mit zwei kurz vor 1500
datierten Darstellungen, die uns Verfahren der Inklusion und Exklusion mit Hilfe
des Bildes veranschaulichen können: Fernando Gallegos um 1480 datierte
"Verehrung der Reliquien" aus der Kathedrale von Zamora und Pedro Berruguetes
"Auto de fe unter dem Vorsitz des hl. Dominikus von Guzmán" für das
Kloster Santo Tomás in Avila, das zwischen 1490 und 1496 entstanden
ist.
Es sind u.a. Personen mit Turban, die uns in
der Malerei bis zum 15. Jahrhundert Hinweise auf die
bevölkerungsmäßige Zusammensetzung eines Landes, d.h. die
Inklusion seiner Minderheiten, geben können. Nach Ruth Mellinkoff verweist
diese Kopfbedeckung auf den exotischen Ausländer, den Einzelgänger aus
der Ferne - unterschiedlich in Zeit, Ort oder in Gebräuchen und
religiösem Bekenntnis. [11] Außer als Element der
Judendarstellung finden wir ihn ganz allgemein zur Charakterisierung des
Orientalen und hier zunehmend in einem negativen Sinne, nämlich als Symbol
des verdächtigen Fremden, der Ängste bei der christlichen Mehrheit
weckt. In Spanien begegnen uns die Turbanträger häufig im Kontext von
Wundertaten oder Heiligengeschichten, wo sie den Akt der Bekehrung
repräsentieren, wie z.B. in Fernando Gallegos "Retabel des hl. Ildefonso"
in der Kathedrale von Zamora. [12] In dem Werk erscheint ein Maure in
der Darstellung, die die zeitgenössische "Verehrung der Reliquien"
thematisiert.
Ein Mittel der Exklusion bilden
dagegen die "immagini infamanti" (Schandbilder), deren Gebrauch am Ende des 13.
Jahrhunderts in Italien aufkam. [13] Betroffen waren politische
Verbrecher (z.B. Verräter, Aufständische und Räuber) sowie
solche, die gegen Zivilrechte verstoßen hatten, d.h. vor allem
Finanzdelikte begangen hatten. Wer entsprechender Taten für schuldig
befunden worden war, dessen Bildnis wurde mit einer Inschrift, die Auskunft
über Namen, Verbrechen und Strafe gab, an die Mauern wichtiger
öffentlicher Gebäude gemalt.
Für
Spanien lassen die erhaltenen Beispiele vermuten, daß die Darstellung von
Verurteilten erst mit der Inquisition aufkam, d.h. genau in dem Augenblick, als
dieser Brauch in Italien wegen wachsender Sorge um das städtische Prestige
im Verschwinden begriffen war. [14] Das kirchliche Gerichtsverfahren
fand in Spanien mit dem auto de fe seinen Abschluß. [15]
Danach wurden die Verurteilten staatlichen Institutionen übergeben, die an
einem Ort außerhalb der Stadt, der auch für die weltlichen Prozesse
vorgesehenen Hinrichtungsstätte, die Vollstreckung der Strafen vornahmen.
Während das auto privado, das meist in einer Kirche abgehalten
wurde, den Regelfall darstellte, gehörte das große öffentliche
auto público general, wie es mitunter auf den Hauptplätzen
der wichtigsten spanischen Städte stattfand, zur
Ausnahme.
Die erwähnte Darstellung eines
auto de fe von Pedro Berruguete nimmt wahrscheinlich Bezug auf einen
Inquisitionsprozeß, der 1490-1491 in Avila gegen die angeblichen
Ritualmörder eines Judenkindes geführt wurde, und war Teil eines
Bildprogrammes für die damalige Zentrale der Inquisition im örtlichen
Konvent von Santo Tomás, mit dem die Institutionalisierung der neuen
Behörde gerechtfertigt und ihre Arbeitsweise den Gläubigen vermittelt
werden sollte. [16] Auf ihr sehen wir die vermeintlichen Ketzer auf dem
Weg zum Gerichtsplatz zunächst mit dem sambenito
(Büßergewand) bekleidet, dort dann aber nackt dem Feuer preisgegeben.
Der sambenito wies ein Verzeichnis der Sünden auf, und die
coroza (Büßermütze) informierte mittels einer
differenzierten Symbolik über die verhängte Strafe. Die
Schandgewänder gelangten nach Abschluß der Gerichtsverfahren zusammen
mit den Namen der Ketzer in Pfarrkirchen und Inquisitionszentren zur
Präsentation.
Exklusion
Maurendarstellungen
sind uns in Spanien vor allem aus der Ikonographie des "Santiago Matamoros",
also des maurentötenden hl. Jakobus, bekannt. Nach neueren Forschungen kam
dieser Bildtypus aber erst mit der fortschreitenden Reconquista, der
sogenannten Rückeroberung auf. [17] Die frühesten erhaltenen
Werke in der Kathedrale von Santiago de Compostela zeigen den hl. Jakobus als
Bischof und geben ihm damit schon früh eine herausragende Stellung unter
den Aposteln. Im 12. Jahrhundert erscheint er dann in der Kirche Santa Maria de
Tera als Pilger repräsentiert, womit wir den ungewöhnlichen Fall
haben, daß ein Heiliger die Kleidung und die Sitten seiner Verehrer
annimmt. Über Siegel und Fahnen verbreitet sich schließlich das Bild
des kämpfenden Ritters Jakobus, das seine erste plastische Form 1230 im
sogenannten Tympano de Clavijo, erneut in der Kathedrale von Santiago,
findet. Der hier gezeigte Heilige zu Pferde erhält in der Folge gefallene
Mauren als ikonographische Beigabe. Eine Besonderheit stellen die Mauren am
Portal der 1120 begonnenen Kathedrale Sainte-Marie in Oloron Sainte-Marie dar,
die gefesselt den Trumeaupfeiler mit der Darstellung der Kreuzabnahme im
Tympanon darüber tragen
müssen. [18]
Eine Blütezeit
erfährt der Maurentöter im 15. Jahrhundert mit dem Eroberungszug der
katholischen Könige gegen Granada und der aufkommenden Türkengefahr.
Auf die damals entstandenen Bildbeispiele wird im 16. und 17. Jahrhundert
rekurriert, als der Heilige nun ganz allgemein zur Symbolfigur für den
Kampf gegen Ketzer- und Heidentum aufsteigt und als visuelle Waffe sowohl gegen
die deutschen Protestanten als auch die Indianer zum Einsatz gelangt. So hat
Wolfgang Braunfels in seiner Analyse einer Darstellung Karls V. als Matamoros
darauf hingewiesen, daß die Spanier in der Schlacht von Mühlberg auch
eine Fahne mitführten, die den Maurentöter zeigte und daß der
Schlachtruf des Tages "Sant Jago Espania, Sant Jorge Imperio"
lautete. [19]
In unserem Zusammenhang ist
nun vor allem von Interesse, wie Darstellungen des hl. Jakobus im Kampf gegen
die Mauren eingesetzt werden, um die reale Vertreibung der Morisken 1609 zu
rechtfertigen. Eine zentrale Stellung kann hier ein Bildprogramm zu Ehren des
Apostels behaupten, das Francisco Ribalta 1603 für den Hochaltar der
Pfarrkirche von Algemesí gestaltete (Abb. 1). [20] Diese Stadt
liegt nur wenige Kilometer von Valencia entfernt, also genau in der Region, die
damals noch den größten Moriskenanteil aufwies und aus der dann ihre
zwangsweise Verschiffung erfolgte. In seiner Version des Matamoros reitet der
Heilige selbstsicheren Blickes über die verängstigten Muslime hinweg,
die, durch den erwähnten Turban stereotyp bestimmt, ihre Münder in
ohnmächtiger Verzweiflung aufgerissen haben.
Wird in Algemesí für die ganz
konkrete Ausgrenzungsabsicht der historische Umweg über den Santiago
Matamoros gewählt, so gibt es auch zwei Werkgruppen, die die bereits
vollzogene Ausweisung thematisieren. Es handelt sich einerseits um sieben
undatierte Gemälde, die offensichtlich als bildliche Dokumente der
Zwangsausweisung konzipiert wurden und andererseits um die Ergebnisse eines 1627
durch Philipp IV. initiierten Wettbewerbes unter seinen Hofmalern zum selben
Thema.
Die sieben Historienwerke weisen ein
gemeinsames Format (173 x 110 cm) und eine ähnliche Bildstruktur
auf. [21] Zwei zeigen Aufstände der Morisken, drei die Verschiffung
aus unterschiedlichen Häfen der Region Valencia (Abb. 2) und eines die
Ankunft im afrikanischen Oran. Die Malereien sind von einer klar didaktischen
Absicht getragen. Dafür sprechen die jeweils vorhandenen Kartuschen, deren
Texte Auskunft über die dargestellten historischen Ereignisse geben. Auch
finden sich in allen Werken Inschriften, die Orte und einzelne
Persönlichkeiten bezeichnen. Wahrscheinlich sollen die Bilder der
Aufstände ebenso wie die der scheinbar freundlichen Aufnahme in Afrika die
Vertreibung nachträglich rechtfertigen. In klarer Bedeutungsperspektive
sind vor allem die spanischen Befehlshaber größer gestaltet. Die
Morisken tragen die für sie typischen Gewänder und werden zum Teil bei
ihren besonderen Bräuchen, wie z.B. ihren Tänzen,
gezeigt. [22]
In dem Madrider
Künstlerwettbewerb von 1627 zu dem Thema der Ausweisung sollte der erst
1623 nach Madrid gelangte Velázquez den Beweis liefern, daß er in
der Lage war, neben Portraits auch ganze Kompositionen zu fertigen. [23]
Leider haben sich weder sein Werk, noch die Bilder seiner Kontrahenten erhalten;
auch fehlen bisher Untersuchungen, die nach den Gründen für die
besondere Aufgabenstellung fragen. Als Ausgangsmaterial steht uns lediglich eine
Beschreibung des Bildes von Velázquez aus der Feder seines Biographen
Antonio Palomino de Castro y Velasco [24] und eine Vorzeichnung für
das Werk von Vicente Carducho zur Verfügung (Abb. 3). Mit seinem Werk
gewann Velázquez den Wettbewerb. Zur Belohnung fand es im "Salón
grande" des Alcázars eine dauerhafte Hängung, wo es dann 1734 beim
Brand des Palastes zerstört wurde. Seine Präsenz an diesem Ort
unterstreicht, daß sich auch die späteren spanischen Herrscher ohne
Probleme mit der Maßnahme identifizieren konnten, die heute von den
Historikern schon mit Blick auf den Verlust wichtiger und vor allem
qualifizierter Arbeitskräfte übereinstimmend als fatale
Fehlentscheidung gewertet wird. [25]
In
Carduchos Zeichnung finden wir neben einem ähnlichen Ort auch die gleiche
Rahmenhandlung: einerseits die Küste mit der Fernsicht und andererseits die
Konfrontation zwischen Soldaten und einer klagenden Menge mit den Schiffen
für den Transport im Hintergrund. Der Unterschied besteht darin, daß
Velázquez den Befehlsgeber Philipp III. im Zentrum der Darstellung
plazierte und ihm rechter Hand eine weibliche Allegorie Spaniens zur Seite
stellte. Sollte diese Zugabe, die aus einer heutigen Perspektive die an sich
schon unmoralische Verherrlichung einer Vertreibung noch unerträglicher
macht, den Ausschlag für die Preiszuteilung gegeben haben? Ich glaube
nicht. Entscheidender dürfte die für Velázquez zu erwartende
naturalistischere Ausdeutung der Ereignisse gewesen sein. Denn bei Carducho
finden wir einen deutlich idealisierten Figurentypus, der an die Darstellungen
römischer Triumphzüge erinnert, aber keinerlei Hinweise auf die
betroffene Bevölkerungsgruppe und den Grund der Ausweisung. Die
erwähnten sieben Historienbilder zeigen, daß durchaus konkretere
Informationen existierten und eine wahrhaftigere Charakterisierung möglich
gewesen wäre (Abb. 2). Andererseits sind die Personen Carduchos und der
Verzicht auf Befehlhaber und Allegorie heute sogar dazu angetan, Sympathie
für die Betroffenen zu wecken. Ich werde am Schluß mit Blick auf
weitere Beispiele noch einmal darauf zurückkommen, wieviel konkreter
Velázquez Andere darzustellen
wußte.
Auch der in einem Bildprogramm des
Klosters Paciencia de Cristo 1650, also zwei Jahre nach Münster, erkennbare
Versuch einer visuellen Ausgrenzung der conversos dürfte auf
innenpolitische Gründe zurückzuführen sein. [26] Bereits
1632 hatte die Inquisition eine Gruppe portugiesischer conversos
angeklagt, in Madrid ein Kruzifix profaniert zu haben und den Beschuldigten in
einem großen auto de fe den Prozeß gemacht. Es hieß,
die Ketzer hätten sich an dem Kruzifix vergangen, um den Christen zu
schaden, und dieses habe nicht nur Blut vergossen, sondern auch dreimal zu ihnen
gesprochen. Schließlich habe es nur deshalb verbrannt werden können,
weil es vorher in seine Einzelteile zerlegt worden
sei.
Nicht genug mit dem Todesurteil gegen mehrere
der Angeklagten, zur ewigen Erinnerung an das Ereignis wurde am Ort des
Verbrechens auch noch ein Kapuzinerkloster errichtet, in dem fünf Bilder
die Aktivitäten der Ketzer und ihre Hinrichtung darstellen sollten; das
Werk mit der Bestrafung kam jedoch nicht zur Ausführung. Gewonnen wurden
für diesen Auftrag vier der damals bedeutendsten Madrider Maler, die ihre
Aufgabe bis 1650 abschlossen: Francisco Camilo zeigt die "Mißhandlung des
Kruzifixes", Francisco Rizi thematisiert das "Blutwunder" (Abb. 4), Francisco
Fernández das "Sprechwunder" und Andrés de Vargas
schließlich stellt die "Zerlegung und Verbrennung von Kreuz und Figur"
dar. [27]
Wenn wir die Geste der Toleranz
in Velázquez' "Übergabe von Breda" (1634-35) als Beispiel für
die Refomversuche unter Olivares werten [28], so zeigt das Programm vom
Kloster Paciencia de Cristo, daß die Aussöhnung zwischen den
christlichen Konfessionen durchaus mit einer verstärkten Agitation gegen
andere Glaubensrichtungen einhergehen konnte. Es war die Pflicht des
Königs, dem Großinquisitor beim Ketzergericht zu schwören, die
Heterodoxen mit all seinen Mitteln zu verfolgen, und da erscheint es nur
folgerichtig, wenn Philipp IV. sich drängen ließ, eine auf
zweifelhaften Grundlagen basierende Anklage gegen conversos in ein
antisemitisches Bildprogramm zu
überführen.
Wenn 1650 im Rahmen dieses
Zyklusses auf ein Bild des auto de fe verzichtet wurde, so haben wir doch
eine besonders repräsentative Darstellung von Francisco Rizi vom Ende des
Jahrhunderts, die dieser 1683 als visuelles Dokument eines anderen, 1680 unter
dem Vorsitz Karls II. auf der Plaza Mayor in Madrid veranstalteten
Ketzergerichtes fertigte (Abb. 5). [29] Die wirtschaftlichen
Schwierigkeiten hatten inzwischen auch die Inquisition erreicht und führten
dazu, daß das in der Öffentlichkeit inszenierte auto
público general nur ganz selten stattfand. Somit kam dem erstmals
seit langem wieder im Freien zelebrierten Prozeß von 1680 gesteigerte
Bedeutung zu.
Entscheidend für das
Verständnis des Bildes von Rizi ist die Tatsache, daß der
Künstler etwa gleichzeitig mit dem auto de fe zwei weitere
Aufträge des Königs erhielt. In beiden Fällen handelte es sich um
aktuelle Ereignisse spiegelnde Historienbilder: die "Belagerung Wiens durch die
Türken und seine Rettung durch polnische Truppen" sowie die Feier dieses
Sieges im Escorial mit der "Anbetung der heiligen Hostie". Das erste Werk, das
ziemlich genau die Maße unseres Bildes hat, blieb nach dem Tode Rizis im
Jahre 1685 unvollendet und taucht nur in den Inventaren auf, für das zweite
existierte ein heute verlorener Entwurf; die Ausführung nach einem
völlig neuen Konzept lag später bei Claudio Coello.
Anders als in der Regierungszeit Philipps IV. gab
es unter Karl II. keine militärischen Siege spanischer Truppen zu
vermelden, die man ähnlich wie die im
"Salón
de Reinos"
des Real Palacio del Buen Retiro hätte darstellen lassen
können. [30] So bot es sich an, den Erfolg der
österreichischen Habsburger bei der Entsetzung Wiens als den eigenen zu
feiern. Ein spanischer Akzent kam hinein, indem Karl II. trotz des weltlichen
Anlasses das religiöse Moment betonte. Aus dieser Sicht war der Erfolg bei
Wien nicht nur ein Sieg über die Türken, sondern auch ein Beweis
für die Überlegenheit der katholischen Religion. Letzteres liegt als
gemeinsamer Nenner ebenso der "Anbetung der heiligen Hostie" wie dem "Auto de
fe" von Rizi zugrunde.
Ähnliche Versuche,
zumindest mittels des Bildmediums am Kampf gegen den Islam teilzunehmen, finden
sich allerdings schon früher in den Ausstattungsprogrammen spanischer
Paläste. So in der Schlachtengalerie des Escorial, im Hauptsaal des
Lustschlosses El Pardo und schließlich im Alcázar zu
Madrid. [31] Kein anderer als der Conde Duque de Olivares ließ
1625 bei der Neugestaltung der sogenannten "pieza nueva" des Alcázars
Tizians Darstellungen "Karl V. in seiner siegreichen Schlacht gegen die
Protestanten bei Mühlberg" und "Allegorie von Philipps Sieg bei Lepanto
über die Türken" aus El Pardo überführen und ergänzte
die Gruppe noch durch ein weiteres Werk des Künstlers, nämlich
"Spanien kommt der Religion zu Hilfe".
Die
vorangegangenen Bildanalysen machen deutlich, daß die Toleranzdiskussion
in Münster die bildliche Darstellung der religiösen Anderen in Spanien
nicht beeinflußte. Ganz im Gegenteil verschärfte sich in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts noch die Bildagitation gegen sie und bildete
sich im Umkreis der Vertreibung von 1609 sogar ein neuer Schwerpunkt bei der
visuellen Exklusion von Angehörigen islamischen Glaubens heraus. Fast
entsteht der Eindruck, als seien Judentum und Islam, einst wichtige Komponenten
bei der Herausbildung Europas, nach der Einigung der christlichen Konfessionen
stärker als je Opfer von religiösem Fundamentalismus geworden. Denn
Einzelbilder wie Velázquez "Vertreibung der Morisken" und Rizis "Auto de
fe von 1680" oder Bildprogramme wie im Kloster Paciencia de Cristo und im
Alcázar stehen nun ganz offen im Dienst religiöser Ausgrenzung und
Disziplinierung. Was ist aus der in früheren Jahrhunderten so fruchtbaren
Fähigkeit der Spanier geworden, Fremdes zu assimilieren und durch Inklusion
innovativ zu
wirken?
Inklusion
Auf
der Suche nach vielleicht doch einer positiven Ausnahme bietet sich, wie so
häufig bei der spanischen Kunst, ein Brückenschlag zur Literatur an.
Denn während in Italien die Künstler, begünstigt durch die
Konkurrenz der Höfe, aus eigener Kraft den Weg in die artes
liberales schafften, verdankten sie auf der Iberischen Halbinsel das wenige
erkämpfte soziale Prestige vor allem der Fürsprache der
Dichter. [32] Gerade am Madrider Hof standen Literatur und bildende
Kunst in einem engen Wechselverhältnis, so daß eine Reihe von Themen
neben literarischen Bearbeitungen in bewußter Parallelität auch
gemalte Interpretationen erfuhr. [33]
In
unserem Fall scheint nun ein Blick auf die Dichtung des Siglo de Oro
zunächst ganz ähnliche Resultate der Ausgrenzung zu erbringen. Auch
Miguel de Cervantes, der immer wieder als wichtigste moralische Instanz in der
hispanischen Welt des 16. und 17. Jahrhunderts angeführt wird, zeichnet in
seinen "Novelas ejemplares" (1613) ein eher negatives Bild der wegen ihres
religiösen Bekenntnisses vom Ausschluß bedrohten
Randgruppen. [34] Für unsere Fragestellung ist vor allem die
Erzählung "Gespräch zwischen Cipión und Berganza" von
Interesse. [35] In Anlehnung an den Pícaro- bzw. Schelmenroman
berichtet darin ein Hund einem anderen über seine Erlebnisse mit
verschiedenen Herren. Darunter finden sich neben einem Fleischer, einem Hirten,
einem Kaufmann, einem Polizeidiener, einem Soldaten, einem Dichter und einem
Theaterdirektor auch Zigeuner, Morisken und eine Hexenmeisterin. Cervantes
benutzt seine Schilderung, um sich über die besonderen Eigenarten der
genannten Gruppen lustig zu machen, nimmt aber von seinen Angriffen auch die
Altchristen (Polizeidiener, Soldaten etc.) nicht
aus.
Andererseits müssen wir zu Cervantes
Entlastung berücksichtigen, daß sich die Sozialdisziplinierung dieser
Jahre nicht nur gegen Personen eines zweifelhaften religiösen Bekenntnisses
und andere Randgruppen richtete, sondern auch Dichter treffen konnte, die
lediglich in Unterhaltungsabsicht Geschichten erfanden, statt ihre Leser
moralisch zu belehren. [36] Gerade auch deshalb scheinen Cervantes und
andere spanische Literaten stets bemüht, die Grenzen zwischen literarischer
Fiktion und geschichtlicher Realität offenzuhalten. Das heißt in
unserem Falle, daß der Autor auch deutlich eine moralisch wertende Absicht
bei seinen Alltagsschilderungen erkennen
läßt.
Gegen eine zu diesem Zeitpunkt
bereits allgemein akzeptierte Exklusion der Morisken spricht die intensive
Behandlung der Morisken in Romanen und "historischen" Abhandlungen sowohl vor
wie auch nach ihrer Vertreibung. [37] Hierzu gehören u.a. die
"Historia del Abencerraje y la hermosa Jarifa" (1565), die in Mateo
Alemáns Schelmenroman "Guzmán de Alfarache" (1599) integrierte
Maurengeschichte "Ozmín y Daraja" und die von Ginés Pérez
de Hita (1544-1619) verfaßte "Historia de las guerras civiles de Granada"
(1.Teil 1595, 2.Teil 1619). Die Beurteilung dieser Texte fällt in der
Fachwelt kontrovers aus. Während Christoph Strosetzki vermutet,
Pérez de Hita habe um Sympathie für die seit 1571 aus Granada und
1609 aus Valencia vertriebenen Morisken werben wollen, [38] meint
André Stoll als Wurzel seiner Maurophilie ein arrogantes
Überlegenheitsgefühl zu erkennen. [39] Derselbe Autor glaubt
das Motiv des kultivierten Mauren, dem in ihrer Wildheit abschreckend
charakterisierte christliche Bauern gegenübergestellt werden, nur deshalb
eingeführt, weil Mateo Alemán als converso selbst
Integrationsprobleme hatte.
Mit Blick auf die
bildende Kunst bleibt festzuhalten, daß sich in der Literatur ungleich
mehr Darstellungen der Mauren und Morisken finden, wenn auch deren inhaltliche
Interpretation nicht weniger Schwierigkeiten macht. Eine deutliche Parallele
zwischen Text und Bild finden wir hinsichtlich der auffälligen Präsenz
von Angehörigen unterer Gesellschaftsschichten, die ich abschließend
im Sinne der Inklusion thematisieren möchte. Mit Blick auf die Literatur
habe ich hier vor allem die Pícaro- oder Schelmenromane im
Auge. [40] Gemeint ist damit eine Gattung, bei der ein Protagonist
niederer Herkunft sein Leben in der ersten Person erzählt. Auf der Suche
nach einem vorteilhaften Beruf lernt er andere gesellschaftliche Bereiche kennen
und kommentiert sie kritisch. Doch zugleich entsteht durch sein kriminelles oder
lächerliches Verhalten und ein immer fragwürdiges Happy-End bei dem
Leser eine Distanz, die den Text gerade auch für Angehörige der
Oberschicht reizvoll machte. In diese Typologie paßt in mancherlei
Hinsicht auch die erwähnte Erzählung von Cervantes: "Gespräch
zwischen Cipión und Berganza". Die positive Darstellung von Bauern,
Tagelöhnern etc. scheint zunächst noch einmal eine Leistung der
ehemaligen hispanischen Welt gewesen zu sein, denn die frühesten Beispiele
stammen aus den Niederlanden, der Lombardei, Süditalien und
Spanien [41], und erst später schließen sich bildende
Künstler wie Georges de La Tour an. Doch geht die im europäischen
Kontext beachtenswerte Integration der sozial deklassierten Rechtgläubigen
in Spanien mit einer Ausgrenzung religiöser Abweichler einher, wie Barry
Wind meint? [42] Oder umgekehrt gefragt, hat der Verdacht einer
Präsenz vieler conversos unter Adel und Geistlichkeit zu einer
frühen Heroisierung des einfachen Volkes und einer verstärkten
Beschäftigung mit dem Alltagsleben geführt? Dieser Frage soll
abschließend am Beispiel von Velázquez' bodegones
nachgegangen werden, die schon Carl Justi 1888 in seiner berühmten
Velázquez-Biographie mit der Pícaro-Literatur in Verbindung
gebracht hatte. [43]
Als ein Hauptwerk
seiner Frühphase scheint Velázquez selbst den "Wasserverkäufer"
angesehen zu haben, denn er nahm ihn 1622 oder 1623, wahrscheinlich als ein
Vorzeigebeispiel seiner Kunst, mit nach Madrid. [44] Die Forschung
rechnet dieses Gemälde zu den "bodegones", einem Bildtypus, den der Lehrer
und Schwiegervater des Velázquez, Francisco Pacheco, in dem Kapitel "Von
der Malerei der Tiere und Vögel, Fischmärkten und bodegones und der
geistreichen Erfindung der Portraits nach der Natur" seines Kunsttraktates "Arte
de la pintura" (1649) erwähnt. [45] Dabei handelt es sich um Werke,
die Gattungselemente des Stillebens mit solchen der Genremalerei
verbinden. [46] Mit der letzteren sind die bodegones durch die
einfach gekleideten Akteure und mit ersterer durch die Gebrauchsgegenstände
und Lebensmittel verbunden, die sich hier allerdings durch einen besonders
bescheidenen Charakter auszeichnen. Ganz offensichtlich begünstigte der
multikulturelle Schmelztiegel in Sevilla die Entstehung der bodegones aus
süditalienischen, lombardischen und niederländischen Modellen. Weitaus
schwieriger als die formale Herleitung gestaltet sich die inhaltliche
Interpretation. Denn das Kunsttraktat Pachecos definiert den Begriff
unzureichend und führt gleichzeitig auch noch andere Kategorien
ein. [47]
In Vicente Carduchos bereits
1633 publizierten Traktat wird die neue Gattung negativ bewertet, und so sah
sich Pacheco wahrscheinlich aufgefordert, seinen Schwiegersohn zu
verteidigen. [48] Seine humanistische Schulung mit ihrer Orientierung an
den Figuren der Hochrenaissance und seine Funktion als censor y veedor de las
pinturas dürften ihm die Parteinahme auch nicht leicht gemacht haben,
was sich darin niederschlagen mag, daß er ausdrücklich nur
Velázquez' diesbezügliche Werke von der Kritik
ausnimmt. [49] Daraus ergibt sich natürlich die Frage, ob sie etwas
besaßen, was sich auf anderen Beispielen der Gattung nicht
fand.
Betrachten wir dazu die "Küchenmagd",
die ebenfalls zur Gruppe der bodegones gerechnet wird. Von diesem Bild
existieren zwei Fassungen in Chicago und Dublin. Die im Vordergrund
präsentierten Alltagsgegenstände sind weitgehend identisch
gewählt, dagegen gibt es Unterschiede bei der Beleuchtung, und vor allem
finden wir in dem Dubliner Bild im Hintergrund noch zusätzlich ein
Emmausmahl dargestellt (Abb. 6). Die Verbindung von Schwarzafrikanerin und
christlicher Szene wird neuerdings als Zeichen dafür gesehen, daß
Velázquez die Rettung der Seele auch Angehörigen der Unterschicht
oder anderer Ethnien zugestehen wollte, wenn sie sich nur zum christlichen
Glauben bekannten. [50] Barry Wind wollte dagegen 1987 eher einen
symbolischen Kontrast zwischen der göttlichen Offenbarung Christi an seine
Schüler im Hintergrund und der demgegenüber blinden Haushilfe im Kreis
ihrer einfachen Krüge und Schalen
erkennen. [51]
Gegen diese These von Wind
spricht allerdings ein weiteres von Velázquez besonders geschätztes
Bild, ein Portrait seines Gehilfen Pareja (Abb. 7). [52] Der Hofmaler
ließ sich von ihm auf seiner zweiten Italienfahrt von 1649 bis 1651
begleiten, von der er sich durch Kontakte zum Papst einen sozialen Aufstieg
erhoffte. Im Februar 1650 trat Velázquez in eine römische
Bruderschaft ein, was ihm die Möglichkeit verschaffte, im März
desselben Jahres im Portikus des Pantheons, das damals als christliche Kirche
Santa Maria de la Rotonda genutzt wurde, anläßlich der Feiern
für den hl. Josef auszustellen.
Dort
präsentierte er das Dreiviertelbildnis des Pareja, das diesen in
dunkel-olivgrüner Kleidung zeigt, die durch eine Schärpe über der
Brust und einen Spitzenkragen ausgezeichnet ist, dessen Tragen damals in Spanien
durch die Kleiderordnung verboten war. Der feste Blick und der entschiedene
Griff ins Gewand bilden weitere Attribute, mit denen Velázquez seinem
Gehilfen eine durchaus imposante Ausstrahlung verschafft. Der Erfolg des Bildes
bestätigte das gewählte Sujet. Velázquez wurde nicht nur in die
Accademia di San Luca aufgenommen, sondern erhielt in der Folge auch den Auftrag
für das berühmte Portrait des Papstes Innozenz X. Das Portrait Parejas
läßt sich als ein später Reflex der bodegones im Werk des
Hofmalers Velázquez verstehen.
Wollten wir
von ihm aus rückblickend diese Bildgattung charakterisieren, so könnte
man sagen, daß Velázquez in ihnen auf niederländische und
italienische Modelle zurückgreift, aber nur bedingt deren moralische
Konzepte übernimmt. Er zeigt nicht mehr die "lächerlichen Figuren mit
verschiedenen und häßlichen Sujets, die ein Lachen hervorrufen
sollen", so eine der erwähnten anderen Kategorien Pachecos [53],
wie er sie auf seinen Vorbildern fand. Das Erlebnis des Schmelztiegels Sevilla
mit seinen vielen sozialen Problemen hat bei ihm offensichtlich zu einer
Inversion der alten Bildkonzepte geführt, ein Aspekt der von Wind
übersehen wird. Dessen Deutung der "Küchenmagd" argumentiert zu sehr
aus einer niederländischen Perspektive und andererseits bereits aus der
Position des Hofmalers Velázquez, der im Umgang mit den berühmtesten
Literaten Spaniens "theologische" Arbeiten schafft [54], und
läßt damit unberücksichtigt, daß es sich um das
Frühwerk eines noch jungen, stark experimentierenden Künstlers
handelt. In diese Sicht paßt denn auch, daß Pacheco an den
bodegones seines Schülers lediglich die Naturwahrheit
hervorhebt [55] und Velázquez in einem von ihm angelegten
Inventar den "Wasserverkäufer" genau so und keineswegs mit einem anderen,
beziehungsreicheren Titel aufführt. [56] Als Velázquez seine
bodegones malt, hat die hispanische Welt gerade 1609 ihre letzte
große Bevölkerungsgruppe mit einer nicht-christlichen Vergangenheit
vertrieben. Wenige Jahre später in Madrid wird der Hofkünstler diese
Maßnahme rechtfertigen. Doch genauso wie Cervantes in seiner
Erzählung "Gespräch zwischen Cipión und Berganza" die
jeweiligen Kollektive angreift und doch in anderen Texten Sympathien für
das einzelne Individuum erkennen läßt [57], scheint auch
Velázquez die Fähigkeit gehabt zu haben, für den besonderen
Fall vom allgemeinen Stereotyp abzuweichen. Leider haben wir von ihm weder die
Darstellung einer Hexenmeisterin noch eines Zigeuners. Der einzige Hinweis auf
die noch immer erstaunliche Bevölkerungsvielfalt der hispanischen Welt des
17. Jahrhunderts in seinem Oeuvre sind seine Bilder von einer
schwarzafrikanischen "Küchenmagd" (Abb. 6) und seines Gehilfen, des
Mulatten "Pareja" (Abb. 7).
Das schmälert
jedoch nicht den Wert dieser beiden Arbeiten, denn die Malerei, so sahen wir in
den anderen Beispielen, hatte in Spanien deutlich weniger Freiheiten als die
Literatur. Zumindest die offiziellen Bilder dienten damals in zunehmendem
Maße der Exklusion und kaum noch der Inklusion gesellschaftlicher
Randgruppen. Der wiederholte Rückgriff auf die gleichen Personen in den
Arbeiten seines Frühwerkes weckt die Erwartung, daß Velázquez
zu seinen Modellen auch persönliche Kontakte unterhielt. Darin mag ein
Grund liegen, warum er wie die Pícaro-Literatur sich den unteren sozialen
Gruppen zuwandte, diese aber nicht verspottete. Um seine Bilder einer
möglichen Zensur gegenüber zu rechtfertigen, wie sie von Carducho in
den "Diálogos" ja ganz explizit ausgesprochen wird, mag er seine
Alltagsschilderungen mit Bedeutungen aufgeladen haben, die mir jedoch
zweitrangig erscheinen, wenn wir bei unserer Bewertung den
"Wasserverkäufer" in den Mittelpunkt stellen, den Velázquez selbst
ja offensichtlich als das beste Bild aus dieser Reihe
ansah. [58]
Velázquez'
Haltung gegenüber seinem Personal in den bodegones und später
mit Blick auf Pareja ist schließlich auch in einem überregionalen
Zusammenhang erstaunlich, denn wir müssen bedenken, daß im 17.
Jahrhundert nicht im Bild, sondern ganz real, und zwar sowohl im katholischen
Spanien wie auch in reformatorischen Ländern ein Ausgrenzungsprozeß
der Anderen im Dienste des Fortschritts eingesetzt hatte. [59] Die
Einigung zwischen den christlichen Konfessionen im Westfälischen Frieden
scheint diesen Prozeß, zumindest was die hier ausgewerteten spanischen
Bildbeispiele angeht, zunächst eher noch befördert zu
haben. [60]
Epilog
Trotz
allem war Pareja mit der Haltung seines Meisters keineswegs zufrieden. In einem
seiner eigenen Bilder, der "Berufung des hl. Mathäus" (1661), zitiert er
seinen Meister in einem Selbstportrait am linken Bildrand, dem er auf einem
Zettel seinen Namen und die Datierung beigegeben hat (Abb. 7). [61] Die
Wahl eines Dreiviertelprofils und der Kleidung sind bei den Dargestellten nahezu
identisch, und doch gibt es bezeichnende Unterschiede. Da wo Velázquez
die ethnische Differenz durch die besonderen Gesichtszüge herauszuarbeiten
suchte, scheint Pareja um eine Angleichung seiner Physiognomie an die
übrigen Figuren der christlichen Szene bemüht. Auch verzichtet der
Mulatte nun auf den in Spanien, wie bereits gesagt, durch die Kleiderordnung
verbotenen Spitzenkragen. Pareja, so wird deutlich, wünschte sich keine
"exotische" Existenz, sondern wie vorher auch einmal ein Großteil der
conversos und Morisken, die volle Integration in die spanische
Gesellschaft.