DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa
Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur
HUBERT GLASER und ELKE ANNA WERNER
Die siegreiche Maria - Religiöse Stiftungen Maximilians I. von Bayern
I.
D.O.M.
MAGNAE DEI MATRI, AUGUSTAE AETERNAEQ. VIRGINI OPT. MAX. BOIARIAE PATRONAE,
SINGULARI PRINCIPUM TUTELAE, AUXILIATRICI, VICTRICI MAXIMILIANUS BOIORUM DUX, E
VICTA BOHEMIA REDUX MEMOR GRATUSQUE POSUIT ANNO POST C. N.
MDCXX.
Dem höchsten größten
Gott, der großen Mutter Gottes, der erhabenen ewigen Jungfrau, der besten,
größten Patronin Bayerns, der einzigartigen Beschützerin der
Fürsten, der Helferin, Siegerin setzte (diesen Altar) Maximilian, Herzog
der Bayern, aus dem besiegten Böhmen heimkehrend, in dankbarer Erinnerung
im Jahr 1620 nach Christi
Geburt. [1]
Der Text der
Stiftertafel des Hochaltars der Münchner Frauenkirche (Abb. 1) stellt eine
intentionale Verbindung her zwischen dem mächtigen, bis in den
Gewölbescheitel reichenden Altarwerk, das fast 250 Jahre lang den Chorraum
im Osten abschloß, und dem siegreichen Feldzug des bayerischen Heeres nach
Böhmen, mit dem der Dreißigjährige Krieg erst eigentlich
eröffnet wurde.
Diese Konstruktion
läßt sich insoweit bestätigen, als in der Tat Herzog Maximilian
von Bayern, der bei seiner Rückkunft nach München am 25. November 1620
in die Stiftskirche zu Unserer Lieben Frau eilte, um ein Dankgebet zu
verrichten, und dort von dem zuständigen Oberhirten, dem Bischof von
Freising, und von einem beziehungsreichen Choral
("Tausende
hat Saul
erschlagen")
begrüßt wurde, bereits drei Tage nach der Heimkehr in seine Residenz
den Transport der fertiggestellten architektonischen und malerischen Teile des
Retabels aus den Werkstätten in die Frauenkirche befahl. [2]
Bereits im September 1620 waren, wie sich aus den Abrechnungen des Hofbauamts
ergibt, die Fundamente aufgemauert worden. Das Datum der Altarweihe und der
Anbringung der Stiftertafel ist nicht überliefert. Jedenfalls aber
müssen der Entschluß des Herzogs, eine so bedeutende Stiftung zu
unternehmen, ferner die Erstellung des ikonographischen Programms und die
Beauftragung der Künstler bereits lange Zeit vor dem Eingreifen Bayerns in
den böhmischen Konflikt erfolgt sein. Als datum post quem ist der 1.
Februar 1617 zu ermitteln; von diesem Tag stammt das Konzept eines Schreibens
des Stiftskapitels an den Herzog, in dem ein neuer Choraltar anstelle des
bereits vor Jahren abgebrochenen alten und des diesen mittlerweile ersetzenden
Provisoriums
"diemietigist"
angemahnt wird. [3] Der Zusammenhang des von Herzog Maximilian
gestifteten Hochaltars der Münchner Frauenkirche mit dem Sieg des
bayerisch-österreichischen Heeres am Weißen Berg bei Prag, mit der
Vertreibung des Winterkönigs und also mit der Durchsetzung der
Gegenreformation in Böhmen ist - ohne Zweifel durch den Herzog selbst -
nachträglich konstruiert worden.
In der Tat
enthält das Retabel in seiner Ikonographie keinerlei direkte Anspielung auf
die Verteidigung des Glaubens und auf Krieg und Frieden. Für das
Bildprogramm [4], das dem damals 70jährigen Münchner Hofmaler
Peter Candid anvertraut wurde, waren vom Patrozinium der Kirche her marianische
Themen vorgegeben. Wer sich zuerst für
"Mariae
Verkündigung"
und "Mariae
Himmelfahrt"
aussprach - der Herzog selbst, das Stiftskapitel oder ein Ratgeber aus dem Kreis
der Münchner Jesuiten -, läßt sich nicht mehr erweisen.
Jedenfalls sollten den Gläubigen die Divination der Mutter Jesu, ihre
Erwählung zum Gefäß der Menschwerdung des Gottessohnes und ihre
dadurch begründete, durch Jesus selbst herbeigeführte Erweckung vom
Tod und leibliche Aufnahme in den Himmel vor Augen gestellt
werden.
Demgemäß hat Candid für
die Verkündigungsszene (Abb. 2) nicht den appellativen Zuspruch des Engels,
sondern den Augenblick gewählt, in dem - nach den Worten des Evangelisten
Lukas - der Heilige Geist über Maria kommt und die Kraft des Höchsten
sie überschattet, während der Engel, auf einer Wolke niedergesunken,
die Hände über der Brust gekreuzt, dem Geschehen in demütiger
Ergriffenheit beiwohnt.
Für das riesige
Hauptbild (Abb. 3), das allein schon im Format alles übertraf, was es im
bayerischen Herzogtum an Altarbildern gab, mußte der Maler mangels
biblischer Berichte zunächst auf die Legenda Aurea des Jacobus von Voragine
zurückgreifen, in der über die - von Engeln geleitete - Auffahrt
Mariae nach dreitägiger Grabesruhe und über ihren Empfang durch den
göttlichen Sohn berichtet wird. Candid wurde offenbar nahegelegt, dieses
Motiv, das des vorletzten Rosenkranzgeheimnisses, mit dem der himmlischen
Krönung Mariae, dem des letzten Rosenkranzgeheimnisses, zu kombinieren:
Jesus, der seine emporgetragene Mutter mit seiner Rechten umarmend stützt,
hält mit der Linken eine goldene, edelsteinbesetzte Krone über sie, um
sie als Königin des Himmels über alle irdische Kreatur zu erheben
(Abb. 3).
Die Jugendlichkeit Mariae, die
Umarmungsgeste und die zugeneigte Haltung eröffnen darüber hinaus eine
zweite Deutungsebene: Jesus und Maria erscheinen als der Bräutigam und die
Braut des Hohen Liedes. Damit rekurriert Candid auf das durch Papst Pius V. im
Jahr 1568 neu geordnete Breviarium Romanum, in dem Lesungen aus dem Canticum
Canticorum dem Fest Mariae Himmelfahrt zugeordnet werden. Überdies wurde es
nunmehr möglich, in der emporschwebenden Maria nicht nur die Gottesmutter,
sondern, wie es schon Augustinus und andere Väter getan hatten, das Inbild
der Kirche und also in der himmlischen Krönung deren letzte Bestimmung und
endgültigen Triumph zu sehen. Die heilsgeschichtliche Bedeutung des
Ereignisses wird dadurch unterstrichen, daß ihm - auf Wolkenbänken
über den Aposteln - die Ureltern der Menschheit, Adam und Eva, sowie
Patriarchen, Propheten, Könige und Helden des Alten Testaments beiwohnen,
und vor allem dadurch, daß auf der dritten Ebene des Altars, im Auszug,
Gottvater, um den sich die himmlischen Heerscharen kreisförmig sammeln, die
Arme weit zum Empfang geöffnet, auf die himmlische Szene und deren irdische
Beobachter, die Vertreter der Menschheit,
herabblickt.
Die Widmungsinschrift, die an der
Rückseite des Altars angebracht wurde, aber zu dem dort abgewickelten
Bildprogramm in keinerlei Beziehung stand, versieht die Schauseite mit einer auf
die jüngsten Ereignisse bezogenen aktuellen Deutung. Während der
allmächtige Gott nur in der Formel
"D.O.M."
auftaucht, wird Maria als Gottesgebärerin und Jungfrau, als Patronin
Bayerns und Beschützerin der Fürsten, als Hilfe der Christen und
Siegerin im Kampf apostrophiert. Der Titel der Patrona Boiariae verweist
auf die Bronze-Madonna an der Residenzfassade aus dem Jahr 1616, mit deren
Anbringung und Beschriftung inmitten eines die leitenden Grundsätze seiner
Herrschaft herausstellenden Figurenprogramms Herzog Maximilian sein Land und
sein Haus unter den besonderen Schutz Mariae stellen wollte. [5] Seit
etwa 1615 ist die Propagierung dieses Motivs im Umkreis Maximilians zu
verfolgen. Das eindrucksvollste Beispiel liefert der Titelkupfer des ersten
Bandes der
"Bavaria
Sancta" des
Jesuiten Matthias Rader, der in jenem Jahr in Augsburg erschien; er zeigt, wie
fünf geharnischte Engel, St. Michael in der Mitte, ausgezeichnet durch das
Wappen des Hauses Bayern und durch die Collane des Goldenen Vlieses, flankiert
von vier himmlischen Beschützern der bayerischen Rentämter, der
Gottesmutter und dem von ihr gehaltenen Jesuskind eine Landkarte des Herzogtums
entgegenhalten. (Vgl. Kat. Nr. ###) Damit wird die Rolle Mariae als der zwar
nicht einzigen, aber doch besten und größten Patronin Bayerns
schlüssig ins Bild gesetzt. In der Überschrift dieses Kupferstiches
wird Maria Tutela Regnorum genannt - ähnlich wie sie auf der
Stiftertafel des Münchner Hochaltars Tutela Principum
heißt. [6]
Der Zeitbezug des Textes
der Stiftertafel schimmert auch durch die Titel Auxiliatrix und
Victrix, mit denen Maria bedacht wird. Sie wurzeln letzten Endes in der
Lauretanischen Litanei, deren Gebrauch sich in Loreto bis etwa 1530
zurückverfolgen läßt und die sich im Zug der zunehmenden
Attraktivität der Loreto-Wallfahrt und der Loreto-Kopien im ganzen Orbis
Christianus verbreitete. [7] Eine Aktualisierung gerade der Rolle Mariae
als Helferin und Siegerin erbrachte dann die religiöse Interpretation des
Seesieges der venezianisch-spanischen Flotte über die Türken bei
Lepanto. Da die Schlacht am ersten Sonntag im Oktober geschlagen worden war, an
dem die Römischen Rosenkranzbruderschaften ihre Bittgänge abhielten,
schrieb Papst Pius V. den Erfolg der christlichen Armada dem Eingreifen der
Gottesmutter zu und ordnete in dem Konsistorium vom 17. März 1572 an,
daß künftig am Jahrestag der Schlacht ein Dankfest als
"Gedächtnis
Unserer Lieben Frau vom
Siege"
abgehalten werde. Im folgenden Jahr variierte Gregor XIII. den Beschluß
dahin, daß das Fest am ersten Sonntag im Oktober als Rosenkranzfest
gefeiert werde. [8] Daß die Fürbitte an Maria als Auxilium
Christianorum in denselben Zusammenhang gehört, läßt sich
zumindest wahrscheinlich machen, auch wenn die Einfügung dieser - bereits
bei Petrus Canisius 1558 nachweisbaren - Metapher in die Lauretanische Litanei
sich nicht auf eine nach der Schlacht erfolgte Initiative
Pius' V.
zurückführen läßt. Die Übertragung der
Deutungsmodelle, die sich nach der Schlacht von Lepanto so unerhört rasch
und erfolgreich durchgesetzt hatten, auf den Sieg der katholischen
Religionspartei am Weißen Berg bei Prag bot sich mit
Selbstverständlichkeit an. Daß der bayerische Herzog die Anrufung
Mariae als Schlachtruf anordnete, daß der Karmeliterpater Domenico di
Gesú e Maria bereits im Lager bei Grieskirchen das herzogliche
Marienbanner weihte, daß ferner der irische Jesuitenpater Fitzsimon mit
dem Befehlshaber der österreichischen Truppenteile, Graf Buquoy,
während des Aufmarsches das Salve Regina betete, arbeitete von vornherein
auf diese Interpretation hin. [9] Die Einbringung eines während des
böhmischen Feldzugs bei Pilsen gefundenen Madonnenbildes in die
zunächst dem Apostel Paulus geweihte Kirche Sta. Maria della Vittoria in
Rom und der von Lazarus von Schwendi begründete Maria-Hilf-Kult in Passau,
der sich alsbald über den ganzen oberdeutschen Raum verbreitete, basieren
auf derselben historischen
Konstellation. [10]
Das Retabel der
Münchner Frauenkirche gehört nicht primär in den Zusammenhang der
Ausrufung der Mutter Gottes zur bayrischen Landespatronin, sondern in den der
gegenreformatorischen Marienfrömmigkeit. Das Thema der Aufnahme Mariae in
den Himmel implizierte, gerade weil es nicht biblisch verbürgt ist, einen
dezidierten Widerspruch zu der protestantischen Antwort auf die Frage nach den
Quellen des Glaubens. Außerdem verbirgt sich darin die zur Unterscheidung
und Abgrenzung der religiösen Überzeugungen überaus dienliche
Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariae. Es konnte nicht ausbleiben,
daß dieses Thema auch in den Münchner Hauptkirchen immer wieder
angesprochen wurde, zum Beispiel in St. Michael, wo es Candid selbst behandelt
hat, oder in der Frauenkirche, auf einem der sogenannten Stiegenaltäre,
für den Hans Rottenhammer im Auftrag Herzog Wilhelms V. eine Krönung
Mariae gemalt hatte. [11]
Candid
allerdings, als er an die Ausführung seines größten Auftrags
ging, hielt sich nicht lange bei regionalen Mustern auf, sondern trat in einen
Dialog mit der italienischen Kunst, die er bei seinem Florentiner Aufenthalt
kennengelernt hatte, und mit der neuen flämischen Malerei ein. [12]
Daß er sich auf Tizians "Assunta" von 1518 zurückbezog, ist Gemeingut
der Forschung; auf Andrea del Sartos Himmelfahrtsbild verweist die Komposition
der Apostelgruppe; Tintorettos Dynamik und drangvolle Dichte mag ihm ferner
gestanden sein, aber daß die stark gelängte Proportion der
auffahrenden Maria durch die erste, für S. Stin gemalte Assunta des
venezianischen Manieristen angeregt wurde, läßt sich immerhin
plausibel machen. Die Kenntnis der Auseinandersetzung Rubens' mit dem Thema kann
hingegen nicht direkt belegt werden; auffällig bleibt immerhin, daß
der Antwerpener Meister sich im Zuge der Arbeiten für den Hochaltar der
Kathedrale seiner Heimatstadt um eine Kombination des Himmelfahrtsmotivs mit dem
Krönungsmotiv bemühte. Die Beschäftigung mit Rubens lag für
Candid auch aus anderen Gründen nahe. 1615 hatte Herzog Maximilian bei dem
großen Flamen vier Jagdbilder für die Ausstattung des Schlosses in
Schleißheim bestellt; um dieselbe Zeit kamen die von Maximilians Schwager
Wolfgang Wilhelm für Neuburg an der Donau in Auftrag gegebenen Altarbilder
an, in denen die Rekatholisierung des Herzogtums Pfalz-Neuburg ihren
monumentalen Ausdruck finden sollte. [13] Zweieinhalb Jahre nach der
Aufstellung des Candid-Retabels wurde Rubens auch für den Hochaltar des
Freisinger Domes ins Spiel gebracht; 1624 gestaltete er den vom Erzengel Michael
unterstützten Sieg des Apokalyptischen Weibes - das er, der damaligen
Exegese entsprechend, mit Maria identifizierte - über den Drachen und den
Satan, ein - im Vergleich mit den Motiven Candids - dezidiertes Kampfbild, das
in diesen Jahren des beginnenden Dreißigjährigen Krieges eine
aktualisierende Ausdeutung geradezu erzwang (Abb. 4). [14] Dieser
Unterschied wird sogar in der berühmtesten literarischen Rezeption
deutlich, die sowohl das Münchner wie das Freisinger Hochaltarblatt
erfuhren, nämlich in den Oden des Dichters Jakob Balde. [15] Dieser
hat als Mitglied der Societas Jesu 13 Jahre lang im engsten Umkreis des
Kurfürsten Maximilian gelebt. In den Odae Partheniae, die 1643 erschienen,
hat Balde seine Eindrücke und Reflexionen über die drei wichtigsten
Bildwerke im gegenreformatorischen Altbayern nacheinander abdrucken lassen, die
Vision, hinter der das Freisinger Rubens-Bild steht, die Meditation über
den Gegenstand des Candid-Bildes in der Frauenkirche und die Betrachtung des von
Christoph Schwarz gemalten Höllensturzes in der Münchner
Jesuitenkirche St. Michael. Während der Vorgang der Aufnahme Mariae in den
Himmel aus jeder Zeitlichkeit herausgerückt und als unio mystica
jenseits aller Geschichte wiedergegeben wird
("... von
deines Sohnes / Arm emporgeführt, überholst du alles, / Was nicht Gott
ist, tauchst mit dem Geist ins volle / Wesen der Gottheit. / Tauch hinein
..."), gibt
der Dichter seiner Schau des Apokalyptischen Weibes, die er dann auf dem
Freisinger Hochaltar realisiert sieht, eine präzise politische, auch auf
den Krieg bezogene Datierung, die für den jenseitigen Siegesruf
("Inzwischen
läßt Victoria / im ganzen Himmel ihren Ruf
erschallen")
eine aktualisierende Deutung zuläßt:
"Der siebte
Sommer in der Bayern Hauptstadt war dahingegangen / nach König Gustavs Tod,
als in Rom mit heiligen Zügen Urban der Achte lenkte, / und Wien regierte
Ferdinand der Dritte, / Zur Zeit, da Deutschland mit sich selbst im Streit / des
Bürgerkrieges Frevel mehrte / (...) Da sah ich etwas Wunderbares
(...)".
Der
Aufbau eines persönlichen Verhältnisses zu der Jungfrau und
Gottesmutter Maria und der Versuch, diese Beziehung auf das ganze Herzogtum zu
übertragen, d.h. alle Landeskinder einzubinden, gehören zu den
zentralen Motiven von Maximilians Selbstverständnis und Regierungsprogramm.
Sie lassen sich gewissermaßen vom Ende her erzählen, nämlich von
dem berühmten Blutbrief her, den der Kurfürst, damals schon 71 Jahre
alt, im Januar oder Februar 1645 insgeheim in dem Sockel des neuen, von ihm
gestifteten Tabernakels für das Altöttinger Gnadenbild
hinterlegte. [16] Niemand wußte davon außer dem Kammerdiener
und Max Schinagl, der für den Entwurf und den Bau des Tabernakels
verantwortlich war. Der mit eigenem Blut geschriebene, zweifach versiegelte
Brief wurde auf Weisung der Witwe Maximilians, die nach dem Tod des
Kurfürsten informiert worden war, dem von außen vollkommen
unsichtbaren Behältnis entnommen und geöffnet. Dabei kam in
stockender, wegen der raschen Gerinnung des Blutes besonders schwerfällig
wirkender Schrift der Text zum Vorschein
"In
mancipium tuum me tibi dedico consacroque Virgo Maria hoc teste cruore atq.
chyrographo Maximilianus peccatorum
coryphaeus."
(Als Dein Eigentum übergebe und weihe ich mich Dir, Jungfrau Maria, durch
das Zeugnis meines Blutes und meiner Schrift, Maximilian, Oberhaupt der
Sünder.) Eine Außenwirkung dieses Zeugnisses kann nicht intendiert
gewesen sein; es läßt sich nur als ein vollkommenes, geheimes, mit
der Metapher der Sklaverei ausgedrücktes Sich-Ausliefern an den - wie auch
immer erahnten, übermittelten und bewußt gewordenen - Willen der als
eine unabweisbare Realität geglaubten Jungfrau und Gottesmutter verstehen.
Diese Form der Marienfrömmigkeit als völlige Ergebung und lebenslange
Dienstbarkeit läßt sich bereits in der Jugendgeschichte Maximilians
verorten. Das Gebet der Lauretanischen Litanei und der Corona quinquagesima und
das Auswendiglernen des Officium parvum Beatae Mariae Virginis sind schon
für den Achtjährigen bezeugt. Mit zehn Jahren wurde der Prinz in die
Marianische Kongregation aufgenommen und stieg alsbald zum Generalpräses
aller marianischen Sodalitäten in Deutschland auf. Zur Erziehungsgeschichte
Maximilians gehören auch Petrus Canisius mit dem Opus Marianum, das 1577 in
Ingolstadt gedruckt wurde und in dem das Bild Mariae als Besiegerin des Teufels,
als Hilfe der Christen und als Inbegriff der Kirche gegen die Kritik der
Reformatoren verteidigt wird, und Pater Jakob Rem, der in Dillingen die erste
Marianische Kongregation in Süddeutschland und dann in Ingolstadt den Kult
der Mater ter admirabilis gegründet
hatte. [17]
Marienwallfahrten ziehen sich
leitmotivisch durch die ganze Frömmigkeitsgeschichte des Herzogs und
Kurfürsten, zum Beispiel nach Thalkirchen, dann nach Andechs, Tuntenhausen,
Einsiedeln und vor allem Altötting. Die Loreto-Wallfahrt auf der
Rückreise von Rom 1593 hatte ein Aufblühen des Kultes der Casa Santa
im bayerischen Herzogtum zur Folge. Bei Papst Urban VIII. drängte
Maximilian später auf eine Intensivierung der Marienverehrung; obwohl er
seine Untertanen Tag für Tag bei der Arbeit sehen wollte, setzte er sich
für die Einführung des Festes der Unbefleckten Empfängnis (1629)
und des Festes Mariae Heimsuchung (1638) ein. [18] Diese
Aktivitäten, genauso wie die zahlreichen Altarstiftungen,
Meßstipendien, Ewiges-Licht-Stiftungen usw. dürfen nicht primär
als Zeugnisse privater Frömmigkeit gesehen werden; vielmehr bilden sie
Elemente der großangelegten Bestrebung, das ganze Territorium marianisch
zu überformen und - so wie es der Landesherr für sich selbst getan
hatte - alle Untertanen in den Dienst Mariae zu zwingen. Der Erreichung dieses
Zieles dienten die Ausgestaltung vieler marianischer Gnadenorte, die
Förderung unterschiedlicher, dem Herzog auf Grund persönlicher
Erfahrungen nahestehender Kulte, verpflichtende Vorschriften für das
Verhalten bei dem täglich dreimaligen Aveläuten und der Befehl,
daß alle Landeskinder einen Rosenkranz besitzen und die entsprechenden
Gebete so oft wie möglich verrichten müßten. [19] Die
Gewinnung der Jungfrau und Gottesmutter als Schutzfrau Bayerns, als
Verbündete und Helferin sollte, das war die Idee Maximilians, seinen
eigenen Tod überdauern; deshalb gab er seinem Sohn Maria als zweite
Namenspatronin und begründete damit eine Devotionspraxis, die sich in
Bayern bis in das 20. Jahrhundert fortsetzte. 1646 legte er dem Hofmeister
gegenüber die von ihm gewünschte marianische Ausrichtung der
religiösen Erziehung des Kurprinzen dar:
"...
demnach Wür und unsere Lobl.e Vorfordern zu der Allerglorwürdigisten
Himmel Königun und Muetter Gottes Maria ieder Zeit ein particular deuotion,
Lieb Zueflicht und vertrauen getragen, selbige auch negst Gott für die
hechste Beschizerin und Patronin unsers gesambten Fürstl.en Hauß und
angehöriger Landt und Leith verEhrt, erkent und erfahren haben und noch
täglichs erfahren
thuen...". [20]
Abschließend
ist zu bedenken, daß der neue Hochaltar im Jahr 1620 nicht als isoliertes
Ausstattungsstück, sondern im Zusammenhang mit der 1604 begonnenen
Neugestaltung des Chorraums der Münchner Frauenkirche zu sehen
ist. [21] In dieser spiegelten sich kult- und kirchengeschichtliche,
reichs- und territorialgeschichtliche sowie dynastiegeschichtliche Motive. Den
Anstoß für die Umgestaltung lieferte der Erwerb wertvoller Reliquien
samt der dadurch ausgelösten Wallfahrtsbewegung. Im Jahr 1576 waren die
Gebeine des heiligen Bischofs Benno von Meißen, der in Sachsen nicht mehr
die ihm nach katholischer Auffassung geschuldete Verehrung genoß, nach
München überführt worden. [22] Herzog Albrecht V.
verpflichtete in seinem Testament seinen Nachfolger Wilhelm V., die Reliquien in
der Nähe der wittelsbachischen Familiengrablege in der Frauenkirche
niederzulegen und überdies für ihn, den Vater, und für Wilhelm
IV., den Großvater, ein
"Erlich
Epitaphium"
zu errichten; damit legte er einen räumlichen und also auch gestalterischen
Zusammenhang des künftigen Kultortes des heiligen Benno (der zum
Münchner Stadtpatron erhoben worden war) und der dynastischen Grablege des
Hauses Bayern fest. [23] Die Planungen zogen sich fast 25 Jahre hin. In
den Jahren 1603/04 ließ Herzog Maximilian, gedrängt von seinem Vater,
dem abgedankten Wilhelm V., am Choreingang eine gewaltige
Triumphbogenarchitektur aufführen, einen auf vier mächtigen Pfeilern
ruhenden Quadrifrons mit einem kurzen Tonnengewölbe in der
Längsrichtung und Stichkappen in einem schmaleren Querschiff,
geschmückt mit einem reichen, aus Kirchen-, Stifts- und
Diözesanpatronen usw. bestehenden
Figurenprogramm. [24]
Im vorliegenden
Zusammenhang kommt es nur auf zwei Aspekte an. Der eine ist, daß innerhalb
des Bennobogens, obwohl dessen Errichtung durch den Bennokult veranlaßt
war, der Bennoaltar in das schmale Querschiff eingeschoben wurde, während
der Platz im Zentrum des Quadrifrons einer anderen Bestimmung vorbehalten blieb.
Dort, wo der Bogen sich zum eigentlichen, vom gotischen Gestühl begrenzten
Chorraum öffnete, lag seit dem Neubau der Frauenkirche im 15. Jahrhundert
das Monument für Ludwig den Bayern und dessen Nachkommen. Der Herzog und
das Stiftskapitel entschieden sich gegen eine Verlegung des Hochgrabs, vielmehr
nützten sie die Chance, die Verbindung von Grabdenkmal und Kreuzaltar
wiederherzustellen, die bereits im Vorgängerbau der Frauenkirche bestanden
hatte. Durch die Tatsache, daß Kaiser Ludwig im Bann gestorben war und
daß die Päpste sich nach wie vor weigerten, ihn daraus zu lösen,
ließen sie sich nicht irritieren.
Der zweite
hier zu bedenkende Zusammenhang ist der von Bennobogen und Hochaltar. Der
Dreiflügelaltar aus dem 15. Jahrhundert, der bisher als Choraltar diente,
wurde 1607 abgebrochen. An seine Stelle trat ein Provisorium, für das die
von Hubert Gerhard gestaltete Bronzefigur der Madonna mit dem Kind, die
ursprünglich über dem geplanten und nur rudimentär realisierten
Grabmonument Wilhelms V. in der St. Michaelskirche in München hätte
angebracht werden sollen, verwendet wurde. [25] Allerdings fehlte dieser
Lösung des Chorabschlusses die für die Frauenkirche absolut
nötige Monumentalität; Maximilian scheint von vornherein an eine
Neugestaltung des Kaisergrabes und an die Errichtung eines neuen, sowohl die
liturgischen wie die repräsentativen Bedürfnisse erfüllenden
Hochaltars und damit an eine komplexere Sinnstiftung des Chorraumes gedacht zu
haben. Der Bennobogen lieferte für beides wichtige Vorgaben. Durch eine
Neuinszenierung des Grabmonuments und durch dessen Zuordnung zum Triumphbogen
und zum Hochaltar konnte das dynastische Element innerhalb der diffizilen
Gestaltungsaufgabe zum zentralen Motiv aufgewertet werden. Wie sehr Maximilian
um die Einbindung des Hochaltars in dieses Bezugssystem besorgt war, erhellt
eine auf etwa 1617 zu datierende Skizze, die einen - später verworfenen -
Plan für das Kaisergrab zeigt (Abb. 5). [26] Man sieht das durch
einen Sockel erhöhte, von einer mit Figuren geschmückten Balustrade
umgebene gotische Monument, an den gewundenen Schriftbändern erkennbar, und
an dessen dem Hochaltar zugewandter Seite den knienden Maximilian - den betenden
Herzog - für sich und seine Ahnen die Gnade Gottes erflehend. Dieser
Entwurf wurde beiseite gelegt, vielleicht weil er die testamentarischen
Bestimmungen Wilhelms IV. und Albrechts V. nicht berücksichtigte. Der Bezug
von Monument und Hochaltar wurde bei der 1622 abgeschlossenen Neugestaltung auf
andere, nicht minder schlüssige, nunmehr entpersonalisierte Weise sichtbar
gemacht. Die sorgfältige Abstimmung des Retabels auf die bereits vorhandene
Triumphbogenarchitektur wird auf der berühmten dokumentarischen Fotografie
aus dem Jahr 1858 präzise nachvollziehbar (Abb. 6). Für den aus dem
Schiff zum Chor blickenden Betrachter bildet der Bennobogen einen zweiten,
verstärkenden Rahmen um das Bildprogramm des Hochaltars. Der
inszenatorische Gedanke gemahnt an die Frarikirche in Venedig, wo das Portal der
Chorschranken den Blick auf Tizians Assunta freigibt; dort wie hier war das
rahmende Architekturelement bereits vorhanden, als das Altarwerk konzipiert
wurde.
Am Kaisergrab hat der mit dem Entwurf
beauftragte Hans Krumper - ohne Frage auf Wunsch des Herzogs - die dynastische
und imperiale Aussage, die bereits in der gotischen Deckplatte getroffen worden
war, enorm gesteigert. [27] Er hat das Hochgrab auf einen schwarzen
Marmorsockel gesetzt und mit einem gewaltigen, aus demselben Material
errichteten Kenotaph überbaut, der von jeder Seite einen Blick auf die alte
Grabplatte freigibt und mit einem massiven, sich zur Mitte hin erhöhenden
Deckel geschlossen ist. (Abb. 7) Dieser Kenotaph ist von einer schützenden
Balustrade umgeben. An den Längsseiten stehen die Bronzestatuen Wilhelms
IV. und Albrechts V., mit denen die testamentarischen Verfügungen von
Maximilians Großvater und Vater erfüllt wurden. An den Ecken des
Sockels knien vier Ritter, die aus dem bereits vor 1600 fertiggestellten
Figurenprogramm für das Grabmal Wilhelms V. in der St. Michaelskirche
herübergeholt wurden und nun der reicheren Instrumentierung des
Kaisergrabes dienten. Sie tragen die Banner jener vier Kaiser, die nach der
Auffassung der Münchner Hofgeschichtsschreibung zu den Ahnen des
regierenden Hauses gehörten. In der erhöhten Mitte der Deckplatte ruht
auf einem Paradekissen die Kaiserkrone - wiedergegeben in der modernen, schon
für Kaiser Maximilian und Kaiser Karl V. bezeugten Form; sie wird in der
Längsrichtung flankiert von zwei Genien, die, nach außen, d.h. dem
Schiff und dem Altar zugewandt, die weiteren Insignien des Kaisertums,
Reichsapfel und Szepter beziehungsweise Wappenschild und Reichsschwert,
vorweisen. In der Inschrift, die den Kenotaph umzieht, widmet Maximilian das
Denkmal seinem kaiserlichen Vorfahren, der in dieser Kirche begraben liegt,
beruft sich dabei auf den Befehl seiner Vorgänger, datiert das Werk in das
Jahr 1622 und nennt sich
"Herzog von
Bayern, des Heiligen Römischen Reiches
Kurfürst"
- ein Jahr, bevor ihm die Kurfürstenwürde von Kaiser Ferdinand II.
tatsächlich verliehen wurde.
Sowohl die zu
dem Kenotaph kombinierten Ritter mit ihren Bannern als auch die Statuen des
Urgroßvaters und des Großvaters (also jener Herzöge, die seit
1522 die Reformation in ihrem Territorium unterdrückt und ihre Untertanen
beim alten Glauben gehalten hatten) verstärken die Qualität des
Denkmals als Monument der Dynastie. Die vielfachen Anspielungen auf das
Kaisertum Ludwigs des Bayern (und seiner angeblichen karolingischen Ahnen) und
die Bezeichnung des Stifters als Kurfürst rekurrieren auf den einstigen
Rang des Hauses Bayern; es beansprucht, als Kaiserdynastie zu gelten; der
gegenwärtige Herzog ist in den Kreis der Königswähler
zurückgekehrt; er und seine Nachfolger halten sich bereit, einst wieder in
die höchste Würde des Reiches aufzusteigen. Diese demonstrative
Aussage erfolgt in der Münchner Hauptkirche, die nunmehr als Hofkirche
verstanden wird und deren neugestalteter Chorraum der Selbstinterpretation und
der Selbstdarstellung der herzoglichen Familie dient, in Verbindung mit einer
religiösen, genauer gesagt, einer heilsgeschichtlichen Dimension. Indem der
Blick des Betrachters aus dem Kirchenschiff über die weithin sichtbare
Kaiserkrone, die die Ahnen der Wittelsbacher getragen haben, auf das
Hochaltarbild gelenkt wird, das die in den Himmel erhöhte Gottesmutter und
bayrische Landespatronin zeigt, erfährt der gläubige Untertan, der
auswärtige Besucher, der fromme Beter, daß das Herrscherhaus eine
providentielle Aufgabe erfüllt hat - in längst vergangenen
Jahrhunderten, aber auch eben erst, als der regierende Herzog aus dem besiegten
Böhmen
zurückkehrte.
II.
Auch
die 1638 feierlich eingeweihte Mariensäule auf dem Schrannenplatz in
München, eine weitere bedeutende Stiftung Maximilians I., führt
beispielhaft vor Augen, wie in der Kunstpolitik des bayerischen Kurfürsten
private Frömmigkeit, dynastisches Legitimationsbedürfnis und
landesherrliches Machtstreben auf das engste miteinander verknüpft
waren. [28] Sie steht jedoch nicht nur exemplarisch für die
kunstpolitischen Aktivitäten Maximilians, sondern gehört zu jenen
Werken aus der kämpferischen Phase der Gegenreformation, die besonders
rasch von den Gläubigen als Kultbild angenommen wurden. Auf dieser
Akzeptanz, die wesentlich zu dem wechselseitigen Verhältnis zwischen
fürstlichem Auftraggeber und der gläubigen Bevölkerung beitrug,
beruht die Macht des Bildes. [29] Sie resultiert, so die These, zu einem
nicht unbedeutenden Teil aus der formalen Gestalt des Denkmals, in der die
Marienikonographie als ein zentrales Thema der katholischen Lehre mit der
Tradition antiker Gedächtnissäulen verknüpft
wurde.
Die Errichtung der Mariensäule geht
auf ein Gelöbnis zurück, das der Landesherr anläßlich des
Vormarsches schwedischer Truppen nach Bayern in den Jahren 1631/32 abgelegt
hatte: " ... wenn die hiesige Hauptstadt und auch die Stadt Landshut vor des
Feinds endlichem Ruin und Zerstörung erhalten würde", dann wolle er
ein "gottgefälliges Werk" errichten. [30] Nachdem München von
der drohenden Besetzung und Plünderung durch Kontributionen freigekauft
werden und das kaiserlich-ligistische und durch spanische Truppen
verstärkte Heer in der Schlacht bei Nördlingen 1634 einen
entscheidenden Sieg über die Schweden erringen konnte, beauftragte
Maximilian 1635 eine Kommission mit einem Entwurf für die Umsetzung des
Gelöbnisses. Nach einer längeren Planungsphase wurde 1638
schließlich die Mariensäule auf dem Schrannenplatz vom Freisinger
Bischof Veit Adam von Gepeckh geweiht. Ein unbekannter Künstler hat dieses
Ereignis, das er vermutlich als Augenzeuge miterlebt hatte, auf einer heute in
München aufbewahrten Federzeichnung festgehalten. [31] (Abb. 8) Sie
zeigt das langgestreckte Rechteck des Marktplatzes (heute Marienplatz) mit dem
Denkmal in der Mitte, westlich und östlich davon wurden zwei Zelte
errichtet. Im rechten Zelt sieht man den Bischof, wie er zur Zeremonie
schreitet, während sich im linken Zelt wahrscheinlich Maximilian und sein
Gefolge aufgehalten haben. Dahinter hat das Bürgermilitär mit Fahnen,
Lanzen und Trommeln Aufstellung genommen. Im Hintergrund wird das Carré
des Platzes durch eine Bretterbühne geschlossen, auf der eine große
Kapelle Platz genommen hat; im Vordergrund drängen sich in dichten Reihen
die Zuschauer. Alle sind dem Denkmal zugewandt, das sich, aus drei Teilen
bestehend, in der Mitte des Platzes erhebt: Auf einem quadratischen Postament,
an dessen Ecken Putti gegen Tierungeheuer kämpfen, steht eine hohe
Säule mit korinthischem Kapitell, die von einer Marienstatue bekrönt
wird.
Die Münchner Mariensäule entstand
nicht einheitlich aus der Hand eines entwerfenden und ausführenden
Künstlers. Die bronzene Marienfigur war bereits um 1593 von Hubert Gerhard,
wohl ursprünglich für das Grabmal Herzog Wilhelms V. in der
Michaelskirche geschaffen worden, war dann seit 1606 auf dem Hochaltar der
Frauenkirche aufgestellt, bis sie 1620 - wie oben erwähnt - dem neuen Altar
Peter Candids weichen mußte. [32] Erst in der Drittverwendung fand
also die Marienstatue eine dauerhafte Bestimmung. Wer die 4,85 m hohe Säule
aus rotem Untersberger Marmor anfertigte, ist nicht bekannt. Die vier Putti
schließlich, die heute die Ecken des Säulenpostaments besetzen, waren
zur Einweihung wohl schon geplant, zunächst jedoch nur durch Platzhalter
aus einem vermutlich vergänglichen Material vertreten. Mit dem Guß
der Bronzefiguren wurde der Gießer Bernhard Ernst erst 1639 beauftragt,
ihre Aufstellung erfolgte 1641. [33] Der Bildhauer konnte bisher noch
nicht überzeugend bestimmt werden; zuletzt wurden der Hofkünstler Hans
Reichle und der Augsburger Ferdinand Murmann genannt. Die das gesamte Monument
umgebende Marmorbalustrade wurde ebenfalls erst 1639 in Auftrag gegeben. Das
Denkmal war also frühestens drei Jahre nach der Weihe endgültig
fertiggestellt.
Zu dieser Zeit war die
Mariensäule offensichtlich schon Gegenstand frommer Andacht. Zahlreiche
Gruppen von Gläubigen beteten "vor Unser Lieben Frauen Bild" bis spät
in die Nacht hinein und sangen Litaneien, so daß der Bischof von Freising
sich genötigt sah, gegen die sich "einschleichenden Mißbräuche"
mit der Einführung regelmäßiger samstäglicher Andachten
vorzugehen. [34] Ein einfacher, nach 1641 entstandener Holzschnitt von
Marx Anton Hannas nach Jacob Custos, der vermutlich als eine Art Andachtsbild
von den Gläubigen für wenig Geld erworben werden konnte, zeigt eine
Gruppe von Menschen beim Gebet vor der Mariensäule. [35] (Abb. 9)
Auch die Darstellung legt also nahe, daß die Mariensäule bereits ein
Anziehungspunkt für die verschiedensten Bevölkerungsschichten war und
im Zentrum lebhaften städtischen Treibens stand. Ob Maximilian diesen Kult
an dem von ihm gestifteten Denkmal geplant oder vorhergesehen hatte, ist nicht
bekannt. Offenkundig ist jedoch die große Akzeptanz des Denkmals bei der
Bevölkerung, die in dieser Kriegs- und Krisenzeit in besonderem Maße
Zuflucht in der Religion suchte. [36]
Dem
Typus nach aber handelt es sich bei der Mariensäule - wie gesagt - um ein
persönliches Votivbild (ex voto) des Kurfürsten, das ein im
Zeichen der Gefahr gemachtes Gelöbnis erfüllte. Das Stiften von
Votiven hat eine lange Tradition in der katholischen Kirche. [37] Votive
sind dabei der anschauliche Teil eines umfassenden religiösen Aktes. In
Situationen der Gefahr und Bedrohung reagiert der Gläubige mit einer
persönlichen Handlung, deren Ziel es ist, den Krisenzustand zu vermeiden,
zu überstehen oder für Abhilfe zu sorgen. Er stellt sich einem
Heiligen anheim und bittet ihn um Hilfe. Im Gegenzug verpflichtet er sich zu
Gebeten und anderen religiösen Handlungen oder zur Stiftung konkreter
Gegenstände. Diese Gegenstände, - häufig wird eine einfache
Reproduktion des geheilten Körperteils oder ein Bild, das den Akt des
Anheimstellens selbst zeigt, gestiftet - erfüllen das Gelöbnis, geben
Kunde vom Gnadenerweis der angerufenen höheren Macht und sind gleichzeitig
Ausdruck der Dankbarkeit des Gläubigen. [38] Es ist zudem von
Bedeutung, daß die Votive an öffentlicher Stelle, für die
Allgemeinheit der Gläubigen sichtbar, ausgestellt werden. Bevorzugte Orte
für Votivbilder sind Wallfahrtskirchen und -kapellen, da die Nähe des
Werkes zur (geistigen oder leiblichen) Präsenz des angerufenen Heiligen
eine größere Wirksamkeit verspricht. Typisch für Votive sind
darüber hinaus Inschriften, durch die das Werk erst als religiöse
Stiftung erkennbar wird. Sekundär dagegen ist der Kunstwert des Werkes, da
es in erster Linie Teil eines religiösen Kultes ist und hier vor allem
Medium für ein transzendentes Geschehen. Wenn dennoch oft auch
künstlerisch herausragende Werke gestiftet wurden, so ist nicht zu
übersehen, daß es vor allem das Gottvertrauen des Stifters und seine
tiefempfundene Dankbarkeit waren, die den Anlaß für die
Auftragserteilung gaben.
Die Münchner
Mariensäule, die auf den ersten Blick die üblichen Formen eines ex
voto zu sprengen scheint, weist bei genauerer Betrachtung doch wesentliche
typologische Merkmale eines Votivbildes auf. Schon der additive Charakter des
Werkes, das sich zusammensetzt aus bereits Vorhandenem sowie neu angefertigten
skulpturalen und architektonischen Elementen, gibt einen ersten Hinweis darauf,
daß der Anspruch an die künstlerische Gestaltung diese Stiftung
zumindest nicht vorrangig bestimmt haben mag. Zwar handelt es sich bei der
bronzenen Marienfigur um eine Arbeit des bedeutenden und für die Plastik
vor allem in Süddeutschland einflußreichen Bildhauers Hubert Gerhard.
Und auch die Putti gehören zu den bedeutendsten Bronzeskulpturen aus dem
zweiten Viertel des 17. Jahrhunderts in München. Doch als Ganzes bleibt die
Mariensäule ein sehr heterogenes Gebilde. Für den
zeitgenössischen Betrachter müssen die stilistischen Brüche noch
deutlicher gewesen sein. Während die Marienfigur noch einem beruhigten
Manierismus des späten 16. Jahrhunderts zuzurechnen ist, zeigen die
dynamisch bewegten, in variantenreichen Kampfpositionen über die Ungeheuer
siegenden Putti - erstmalig in Bayern - die neue barocke Formensprache.
Wie bei Votiven üblich, verfügte auch
die Mariensäule über eine Inschrift, in der der Gläubige seinen
Dank noch einmal explizit zum Ausdruck brachte. Zwei, heute nicht mehr erhaltene
Inschrifttafeln auf der Ost- und Westseite des Säulenpostaments nannten die
um Hilfe Angerufenen, den Anlaß und den Votanten: "Dem allergütigsten
großen Gott, der jungfräulichen Gottesgebärerin, der
gnädigsten Herrin und hochmögenden Schutzfrau Bayerns hat wegen der
Erhaltung der Heimat, der Städte, des Heeres, seiner selbst, seines Hauses
und seiner Hoffnungen dieses bleibende Denkmal für die Nachkommen dankbar
und demütig errichtet. Maximilian, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Ober-
und Niederbayern, des Heiligen Römischen Reiches Erztruchseß und
Kurfürst, unter ihren Dienern der letzte, im Jahre 1638." [39] Der
Anlaß ist hier jedoch - im Unterschied zur konkreten Bezugnahme auf die
Schwedengefahr im Gelöbnis des Kurfürsten - erstaunlich allgemein
gehalten und bezieht den Dank auf die Erhaltung seines Landes, seines Heeres und
seines Hauses generell.
War somit der Gegenstand,
für den die göttliche Hilfe gewährt worden war, schon
beträchtlich - insbesondere um den dynastischen Kontext - erweitert worden,
so entstanden durch die Wahl des Datums, an dem das Denkmal geweiht werden
sollte, zusätzliche Möglichkeiten für inhaltliche Konnotationen.
Die Mariensäule wurde am 7. November 1638 geweiht, an einem Sonntag vor dem
Jahrestag der Schlacht am Weißen Berg 1620. In der katholischen Propaganda
wurde dieser erste triumphale Sieg des katholischen Heeres über die
böhmischen Truppen Friedrichs V. als Überwindung der Häresie, als
Überlegenheit gegenüber den Ungläubigen ausgelegt und einem
Marienbild zugeschrieben, das auf wundersame Weise die gegnerischen Truppen
geblendet und damit den Katholiken zum Sieg verholfen habe. [40]
Maximilian, der sich nach diesem Ereignis als Sieger der Schlacht feiern
ließ [41], stand in besonders enger Beziehung zu diesem
Marienbild. Der Karmeliterpater Domenico di Gesú e Maria nämlich,
der das Bild aus dem Bildersturm in Böhmen gerettet haben wollte, diente im
Auftrag Papst Pauls V. als Feldgeistlicher im bayerischen Heer und war zudem auf
dem Pferd Maximilians mit dem heiligen Bild vor der Brust in die Schlacht
geritten. Unmittelbar nach der Rückkehr nach München hatte Maximilian
der Muttergottes mit dem neuen Hochaltar in der Frauenkirche für ihre Hilfe
zu seinem Sieg gedankt. Der Brauch, höheren Mächten für
militärische Siege zu danken, hat eine bis in die Antike
zurückreichende Tradition, nach der entweder - profane oder religiöse
- Siegesdenkmäler direkt am Ort des Geschehens errichtet oder aber Gebete
oder Stiftungen an heiligen Orten, in Tempeln oder Kirchen, gelobt
wurden. [42] Die Widmung des Hochaltars durch Maximilian direkt nach dem
Ereignis entsprach also einer üblichen Dankbezeugung. Die 18 Jahre
später bei der Weihe der Mariensäule hergestellte Verbindung zu diesem
Sieg kann sich jedoch nicht mehr auf einen unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang
stützen. Sie gibt daher in besonderem Maße Aufschluß über
die Bedeutung, die dieser Sieg für den bayerischen Fürsten und seinen
Beraterkreis gehabt haben muß und die nun in der Ikonographie des Denkmals
anschaulich wird.
Bezeichnenderweise sind es die
Heldenputti, die eigens für die Mariensäule neu angefertigten Figuren
also, die vor diesem historischen Hintergrund eine spezifische Bedeutung
erhalten. Die geharnischten, gegen vier Ungeheuer kämpfenden Engel tragen
auf ihren Schilden die Bezeichnung der Feinde gemäß Psalm 90,13:
"Super
aspidem" -
"et
basiliscum"-
"et
leonem" -
"et
draconem". [43]
Sie kämpfen für Maria, die in der Figur von der Hand Gerhards, als
Madonna mit Krone und Szepter, dem göttlichen Kind auf dem Arm und auf der
Mondsichel stehend, den Typus der
"Immaculata"
verkörpert. Gerade dieser Typus wurde in der Gegenreformation allgemein und
im Zusammenhang mit der Schlacht am Weißen Berg ganz konkret als Sinnbild
der
"ecclesia
militans"
umgedeutet. [44] In der Zusammenstellung der "Immaculata" mit den
heroischen Putti wird diese militante Interpretation der Marienikonographie
offenkundig. In München lassen sich durchaus Vorläufer finden, die zu
dieser Ikonographie hingeführt haben mögen. [45] Im "Zimmer
der Religion", einem Raum in der Folge der sogenannten Steinzimmer der
Münchner Residenz, befand sich seit 1612 im Deckenprogramm die Darstellung
einer
"militante
chiesa di Dio Cattolica
Romana",
die die vier Glaubensfeinde in Gestalt eines Löwen, einer Schlange, eines
Drachen und eines Basilisken zertrat. Um dieses Mittelbild waren vier
Personifikationen gruppiert, die die Eigenschaften der siegreichen katholischen
Religion veranschaulichten: Die Wachsamkeit gegenüber den Häretikern
triumphiert über den Drachen, die Geduld zertritt ein Löwenhaupt als
Zeichen der Heiden, die Wahrhaftigkeit besiegt die Schlange, die für das
Judentum steht, und der Basilisk schließlich steht für die
Schismatiker, die von der römischen Kirche selbst bezwungen werden. Das
skulpturale Programm der Mariensäule kann also als eine konsequente
Fortführung eines Konzeptes verstanden werden, in dem Maria als Sinnbild
der
"ecclesia
militans"
oder als Apokalyptisches Weib für die im Kampf der Konfessionen siegreiche
katholische Kirche instrumentalisiert wurde.
Diese
unverkennbar polemische Ausrichtung der Mariensäule wurde durch die
Aufstellung an einem zentralen Ort der Stadt geradezu pointiert. Ein Blick in
die Planungsgeschichte zeigt, daß nicht von Anfang an ein Monument dieser
Art vorgesehen war. Als Maximilian 1635 ein Beratergremium beauftragte, zu
überlegen
"was es
für ein werkh sein (...)
möchte",
mit dem sein Gelöbnis erfüllt werden solle, war der erste Vorschlag
recht konventionell: Die geistlichen Herren, darunter Jacob Golla, der Dekan des
Kollegiatstiftes zu Unserer Lieben Frau, und Adam Contzen, der jesuitische
Beichtvater des Kurfürsten, empfahlen die Stiftung eines jährlichen
"Lobamtes"
in der Münchner Frauenkirche am Fest Mariae Visitationis und die Errichtung
eines neues Altares in der entsprechenden Kapelle. Mit diesem Vorschlag bewegten
sich die Berater innerhalb dessen, was für ein ex voto üblich
war. Maximilian berief aber drei Monate später den Geheimen Rat ein, um
noch einmal über dieselbe Sache zu beraten. In dem Sitzungsprotokoll tritt
nun erstmals der Denkmalsgedanke in den Vordergrund. Der endgültige
Beschluß sah dann, neben einer jährlichen Prozession, einer
wöchentlichen Messe, Almosen und anderen religiösen Verpflichtungen,
ein
"monumentum
publicum et in publico auffm
platz"
vor. [46]
Der Begriff
"monumentum"
enthält bereits im Kern die Idee der Mariensäule, die in der Tradition
antiker Gedächtnissäulen als Freidenkmal auf einem zentralen
städtischen Platz errichtet wurde. [47] In der Antike, man denke an
die Trajan- und Marc Aurel-Säule in Rom, waren vor allem herausragende
Einzelpersönlichkeiten mit einem solchen Monument geehrt worden. Dieser
Gedanke wurde in Italien seit dem Quattrocento, etwa mit dem in Modena geplanten
Borso-Denkmal, wieder aufgegriffen. [48] Es wurden nun aber nicht nur
weltliche Persönlichkeiten, sondern zunehmend auch Heilige auf die
Säulen gestellt. Als das erste Heiligenmonument, im Sinne eines
öffentlichen Freimonumentes, kann die Figur des hl. Georg auf einer der
Säulen auf der Piazetta in Venedig gelten. [49] Dieses Beispiel
fand bald zahlreiche Nachfolger. Es handelt sich bei diesen Heiligen um die
Stadtpatrone, deren Denkmal im Zentrum der Stadt ihre Schutzfunktion über
die Gemeinde zum Ausdruck bringen sollte. Auch die Maria des Münchner
Denkmals kann und sollte durch den Aufstellungsort als Stadtpatronin angesehen
werden. Offensichtlich war aber ihre Errichtung auf dem zentralen
städtischen Platz nicht ganz unproblematisch. Der Kurfürst informierte
den Rat der Stadt erst zwei Tage vor dem eigentlichen Baubeginn von dem
Vorhaben. [50] Für Kritiker, die sich gegen diesen Übergriff
des Landesherrn auf Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit der Stadt
fielen, zur Wehr setzen wollten, war es nun zu spät. In der Tat wurde mit
der Errichtung der Mariensäule die Konfessionalisierung Bayerns im Zeichen
Mariens fortgesetzt, die ihren anschaulichen Auftakt mit der 1615 gegossenen und
dem Typus der Madonna von Hubert Gerhard folgenden Marienfigur Hans Krumpers
hatte, die seit 1616 die Fassade der neu errichteten Residenz
schmückt. [51] Während aber die unter den Schutz Mariens
gestellte Residenz etwas außerhalb des innersten Stadtkerns lag, war mit
der Mariensäule nun auch das städtische Zentrum auf Geheiß des
Kurfürsten marianisch besetzt.
Daß
eine inhaltliche Beziehung zwischen Krumpers "Immaculata" und der
Mariensäule beabsichtigt war und daß der Wirkungskreis dieser beiden
Marienfiguren noch über den unmittelbar städtischen oder
landesherrlichen Bereich hinausgehen sollte, wird nicht so sehr über die
anschauliche Gestalt der Denkmäler als vielmehr über die Inschriften
vermittelt. Ebenso wie die Residenz-Madonna in einer Inschrift als "Patrona
Boiariae" bezeichnet wird, wurde die Statue auf dem Marktplatz am Sockel des
Monuments mit der Formel
"Boicae
Dominae Benignissimae Protectrici Potentissimae ob patriam
urbes"
bezeichnet. Damit ist der Maria unterstehende Schutzbereich über die
engeren Grenzen der Stadt hinaus auf das gesamte Land ausgedehnt worden. Eine
besondere Dynamik verbirgt sich hinter der Wortwahl Boicae bzw.
Boiariae statt Bavariae. Peter Bernhard Steiner hat darauf
hingewiesen, daß der Begriff Boiaria im Gelehrtenkreis Maximilians
nicht nur als andere Bezeichnung für Bayern verwendet wurde, sondern damit
konkret das Bayern unter der Regierung des mittelalterlichen Herzogs Theodo
(reg. 690-717) gemeint war. [52] Dieses umfaßte ein
Herrschaftsgebiet, das von Schwaben nach Ungarn, von der Donau bis nach Italien
reichte und Tirol, die Steiermark, Ober- und Niederösterreich ebenso wie
die geistlichen Fürstentumer Salzburg, Freising, Regensburg und Passau
einschloß. Es sei nicht ganz klar, so Steiner, ob dieser Begriff
dahingehend verstanden werden könne, daß Maria auch zur Patronin
Österreichs erhoben werden sollte, was angesichts der latenten Spannungen
zwischen den Wittelsbachern und den österreichischen Habsburgern als
gezielte Provokation aufgefaßt werden müßte. Immerhin hatte
Maximilian mit der Eroberung Oberösterreichs, das ihm zwischen 1620 und
1628 als Pfand für die versprochene Kurwürde gegeben wurde, nicht nur
seine militärische Stärke unter Beweis gestellt, sondern auch seinen
territorialen Interessen eine Richtung gegeben. [53] Auch wenn die
Absicht, die hinter der Wahl des Begriffs der "Patrona Boiariae" gestanden haben
mag, bis heute nicht eindeutig einzuordnen ist, so wird aber doch deutlich,
daß diese historisierende Bezeichnung die Möglichkeit
vielfältiger Allusionen bot, von denen möglicherweise eine die
Erinnerung an ein sehr viel mächtigeres und größeres Bayern war,
das Maximilian, der 1623 die Kurwürde für Bayern wiedererlangen
konnte, durchaus als Anspruch und Ziel vor Augen gestanden haben mochte. Somit
waren also auch durch die Inschrift weiterreichende machtpolitische
Konnotationen mit der Mariensäule verknüpft.
Als unmittelbares Vorbild für das
Münchner Denkmal ist die Mariensäule in Rom vor S. Maria Maggiore
genannt worden. [54 ]Papst Paul V. hatte 1614 an Maderno den Auftrag
erteilt, eine weiße Marmorsäule aus der Maxentiusbasilika
abzutransportieren, die dann von einer von Guillaume Berthelot ausgeführten
bronzenen Marienfigur bekrönt wurde. In der Inschrift wird der Gegensatz
zwischen der antiken Spolie, die aus dem vermeintlichen vespasianischen
"Templum
Pacis"
stammte, und Maria, als der neuen Friedensfürstin, betont. Durch den
anläßlich der Weihe der Säule vorgenommenen Exorzismus war der
Marienfigur aber auch ein kämpferischer Impetus beigefügt worden,
indem die Muttergottes nun als siegreiche Herrscherin über das Heidentum
erschien, eine Stellung, die im Hinblick auf die katholische Position in der
Gegenreformation auch auf den päpstlichen Stifter und dessen Anspruch als
Oberhaupt der gesamten Christenheit zurückbezogen werden konnte. Es ist
nicht unwahrscheinlich, daß die jesuitischen Berater um Maximilian und
möglicherweise auch der Kurfürst selbst dieses Monument als Vorbild
bei den Planungen zur Mariensäule vor Augen hatten. Ob sie dabei auch
dessen weitreichenden Anspruch zu übertragen gedachten, bleibt dagegen
ungewiß.
Die Rezeption der Münchner
Mariensäule in den habsburgischen Erblanden legt jedoch nahe, daß man
durchaus die Wirksamkeit dieses Denkmales erkannte und der Kaiser durch zwei
bedeutende Stiftungen daran zu partizipieren gedachte. Die 1647 geweihte
Mariensäule in Wien geht ebenfalls auf ein Gelöbnis des Kaisers
angesichts der Schwedengefahr zurück, aber auch hier nutzte man den Festakt
anläßlich der Weihung der Säule, um ganz Österreich der
Maria Immaculata zu weihen, sie wurde nun zur "Domina Austriae". [55]
Über die Überwindung der akuten militärischen Gefahr hinaus
vermittelten auch bei diesem Denkmal die kämpfenden Engel, daß
vielmehr grundsätzlich der Sieg über die Häresie gefeiert werden
sollte. Diese triumphale Ikonographie wurde auch für die Prager Säule
verwendet, die 1650 auf ein Dekret Ferdinands III. hin auf dem Altstädter
Ring errichtet wurde. Während in einer Inschrift dem Wirken Mariens bei der
Befreiung von den Schweden gedankt wird, sind auch hier - analog zu den beiden
früheren Säulen - die gegenreformatorischen Zielsetzungen nicht zu
verkennen. [56] Insbesondere in Prag wurde mit dem Mariendenkmal ein
Zeichen für die Rekatholisierung Böhmens durch die Habsburger
gesetzt. Die Errichtung von nicht weniger als 162 Mariensäulen in
Böhmen und Mähren zwischen 1650 und etwa 1780 konnte somit als
konsequente Fortführung der erfolgreichen Politik der Habsburger verstanden
werden. [57] Die in der Nachfolge der Münchner Mariensäule
entstandene Fülle von Monumenten gibt Aufschluß über die
offenkundig große Beliebtheit dieser Denkmalform, die ein wichtiges kunst-
und kulturpolitisches Instrument im Zeitalter der Konfessionalisierung wurde.
Sie vereinigte in optimaler Weise die wesentlichen religiösen und
politischen Bestrebungen der Zeit in sich: Vom Herrscher als Zeichen
persönlicher Devotion initiiert, wurde sie zum Anziehungspunkt für
viele Gläubige und vermochte dadurch ein enges Band zwischen dem Regenten
und seinen Untertanen zu knüpfen.
ANMERKUNGEN
1.
Vgl. Ausst.kat. München 1980, II, 2, Nr.
525.
2. Grundlegend, auch für das Folgende:
Volk-Knüttel 1994, S. 206 und Anm. 22; für den Einzug Maximilians in
München vgl. Riezler 1903, V, S. 178, nach dem Kriegstagebuch des P.
Johannes Buslidius.
3. Volk-Knüttel 1994, S.
229, Anm. 14; Berg 1979, S. 272f.
4.
Volk-Knüttel 1994, S. 208-217, 220-224.
5.
Hartig 1948, S. 9f., 15-20; Erichsen 1995, S. 73-93, bes. S.
75-87.
6. Vgl. Woeckel 1992, S. 47ff.; Ausst.kat
München 1980, II, 2, Nr. 407.
7. Woeckel
1992, S. 383-391.
8. Pastor 1923, VIII, S.
592-605; Coreth 1959, S. 43ff.
9. Riezler 1903, S.
151, 171; Riezler 1903; Ausst.kat. München 1980, II, 2, S.
333ff.
10. Zu S. Maria della Vittoria vgl. Wolf
1995, S. 399-414, bes. 407, 412; zur Maria-Hilf-Wallfahrt in Passau vgl.
Härtinger 1985, ferner Woeckel 1992, S.
150-160.
11. Für Candid vgl.
Volk-Knüttel 1994, S. 216 und Ausst.kat. München 1978, S. 22f.;
für Rottenhammer siehe Ausst.kat. München 1993, S.
87ff.
12. Ausführlich Volk-Knüttel 1994,
S. 214ff.; für Rubens vgl. auch Ausst.kat. Antwerpen 1977, Nr. 24 und 97,
ferner: New York 1985, S. 356-360.
13. Zuletzt
Renger 1991, S. 25-55.
14. Renger 1991, S. 66-84;
vgl. Weber 1985, S. 881-1000.
15. Herzog 1976, S.
107-146; Heß 1987, S. 207-220; Heß 1994, S.
233-245.
16. König 1939, S. 243-246,
310-316.
17. Dotterweich 1962, S. 71ff.; Diez
1996, S. 179-193; Schneider 1973, S. 312-320.
18.
Zusammenfassend Steiner 1980, S. 252-268.
19.
Immer noch unentbehrlich ist die - vom Kulturkampf geprägte - Studie von
Stieve 1876, in der vor allem auf die Abwehr protestantischer Einflüsse,
die Hebung der Kirchenzucht, den Zwang zur Erfüllung kirchlicher Pflichten
und das den Erfolg der staatlichen Maßnahmen kontrollierende
Überwachungssystem abgehoben wird.
20. Chur
Prinzens Hofmaisters Instruction, 1. 12. 1646, in: Schmidt 1892, S. 154-179,
hier S. 160. Vgl. Dollinger 1964, S. 227-308.
21.
Karnehm 1984, S. 105-237.
22. Berg 1979, S. 9ff.;
Karnehm 1984, S. 108-112; zuletzt Diemer 1997, S. 51-90, bes. S.
74-77.
23. Diemer 1997, S.
72.
24. Berg 1979, S.
117-122.
25. Vgl. die Radierung von Wilhelm Peter
Zimmermann aus dessen 1624 entstandenem Zyklus über die sog.
"Neuburger
Hochzeit"
Wolfgang Wilhelms von Pfalz-Neuburg mit der Schwester Maximilians, Magdalena von
Bayern, die den Durchblick vom Bennobogen in den Chor der Frauenkirche mit dem
provisorischen Hochaltar zeigt; abgebildet z.B. bei Woeckel 1992, S. 59. Vgl.
Ausst.kat. München 1980, II, 2, Nr. 210.
26.
Diemer 1997, S. 80-83; Aust.kat München 1980, II, 2, Nr.
330.
27. Für das Hochgrab aus dem späten
15. Jahrhundert vgl. Ramisch 1997, S. 41, 49. Für das barocke, den
Aufbauten von sog. Castra doloris angenäherte Monument vgl. Diemer
in ihrer neuen, den - weithin von ihr selbst erbrachten - Forschungsstand
zusammenfassenden Studie von 1997, S. 83-86.
28.
Zur Mariensäule siehe Schattenhofer 1970; Ausst.kat München 1980, II,
2, S. 457-459, 566; Woeckel 1992, S. 58-85; Tipton
1995.
29. Aurenhammer 1956; zum Verhältnis
von Bild und Kult siehe Wolf 1995, der zwischen den beiden konträren
Positionen von Belting 1990 und Freedberg 1989 vermittelt und die Bedeutung der
bildlichen Gestalt hervorhebt.
30. Schreiben
des Hofkaplans Jacob Golla an Kurfürst Maximilian vom 15. Juni 1635
(BayHSTA München, GL 2708, Fasz. 568), zit. nach Tipton 1995, S.
377.
31. Anonym, Die Einweihung der Münchner
Mariensäule, München 1638, Feder, laviert, auf Papier, 19,9 x 31,8 cm,
München, Staatliche Graphische Sammlung (Halm-Maffei-Sammlung 29912); siehe
Ausst.kat München 1980, II, 2, Nr. 739 mit
Abb.
32.Vgl. Hartig 1948, S. 15-20, 23-29; Woeckel
1992, S. 47-58; Diemer 1980, S. 279-311, bes. S. 292, 308; zu Hubert Gerhard
siehe Diemer 1980a, S. 7-82, bes. S. 22 (u.a. über die jetzige,
später hinzugefügte Krone); als Beispiel für das Vorkommen des
Typus in der bayerischen Kunst um 1500 sei auf die silberne Marienstatue in der
Wallfahrtskirche von Kößlarn von dem Goldschmied Balthasar
Waltenberger, datiert 1488, hingewiesen
(Glaser).
33. Ausst.kat München 1980, II, 2,
S. 457; Woeckel 1992, S.62.
34. Schattenhofer
1980, S. 32.
35. Marx Anton Hannas, Die
Mariensäule auf dem Münchner Schrannenplatz, Holzschnitt, 16,5 x 12
cm, München Stadtmuseum, Inv. M I 319; siehe Ausst.kat. München 1980,
II, 2, Nr. 740.
36. Zur Krisenbewältigung der
Bevölkerung während des Dreißigjährigen Krieges siehe Roeck
1996, S. 265-280.
37.Aus der umfangreichen
Literatur seien hier exemplarisch genannt: Kriss-Rettenbeck 1958;
Kriss-Rettenbeck 1972; König 1939 mit zahlreichen Beispielen von Votiven
für die Wallfahrtskirche in Altötting; zum spezifischen
Bildverständnis bei Votivbildern siehe Freedberg 1989; zum barocken
Votivbild siehe auch Wolf 1995.
38.
Kriss-Rettenbeck 1972, S. 11-19.
39. Die
Inschrifttafeln sind nicht mehr erhalten; zit. nach Woeckel 1992, S.
66.
40. Vgl. dazu die Aufsätze von Olivier
Chaline und Oskar Bätschmann in diesem
Band.
41. Zur Ikonographie Maximilians allgemein
vgl. Erichsen 1980; zur Ikonographie als Sieger nach der Schlacht am
Weißen Berg bes. der Aufsatz von Elisabeth von Hagenow in diesem
Band.
42. Keller 1954; Neumüllers-Klauser
1997.
43. Zit. nach Tipton 1995, S. 385; vgl. auch
Woeckel 1992, S. 60.
44. Vgl. Tipton 1995, S.
387.
45. Beissel 1910; Lienhardt 1992;
46. Zit. nach Tipton 1995, S. 377.
47. Zur Geschichte und Typologie von
Gedächtnissäulen immer noch grundlegend Haftmann
1939.
48. Haftmann 1939, S.
146ff.
49. Haftmann 1939, S.
135f.
50. Tipton 1995, S. 377f.; zum
Verhältnis Fürst und Stadt siehe Ramisch, I, S.
116-121.
51. Zu Krumpers Madonna siehe Diemer
1980, S. 291.
52. Steiner 1980, S.
255f.
53. Ziegler 1992, S.
131
54.Tipton 1995, S. 389; Pietrangeli 1988, s.
58ff.
55. Piesch 1948, S. 523-533; Coreth
1959.
56. Zur Mariensäule in Prag siehe den
Beitrag von Hojda in Band I. dieses Kataloges.