DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
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LARS OLOF LARSSON Ein neues Rom an der Moldau? Der Skulpturengarten Albrecht von Wallensteins in Prag |
Im Mai 1688 verbrachte Nicodemus Tessin d.J. auf dem Rückweg aus Italien zwei anscheinend sehr angenehme
Wochen in Prag. In einem Brief aus der böhmischen Hauptstadt an seine
Mutter in Stockholm berichtet er von der außerordentlichen
Gastfreundschaft der Prager Adelsfamilien, die darum wetteiferten, den
schwedischen Hofarchitekten bei sich als Gast zu sehen. [1] Auf jeden
Fall standen ihm alle Türen offen, so daß er Gelegenheit hatte, die
Paläste und Kunstsammlungen der Stadt in aller Ausführlichkeit
kennenzulernen. Sein Bericht über die Gemäldesammlung auf der Burg ist
sehr genau und gibt ein imponierendes Bild vom Umfang und von der Qualität
der Sammlung, vierzig Jahre nach ihrer Plünderung durch die
Schweden. [2]
Von den Adelspalästen
widmet er dem "Friedländischen [...] hauss" die ausführlichste
Beschreibung. Über den Garten, der uns in diesem Zusammenhang vor allem
interessieren soll, schreibt er: "Der garten darhinter ist gross, aber über
diemassen irregulier, (hierinnen ist gestanden der brontzerne Hercules, welcher
nun zu Drottningsholm ist); die grosse Loggie unter dem hauss mit ihren dreijen
Arcaden nach dem garten zu ist dass ansehnlichste. Zur rechten dess gartens in
der ecken ist ein grosses treflich wohl ordonnirtes vogelhauss, von grottescken
bogen mitt gegitter zwischen, welches ich gezeijchnet habe, undt continuiret
darneben ein lang styck mauer von selbe arbeit, so ich à part beschrieben
habe, welche wohl 16 Ellen hoch ist, undt zwischen den hohenbeümen einen
sehr bizzarren effect thuet, an ein paar stellen ist sie durchlöchert, undt
in der mitten ist wie eine grotte darin". [3]
Es folgt eine eingehende Beschreibung des
berühmten Pferdestalles, dem seine ungeteilte Bewunderung
galt.
Die Angabe, daß der "brontzerne
Hercules" - gemeint ist die große Gruppe von Herkules im Kampf mit der
Hydra von Adriaen de Vries in Drottningholm - im Wallensteingarten gestanden
habe, ist falsch. Sie wird jedenfalls nicht in dem sehr genauen Inventar, das
nach der Ermordung Albrecht von Wallensteins 1634 verfaßt wurde,
erwähnt. [4] Wahrscheinlich stand die Gruppe ursprünglich im
kaiserlichen Palast. Daß Tessin sich in diesem Punkt irrte, ist allerdings
verständlich. Die Bronzeplastiken von Adriaen de Vries, die zur
Ausschmückung des zentralen Gartenparterres von Schloß Drottningholm
nach Tessins eigenen Plänen kurz vor seiner Italienreise aufgestellt
wurden, stammten in der Tat zum großen Teil aus dem
Wallensteingarten. [5] Daß nicht alle Großplastiken aus der
Pragbeute die gleiche Provenienz hatten, wird man in Stockholm 40 Jahre nach der
Plünderung Prags nicht mehr so genau gewußt haben. Die Tatsache,
daß gerade der Wallensteingarten in der Erinnerung der Zeitgenossen mit
den Großplastiken aus Bronze verknüpft blieb, darf wohl immerhin als
ein Hinweis darauf gewertet werden, daß seine Ausstattung mit
Bronzeplastiken etwas Einmaliges in Prag
darstellte.
Über eventuelle persönliche
Kontakte mit den Nachfahren Albrecht von Wallensteins, bei denen die Rede
vielleicht auch auf die Plünderung 40 Jahre vorher gekommen wäre,
teilt Tessin nichts mit. In diesem Punkt ist sein Landsmann Erik Dahlbergh etwas
ausführlicher. Er hielt sich im Jahre 1654 zwei Wochen in Prag auf und
scheint sogar im Wallensteinpalast gewohnt zu haben; jedenfalls berichtet er in
seinem Tagebuch von seinen sehr freundschaftlichen Kontakten mit dem Grafen Carl
von Waldstein. [6] Mit keinem Wort findet die Plünderung Prags
durch die Schweden, die bei seinem Besuch nur sechs Jahre zurücklag,
Erwähnung - als ob sie überhaupt nicht Gegenstand der Gespräche
des Gastgebers mit seinem jungen schwedischen Gast gewesen sei. Das wäre
wohl in der Tat der Beweis einer höchst taktvollen
Gastfreundschaft.
Aus Tessins Reisebericht geht
hervor, daß der Wallensteinpalast mit seinem Garten gegen Ende des 17.
Jahrhunderts, als bereits andere Architekturideale als am Anfang des
Jahrhunderts sich geltend machten, immer noch zu den wichtigsten
architektonischen Sehenswürdigkeiten der Stadt zählte. Zur Zeit seiner
Fertigstellung gehörten Palast und Garten zweifellos zu den
bemerkenswertesten Anlagen dieser Art in
Mitteleuropa.
Begonnen wurde der Bau um
1622. [7] Der Bauherr, Albrecht von Wallenstein, der aus einem wenig
bemittelten ostböhmischen Adelsgeschlecht stammte, gehörte zu den
Aufsteigern nach der Schlacht am Weißen Berg. Der Bau seiner Prager
Residenz stand im engen Zusammenhang mit seiner politischen Karriere. 1622 war
er zum Obristen von Prag ernannt worden, d.h. er bekleidete das neu
eingerichtete Amt eines kaiserlichen Statthalters in der böhmischen
Hauptstadt. 1623 erwarb er die Herrschaft Friedland, die ihm seit 1621
verpfändet gewesen war. Gleichzeitig wurde er in den
Reichsfürstenstand erhoben. 1623 heiratete er in zweiter Ehe Isabella von
Harrach und fand damit Einlaß in den österreichischen Hofadel. Im
Sommer 1625 erfolgte die Erhebung zum Herzog, nachdem er auf eigene Kosten ein
Heer aufgestellt hatte, an dessen Spitze er 1626-28 Sommer einen Siegeszug durch
Norddeutschland gegen Dänemark antrat.
Vor
diesem Hintergrund sind Ausmaß und Prunk seiner Prager Residenz zu
verstehen, die - sieht man einmal von der Burg selbst ab - alle in dieser Stadt
bis dahin gekannten Maßstäbe sprengten. Hier baute der reichste und
mächtigste Mann Böhmens, scheinbar unberührt von der finanziellen
Last des Krieges. Es ist charakteristisch für die Bedeutung, die
Wallenstein seinem Palastbau und dessen Ausstattung beimaß, daß er
das Fortschreiten der Arbeit selbst während seiner Feldzüge verfolgte
und auch in Einzelheiten persönliche Entscheidungen
traf.
Der Wallensteinpalast stellt eine um mehrere
Höfe gruppierte unregelmäßige Anlage dar. Der Garten wurde schon
ab 1623 unter der Leitung von Andrea Spezzo angelegt und dürfte um 1627
weitgehend vollendet gewesen sein. Nicodemus Tessin d.J. beschreibt ihn, wie wir
gesehen haben, als groß, aber "über die Maßen irregulier". In
der Tat gliedert er sich in mehrere relativ selbständige Teile; inwiefern
diese durch Wegeführung und Blickachsen verknüpft waren, wissen wir
nicht. Ein direkter Bezug zwischen den Wohn- und Repräsentationstrakten und
dem Garten besteht nicht. Palast und Garten werden aber durch die Sala
terrena verklammert. Uns soll hier nur der zentrale, im nächsten
Anschluß an den Wohntrakt des Palastes gelegene Teil des Gartens
interessieren. Er läßt sich als ein nahezu quadratisches,
ungefähr 50 x 50 m messendes Parterre beschreiben, dessen Westseite von der
großen Loggia, der berühmten Sala terrena, beherrscht wird. In
der Mitte des Parterres steht heute ein Brunnen mit einer Skulpturengruppe von
Benedikt Wurzelbauer. Sie stellt Venus und Amor dar. [8] Im Süden
schließt sich ein durch eine große Voliere und eine hohe, mit
Grottenwerk bekleidete Mauer abgegrenzter Teil des Gartens an. Gerade dieser
Teil fand, wie wir gesehen haben, die ungeteilte Zustimmung Tessins, der das
Grottenwerk als das beste, das er je gesehen habe,
bezeichnet.
Genau wissen wir nicht, wie der Garten
nach seiner ersten Fertigstellung aussah. Es fehlen Abbildungen, die seinen
Zustand vor der Plünderung durch die Schweden 1648 zeigen, und die
Beschreibung des Gartens von dem Engländer Thomas Carve, der 1634 Prag
besuchte, ist zwar voller Bewunderung und nennt wohl auch die wichtigsten
Elemente des Gartens, ist aber zu ungenau, um uns viel weiter zu helfen. Er
schreibt: "Nicht fern vom Palast sah man einen lustigen Garten voller
Bildsäulen und Wasserröhren, zu Ende dessen war ein Vögelhaus mit
allerlei Vögeln besetzt, darinnen Bäumen und Hecken gepflanzet waren,
darauf die Vögel nisteten [...] Mitten im Garten war ein Fischteich, reich
erfüllet mit allerlei Gattung Fisch". [9] Skulpturen, Brunnen, die
Voliere und der große Wasserteich (von dem es allerdings heißt, er
liege mitten im Garten!) waren damals jedenfalls vorhanden. Die große
Grottenmauer, die Tessin so bewunderte, fand Thomas Carve merkwürdigerweise
nicht der Erwähnung wert, sofern sie nun damals schon gebaut war. Geplant
bzw. in Arbeit dürfte sie auf jeden Fall gewesen sein, denn es hat den
Anschein, daß die Grottenarchitektur von Anfang an den ganzen zentralen
Teil des Gartens prägen sollte. Nur so kann man wohl die Bemerkung von
Adriaen de Vries verstehen, wenn er 1626 die provisorische Aufstellung seiner
Skulpturen vor der Loggia mit folgenden Worten anregt: "die Weil der Gebau ein
so gewaltigen stattlichen Aussehen hat, so were es auch scheinlich
(schändlich?) [...], daß der Grotten nicht weniger sein
solt". [10] Der großzügige Maßstab der Gesamtanlage und
die für Mitteleuropa neuartige Zuordnung der einzelnen Elemente (Loggia,
Grotte, Brunnen, Parterre) zueinander würden es wohl verdienen, von der
Gartengeschichte eingehender als bisher gewürdigt zu
werden.
Eine ergiebigere Quelle als die zitierte
Beschreibung von Thomas Carve ist, was die Skulpturen im Garten betrifft, das
Inventar, das 1634 nach der Ermordung Wallensteins aufgesetzt wurde. Es werden
dort genannt:
Vor der
Loggia:
1 Hauptrohrkasten von weiß
Marmelstein
1 Postament in der Mitte, darauf
gesetzt 5 große Bilder.
4 Messingene
Endten
4 Messingene
Roßköpf
2 Löwen- und 2
Greifenköpfe
Dazu: gegen den Röhrkasten
4 postument von weiß Marmelstein, auf jedem von Metall gegossene
große Bilder = 4. Dieser Brunnen und die vier übrigen Figuren
befanden sich vor der Loggia. Ein Stück weiter weg stand ein zweiter
Brunnen, der Venusbrunnen von Benedikt Wurzelbauer, den Wallenstein aus
Lobkowitzbesitz erworben hatte. In einer Truhe im Zahlmeistergewölbe befand
sich außerdem eine große Bronzeskulptur, "Pollo
genannt". [11]
Die genannten Skulpturen
sind Werke von Adriaen de Vries. Dieser war nach dem Tod Kaiser Rudolfs II., bei
dem er als Hofstatuarius gedient hatte, in Prag geblieben und hatte bis kurz vor
seinem Tod 1626 Wohnung und Werkstatt auf der Burg.
Die Skulpturen wurden, wie erwähnt, 1648 von
der schwedischen Armee erbeutet und befinden sich heute, mit Ausnahme der
genannten "Tierköpfe und Endten", die verlorengegangen sind, und des
Venusbrunnens, der 1887 nach Prag zurückerworben werden konnte, in
Stockholm. Es handelt sich dabei um eine Laokoongruppe, einen Bacchus, eine
Ringergruppe, eine Venus-und-Adonis-Gruppe, einen Apoll, einen Neptun, alle etwa
lebensgroß, und um zwei etwas kleinere sitzende Flußgötter und
zwei sitzende Frauenfiguren, die zum Brunnen gehörten. Zu Beginn unseres
Jahrhunderts wurden Kopien von diesen Skulpturen und - angeregt durch die
Beschreibung Tessins - von der Herkulesgruppe im Wallensteingarten aufgestellt.
Auf die ursprüngliche Anordnung der Figuren wurde dabei allerdings keine
Rücksicht genommen. [12]
Der
Neptunbrunnen stand, wie Grabungen gezeigt haben, dort, wo sich heute der
Brunnen mit der Venusfigur Benedikt Wurzelbauers befindet, d.h. genau in der
Mitte des quadratischen Parterres vor der Loggia. Eine Vorstellung davon, wie
der Brunnen von Adriaen de Vries ausgesehen hat, kann ein Vergleich mit anderen
Brunnen des Künstlers, z.B. mit dem wenige Jahre davor entstandenen
Neptunbrunnen auf Schloß Frederiksborg zeigen. Vielleicht gibt sogar das
heutige Brunnenbecken im Wallensteingarten, was Größe und Profil der
Einfassung betrifft, die Gestalt des ursprünglichen Beckens wieder, das die
Plünderung einigermaßen heil überstanden haben
mag.
Wie die vier Skulpturen angeordnet waren, die
laut Inventar "gegen den Röhrkasten" standen, ist schwer zu sagen.
Anzunehmen ist wohl, daß sie um den Brunnen herum plaziert waren,
vielleicht bezeichnet aber auch der Ausdruck "gegen den Röhrkasten" eine
Richtung, was dann wohl bedeuten dürfte, daß sie zwischen der Loggia,
von wo aus der Autor des Inventars den Garten beschreibt, und dem Brunnen
standen.
Dieser Brunnen und der ganze
Skulpturenschmuck, so wie die großzügige Gartenanlage überhaupt,
stellten für Prag, soweit uns die Nachrichten über Anlage und
Ausstattung der kaiserlichen Gärten ein Urteil erlauben, etwas Neues dar.
Zwar läßt die Plazierung eines Brunnens vor der Loggia an den
Belvederegarten denken, wo seit Ende des 16. Jahrhunderts der sogenannte
"Singende Brunnen" eine ähnliche Position einnimmt, neu war aber der
Brunnentypus mit seinen großfigurigen Plastiken, und neu war auch die
Aufstellung von großen Bronzeskulpturen im Garten. [13] Etwas
Vergleichbares gab es zu dieser Zeit in Mitteleuropa wohl nur in München.
Bemerkenswert ist auch, daß der Brunnen seinem Typus nach eher für
einen Stadtplatz oder für einen Schloßhof als für einen Garten
geschaffen zu sein scheint. Gartenbrunnen waren zu dieser Zeit noch in aller
Regel Schalen- oder Kandelaberbrunnen. Diese Besonderheit erklärt sich
wahrscheinlich aus der Vorliebe des Künstlers für diesen Typus, den er
mit geringen Variationen in allen seinen Brunnenprojekten verwendet hat.
Das Besondere dieser Anlage war, neben ihrer
für einen Stadtpalastgarten ungewöhnlichen Großzügigkeit,
die prachtvolle Architektur der Sala terrena, der kostbare und reiche
plastische Schmuck, die Grotten und die von allen Besuchern mit Bewunderung
erwähnten Volieren. In allen diesen Elementen machten sich italienische
Einflüsse bemerkbar, sei es, daß die doppelten Säulen der
Sala terrena an den Palazzo del Té in Mantua, die Bronzeplastiken
und die Grotten an Florentiner Gärten oder die Volieren an den Palazzo
Doria in Genua denken ließen. Für die Gesamtkomposition der Anlage
braucht man aber an italienische Vorbilder nicht zu denken. Das symmetrische
Gartenparterre mit einem Brunnen in der Mitte und einer offenen Loggia an einer
Seite, die sich manchmal, wie hier, als selbständiger Bauteil des Palastes,
wenngleich selten so monumental, darstellt, dürfte zu dieser Zeit in den
großen mitteleuropäischen Stadtgärten bereits durchaus bekannt
gewesen sein; jedenfalls weist Wolfgang Kilians Augsburgansicht vom Anfang des
17. Jahrhunderts einige solche Gartenanlagen auf.
Wie wichtig ihm diese Anlage war, läßt
Wallenstein in einem Brief erkennen, in dem er eine ähnliche Anordnung im
Garten seines Schlosses von Gitschin befiehlt: "Sagt dem Baumeister, daß
gleich in der Mitte auf dem Platz vor der Loggia muß eine
großmächtige Fontana sein, dahin alles Wasser laufen wird,
[...]". [14]
Daß der Garten so reich
mit Bronzeplastiken geschmückt wurde, muß an sich auch nicht auf
direkte italienische Anregungen schließen lassen. Die Tatsache allein,
daß in der Stadt mit Adriaen de Vries ein Künstler zur Verfügung
stand, der europäischen Ruhm als Bronzeplastiker und Spezialist für
große Springbrunnen genoß, konnte die Idee nahelegen. Anregungen
können aber auch von anderen deutschen Gärten ausgegangen sein. Die
Gärten der Münchner Residenz waren, wie bereits erwähnt, mit
Plastiken von Hubert Gerhard und anderen Künstlern reich ausgestattet, und
in anderen deutschen Schloßgärten, wie in Hessen bei
Wolfenbüttel, Stuttgart oder Heidelberg, standen plastisch reich gestaltete
Brunnen. [15] Die Monumentalität des Wallensteingartens und seines
Skulpturenschmuckes haben diese Gärten aber wohl kaum gehabt. In diesem
Punkt wäre eher an Florenz zu denken, dessen Gärten dem bei Giovanni
Bologna geschulten Künstler ja bekannt gewesen sein
müssen.
Besonders bemerkenswert ist die
Ikonographie der Wallenstein-Skulpturen. Durch einen Brief des Künstlers
vom Februar 1626 wissen wir, daß der Brunnen ursprünglich von der
Laokoongruppe bekrönt werden sollte. [16] Diese Gruppe ist 1623
datiert und scheint so die früheste der Skulpturen für den
Wallensteingarten zu sein. Die vier sitzenden Brunnenfiguren sind 1625 datiert,
während die Skulpturen, die "gegen den Röhrkasten" standen, die
Jahreszahl 1624 tragen. Von den Skulpturen, die nach dem Planungsstand von
Februar 1626 den Brunnen schmücken sollten, war also die als Bekrönung
vorgesehene Plastik 1623 vollendet, während die übrigen erst 1625
entstanden waren. In der Zwischenzeit, 1624, hatte der Künstler vier
weitere große Plastiken gegossen, die mit dem Brunnenprojekt nichts zu tun
hatten, aber für den Garten bestimmt waren. Diese Daten legen die Annahme
nahe, daß eine Programmänderung stattgefunden hat.
Das früheste uns erhaltene Dokument
über den Auftrag an Adriaen de Vries ist eine Quittung des Künstlers
vom Juli 1624, in der er den Erhalt einer Abschlagszahlung für 4 einzeln
benannte Plastiken bestätigt. [17] Es muß sich dabei um die
Ringergruppe, die Adonis und Venus, den Bacchus und den Apoll handeln. Diese
Skulpturen wurden, wie dargelegt, später um den Brunnen herum oder zwischen
ihm und der Loggia aufgestellt. Wahrscheinlich erfolgte die Abschlagszahlung
nach vollendetem Guß der Figuren. In dieser Quittung ist keine Rede von
der Laokoongruppe und auch nicht von einem Brunnen, was allerdings wohl nicht
unbedingt besagt, daß ein Auftrag für ihn noch nicht ergangen war.
Ein zweites Schreiben des Künstlers ist im Februar 1626, also eineinhalb
Jahre später datiert. [18] Jetzt berichtet er über den
Fortgang der Arbeit an den Brunnenfiguren und teilt mit, daß alle Figuren
zum Sommer fertig sein würden, was in diesem Falle auch die Montage der
Rohrleitungen in den Skulpturen mit einbegriff. Der Guß und die
Nachbehandlung dürften zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen gewesen
sein, da alle Skulpturen die Jahreszahl 1625 tragen. Aus diesem Schreiben
erfahren wir zum ersten Mal, daß ein Brunnen geplant war. Hier wird auch
zum ersten Mal die Laokoongruppe genannt. Aus dem Wortlaut geht deutlich hervor,
daß die Laokoongruppe den Brunnen bekrönen sollte. Wallenstein
scheint aber Zweifel an dieser Idee geäußert zu haben, denn der
Künstler fährt fort: "Ist nun, daß Ihr fürstliche Gnaden
lieber den Neptun obenauf haben wollen, der wird ungefähr zu Michaelis
fertig sein [...]". Ein Neptun war also noch nicht in Auftrag gegeben worden.
Wie wir wissen, hat sich Wallenstein aber für diese Programmänderung
entschieden. Die Neptunfigur wurde allerdings erst nach dem Tod des
Künstlers, 1627, in seiner Werkstatt vollendet.
In unserem Zusammenhang interessant ist
zunächst die Laokoongruppe. War sie die erste Gartenplastik, die
Wallenstein in Auftrag gab, und war sie von vornherein für einen Brunnen
bestimmt? Oder kam die Idee, vor der Loggia einen Brunnen mit Skulpturenschmuck
zu errichten erst, nachdem die vier Skulpturen vollendet waren, für die der
Künstler 1624 die Abschlagszahlung bekam? Daß überhaupt kein
Brunnen für diese Stelle vorgesehen war, ist kaum denkbar, dagegen
könnte zunächst eine schlichtere Ausführung geplant gewesen sein.
Die Tatsache, daß die Flußgötter und die Nymphen, die die
Brunnenkomposition vervollständigen, erst 1625 entstanden sind, scheint
für die Erweiterung eines ursprünglichen Projektes zu sprechen.
Wofür war aber dann die Laokoongruppe ursprünglich bestimmt? War sie
vielleicht überhaupt nicht von Wallenstein in Auftrag gegeben, sondern erst
im Zusammenhang mit der Erweiterung des Auftrages um ein Brunnenprojekt aus dem
Depot des Künstlers hervorgeholt worden? Diese Fragen sind wichtig, da von
ihnen abhängt, wie bedeutsam die Laokoongruppe im ikonographischen Programm
des Gartens gewesen ist. Da aber die Quellenlage keine sichere Antwort erlaubt,
wollen wir davon ausgehen, daß die Laokoongruppe tatsächlich für
den Wallensteingarten konzipiert worden ist, zumal uns nicht bekannt ist,
daß Adriaen de Vries in den Jahren zwischen 1621, als sein bedeutender
Auftraggeber Ernst von Schaumburg-Lippe starb, und 1624, als seine
Beschäftigung für Albrecht von Wallenstein belegt ist, für
jemanden arbeitete, dem ein solcher Auftrag zuzutrauen wäre.
Das Laokoonthema ist in der Großplastik der
Neuzeit so ungewöhnlich, daß wir die Frage nach dem Grund für
diese Themenwahl stellen müssen. Daß es sich bei Laokoon etwa um eine
Symbolfigur des Bauherrn handeln könnte, ist höchst unwahrscheinlich,
nicht nur, weil Wallenstein ihn gegen den Neptun austauschen ließ; ein
Herkules, Perseus oder Alexander der Große wäre in dieser Funktion
und bei diesem Bauherrn eher zu erwarten gewesen. Es ist allerdings auch
vermutet worden, daß die Neptunfigur mit Wallensteins Ernennung zum
"General der gesamten kaiserlichen Schiffsarmada zu Meer wie auch des
ozeanischen und baltischen Meeres General" zusammenhing, daß Neptun also
als eine Anspielung auf Wallenstein als Herrscher über die Meere zu
verstehen sei. Die Ernennung zum Admiral erfolgte aber erst zwei Jahre
später, nämlich 1628. [19] Die Änderung des
Brunnenprogramms verbietet uns jedoch auch, die Laokoongruppe als das zentrale
Element im Skulpturenprogramm zu sehen. Um die Bedeutung des Laokoon zu
verstehen, müssen wir uns in Erinnerung rufen, daß die Bekanntheit
dieser Gestalt vor allem von der berühmten antiken Marmorgruppe im Vatikan,
also von einem Kunstwerk und nicht von einer mythischen oder historischen
Persönlichkeit, ausging. Man darf annehmen, daß die Laokoongruppe im
Wallensteingarten in erster Linie Bezug nimmt auf dieses antike Kunstwerk und
nicht so sehr auf die vergilsche Figur Laokoon. Dabei kann es dem Künstler
aber nicht um die einfache Nachahmung der antiken Skulptur gegangen sein,
sondern nur um ihre freie Variation. Anstelle der flächenhaften, für
eine Hauptansicht bestimmten Komposition der Antike schließt Adriaen de
Vries die drei Figuren zu einer Gruppe zusammen, die ein bemerkenswertes
Beispiel einer vielansichtigen plastischen Komposition darstellt. Entscheidende
Anregungen dazu dürfte er von der Simsongruppe bekommen haben, die
Michelangelo als Gegenstück zum David vor dem Palazzo della Signoria in
Florenz konzipierte, aber nie in voller Größe zur Ausführung
gelangte. [20] Ein Vergleich mit der Laokoongruppe im Vatikan zeigt aber
auch, wie nahe Adriaen de Vries bei aller Freiheit in der Komposition dem
antiken Vorbild gefolgt ist, besonders in der Haltung der einzelnen
Figuren.
Wenden wir uns nun den übrigen
Skulpturen zu. Sie stellen ein Ringerpaar, Venus und Adonis, Bacchus mit einem
kleinen Satyr und Apoll dar. Es dürfte schwer sein, daraus ein
ikonographisches Programm in herkömmlichem Sinne abzuleiten. Weder auf die
Gartensituation noch auf die Tugenden oder Triumphe des Bauherrn scheinen die
Skulpturen in ihrer Gesamtheit Bezug zu nehmen. Es fällt aber auf,
daß jedenfalls zwei dieser Gruppen bzw. Figuren in ähnlicher Weise
wie die Laokoongruppe ikonographisch gesehen an berühmte antike Skulpturen
erinnern: Apollo und die Ringer. Und was Bacchus betrifft, sei daran erinnert,
daß Michelangelos Bacchus damals wie eine Antike rezipiert wurde und durch
Kupferstiche in ganz Europa bekannt gewesen sein
dürfte.
Beim Apoll liegt der Bezug zu Apollo
di Belvedere nahe, der neben Laokoon wohl berühmtesten antiken Skulptur in
Rom. Adriaen de Vries hat sich freilich eher darum bemüht, das Thema des
bogenschießenden Apoll zu variieren, als eine Kopie des berühmten
antiken Vorbildes zu machen. Das schließt aber, wie bei Laokoon, eine
bewußte Bezugnahme nicht aus.
Bei den
Ringern ist die Abweichung von dem möglichen antiken Vorbild, der
hellenistischen Ringergruppe, die sich heute in den Uffizien befindet, scheinbar
so groß, daß man sich erst fragen muß, ob überhaupt eine
Verbindung besteht. Ein Argument dafür ist die Tatsache, daß das
Thema in der Plastik dieser Zeit so selten ist. Außerdem läßt
sich die Ringergruppe kaum als Teil irgendeines ikonographischen Programms
verstehen. Sie fällt in der auch sonst recht heterogenen Gesellschaft der
übrigen Plastiken schon durch die Anonymität der beiden Ringer aus dem
Rahmen. Nun ist natürlich zu fragen, ob Adriaen de Vries die antike
Ringergruppe, die ja weniger bekannt war als etwa die Laokoongruppe,
überhaupt gekannt haben kann. Die Ringergruppe wurde zusammen mit den
Niobiden 1583 in Rom gefunden und gelangte bald in den Besitz der
Medici. [21] Sie wurde in der Villa Medici in Rom aufbewahrt, bis sie
1677 nach Florenz überführt wurde. Adriaen de Vries, der in den
achtziger Jahren des 16. Jahrhunderts in Florenz bei Giovanni Bologna tätig
war, kann sie schon damals bei einem Rombesuch kennengelernt haben. Es gab aber
auch schon Ende des 16. Jahrhunderts eine Kopie der Gruppe von Caccini in
Florenz, und spätestens seit 1594 war sie auch durch einen Kupferstich von
Cavaleriis bekannt. Im 17. Jahrhundert wuchs anscheinend die Bewunderung
für die antike Gruppe. Es wurden Abgüsse von ihr gemacht, unter
anderem für den spanischen und den englischen Hof. Nach John Evelyn, der
Rom 1644 besuchte, war es die "inextricable mixture with each others arms and
legs", die vor allem Bewunderung erregte. Gerade für diese Qualitäten
der antiken Skulptur dürfte auch Adriaen de Vries, der ja selbst ein
Meister der verschlungenen Gruppenkompositionen war, ein Auge gehabt haben. Ihm
kann es aber bei der Gestaltung seiner Ringergruppe nicht darum gegangen sein,
eine auch nur annähernde Kopie der antiken Skulptur herzustellen. Er schuf
vielmehr auch hier eine alternative Lösung, nicht so sehr in Anlehnung,
sondern wohl eher im Wettstreit mit der Antike. Auch in diesem Fall ist die
Übereinstimmung mit dem antiken Vorbild allerdings größer als
der Vergleich der beiden Gruppen zunächst vermuten läßt. Das
zeigt sich vor allem im Vergleich mit dem Stich Cavaleriis. Er zeigt die antike
Skulptur in einer aufrechteren Haltung als in der späteren Restaurierung.
So kann sie Adriaen de Vries zu seiner Komposition zweier stehender Ringer
durchaus angeregt haben.
Für die beiden
übrigen Gruppen lassen sich, trotz ihrer antiken Thematik, keine direkten
Bezüge zu berühmten antiken Skulpturen herstellen. Dagegen lädt
aber die Bacchusfigur, wie bereits gesagt, zum Vergleich mit Michelangelos
Bacchus ein. Auch hier könnte aber ein Stich das unmittelbare Vorbild
gewesen sein: ein Blatt aus Caraglios Götterserie nach Zeichnungen von
Rosso. [22]
Wenn wir gezeigt haben,
daß der Skulpturenschmuck des Wallensteingartens weder einer
herkömmlichen Gartenthematik folgt noch den Feldherrn Wallenstein in
symbolischer oder allegorischer Form verherrlicht, dann müssen wir uns
fragen, welchen Sinn für ihn das Programm des Gartens gehabt haben kann.
Könnte es darum gehen, einen Bezug zwischen Rom und Prag anzudeuten? Wenn
der Kaiser auch dort nicht mehr ständig residierte, wie es Rudolf II. getan
hatte, war Prag doch immer noch kaiserliche
Residenzstadt.
Die Idee, Prag als "neues Rom" zu
sehen, lag also nicht fern. Nun haben wir aber gesehen, daß Wallenstein,
kurz bevor der Brunnen fertig war, verfügte, die Laokoongruppe durch einen
der konventionellen Brunnenikonographie besser entsprechenden Neptun zu
ersetzen, und auch, daß ausgerechnet der Apoll bei der Umdisponierung der
Laokoongruppe weichen mußte - er befand sich noch 1634 unausgepackt in
einer Kiste. Ein Grund dafür mag die Tatsache gewesen sein, daß er
die einzige Einzelfigur unter den Plastiken war, die nicht zum Brunnen
gehörten. Im Interesse der Gleichmäßigkeit wird man es
vorgezogen haben, um den Brunnen herum nur Gruppen und keine Einzelfiguren
aufzustellen, und für eine fünfte Figur war schon aus Gründen der
Symmetrie kein Platz. Dies alles spricht gegen die Annahme, daß es dem
Bauherrn primär um die Romsymbolik seines Gartenprogramms gegangen
sei.
Besaß nun Albrecht von Wallenstein
überhaupt die Bildung, die ihn in den Stand gesetzt hätte, den
repräsentativen Wert der hier angesprochenen Anspielungen auf antike
Skulpturen zu erkennen? Darüber läßt sich natürlich schwer
urteilen. Besondere gelehrte humanistische Interessen hat Wallenstein
wahrscheinlich nicht gehabt, dafür spricht schon die Tatsache, daß
sich in dem sonst reich ausgestatteten Prager Palast offensichtlich keine
Bibliothek befand. Wir wissen allerdings auch, daß er ein gutes Gymnasium
und die Universitäten von Altdorf und Padua besucht hat, und auch wenn sein
Aufenthalt in Altdorf offensichtlich weniger von Studieneifer als von
Schlägereien und Trinkgelagen geprägt war (über seinen Aufenthalt
in Padua ist nichts überliefert), hat er später im Leben immerhin gut
Italienisch und auch Latein gekonnt, und er hat sich auch darum gekümmert,
gute Bildungsstätten in seinen Fürstentümern einzurichten. In
unserem Zusammenhang vielleicht noch wichtiger als sein Studium waren wohl aber
die Erfahrungen und Eindrücke, die er während seiner Kavalierstour,
die ihn außer nach Italien wahrscheinlich auch nach Frankreich
führte, und durch seine spätere Bekanntschaft mit den Höfen von
Prag, Wien und München sammelte. Wir können davon ausgehen, daß
Wallenstein eine elementare humanistische Bildung besaß und mit der
höfischen Kultur seiner Zeit vertraut war. Das waren vermutlich
ausreichende Voraussetzungen, um ein Gartenskulpturprogramm, wie hier skizziert,
schätzen zu können, wenn auch nicht anzunehmen ist, daß
Wallenstein es persönlich konzipiert
hat.
Hier wäre auch zu fragen, inwieweit
Wallenstein als Bauherr überhaupt eigene Ideen in bezug auf Einzelheiten in
den Planungsprozeß einbrachte. Das scheint er, wie zahlreiche Briefe an
die Architekten und Bauleiter belegen, in erstaunlich hohem Maße getan zu
haben, und wir haben ja auch gesehen, daß Adriaen de Vries die Frage der
Programmänderung mit ihm persönlich verhandelte und daß in
diesem Fall die Initiative wohl von Wallenstein ausgegangen war. Dennoch mag
Wallensteins Rolle vor allem gewesen sein, sich Pläne vorlegen zu lassen,
um dann Änderungen vorzuschlagen oder Entscheidungen zu treffen.
Kommen wir nun auf die Frage der Anspielungen auf
bestimmte antike Kunstwerke und der Bedeutung der antiken Kunst in der
fürstlichen Repräsentation zurück. Der repräsentative Wert
antiker Skulpturen war natürlich schon im 16. Jahrhundert auch
außerhalb Roms und Italiens erkannt. Auch wenn sich das Sammelinteresse
zunächst vor allem auf die römischen Münzen konzentrierte, finden
sich schon im 16. Jahrhundert antike Skulpturen, vor allem Portraitbüsten,
in mehreren Sammlungen außerhalb Italiens. Das Antiquarium der
Münchner Residenz ist wohl das schönste Beispiel dafür. Bei
solchen Sammlungen stand eher das antiquarische und nicht so sehr das
ästhetische Interesse am einzelnen Kunstwerk im Vordergrund. Die
ästhetische und künstlerische Auseinandersetzung mit der Antike galt
vor allem einer relativ geringen Zahl antiker Kunstwerke in Rom, die schon im
16. Jahrhundert einen Kanon bildeten, der durch zahlreiche Stiche und andere
Nachbildungen verbreitet wurde und bis ins 19. Jahrhundert seine Bedeutung
behalten sollte. [23] Zu nennen sind hier vor allem die Skulpturen im
Cortile di Belvedere im Vatikan, auf dem Kapitol und auch einige Skulpturen in
römischen Privatsammlungen. Diese wurden zum Maßstab für
künstlerische Perfektion erhoben und fanden in dieser Eigenschaft auch noch
ihren Platz im europäischen Bildungskanon.
Für diese Entwicklung sehr folgenreich war
es, daß Franz I. von Frankreich schon um 1540 Primaticcio Abgüsse
nach den berühmtesten römischen Antiken herstellen ließ, die in
Bronze gegossen im Garten von Schloß Fontainebleau aufgestellt wurden.
Nach dem Tod Franz I. ließ die Statthalterin der Niederlande, Maria von
Ungarn, eine Schwester Kaiser Karls V., ihren Hofbildhauer Leone Leoni die
Gußformen Primaticcios erwerben, um für ihr Schloß Binche bei
Brüssel etwas Vergleichbares zu machen. [24] Wir wissen nicht, ob
Wallenstein auf seiner Kavalierstour Fontainebleau oder Binche besuchte, aber
wir dürfen wohl annehmen, daß ihm dieser Kanon künstlerischer
Vollkommenheit bekannt war.
Gerade um die hier
angesprochene kanonische Bedeutung bestimmter Kunstwerke des Altertums geht es
natürlich auch in unserem Falle. Dabei erhält die freie und
selbstbewußte Haltung des Künstlers gegenüber den römischen
Vorbildern aber auch ihren besonderen Sinn. Nicht um antike Thematik an sich und
auch nicht um antike Originalwerke oder um eine der Antike ähnliche
künstlerische Form geht es, sondern um den Anspruch, sich als
Gleichberechtigter mit den als kanonisch geltenden Kunstwerken des antiken Roms
auseinanderzusetzen: Also eher um aemulatio und superatio als um
imitatio, um einmal die in der Kunsttheorie der Zeit geläufigen
rhetorischen Begriffe zu benutzen.
Im Oeuvre von
Adriaen de Vries läßt sich eine solche Auseinandersetzung mit der
Antike öfter nachweisen. Hier sei nur an seine freie Kopie des Farnesischen
Stieres im Schloßmuseum zu Gotha von 1614 erinnert. In einem Brief an Graf
Ernst von Schaumburg-Lippe von 1620 schreibt der Künstler über diese
Skulptur, sie sei so viel wert wie die, die "zu Roma von Marmor
stehe". [25] Aus solchen Worten spricht wohl das Bewußtsein eines
"Modernen", der nicht an seinen Fähigkeiten zweifelt, es mit den besten
antiken Meistern aufnehmen zu können, und der auch nicht zögerte,
durch das Aufgreifen von Themen wie der Farnesische Stier, Laokoon, Apollo di
Belvedere oder die Ringer den Vergleich mit ihnen herauszufordern. Ist es
unrealistisch zu denken, daß dieser Künstler den ehrgeizigen
Auftraggeber und Bauherrn Albrecht von Wallenstein, der gerade im Begriff stand,
in der alten kaiserlichen Residenzstadt einen Palast von bis dahin nicht
gekannter Größe und Pracht zu bauen, überreden konnte, in diesem
Palast auch einen Skulpturengarten a la moderna entstehen zu lassen, der,
gerade wegen der kühnen und virtuosen aemulatio der berühmten
Antiken so viel wert sei wie die berühmten Antikengärten, die "zu
Roma" zu sehen seien? Wir haben allerdings gesehen, daß der Feldherr
offensichtlich nicht bereit war, dem Künstler in allem zu folgen. Im Falle
des Laokoon als krönende Brunnenfigur entschied sich Wallenstein gegen
diese ausgefallene Alternative zugunsten des konventionelleren Neptuns. Um eine
Romsymbolik im engeren, vielleicht auch politisch verstandenen Sinne, kann es
ihm nicht gegangen sein, vielleicht aber um den Reiz des selbstbewußten
künstlerischen Wettstreites mit der Antike und sicher um den
repräsentativen Wert des einzigartigen Skulpturengartens, der auch die
kaiserlichen Gärten in den Schatten
stellte.
Für den Künstler dürfte
der Romgedanke vor allem mit der Frage der künstlerischen Meisterschaft
verbunden gewesen sein. War die allgemeine Vorstellung von künstlerischer
Blüte mit dem antiken Rom und dem Rom der Renaissancepäpste verbunden,
so erhob er mit seinen Werken, in denen er in Wettstreit mit den römischen
Meistern trat, den Anspruch, auf seinem Gebiet Prag zu einem neuen Rom zu
machen.
Die Pracht des Skulpturengartens sollte
nicht lange Bestand haben. Im Sommer 1648 haben schwedische Truppen unter
General von Königsmarck die Prager Kleinseite und den Hradschin eingenommen
und geplündert. Die Wegführung der großen Bronzeplastiken aus
dem Wallensteingarten dürfte auf Veranlassung des schwedischen
Generalissimus Karl Gustav (des späteren Königs Karl X. Gustav)
erfolgt sein, der während der Besetzung Prags im Wallensteinpalast
residierte. Der Abtransport muß im Herbst 1648 erfolgt sein. Am 15. Januar
1649 befanden sich die Bronzeplastiken in Glogau an der Oder. [26] Auf
welchem Weg sie dorthin gelangt waren, ist nicht bekannt. Von dort dürften
sie auf der Oder nach Stettin und dann weiter nach Stockholm verschifft worden
sein.
Der Venusbrunnen aus dem Wallensteingarten
von Benedikt Wurzelbauer, der ebenfalls nach Schweden verschleppt wurde, scheint
mit einem anderen Transport auf den Weg gebracht worden zu sein, er wird
jedenfalls nicht in dem zitierten Verzeichnis genannt. Dagegen werden vier
kleinere, in Kisten verpackte, Wasserkünste beschrieben. Sie stammten
vermutlich auch aus Prag, vielleicht sogar aus dem Wallensteinpalast, und
dürften auf Veranlassung Karl Gustavs nach Schweden gesandt worden sein.
Bei diesen Wasserkünsten, deren weitere Schicksale unbekannt sind, handelt
es sich um etwa zwei Meter hohe Brunnen mit kleinen Figuren in drei bis vier
Reihen übereinander. Auf einem der Brunnen waren Diana und Aktaeon
dargestellt, auf den anderen eine Wildschweinjagd, eine "Schweizerische
Fechtschule" und ein "Schwäbischer Bauerntanz". Solche Brunnen, die als
Zimmerbrunnen verwendet werden konnten, wurden vor allem in Nürnberg in der
Werkstatt der Labenwolf fast serienmäßig hergestellt. Viele
Einzelfiguren und einige komplette Brunnen dieser Art sind überliefert, zum
Beispiel ein Aktaeonbrunnen im Victoria and Albert Museum in London, der eine
Vorstellung von den geraubten Brunnen vermitteln
kann. [27]
Karl Gustav scheint die
Zimmerbrunnen im Hinblick auf die bevorstehende Krönung Königin
Christinas mitgenommen zu haben. Ob sie in Stockholm heil angekommen sind und ob
sie bei der Krönung tatsächlich verwendet wurden, ist nicht bekannt.
Die großen Gartenplastiken fanden dagegen einen würdigen Platz in dem
in den achtziger Jahren von Nicodemus Tessin d.J. nach französischen
Vorbildern gestalteten Garten von Schloß Drottningholm bei
Stockholm. [28] Zur Ergänzung des Skulpturenprogramms konnte Tessin
dabei auf weitere Beuteschätze zurückgreifen, auf den großen
Neptunbrunnen vom dänischen Schloß Frederiksborg, der ebenfalls ein
Werk von Adriaen de Vries und während der Besatzung Seelands durch die
Schweden 1659 weggeführt worden
war. [29]
In dieser sekundären
Verwendung verlor die ikonographische Bedeutung der Skulpturen natürlich an
Gewicht; die einzelnen Plastiken gehen in dem dekorativen Gesamtprogramm
weitgehend auf. Eine Ausnahme bildet dabei die anfangs genannte Herkulesgruppe,
die den Brunnen in der Mitte des Parterres bekrönt. Hier hatte die
Bauherrin, die Königinwitwe Hedwig Eleonora, zuerst einen Marmorbrunnen
vorgesehen, den Nicholaus Millich ausführen sollte. Bald wurde aber
beschlossen, die aus Prag geraubte große Herkulesgruppe zu
verwenden. [30] Hedwig Eleonora, die die ganze Ausstattung des Schlosses
auf die Glorifizierung des verstorbenen Königs, Karl Gustav, und die
Dynastie ausrichtete, wird in der kämpfenden Herkulesgestalt wahrscheinlich
eine Anspielung auf die Taten Karl Gustavs gesehen haben; gleichzeitig mag der
Herkulesbrunnen sie aber auch an den großen Herkulesbrunnen im
Neuwerkgarten am Schloß Gottorf bei Schleswig erinnert haben, wo sie ihre
Kindheit und Jugend verbracht
hatte. [31]