DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa
Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur
ANDREAS TACKE
"Der Kunst-Feind Mars". Die Auswirkungen des Krieges auf Kunst und
Künstler nach Sandrarts "Teutscher Academie"
"Die Königin Germania sahe ihre mit
herrlichen Gemälden gezierte Paläste und Kirchen hin und wieder in der
Lohe auffliegen / und ihre Augen wurden von Rauch und Weinen dermaßen
verdunkelt / daß ihr keine Begierde oder Kraft übrig bleiben konte /
nach dieser Kunst zu sehen: von welcher nun schiene / daß sie in eine
lange und ewige Nacht wolte schlaffen gehen. Also geriethe solche in
vergessenheit / und die jenigen / so hiervon Beruff macheten / in Armut und
Verachtung: daher sie das Pollet fallen ließen / und an statt des Pinsels
/ den Spiß oder Bettelstab ergreiffen musten / auch vornehme Personen sich
schämeten / ihre Kinder zu so verachteten Leuten in die Lehre zu
schicken." [1]
Daß Joachim von
Sandrarts (1606-1688) Einschätzung der Situation der deutschen
Künstler im Dreißigjährigen Krieg, sie hätten die Wahl
zwischen "Spiß oder Bettelstab" gehabt, nicht vollständig der
Grundlage entbehrte, werden wir zu zeigen haben. Nichtsdestoweniger sind aber
bisherige Vorstellungen, der Krieg habe insgesamt die Kunstproduktion des 17.
Jahrhunderts zum Erliegen gebracht, zu revidieren. [2] Schon Sandrarts
eigener Werdegang, der im Vergleich mit weiteren zeitgenössischen
Künstlern eingehender betrachtet werden soll, belegt genau das Gegenteil
dieser oft vorgetragenen Auffassung vom Niedergang der Künste: "Das
gnädige Schicksel erbarmete sich dieser Finsternis / und ließe der
Teutschen Kunst-Welt eine neue Sonne aufgehen: die die schlummernde Freulin
Pictura wieder aufweckte / die Nacht zertriebe und ihr den Tag anbrechen machte.
Dieser ist / der Wol-Edle und Gestrenge Herr Joachim von Sandrart / auf Stockau
/ Hoch-Fürstl. Pfalz-Neuburgischer Raht: welchen die Natur mit einem
solchen Geist begabet / der nicht anders als leuchten konte / und / durch seine
Liecht-volle Vernunft-Strahlen / die der Edlen Mahlerey-Kunst entgegenstehende
schwarze Gewölke / auszuheitern
vermochte." [3]
Mit der zu untersuchenden
Frage nach den Auswirkungen des Krieges auf Kunst und Künstler betreten wir
das für die Kunstgeschichte unbekannte Gebiet der
Migrationsforschung. [4] Dazu soll hier ein quellenbezogener Beitrag
geleistet werden.
Unterstrichen werden muß
zuvor, daß Migration als Funktion individueller Künstlerkarrieren
schon eine lange Tradition hatte. Zudem war in vielen Ländern, so z.B. auch
durch die deutschen "Malerordnungen", die Wanderzeit nach der Lehre zur
Erlangung der Meisterwürde unerläßlich. Ein Beispiel sei
herausgegriffen: Nach seiner (in der Regel) vierjährigen Lehrzeit begab
sich der Malergeselle auf Wanderschaft, der entsprechende Punkt der
Nürnberger Ordnung lautet dazu: "Item der Jung, der Gesell ist worden, soll
5 Jahr nach seinem 4. Jahrn wandtern undt etwaß versuchen oder beÿ
einen Maister gesellenweiß, biß die 9.Jahr verflossen, sich
aufhalten undt von dem Probstuckh zu machen oder vor sich selbst zu arbeitten
verbodten sein. Da aber die 9.Jahr umb seindt undt er sich redtlich undt wohl
verhalten in der Wanderschafft, hat er dan Macht, von den 4 Vorgehern die
Größ deß Brobstücks zu begehren, [...]." [5] Nicht
diese, für die Ausbildung zum Maler unerläßliche, Wanderzeit
soll hier unter dem Gesichtspunkt der Migration betrachtet werden, sondern
vielmehr jene, die der Krieg dem Künstler auferlegte - also, inwieweit der
Krieg die Künstler zu Orts- und gar Berufswechel nötigte. Der
Ortswechsel konnte einmal in Hinblick auf die eigene Sicherheit vorgenommen
werden, zum anderen, um an neue Aufträge zu gelangen. Denn nicht nur der
Künstler "wanderte", sondern auch die Kunstzentren. Und dieser durch den
Kriegsverlauf bedingte ständige Wechsel der Orte, an denen kurzfristig auch
größere Aufträge zu erlangen waren, nötigte den
Künstler zur Mobilität. Auch für diese 'wechselnden Kunstorte'
sollen im weiteren Belege angeführt
werden.
Auf Sandrarts "Teutsche Academie" greifen
wir als Quelle zurück, da noch keine systematische Untersuchung über
schriftliche Selbstzeugnisse von Künstlern vorliegt. Daß eine solche
Zusammenstellung über schriftliche und künstlerische Selbstaussagen
zum Krieg auch für unsere Fragestellung aufschlußreich wäre,
belegen einige Beispiele. Der Augsburger Bildhauer Georg Petel (um 1601/02-1634)
hielt auf der Beschriftung seiner Zeichnung "Sklave am Sockel des Standbildes
Ferdinands I. de Medici in Livorno" einen bemerkenswerten Vorgang fest:
"Diß gleichen Figur / stet zu Levorno, vnd / in werendtem Zaichne / bin
ich gefeinhtlich ein / gefiert worten, in / mainung als dete ich / die Fordelo
in grundt legen Ao 1623: GP" [6], also der Künstler wurde
während des Zeichnens als Spion verhaftet, mit dem Vorwurf, er wolle einen
Grundriß der Befestigungsanlagen anfertigen. Der Schweizer Maler Rudolph
Meyer (1605-1638) schenkte 1636 seinem in der Malerausbildung befindlichen
jüngeren Bruder Conrad Meyer (1618-1689) die Zeichnung "Die schlafenden
Musen". [7] Das Blatt dedizierte er dem Bruder mit einem kurzen Gedicht.
In diesem rät er Conrad, "ob gleich der Marß jetz uns regiert,
[...]", sich auch weiterhin mit dem gründlichen Studium der Malerei zu
beschäftigen, damit er für die Ausübung des Berufes in
Friedenszeiten wohlgerüstet sei. Rudolph Meyer wußte wovon er sprach,
denn bei seiner Gesellenwanderung - welche ihn auch im Winter 1631/32 nach
Nürnberg geführt hatte - blieb ihm wegen der Belagerung dieser Stadt
im 'Schwedischen Krieg' selbst nichts anderes übrig, als sich durch Nach-
und Abzeichnen von Kunstgegenständen, die sich in der Kunsthandlung seines
Meisters Johann Hauer (1586-1660) befanden, fortzubilden. Über diese
schwere Zeit berichtet wiederum Conrad in der Familienchronik: "Weil Er mein
geliebter Bruder Seelig, in Nörenberg war, ware Gustdavus Adolfus
König in Schweeden [1594, König 1611-1632] mit seiner Armehe, auch in
Nörenberg, und auch die Keiserische Armehe umb Nörenberg und war
damahlen in Nörenberg deüre und Hunger." [8] Der
Nürnberger Maler Michael Herr (1591-1661), über den Sandrart schreibt,
daß er "tiefsinnige Gedanken" gehabt habe [9], dokumentiert mit
seinem Gemälde "Der Stadt Nurnberg achtzehen wöchentliche
Belägerung im Jahr 1632" [10] die damalige Belagerungssituation.
Aufschlußreich ist seine Signatur auf dem Gemälde: "Mich: Her: pictor
coævus fecit". Der Maler bezeichnet sich also selbst als Zeitzeuge
("coævus") des Dargestellten. Weitere Beispiele für die
Selbstreflexion des Künstlers in seinem Werk während des
Dreißigjährigen Krieges verdienten eine nährere
Untersuchung [11] - so die Michael Herr-Zeichnung "Allegorie auf die
Gerechtigkeit, Kunst und Krieg" [12] von 1630 und vom gleichen
Künstler die Handzeichnung "Allegorische Darstellung: Gesetz, Kunst und
Krieg als Herrscher der Welt" [13] oder weitere Zeichnungen von Rudoph
Meyer, wie "Die ruhenden Künste und Wissenschaften des
Dreißigjährigen Krieges" [14] von 1632 und "Merkur als
Friedensbringer weckt die schlafenden Künste nach dem Krieg" [15]
von 1632 -, doch soll, am Beispiel Sandrarts, auf die Kunstliteratur selbst
eingegangen werden.
Der kurzgefaßte
Vortitel, nach dem man das Werk zu zitieren pflegt, lautet "Teutsche // Academie
// der // Bau- Bild- und Mahlerey- // Künste". Es folgt ein ganzseitiger
Kupferstich mit den weiblichen Personifikationen der Bildhauerei, Malerei -
diese erhöht - und der Architektur. Nachfolgend das Haupttitelblatt, "das
weniger durch seinen barocken Wortschwall und die typographische Gestaltung mit
den verschiedensten Schriftgraden überrascht, als dadurch, daß die
Teutsche Academie eigentlich einen italienischen Titel hat. Es beginnt mit den
in großer Kursive gedruckten Zeilen: L'Academia Todesca // della
Architectura, Scultura & Pittura: // Oder // Teutsche Academie [...], womit
der Verfasser offenbar betonen will, daß sich das Werk in die von Vasari
begründete große Tradition der europäischen Kunstliteratur
einreihe." [16] In "LebensLauf und Kunst-Werke // Des // WolEdlen und
Gestrengen // Herrn // Joachims von Sandrart // auf Stockau / Hochfürstl.
Pfalz-Neuburg=//gischen Rahts:" erreicht die "Teutsche Academie" ihren
Abschluß und Höhepunkt. Auf 24 Folioseiten wird Sandrarts Biographie
dargelegt. Sie selbst erlaubt eine Darstellung über die Auswirkungen des
Krieges auf Kunst und Künstler.
Schon
Sandrarts Eltern mußten ihre Heimat als Glaubensflüchtlinge verlassen
und haben "wegen der Niderländischen Kriegs-Unruhe / sich nach besagter
Stadt Frankfurt verwandelt". [17] Am 12. Mai 1606 wurde er in Frankfurt
am Main als Sohn des vermögenden Kaufmanns Laurentius Sandrart und der
Antonetta de Bodeau geboren und am 18. Mai dort getauft. Offensichtlich durch
das Schicksal der eigenen Familie besonders sensibilisiert, verweist Sandrart in
den Künstlerviten immer wieder auf den Vorgang der Vertreibung von
niederländischen Glaubensflüchtlingen. So bei der Vita von Hendrik van
Steenwyck (Heinrich von Steinwig) (um 1550-1603): "Der Kunst-Feind Mars triebe
ihn aus Niederland nacher Frankfurt am Mayn / daselbst er auch sein Leben Anno
1603. geendiget." [18] Oder die Eltern des Malers Cornelis Janssens van
Ceulen (1593-1664), "aus den Spanischen Niderlanden bürtig", haben "sich
wegen damaliger Kriegs-Unruh nach Londen begeben / und allda diesen Sohn
gezeuget". [19]
Sandrart entstammte einer
aus Wallonien nach Frankfurt ausgewanderten Calvinistenfamilie und gehörte
damit einer kulturell aufgeschlossenen Schicht an. Später läßt
sich immer wieder in seinem "LebensLauf" die für seine Malerkarriere
ausschlaggebende Einbindung in die internationale calvinistische Diaspora
festmachen. Schon in seiner Jugend in Frankfurt lernte er bereits wichtige
Traditionen und Entwicklungen kennen: die Stadt bediente mit heute noch
beeindruckenden enzyklopädischen Monumentalausgaben den Buchmarkt; die
Stillebenmalerei wurde mit großem Erfolg in der modernen Flachmalerei
ausgeübt, und nur unweit entfernt arbeiteten die Frankenthaler Exulanten,
die ihre niederländische Kultur importierten, wie z.B. Heinrich von der
Borch d.Ä. (1583-1660). Borch "ware zwar ein geborner Brüßler /
der aber / wegen der Niederländisch= und Spanischen Kriege mit seinen
Eltern nach Teutschland verreist". [20] Seine Ausbildung zum Maler
erhielt Borch von Gillis von Falckenburg (gest. 1622), über dessen Familie
selbst noch weiter unten zu berichten sein wird, in der niederländischen
Künstlerkolonie Frankenthal. Nach einer Italienreise ließ er sich
dort wieder nieder, bis ihn die Unruhen des Dreißigjährigen Krieges
erneut zur Wanderschaft nötigten: "Nachdeme er sich verheuratet / hat er
sich zu Frankenthal etliche Jahr aufgehalten / endlich aber / wegen damaliger
Kriege zu Frankfurt
gesetzt". [21]
Sandrart selbst erhielt
seine erste Unterweisung im Zeichnen, eigener Aussage zufolge [22], bei
Sebastian Stoskopff (1597-1657) in Hanau. Dieser leitete nach dem Tod "des aus
Welsch-Niderland gebürtigen Daniel de Soriau [nachweisbar ab 1586, gest.
1619] / der sich mit vielen andern fürnehmen Leuten des Spanischen Kriegs
halber herauf / und zu Erbauung dieser schönen Stadt begeben" [23],
noch für eine kurze Zeit dessen Werkstatt. 1620 begann Sandrart eine Lehre
bei dem Nürnberger Kupferstecher Peter Isselburg (um 1580-1630). Auch bei
der Wahl dieses Ortes dürfte, wie schon bei Hanau, die Tatsache mitgespielt
haben, daß Nürnberg zahlreiche calvinistische Künstler aus den
Niederlanden aufgenommen hatte. Die vom Krieg ausgelöste Emigrantenbewegung
aus den Niederlanden hatte schon um 1560 Maler nach Nürnberg geführt.
Als Sandrart zu Ausbildungszwecken in die Stadt kam, lebten sie dort schon in
der zweiten oder gar dritten Generation. Einer der ersten unter ihnen war der
aus der Grafschaft Bergen im Hennegau gebürtige Nikolaus Neufchatel (um
1527-um 1590). Zu nennen sind auch die weit verzweigten Familien der Juvenels
und der Falckenburgs.
Stammhalter der aus den
Niederlanden kommenden Künstlerfamilie der Juvenels war Nicolaus d.Ä.
Dieser Maler aus Dünkirchen wird 1561 Bürger in Nürnberg und
verstarb dort 1597. Über mehrere Generationen arbeiten seine Nachkommen in
der Reichsstadt; geheiratet wurde anfänglich nur innerhalb der
niederländischen Exulantenkreise. Als Maler sind aus der Familie der
Juvenels in Nürnberg nachweisbar: Friedrich (1609-1647), Hans (1564-1632),
Hans Philipp (geb. 1617) und Paulus d. Ä., (1579-1643), letzterer verstarb
in Preßburg. Als Goldschmiede waren in Nürnberg tätig: Heinrich
(vor 1562-1634) und Jacob (1594-1634), sowie als Schmelzmaler Paulus Juvenel
d.J. (1634-1692). [24]
Die Valckenborchs -
in Nürnberg haben sie ihren Namen in Falckenburg eingedeutscht -
flüchteten kriegsbedingt aus Antwerpen nach Frankfurt. Erst in der zweiten
Generation - in Frankfurt bestehen auch familiäre Beziehungen zu dem schon
genannten Exulanten Hendrik van Steenwyck - gingen einige von ihnen zeitweise
nach Nürnberg. Als Sandrart bei Isselburg lernte, arbeiteten in
Nürnberg aus dieser Familie als Maler der um 1570 in Antwerpen geborene
Friedrich von Falckenburg d. Ä., gestorben in Nürnberg 1623, sowie
Friedrich d.J. (1598-1653) und Moritz von Falckenburg (1600-1632). [25]
Wie die Juvenels - so ist z.B. Paulus Juvenel d.Ä. im Jahre 1613 an der
Restaurierung des Nürnberger Rathauses beteiligt [26] - arbeiteten
auch die Falckenburgs in der Reichsstadt erfolgreich. Im Zusammenhang mit dem
für die Anfänge der deutschen Barockmalerei ungewöhnlichen, aber
leider nicht signierten Spinettdeckel des Nürnberger Patriziers Lucas
Friedrich Behaim von Schwartzbach (1587-1648) aus dem Jahre 1619 wird als Maler
immer wieder Friedrich von Falckenburg genannt. [27] Das Bild entstand
kurz bevor Sandrart zum ersten Mal in den Stadtmauern von Nürnberg
weilte.
Die genauen Daten über die Juvenels
und Falckenburgs dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen,
daß unser Wissen um die Nürnberger Verhältnisse dieser
Künstler - abgesehen von der jüngsten Quellenedition der
Nürnberger Malerbücher [28] - weitgehend nicht existent, die
Nürnberger Barockmalerei selbst ein Stiefkind der kunsthistorischen
Forschung ist. [29] Wenig Beachtung fand bisher auch die
Auftraggeberschaft dieser ersten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. Daß ein
erhebliches Potential vorhanden gewesen sein muß, belegt die Tatsache,
daß sich unter ihr Bartholomäus I. Viatis (1538-1624)
befand [30], von dem gesagt wird, daß er "von fürstlichen
Persönlichkeiten" abgesehen "der reichste Mann Nürnbergs,
wahrscheinlich auch von Deutschland" gewesen sein soll. [31] Wie
ergiebig die Erforschung jener Jahrzehnte sein kann, führen zwei
ertragreiche Publikationen über die Sammelleidenschaft des Nürnberger
Handelsmanns Paul II. Prauns (1548-1616) vor Augen. [32]
Als 1622 Isselburg nach Bamberg
übersiedelte, wandte sich Sandrart nach Prag an den aus Antwerpen
gebürtigen Ägidius Sadeler (1570-1629), um sich weiter in der
Kupferstecherkunst zu vervollkommnen. Die Anziehungskraft des "Fönix in
dieser Kunst" [33] und der Kunstmetropole Prag überstrahlten
für den erst Fünfzehnjährigen das Faktum, daß seine Wahl
auf ein ausgesprochenes Krisengebiet gefallen war. Der
'Böhmisch-Pfälzische Krieg' war noch nicht zum Abschluß gekommen
und hatte bereits zahlreiche Künstler vertrieben, wovon Sandrart in der
"Teutschen Academie" zu berichten weiß: "Carolo Screta [1610-1674] / von
Prag / wurde in seiner Kindheit bey Zeiten in einem zierlichen Sitten- und
Tugend-Wandel angeführet / und daraufhin zu der edlen Mahler-Kunst gezogen
/ dern gründliche Regeln er / vermög einer ihme angebornen
Arbeitsamkeit / wol ergriffen / und sich noch in früher Jugend ein
schönes Lob darmit erworben: weil nun damals der Blut-begierige Mars aus
seinem Vatterland die friedfärtige Musen und Künste verjaget / auch er
eine größere Wißenschaft zu erlangen suchte / begab er sich in
Italien / und hielte sich in Venedig etliche Jahre rühmlich und also auf /
daß er alles denkwürdige sich bästmöglichst zu Nutzen
machte." [34] Oder Wenzel Hollar (1607-1677) "von Prag wurde durch die
Böhmische Unruh aller seiner adelichen Güter in der Jugend beraubt /
dagegen erwehlte er ihm die Miniatur zu erlernen / worinnen er dann auch sehr
wol befürdert worden / und darinnen treflichen Progress
genommen". [35] Und weiter "Daniel Preißler [1627-1665] / Mahler
und Contrafäter / ward gebohren An. 1627. in der Königl. Böhm.
Haupt=Stadt Prag / von dannen wegen anhaltender Unruhe in Glaubens-Sachen seine
Eltern sich nach der Churfürstl. Sachs. Residenz-Stadt Dresden
begeben". [36]
In Prag erhielt Sandrart
von Sadeler den Rat, "er solte das mühsame Kupferstechen auf= und
dafür zur Mahlerey sich begeben". [37] Dieses beherzigend, begann
er bei dem Utrechter Caravaggisten Gerard van Honthorst (1590-1656) eine
Malerlehre. Im Jahre 1627 besuchte Peter Paul Rubens (1577-1640) die
Honthorst-Werkstatt und nahm Sandrart auf eine 14tägige Reise nach Holland
mit, während der sie namhafte Künstlerkollegen aufsuchten. Im Jahre
1628 begleitete Sandrart seinen Lehrmeister Honthorst als Gehilfe nach London,
wo dieser für Karl I. (1600, König 1625-1649) arbeitete. Nachdem
Honthorst wieder in seine Heimat zurückgekehrt war, verblieb Sandrart in
den Diensten des englischen Königs. Wegen Kriegswirren suchte er aber bald
nach einem "Vorwand", um "beurlaubt" zu werden, worüber er ausführlich
berichtet: "Es würde zwar unser H.[err] von Sandrart / der Gnade eines so
großen Potentatens sich nicht entzogen haben / wann es ohne den
gefährlichen Zustand selbiges Königreichs gewesen wäre. Dieser
fienge sich damals an A. 1627 mit seinem sondersgnädigen Patron / dem
Herzog von Buckingham: [1592-1628] welcher / als er / mit der großen
Englischen Flotte die Stadt Roschelle entsetzen wollen / von seinem eigenen
Leutenant / (Jan Felton genannt) im Schlafzimmer jämmerlich [am 2. 9. 1628]
ermordet worden. Diese unversehene Begebnis erschreckte viel Fremde: indeme man
besorgen mußte / daß der König und andere ein gleiches
möchten zu befahren haben. Daß diese Sorge nicht vergeblich gewesen /
hat sich nachmals geäusert: indeme / wie welt-kundig / A. 1648, auf Befehl
des Parlaments / dieser große König (der an Hoheit der Tugend keinem
Christlichen Monarchen gewichen / auch aller Orten beliebt gewesen) in Process
gezogen worden / und zu Londen / nächst seinem Königlichen Palast /
auf einem erhobenen Traurgerüste / nach verlesenem Urtheil / sein
Königliches Haupt / über einem hölzernen Block / dem grausamen
Justiz-Beil / unter vieler tausend / theils in Onmacht sinkenden / Menschen
Seufzen und Threnen / darreichen müßen. Nachdem Herr von Sandrart /
mit Vorwand / daß Er in Italien seine Studien zu perfectioniren / und
hernach bey Sr. Majest. sich wieder einzufinden / gesonnen wäre / Urlaub
erhalten". [38]
Ende Dezember konnte er
aus dem krisengeschüttelten London abreisen. Über seine Heimatstadt
Frankfurt ging Sandrart nach Venedig, wo er im Frühjahr 1629 bei dem
deutschen Maler Johann Liss (um 1600-1631) wohnte. Im Frühsommer 1629
reiste er mit seinem Vetter Le Blon (gest. 1656) - dessen Eltern das gleiche
Schicksal nach Frankfurt verschlagen hatte, wie Sandrarts Eltern ("Michael le
Blon, von Frankfurt / deßen Eltern aus Monts / wegen langwürig= und
verderblich= Spannischer und Französischer Kriege sich dahin
begeben" [39]) - nach Bologna. Über Florenz zogen sie weiter nach
Rom. Im Herbst 1631 war Sandrart in Neapel und ging von dort aus nach Messina
und Malta. 1633 erscheint er in den Einschreibungslisten der römischen
Accademia di San Luca. "Nachdem aber nun sieben Jahre vorbeygestrichen /
daß er allein in Rom / anderer Oerter zu geschweigen / sich aufgehalten /
nahme Er / im anfang des Junii, nachdem Er alle Rariteten nochmals besehen / und
alles / was nöhtig / annotirt / auch alle virtuose Künstler
höflich beurlaubet / seinen Weg über Florenz / Bologna, Venetia, und
durch ganz Lombardien / nach Meyland. Teutschland / ware durch die drey Furien /
Krieg / Hunger und Pest / damals / sonderlich im Elsaß / Franken und am
Rheinstrom / ganz umgekehret und verheeret / und überall von dem blut= und
glut-wütenden Mars unsicher und wüst gemacht: weswegen unser Herr von
Sandrart / nachdem Er Teutschland wieder erreichet / mit höchster Gefahr
Leibs und Lebens / über Breisach / Speyer / Frankenthal und Oppenheim /
gegen Frankfurt gereiset. Weil damals A. 1635 dieses sein Vatterland / von Ihr.
Kayserl. Majest. General Grafen von Gallas [1584-1647], mit 13000 Mann blocquirt
war / als mußte er / in der Pfingst-Nacht / durch das Croatische Lager /
sich zu fuß hinan wegen: da Er dann / ein Gestrauße zum Schirm
habend / bey anbrechendem Tag / mit verwunderung der Schildwacht / am Thor
glücklichen angelangt". [40]
In
Frankfurt heiratete er 1637 Johanna Milkau (Mulkeau) (1618-1672), eine
Erbtochter aus calvinistischen Bankierskreisen [41], und nimmt den
ältesten Sohn Merians, Matthäus Merian d.J. (1621-1687), als Lehrling
an. Als Sandrart 1635 aus Rom in das vom Krieg unterjochte Deutschland
zurückkehrte - vielleicht einem trügerischen Gerücht von den
Friedensverhandlungen in Prag folgend und auf Beendigung des 'Schwedischen
Krieges' hoffend - hatte er gerade den schlimmsten Zeitpunkt
getroffen. [42] Sein Bericht über die kannibalistischen
Vorkommnisse in Frankfurt, bei denen ausgehungerte Bauern versucht hatten,
seinen Lehrling zur "Schlachtbank" zu führen, belegen diese
Einschätzung nur allzu drastisch: "Weil aber der Teutschen Lande Wolstand
je mehr und mehr ab= und die Hungersnoht / neben der Pest / so stark
überhand genommen / daß man Ihme seinen Scholarn / den jungen
Matthæum Merian / als er denselben / gegen abends / zu seinem Schwager in
einer Verrichtung gesendet / mit anwurf eines Stricks um den Hals /
erwürgen und zur Schlachtbank liefern wollen / dessen sich etliche
hungerige Bauren unterstanden / denen er aber glücklich entronnen: hat
dieses ihn [Sandrart] so perplex gemacht / daß Er sich / samt den Seinigen
/ zu mehrer Sicherheit / nach Amsterdam verwandlet. Daselbst hat Er einen
Kunst-vollen Parnass der Edlen Mahlerey aufgerichtet
[...]." [43]
Nach Ostern 1637 zog das
junge Paar über Utrecht nach Amsterdam, wo beide Verwandte hatten und
alsbald Kontakte zu den wichtigsten Kreisen hergestellt waren. Verglichen mit
dem vom Krieg gezeichneten Deutschland (im 'Schwedisch-Französischen Krieg'
stand man kurz vor den großen Schlachten am Ober- und Mittelrhein), waren
die Verhältnisse in dem aufblühenden Amsterdam glänzend. Schon
die Tatsache, daß überlegt wird, ob das 1637 von Sandrarts Vetter
Michiel le Blon an der Keizersgracht gekaufte Haus bei der Westerkerk für
das junge Paar bestimmt gewesen sei, belegt, daß Sandrart an dem "Gouden
Eeuw" teilhatte. Sandrart verlegte sich in Amsterdam ganz auf die
Portraitmalerei, nach der, durch den Zustrom der Südniederländer, eine
starke Nachfrage herrschte. Im Sommer 1641 war Sandrart in München, wo er
für den bayerischen Kurfürsten Maximilian I. (1573-1651, Herzog seit
1597/98, Kurfürst seit 1623)
arbeitete. [44]
Nach dem Tod seines
Schwiegervaters Philipp Milkau (1583-1644) im Jahre 1644 erbte Sandrarts Frau
Johanna die Hofmark Stockau bei Ingolstadt: "Es wolte aber / die Göttliche
Vorsehung / unsern H.[errn] von Sandrart auch daselbst [in Amsterdam] nicht
lassen. Dann als Ihme / das Landsaßen-Gut Stockau / bey Ingolstadt im
Pfalz-Neuburgischen Gebiet / erblich angefallen / hat Er / mit großem Leid
aller Kunstliebenden Amsterdamer [...] sich dahin begeben müßen / um
diesen Adelsitz zu bewohnen / und demselben vorzustehen. Er hat aber daselbst
[in Amsterdam] / alle seine Kunstwerke / auf inständiges Bitten und
anhalten der Kunst Liebhabere in Amsterdam / gegen hochwichtigem baarem Wehrt /
hinterlassen [...]; worauf Er / in ausbegleitung vieler Personen / sich auf die
Reiße begeben." [45] Sandrart hatte bei seiner Heirat mit seinem
Schwiegervater die günstig zwischen Augsburg, München und
Nürnberg gelegene Hofmark Stockau [46] als zukünftiges Erbe
eingekauft. Nun (1645) trat er als Landsasse dieses an der Donau im Bereich des
kunstsinnigen Herzogs von Neuburg und Jülich-Berg, dem Pfalzgrafen Wolfgang
Wilhelm (1578-1653, seit 1609 Herzog) gelegene Erbe an. 1645 erhielt er vom
Pfalzgrafen das Privileg der Religionsfreiheit und bezeichnete sich von da ab
als pfalz-neuburgischer Rat; ein Jahr später erhielt er die
Patrimonialgerichtsbarkeit. Bereits im Herbst 1646 besuchte ihn Erzherzog
Leopold Wilhelm (1614-1662) in Stockau. In dessen Begleitung reiste der Maler
Jan van den Hoecke (1611-1651), der bei Rubens gelernt und sich
anschließend mehrere Jahre in Italien - vorwiegend in Rom - aufgehalten
hatte. Sandrart berichtet, und damit gibt er erneut Auskunft über die
Auswirkungen des Krieges auf Kunst und Künstler, über dessen
Heimreise: "da er auf dem Ruckweg in sein Vatterland begriffen gewesen / er
unterwegs von Ihro Erz-Herzoglichen Durchleucht / Leopold Wilhelm / aufgehalten
worden / und viel Jahre bey ihm im Krieg verblieben seye / maßen / als
erstgedachte Herzogliche Durchleucht Anno 1637. [sic!, 1646 [47]] mir
[Sandrart] die Gnad gethan / daß sie mich auf meinem Schloß Stockau
heimgesuchet / auch dieser Künstler bey ihme gewesen / dem ich die Stuck /
welche ich für ihr Churft. Durchl. Maximilian in Bayern und das Stift
Würzbürg / unter Handen gehabt / gezeigt." [48 ]Sandrart
mußte mit erheblichem finanziellen Einsatz die ererbten Besitzungen
instandsetzen. Doch der anhaltende Krieg machte bald wieder alles zunichte: "In
so betrübten Zeiten" fand er "sein Land=Gut ganz verderbt / und muste Er
seinen gepressten Unterthanen mit eigenen baaren Mitteln wieder aufhelfen / auch
alles von neuem in Bau führen und repariren: welches Er gern thäte /
in Hoffnung / dasselbe desto eher anzubringen und zu verkauffen. Aber es
erfolgte weit ein anders. Dann / als nun alles wieder in flor und gutem Wesen
stunde / kame im letzten Bayrischen Krieg A. 1647 ein neues Ungewitter / und
wurde / unangesehen Stockau neutral und im Pfalz-Neuburgischen Gebiete / das
Schloß / samt der ganzen dazu gehörigen schönen Hofmark / auch
der Unterthanen 37 schönen Gebäuden und Mühlwerken / aus Bosheit
und ohne einige Ursach / von den daselbst durchziehenden Franzosen / wieder
angesteckt / verbrannt und in die Aschen geleget: welches Er / von einem Thurn
zu Ingelstadt [Ingolstadt] / dahin er seine Mobilien geflehet hatte / nicht ohn
herzbrechenden Wehmut / ansehen müßen. Als aber / im folgenden Jahr /
der langgewünschte Friedens Bote angeländet / hat Herr von Sandrart
sich aufs neue daran gemacht / und alles viel herrlicher und bequemer aufgebauet
/ als es zuvor gestanden." [49]
Die
erheblichen Mittel dazu kamen auch aus den Einnahmen der Nürnberger
Portraitaufträge anläßlich des Nürnberger
Friedensexekutionskongresses. Ab 1649 arbeitete Sandrart, wie viele weitere
Künstler von den großen Auftragsmöglichkeiten angelockt, in der
Reichsstadt: "Als unlang hernach A. 1649, nach dem leidigen
dreißig-jährigen Kriegs-Ungewitter / die liebe lang-verlangee
güldene Friedens-Sonne das betrübte Teutschland wieder angeblicket /
und die Stände des Reichs / samt den hohen Generalen der inn= und
ausländischen interessirten Cronen / theils in Person / theils durch ihre
fürtreffliche Abgesandten / zur Execution und Vollziehung des
Friedenschlußes / sich nach Nürnberg versammlet: hat auch die / mit
vollen Ruhmstrahlen das Reich durchleuchtende Kunst-Sonne / unser Herr von
Sandrart / von hoher Hand dahin beruffen [50] / daselbst sich einfinden
müßen. Allhier bekame nun sein unvergleichlicher Kunst-Pinsel volle
Arbeit / und Gelegenheit / sich der Welt verwunderbar zu zeigen." [51]
Die Menge der Gemälde gibt Sandrart selbst mit "allein auf Swedischer Seite
wol Achzig" [52] an! An Sandrarts Seite stand u.a. Daniel Preisler,
über dessen Schicksal - "Ao. 1628 den 3 Junii wegen der Religion halber
meine Eltern von Prag entwichen" [53] - schon berichtet wurde: "An.
1650. bey dem Friedenschlus=Tag allda [in Nürnberg] alle hohe Potentaten
durch unsern von Sandrart in Lebens=Grösse / theils zu Pferd / theils
anderer Gestalt / nach dero hohe Würden abgecontrafäet worden / und er
Preißler diese Art von Mahlen ersehen / Er endlich durch abcopiren des
Königs in Schweden [Carl X. Gustav; 1622, König 1654-1660] / Herzogens
von Amalfi [Ottavio Piccolomini, 1599-1656] und vieler anderer Potentaten /
Contrafäten so weit gekommen / daß er hernach andere und bessere
Manier an sich genommen / und also mercklich empor gestiegen / daß er
darauf mit seinen schönen und wolgleichenden Contrafäten Hohe und
Niedere aufs fleissigste bedient / so / daß er auch bey einigen umligenden
Fürsten hierinnen aufzuwarten beruffen worden." [54] Daniel
Preisler wurde der Stammvater einer über mehrere Generationen tätigen
Nürnberger Malerfamilie, sein Sohn Johann Daniel (1666-1737) wurde
Nürnberger Akademiedirektor. Ebenfalls in Nürnberg war der durch
Sandrart selbst ausgebildete Matthäus Merian d. J., der in Frankfurt nur
mit knapper Not "hungerigen Bauren" entkommen war. "Wie er dann Ihro Excellenz
Herren Feldmarschall Wrangel [1613-1676] / mit seiner Kunst / so wol im Feld /
als zu Nürnberg / Anno 1650. bey dem gehaltnen Friedens-Executions-Tag
aufgewartet; auch die Käyserliche / Königliche Schwedische und
Französische höchste Kriegs-Officier / neben dem meisten Theil der
Obristen in Lebens-Größe und bäster Perfection, ganz
wolgleichend / abgebildt / und in sehr kurzer Zeit gecontrafätet /
worfür er in die 5000. Reichsthaler Verehrung
überkommen." [55] Gleichfalls durch die Aufträge angelockt
wurde der Bildhauer und Wachsbossierer Georg Pfründt (1603-1663), über
dessen Schicksal im Dreißigjährigen Krieg Sandrart berichtet: "Bey
folgender eingerißner Kriegs-Unruhe hat er sich unter Herzog Bernhard von
Weimar etc. [1604-1639] Armee in Kriegs-Dienste begeben / und auf 2. oder 3.
Pferde Bestallung gehabt / hernacher aber ist er in der Nördlinger-Schlacht
[1634] und Niderlag der Schwedischen gefangen / jedoch über einige Zeit /
nach vielen erlittnen Elend und Todes-Gefahr / wieder ledig gelaßen worden
/ und zu seinem vormaligen Herrn / Herzog Bernharden kommen / auch demselben in
wärender Belägerung Breysach [1638] gedienet / und sonderlich lieb und
angenehm gewesen." [56] Nach einem Aufenthalt in Paris ist Pfründt
"wieder in Teutschland nacher Nürnberg / bey wärendem
Friedens-Executions-Convent, kommen / allda hat er sich / nach Verfärtigung
vieler schöner Arbeit / auch Absterbens seines Weibs / nacher Regenspurg zu
den Reichstag / und erfolgender Krönung [57]
begeben." [58]
Auch Sandrart ging zu dem
Reichstag 1653 nach Regensburg, wo ihm von Ferdinand III. (1608, Kaiser
1637-1657) der Adelstitel verliehen und das Wappen verbessert wurde. Ab dem
Frühjahr 1654 hielt er sich vorwiegend auf Stockau auf und verreiste in den
folgenden Jahren nur noch, um auswärtige Aufträge
wahrzunehmen.
1670 verkaufte Sandrart den
Adelssitz an den kurbayerischen Geheimrat - er war kurbayerischer Gesandter auf
dem Regensburger Reichstag gewesen - Franz von Mayr, "letzlich / weil Er zu
einigen Leibs-Erben keine Hoffnung hatte" [59] und zog nach Augsburg.
Auch hier sammelt er Nachrichten über Künstler und weiß
über Matthäus Gundelach (1566-1653/54) und dessen Augsburger
Tätigkeit zu berichten: "Also hat sich Gondolach in Augstburg seßhaft
gemacht / und daselbst viele schöne Werke [...] verfärtiget /
würde auch ohne Zweifel seine Tugend und fürtrefliche
Wißenschaft noch mehr an Tag gegeben haben / wann nicht theils selbiger
Zeiten betrübter Zustand / theils sein schon reifes Alter / ihme den Lauf
längeren Lebens und fernerer Arbeit gesperret". [60] Nach dem Tod
der ersten Frau Sandrarts in Augsburg 1672 heiratete er ein Jahr später in
der Nürnberger St. Lorenzkirche die 1651 geborene Esther Barbara Blomert.
Anfang 1674 übersiedelte Sandrart nach Nürnberg, wo er als Leiter des
Bauwesens für die evangelisch-reformierte Gemeinde in Stein bei
Nürnberg tätig war.
Hier in
Nürnberg erschien nun in dicht Folge sein schriftstellerisches Werk,
für das er schon lange vorher das Material zusammengetragen hatte. Nicht
immer berücksichtigt Sandrart darin die Auswirkungen des Krieges auf die
individuellen Künstlerbiographien. So bleibt in der "Teutschen Academie"
unerwähnt, daß nach 18 Jahren in Italien Johann Schönfelds
Heimkehr im Herbst 1651 nach Deutschland auffallend mit dem Ende des
Dreißigjährigen Krieges zusammenfällt. Dafür weiß
Sandrart aber von der glücklichen Rückkehr des aus Prag vertriebenen
Carolo Screta zu berichten, der über Bologna und Florenz 1634 nach Rom kam.
Er "perfectionirte sich daselbst durch Aemsigkeit und Fleiß dergestalt /
daß er sich reich genug schätzte / wieder in sein Vatterland Prag
zuruck zu kehren / und daselbst die Früchte seines Füll-Horns aus
zuschütten. Als er daselbst von denen Anverwandten und Kunstliebenden
bewillkommet worden / fand er die edle Mahl-Kunst in einem tieffen Schlamm
äußerster Verachtung stecken / und gleichsam gar aus der Stadt
verbannisiret / dannenhero bemühte er sich möglichst / dieselbe durch
fürtrefliche Kunstwerke wieder zu erheben / und den Schmutz von ihrem
Gesichte abzuwaschen / wie er dann sie wieder auf ihre vorige Stelle gesetzet /
und in Flor gebracht / sich selbsten aber durch seine schöne
Qualitäten / Freundlichkeit und löblichen Tugendwandel / bey hohen und
niedern Stands-Personen beliebt und geehrt gemacht." [61] Bei der
Aufzählung der Werke von Jacques Callot (1592-1635) hebt Sandrart das
"verwunderliche Büchlein / genant 'Le Misere della Guerre', als ein
besonder ausgesonnenes Werk / von des Kriegs Jammer / Elend und Noht (wornach
von vielen sehr getrachtet worden)" hervor. [62] Aber auf den Augsburger
Radierer Hans Ulrich Franck (1603-1675) geht Sandrart gar nicht erst ein, und
damit erfährt der Leser der "Teutschen Academie" auch nichts von dessen
beeindruckendem Graphikzyklus über die Greueltaten und Schrecken des
Dreißigjährigen Krieges, den Franck zwischen 1643 und 1656 schuf.
Über den kriegsbedingten "Berufswechsel" des Malers Jacob Ernst Thoman von
Hagelstein (1588-1653) lesen wir jedoch: Er "hat die fürtrefliche Kunst der
Mahlerey erstlich zu Costanz und Kempten in etwas ergriffen. [...] Als nun das
Teutschland mit Krieg überschwemmet worden / hat er sich in der Kayserl.
Majestät Kriegs-Dienste begeben / und ist viele Jahre Kayserl. Commissarius
und Proviantmeister gewesen / unter welcher Zeit er dann auch / wie leicht zu
erachten / sich der Mahler-Kunst entschlagen müssen". [63] Und
Wallerant Vaillant (1623-1677) "befande sich auch ein Zeitlang bey der
Chur-Pfalz. Aber die Kriegs-Unruhen selbiger Landen / machte ihn nacher
Amsterdam gehen." [64] Über die Kriegserlebnisse ("viel
ausgestanden") Leonhard Kerns (1588-1662) [65] berichtet Sandrart kurz,
aber beeindruckend. Kern "ist aus einem Ort im Ottenwald gelegen / bürtig
gewesen / hat sich lange in Italien aufgehalten / und sowolen in der
Bildhauer-Kunst / darinn er bekannter maßen excellirt / als auch in der
Architectur geübet / hernach aber in Teutschland in währender
Kriegs-Unruh viel ausgestanden." [66] Vielleicht sind Kerns eigene
Kriegserlebnisse eine Erklärung für die Anfertigung der
ungewöhnlichen Plastik "Szene aus dem Dreißigjährigen Krieg".
Denn die Verarbeitung des Themas in der Bildhauerkunst ist, anders als bei der
Malerei und Graphik, ausgesprochen selten. Die Kleinplastik aus Alabaster in den
Kunsthistorischen Sammlungen in Wien (Inv. Nr. 4363) ist bereits im Inventar von
1659 des Erzherzogs Leopold von Österreich genannt: "Ein nackhentes
Weibspildt, welche von einem Soldaten hinderwerts mit einem Degen durchstochen
wirdt." [67]
ANMERKUNGEN
1. Sandrart 1994, hier: Lebenslauf, S. 3.
2. Ludwig
Grote schreibt in seinem Vorwort zum Ausst.kat. Nürnberg 1962, S. 6,
"allgemein ist die deutsche Kunst im 17. Jahrhundert auf einem Tiefstand
angelangt" und Wolfgang J. Müller in seiner Einleitung zum Ausst.kat.
Berlin 1966, S. 9, "Zwischen die große Zeit Dürers, Holbeins und ihre
Nachfolger und das 18. Jahrhundert, das den Kunstreichtum des Spätbarock
über Deutschland ausgebreitet hat, schiebt sich das 17. Jahrhundert wie
eine Wüstung, in der nur an wenigen Orten ein verstreut-dürftiges
Kunstleben fortdauern konnte, [...]."
3. Sandrart
1994, Lebenslauf, S. 3.
4. Mit einem
Überblick zum Forschungsstand Lengger 1996, S.
226-237.
5. Germanisches Nationalmuseum
Nürnberg, Archiv: Reichsstadt Nürnberg XII Nr. 44, Bl. 3 [r];
das umfangreiche Manuskript vollständig abgedruckt in Tacke
1998.
6. Berlin, SMPK, Kupferstichkabinett,
Inv.Nr. KdZ 9950; zur Zeichnung vgl. Kat. Berlin 1921, S. 248, Nr. 9950 (Meister
GP); zu Petel vgl. Feuchtmayr/Schädler 1973, S. 130f.; zur Rezeption der
"Quattro Mori" vgl. Kat. Nürnberg 1997, S.
78-82.
7. Kunsthaus Zürich, Graphische
Sammlung, Inv. Nr. Mappe N 16, Bl. 19; zur Zeichnung und zum Künstler vgl.
Riether 1995, S. 196 Nr. 210. Dem Autor möchte ich für die
Einblicknahme in die noch ungedruckte Dissertation herzlich
danken.
8. Riether 1995, S. 31, 502; vgl. auch
Riether 1991.
9. Vgl. Sandrart 1994, II, S.
339.
10. Germanisches Nationalmuseum
Nürnberg, Gemäldegalerie, Inv.Nr. Gm 590; zum Bild vgl. Kat.
Nürnberg 1995, S. 111ff.; zum Künstler vgl. Gatenbröcker
1996.
11. Siehe dazu in Zukunft meinen Beitrag im
Tagungsband zum internationalen Kongreß in Osnabrück 1998 "Der
Frieden - Rekonstruktion einer europäischen
Vision".
24. Vgl. Tacke 1998, dessen ausführliche
Genealogien Friedrich von Hagen (Nürnberg) verdankt werden; vgl. auch mit
weiterführender Literatur, Kat. Nürnberg 1995, S.
129-137.
31. Aubin 1940, S. 153, mit
weiterführender Literatur; zu Viatis vgl. Kat. Nürnberg 1995, S.
95ff., 297ff.
32. Vgl. Ausst.kat. Nürnberg
1994; Praun 1994.
33. Sandrart 1994, Lebenslauf,
S. 5.
34. Sandrart 1994, II, S.
327.
35. Sandrart 1994, II, S.
363.
36. Sandrart 1994, III, S.
79.
37. Sandrart 1994, Lebenslauf, S.
5.
38. Sandrart 1994, Lebenslauf, S.
5.
39. Sandrart 1994, II, S.
358.
40. Sandrart 1994, Lebenslauf S,
12.
41. Velden
1908.
42. Vgl. Klemm 1986, S.
18.
43. Sandrart 1994, Lebenslauf, S.
12.
44. Vgl. Klemm 1986, S. 94-99, Nr.
33-34.
45. Sandrart 1994, Lebenslauf, S.
13.
46. Zu Stockau vgl. Striedinger
1895.
47. Vgl. Sandrart 1994, Lebenslauf, S. 17;
Klemm 1986, S. 340.
48. Sandrart 1994, II, S. 309;
zu den Gemälden vgl. Klemm 1986, S. 146f., Nr. 61 (für den
Kurfürsten Maximilian I.) und S. 153-159, Nr. 65-66 (für den
Würzburger Dom).
49. Sandrart 1994,
Lebenslauf, S. 13; nach der Zerstörung der Hofmark 1647 durch die Franzosen
verzichtete Herzog Wolfgang Wilhelm auf sein Rückkaufsrecht und
erklärte Stockau zum Allodialgut.
50. Carl
Gustav von Pfalz-Zweibrücken (1622-1660), designierter König von
Schweden; vgl. Klemm 1986, S. 178.
51. Sandrart
1994, Lebenslauf, S. 18.
52. Sandrart 1994,
Lebenslauf, S. 18; zu den Aufträgen vgl. Klemm 1986, S.
177-194.
53. Sturm 1863, S.
364.
54. Sandrart 1994, III, S.
79f.
55. Sandrart 1994, II, S.
324f.
56. Sandrart 1994, II, S.
344.
57. Leopold I., zweiter Sohn von Ferdinand
III., wurde durch den jähen Tod seines Bruders Ferdinand (1633 -1654) zum
alleinigen Erben der östlichen habsburgischen Erblande und am 1. 8. 1658 in
Frankfurt zum Kaiser gewählt.
58. Sandrart
1994, II, S. 344; Theuerkauff 1974, S. 64ff.
59.
Sandrart 1994, Lebenslauf, S. 13.
60. Sandrart
1994, II, S. 322.
61. Sandrart 1994, II, S.
327.
62. Sandrart 1994, II, S.
370.
63. Sandrart 1994, II, S.
296.
64. Sandrart 1994, II, S.
374.
65. Zu Kern vgl. Riether 1995a, mit
weiterführender Literatur.
66. Sandrart 1994,
II, S. 343.
67. Der Inventareintrag zitiert nach
Ausst.kat. Schwäbisch Hall 1988, S.
223.