DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
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HANNELORE MÜLLER Augsburger Goldschmiedekunst in Kriegszeiten |
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts waren zwei deutsche Städte die dominierenden Zentren der Goldschmiedekunst
im Reich: Nürnberg, das seine frühe Spitzenstellung noch verteidigen
konnte, und Augsburg, das seit der Jahrhundertmitte zunehmend an Bedeutung
gewonnen hatte und noch vor dem Ende des Jahrhunderts der fränkischen
Reichsstadt ein zumindest ebenbürtiger, wenn nicht schon überlegener
Konkurrent geworden war, der vom 17. Jahrhundert bis weit ins 18. hinein in
Mitteleuropa die führende Rolle als Goldschmiedestadt spielen sollte.
Zunächst waren die wirtschaftlichen Voraussetzungen in beiden Städten
ähnlich: die am Montanhandel beteiligten großen
Kaufmannsgesellschaften schufen die finanziellen Grundlagen für die
positive Entwicklung. [1] Doch die häufigeren Aufenthalte der
römisch-deutschen Kaiser in Augsburg während des 16. Jahrhunderts
setzten neue politische und kulturelle Akzente. Zudem baute der Religionsfrieden
von 1555 konfessionelle Schranken ab und förderte dadurch zwanglose
persönliche Begegnungen zwischen möglichen Auftraggebern und
Goldschmiedemeistern am Rande der offiziellen Programme. In Nürnberg
dagegen dürfte die strenge Einhaltung der 1525 eingeführten
Reformation manche Bestellungen vereitelt haben, auch solche, die sich nicht auf
katholisches Kirchensilber konzentrierten. [2]
Am eindrucksvollsten dokumentiert sich der
Aufschwung des Goldschmiedehandwerks in Augsburg in der steigenden Zahl der
selbständigen Meister. 1529 waren es 56, kurz vor der Jahrhundertwende 1594
zählte man 200, also fast das Vierfache. [ ]Dieser, im Vergleich
zur Gesamtbevölkerung extrem hohe Anteil von Kunsthandwerkern - 1615 lebten
in der Stadt 185 Goldschmiede, aber nur 137 Bäcker - war auf den Export
angewiesen und von ihm abhängig. [3 ]Es erwies sich daher als
unbedingt notwendig, den Silberhandel als eigenständigen Berufszweig
anzuerkennen und so die Goldschmiede von zeitaufwendigen auswärtigen
Verhandlungen und lästigen Finanzierungsproblemen zu befreien. Als sich
Arnold Schanternell zwischen 1579 und 1582 um die Genehmigung zur Führung
eines dritten
"offenen
Ladens" -
neben den Silberhandlungen von Bartholme Fesenmair und Matthäus Holzapfel -
bemühte, betonte er in seinen Petitionen die offensichtlichen Vorteile
für die in der Reichsstadt ansässigen Meister: allein er habe im
Auftrag der Goldschmiede Waren im Wert von
"viel
tausend
Gulden" [4]
umgesetzt. Daß Schanternell nach der Zurückweisung ein erfolgreiches
Unternehmen in Prag eröffnete, das nach seinem Tod (1588) sein Sohn
Christoph (gest. 1622) weiterbetrieb, hat sicher die Verbindungen der Augsburger
Goldschmiede zum Prager Hof gefördert und gefestigt. Die Tätigkeit der
Juweliere und Kunstagenten schuf erst die Grundlagen für den unaufhaltsamen
Aufstieg Augsburgs zum beherrschenden und Nürnberg überflügelnden
Mittelpunkt der deutschen Goldschmiedekunst. Die Silberhändler besuchten
die großen Messen, in Leipzig etwa oder in Frankfurt, sie brachten die
Aufträge in die Stadt am Lech. Dank ihrer Kenntnis der heimatlichen
Gegebenheiten konnten sie geeignete Handwerker heranziehen und die
Zusammenarbeit von Vertretern verschiedener Berufsgruppen an einem Opus steuern,
eine Aufgabe, der sich im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts und darüber
hinaus mit besonderem Geschick der Augsburger Patrizier Philipp Hainhofer
(1578-1647) widmete. [5] Eine Persönlichkeit mit vergleichbaren
diplomatischen und organisatorischen Talenten fehlte in
Nürnberg.
Aber die Beziehungen des Hauses
Habsburg zu den fränkischen Goldschmiede-Künstlern dauerten auch im
frühen 17. Jahrhundert fort. Obwohl Rudolf II. damals in Prag eine eigene
Hofwerkstatt unterhielt, erwarb er in Nürnberg Spitzenwerke, wie das
Trionfi-Lavabo des Christoph Jamnitzer [6], und Hans Petzolt
(1551-1633), der mehrere Pokale nach Prag lieferte, führte den Titel eines
kaiserlichen
"Hofgoldschmieds". [7]
Die
Sammelleidenschaft hatte im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts nicht nur den
Kaiser erfaßt, viele andere deutsche Fürsten frönten ihr und
füllten Schatzkammern. [8] Vor allem die bayerischen Herzöge
von Albrecht V. (1550-1579) über Wilhelm V. (1579-1597) bis zu Maximilian
I. (1597-1651, seit 1623 Kurfürst) waren begeisterte Bewunderer der Kunst
ihrer eigenen Zeit und pflegten enge persönliche Kontakte vor allem zu den
Augsburger Kunsthandwerkern. In den Werkstätten von Abraham Lotter und
Ulrich Eberle entstanden wahrscheinlich die strahlenden Goldemailaltäre der
Münchner Residenz. [9] Auf Geheiß der Auftraggeber sollten
jedoch diese damals neuartigen Werke geheimgehalten werden [10], sie
waren in München genauso wie in anderen Schlössern nur einem
ausgewählten Besucherkreis zugänglich. Geheimhaltung, aber auch die
exklusiven und kostspieligen Materialien verhinderten weitgehend einen
nachhaltigen, stilprägenden Einfluß der Hofkunst auf die immense
Produktion von profanem Silbergerät, das im letzten Drittel des 16. und im
frühen 17. Jahrhundert geschaffen und gekauft wurde. Einbußen, die
heute die Relationen innerhalb des ursprünglichen Gesamtbestandes
verzerren, trafen das Gebrauchssilber stärker als die häufig durch
Verträge oder Stiftungsurkunden geschützten Spitzenleistungen in den
Kunstkammern. Geschirre, wie die Unmengen vielgestaltiger
Trinkgefäße, die repräsentativen Tischbrunnen, vor allem aber
die Platten und Teller waren dem Verschleiß stärker ausgesetzt und
wurden geänderten Stilvorstellungen schneller geopfert und eingeschmolzen
oder in Not- und Kriegszeiten zu Geld gemacht.
Ein
gravierender Stilwandel bahnte sich nach der Jahrhundertwende an: die
kleinteilig-scharfkantige Ornamentik des Spätmanierismus verlor die
gedrängte Dichte und wurde flüssiger, in der Gefäßform
verschmolzen die zusammengefügten Einzelteile zu einem lebendigen Ganzen.
Der Frühbarock kündigte sich darin an.
Auftraggeber für profane Geräte aus
Edelmetall waren Stadt- und Landadel, die sich bei Erwerbungen häufig auch
an heimische Meister der Nachbarschaft wandten. In den Städten
besaßen gesellschaftliche und ständische Vereinigungen, wie
Schützenvereine oder Zünfte, einen großen oder kleineren Schatz
vor allem an silbernen Schau- und Trinkgeschirren. Einen erheblichen Bedarf an
Silbergerät jeder Art hatten die Stadtregierungen selbst, einmal um bei
festlichen Veranstaltungen mit ihrem Ratssilber zu glänzen, zum anderen
aber durch die zwingende Verpflichtung zu oft kostbaren Ehrengeschenken bei
vielerlei Anlässen. Besonders beliebt waren Trinkgefäße vom
einfachen Becher, meist als Dank für geleistete Dienste, bis hin zu
prunkvollen Pokalen, oder auch aufwendigen Lavabos, mit denen man einen
Fürsten beim ersten Einzug in eine Stadt begrüßte. [11]
Während in Nürnberg anscheinend ein ständig greifbarer
Lagervorrat für Geschenke dieser Art angelegt wurde [12], hat man
in Augsburg die Präsente erst im Bedarfsfall und mit Rücksicht auf
eventuelle Wünsche des Beschenkten erworben. Vor allem aber hatten die
Kirchen beider Konfessionen einen nie zu stillenden Bedarf an silbernem
Gerät für den Altar und zur festlichen Ausschmückung der
Kirchenräume. Sie waren wohl die treuesten Auftraggeber der Augsburger
Goldschmiede.
In den ersten beiden Jahrzehnten
des 17. Jahrhunderts veränderte sich das Alltagsleben der Augsburger
Bürger kaum, trotz der zuweilen schon aufkeimenden Kriegsängste und
unterschwellig spürbar werdender konfessioneller Spannungen. [13]
Ein gutes Jahr vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges konnte der
Augsburger Diplomat und Kunstagent aus Leidenschaft Philipp Hainhofer am 30.
August 1617 Herzog Philipp II. von Pommern und Stettin noch ein einzigartiges,
viel bewundertes Kunstwerk übergeben, den Pommerschen
Kunstschrank [14], an dem nach seiner Konzeption und unter seiner Regie
siebenundzwanzig Kunsthandwerker fast fünf Jahre lang gearbeitet hatten.
Der nach Entwürfen von Hans Rottenhammer und Matthias Kager von Ulrich
Baumgartner geschaffene Schrein zählt zu den Verlusten des letzten Krieges.
Erhalten jedoch ist (im Kunstgewerbemuseum Berlin) der überreiche Inhalt
von kleinformatigen Werkzeugen, Instrumenten und Geräten aller Art, die in
zahlreichen Schubladen, Lädchen und Geheimfächern
"verpackt
und
verborgen"
eine
"Enzyklopädie
der physischen und sittlichen
Welt" [15]
vermitteln sollten. Die vielen, variantenreichen Geschirre wollen zu
spielerisch-ornamentalen und immer wieder veränderten Arrangements
verleiten: herzförmige Schüsseln und Teller können kombiniert
werden mit runden Schüsselchen, kleinen Bechern, Leuchtern, Krüglein
für Wasser, Essig und Öl, Dosen, einer Kredenz und einer Lavaboplatte
u.a. Die meisten Silberobjekte schuf Michael Gass, aber auch David Altenstetter,
Matthäus Wallbaum und Nikolaus Kolb waren beteiligt. Auffallend bei allen
Geschirren ist die klare, strenge Formgebung, ohne Schnörkel und ohne
Dekorelemente. Als dezenter Schmuck wirkt nur ein vergoldeter Randstreifen und
das gravierte Besitzerwappen.
Die ornamentlose
Schlichtheit der Geschirre aus dem Pommerschen Kunstschrank ist keine
singuläre Erscheinung in der Augsburger Goldschmiedekunst des frühen
17. Jahrhunderts. Auch der Münchner Hof besaß einen beachtlichen
Bestand silberner Teller, die als einzigen Schmuck auf der glatten Fahne das
gravierte Wappen von Herzog, dann Kurfürst Maximilian I.
trugen. [16] Erhalten sind davon nur ganz wenige Teile, die in
späteren Jahrhunderten bei Mühldorf aus dem Inn geborgen werden
konnten, wo 1648 das
"Kuchen-Schiff"
gesunken war, das nach dem Sieg der schwedisch-französischen Truppen bei
Zusmarshausen die Flucht des Kurfürsten nach Braunau begleitete.
Eine verwandte, allein auf die
elegant-harmonische Form konzentrierte scheinbare Nüchternheit zeichnet
auch etwa gleichzeitig in Augsburg entstandenes evangelisches Altargerät
aus. Johannes Lencker (gest. 1637) schuf 1620 und 1626 einen
zusammengehörenden Satz von Abendmahlskannen, deren birnenförmigen,
glatt polierten, mächtigen Korpus allein ein aufgelötetes, gegossenes
Reliefmedaillon mit einer neutestamentarischen Darstellung schmückt (Abb.
1). [17] Für Augsburg wurde diese Façon der
Abendmahlskanne im 17. Jahrhundert ebenso mustergültig wie im 16.
Jahrhundert der von Christoph Epfenhauser geschaffene Prototyp für die
Patenen. Allerdings verzichtete man in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts
bei den Kannen immer weniger auf reiche barocke Ornamentverzierungen.
Während in Süddeutschland die Birnenform der Weinkanne übernommen
wurde - die Stiftskirche in Stuttgart z.B. besitzt zwei sehr ähnliche, 1633
datierte Abendmahlskannen von Johannes Lencker [18] - waren Kannen im
Typus der weltlichen Schenkkannen in Nord- und Mitteldeutschland stärker
verbreitet. Diese walzenförmigen oder leicht konischen Deckelkannen mit
einer hochangesetzten und meist mit dem Kannenrand bündig
abschließenden Ausgußschnauze werden in vielen Fällen erst
durch ihre Nutzung eindeutig als Kirchensilber definiert. [19]
Bemerkenswert, wenn auch im ersten Drittel des Jahrhunderts nicht
ungewöhnlich ist es, daß Johannes Lencker außer evangelischem
Kirchensilber und höchst bedeutenden profanen Werken, wie dem Becken eines
Lavabos mit der Reliefdarstellung des Raubes der Europa
(Privatbesitz) [20], auch einzigartige Kirchengeräte für den
katholischen Kultus schuf, wie um 1610 ein goldenes Kruzifix für die
Münchner Residenz [21] oder um 1620 drei Altarleuchter, die der
Bischof von Breslau und Plock nach St. Jakob zu Nysa
stiftete. [22]
Nach dem Augsburger
Religionsfrieden von 1555 und noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts war die
konfessionelle Zugehörigkeit eines Goldschmieds kein Kriterium, das die
Auftragsvergabe beeinflußte. Es scheint jedoch äußerst selten
gewesen zu sein, daß katholische Goldschmiede für die evangelische
Kirche arbeiteten. Möglicherweise liegt die einfache Erklärung in der
Überzahl der lutherischen Bevölkerung in der Reichsstadt, die sich
auch im Zahlenverhältnis von protestantischen zu katholischen Goldschmieden
widerspiegelt. Der bayerische Herzog Maximilian I. jedenfalls, einer der
profiliertesten Vertreter der deutschen Katholiken, hatte keine Bedenken zu
Beginn des 17. Jahrhunderts nicht nur den Protestanten Johannes Lencker zu
Arbeiten für die Reliquienkammer der Münchner Residenz heranzuziehen,
sondern auch die Reiche Kapelle mit Werken von Jakob Anthoni ausschmücken
zu lassen. [23]
Dennoch überrascht
es, wenn der Protestant Hans Jacob Bair fast ausschließlich Werke, und
zwar Werke allerersten Ranges für die katholische Kirche schuf. Nach
Arbeiten für den Augsburger Dom [24] und den Eichstätter
Fürstbischof Konrad von Gemmingen (1595-1612) [25] empfahl ihn Marx
Fugger seinem Bruder, dem Fürstbischof Jacob Fugger von Konstanz
(1604-1626) für die Ausführung des Konradsreliquiars von 1613 im
Konstanzer Münster als
"in
dergleichen arbait alhie berühmt und zwar der
beste" [26].
Die Statue des hl. Pelagius folgte 1614. [27] Seinen Ruf als
"führenden
Meister auf dem Gebiet der
Goldschmiedeplastik" [28]
bekräftigten Silberfiguren in Düsseldorf [29] und St. Gallen,
die beiden letzteren 1623, also schon im dritten Jahrzehnt des Jahrhunderts
entstanden. Den vielleicht bedeutendsten Auftrag, der ihn erreichte, konnte er
nicht mehr vollenden. 1629 bat sein gleichnamiger Sohn die Zunftherren um
vorzeitige Zulassung als selbständiger Meister, damit er die Arbeiten
seines Vaters für König Sigismund III. von Polen,
"darunter
einen silbernen Altar mit Bildern in
Lebensgröße" [30]
fertigstellen könne. Die Genehmigung wurde im März 1629 erteilt und im
Oktober auf Antrag des Agenten und Juweliers Hans Georg Beuerle erweitert: Bair
darf ausschließlich zur Arbeit am Altar einen zusätzlichen Gesellen
beschäftigen. [31] Reste dieses, wohl nie ganz vollendeten
Kunstwerks, sind, wie Lorenz Seelig überzeugend nachwies, zwei
Engelsfiguren im Hochaltar der Gnadenkapelle von Tschenstochau. [32]
Diese wenigen besonders eindrucksvollen Beispiele
für verbürgte auswärtige Bestellungen in den zwanziger Jahren
beweisen ebenso wie z.B. die Verkäufe anspruchsvoller Kunstschränke
mit entsprechend kostbarem Inhalt durch Philipp Hainhofer [33],
daß der vornehmlich in Niedersachsen entfesselte dänische Krieg das
Leben im Süden kaum beeinträchtigte. Die Produktion von und der Handel
mit Silberwaren lief in Augsburg vorerst noch ungemindert weiter. Auch
gravierende Behinderungen der Transporte von Rohmaterial oder Fertigwaren durch
Kriegswirren sind nicht bekannt. Zwar hatten Geldentwertung, Teuerung, Mangel an
Lebensmitteln und verheerende Pestepidemien die Reichsstadt schwer heimgesucht,
aber erst das Restitutionsedikt vom 4. März 1629 brachte entscheidende
Veränderungen und bedrohliche Einschnitte.
Die vom Kaiser verordnete Rekatholisierung
führte zur Entlassung der evangelischen Amtsträger, ein Los, das 1631
auch den Goldschmied Johannes Lencker traf, der als Bürgermeister dem Rat
angehört hatte. Die Wende kam am 20. April 1632 mit der Besetzung der Stadt
durch die Schweden. Schon am 22. April bestätigte König Gustav Adolf
alle evangelischen Ratsmitglieder in ihren alten Ämtern. Am 24. April
übergaben Vertreter der Stadt nach der offiziellen Huldigung auf dem
Weinmarkt dem Schwedenkönig ein herrliches und äußerst kostbares
Ehrengeschenk: einen prachtvollen Kunstschrank aus Ebenholz mit reichen
Steinintarsien, den ein einzigartiger kunstvoller Kokosnußpokal in Form
eines Schiffes, ein Werk des Johannes Lencker [35] krönte. Die
Schubladen enthielten in großer Fülle diverse mathematische
Instrumente und silbernes Gerät, z.B. ein elegantes Lavabo mit einer
silbergefaßten Nautiluskanne und einem ovalen Silberbecken von Hans
Maulbronner [36]. Hainhofer hatte den Schrank, den viele Zeitgenossen
als
"achte[s]
Wunderwerk der
Welt" [37]
bezeichneten, von einer Gruppe Augsburger Kunsthandwerker in den Jahren von
1625/26 bis 1631 anfertigen lassen, ohne zunächst einen ernsthaften
Kaufinteressenten gewinnen zu können. Die Stadt soll 6.000 Reichstaler
dafür bezahlt haben [38].
Nach dem
Tod des Schwedenkönigs und verstärkt nach der schweren Niederlage der
Schweden bei Nördlingen 1634 verschlechterte sich die Situation in der
Stadt drastisch. Eine furchtbare Pestepidemie 1633/34 und die Blockade der Stadt
durch bayerische Regimenter führten zu einer Phase extremster Not, bis
schließlich im Leonberger Vertrag die Verhältnisse von 1629
wiederhergestellt und im Prager Frieden 1635 ein Kompromiß zwischen dem
Kaiser und dem Kurfürsten von Sachsen ausgehandelt wurde. Damit begann
für Süddeutschland eine Zeit der langsamen Erholung. [39]
Es ist schwer vorstellbar, daß auch in
diesen unruhigen Jahren existentieller Bedrohung Gold- und Silberkunstwerke
geschaffen wurden. Allerdings ist der Bestand erhaltener und kurz vor der Mitte
des Jahrzehnts entstandener Objekte nicht allzu groß.
Trotz der desolaten Zustände und der
wachsenden Armut gab es in Augsburg auch in der ersten Hälfte der 1630er
Jahre immer Goldschmiede, die Luxusgüter schufen. Die Zahl der
selbständigen Meister ging zwar zurück, wurde jedoch durch wiederholte
vorzeitige Verleihungen von Meisterrechten an Gesellen, die noch nicht alle
Voraussetzungen erfüllten, aufgestockt. [40] Noch in den Jahren von
1630 bis 1637 verschenkte die Stadt, ungeachtet ihrer eigenen hohen
Verschuldung, Silbergeschirre im Wert von ungefähr 3318
Gulden. [41] Selbst wenn man zugesteht, daß in der extrem
schlechten Periode von 1634/35 nicht alle Buchungen lückenlos und
fehlerfrei erfolgten, ist es doch bezeichnend, daß damals überhaupt
keine offiziellen Silberankäufe vermerkt sind. Über Geschäfte der
Goldschmiede mit privaten Auftraggebern, unter denen auch Offiziere der
Besatzung gewesen sein mochten, finden sich in den Augsburger Archiven keine
Unterlagen, und nur wenige der in diesen Jahren entstandenen Objekte sind
erhalten. Das eindrucksvollste ist ein Trinkgefäß in Form einer
Reiterstatuette, mit der dem 1635 verstorbenen Goldschmied David Lang ein
überzeugendes Portrait König Gustav Adolfs gelang (Abb.
2). [42] Diese Trinkfigur ist das früheste Exemplar einer ganzen
Reihe ähnlicher Reiterstatuetten, die zu einem großen Teil aus der
Werkstatt des David I. Schwestermüller [43] stammen und außer
Gustav Adolf auch König Karl I. von England [44] und vermutlich
Bernhard von Sachsen-Weimar [45] portraitieren. Als Vorbilder für
die silbernen Reiterstatuetten diente - nach Hans R. Weihrauch [46] -
eine Serie von Bronzereitern mit den Portraitköpfen verschiedener
Erzherzöge (Wien, Kunsthistorisches Museum). Daß David
Schwestermüller die Innsbrucker Figuren kannte, ist nicht erwiesen und eher
unwahrscheinlich. Dem Goldschmied lag eine, den Figurentypus kopierende, aber
als Schwedenkönig umdeutende Musterzeichnung des Augsburger Radierers Hans
Friedrich Schorer vor [47], mit der eine Statuette in
Stockholm [48] weitestgehend übereinstimmt. Das ältere, von
David Lang geschaffene Reiterportrait wirkt indes sehr viel unmittelbarer und
erinnert stark an die Stockholmer Büste Georg Petels. [49] Vor
allem die weichere, aber präzisere Modellierung des Gesichtes und der wache
Blick verraten die gleiche Intension. Man steht vor der Frage, ob nicht der
Bildhauer dem Goldschmied das Modell für sein Werk lieferte oder ob der
unmittelbare Eindruck der Persönlichkeit des Königs den Goldschmied zu
dieser Leistung anspornte.
Über die rasch
einsetzende Normalisierung des städtischen Lebens nach dem Prager Frieden
1635 unterrichten indirekt, aber deutlich die Handwerker-Akten der Goldschmiede.
Auswärtige Gesellen wurden zu den Meisterrechten zugelassen, weil das
Handwerk
"ohne
dass in grossen
Abfall"
gekommen sei [50] oder auch, weil es zu wenig Goldarbeiter
gab. [51] Sondergenehmigungen für die zusätzliche Einstellung
von Gesellen wurden erteilt, damit große an Augsburger Meister vergebene
Aufträge nicht verlorengingen. Hans Christoph Fesenmair arbeitete 1637 an
einer aufwendigen Ampel für Wien, 1640 hatte er aus Osnabrück eine
Bestellung für eine Kirchentruhe, Pontifikale und ein Madonnenbild
erhalten. [52] Für den Kaiser entstanden in der Werkstatt des
Hieronymus Siebenbürger 1637 und 1638 zwei goldene Kelche. [53] Und
Gregor Leider belieferte in den vierziger und fünfziger Jahren viele der
bedeutendsten bayerischen Bistümer und Abteien. [54] Immerhin
beweisen diese belegten Anträge auf Ausnahmegenehmigungen, die nur bei
wichtigen auswärtigen Aufträgen anfielen, daß der vor dem
Restitutionsedikt erworbene Ruf der Augsburger Goldschmiede nicht erloschen war
und daß alle Handelsbeziehungen fortbestanden oder wieder auflebten. Im
Vergleich zu anderen Berufszweigen hatten die Goldschmiede die Notzeiten relativ
unbeschadet überstanden. Dennoch scheint sich ein überraschender
Wandel abzuzeichnen. Wenn zu Anfang der dreißiger Jahre katholische
Kirchengeräte oft von evangelischen Meistern geliefert wurden, gewannen nun
auch katholische Juweliere an Einfluß und Bedeutung, bis gegen Ende des
Jahrhunderts meist die Konfessionszugehörigkeit von Auftraggeber und
Goldschmied übereinstimmten.
Gegen Ende des
Krieges wurden den Goldschmieden neue Aufgaben gestellt. Nicht nur Pokale,
Lavabos und Tafelgerät waren gefragt. Vor allem Objekte, die der
standesgemäßen Repräsentation dienten, entstanden nun in den
berühmten Augsburger Werkstätten. Vielleicht spiegeln sich die
Eindrücke, die schwedische Offiziere und Gesandte während der
Besatzungszeit in der Reichsstadt empfangen hatten, in den erstaunlich
frühen Bestellungen silberner Einrichtungsgegenstände [55]
durch den schwedischen Adel, in zwei erhaltenen Kronleuchtern [56] und
ganz besonders in dem silbernen Thronsessel, den Abraham I. Drentwett im Auftrag
von Magnus Gabriel de la Gardie zur Krönung von Christina, der Tochter
Gustav Adolfs, gefertigt hat. [57]
Das
Schicksal Augsburgs und seiner Goldschmiede in der ersten Hälfte des 17.
Jahrhunderts läßt keine Vergleiche mit und keine
Rückschlüsse auf die Entwicklung in anderen Städten zu. Das
häufig nur lokal begrenzte Kriegsgeschehen ist zu unterschiedlich in seinen
Auswirkungen. Hamburg z.B. fand schon ziemlich früh in König Christian
IV. von Dänemark einen treuen Bewunderer seiner Meister, und obwohl
Nürnberg von Belagerung und Besatzung verschont blieb, verlor die
Goldschmiedekunst an überregionaler Bedeutung. In Augsburg waren für
die fortdauernde Blüte der Goldschmiedekunst über den Krieg hinaus
mehrere Faktoren verantwortlich: einmal die kluge und gezielte Förderung
durch den Rat der Stadt, der sich gegen Einzelinteressen durchzusetzen
wußte, dann das gut funktionierende Handelsnetz der Juweliere, das die
Goldschmiede von berufsfremden Arbeiten verschonte und eine sehr strenge
Ausbildung mit langen Wanderzeiten, die weltoffen machte, und vielleicht auch
eine gewachsene Handwerkstradition, die Sicherheit vermitteln konnte.