DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur |
SUSANNE TAUSS "...daß die Räuberei das alleradeligste Exercitium ist..."* - Kunstschätze als Beute im Dreißigjährigen Krieg |
I.
Einleitung
Neben dem Raub der Bibliotheca Palatina
im Jahr 1622 durch kaiserliche und ligistische Truppen aus dem Heidelberger
Schloß dürfte der 1648 auf der Prager Kleinseite erfolgte schwedische
Beutezug wohl zu den bekanntesten Vorkommnissen der Beute-Geschichte des
Dreißigjährigen Krieges zählen. Es ist aber - Ironie der
Geschichte - aufschlußreich, daß die Sammlungen unzähliger
Museen (nicht nur Europas) ohne diese und andere Formen der
"Kunstwanderung"
kaum jenen Grad an Internationalität erreicht hätten, der heute ihre
Berühmtheit ausmacht. Kartographisch umgesetzt, könnten die
Provenienzen heutiger Museumsbestände gleichsam als Gespinst von Wegen quer
durch Europa und die Kontinente visualisiert werden: Ein nicht geringer Teil
dieser Wege dürfte sich mit den Marschrichtungen verschiedenster
Heereszüge decken.
Zur Kunstbeute im
Dreißigjährigen Krieg liegt bis heute keine zusammenfassende Arbeit
vor; eine Untersuchung des komplexen Phänomens, die mit Weschers Arbeit zum
Kunstraub unter Napoleon vergleichbar wäre, fehlt [1], und Redlichs
fundierte Untersuchung ist bewußt auf den rein militärischen Aspekt
von Kriegsbeute beschränkt. [2] Wenn Treue 1957 noch feststellte:
"Merkwürdigerweise
hat [...] kein Thema, kein Gegenstand die Zeitgenossen und die späteren
Historiker so wenig interessiert wie der Kunstraub im Dreißigjährigen
Krieg." [3],
so stellt sich die Situation vierzig Jahre später deutlich anders dar. Zum
einen sorgt die aktuelle Beutekunst-Debatte für eine gewisse
Sensibilisierung; zum anderen liefert eine Vielzahl fundierter Einzelanalysen
hervorragendes Material für die weitere Forschung. [4]
Trevor-Ropers essayistische Darstellung,
"The
Plunder of the Arts in the Seventeenth
Century" [5],
kann somit in zahlreichen Punkten ergänzt werden. Eine umfassende Synthese
kann und soll freilich nicht Ziel des vorliegenden Beitrags sein, da sie den
Rahmen des Unterfangens bei weitem sprengen würde. Vielmehr soll auf einige
grundsätzliche Fragen zum Thema hingewiesen werden: Welche Motive lagen dem
Kunstraub im Dreißigjährigen Krieg zugrunde, bzw. wie wurde das alte
Recht der Sieger auf Beute genutzt? Welche völkerrechtlichen Regelungen
sahen der Westfälische Friede und die ihm vorausgehenden Verhandlungen vor?
Wie verhielten sich in der Praxis Rechtsanspruch, Restitutionsgebot und
Sonderregelungen zueinander, und in welchem Maße wirkte die Beutenahme aus
Prag auf die Verhandlungen in Westfalen ein? Es geht also nicht so sehr um den
einzelnen Beute-Fall als vielmehr um generelle Aspekte des
Phänomens. [6]
II. Zur
Attraktivität von Kunstbesitz und -raub: Ästhetik und
Macht
Mit der Profanierung der Kunst, wie sie seit
der Renaissance vollzogen wurde, und mit der Ausweitung des Kunstmarktes ging
eine rege Debatte über die Definition des
"wahren
Adels"
einher. Was das höfische Leben und die dafür notwendigen
Verhaltensnormen betraf, wurde Castigliones Cortegiano an
europäischen Höfen zum Maßstab des
fürstlich-aristokratischen Selbstverständnisses. Der
Cortegiano, der "zum geistigen Besitz all derer [wurde], die teilhaben
konnten an einer sich verfeinernden und dann auch sozial erweiternden
Gesellschaftskultur" [7], forderte von den vollkommenen Vertretern eines
Hofes unter anderem eine angemessene Würdigung der Künste und eigene
dilettierende Versuche künstlerischer Tätigkeit. Auf der Grundlage
einer fundierten humanistischen Ausbildung sollte das "buon giudizio", der gute
Geschmack, geschult werden. [8] Diese Eigenschaften ließen sich an
fürstlichen Sammlungen erproben, die somit ihrerseits der
Wissensvermittlung dienten. Diesem praktischen Effekt war die theoretische
Forderung vorangestellt, visuell und ideell vom jeweiligen subjektiven
fürstlichen bzw. adeligen
"Ruhm"
zu überzeugen. Adelsherrschaft und Kunstbesitz konnten so seit der
Renaissance als Synonyme gelten: Entsprechend dem Gebot der Theoretiker des 16.
und 17. Jahrhunderts erfüllte das Kunstsammeln nach ästhetischen
Gesichtspunkten mit äußerem wie innerem Adel und demonstrierte ihn
zugleich. Eine Sammlung diente als verdinglichte Form einer ethisch-moralischen
Haltung. Abgesehen vom materiellen Aufwand, der anderen den Zugang zu einem
solchen Medium der Selbstdarstellung verschloß, war Kunstbesitz
(Bibliotheks- und Kuriosa-Besitz stets inbegriffen) als decorum nur einer
kleinen Schicht zugewiesen. Damit wurde er auch für jene, die von der
wachsenden sozialen Mobilität des frühen 17. Jahrhunderts
profitierten, zum Muß eigener magnificentia, sah doch der
humanistische Diskurs der Renaissance in dieser aristotelischen Tugend den Kern
des lebhaft diskutierten Seelenadels. [9] Was Muller für die
Sammlung des Künstlers Rubens feststellt, der sich als homo novus
durch die Ausstattung eines Antwerpener Hauses zu "adeln" gedachte, hat in
entsprechend höherem Maße für fürstliche Sammlungen
Gültigkeit, von denen diese Form der Überzeugungsarbeit abgeschaut
werden konnte: "The display of magnificence [...] expressed ethical, social, and
aesthetic values bound together." [10] Eine solche Sammlung - wie
insbesondere jene Rudolfs II. in Prag - diente als Zeichen für die
Beherrschung des Makrokosmos im Mikrokosmos eines vollkommenen, alles Wissen,
alle Natur und Künste der Welt umspannenden Ganzen, und als höchstes
Medium fürstlicher
Repräsentation. [11]
Diese ideellen
Werte, die fürstliche Kunstsammler und ihren kostbaren Besitz aufs engste
zusammenschlossen, spiegeln die Sensibilität des Konstrukts im Falle von
Beschädigung und Raub: In den Objekten wurde die Person oder Dynastie,
deren Machtbefugnis und Sittlichkeit sie spiegelten, geschädigt und
getroffen.
Wenn Müller lapidar feststellt:
"Höfische Kunst wurde auf unterschiedliche Weise akquiriert", so trägt
dies der enormen Vielfalt an Erwerbsmöglichkeiten gerade im 17. Jahrhundert
Rechnung, die zum großen Teil über einen gut organisierten Kunstmarkt
bedient wurden. [12] Gleichzeitig war aber eine unfriedliche
Kunstwanderung im Gange, wie sie laut Wescher seit der Eroberung Konstantinopels
durch die Kreuzfahrer (1204) nicht mehr praktiziert
wurde. [13]
Das im Ius Belli
verbriefte Beuterecht ist Teil eines uralten kulturgeschichtlichen
Phänomens, das in kriegerischen Auseinandersetzungen neben der physischen
die "psychische" Schädigung erlaubte (und noch immer erlaubt). [14]
War dies zunächst eine religiöse Schädigung, bei der das Heilige
der Unterlegenen zerstört, die eigenen Götter an dessen Stelle gesetzt
und somit ein identitätsstiftendes "Mana" oder "Numen" weggenommen werden
konnte, so ist hiervon die von religiösen Absichten tendenziell freie
Motivation des
"Kunstraubs"
zu unterscheiden. So führte schon im Rom der späten Republik die
Kunst- und Sammelleidenschaft einzelner Feldherren - so z.B. Sullas - zu
maßlosen Plünderungsaktionen. [15] Das profanierte Kunstwerk
war bereits fest eingeplanter Bestandteil militärischer
Beute.
Nach römischem Kriegsrecht, das noch
Alberico Gentili und Hugo Grotius in zahlreichen Exempla lebendig hielten
(s.u.), legitimierte die Rechtlosigkeit der Besiegten die Aneignung jeglichen
"herrenlosen"
Guts. [16]
Interesse, Vorgehensweise und
Quantität erfolgreicher
"Kunsträubereien"
mochten in der Folgezeit variieren, nahmen aber aus genannten Gründen seit
der Renaissance Formen an, die im Dreißigjährigen Krieg regelrecht
aufblühten: Das Interesse, die Kenntnisse, die Möglichkeiten und nicht
zuletzt ausgezeichnet bestückte Sammlungen waren in den Kriegsgebieten in
vorher ungekanntem Maße vorhanden. Die Kriegsschauplätze wechselten
häufig, und mit den Routen der Heereszüge verlängerten sich die
Wege, die kostbare Beute aus kirchlichem wie privatem Besitz zurücklegte -
vorausgesetzt, sie kam jemals am "Bestimmungsort" an -, und verminderten so
oftmals die Möglichkeit der
Restitution.
III. Die rechtlichen Grundlagen
für Kunstraub im Dreißigjährigen
Krieg
Wie schon sein Vorläufer Alberico
Gentili (De Iure Belli Libri Tres, 1598) handelte Hugo Grotius in seinem
heute wohl bekanntesten Werk, der Völkerrechtslehre De Iure Belli ac
Pacis (1625), ausführlich über Rechte und Pflichten der
Sieger. [17] Beide Autoren folgten der älteren Auffassung,
daß Naturrecht und göttliches Recht gleichermaßen das
Beutenehmen im Krieg legitimierten: Die in jedem gerechten respektive
förmlichen Krieg dem Feind abgenommenen Dinge können in den Besitz der
Sieger und ihrer Rechtsnachfolger übergehen (Grotius III, 6 ii-1). Zwischen
sakralen und profanen Gegenständen wird dabei nicht unterschieden, da sich
das Recht unumschränkt auf alle
"Mobilien"
beziehen ließ. [18]
An den von
Grotius und Gentili genannten antiken Exempla wird ablesbar, wie die
Motivationen für Kunstraub divergieren konnten. So zeigt das Beispiel der
beginnenden Sammelleidenschaft der Römer für griechische Kunst, in
welchem Maße militärische Mittel für ästhetische Argumente
instrumentalisierbar
waren. [19]
Gemäß
römischem Kriegsrecht galt, so Grotius (III 6), auch für das 17.
Jahrhundert, daß das auf dem Schlachtfeld in direkter Konfrontation
Erbeutete dem einzelnen Soldaten gehörte, alles weitere aber - d.h.
sogenanntes
"herrenloses"
Gut - in den Staatsbesitz überging und nach einem bestimmten Schlüssel
verteilt wurde, den die militärische Hierarchie vorgab.
Grotius'
Werk legte den Verbleib (oder auch die Weitergabe) von Beute fest (III 6
xiv-xx). Dieser nur vordergründig klaren Abwicklung stand von alters her
eine Regelung entgegen, die dem Feldherrn einen
"Extraanteil"
in Aussicht stellte. Aufschlußreich ist hierfür eine
Ilias-Stelle, die Grotius als Exemplum dient: Prinzipiell wird der Staat
zwar Eigentümer der Beute, doch steht dem Feldherrn - hier Agamemnon - als
von Amts wegen moralisch höherstehender Person der größte Teil
des
"Kuchens"
zu (Grotius III 6, xiv). [20] Klare Beutezuweisungen sind anhand dieses
wie auch anderer Beispiele bei Grotius kaum zu definieren. Künstlerisch und
wissenschaftlich hochrangige Stücke verblieben aber noch aus einem anderen
Grund unter Umständen für immer in den genannten
"Abnehmerkreisen":
bei nicht erfüllter Restitution des
"unrechtmäßig"
Beschlagnahmten (Grotius III 20, xx). Sprechend ist die Hierarchie, die
Restitutionspflichten am
"Wert"
der jeweiligen Beute bemißt. Ihr zufolge rangieren Menschen vor Sachen,
unbewegliche Sachen (Immobilien) vor beweglichen (Mobilien) und dem Staat
gehörende Mobilien vor privaten (III 20, xxi). So zählt alles, was
heute unter den Begriff der
"Kulturgüter"
fallen würde, zur letztgenannten Kategorie staatlicher oder privater
Mobilien. Das Verhältnis zwischen staatlichem bzw. Kronbesitz und privatem
Eigentum war außerdem nicht immer eindeutig definiert. [21] Um so
bemerkenswerter ist es, daß die Rückgabe der letztgenannten
Gegenstände - Archive, Bibliotheken, Kunstsammlungen - in den
Friedensverträgen von 1648 ausdrücklich gefordert wurde. Die von
Grotius aufgeführte Hierarchie wird den Zeitgenossen bewußt gewesen
sein. Der Anspruch auf Restitution war aber wohl von Anbeginn zum Scheitern
verurteilt in Anbetracht der kaum zu bewältigenden Satisfaktions- und
Restitutionsabwicklungen, die zunächst wichtigere (für die politische
Landschaft lebenswichtige) Bereiche zum Inhalt hatten als Kulturgüter - mit
der einzigen Ausnahme dynastisch und politisch hochwichtiger
Archive.
IV. Das
"alleradeligste
Exercitium"
im Dreißigjährigen Krieg
Die beiden
Beutezüge, die die Eckdaten des Kunstraubs im 30jährigen Krieg
liefern, waren zugleich die vielversprechendsten: der Raub der Heidelberger
Bibliotheca Palatina (1622 geraubt) und der Prager Kunstkammer Rudolfs II.
(1648). Beide Beispiele lassen eine ausgefeilte Organisation erkennen. Und beide
blieben, z.T. für immer, in den Händen der Siegerpartei. Wie
ausgeführt, war jegliches Beutenehmen im Dreißigjährigen Krieg
gemäß dem Ius belli rechtens. Betrachtet man die Raubzüge
näher, so fällt aber auf, wie groß die Spielräume im
einzelnen sein konnten und wie unterschiedlich je nach Interessenlage gehandelt
wurde. [22]
Grundsätzlich ist
festzustellen, daß die jeweilige Raub-Intention sich durchaus von der
Beute-Verteilung unterscheiden konnte. Paradigmatisch für ein solches
Mißverhältnis ist die Bücherentführung aus der
Palatina.
Schon fast ein Jahr vor der
tatsächlichen Eroberung Heidelbergs durch kaiserliche und ligistische
Truppen äußerte Papst Gregor XV. (1621-1623) sein Interesse an der zu
ihrer Zeit berühmtesten Bibliothek. Er ließ früh schon seine
weitgespannten kirchlichen Verbindungen spielen, um sich frühzeitig der
potentiellen Beute zu bemächtigen. Für Maximilian von Bayern und
Ferdinand II. wurde dadurch letztlich jede Hoffnung auf einen eigenen Beuteteil
zerstört. Unglücklicherweise konnte Gregor XV. aber nicht mehr die
Früchte seiner Bemühungen ernten, da er noch vor Ankunft der Palatina
in Rom verstarb. Als komplette Schenkung der Eroberer an Dritte bildet die
Bibliotheca Palatina jedoch eine Ausnahme im Kunstbeute-Geschehen der Zeit,
sieht man von den üblichen Donationen ab.
Die
organisatorische Abwicklung war durch den päpstlichen Bibliothekar Leone
Allacci gewährleistet, der auch den Abtransport nach München und
weiter bis Rom begleitete. Er selbst profitierte in Anbetracht seiner
Anstrengungen nur wenig davon - wenngleich auch er für seinen Beuteteil zu
sorgen wußte.
Die
"Mutter der
Bibliotheken"
hörte mit der Plünderung auf zu existieren. Diese kulturelle
Demütigung zog längerfristige Vergeltungsmaßnahmen nach sich, da
der schon angeschlagene Friedrich V., der flüchtige Winterkönig, mit
diesem Coup einen weiteren empfindlichen Statusverlust erlitt. Schreibt man die
Geschichte der Kunstbeute in diesem Krieg fort, so zeigt sich eine eigenwillige
Dynamik, ein Schlagabtausch zwischen Verlust und Revanche. Auch wenn nicht alle
weiteren großen Beuteaktionen des Dreißigjährigen Krieges als
konsequente Folge aus dem Raub der Palatina zu erklären sind, so fällt
doch auf, von welcher Wirkung die Gewinnung der Heidelberger Palatina
war.
Nach der Schlacht bei Rain am Lech (1632),
die den Eroberer Heidelbergs, Tilly, das Leben kostete, nährte Ludwig
Camerarius, einer der wichtigsten Berater Friedrichs V., Hoffnungen darauf, der
Feldzug werde bis nach Rom führen und die symbolträchtige
Rückeroberung der Palatina als Zeichen der Wiedereinsetzung des
Winterkönigs ermöglichen. Auch das fortdauernde Interesse des
enttäuschten Maximilian an der ehemaligen kurfürstlichen Bibliothek
markiert, mit welcher Energie und welchem Ehrgeiz das begehrte Objekt im Auge
behalten wurde. Warum sonst hätte er den Papst um Bewahrung der
Büchersammlung in ihrer Komplexität gebeten?
1632 ließ Gustav Adolf entgegen verbrieften
Schutzversicherungen die bedeutende Sammlung Maximilians in München hatte
plündern (s.u.); hierbei war u.a. Friedrich V. beteiligt - diese Raubaktion
kann durchaus als Antwort auf den Palatina-Raub gedeutet werden. Selbst noch
1634/35 blieb die Heidelberger Plünderung Teil fortgesetzten
Revanchedenkens, da kaiserliche und bayerische Truppen die Sammlungen Stuttgarts
und Tübingens plünderten und so wiederum ostentativ auf Gustav Adolfs
Münchener Beute reagierten. Dieses Wechselspiel, in dem durch Kunstraub
innerhalb eines Krieges mehrfach Gleiches mit Gleichem vergolten wurde,
dürfte einmalig sein.
Aufschlußreich
ist Gustav Adolfs Vorgehen in den Bistümern Würzburg und Mainz: Um
sich einen geschlossenen, d.h. nicht schon gefledderten Beuteanteil zu sichern,
schöpfte er alle ihm zu Gebote stehenden juristischen Möglichkeiten
aus. Sein Vorgehen in Mainz (1631) ist hierfür paradigmatisch.
Zusätzlich zu seinen eigenen hervorragenden Kenntnissen von Ius belli
und Grotius sicherte er sich durch das Urteil Rechtsgelehrter ab, die im
Einzelfall über die Rechtmäßigkeit einer Konfiskation
entschieden. Er sorgte dafür, daß das Ius belli gewahrt blieb
und ausschließlich
"herrenloses"
Gut beschlagnahmt wurde. Erst nach Gustav Adolfs Tod lockerte Oxenstierna diese
Regelungen und gab unbeschränkt alle Bibliotheken und Archive in Mainz zur
Konfiskation frei. Mit dieser Form des
Bibliotheken-"Erwerbs"
hatte Gustav Adolf schon Jahre zuvor im Baltikum begonnen. Sie erklärt sich
begründet durch widersprüchlich erscheinende, einerseits
anti-katholische und andererseits bildungspolitische Absichten, die sich in
Schenkungen an die Universität Uppsala und weitere Bildungseinrichtungen
(Linköping, Strängnäs, Västerås) ausdrückten.
Gustav Adolfs Einzug in Mainz und sein Donationsbrief an die Bibliothek von
Uppsala (November 1631), der einen enormen Zustrom an erbeuteter Literatur nach
Schweden eröffnete, fielen zeitlich praktisch
zusammen.
Seine strengen Beute-Kriterien
ließ er in München (1632) jedoch fallen. Die Plünderung von
Kunstkammer und Bibliothek Maximilians geschah nicht ohne sein Wissen. Immerhin
konnten er und seine Begleiter sich der bedeutendsten Kunstkammer der Zeit -
nächst der kaiserlichen - bemächtigen. Was davon nach Schweden
gelangte, wurde der noch im Aufbau befindlichen königlichen Kunstsammlung
im Stockholmer Schloß Tre Kronor einverleibt. Als Förderer von
Wissenschaft und Künsten schrieb sich Gustav Adolf so in die
Kulturgeschichte Schwedens ein. Hiervon profitierte nicht zuletzt seine Tochter
Christina, die die Akquisition - neben regulären Käufen - im Jahr 1648
durch Beute in ungleich größerem Stil
fortsetzte.
Maximilian bemühte sich mehrfach
um Wiedererlangung seiner Sammlungen. Daß er die Verletzung der
Salvaguardia Gustav Adolfs für München nicht akzeptieren wollte und
Erstattung forderte, daß er ferner den Rat der Stadt Nürnberg um
Nachforschungen zu seinen verstreuten Schätzen bat, ist Zeichen genug,
welche Werte er einbüßte. Einen dritten Versuch unternahm er nach der
Schlacht bei Nördlingen: Nach der Gefangennahme Gustav Horns wurden
Verlustlisten angelegt, anhand derer das lebende Pfand für die
Rückgewinnung der Kunstkammer eingesetzt werden sollte. Doch auch dieser
Versuch schlug fehl. Statt dessen wandte Maximilian vermeintlich gleiche
Methoden wie in München auf die Kunstkammer in Stuttgart und auf die
Bibliotheken Tübingens an; die Ausbeute war jedoch nicht vergleichbar.
Unkontrollierte Plünderungen hatten die Kunstkammerbestände bereits
dezimiert, als der Übersicht halber ein erstes Inventar zur Stuttgarter
Sammlung angelegt wurde (16. Sept. 1634). Des weiteren hieß es mit dem
Kaiser teilen. In Tübingen war die Rechtslage leicht verschleiert worden,
der Übergabeartikel schloß einen Abtransport der
"fürstlichen
Liberei"
von vornherein nicht völlig aus. Immerhin konnte Maximilian die Frage der
Verteilung für sich entscheiden, da ein Schiedsspruch durch den
Reichshofrat ausblieb.
Nur selten und zumeist
unzureichend hatten die Beraubten noch Schutzmaßnahmen ergreifen
können. Die dringliche Aufforderung Friedrichs V. an seine Heidelberger
Räte, Archiv und Bibliothek zu retten, kam zu spät und war im Hinblick
auf die Bücherfülle auch gar nicht zu bewältigen. Maximilian
konnte nur geringe Teile seiner Kammergalerie retten. Und vom
württembergischen Haus kam nur die Herzoginwitwe, die mit ihren
Schätzen nach Straßburg floh, ungeschoren davon. Grundsätzlich
stand außer Frage, daß bei Gefahr Archive den absoluten Vorrang
hatten, da sie Besitzstände, Titel und Privilegien verbrieften. Aus dem
gleichen Grund hatten sie innerhalb des
Restitutions-"Ethos"
stets Priorität. Somit konnte der Herzog von Württemberg nur die
Rückgabe seiner Archive, nicht aber der Kunstkammer erwirken. Der
mühsame Neuaufbau einer Kunstsammlung konnte - je nach Motivation und
Mitteln - viele Jahre in Anspruch nehmen und bedeutete, wie im Falle Stuttgarts
oder Prags, wieder bei Null zu beginnen.
V.
Restitutionsforderungen des Westfälischen
Friedens
Dennoch wurde auf dem
Friedenskongreß ernsthaft versucht, klare Regelungen für die
Rückgabe kriegsbedingt verschleppter (Kultur-)Güter zu fixieren. Aber
auch den Rechtsgelehrten des Kongresses muß bereits bewußt gewesen
sein, daß an eine Erfüllung der jeweiligen Artikel nicht unbedingt zu
denken war.
Bereits Jahre vor dem endgültigen
Abschluß des Westfälischen Friedens wurden auf dem in Osnabrück
und Münster tagenden Kongreß ausdrücklich Restitutionen
gefordert. [23] Im April 1646 wurden als zu restituierende Mobilien
insbesondere Archive erwähnt, die aus der Gruppe von "andern Sachen" - dem
in feindlichem Gebiet Vorgefundenen - herausgehoben wurden. [24] Es wird
nicht ausdrücklich vermerkt, bleibt aber zu schließen, daß
diese "andern Sachen" sich u.a. aus kostbaren Kulturgütern zusammensetzten.
Im Juni legten die Kaiserlichen den Schweden ihr kurz zuvor ausgearbeitetes
Instrumentum Pacis vor, dessen Artikel XV die Restitution von Archiven
sowie "anderer
Mobilien"
fordert. In nur leicht verändertem Wortlaut schreiben § 110 des
Instrumentum Pacis Monasteriensis (IPM) sowie Artikel XVI § 15 des
Instrumentum Pacis Osnabrugensis (IPO) die Rückerstattung von Archiven,
literarischen Dokumenten und sonstigen Mobilien vor. [25] Es bliebe zu
überprüfen, ob bereits der den einzelnen Vertragsartikeln
vorangestellte Amnestie-Artikel (Artikel II IPO) [26] sowie Artikel IV
§ 56 IPO
dem nicht (wenigstens zum Teil) zuwiderliefen. Während der Amnestie-Artikel
im Sinne einer erweiterten Präambel das Ende aller Feindseligkeiten
beschwört und an die allgemeine Friedensbereitschaft appelliert, formuliert
Artikel IV konkrete Ausnahmen der Restitution. Güter, die beschlagnahmt und
"weitergegeben" wurden, können nicht mehr belangt werden. [27]
Diese realistische Einschätzung entsprach nicht nur häufiger
Beutepraxis, sondern könnte auch als Hintertürchen für
restitutions-unwillige Vertragspartner gedient
haben.
Der geplante Ablauf der Friedensexekution
sah vor, daß zwei Monate nach Unterzeichnung, d.h. am 24. Dezember 1648,
in Osnabrück und Münster die Ratifikationsurkunden ausgetauscht und
alle Truppen abgezogen oder aufgelöst werden sollten.
"Alle Archive und Kunstschätze sowie das Kriegsgerät, soweit es in den
Garnisonen bei der Einnahme vorgefunden worden war, wäre an Ort und Stelle
zu belassen." [28]
Der reale Verlauf war jedoch davon geprägt, daß diese Punkte bei
Abschluß des Friedensvertrages nicht deutlicher definiert wurden. Weder
die politischen und organisatorischen Voraussetzungen für die
Demobilmachung noch die alten Besitzverhältnisse waren klar definiert,
wodurch Restitutionen verschleppt und verschleiert werden konnten. Hinzu kam,
daß militärische Befehlshaber die Durchführungsvorschriften zum
Friedensvertrag vereinbaren sollten; gerade sie jedoch hatten ein vitales
Interesse an einer Verzögerung des Friedens. Ein entscheidender Faktor
für nur geringe Restitutionen dürfte ferner die Tatsache gewesen sein,
daß der Status fürstlicher Beute als privater oder staatlicher bzw.
Kronbesitz nicht klar geregelt war [29], des weiteren aber, daß
die Restitutionsforderungen so vielfältig und in so hohem Maße von
militärischen Belangen geprägt waren, daß Kunst innerhalb der
Bedeutungs- und Bedürfnis-Hierarchie zur vernachlässigbaren
Größe wurde (was Restitutionsforderungen wie jene Maximilians schon
während des Krieges nicht ausschloß). Wie schon die Hierarchie zu
restituierender Güter bei Gentili und Grotius deutlich macht, hatten
militärische und territoriale Restitutionen sowie die schwedische
Satisfaktion den Vorrang:
"Unmittelbar
nach dem Abschluß des Westfälischen Friedens war es für die
Zeitgenossen das wichtigste Anliegen, daß die fremden Armeen aus dem Reich
abgezogen und aufgelöst
wurden." [30]
Obwohl
der Westfälische Friedensschluß erstmals überhaupt Regelungen zu
Restitutionen festschrieb, gab er nach dreißig Jahren Krieg in diesem
Hinblick ganz offensichtlich nur eine unzureichende Handhabe für die
Friedensexekution. Einerseits stand für das Ende des Beutenehmens und den
Beginn von Restitutionen eindeutig der Zeitpunkt des Friedensschlusses im
Zentrum. Wie das Beispiel der Prag-Beute zeigt, war es andererseits aber
möglich, selbst zum Zeitpunkt des Vorfriedens und unter den Augen der
europäischen Mächte vereinbarte Grundregeln zu
ignorieren.
VI. Kunstraub vor dem Hintergrund
des Westfälischen Friedensschlusses - Die Prager
Beute
Mit 7000 Mann war Königsmarck im Sommer
1648 auf seinem Zug durch die Oberpfalz in Richtung Prag abgewichen und hatte am
26. Juli 1648 in einem Handstreich den Hradschin und die Kleinseite Prags
erobert. [31] Die Nachricht rief bei allen Beteiligten heftige
Reaktionen hervor: Am 5. August erhielt Christina die Erfolgsmeldung. Sie wandte
sich daraufhin in einem Schreiben unmittelbar an ihren Vetter, Pfalzgraf Karl
Gustav (schwedischer Oberbefehlshaber seit Oktober 1648), mit der Bitte, die
Prager Kunstschätze für die schwedische Krone zu reservieren. Ein
berühmt gewordener zweiter Brief - nun bereits Befehl - folgte. Fast
gleichzeitig, am 6. August 1648, wurde in Oxenstiernas Osnabrücker Residenz
der Schwedisch-Kaiserliche Vorfrieden geschlossen. Er enthielt das feierliche
gegenseitige Versprechen, die Vereinbarungen zu achten, als seien sie
unterzeichnet und gesiegelt. Damit waren aber noch nicht alle strittigen
Verhandlungspunkte ausgeräumt. [32] Bald darauf (am 5. September)
befahl Christina im genannten zweiten Brief Karl Gustav explizit, die
kostbarsten Stücke der ehemaligen rudolfinischen Sammlung, "trofaea och
monumenta", in Verwahrung zu nehmen. Die von ihr gewünschten Objekte
sollten moldau- und elbeabwärts bis nach Mecklenburg und anschließend
über die Ostsee transportiert werden. Königsmarck sei inzwischen
instruiert, sich persönlich, auch hinsichtlich der Logistik, um Archiv,
Bibliotheken und Kunstschätze zu kümmern. [33]
Aufschlußreich ist das Postscriptum, in dem die Königin ihr
persönliches Anliegen verrät,
"[...] denn
dies sind die einzigen Dinge unter allen Genüssen der Erde, die ich
wirklich liebe und die ganz nach meiner Zufriedenheit sind, so daß ich all
das besitzen möchte, was es an dergleichen Dingen
gibt." [34]
Militärisch
war der Schlag gegen Prag marginal, als Aneignungsversuch der dort aufbewahrten
Kunstschätze jedoch überaus attraktiv und, wie die Durchführung
bestätigt, erfolgreich. [35] Abtransportiert wurde nicht nur die
Schätze des Hradschin, sondern auch anderer Paläste des Prager
Burgbergs, wie z.B. die Bronzen im Waldstein-Garten und die bedeutende
Rosenberg-Bibliothek. Das geltende Ius belli wurde hier bis zur Neige
ausgeschöpft. Christinas herausragende Bildung erlaubte eine klare
Einschätzung des künstlerisch Wertvollen. [36] Die schon
legendäre Berühmtheit der rudolfinischen Sammlung trug das Ihre dazu
bei, Begehrlichkeiten zu wecken.
Dies alles hatte
auf die Verhandlungen, die der Unterzeichnung des Friedensinstruments folgten,
empfindliche Auswirkungen. Gemäß einem Brief Johan Oxenstiernas und
Adler Salvius' an Christina vom 1./11.Dezember 1648 war das Instrumentum
Pacis bereits zur Ratifikation eingeschickt. Nun aber hatten die
kaiserlichen Gesandten am Vorabend bei ihnen dagegen protestiert, daß die
schwedische Krone auch nach Friedensschluß und -verkündigung "einige
acta und mobilien aus der königlichen kunst- und schatzkammer zu Prage
abführen und wegnehmen laßen". [37] Dieser Vertragsbruch sei
rückgängig zu machen. Die schwedischen Gesandten gerieten mit den
kaiserlichen in Streit, wie der Restitutions-Paragraph zu Archiven und anderen
Mobilien (Artikel XVI IPO) auszulegen sei. Das Argument der Schweden, ihr
Vorgehen in Prag sei bis zur Restitution des Platzes rechtens, beantworteten die
Kaiserlichen mit der Aufforderung, Schweden möge seinen Abzug aus
Böhmen vorantreiben. Die Gesandten wollten nun aus Stockholm erfahren, wie
weiter zu entscheiden sei. [38]
Ein
Tagebucheintrag Franz Wilhelms von Wartenberg vom 10. Dezember 1648
bestätigt den Ernst der Lage aus der Sicht der Gegenseite. Laut Mitteilung
Cranes hatten die kaiserlichen Gesandten bei den schwedischen aus genannten
Gründen gegen den Abtransport schwedischer Beute protestiert. [39]
Die Schweden hätten daraufhin mit Verzögerungen bei der fristgerechten
Auswechslung der Ratifikationsurkunden gedroht und sich dabei auf ihren Trumpf,
die geforderte baldige Satisfaktion der schwedischen Armee,
bezogen.
Schon über einen Monat zuvor, Anfang
November, hatte der Kaiser durch Piccolomini unter anderem die Rückgabe der
gesamten schwedischen Beute aus dem Hradschin
gefordert. [40]
Desungeachtet kamen Ende
November 1648 die Prager Kunstschätze, Archive und Bibliotheken in der
Festung Dömitz an, wo sie zur Überwinterung eingelagert wurden. Am 20.
Januar 1649 gab Christina dem Kommandeur von Wismar Befehl, die Kunstwerke beim
ersten offenen Wasser über die Ostsee bringen zu lassen. Am 14. April
erreichten die Schätze, die Christina ein dreiviertel Jahr zuvor erbeten
hatte, Stockholm. Dem Theatrum Europaeum war dies - nachdem zuvor von
Abführung der Beute und einem legendären Überfall auf den Konvoi
berichtet worden war [41] - einen eigenen Eintrag wert:
"Kurz vor
Außgang deß Morgen/ ist die zu Prag eroberte Keyserliche
Kunst-Kam[m]er vnd Bibliothec/ mit samt dem Löwen/ [...] zu Stockholm wol
angelangt: in welcher Sachen Außpackung/ vnnd Disponirung derselben an
besondere Oerter/ man eyfferig im Werck
war." [42]
Somit
bildete die Prager Beute zwar einen Verzögerungsfaktor im
Verhandlungsgeschehen, blieb aber im Besitz ihrer Eroberer und konnte
ungehindert ausgeführt werden. Die militärische Präsenz Schwedens
in Böhmen wurde zum Recht auf Beute. Daß so zügig gehandelt
wurde, spricht für die gute Organisation der Transporte durch
Königsmarck. [43] Der Zeitpunkt von Vorfrieden und
Friedensschluß dürfte willkommener Antrieb zur Eile gewesen sein.
Daß die entführten Mobilien, mitsamt dem lebendigen Löwen,
jenseits der Ostsee ein für allemal für verloren gelten konnten, war,
so darf angenommen werden, auch den Beteiligten des Kongresses bewußt. Wie
schon oben vermerkt, hat wohl, insgesamt betrachtet, der umfängliche
Komplex militärischer Restitutionen, Satisfaktionen, territorialer
Ansprüche und vieles andere mehr die Detailfrage des Kulturgüter-Raubs
überrollt. [44]
VII. Kunstraub
ohne
Ende?
"...von
Kunstwerken, Raritäten haben die Materialisten... ziemlich
aufgeräumt" [45]:
Diese Aussage aus dem späten 19. Jahrhundert über den Raub der
Stuttgarter Kunstkammer schwankt zwischen Ironie und Resignation. Auch das 20.
Jahrhundert tut sich noch schwer, unemotional über sogenannte Beutekunst zu
handeln. Die aktuellen Debatten zeigen allzu deutlich, daß der alte
Mechanismus der ideellen Schädigung noch ungebrochen
weiterwirkt.
Die Konsequenzen aus der
Kunstwanderung des Dreißigjährigen Krieges sind weiterhin
spürbar, für die Geschädigten wie für die Gewinner: Die
Bibliotheca Palatina hörte mit ihrer Verschleppung auf, als Nukleus
Heidelberger Gelehrsamkeit zu existieren. Ähnliches gilt für die
rudolfinischen Kunstsammlungen in Prag. Wenngleich mit jedem Großtransport
über Wege, die durch halb Europa führten, manches auf der Strecke
blieb, so ist doch beachtlich, wie vieles sich gerade durch diese immensen
Verschiebungen erhalten hat. Was sich änderte, waren die Besitzernamen, die
Sammlungsschwerpunkte und somit die Identifikations- und
Repräsentations-möglichkeiten. Letztere waren aufgrund von Gustav
Adolfs und Christinas Entschiedenheit gerade für die Großmachtzeit
Schwedens prägend, das nun die späthumanistischen Forderungen nach
Hofkultur und Bildungseinrichtungen einlösen konnte. Mit Christinas
Erwerbungen und der Abwanderung der rudolfinischen Sammlung nach Stockholm
verschob sich ein ganzes kulturelles Zentrum nach
Norden.
Das schon bei Grotius und Gentili
formulierte Plädoyer für ein
"humanes"
Beutenehmen setzte sich erst im Laufe des folgenden Jahrhunderts allmählich
durch; damit ging zunehmend
"der
Respekt vor der natürlichen Bindung der Kunst- und Kulturwerte"
einher. [46] Diese
"natürliche"
Bindung ging letztlich auf im Konstrukt des
"nationalen"
Kulturguts. Dieses findet seit bald 200 Jahren seinen Ort in der Institution
Museum, das Teile der alten Identifikations- und Repräsentationsfunktionen
privater (adliger) Kunstsammlungen übernahm. Dies erklärt auch,
weshalb das Museum zum Wunschprojekt jener Potentaten avancierte, deren
Machtrausch auch bei Beutekunst keine Grenzen kannte; erinnert sei an das
Musée Napoléon, an Stalins Pläne für ein Museum der
Weltkunst in Moskau und nicht zuletzt an Hitlers verblüffend ähnlich
geartete Vorstellungen für Linz und Berlin. Letztere trieben die Absicht
ideeller Schädigung auf eine z.T. irreparable Weise auf die Spitze. Die
Folgen sind 50 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs Gegenstand sensibler
Debatten, die noch fortdauern dürften. Wenn das Verhandlungsobjekt Kunst
bzw. Kulturgut hierbei letztlich friedensstiftend wirkt, könnte sich der
Effekt des "alleradligsten Exercitiums" umkehren. Auflösen lassen wird sich aber das Verhältnis zwischen Identifikation und Konfliktstoff letztlich
nicht. [47]