DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa |
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Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur |
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KLAUS GARBER
Pax pastoralis - Zu einer Friedensgattung der europäischen Literatur |
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Die europäische Literatur war bis in
das 18. Jahrhundert hinein ein wohlgepflegter Garten. Die Gewächse hatten
ihren angestammten Platz. Es gab königliche und domestike Pflanzen. Und
niemand wäre auf die Idee gekommen, sich an solchen zu vergreifen, die
einem nicht zustanden. In der Sprache der Literatur heißen solche Blumen
Gattungen. Sie regulierten über mehr als zwei Jahrtausende den Prozeß
der literarischen Kommunikation. Er verlief in festen Bahnen, die jedem bekannt
waren, der sich an dem Spiel beteiligte. Und er betraf keinesfalls nur Formalia.
Mit der Wahl der Gattung waren stilistische und gedankliche Tonlage, Art des
Sprechens und Form des Denkens immer zugleich vorgegeben. Erst die
Literaturrevolution des 18. Jahrhunderts hat diese Vorgaben verabschiedet. Sie
postulierte das einsame, seine Regeln sich selbst gebende, aus einem
unverwechselbaren Ich schöpfende Genie, das ein einmaliges und
unverwechselbares Werk zeuge. Nachdem das Bild des geoffenbarten Gottes in den
konfessionellen Streitigkeiten ins Zwielicht geraten war, schickte sich der
Künstler als second maker an, seine Stelle einzunehmen. Der Weg zur
Kunstreligion und zur Kunstgemeinde war von dort nicht weit. Das 19. Jahrhundert
hat ihn hundertfach beschritten; das 20. auch in seinem Zeichen die
wahnwitzigsten Verbrechen kaschiert...
Die
Hirtendichtung gehört auf der Stufenleiter der europäischen Literatur
zu den niederen Gattungen. Sie verweigert sich dem genus grande, dem
epischen Gestus. Und das ganz bewußt schon bei ihrem Begründer. Als
Theokrit - neben Kallimachos der größte Dichter der hellenistischen
Epoche - erstmals Hirtenlieder schrieb, geschah dies in dem Willen, der
Literatur neue, unverbrauchte Stoffe zuzuführen. Sie sind ein Produkt nicht
der Früh-, sondern der Spätzeit, und also mit allen Raffinessen einer
ans Ende gelangten Kunstübung versehen. Wenn Hirten in ihren
Wettgesängen, in ihren Eitelkeiten und Sticheleien den Hexameter im Mund
führen, der dem homerischen Epos und dem pindarschen Preislied vorbehalten
war, dann nimmt die Bukolik den Charakter einer Travestie an. Nur ein geschultes
Publikum vermag sich an dem subtilen literarischen Spiel zu erfreuen. Für
ein solches an den Höfen von Alexandrien und Syrakus wurde es ersonnen.
Diese Raffinesse hat die Gattung bewahrt. Eben das macht sie geeignet, Forum und
Organon höchster Gedanken und Ansprüche zu
werden.
Der Nachfolger Theokrits und
größte Dichter der Römer, Vergil, hat sie zu diesem Rang
erhoben. Wieder erscheint die niedere Hirtendichtung in Opposition zum hohen
Epos. Nun aber so - und unendlich folgenreich! -, daß sie sich nicht
länger scheut, das epische Thema als ein nationales zu übernehmen und
dem geringfügigen Sujet des Hirtenlebens zu integrieren. Dem hohen Genre
der europäischen Literatur ist es aufgetragen, den heldenhaften Weg der
Selbstfindung einer Nation zu besingen. Dafür steht Homer bei den Griechen,
Vergil mit seiner Aeneis bei den Römern ein. Der Hirtendichtung aber ist es
vorbehalten, das heldische Thema im unteren, niederen, eben pastoralen Milieu zu
umspielen. Das aber heißt nichts anderes, als dem Prozeß der
Geschichte seinen Sinn und sein Ziel zu bezeichnen. Mit dieser Lizenz
ausgestattet, vermochte die niedere Gattung ebenbürtig neben die hohe zu
rücken. Ihr waren Dinge zu sagen erlaubt, die der hohen versagt blieben.
Derart hat die Hirtendichtung einen dem Epos komplementären Platz
eingenommen und war in dieser Funktion nicht nur geadelt, sondern unersetzlich.
Bis in die Zeit Goethes begleitete sie die hohe Dichtung als ihr beredter und
hintergründiger Dolmetscher.
Vergils zehn
Hirtenlieder fielen in die Zeit der Bürgerkriege in der untergehenden
Republik. Der Aufstieg der Kaiserherrschaft zeichnete sich bereits ab. Der Stern
des Augustus war im Aufgehen begriffen. Indem Vergil diese welthistorischen
Tendenzen seinen Gedichten einschrieb, hob er sie weit über den von
Theokrit vorgegebenen Horizont heraus. Krieg heißt Leid, symbolisch
vergegenwärtigt im vertriebenen, verstörten, heimatlos daherirrenden
Hirten der ersten Ekloge - ein literarischer Archetypus bis an die Schwelle des
20. Jahrhunderts, da das alte, mehr als zweitausendjährige Europa politisch
wie kulturell versank.
Uns aber treiben sie
fort zum Strand der dürstenden Afrer,
Fern
zu den Scythen hinaus, zum reißenden Sturz des
Oaxes,
Zu den Britannen, die ganz vom Rund der
Feste getrennt sind;
Ah, so gewahr ich
dereinst, vielleicht nach Jahren, die Heimat,
Schaue des Weilers Dach, von dürftigem Rasen
geschichtet,
Mein alt Reich, und wundere mich
der wenigen Ähren?
Wie? Ungläubigen
wird mein Fleiß, barbarischen Söldnern
Saat und Acker zuteil? Hat dies unselige
Zwietracht
Über die Bürger
vermocht?
Seither hat die Hirtendichtung nicht
aufgehört, die politischen Katastrophen in sich aufzunehmen, Anwalt und
künstlerischer Stellvertreter der geschundenen Menschen zu sein. Auch darum
blühte sie niemals üppiger als in der Zeit der konfessionellen und
nationalen Kriege zwischen 1550 und 1680 in
Europa.
Zugleich aber ist Hirtendichtung seit
Vergil ein literarischer Ort, in dem Auswege aus der Krise gesucht, Zeichen der
Hoffnung erkundet und aufgerichtet werden. Hirtendasein ist musisches Dasein.
Schon bei Homer sind schalmeienblasende Hirten bezeugt. Der Musengott Apollo mit
der Leier ist auf Delos auch Hirte gewesen. Im Bündnis mit den Musen ist
die sagenhafte Gestalt des Sängers Orpheus. Sein Gesang befriedet Mensch
und Natur. Alle diese und viele andere mythische Überlieferungen flocht
Vergil seinen Eklogen anspielungsreich ein. Im musischen Hirten ist symbolisch
verkörpert, was der Mensch zu sein vermöchte, wenn er Herr würde
über seine Aggressionen, abließe von Vernichtung und Haß,
freundlich sich und seinem Nachbarn gesinnt wäre, die Natur einbezöge
in sein Dasein, eben friedensbereit und friedensfähig würde. Auch
diese Vision besitzt ihre archetypische Gestalt in der ersten Ekloge Vergils,
die Generationen über Generationen lesend, lernend, nachahmend
begleitete: Tityrus, unter dem Dach der
schattigen Buche gelagert,
Pfeifst du, dir
selber zur Lust, auf geschnittenem Halme dein
Waldlied;
Wir aber wandern, wir fliehn der
Heimat holde Gebreite,
Fliehen das Heimatland.
Du, Tityrus, lässig im Grünen,
Lehrest den horchenden Wald Amaryllidis Namen
erwidern.
Zwei Hirten also, der gehetzte Meliboeus
und der mußevoll die Hirtenflöte blasende Tityrus aus Vergils erster
Ekloge, stehen am Beginn der Hirtendichtung Europas. Wenn sie Tausende von
Nachfolgern hatten, so deshalb, weil sie ihr Schöpfer transparent gemacht
hatte für die großen geschichtlichen Bewegungen seiner Zeit. Kunst
überdauert paradoxerweise die Zeit in dem Maße, wie sie erfüllt
ist von Zeit, von Erfahrung der Geschichte. Zerrissenheit soll nicht das letzte
Wort behaupten. Tityrus, der Verschonte, weiß sich als ein
Beschützter. In ihm ist zukünftiges Leben vorweggenommen. Wenn der
Kaiser, wenn Oktavian den Bürgerkrieg beendet hat, wird eine Zeit des
Friedens anbrechen. Dieser Friede ist in der friedfertigen Gestalt am Eingang
des Eklogenbuchs symbolisch bedeutet. So wie der eine Hirt Opfer und
Repräsentant des alten Zeitalters der Bürgerkriege ist, so der andere
Geretteter und Repräsentant der Friedenszeit. Friede war für den
Römer nur als politischer denkbar. Er war für Vergil gebunden an den
Alleinherrscher, den Caesar-Imperator. Die Problematik des Augusteischen
Modells, das Vergil wesentlich mitgeformt hat, liegt auf der Hand.
Republikanische Aspirationen sind ihm fremd. Die Republik hatte sich
erschöpft. Anders als Horaz hat ihr Vergil kein Denkmal gesetzt. Dafür
verpflichtete er den siegreichen Augustus in seinen drei weltliterarischen
Schöpfungen, den Bucolica, den Georgica und der Aeneis, auf die Wahrung von
Frieden. Im Zeichen der Pax Augustana ist die Hirtendichtung literarisch in die
Welt getreten und hat weltliterarische Karriere gemacht. Ihre große,
Europa umfassende wissenschaftliche Rekonstruktion steht bis heute
aus.
Auch am Beginn der neueren Hirtendichtung
steht ein erlauchter Name, derjenige Dantes. Niemand in der europäischen
Literatur hatte mehr Veranlassung, die niedere Gattung, das genus humile,
wieder aufzunehmen. Dante ist der Schöpfer und der Theoretiker einer
volkssprachigen Literatur einschließlich der Sachprosa. Er hat sich sein
Wissen als Laie erworben, und für Laien, für Lateinunkundige
wünschte er zu sprechen und zu dichten. Freigebig wollte er beitragen zur
Bildung, zum Umlauf von Wissen im Volk. Der niederen Gattung der Hirtendichtung,
der Ekloge, vertraute er verschlüsselt dieses volkssprachige Programm an.
Damit stellte er sicher, daß der unscheinbaren Literaturform die
großen zeitbewegenden Themen an der Schwelle zur Moderne erhalten blieben.
Seine beiden berühmten Nachfolger, Petrarca und Boccaccio, haben das
päpstliche Schisma, die Korruption der Kurie, die desolate politische
Situation Italiens und ungezählte andere Fragen in ihren
Eklogenbüchern behandelt. Sie konnten und durften dies, weil der Hirte der
Literatur als 'Sänger' die Rolle des Dichters vertrat, immer also schon
mehr und anderes war als schlichter Hüter seiner Tiere. Die gesamte Schar
der europäischen Humanisten spielte mit. Kein Ereignis, das nicht bukolisch
chiffriert Eingang in die Literatur fand. Darum ist die Hirtendichtung in der
Nachfolge Vergils zeitbezogene, zeitkritische, immer also auch Alternativen
erkundende Dichtung geblieben.
Als solche kam ihre
große Zeit in den modernen, den römischen wahrhaft ebenbürtigen
Bürgerkriegen. Den Auftakt in Deutschland hatten die Bauernkriege gebildet.
Das Los der Entrechteten und Entwürdigten war ein genuiner Vorwurf für
die Hirtendichter. Eobanus Hessus, Euricius Cordus, Joachim Camerarius und wie
sie hießen waren zur Stelle, um das mit der Reformation so eng verwobene
politische, soziale und menschliche Drama schäferlich zu verarbeiten.
"Friede den Hütten" lautete schon hier mehr als einmal die Parole. Alsbald
aber sprang der Funke mit der Militarisierung der Konfessionen seit der Mitte
des 16. Jahrhunderts auf Europa über. Frankreich, die Niederlande,
Deutschland, schließlich England gerieten in Brand, und überall stand
die eben erst geborene Nation zeitweise vor der Auflösung. Wir haben
bislang keine Darstellung, die uns im einzelnen zeigte, wie die gleichfalls
soeben geborenen nationalen Literaturen Europas auf diese europäische
Katastrophe reagierten. Entsprechend fehlt uns auch eine Geschichte der
Hirtendichtung im konfessionellen Zeitalter, die uns den ganz unverwechselbaren
Beitrag gerade dieser Literaturform schilderte. Alle Großen, ob Ronsard
oder du Bellay in Frankreich, Spenser und Sidney, Shakespeare und später
Milton in England, Heinsius und Vondel in den Niederlanden ergriffen die Form,
um das unfaßbare Geschehen literarisch anschaubar und deutbar zu machen.
Nicht zu zählen sind die Friedensrufe und Friedensentwürfe, die sich
gerade an diese Gattung hefteten. Und wo die Staaten vor der konfessionellen
Zerreißprobe bewahrt wurden wie in Italien oder Spanien, da waren es
wiederum die Größten, ein Sannazaro und Pontano, ein Tasso und
Guarini in Italien, ein Lope de Vega und Calderón, ja noch der Dichter
des Don Quijote selbst, welche die Erschütterungen, die mit dem Verfall des
Glaubens und der Spaltung der Christenheit im 16. Jahrhundert mit ungeahnter
Wucht in die Welt traten, im schäferlichen Bild und Diskurs aufzufangen
suchten.
Deutschland trat verspätet in den
Kreis der nationalsprachigen Völker ein. Erst um 1600 regen sich tastende
Versuche. Doch geschah dies nicht, ohne daß nicht von Anfang an die
Hirtendichtung dabei gewesen wäre. Sie war unverzichtbar geworden, sobald
es um die substantiellen Anliegen der Nation ging. Georg Rudolf Weckherlin
erneuerte die Gattung aus dem Geist der französischen Renaissance. Noch
einmal lagen Glanz und Zauber menschlicher Erfüllung über ihr, bevor
die Blüte alsbald mit dem Ausbruch des Krieges welkte und der Dichter
auswich aus dem heimatlichen Württemberg nach England, um nicht
wiederzukehren. In der prachtvollen Heidelberger Residenz versuchte sich ein
geistig Verwandter an dem Genre, Julius Wilhelm Zincgref. Und im literarisch so
fruchtbaren Dreieck zwischen Straßburg, Mömpelgard und Basel
entstanden die ersten großen Übersetzungen der musterbildenden Werke
der Romania.
Alle Fäden aber raffte der
geniale Literaturstratege Martin Opitz zusammen und versorgte ein ganzes
Jahrhundert mit Anregungen. Der neulateinischen Ekloge vertraute er in der
Jugend seinen dichterischen Selbstanspruch an und umwarb die Großen seiner
Zeit als Mäzene der Dichter und Beschützer der neuen Dichtung. Der
pastoralen lyrischen Liebesdichtung versagte er sich nicht, nutzte sie aber
gleichfalls zum Aufputz des Eros zähmenden, die Affekte klug regulierenden
Liebenden. Der mußevollen gelehrten Existenz im Umkreis
verständnisvoller Gönner und Förderer weihte er in der Nachfolge
des Horaz seine Landgedichte. Die großen Formen Roman und Drama bzw. Oper
machte er übersetzend heimisch. Der Zukunft aber gehörte
schließlich doch das selbstgestrickte erzählende Juwel, locker
gefügt aus Gedicht und Prosa und nochmals weit geöffnet für den
Dichter und seinen Freundeskreis, nicht anders als die politische Gegenwart, in
der sie sich zurechtzufinden und zu bewähren haben. "Schäferei von der
Nymphe Hercinie" heißt die kleine, 1630 erschienene Erzählung, die
Epoche machte und Hunderte von Nachfolgern überall im deutschen Sprachraum
fand. Hart an der Grenze zu Böhmen spaziert da der Dichter im heimatlichen
Riesengebirge um Warmbrunn mit den gleichfalls sangesfreudigen Kollegen,
aufgelegt zu Scherz und Gespräch, Lied und Rätsel, biographischem
Einsprengsel und Huldigung der adligen Herrschaft am Ort. Über allem aber
liegt der Ernst des im nahen Böhmen ausgebrochenen Krieges, der auch des
Dichters Leben modelte, seinen verheißungsvollen Beginn in Heidelberg
jäh beendete und ihn auf ungewisse Wanderschaft und oftmals verzweifelte
Suche nach Brot im Dienst der immer wieder wechselnden adligen Gönner
verwies. Ist jenes dann das feldt, liegt da
hinein das landt,
Wo vnlengst eine glut so hoch
ist auffgebrandt,
Darvon wir schäffer auch
bey vnserm Reine,
Sindt worden angesteckt? wir
saßen vor im weine,
Das vieh gieng in das
graß biß an den bauch hinein;
Jetzt
sehen wir den krieg für schaffe, blut für
wein.
Das ist das Bild des Krieges, wie es sich in
der Pastorale flektiert. Im benachbarten Genre des Epos, dem "Trostgedichte in
Widerwärtigkeit des Krieges", leuchtet es greller auf, stets aber wird der
Gegensatz zu den Greueln gemäß dem Gesetz der Gattung
gegenwärtig gehalten. Wo Tityrus vorhin
im Schatten pflag zu singen,
Vnd ließ von
Galathee Wald, Thal vnd Berg erklingen,
Wo
vor das süsse Lied der schönen
Nachtigal,
Wo aller Vogel Thon biß in
die Lufft erschall,
Ach! ach! da hört man
jetzt die grawsamen Posaunen,
Den Donner und
den Plitz der fewrigen Carthaunen,
Das wilde
Feldgeschrey: wo vormals Laub vnd Graß
Das Land vmbkrönet hat, da ligt ein faules
Aas.
In der Unruhe und Ungewißheit war die
kleine, rasch hingeworfene Skizze vom Typ der Hercinie gefragt. Keiner der
Großen verschmähte sie, ob Gottfried Finckelthaus in Leipzig oder
David Schirmer in Dresden, Paul Fleming hoch oben im baltischen Reval oder
Philipp von Zesen in Hamburg, Michael Kongehl in Königsberg oder Daniel
Czepko in Schlesien. Zur Manie aber, zur literarischen Mode für zwei
Generationen wurde die Schäferei erst im Kleinod des Heiligen
Römischen Reiches Deutscher Nation am Ende des Krieges, in Nürnberg.
Ein literarischer Zirkel nahm selbst einen pastoralen Namen in dem Pegnesischen
Hirten- und Blumenorden an. Krieg und Frieden waren noch einmal die alles
beherrschenden Themen auch bei ihnen, dargeboten in einer Sprache, die sich
binnen einer Generation zu höchster Virtuosität und Raffinesse erhoben
hatte. Und noch einmal bewährte sich der jahrhundertealte allegorische
Mechanismus der Gattung. Denn was ist die "melancholische Schäferin Pamela"
anderes als Repräsentantin des zerrissenen, vom Krieg überzogenen,
verzweifelt den Frieden ersehnenden Deutschlands?
Es schlürfen die Pfeiffen, es würblen die
Trumlen,
Die Reuter und Beuter zu Pferde sich
tumlen,
Die Donnerkartaunen durchblitzen die
Lufft,
Es schüttern die Thäler, es
splittert die Grufft,
Es knirschen die
Räder, es rollen die Wägen,
Es
rasselt und prasselt der eiserne Regen,
Ein
jeder den Nechsten zu würgen begehrt,
So flinkert, so blinkert das rasende Schwert.
Ach wer wird mir Ruhe schaffen,
Wann die
niemals müde Waffen,
Wüten
mit Nahm / Raub und Brand,
In des
Kriegers Mörderhand.
Welche meine
Schmertzenflamme
Treiben, sind vom
Teutschen Stamme:
Kein Volk hat mich
nie bekriegt
Und den Meinen
obgesiegt.
Sehet an die freyen
Anken,
Welche man heut nennet
Franken,
Haben sie der Galljer
Kron
Nicht erhaben in den
Thron?
Sehet an der Gothen
Ahnen,
Kennet ihr die
Löwenfahnen?
Sind sie nicht von
alter Zeit
Von der Teutschen
Adelheit?
Wie kan dann die
Drachengallen
Unter Nahgesipten
wallen?
Wie hat doch der Haß
forthin
Gantz durchbittert ihren
Sinn?
Meine Söhne,ihr seyd
Brüder,
Leget eure Degen
nieder!
Schauet doch mein
Mutterherz
Threnen, ob dem
Heldenscherz!
Last ihr euch nicht erbitten
erbitterte Brüder?
Sind das dann
Freundesitten vereinigter Glieder?
Mein
Bitten ist ümsunst,
Umsonst ist
alles Bitten,
Die hohe
Kriegesbrunst
Läst sich nicht so
entschütten.
Sie flammet
liechterloh,
Geschwinder als das
Stroh,
Die Zehren fliesset
ab
Und gräbt der Städte
Grab.
Sol dann mich, mich Mutterland / meiner
Söhne Schand beflekken?
Und als eine
Mördergrub mit verruchter Greul bedekken?
Muß ich dann zum Raube werden, als des Krieges
Jammerbeute,
Und zwar nicht durch fremde
Waffen, sondern meiner Landesleute.
Ihr nicht
so meine Söhn, erweichet euren Sinn,
Bedenket wer ihr seyd und wer ich Arme bin.
So
war es kein Zufall, sondern in einem höheren Sinn Erfüllung der
Pastorale auf deutschem Boden, wenn das Ende des Krieges und die Feier des
endlich gekommenen Friedens festlich und also selbstverständlich pastoral
in und vor den Mauern der ehrwürdigen alten Reichsstadt ausklang. In der
klangmalenden, bilderreichen, sinnbildhaften Sprache der Nürnberger
Friedensfeiern hat die eben erst geborene deutschsprachige Literatur zugleich
bereits ihren Zenit
erreicht.
LITERATUR
a) Quellen: Vergil 1952; Opitz 1969; Opitz 1968a, Harsdörffer/Birken/Klaj
1966
b) Wissenschaftliche Literatur:
Böschenstein 1977; Effe/Binder 1989; Faber 1976; Garber 1974; Garber 1976;
Garber 1982; Garber o.J.; Gerhardt 1950; Jürgensen 1990; Krautter 1983;
Lohmeier 1981; Longeon 1980; Mähl 1994; Newman 1990; Voßkamp 1977;
Wade 1990.
© 2001 Forschungsstelle "Westfälischer Friede", Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, Domplatz 10, 48143 Münster, Deutschland/Germany. - Stand dieser Seite: 2. Mai 2002