DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur |
WOLFGANG HARMS Das illustrierte Flugblatt als meinungsbildendes Medium in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges* |
Das Flugblatt ist neben der mehrblättrigen Flugschrift und der periodisch erscheinenden Zeitung ein wichtiger Bestandteil der Publizistik in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Es handelt sich um ein einseitig bedrucktes Einzelblatt, das oft wegen des Blickfangs und der besseren Aussagedifferenzierung mit Graphiken versehen ist, relativ schnell herstellbar und auch für breitere Schichten nicht unerschwinglich ist. Mit der Wahl unterschiedlicher ästhetischer Mittel in
Wort und Bild können sehr verschiedene Ansprüche und Fähigkeiten
der einzelnen Teile des Publikums erreicht werden. Das Flugblatt nimmt in der
Regel in seinen Voraussetzungen und Zwecken auf eine historische Situation Bezug
und wendet sich hierbei oft appellartig an den Leser. Dadurch wird besonders
hinsichtlich der Einstellung zu gegenwärtigen Ereignissen eine
meinungsbildende Wirkung erzeugt.
Die Publizistik,
die sich in den Jahren 1619 bis 1621 für Friedrich V. von der Pfalz als
König von Böhmen eingesetzt hat, wird bereits im Jahre 1621 zum Ziel
öffentlicher Kritik.
Das illustrierte
Flugblatt "Ambassador des Lucifers" [1], das seinen eigenen parteilichen
Standort - eher lutherisch als katholisch - nicht preisgibt, weist am Beispiel
der calvinistischen Publizistik auf Mängel des gesamten politischen
Nachrichtenwesens der Zeit hin. Dabei wird erkennbar, daß die einzelnen
hieran beteiligten Medien terminologisch nicht unterschieden werden, daß
also ein Interesse daran, zwischen Zeitung, Flugblatt und Flugschrift zu
differenzieren, zunächst noch gering war. Eher unterschied man nach
inhaltlicher und formaler Vorgehensweise, etwa zwischen dem verunglimpfenden
"Pasquill" oder "Famoslibell" einerseits und Neuigkeiten referierenden
"Zeitungen" (Flugblättern oder Zeitungen) andererseits. Es handelt sich um
einen Medienverbund, in dem die einzelnen Teile nach und nach Funktionsteilungen
vornahmen und dabei zu anderen Medien (z.B. Lied und Theater) die Grenzen
offenhalten konnten.
Dieser Verbund ist angesichts
der Vielfalt der Publikationen zum böhmischen Teil des
Dreißigjährigen Krieges auf eine erste große Probe gestellt:
Neben den etablierten Formen der Flugschrift mit ihrer Möglichkeit zu
breiterer Argumentation und Dokumentation für ein lesegewohntes Publikum
und dem meist illustrierten Flugblatt mit seinen unmittelbar wirksamen
appellativen und situationsbezogenen Möglichkeiten hat sich spätestens
seit 1605 die periodisch erscheinende Zeitung gesellt. Diese konzentriert sich
in ihren ersten Jahrzehnten auf beschreibende, weitgehend auf parteiliche
Wertung verzichtende Information über Ereignisse, unter denen wiederum
politische und militärische dominieren. Andere Ereignisse (z.B.
Naturkatastrophen) sind dort eher nur im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf
Wirtschaft und Kriegsführung Gegenstand von
Nachrichten.
Es ist nun bezeichnend, daß das
illustrierte Flugblatt der publizistische Ort ist, an dem die Schwächen
dieses Medienverbunds diskutiert werden. Die Tatsache, daß
unzuverlässige Nachrichten publiziert worden sind, wird moralisch als
menschliche Entgleisung ("Lügn in folio") und als Nähe und
Beeinflussung durch den Teufel gebrandmarkt; beide, die unzuverlässigen
Journalisten und der Teufel, hätten dasselbe Ziel, die einfache Leserschaft
mit unglaubwürdigen, aber interessant erscheinenden Nachrichten in die Irre
zu führen ("die armen Leute zubethören"). Mit der Behandlung dieses
Themas durch diese Erklärung stehen auch erste, in Buchform
geäußerte theoretische Äußerungen im Einklang - so etwa
die 1676 formulierte Kritik des Publizistiktheoretikers Ahasver Fritsch an dem
Vergnügen, "Neue Zeitungen zu erfinden und durch deren wahllose Verbreitung
besonders einfache Menschen zu täuschen", was als Sünde gegenüber
Gott, dem Staat und den Nächsten zu werten sei. Kaspar Stieler stimmt in
seiner historisch, theoretisch und praktisch ausgerichteten Monographie von 1695
über das Nachrichten- und speziell das Zeitungswesen diesen und weiteren
Bemerkungen Fritschs zu, wonach ein unzuverlässig informierender Journalist
nicht damit entschuldigt werden könne, daß "die Welt wolle betrogen
seyn" und daß eben auch auf die sensationslüsterne Form der Neugierde
im breiten Publikum eine Mitschuld entfalle. Stieler verlangt vom Journalismus
ein hohes Maß an Quellenkritik und damit an Zuverlässigkeit der
Information; er sieht insbesondere die Zeitungen als Instrument der Vermehrung
verläßlichen Wissens an und gibt nur am Rande zu, daß die von
Tag zu Tag aus Zeitungslektüre entstehende "Klugheit" je "nach der Sachen
Lauf" nichts Konstantes ergebe, sondern von Tag zu Tag auch wieder "eine andere
Klugheit" angenommen werden müsse, die ihre Vorstufe "wiederlegen / ja
verdammen" müsse. Diesen Wandel in der Einschätzung vorausgegangener
und vorliegender neuer Nachrichten angemessen einzuschätzen, fällt mit
Beginn des Dreißigjährigen Krieges immer regelmäßiger dem
illustrierten Flugblatt zu, das zugleich mehr und mehr die ältere Aufgabe
der Primärinformation aufgibt. Wenn in dem Blatt "Einred vnd
Antwort" [2] von etwa 1621 in Bild und Text 11 Flugblätter aus den
unmittelbar vorausgegangenen zwei Jahren des böhmischen Krieges zitiert und
ihre Inhalte werbend empfohlen werden, so wird der Leser auf eine parteiliche
Serie von kommentierenden Wertungen einzelner Ereignisse hingewiesen.
Sämtliche 12 Blätter richten sich gegen Friedrich V. von der Pfalz und
rechnen mit Verständnis beim "gmain Mann", mit dem etwa der lesefähige
Teil des Publikums außerhalb des Bereichs der Regierenden gemeint ist. Es
soll also eine Nachdenklichkeit bei diesem Publikum nicht durch Neuigkeiten der
ersten Information, sondern durch Perspektivierungen wertender Art erzeugt
werden, die überzeugend erscheinen, aber nicht unparteiisch sein
wollen.
Dieser breite Adressatenkreis, den das
illustrierte Flugblatt mit Kommentaren zu Zeitereignissen politischer Art zu
erreichen versucht, kann im Blatt selbst als ein Identifikationsangebot
vergegenwärtigt werden. Ein undatiertes Blatt, das bereits den Beginn der
Geldentwertung der Kipper- und Wipperzeit voraussetzt und daher wohl um 1622
erschienen ist ("Stachlichte Donnerdistel" [3]), zeigt das redende Ich
des Blattes als "arm Mann", der einst wohlhabend war, "Kauffleut / Burger vnd
Bawerßmann "als seinesgleichen ansah und sich mit ihnen zum "gmeinen Mann"
zählte, nach wie vor Respekt vor der Obrigkeit hat, aber angesichts seiner
Verarmung sich genötigt sieht, sich durch Raub am Leben zu erhalten. Hier
wird eine Kommentierung des wirtschaftlichen Niedergangs der Gegenwart aus der
Sicht eines redlichen, aber zu unrechtem Handeln gezwungenen Zeitgenossen
vorgenommen, der selbst die Zielgruppe dieses Blatts verkörpern
dürfte. Diese Perspektivierung könnte auch anderen Lesern, etwa den
Repräsentanten des Staates oder Angehörigen anderer Stände, zu
denken geben, aber die eigentliche meinungsbildende Leistung des Blattes liegt
in der sonst raren öffentlich zugänglichen Artikulation der Notlage
von Angehörigen der niederen, neuerdings verarmten Stände. In
vergleichbarer Weise stellt sich auch ein anonymer, ebenfalls keinem Territorium
und keiner Konfession zugeordneter "Gemein Mann" auf dem Flugblatt "CVRRVS
CVRSVS MVNDI" [4] dar. Er steht als wehrloses Opfer widerstreitender
Mächte in einer in Unordnung befindlichen Welt. Daß das Blatt neben
einem auf einfache Weise eine plausible Klage darlegenden deutschen Text auch
einen anders akzentuierenden, anspielungsreichen lateinischen aufweist, zeigt,
daß es deutlich auch unter gelehrten Lesern und damit potentiell auch im
Umkreis der Herrschenden die Adressaten seiner Vorwürfe und Ratschläge
sucht.
Eine Beziehung zwischen einer bestimmten
politischen Situation und der Abgehobenheit des Handelns der politisch
führenden Personen einerseits und der ohnmächtigen Situation und
Perspektive derer, die sich als bloße Objekte der Mächtigen verstehen
andererseits, machen zwei Blätter in Wort und Bild anschaulich: Das
niederländische Blatt "Het Vorstlijck Raffel-spel om
Schencken-Schants" [5] von 1636 stellt aus der protestantischen Sicht
eines bestimmten Territoriums die europäischen Mächte als Spieler
eines Würfelspiels dar, in dem es derzeit um das Gewinnen der
Schenkenschanze bei Kleve geht. Die Potentaten äußern sich zu ihren
Chancen in der Auseinandersetzung, die die Grenzen zwischen Spiel und Politik
verwischt; nur die Bauern, die unter dem Spieltisch verborgen liegen, sich von
allen anderen bedrängt sehen und klagend nach Rache rufen, erhalten weder
Antwort noch Unterstützung. Ähnlich legt das nach 1643 verfaßte
Blatt "Groß Europisch Kriegs-Balet" [6] mit seinem Bildfeld den
Verdacht nahe, daß im politischen Geschehen Europas
Verantwortungslosigkeit und Ziellosigkeit herrschen; wie beim Spiel um die
Schenkenschanze sind die Potentaten hier beim Tanz unter die Perspektive derer
gerückt, die unter den Zeitumständen leiden und vergeblich nach einem
verantwortungsvollen Politiker suchen, der sich ihrer Not annimmt. In beiden
Fällen führt allein schon die Wahl dieser Perspektive zu einem
ungewohnten Kommentarinhalt, wie er sich in Zeitungen der Zeit so nicht findet.
Auch im illustrierten Flugblatt ist unter seinen vielen parteilichen
Kommentierungen die Wahrnehmung der Sicht der Machtlosen eher die Ausnahme;
dennoch gewinnt dieses Medium eine Möglichkeit, das Spektrum der
artikulierbaren Positionen zu erweitern, und macht so jenseits aller Haupt- und
Staatsaktionen auch den normalen, in seinem Selbstverständnis schwer
dokumentierbaren Zeitgenossen vorstellbar. Dies gilt wie im politischen Bereich
so auch hinsichtlich der konfessionellen Auseinandersetzungen: Das wohl um 1619
erschienene Blatt "Geistlicher Rauffhandel" [7] stellt den handgreiflich
streitenden Repräsentanten der drei Konfessionen - Papst, Luther und Calvin
- die Hoffnungen der "Einfalt" gegenüber, die in Gestalt eines betenden
Schäfers für die Gesamtheit der christlichen Zeitgenossen
außerhalb der politischen und konfessionellen Führerschicht steht; im
Sinne des längst vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges
einsetzenden Irenismus wird dem Konfessionsstreit eine Absage erteilt und als
wichtigere Aufgabe die Suche nach den Gemeinsamkeiten im Sinne des
Urchristentums erkannt.
Zu breiter Kritik an der
Obrigkeit selbst stiftet das Flugblatt in seinen parteilichen Darstellungen auch
dann nur selten an, wenn es um einen Monarchen der politischen Gegenseite geht.
Die vernichtend spöttische Kritik an Friedrich V. von der Pfalz als
König von Böhmen ist ein seltenes Gegenbeispiel. Wenn Kritik am Kaiser
intendiert ist, dann wird nicht er selbst, sondern seine Ratgeber (Jesuiten)
oder Heerführer angegriffen. Dann allerdings zögert die persuasive
Rhetorik des Flugblatts nicht, Feindbilder negativster Konnotation zu erzeugen,
nicht zuletzt mit einer konkret in Bild und Text vorgenommenen Verteufelung des
Gegners.
Die Artikulation sich bildender Meinungen
oder erste Schritte auf dem Wege zu künftigen Meinungen leistet das
illustrierte Flugblatt gelegentlich auch innerhalb von Machtzentren. Das in
schwierigem Latein verfaßte, im Text hochartifiziell gestaltete Blatt
"Triga heroum" von 1632 stellt Luther - flankiert von Kurfürst Johann Georg
I. von Sachsen und König Gustav II. Adolf von Schweden als den
Beschützern der wahren Lehre - dar. [8] Der Verfasser Abraham
Lehmann ist Hofprediger und des sächsischen Heerführers Johann Georg
von Arnim (Arnheim) Feldprediger und nennt sich mit vollem Namen. Die
Schwierigkeit des Textes engt den Adressatenkreis auf Gelehrte ein, die
erkennbare politische Strategie auf Politiker vorrangig am sächsischen Hof.
Der auf "laudatio" (Lob) und "persuasio" (Überredung und Überzeugung)
angelegte Text gibt die Gründe dafür an, daß die im Bild
dargestellte ideale Situation notwendig auch real herbeizuführen ist. Der
sächsische Kurfürst wird in eine von ihm bisher abgelehnte, hier aber
als äußerst rühmlich dargestellte Konstellation mit Mitteln
hineinkomplimentiert, die dem literarischen Genus der Panegyrik oder der
Tätigkeit des Hofpredigers gleichermaßen entnommen sind: Der
Herrscher wird für eine Position oder Tätigkeit gelobt, die er noch
nicht wahrnimmt, aber wahrnehmen sollte; das Lob antizipiert die vom Verfasser
erhoffte Tat. In diesem Flugblatt geht es darum, Johann Georg als dem
Schwedenkönig gleichrangig hinzustellen, um die Fortsetzung und
Verbesserung schwedisch-sächsischen gemeinsamen militärischen und
politischen Handelns zu propagieren.
Innerhalb der
aspekt- und argumentationsreichen proschwedischen Publizistik um Gustav Adolfs
Eingreifen in den Dreißigjährigen Krieg finden sich wiederholt
suggestiv angelegte, um Vertrauen werbende Blätter, die dazu geeignet
waren, nicht nur meinungsbildende, sondern speziell auch meinungsändernde
Wirkung zu erzeugen. So ist etwa das Blatt "Schwedischer Hercules" um 1630
darauf angelegt, Gustav Adolf als eine lautere, Vertrauen verdienende
Helferfigur zu verstehen, die in allen Taten von Gott selbst gelenkt wird und
gegenüber den eigenen Anhängern überzeugend handelt. [9]
Wehrlose Fromme, denen das als Antichrist vergegenwärtigte Papsttum die
Kirche (oder die Religionsausübung) nimmt, empfangen ihn als Retter, der im
Begriff ist, Nattern- und Otterngezücht zu zertreten. Man blickt in sein
offen zugängliches Herz, in das die Linien der Wege des göttlichen
Worts führen, und von dem seine Rede ihren Ausgang nimmt zu denen, die
seine Anhänger sind und sein werden. Die Kombination, die Gustav Adolf als
Garanten von Vertrauen und Macht in einer religiös ausgerichteten Retter-
und Beschützerrolle zeigt, ist auf Flugblättern vielfach variiert
worden. Ihre Wirkung wurde u.a. auf dem katholischen Blatt "Vlmer Wehklag vnd
Augspurgische Warnung" in Form einer Klage der Gegenpartei und daher
glaubwürdig bezeugt. [10] Nach dem Tod Gustav Adolfs blickt das
Blatt auf dessen Überschätzung auch unter Katholiken zurück;
für einen Gott habe man ihn gehalten, und als Heiligen habe ihn mancher
gläubige Katholik angerufen: