DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa |
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Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur |
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EBERHARD MANNACK
Die Rezeption des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens in der deutschen Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts |
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Gerieten die Schrecken des Krieges
nach Grimmelshausens eindrucksvollen Darstellungen [1] schon bald aus
dem Blickfeld, so beflügelten Feldherren weiterhin die Phantasie von
Schriftstellern, allen voran Wallenstein. Daß Flugblätter oder
Flugschriften schon früh vom Schicksal dieses umstrittenen Helden
berichteten und Wandertruppen bis weit ins 18. Jahrhundert den "Verratenen
Verräter" oder "Das große Ungeheuer der Welt" präsentierten,
macht das breite Interesse deutlich. Sein Verhalten entsprach offensichtlich den
Erwartungen, die man an den "großen Kerl" knüpfte. Zwischen 1781 und
1791 erschienen sechs Dramen, die den erfolgreichen Krieger und zuweilen noch
den heimatliebenden Hausvater vorführten. [2] Kurz darauf
veröffentlichte Schiller seine "Geschichte des Dreißigjährigen
Krieges" (1791/92), die sich durch Detailkenntnisse wie durch kunstvolle
Rhetorik auszeichnet. Das Werk lag dem zweiteiligen dramatischen Gedicht
"Wallenstein" zugrunde, das noch auf dem Höhepunkt der Weimarer Klassik
entstand.
Im Prolog von 1798 stellt der Dichter
Bezüge zu aktuellen Ereignissen her, die den Dramenstoff als epochal
erscheinen lassen:
"Zerfallen sehen wir in diesen
Tagen
Die alte feste Form, die einst vor
hundert
Und funfzig Jahren ein willkommner
Friede
Europens Reichen gab, die teure
Frucht
Von dreißig jammervollen
Kriegesjahren." [3]
Gemeint ist der durch
die Revolution eingeleitete Umbruch, dem das "Heilige Römische Reich
Deutscher Nation" schon bald zum Opfer fiel. Der Westfälische Friede hatte
an diesem Konstrukt festhalten müssen, das Deutschlands historische
Entwicklung nachhaltig hemmte. Indem Schiller die zeitgenössische Gegenwart
mit der Vergangenheit verknüpft, übt er Kritik an einer Misere, deren
politische Folgen zahlreiche Beobachter noch in der jüngsten Vergangenheit
wahrzunehmen vermeinen.
Die eigentliche Intention
des großen Geschichtswerkes erklärt sich freilich aus dem
historischen Kontext. In enger Anlehnung an Vorstellungen der Aufklärung
unternimmt Schiller eine "historische Theodizee" insofern, als er den
schrecklichen Krieg - wie Exzesse der Unordnung überhaupt - als Durchbruch
einer neuen Ordnung zugunsten menschlicher Selbstherrschaft
interpretiert. [4] Danach dominiert die Reformation fortan alles
historische Geschehen, weil sie dank der konfessionellen Solidarität
nationale Beschränkungen überwinden und einer Weltkultur den Weg ebnen
hilft. In den daraus entspringenden Kämpfen erhält der Religionseifer
freilich nur die Funktion eines Katalysators, dessen sich die
Führungseliten aus Gründen des Eigennutzes und der Staatsräson
bedienen. Nur unter Berufung auf den Glauben gelingt die Mobilisierung der
Massen über Jahrzehnte hinweg, und sie vertieft noch die Annäherung
unterschiedlicher Staaten, welche durch Überwindung nationaler Schranken
der Vorstellung eines Weltbürgertums Vorschub
leistet. [5]
Schillers
Erklärungsversuch verweist auf die List der Vernunft im Gang der Historie.
Das relativiert die allenthalben sichtbare Prävalenz von
Personalgeschichte, erscheinen doch Ferdinand II., Gustav Adolf und Wallenstein
als eigentliche Akteure im wechselhaft-verwirrenden Verlauf des Krieges. Sie
werden zwar unterschiedlich bewertet, aber doch in der Absicht, ihnen gerecht zu
werden.
Der Friedensschluß wird
verblüffend kurz abgehandelt. Daß mit der Erhaltung des schon von
Pufendorf als Monstrum bezeichneten Reichskörpers die deutsche Situation
sich eher verschlechterte und unter dieser Misere noch Schillers Zeitgenossen
litten, ist aus entschieden kritischen Äußerungen zu
erschließen. Sie betreffen die Mehrzahl deutscher Fürsten. Die
Vorwürfe gelten einem Mangel an "Patriotismus", den er insbesondere im
Verhalten der Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen feststellt. Letzterer
wird ausdrücklich als unterwürfig bezeichnet. Die gleiche
Mentalität diagnostiziert Schiller für die Reichsstände
überhaupt angesichts der rechtswidrigen Einsetzung eines
Reichshofrates: "Dem Namen Kaiser, einem
Vermächtniß des despotischen Roms, klebte damals noch ein Begriff von
Machtvollkommenheit an, der gegen das übrige Staatsrecht der Deutschen den
lächerlichsten Abstich machte, aber nichts desto weniger [...] von den
Beförderern des Despotismus verbreitet, und von den Schwachen geglaubt
wurde." [6]
Mit der Kritik am mangelnden
Patriotismus vieler Reichsstände und an einer anachronistischen
Majestätsvorstellung meldet sich hier ein Autor zu Wort, der angesichts
nationalstaatlicher Sehnsüchte die Verspätung Deutschlands als
historische Last erkennt.
Die Wallenstein-Trilogie
hebt dies noch entschiedener hervor. Daß Wallenstein im Unterschied zum
Kaiserhaus um Deutschland willen nach Frieden strebt, bekundet der Titelheld
mehrmals, und weitere wichtige Mitakteure bestätigen dies.
Ausdrücklich setzt er sich dabei von jenen egoistischen Territorialherren
ab, die bedenkenlos Teile des Reiches Fremden zu opfern bereit sind.
Änderungen in den für eine Inszenierung bestimmten Fassungen belegen
die Brisanz dieser Aussagen. [7]
Das
Schicksal des umstrittenen Mannes war auch in der Folgezeit als Dramen- und
Opernstoff sehr beliebt; selbst wenn sich die Stücke am Weimarer Klassiker
orientierten, sind sie aus guten Gründen in Vergessenheit
geraten. [8]
Nur wenige Jahre nach
Schillers Beiträgen zum Dreißigjährigen Krieg wandten sich
Vertreter der romantischen Bewegung dem 17. Jahrhundert zu, wobei ihr Interesse
nahezu ausschließlich der als altdeutsch etikettierten Literatur galt.
Hatte Schiller nur auf historische Zusammenhänge sowie auf einen Umbruch
hingewiesen, so kam es nun vielfach zu einer Gleichsetzung von der durch
Revolution und nachfolgende Kriege geprägten Gegenwart mit dem
"Großen Krieg", die in der Folgezeit zum Topos
wurde.
Aus der aktuellen Perspektivik, öfter
mit einer antifranzösischen Tendenz verknüpft, erklärt sich
zweifelsohne die Vorliebe vieler Romantiker für Grimmelshausens
Jupiter-Prophetie, deren Friedenssehnsüchte man in Kants berühmter
Schrift wiedererkannte. Der Hinweis auf die Kriegsgreuel hinderte freilich nicht
daran, das Soldatenleben mit der Ungebundenheit abenteuernder Vaganten
gleichzusetzen, die aus der engen Welt des Philistertums ausbrechen. Mit Recht
hat man deshalb von einer reizvoll stilisierten Darstellung der
Kriegsatmosphäre gesprochen, die auch bei Fragen der Religion zur Anwendung
gelange. [9] Achim von Arnims Kurzschauspiel "Die Vertreibung der
Spanier aus Wesel im Jahre 1629" versammelt wesentliche Versatzstücke
zeitgenössischer literarischer Vergangenheits-Verarbeitung. Am Schluß
gerät das eher komödienhafte Drama vollends zum konfessionellen
Propaganda-Stück. Der Spanier verkörpert den verhaßten
Ausländer, nicht zuletzt den französischen Nachbarn, und der
evangelische Protagonist steht für unerschütterlichen Glauben,
reinliche Liebe und vaterländische Treue. Damit sind Stichworte genannt,
die in der Literatur der Folgezeit in bezug auf unser Thema vielfach
begegnen. [10]
Heinrich Laubes
umfangreiches Opus "Der deutsche Krieg" (1863-1866) zeigt sich ebenfalls davon
beeinflußt, besitzt aber zugleich spezifische Qualitäten, die sich
weitgehend dem literarischen Genre verdanken. In nicht weniger als neun
Bänden gibt der Autor detailliert Auskunft über historische wie
kulturgeschichtliche Ereignisse vom Beginn der Reformation bis zum Kriegsende
1648, die er in zusammenhängende Erzählstränge zu integrieren
vermag. Handlungen wie Personen sind teilweise frei erfunden, verleihen dem
Ganzen aber - im Sinne des "Historischen Romans" - Anschaulichkeit und Spannung,
wobei Elemente des Kriminalromans Verwendung finden. Der Roman ist nach
Persönlichkeiten gegliedert; vom erfundenen "Junker Hans" handeln vier, von
"Waldstein" drei und von Bernhard von Sachsen-Weimar die letzten zwei Teile. Mit
Junker Hans, einem aufrechten Vertreter der Evangelischen, verknüpft Laube
Informationen über den Streit der Konfessionen und der unterschiedlichen
Sekten, wobei Hans selbst als gemäßigter Schwärmer utopische
Vorstellungen entwickelt. Wie schon bei Entwürfen u.a. von Grimmelshausen
oder Leibniz geht es um eine Überwindung der durch den Calvinismus noch
verschärften Glaubensspaltung, hier unter der Parole einer neuen
Kirche: "Völlige Toleranz und
Gleichberechtigung in religiösen Fragen war die Grundbedingung seines
Planes." [11]
Diese Forderungen
gehören zu einem Memorial, in dem Hans neben religiösen Lösungen
auch Gedanken über eine Reform des Reiches vorträgt. Daß er die
Toleranz nachdrücklich betont, leitet sich nicht zuletzt aus seiner
Situation her, droht doch dem in Wien Inhaftierten die Exekution. Gefangen wurde
er dank einer umfassenden Überwachung und Bespitzelung vor allem durch
Jesuiten, die eine Atmosphäre der Angst und des Mißtrauens schaffen.
Das verweist auf die Biographie des Autors, der wegen Verbindungen zu
Burschenschaften exmatrikuliert worden war und dessen Bücher indiziert
wurden.
Neben diesen Hoffnungen spielt durchweg
das Streben nach nationaler Einheit eine herausragende Rolle, die die Abwehr von
Außeneinflüssen beinhaltet. Gemeint sind damit Schweden und Franzosen
ebenso wie Wien und Prag. Die Kaisermacht gebühre demnach einem
protestantischen Fürsten im Reich, und schon früh erhält Bernhard
von Sachsen-Weimar den Vorzug. Wallenstein wird zwar im Verhalten gegenüber
den Schweden eine deutsch-patriotische Position zugestanden, doch das
Resümee fällt erstaunlich negativ aus: Er
war "[...] leiblich und geistig unfähig
[...]. Das Ideal eines großen Vaterlandes fehlte in seiner
Seele." [12]
Was unter Vaterland zu
verstehen ist, erklärt Junker Hans dem unehelichen Sohn Wallensteins. Das
Vaterland fehle allen Deutschen:
"In der
Größe und außerordentlichen Mannigfaltigkeit des Deutschen
Reichs ist der Begriff des Vaterlandes verloren gegangen", obwohl "wir seit
einem halben Jahrtausend der maßgebende Mittelpunkt Europas gewesen. Wir
haben den Familienschatz vergessen über den Schätzen ausgedehnter
Macht" und "entfremdeten Dynastien wie der spanischen die Kaiserwürde
überlassen [...]." [13]
Diese in den
60er Jahren niedergeschriebenen Sätze mit Aufzählung der deutschen
Landesteile - der "Friesen im Norden, der Kärntner im Süden" usf. -
spiegeln Sehnsüchte aufgrund eines Verfassungsgebildes, das noch immer
unter den Folgen des Krieges und Friedensschlusses
leidet: "Der Westfälische Friede vergiftete
das Deutsche Reich in Herz und Nieren. Er vergiftete den Kaiser, er vergiftete
die Nation." [14]
Damit endet der
voluminöse Geschichtsroman, der im letzten Teil die außerordentlichen
Verdienste des gleich anfangs als präsumtiven evangelischen Kaiser
genannten Bernhard von Sachsen-Weimar rühmt. Wenn Laube schließlich
die nicht bewiesene Vergiftung des Herzogs durch die Franzosen übernimmt
und diese als Fälscher dessen Testaments verdächtigt, so belegt dies
erneut seine Abhängigkeit vom
Zeitgeist.
Diese antifranzösische Tendenz
steigert sich in Gustav Freytags "Die Ahnen" (1872-1880) zu unverhohlener
Feindlichkeit, nicht zuletzt unter dem Eindruck des Krieges und der
Reichsgründung. [15]
Freytags und
Laubes Polemik gegen Mönchs- und Pfaffenwesen, die dort, wo die Jesuiten
erwähnt werden, eine besondere Schärfe erhält, verweist auf eine
Konstante in der Darstellung des Krieges. Von Mönchsintrigen war schon
Schiller fest überzeugt, und diese antikatholische Tendenz setzte sich in
der Folgezeit entschieden durch. Das gilt vor allem für die zahlreichen
Dichtungen über Gustav Adolf, die im 19. Jahrhundert entstanden. Als
Glaubensstreiter für evangelische Libertät erscheint er bei den
Schillerepigonen und vor allem nach Gründung des Gustav-Adolf-Vereins im
Jahre 1832. Daneben preist man ihn zunehmend als Helden, der für deutsche
Freiheit und Einheit kämpft, wobei freilich öfter die Tatsache,
daß er ein Ausländer ist und sogar Ansprüche auf die Kaiserkrone
anmeldet, für Irritationen sorgt. [16] Conrad Ferdinand Meyers
Novelle "Gustav Adolfs Page" versammelt nahezu alle diese Aspekte. Hier ist es
ein Deutscher, der ihn als Kaiser hochleben läßt, und für dieses
Amt ist er offensichtlich geeignet, wie die durchgehende Verklärung des
Schwedenkönigs zeigt. [17]
Nachdem
sich die Sehnsüchte vieler dank der Reichsgründung ohne fremde
Beteiligung erfüllt hatten, überwand die geeinte Nation in geradezu
rasantem Tempo jene Verspätung, die von zahlreichen Autoren mit Blick auf
die Staaten Westeuropas beklagt worden war. Dieser Modernitätsschub
führte zu Ängsten und schien zu bestätigen, was von Philosophen
und Literaten prognostiziert worden war. Ihre Skepsis gegenüber dem
Fortschrittsoptimismus bezog sich auf den nicht zu steuernden Verfall
menschlicher Werte. Der schon von Schiller benutzte Topos, wonach aus Chaos eine
Erneuerung und bessere Ordnung hervorgingen, erweckte Vorstellungen eines
länderumfassenden Kampfes. Eine "apokalyptische Mentalität"
verbreitete sich unter Theologen, Philosophen und Literaten. Das Barockzeitalter
als letzter Höhepunkt mit Weltuntergangs-Erwartungen bot sich deshalb zum
Vergleich an; sein Schrifttum gewann an Attraktivität, die bis in die
Gegenwart anhält. Eine herausragende Position behauptet dabei
Grimmelshausens großer Kriegsroman, der schon im ersten Satz
apokalyptische Ängste anspricht. [18]
Nicht zufällig
erscheinen so kurz vor und kurz nach dem Ersten Weltkrieg zwei Darstellungen von
Dichtern unterschiedlicher Provenienz: 1912-1914 publiziert Ricarda Huch "Der
große Krieg in Deutschland" und 1920 Alfred Döblin den Roman
"Wallenstein", den er als Kriegsteilnehmer in den Jahren 1916-1918
niedergeschrieben hat.
Der Text der Historikerin
Huch beeindruckt durch wissenschaftliche Akribie ebenso wie durch poetische
Gestaltungskraft. Daß sie sich an Schillers Geschichtswerk anlehnte, kann
nur mit starken Einschränkungen akzeptiert werden. [19]
Während Schiller seine ganze Aufmerksamkeit auf die Potentaten und
Diplomaten, Sieger und Verlierer von Schlachten richtete, um über Motive
und ihre Folgen Erklärungszusammenhänge zu erstellen,
vergegenwärtigt Huch Geschehnisse aus der Zeit von 1585 bis 1650 in einer
Fülle von unterschiedlichen Episoden. Indem sie auf einen ordnenden
Gesamtverlauf verzichtet, gelingt es ihr, die Vielfalt der
Lebensverhältnisse quer durch alle Schichten sichtbar zu
machen.
Daß mit der Umsetzung von
großer Historie in Privatleben und Detailmalerei der Bereich des
Dokumentarischen verlassen wird, irritiert deshalb nicht, weil die Autorin sich
in wesentlichen Fakten auf Zeugnisse berufen kann. Zum Sinnbild des
schrecklichen Krieges wurden schon den Zeitgenossen die an Magdeburg
verübten Grausamkeiten durch das Heer von Tilly, dessen Stolz auf seine
tugendhafte Enthaltsamkeit verspottet wurde. Diesen schillernden Charakter
führt Huch am Tatort vor: "Als Tilly bei der
Kathedrale ankam, die der singende Flammenkreis umgab wie ungeheure, im
feierlichen Siegesjubel geschwungene Scharlachfahnen, und die dort versammelten
Offiziere, die Hüte lüftend, glückwünschend an ihn
heranritten, nahm auch er seinen Hut ab und faltete die Hände. Der Herr
habe ihm vergönnt, sagte er, dies Heiligtum der wahren Kirche
zurückgeben zu können; sein Herz sei voll des Dankes. Nach einer
Pause, während welcher die Herren schweigend die Hüte in der Hand
hielten, wendete der General sich ihnen zu und dankte ihnen für den Eifer,
mit dem sie ihre Pflicht getan
hätten." [20]
Der mit "Zusammenbruch" bezeichnete Schlußteil, den sie bereits Anno 1633 beginnen
läßt, versammelt noch einmal die Schrecknisse eines sich sinnlos
dahinschleppenden Krieges. Die Politik der Zeit gerät gerade mit Blick auf
die sich über Jahre erstreckenden Friedensverhandlungen zur absurden Posse,
wobei einzelne Fürsten und zahlreiche Militärs ihre Freude über
eine Verlängerung des Krieges nur schwer verhehlen können. Bei der
endgültigen Unterzeichnung sind ohnehin einige der Beteiligten davon
überzeugt, daß die Vereinbarungen vielfach Anlässe für neue
Kriege bieten.
Noch immer borniert verhält
sich auch die Geistlichkeit, deren Vertreter auf gemeinsamen Konferenzen der
unterschiedlichen Konfessionen den Anspruch auf Alleinbesitz der Wahrheit mit
Beschimpfungen Andersgläubiger verbinden. Als durchaus ambivalent erweist
sich deshalb auch die Schlußszene - sie spielt 1650 und führt nur
zufällig Katholiken und Protestanten zum gemeinsamen Abendmahl zusammen.
Anlaß für diese ökumenische Feier ist freilich die brutale
Ermordung einer jungen Protestantin durch einen katholischen Offizier, der noch
zwei Jahre nach Friedensschluß Kontributionen von armen Bauern
einzutreiben versucht. [21]
Der Text ist
geprägt vom Bedürfnis höchster Objektivität, weil er
monokausale Erklärungen angesichts der zahlreichen Unwägbarkeiten
abweist. Er ist deshalb auch frei von Agitationsabsicht, aus Gründen der
Toleranz, die einzufordern sich die Autorin in einem Zeitalter totalitärer
Ideologien verpflichtet fühlt. Das gilt noch entschiedener für ihre
dreibändige "Deutsche Geschichte" vom Mittelalter bis zum "Untergang des
Römischen Reiches deutscher Nation". Die für uns interessanten
Bände erschienen 1934 und 1937, in einer Zeit, in der Hitler Vorbereitungen
zu einem neuen Krieg vorantrieb. In diesem Kontext wird das Werk mit seiner von
Gerechtigkeit für unterschiedliche Menschen und Parteien geleiteten
Darstellung und der unüberhörbaren Einforderung von Toleranz im Geiste
der humanistischen Tradition zur beabsichtigten
Provokation. [22]
Döblins
"Wallenstein"-Roman, der den Zeitraum von 1620 bis 1634 berücksichtigt,
verwendet ebenfalls eine Überfülle an dokumentarischem Material, folgt
aber anderen Zielvorstellungen. Der Autor zählte zu den zahlreichen
Intellektuellen, die begeistert in den Krieg zogen und in den Materialschlachten
desillusioniert wurden. Das schlug sich in der Vorliebe für die Philosophie
von Marx und Nietzsche sowie die Psychologie von Freud nieder. Sein
Wallensteinbild zielt auf Demontage eines Heldenkults, der besonders durch
idealistische Geschichtsschreiber wie Schiller, Ranke oder Srbik gepflegt und
von Pekar dann entschieden in Frage gestellt worden war. Bei Döblin
erscheint vor allem Wallenstein als Kapitalist schlechthin, der vor keinerlei
Manipulation zurückschreckt, um die Gewinne zu
maximieren. [23]
Als Ideologie im Sinne
von falschem Bewußtsein entlarvt der Autor ebenso alle religiösen
Begründungsstrategien, besonders der Machthaber und der Kirchen. Auch sie
lassen sich nicht von Glauben oder gar Vernunft, sondern allein von Trieben
leiten - vor allem von Habgier, Rachsucht und sadistischen und masochistischen
Bedürfnissen. Zügelloser Sadismus zieht sich wie ein roter Faden durch
die zahllos aneinander gereihten Szenen, ihn praktizieren Obere wie Niedere. So
läßt der Autor die eigentlichen Kräfte erkennen, denen der
Mensch weitgehend unbewußt erliegt, und hieraus folgert er, daß der
Mensch letztlich bestialisch ist. Durch eine Fülle von Tiermetaphorik weist
er allenthalben auf diese Deformation hin, neben vielen Vergleichen mit dem Meer
oder Wasser überhaupt, die die Vermassung
symbolisieren. [24]
Mit Nietzsche teilt
Döblin die Überzeugung, daß Geschichte sich rationaler
Erklärbarkeit entzieht und von Amoralität geprägt ist. Wenn sie
trotzdem Fortschritte hervorbringt, so kann dies nur als List verstanden werden.
Döblin deutet die vielfachen Rebellionen, durch die Normen in Frage
gestellt und schließlich außer Kraft gesetzt wurden, als progressive
Leistungen. Dazu zählt er die Glaubenserschütterungen, die wachsende
Einsicht in die Fragwürdigkeit der Machthaber und den rasanten Aufstieg
Wallensteins, der Hierarchie- und Prestige-Vorstellungen der traditionellen
Eliten unterminiert.
Nachdem Grimmelshausen 1837
eindeutig als Autor der simplicianischen Schriften identifiziert worden war,
erfuhr besonders der "Simplicissimus Teutsch" im Rahmen einer nationalen
Literaturtradition eine Kanonisierung, die bis heute nachwirkt. Während
konservativ-nationalistische Dichter im Protagonisten deutsches Wesen
schlechthin entdeckten und z.T. als Immunisierungsmittel gegen moderne Unnatur
einzusetzen wünschten [25], fanden Arnold Zweig und Ludwig Renn
ihre Erfahrungen während des Ersten Weltkrieges im großen Roman
vorweggenommen. [26] Diese Tendenz zur Parallelisierung und
Identifizierung erfuhr neue Impulse durch den Zweiten Weltkrieg und hält
bis heute an. Kurz nach Beginn des Rußland- Feldzugs schrieb Johannes R.
Becher ein Drama über die Schlacht um Moskau mit unmittelbaren Hinweisen
auf Grimmelshausen. Nach Kriegsende bezeichnete er u.a. Fallada und sich als
"Dichter des zweiten Dreißigjährigen Krieges", womit er
offensichtlich den Zeitraum von 1914 bis 1945 meinte. [27] Seine 1954
publizierte Anthologie "Tränen des Vaterlandes", deren Titel auf das
berühmte Sonett mit Gryphius' Klage über die Verwüstungen des
Vaterlandes (1636) verweist, spricht in einem geradezu beschwörenden
Vorwort die Schicksalsverwandtschaft von Poeten des 17. und 20. Jahrhunderts an
und appelliert an westdeutsche Intellektuelle, durch eine weitere Sammlung von
barocken Zeugnissen ein deutsches Zusammengehörigkeitsgefühl
entwickeln zu helfen. [28]
Auch für
Ina Seidel, die unter Hinweis auf den Westfälischen Frieden 1949 eine Reihe
von Gryphius-Sonetten herausgibt und mit den "Tränen des Vaterlandes"
eröffnet, steht die enge Verwandtschaft außer
Frage:
"die Wund- und Brandmale am lebendigen
Körper des Volkes sind die gleichen, damals wie jetzt
[...]". [29]
Die folgenden, von Seidel
z.T. aufgelisteten Merkmale fordern fortan häufig zum Vergleich von
Gegenwart und Vergangenheit heraus:
- Der
Dreißigjährige Krieg besaß erstmals globalen Charakter; an ihm
waren nahezu alle Staaten des Abendlandes beteiligt, und mit den Türken war
auch der Orient einbezogen.
- Eine entwickelte
Waffentechnik und der Einsatz von Massenheeren verlieh dem Kriegsgeschehen eine
neue Dimension.
- Die Machthaber bedienten sich
vielfach ideologischer Argumente zur Durchsetzung ihrer
Interessen.
- Ideologische Intoleranz und
terroristische Praktiken verteufelten die jeweils anderen und begünstigten
eine Brutalität, die sich zunehmend verselbständigte und ein ganzes
Volk für unabsehbare Zeit schädigte.
- Der eigentliche Kriegsschauplatz Deutschland war am Ende nicht nur weitgehend
verwüstet, sondern auch der Besitzgier ausländischer Staaten
ausgeliefert.
- Die Überfremdung drohte
durch ausländische Mitbestimmung zu wachsen und verstärkte Ängste
in bezug auf Sprache und Sitten.
- Durch den Frieden waren neue Konflikte vorprogrammiert, die die Furcht vor einem
endgültigen Untergang steigerten.
Schon in
frühen Versuchen einer Faschismuserklärung kommt die Zeit der
Glaubensspaltung mit ihren schrecklichen Folgen ins Gespräch. Die These von
einer deutschen "Kontinuität" nimmt Thomas Mann in einer Rede und sodann im
"Doktor Faustus" (1947) auf. Der Dreißigjährige Krieg, der als
Glaubenskrieg anfing, erscheint ihm als erste martialische Konsequenz deutschen
Fehlverhaltens, und den Frieden mit dem Festhalten am Status quo macht er
für die Ungleichzeitigkeit und Verspätung der Nation
verantwortlich. [30]
Thomas Manns Absicht
war es, mit dem Rückgriff auf die Zeit der Glaubensspaltung einen Mythos zu
demontieren, den die Nationalsozialisten sich zu eigen gemacht hatten. Ihnen
erschien Luther als der Inbegriff des Deutschen und der
Dreißigjährige Krieg als eine Bewährung, weil er zur Befreiung
von ausländischer "Unnatur" beitrug. Während der Arbeit am Roman las
er den Simplicissimus, den er als typisches Zeugnis für die problematische
Seelenverfassung der Deutschen ansah. Das unterscheidet ihn von anderen Autoren,
die kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges bei der Aufarbeitung der
NS-Vergangenheit sich auf die simplicianischen Schriften stützten. Eine
herausragende Rolle spielte Brechts aus aktuellen Befürchtungen und
Erkenntnissen entstandenes Drama "Mutter Courage und ihre Kinder"
(Uraufführung 1941). In ihm war ein Thema angesprochen worden, das Autoren
intensiv beschäftigte. Es betraf das Handeln und mehr noch die Leiden des
"kleinen Mannes", der sich den von Mächtigen und Fanatisierten
angezettelten Geschehnissen ausgeliefert fühlt und anpaßt. Ernst
Weiß stellt schon früh die historischen Parallelen her, als er
Simplicissimus "den Schwejk des Dreißigjährig Krieg"
nennt. [31] Danach bietet sich die Übernahme des
Schelmenroman-Modells, das erstmals in Deutschland von Grimmelshausen
eigenständig umgesetzt worden ist, geradezu an. Günter Grass
bezeichnet deshalb den Autor des "Simplicissimus Teutsch" als den wahrhaft
authentischen Berichterstatter des Dreißigjährigen Krieges, weil er
"aus der Sicht der kleinen Leute, der Verlierer" dessen Schrecken in seiner
ganzen Grausamkeit vor Augen führte. Mit Blick auf die traditionelle
Historiographie spricht er vom "Lückenbüßer der Geschichte" und
weist Dichtern allgemein diese Aufgabe zu. [32] In der "Blechtrommel"
(1959) hat er auf die Wirren des 20. Jahrhunderts übertragen, was
Grimmelshausen für seine Zeit geleistet
hatte.
Diesem Rückgriff liegt eine
Überzeugung zugrunde, die nicht bloß einzelne Affinitäten
konstatiert, sondern eine mehr als dreihundert Jahre dauernde Kontinuität
unterstellt:"Gestern wird sein, was morgen
gewesen ist. Unsere Geschichten von heute müssen sich nicht jetzt
zugetragen haben. Diese fing vor mehr als dreihundert Jahren an. Andere
Geschichten auch. So lang rührt jede Geschichte her, die in Deutschland
handelt." [33]
Damit beginnt "Das Treffen
in Telgte" (1979), das die erste Zusammenkunft der Gruppe 47 in eine
Dichterbegegnung von 1647 transformiert. Die entstandene zeitliche Verschiebung
- die Gruppe traf sich 1947, also zwei Jahre nach Kriegsende - fällt
indessen nicht ins Gewicht, gibt es doch zahlreiche Übereinstimmungen. Sie
betreffen die Not im weitgehend verödeten Deutschland ebenso wie die
Unsicherheit über den Fortbestand des Staatsgebildes, das Nachbarn mit
Territorialforderungen bedrängen. Sie zeigen sich ferner deutlich im
Schicksal von Einzelpersonen und in der Suche nach einem Selbstverständnis
mit dem Ziel der Überwindung einer anscheinend irreparablen Misere. Wenn
Grass Grimmelshausen besondere Aufmerksamkeit zuwendet, so liegt das nicht
zuletzt an biographischen Gemeinsamkeiten; beide wurden durch Kriegsteilnahme an
einem systematischen Bildungsgang gehindert und fanden erst nach
Gelegenheitsarbeiten zum Dichterberuf. Ähnliche Lebensläufe begegnen
bei anderen Gruppenmitgliedern, gerade auch bei Heimatvertriebenen bzw.
Flüchtlingen. Opitz, der mehrmals die Fronten gewechselt hatte und im
Danziger Asyl starb, genoß höchste Verehrung wegen seiner
Bemühungen um die deutsche Sprache und
Literatur.
Opitz' Ideal einer gereinigten
allgemeinen Hochsprache aber war bedroht durch eine vom Krieg noch
geförderte Sprachmengerei, die der nationalen Identitätssuche
entgegenwirkte."[...] als nach neunundzwanzig
Kriegsjahren der Frieden noch immer nicht ausgehandelt war, sollte zwischen
Münster und Osnabrück das Treffen stattfinden, sei es, um dem zuletzt
verbliebenen Band, der deutschen Hauptsprache, neuen Wert zu geben, sei es, um -
wenn auch vom Rande her nur - ein politisches Wörtchen mitzureden [...] Wo
alles wüst lag, glänzten einzig die
Wörter." [34]
Weil andere Völker
seit langem eine Nationalliteratur besaßen, Deutschland aber kulturell
zurücklag, sollten Sprachpflege und Adaptationen ausländischer Poesien
das Manko überwinden helfen. Die Dichter unserer Nachkriegszeit
konzentrierten sich auf die Reinigung der vom NS-Ungeist "verhunzten Sprache"
und suchten so rasch wie möglich wieder Anschluß an eine
Weltliteratur zu finden, der ihnen von Ideologen verwehrt worden war. So wirkten
sie politisch in einem anderen Sinne, als sie es ursprünglich geplant
hatten, und bei aller Skepsis in bezug auf unmittelbaren politischen
Einfluß verstanden sie sich als Berufene, denen es oblag, der
Hoffnungslosigkeit ein "Dennoch"
entgegenzusetzen. [35]
Die Vorstellung von
einer intellektuellen Elite, die miteinander kommuniziert, um in dunkler Zeit
nach Auswegen zu suchen, findet sich schon bei anderen Autoren. So sind in Huchs
Roman mehrfach Szenen eingeblendet, in denen bekannte Gelehrte und Poeten
einander nach humanistischem Brauch begegnen, um irenische Gesinnungen zu
pflegen und zu verbreiten. Sie erscheinen wie friedvolle Enklaven im
mörderischen Umfeld, das auch sie stets bedroht. Oskar Loerke rühmt
1934 zu Beginn eines Lyrikbandes die "schicksalsverstoßenen Dichter" des
Dreißigjährigen Krieges, deren er nicht anders als seiner toten
Künstlerfreunde von der Tafelrunde gedenke, an der er selbst saß.
Rist erhält höchstes Lob, weil er Leiden tapfer ertrug und in
Friedensspielen den Verantwortlichen ins Gewissen redete. [36] In Grass'
"Treffen" werden Passagen daraus zitiert. So drängt Rist auf die
Niederschrift eines Friedensmanifests, das freilich am Dissens der Beteiligten
scheitert und schließlich verbrennt. Die aus dem Trümmerhaufen
herausragende Hand mit dem Federkiel, vom Autor entworfen, macht deutlich,
daß ein Scheitern ihr Selbstverständnis nicht zu schmälern
vermag. Im Kontext der von DDR-Funktionären geforderten positiven
Zukunftsperspektive lagen Becher und Günther Deicke derartige Skrupel fern.
In einer Gryphius-Anthologie mit dem programmatisch gemeinten Titel
"Deutschland, es werden deine Mauern nicht mehr voll Jammer stehn" (1953)
verkündet Deicke im Blick auf gelehrte
Barockpoeten: "In diesen schweren Zeiten
mußten es wieder Männer bedeutenden Formats sein, die sich als echte
Patrioten an die Spitze ihrer Zeit stellten, um jene Leistung zu vollbringen,
die die agierenden Politiker nicht zu vollbringen vermochten, die Einheit
Deutschlands wenigstens im Geistigen zu retten, dem deutschen Volk die Einheit
seiner Sprache zu wahren." [37]
Die Verschärfung der Ost-West-Spannungen machte Wunschvorstellungen oder
Hoffnungen dieser Art rasch zunichte. Schriftsteller der beiden Teilstaaten
waren zunehmend durch Ängste vor einer weiteren Eskalation und damit vor
der Wiederkehr eines Krieges, der die Schrecken von sich über Jahrzehnte
hinziehenden mörderischen Kämpfen durch eine rasche Auslöschung
zumindest eines Teils der Menschheit zu ersetzen drohte, verbunden. Das
erinnerte noch einmal an die religiös legitimierten Endzeitängste des
Barock und war Anlaß zu verstärkter Identifikation mit Autoren jenes
Zeitalters. [38]
Diese Tendenzen und
Aspekte zeichnen sich in einer für die Verfilmung bestimmten
Simplicissimus-Bearbeitung des bedeutenden DDR-Schriftstellers Franz
Fühmann ab. Eine auch von anderen bevorzugte Passage, in der geschildert
wird, wie Teile eines menschlichen Leichnams verzehrt werden, umrahmt die
Haupthandlung und steht als Sinnbild für die Deformierung des Humanen durch
den Krieg. [39] Das Drehbuch hält sich zwar an den
Handlungsverlauf, weicht aber in vieler Hinsicht vom Original ab. Dazu
gehört die Ausweitung des Blocksbergbesuches. Sie führt ungeschminkt
die Macht der Trieb- und Wunschwelt des Menschen vor Augen, die sich in der
Sexualität wie in der Völlerei, und besonders in der Lust am
Quälen und Morden auslebt: "Wallensteins
Kürassiere sind keine Stümper: Nun, was sich jetzt abspielt, spielt
sich ganz systematisch ab [...] (Man braucht nur Grimmelshausen genau zu lesen,
um diesen Teamwork-Charakter wahrzunehmen.) Jeder der Reiter wird nicht nur als
Spezialist beim Zerstören, sondern auch beim Foltern und Erpressen
gezeigt." [40]
Der planvoll-systematisch
ausgeübte Sadismus bezeugt eine Kooperation von Trieb und Verstand, die
offensichtlich das animal rationale kennzeichnet. Daß der Mensch
diese Konstellation nur schwer und in vielen Fällen nicht mehr zu steuern
vermag, wird durch zahlreiche Aktionen und Reaktionen erhellt. Außerdem
besteht für Fühmann ein enger Zusammenhang zwischen wissenschaftlichem
Fortschritt und wachsenden humanen Defiziten, eine Entwicklung, die seiner
Meinung nach in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges wesentliche
Impulse erhielt. Unter diesen Voraussetzungen gibt er einer dauerhaften
Befriedung keine Chance.
Zweifel an möglichen
Veränderungen mit dem Ziel einer humaneren Welt äußert die
überwiegende Zahl von modernen Autoren, gerade auch mit Blick auf die
Nachwirkung dessen, was in der frühen Neuzeit erste erschreckende Konturen
erhielt. Als Resultat des großen Krieges konstatiert Döblin schon
1919: "der Servilismus dehnte sich aus,
überschattete das große, einst freie [...] Land, die Knechtsnatur
wurde den Deutschen mit grausamem, langwirkendem Stempel aufgedrückt, die
später alle seine Gedanken, Gedichte, Entdeckungen schwach und wertlos
machte, weil die Taten ärmlich und erbärmlich
blieben." [41]
1980 bezeichnet Günter Kunert die Gegenwart als "Fortsetzung des Dreißigjährigen Krieges mit
anderen Mitteln." [42]
ANMERKUNGEN
1. Vgl. hierzu den Beitrag von Walter Schäfer in diesem
Katalog.
2. Rothmann 1977, S.
141f.
3. Schiller 1949, S.
5.
4. Pestalozzi 1995, S.
179-190.
5. Schiller 1986, S.
10ff.
6. Schiller 1986,
S.42.
7. Schiller 1949, S. 411ff.; Rothmann 1977,
S. 86.
8. Rothmann 1977, S.
189-204.
9. Koemann 1993, bes. S. 208-218; Meid
1984, S. 211-215.
10. Arnim 1911, S.
1-33.
11. Laube 1908, XVII, S. 56. Schon 1830
wurde eine Gustav-Adolf-Tragödie aufgeführt, und im Nachlaß fand
man ein Dramenfragment über Bernhard von
Weimar.
12. Laube 1908, XX, S.
310.
13. Laube 1908, XX, S.
109.
14. Laube 1908, XXII, S.
277.
15. Freytag, 1887, S. 3-176. Die fünfte
Abteilung trägt als Überschrift "Die Geschwister". Das Geschehen
spielt von 1647 bis zum Kriegsende und verknüpft eine tragische
Liebeshandlung mit einer Reihe von historischen Hinweisen, die freilich
tendenziös verfälscht werden.
16. Vgl.
hierzu die überaus materialreiche Studie von Milch
1977.
17. Meyer 1959, S.
167-214.
18. Vgl. Schumann 1943; Grimm 1986, S.
207-215; Faulstich/Grimm/Kuon 1986.
19. Frommholz
1995.
20. Huch 1967, III, S.
576f.
21. Huch 1967, III, S.
1138-1146.
22. Huch
1970.
23. Döblin
1965.
24. Bayerdörfer 1995, S. 604-612;
Müller-Salget 1978.
25. Grimmelshausen 1919,
S. 5; Bruck 1910, S. 88-150.
26. Zweig 1984, S.
193f.; Renn 1964, S. 200f.
27. Becher 1956, S.
482.
28. Becher
1954.
29. Gryphius 1949, S.
67f.
30. Mann 1996, S.
260-281.
31. Weiß 1982, XVI, S.
346f.
32. Grass 1987a, S.
366.
33. Grass 1987b, S.
6.
34. Grass 1987b, S.
20.
35. Grass 1987b, S.
134.
36. Loerke 1958, S.
681f.
37. Gryphius 1953, S.
81.
38. Vgl. hierzu Mannack
1991.
39. Fühmann 1987, S.
7-178.
40. Fühmann 1987 S.
17.
41. Döblin 1972, S.
58.
42. Kunert 1980. Da nur Texte in Auswahl
berücksichtigt werden konnten, sei abschließend auf einige
Beiträge mit weiteren Quellenangaben hingewiesen: Weithase 1953 nennt
mehrfach Titel zur Rezeption vom 18. bis 20. Jahrhundert. Milch 1977 verzeichnet
nahezu vollständig die deutschen und skandinavischen Texte über Gustav
Adolf. Vgl. ferner Frenzel 1992, S. 282-285; ebd. zu Wallenstein S. 818-821; und
Hartmann 1984.
© 2001 Forschungsstelle "Westfälischer Friede", Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, Domplatz 10, 48143 Münster, Deutschland/Germany. - Stand dieser Seite: 2. Mai 2002