DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa |
|
Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur |
|
MARIJKE SPIES und EVERT WISKERKE
Niederländische Dichter über den Dreißigjährigen Krieg |
|
Es war ein grauer Tag im Januar 1629,
als Friedrich V. von der Pfalz zusammen mit seinem ältesten Sohn Heinrich
Friedrich aus Den Haag abreiste, um in Amsterdam die Schätze der von
Kapitän Piet Hein eroberten, mit südamerikanischem Silber beladenen
spanischen Handelsflotte zu bewundern. Doch was wie ein festlicher Ausflug
begann, endete in einem Alptraum: In der Nähe des Dorfes Sparendam hatte
die Gesellschaft ein Schiff bestiegen, um den letzten Teil der Reise auf dem
Wasser zurückzulegen. Dort, auf dem Fluß IJ, wurde ihr Schiff im
dichten Nebel durch ein Schifferboot gerammt. Weil Feuer ausbrach, mußten
die Mitfahrenden in das eiskalte Wasser springen. Der sogenannte
Winterkönig konnte sich dank der Bemühungen seines Dieners an Bord des
Fischerkahns in Sicherheit bringen, doch für Heinrich Friedrich kam jede
Hilfe zu spät: er ertrank vor den Augen seines
Vaters.
Der Vorfall löste in den Vereinigten
Niederlanden große Bestürzung aus. Einige der namhaftesten Dichter
des Landes, Jacobus Revius, Joost van den Vondel und Jacob Westerbaen,
beschrieben mit Entsetzen, was sie als einen weiteren in einer Reihe von
Schicksalsschlägen im Leben von Friedrich und seiner Frau ansahen, dem
böhmischen Königspaar, das seit 1620 im Exil in Den Haag
lebte. [1] Doch abgesehen vom menschlichen Mitleid zeugen ihre Elegien
vielfach auch von Interesse am Krieg in Deutschland. So beklagte der Dichter
Vondel den Verlust des jungen Fürsten, der geschworen haben soll, durch
einen Feldzug in Bayern die Ehre seines Vaters zu
rächen. [2]
In der Tat war in der
Republik von Beginn an große Anteilnahme am Dreißigjährigen
Krieg feststellbar. Nicht nur wurden viele Publikationen - darunter waren sowohl
Pamphlete wie auch offizielle Schriften - ins Niederländische
übersetzt. Auch die Niederländer selbst machten zunehmend ihrer
Meinung Luft. [3] So publizierte der der reformierten Kirche
angehörende Zutphener Pfarrer Willem Baudartius (1565-1640) im Jahre 1624
sein "Memorien
ofte cort verhael der gedenck-weerdichste so kerckelicke als weltlicke
gheschiedenieesn van Nederland, Vranckrijck, Hooghfytschland, Groot Britannyen,
Hispanyen, Italyen, Hungaryen, Savoyen ende Turkyen, vand e jaere 1603. tot in
het jaer 1624" . [4]
Bereits 1624
hatten die Ereignisse der Jahre 1622 bis 1623 den Hintergrund zu einer
Liebesgeschichte in einer der ältesten niederländischen literarischen
Novellen mit dem Titel
"Wonderlicke
avontuer van twee
goelieven"
geliefert. Darin tritt die männliche Hauptfigur mit dem eigentümlichen
Namen
"Waterbrandt"
aus Verdruß in die Armee des Friedrich von der Pfalz ein, läuft zum
Feldherrn Tilly über und wechselt anschließend wieder zum
Heerführer von Mansfeld. Waterbrandts Geliebte namens
"Wintergrün"
folgt ihm - als Mann verkleidet - nach. An den in die Novelle
einfließenden Beschreibungen von Kriegsgreueln, wobei vor allem der
Plünderung Ostfrieslands viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, kann man
ablesen, welch großen Eindruck diese Ereignisse auf die
niederländische Republik
machten. [5]
In den ersten zehn Jahren kam
dieses Interesse nahezu ausschließlich von seiten calvinistischer Autoren,
was nur zu begreiflich ist, waren es doch vor allem die Calvinisten und ihre
politischen Anhänger gewesen, die, nachdem 1621 der zwölfjährige
Waffenstillstand zwischen der Republik und Spanien abgelaufen war, für die
Wiederaufnahme des Krieges plädiert hatten. Zwar bildeten sie bei weitem
nicht die Mehrheit der niederländischen Bevölkerung, doch seit 1618
hatten sie dank der Machtergreifung Prinz Moritz' von Oranien faktisch die
politische Oberhand, und das sollte sich bis zu Moritz' Tod im Jahre 1625 nicht
ändern. [6]
Vor allem für die
Calvinisten fügte sich der 1618 ausgebrochene Krieg zwischen den
protestantischen und katholischen Fürsten in Deutschland zu einem Ganzen
mit dem eigenen, bereits seit 1568 geführten und 1621 erneut entflammten
Kampf gegen den früheren Landesherrn, den katholischen König Spaniens.
Sie stützten sich dabei auf die Meinung, die bereits 1621 von Ewout
Teellinck (ca. 1573-1629), einem der Begründer der pietistischen
Strömung innerhalb des niederländischen Calvinismus, in einer
Flugschrift mit dem Titel
"Een
hardt bode, brengende quade tydinge uyt
Boëmen"
formuliert worden war. Laut seiner Aussage hatten die Böhmen sich mit Recht
unter der Führung Friedrichs von der Pfalz gegen ihren König Ferdinand
II. erhoben. Dieser habe im Widerspruch zu seinen Versprechungen aus dem Land
ein
"Erbreich"
machen wollen, die von ihm und seinem Vorgänger Rudolf II. garantierte
Religionsfreiheit abgeschafft und strebe danach, den reformierten Glauben zu
vernichten. [7] Mit dieser
"Freiheit
des
Glaubens"
war nicht die Freiheit verschiedener Glaubensrichtungen gemeint, sondern einzig
die Freiheit des einzig wahren Glaubens: des rechtmäßig reformierten
Glaubens, wie er im Heidelberger Katechismus festgeschrieben war. [8]
Dieselbe Auffassung finden wir im "Memorandum" des Willem Baudartius
wieder. [9] Auch der seeländische Notar Adrianus Valerius (ca.
1575-1625) legte in seiner mit Gedichten, Liedern und Stichen versehenen Chronik
"Niederländischer Gedenkklang" aus dem Jahr 1626 dar, daß
Ferdinand II., inzwischen röm.-dt. Kaiser, unterstützt durch den
Papst, die Ausrottung der reformierten und die Institutionalisierung der
"papistischen"
Lehre beabsichtigt habe. [10]
Vor allem
der Bund, den die österreichischen und spanischen Habsburger miteinander
eingegangen waren, verknüpfte den deutschen Krieg unmittelbar mit dem Krieg
in den Niederlanden. In allen Facetten wurde die Vorstellung vom habsburgischen
Streben nach Welthegemonie unter der Flagge des Katholizismus verbreitet.
Hiervor mußten nicht allein die deutschen, sondern auch die
niederländischen Calvinisten Angst haben. Der Deventer Pfarrer Jacobus
Revius (1586-1658) spottete zwar, daß der Kaiser, der das "Erbe von Sankt
Peter" nicht verlieren wollte, sein Schwert zog, "um ein zerrissenes Netz, und
um einen leckgeschlagenen Kahn" - Anspielungen auf das Fischernetz des Apostel
Petrus und die durch ihn gegründete Kirche - zu verteidigen. [11]
Aber die Furcht vor der habsburgischen Gewalt war hierdurch nicht weniger real.
Samuel Ampzing (1590-1632), reformierter Pfarrer in Haarlem, schrieb im
"Naszousche laurel-kranze",
den er auf poetische Weise anläßlich der Eroberung von
's-Hertogenbosch durch Friedrich Heinrich geflochten hatte, daß Rom die
weltlichen Fürsten von Österreich und Spanien zur Vernichtung des
reformierten Glaubens aufgehetzt habe. [12] Ähnliche
Äußerungen liest man auch im
"Toneel
van Europa met haare personagien
af-gebeelt",
verfaßt vom Harderwijker Universitätsprofessor Johannes Isaak
Pontanus, welches Ampzing aus dem Lateinischen in "Niederdeutschen Reim"
übersetzt hatte: das "Huys van Oostenrijck" bemühe sich um die
Weltherrschaft und was Ferdinand wolle, das wolle Philipp
ebenso. [13]
Vor allem einige aus
Deutschland stammende Autoren trugen nach Kräften zu diesem Meinungsbild
bei. Der in Frankfurt am Main geborene, jedoch in der Republik tätige
Pfarrer Bartholomäus Hulsius (ca. 1601-vor 1642) schrieb, daß der
Kaiser kein Mittel scheuen würde, um sein Vorhaben durchzusetzen, weil ihm
der Sinn nach Verderben und Ausrottung stehe. [14] Die Greueltaten, die
seine Armeen begingen, zeigten, daß man es mit einem erbarmungslosen
Tyrannen zu tun habe. Und der wie Hulsius aus Deutschland, wahrscheinlich aus
Westfalen, stammende Pfarrer Rudolf Meyer (?- 1631), der zuvor bereits den
tragischen Tod des jungen Kronprinzen beklagt hatte, skizzierte in
entsprechender Weise in seinem "Heraclites Bohemicus ofte droevighe thranen,
over den dsolaten staet van Bohemen" (1631) die blutige Einnahme der Pfalz
durch die kaiserlichen Truppen. [15]
Von
diesem Gedankengang ausgehend wurden Rückschläge und Niederlagen als
Gottes Strafe für einen falschen Lebenswandel betrachtet. Laut Rudolf Meyer
war das Ausbleiben der Wiederherstellung des wahren Glaubens in Böhmen auf
von ihm nicht näher spezifizierte Sünden wie Hoffart und
Gotteslästerung zurückzuführen. Erst wenn die Gläubigen ihre
Sündhaftigkeit bekennen und bereuen würden, käme Gott zu Hilfe
und würde die Tyrannei vertreiben. [16] Dies waren Töne, die
Ewout Tellinck bereits 1621 in einem Pamphlet hatte erklingen lassen, das den
Titel trug:
"De creupele bode brengende seeckere tydinge uyt
Boëmen".
Sie stimmten in jeder Hinsicht überein mit dessen Programm zu einer
"nadere
reformatie"
mittels innerlicher Glaubenserfahrung und strikter
Lebensführung. [17]
Auch Valerius
deutete in seinen Liedern und Gedichten den Krieg als einen heiligen Krieg, der
allein mit Gottes Hilfe gewonnen werden könne. Verluste, wie z.B. die
Einnahme Prags 1621, waren eine Strafe Gottes und dienten dazu, den Menschen zu
echter Reue zu bewegen:
"Och ongeluckig Praag! Hoe
werd ghy nu geschonden?
Wat heeft de Spaensche
plaeg Al volck in u verslonden?
Wat baet nu al u
sterckt? Wat baet u groote machten?
Als God niet
mede werckt 't Syn al
verloren krachten. [...]
Och Sondaer,
'tis u goet! God wil u so castyden,
Om u tot rechte boet
Te brengen door het lyden:
Lyd maer geduldelyck,
't En sal
niet altydt dueren,
God sal sorgvuldelyck U saeck
ten besten stueren." [18]
Vor allem die Verwüstung Magdeburgs am 20. Mai 1631 war Beweis für die nichts und
niemanden verschonende Härte des Kaisers und seiner Befehlshaber. Eines der
eindrucksvollsten literarischen Zeugnisse über dieses Geschehen ist das
Zwiegespräch zwischen dem schwedischen König Gustav Adolf und der die
Stadt Magdeburg verkörpernden Jungfrau, das Jacobus Revius um 1631 aus dem
Deutschen in niederländische Verse übersetzte: es war der Abschaum der
Kannibalen, die auf rotglühenden Rädern aus der Höllenfinsternis
heraufgekommen waren, um die Stadt zu vernichten, ihren Körper zu
zerreißen, zu häuten und zu
verbrennen. [19]
Nicht umsonst wurde Tilly
in einem anonym verfaßten Gedicht mit dem Titel
"Een
nieuwen gheordonneerden
Sweed-dranck"
als Alba des Deutschen Reiches bezeichnet. [20] Herzog von Alba war
immerhin der Statthalter gewesen, der in der Anfangsphase des
niederländischen Aufstands bestrebt war, mit eiserner Hand die
Autorität des spanischen Königs wiederherzustellen, und von dem der
"Blutrat"
ins Leben gerufen worden war, welcher tausende Menschen das Leben gekostet
hatte. Albas Name stand seither in den Niederlanden stellvertretend für
alle Greueltaten der Unterdrücker und wenn überhaupt, dann wird hier
das Maß an Emotionalität deutlich, mit der die Geschehnisse in
Deutschland mit dem eigenen Freiheitskampf verglichen
wurden.
Auch die Erfolge, die der Bund deutscher
protestantischer Fürsten dank der Intervention des schwedischen Königs
Gustav Adolf verbuchte, wurden dem Eingreifen Gottes zugeschrieben. Der zuvor
bereits angeführte, von Jacobus Revius übersetzte Dialog zwischen
Gustav Adolf und der Stadt Magdeburg aus dem Jahr 1631 schloß mit der in
mehrfacher Wiederholung der Zeilen formulierten Erklärung, ganz auf die
Hilfe Gottes zu vertrauen: "Den vyant trotst op
peirt en wagen,
Maer in Gods naem de cans wy
wagen." [21]
Diese Sichtweise tritt auch
in Bartholomäus Hulsius' Emblematabuch
"Den onderganck des Roomschen Arents, door den Noorddschen
Leeuw" hervor, das insgesamt Gustav Adolf gewidmet ist. Obschon erst 1642
veröffentlicht, sind die Gedichte mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits ca.
zehn Jahre früher verfaßt worden. Laut der Darstellung eroberte der
schwedische König unter "Gottes Führung" die zuvor durch den Kaiser
besetzten Gebiete zurück. [22] Um zu betonen, daß allein Gott
den Sieg ermöglicht hat, zitiert Hulsius Psalm 115,1: "Nicht uns, nicht
uns, o Herr! Dir allein gehört die Ehre". Der König stellte zwar die
Armeen auf, doch der Sieg kam von
Gott. [23]
Als am 17. September 1631, vier
Monate nach der Verwüstung Magdeburgs, Gustav Adolf bei Breitenfeld im
Norden von Leipzig einen großen Sieg über Tilly errang, schrieb
Revius hierzu ein
"Danck-liedt
des alderdoorluchtichsten conincx voor de heerlicke overwinninge des keyserschen
legers voor Leypsich",
worin er den Sieg auf das rechtmäßige Gottesurteil über diese
hochmütigen Gegner zurückführt. Am Ende spricht er seine
Glaubensgenossen, auch die deutschen, als "auserwähltes Volk" an und mahnt
sie zu hoffen und zu glauben, "auch dann, wenn der Herr sein Antlitz
verbirgt". [24]
Die reformierte Kirche war
Gotteskirche und ihre Mitglieder waren Gottes Volk oder Gottes Kinder:
"Gliedmaße eines Körpers, dessen Haupt Christus ist", sagt Rudolf
Meyer. [25] Dies sind Begriffe, wie man sie bei streng calvinistischen
Dichtern vielfach findet. Und als Gottesvolk identifizierte man sich mit dem
alttestamentarischen Israel. Ständig wurden als Beweis für die direkte
Anteilnahme Gottes am niederländischen und deutschen Freiheitskampf
Parallelen zwischen der eigenen Geschichte und der des israelitischen Volkes
gezogen.
Und auch jetzt war die
Gegenüberstellung mit der Erlösung des jüdischen Volkes aus
ägyptischer Verbannung beliebt, die bereits seit Beginn des
niederländischen Aufstands verbreitet war. Verglich 1601 der Amsterdamer
Arzt Jacobus Viverius in seinem Gedicht
"Den
spieghel van de Spaensche
tyrannie"
das niederländische Volk mit Israel und den spanischen König mit dem
Pharao [26], so war es 1631 Rudolf Meyer, der in seiner
"Pietatis
Regis Bohemiae, ofte godvruchtigheyt van syn majesteyt van
Bhemen"
die Hoffnung aussprach, daß Böhmen wie einst Israel erlöst
werden würde und daß den Kaiser dasselbe Schicksal treffen möge
wie den Pharao. [27]
Andere im
Glaubensstreit des 16. Jahrhunderts festgeschriebene Vergleiche waren genauso
von Nutzen: Die Feinde deutscher Glaubensgenossen erhielten die Namen
alttestamentarischer Gegner Israels. Vor allen anderen verwendete Meyer
großzügig die Namen von Ammonitern, Moabitern und
Philistern. [28] Doch die meistgebrauchte Metapher, die zur Bezeichnung
des katholischen Feindes verwendet wurde, stammte aus dem Buch der Offenbarung:
der Papst, in dessen Auftrag die Habsburger Herrscher Krieg führen sollten,
wurde mit der Hure von Babylon und dem Antichristen gleichgesetzt. Dieses Motiv
aus der Offenbarung des Johannes wurde mit dem Baalskult aus dem Alten Testament
verknüpft, dem traditionellen Bild für die katholische
Heiligenverehrung überhaupt. [29] So wie der Papst der Antichrist
war, so vergegenwärtigte die habsburgische Macht das "Reich des
Antichristen", worin gemäß den Worten von Samuel Ampzing aus dem Jahr
1629 der "römische Gott Gottes Meister ist" und sein "Götzendienst"
die herrschende Religion. [30] Ausgehend von derselben Meinung wurden
die Fürsten und Heerführer, die sich in den Dienst der reformierten
Sache stellten, als heldenhafte Verfechter des Glaubens herausgestellt. Mit
großem Nachdruck führte man ihre tadellose Glaubensführung und
ihre Gottesfurcht als Belege für die richtige Haltung gegenüber ihrer
Aufgabe an. Christian IV. von Dänemark, so schrieb Ampzing, kämpfte
für die Sache Gottes, als die
"Frommen" durch die Truppen des Kaisers verfolgt wurden. [31] Neben dem eigenen
Statthalter Friedrich Heinrich galten vor allem Friedrich V. und Gustav Adolf
als die großen Kämpfer für den
Glauben.
Friedrich V. wurde von Rudolf Meyer als
ein tiefgläubiger Mann beschrieben, der sein Leben seiner Überzeugung
widmete. Meyer verglich die Verbannung des Winterkönigs mit Davids Flucht
vor Absalom.
"Gott",
so betete er,
"laß
Jerobeam nicht auf dem Thron bleiben, der dem Geschlecht Davids gebührt,
sondern sende einen Gideon, der dein Volk
befreit". [32]
Dieser Gideon war laut Bartholomäus Hulsius der schwedische König.
Darüber hinaus verglich er ihn mit Moses, der das israelitische Volk aus
Ägypten herausführte. Gustav Adolfs Tod im Jahr 1632 konnte dann auch
nicht die Hoffnung schmälern, denn nach Moses kam doch Josua, der Israel
schließlich ins gelobte Land
geleitete. [33]
Vergleiche wie der des
Papstes mit der Hure von Babylon wurden nicht nur von Calvinisten gezogen. Der
den Täufern zugehörige Jan van der Veen (1578-1659), Apotheker in
Deventer, lieferte z.B. um 1629 eine Einschätzung des niederländischen
Krieges, die so mancher Calvinist mit Wohlwollen gelesen haben wird. Auch er
umschrieb in sehr streitbaren Worten den Krieg gegen die
römisch-habsburgische Koalition, die vergewaltigend und brandschatzend ihr
Ziel zu erreichen suchte, als einen Glaubenskampf gegen das babylonische Reich
des Antichristen. Es fehlte bei van der Veen allerdings die Vorstellung von der
eigenen Partei als
"Gottesvolk";
er verwendete nur den in erster Linie politisch bedeutungsvollen Terminus
"unser
freies
Volk". [34]
Und genau hierin unterschied er sich, wie wir noch sehen werden, wesentlich von
den reformierten Dichtern.
Nicht zufällig
stammte eine relativ große Anzahl der oben angeführten Autoren aus
den östlichen Niederlanden: Willem Baudartius kam aus Zutphen, Jacobus
Revius und Jan van der Veen stammten aus Deventer. Vor allem in dieser Region
spürte man noch immer die Kriegsbedrohung.
Daß die Vereinigten Niederlande und die
deutschen protestantischen Fürstentümer es mit demselben Feind zu tun
hatten, wurde 1629 deutlich, als kaiserliche Truppen unter der Führung des
Heerführers Montecuccoli Spanien bei der Besetzung großer Teile der
zentralen Niederlande unterstützten. Die spanisch-deutschen Truppen
besetzten in raschem Tempo die Veluwe, eroberten die Stadt Amersfoort und
schienen sogar auf Amsterdam zuzusteuern. Nachdem Truppen der Generalstaaten
Wesel eingenommen hatten, wo sich die Geld- und Waffenarsenale der Spanier
befanden, waren diese allerdings gezwungen, sich zurückzuziehen. Ampzing
schrieb dazu 1630 unter dem Titel
"Nieuwe-iaers
dank-offer",
daß, nachdem der Kaiser ganz Deutschland in seine Gewalt gebracht habe, er
es auf die Niederlande insgesamt abgesehen habe. [35] Und Jacobus Revius
äußerte sich ähnlich anläßlich des Erscheinens von
Pappenheim vor Maastricht im Jahr 1632, wobei der Name
"Pappenheim"
natürlich die unumgänglichen Wortspielereien mit
"Pope"
und
"heimtückisch"
geradezu herausforderte. Doch wie hinterhältig der unter dem Anschein von
Neutralität durchgeführte Angriff des kaiserlichen Heeres auf die
Stellungen Friedrich Heinrichs auch war,
"unser"
Prinz wußte den Feind in die Flucht zu
schlagen. [36]
Besonders nach der Einnahme
von 's-Hertogenbosch durch Friedrich Heinrich im Jahr 1629, und im zunehmenden
Maße in den darauffolgenden Jahren drängten die Calvinisten und mit
ihnen die calvinistischen Dichter auf eine aktive Rolle der Republik im
deutschen Krieg. Generell betrachteten sie die Niederlande als den einzigen
Freihafen für den reformierten Glauben. Eine gute Gelegenheit für eine
direkte Einflußnahme bot sich 1632, als Kurfürst Friedrich V. sich in
der Hoffnung nach Deutschland begab, mit Hilfe Schwedens die Pfalz
zurückerobern zu können. Unter anderen war es Jacobus Revius, der in
diesem Zusammenhang die
"Bataver"
aufrief, gemeinsam mit ihm über den Rhein zu ziehen. [37] Frieden
konnte es nach Ansicht der Calvinisten erst geben, wenn der reformierte Glaube
den allumfassenden Sieg errungen haben
würde.
Doch inzwischen war den Calvinisten
ihre politische Vormachtstellung langsam entglitten. Zwar waren sie seit 1618
die einzige
"öffentliche",
d.h. offiziell anerkannte Kirche in der Republik, doch eine Staatskirche waren
sie nicht. Andere protestantische Glaubensrichtungen wurden toleriert, solange
sie sich nicht allzu deutlich manifestierten. Entsprechendes galt für die
Juden. Selbst die Katholiken konnten, obwohl offiziell verboten, meist ohne
große Schwierigkeiten gegen Bezahlung ihren Gottesdienst abhalten. Dies
wäre auch anders nicht möglich gewesen, denn um die Mitte des
Jahrhunderts war noch immer etwa ein Drittel der Bevölkerung
römisch-katholischer Konfession. Demgegenüber standen ebenfalls ein
Drittel Reformierte und zwischen 7% und 10%
Täufer. [38]
Solange Prinz Moritz
noch lebte, der in politicis die Seite der Calvinisten gewählt
hatte, besaßen sie großen Einfluß. Doch nach dessen Tod im
Jahre 1625 nahm dieser schnell ab und nach 1630 konnte von einem realen
calvinistischen Einwirken auf die Staatsführung keine Rede mehr sein. Ihnen
gegenüber standen nun diejenigen, die nach Frieden strebten, darunter die
meisten Amsterdamer Kaufleute und Regenten. Im Jahr 1632 begannen sogar
Friedensverhandlungen zwischen der Republik und Spanien, die jedoch scheiterten.
Vorläufig hielten beide Parteien,
"Falken und
Tauben",
einander mehr oder weniger im Gleichgewicht. Doch von einer Ausweitung des
Krieges entlang der östlichen Grenzen der Niederlande konnte keine Rede
mehr sein. [39]
In diesen Jahren begannen
einige nichtcalvinistische Dichter ihre Ansicht über den deutschen Krieg
kundzutun, unter ihnen an erster Stelle der bedeutenste niederländische
Dichter des 17. Jahrhunderts, der Amsterdamer Joost van den Vondel (1587-1679).
Auch für Vondel, der ursprünglich aus einer zu den Täufern zu
zählenden Familie kam und später Katholik geworden war, bildeten der
niederländische und deutsche Krieg einen einzigen Freiheitskampf gegen den
vereinten habsburgischen Aggressor. Für ihn handelte es sich allerdings
nicht um einen heiligen Krieg, sondern um einen politischen Kampf mit dem Ziel,
die althergebrachte deutsche und niederländische Freiheit gegen die
Machtgier der Fürsten zu schützen. Bereits 1627 kritisierte Vondel in
einem Gedicht zur Lobpreisung der Eroberung Groenlos den siegreichen Friedrich
Heinrich als den Beschützer der Völker. [40] Ein Jahr
später sandte er während einer Reise nach Dänemark einen
Reimbrief an den Dichter Pieter Corneliszoon Hooft. Darin schilderte er,
daß ihm während der Reise irgendwo in Niedersachsen eine "achtbare
Frau" begegnet sei. Sie schien die "Deutsche Freiheit" zu sein, die begleitet
von Grafen und Fürsten aus ihrem Land flüchtete, um Unterschlupf in
den sicheren Niederlanden zu suchen. Dort würde sie verharren, bis Holland
sie in ihrer alten Würde wiederhergestellt
habe.
Obschon auch in diesem Gedicht der
"habsburgische Machtübergriff" von 1618 als Ursache des deutschen Krieges
angeführt ist, fällt auf, daß es doch vor allem der
Fürstenstreit zwischen beiden Parteien war, der laut Vondel die
Katastrophen in das Land gebracht und die Freiheit vertrieben
hatte. [41]
Wiederum ein Jahr später,
1629, befürwortete Vondel zusätzlich noch eine weitere Form von
Freiheit: die Freiheit des Glaubens. Nicht die Freiheit für den einen
calvinistischen Glauben, vielmehr Glaubensfreiheit für jeden propagierte
er. Vondel tat dies in seinem
"Zegesang
ter eere van Frederick
Henrick"
nach dessen Eroberung von s'-Hertogenbosch, die zugleich auch viele Calvinisten
animierte, zur Feder zu greifen. Bei Vondel hieß dies allerdings nicht,
eine Hetze gegen alles Katholische zu betreiben. Am Ende gab er, nachdem er die
wiedergewonnene Freiheit besungen hatte, seinem Gedicht eine plötzliche und
unerwartete Wende:
"doch was
ist Freiheit, was sind Handfesten, wenn nicht jeder sie genießen kann? Man
soll nicht zulassen, daß die Gewissensfreiheit unterdrückt
wird".
Diese Religionsfreiheit für jeden, die Katholiken eingeschlossen,
würde nach seiner Vorstellung Holland sowohl zum Vorbild wie auch zum
Zufluchtsort für ganz Europa werden lassen. [42] Dies waren Worte,
die vor allem in der zweiten Hälfte der 1640er Jahre, in der Phase der
Friedensverhandlungen in Münster, erneut Aktualität bekommen
sollten. [43]
In seinem etwa um dieselbe
Zeit verfaßten Gedicht
"De
Rijnstroom"
wiederholte Vondel dies alles noch einmal: "Kirchenstreit und Herrenhaß"
seien eine "höllische Hydra", die die süßen Ufer des Rheins, ja
ganz Deutschland vergifteten. [44] Zunehmend begann nun aber in seinem
Werk etwas anderes wichtig zu werden: das Thema
"Frieden".
Von 1632 an - als auch tatsächlich Friedensverhandlungen stattfanden -
wurde dies die allesbeherrschende Perspektive, aus der er fortan über
militärische Operationen schreiben
sollte. [45]
Es fällt auf, wie sehr
in diesen Jahren Vondels Gedichte denen anderer Autoren wie z.B. den Werken von
Revius ähneln, und wie unterschiedlich zugleich der jeweilige Tenor ist.
Beispielhaft in dieser Hinsicht sind ihre Gedichte, die anläßlich der
Verwüstung Magdeburgs entstanden. Beide betrachteten den Sieg Gustav Adolfs
über die Truppen Tillys 1631 bei Leipzig als die gerechte Strafe für
die dort verübten Verbrechen. Doch während Revius aus dem Geschehen
die Lehre zog, daß man auch bei Rückschlägen weiter auf den
Herrn vertrauen müsse, und schließlich mit dem Gebet endete, Gott
möge den Feind vollständig vernichten [46], stellte Vondel im
selben Jahr mit allem Nachdruck die wiederhergestellte politische Freiheit in
den Vordergrund und verwies dabei vor allem auf den daraus hervorgehenden
Frieden. Nicht ohne Ironie beschrieb er, wie Tilly - aus calvinistischer Sicht
eine
"Geißel
Gottes" -
ein Phaethon zu sein schien: der mythologische Sohn des Sonnengottes, der zu
hoch hinausgewollt hatte und untergegangen war. Am Ende seines Gedichts rief er
Gustav Adolf auf, seinen Namen in den von Augustus zu ändern, dem
römischen Kaiser, der die Pforte des Kriegstempels geschlossen und seinem
Reich den Frieden beschert hatte. [47] Als Gustav Adolf im Jahr darauf
gegen das katholische Köln aufmarschierte, reichte Vondel ihm einen
dichterischen
"Olyftack"
[Ölzweig] dar, "um seine Majestät dazu zu bewegen, daß sie
Köln, meine Geburtsstadt, verschone". [48] Das letztendliche
Kriegsziel müsse der Friede sein. Hierin stünde der schwedische
Fürst in krassem Gegensatz zu Tilly und Pappenheim, die Greueltaten wie
Mord und Vergewaltigung auf ihr Gewissen geladen hätten, wie sie allein
für
"Türken
und
Marranen"
typisch wären. [49]
Vondel zieht
keine Vergleiche mit alttestamentarischen Helden. Das Bild vom Ölzweig ist
zwar anhand der Parallelen zwischen Köln und dem durch Alexander den
Großen eroberten Jerusalem entstanden, jedoch handelt es sich hier eher um
ein historisches als um ein biblisches Faktum. [50] Gustav Adolf ist ein
zweiter Alexander, ein Julius Cäsar, und schließlich - hoffentlich -
ein Augustus. [51] Dementsprechend ist Tilly das alter ego von
Attila, dem Hunnen. [52]
Auf ein
ebensolches Bild von Gustav Adolf treffen wir in der
"Sweedsche
Zeeg-trompet, der Christen Vryheyt Gustavus
Adolphus",
publiziert im Jahr 1631 durch den Amsterdamer Seemann Elias Herckmans (ca.
1596-1644). Der schwedische König entsprach laut seinen Worten einem
zweiten Alexander, der nach Deutschland gekommen war, um die Gewissensfreiheit -
verstanden im nämlichen Sinn, den auch Vondel ihr gab - wiederherzustellen.
Das Ziel seiner Mission sei die Friedensstiftung, womit er sich als Augustus
erweisen würde. [53]
Wiederum stimmen
die genannten Parallelen und Unterschiede zu Revius' Gedichten. Auch in dessen
"Tranen-vloet",
geschrieben zum Tod Gustav Adolfs im Jahre 1632, wurde dieser mit Alexander dem
Großen verglichen, doch darüber hinausgehend auch mit dem
philosophischen Kaiser Mark Aurel, mit Karl dem Großen als Begründer
des heiligen römischen Reiches, und mit Konstantin dem Großen, dem
ersten christlichen Kaiser im klassischen Rom. Der schwedische König
verkörperte als Befreier Deutschlands und der "Gotteskirche" die Tugenden
all dieser Fürsten, doch von der einen Tugend, die aus ihm einen Augustus
gemacht hätte, die des Friedensbringers, sprach Revius
nicht. [54]
Nach dem Tod Gustav Adolfs war
es in der Repulik mit dem dichterischen Interesse am deutschen Krieg weitgehend
vorbei. Vondel schrieb noch zwei Gedichte, worin er die deutsche Lage aus der
neuen Perspektive beleuchtete, die durch die wiederum aktuell gewordene
türkische Bedrohung entstanden war. In seinem Gedicht
"Op
de Tweedraght der Christe
Princen"
aus dem Jahr 1634 sprach er bereits die Furcht aus, daß die
europäischen Kriege indirekt den Türken ermöglichen würden,
Deutschland zu überrennen und Köln in einen Pferdestall zu
verwandeln. [55] Und 1635 formulierte er im Gedicht über den
"Bestand
tusschen Polen en
Sweden" den
Wunsch, der polnische König möge doch unbedingt den türkischen
Attacken standhalten. [56] Doch damit hatte es sich dann auch in
etwa.
Erst als die Friedensverhandlungen in
Münster in Gang kamen, kehrte die deutsche Situation wieder in den
Blickpunkt des niederländischen Interesses zurück.
Bemerkenswerterweise waren es nun fast ausschließlich nichtcalvinistische
Dichter, die sich vernehmen ließen. Die Calvinisten führten das Wort
vor allem in Pamphleten, worin sie sich heftig gegen den in Aussicht gestellten
Frieden der Republik mit Spanien wandten. In den Niederlanden führten die
Befürworter des Friedens, wie z.B. der dissident-protestantische Pfarrer
und Dichter Gerhardt Brandt (1626-1685) und der katholische Direktor des
Amsterdamer Stadttheaters, Jan Vos (ca. 1610-1667), vor allem das von Vondel
bereits 1629 vertretene Argument an, daß es ungerechtfertigt wäre
weiterzukämpfen, nachdem die Freiheit als Ziel des Krieges erreicht
war. [57] Dieses letzte:
"es ist
genug"
finden wir auch in den Kommentaren der Dichter zum deutschen Krieg wieder,
jedoch dort vor allem untermauert durch Verweise auf den erbarmungswürdigen
Zustand, in dem Deutschland sich befand. Ein derartiger Zustand war, abgesehen
von einigen Ausnahmeregionen im grenznahen Raum, in der Republik seit Beginn des
17. Jahrhunderts nicht mehr aufgetreten.
In einem
Gedicht mit dem Titel
"Vrede-sucht,
door het geheel bedroefde
Christen-ryck"
aus dem Jahr 1647 fragte der anonyme Autor in einem herzerweichenden Gebet Gott,
wie lange es noch dauern müsse, ehe die Zeiten der Verwüstung
vorüber seien. [58] Der Amsterdamer Hotelier und Kollegiant Jan
Zoet (1615-1674) bat zur gleichen Zeit seine Landesgenossen um Mitleid mit dem
durch Katastrophen und Plagen heimgesuchten deutschen Volk. [59] Und
auch Jan Vos flehte 1648 die europäischen Fürsten an, gemäß
dem niederländisch-spanischen Vorbild Frieden zu schließen:
"Werft",
so schrieb er,
"die Waffen
ins Feuer und schließt wie zu Zeiten des Augustus die Kriegspforten des
Janus". [60]
Laut einer Reihe von Dichtern konnte der deutsche
Frieden allein durch Schweden und mit Königin Christina in der
Schlichterrolle erzwungen werden. Im Jahr 1647 verfaßten sowohl Vondel wie
auch der junge, zu den Täufern zählende Dichter Reyer Anslo
(1626-1669) Gedichte zu einem Gemälde, in dem Christina als Göttin
Pallas Athene dargestellt war, die aus dem Kopf ihres Vaters Zeus,
versinnbildlicht als Gustav Adolf, geboren wurde. Aus der Verarbeitung dieses
Motivs wird deutlich, wie sehr sich die Sichtweisen der Dichter unterschieden:
Anslo sah in Christina vor allem Pallas, Göttin der klugen
Kriegsführung und Kämpferin. Er stellte die Ernsthaftigkeit heraus,
mit der sie sich auf ihre Krönung vorbereitete, um ihr Land mit derselben
Weisheit wie ihr Vater regieren und den Kampf in Deutschland weiterführen
zu können. Für ihn war sie die Kriegslöwin der Goten, die
Streitmagd, welche König Gustav Adolfs Mannesmut unter ihrem
jungfräulichen Busen trug. [61] Auch in einem 1650 entstandenen
Gedicht über ihre Krönung stellte Anslo Christina als diejenige dar,
die den deutschen Krieg mit den Waffen geschlichtet habe. Sie habe sich
tatsächlich als würdige Nachfolgerin ihres Vaters manifestiert, der
sein Leben für die Freiheit der deutschen Fürstentümer und die
Gewissensfreiheit gegeben habe. Erst nachdem sie die Tyrannei bezwungen habe,
habe sie seinen Tod als gerächt angesehen und Frieden mit dem Kaiser
geschlossen. [62] Im selben Jahr beschrieb auch Jan Vos die Königin
mit vergleichbaren Begriffen als Fortsetzerin des gerechtfertigten Krieges, der
zunächst von ihrem Vater geführt, doch letztendlich durch sie
beigelegt worden sei. [63]
Wie sehr dies
alles auch an Gedichte anknüpfen mochte, die Vondel zu Beginn der
dreißiger Jahre über Gustav Adolf geschrieben hatte, nun ließ
Vondel selbst doch andere Töne erklingen. Nachdem er alle ritterlichen
Qualitäten Christinas gelobt hatte, wünschte er ihr 1647 doch vor
allem den Ölzweig, das Friedenssymbol schlechthin; kein Rubin würde so
schön an ihrer Krone glitzern wie das der Göttin Pallas geweihte
Laub. [64]
Später, im Jahr 1653,
sollte er sie sogar als diejenige benennen, die in ihrer unermeßlichen
Weisheit und aus purer Sehnsucht nach Frieden ihre Truppen aus Deutschland
abgezogen habe. Ihr Vater mochte der Kriegsheld sein, sie überrage ihn
dadurch, die Waffen niedergelegt zu
haben. [65]
Für die meisten
niederländischen Dichter war das wichtigste Argument für einen Frieden
in Deutschland allerdings nicht die wiederzugewinnende Freiheit oder die
unerträglichen Kriegsgreuel, sondern die Bedrohung durch die
Türken.
Vondel formulierte, wie wir gesehen
haben, als ein frühzeitiger Friedensapostel diese Ansicht bereits 1634.
Nach der Landung der Türken auf Kreta im Jahr 1645 setzte sich jedoch auch
allgemein die Erkenntnis durch, daß durch einen Krieg zwischen den
Fürsten in Europa das gesamte Christentum gefährdet war:
"Währenddessen
die Christen sich gegenseitig
niedermetzeln",
schrieb Jan Zoet,
"schärft
der Türke sein
Schwert". [66]
Die
Dichter zogen hier die weitestgehende Schlußfolgerung aus der Ansicht,
daß der Krieg auch ein Kampf um die Glaubensfreiheit war. Nach ihrer
Meinung taten die Gegensätze untereinander nichts mehr zur Sache, nachdem
nun die ganze Christenheit durch eine Religion bedroht wurde, die den wahren
Gott nicht anerkannte. Der aus Dordrecht stammende, den Täufern
zuzurechnende Maler und Dichter Samuel van Hoogstraten (1627-1678) beendete 1648
sein allegorisch angelegtes Stück über den Frieden
"Vryheit der Vereenighde Nederlanden"
mit dem Ausruf, daß der Kriegsdonner des Mars nunmehr dort ertönen
müsse, wo "der Turban und der Hut" einander im ewigen Haß
gegenüberstanden. [67]
Am
eindeutigsten waren die Dichter, die selbst römisch-katholischen Glaubens
waren, oder sich diesem nahe fühlten. Jan Vos schrieb in dem sehr
ausführlichen programmatischen Gedicht
"Vreede tusschen Filippus de Viedre, Koning van Spanje; en de Staaten der Vrye
Neederlanden" aus dem Jahre 1648:
"Wy willen niet, dat ghy de
waapens aan den want
Van't hof zult hangen; neen. zy moeten niet
verroesten.
Gy moet naa Soliman, om't Oosten te verwoesten,[...]"
Lutheraner, Calvinist,
Katholik: dies mußten nach seiner Auffassung "vergessene Namen" sein, so
daß Dänen, Niederländer, Schweden, Deutsche, Spanier, Italiener,
Franzosen und Polen gemeinsam den Türken über den Bosporus würden
jagen können. [68]
Bei einigen
Dichtern erhielt der europäische Krieg gegen die Türkei, zu dem sie
aufriefen, sogar den Charakter eines Kreuzzuges. So drückte der Autor des
Gedichts "Vreede-sucht" die Hoffnung aus, daß ein
"kreuztragendes Heer" unter dem "Kreuzbanner Christi"
das heilige Land erobern würde. [69] Auch Reyer Anslo, der bald
nach 1650 den römisch-katholischen Glauben annehmen sollte, rief in seinem
Gedicht "Op de tweedragt der christenen en den Turkschen
oorlog" mit einem Hinweis auf die Kreuzzüge der europäischen Fürsten dazu
auf, die Fahne auf das heilige Grab zu pflanzen. [70] Der Titel des
Gedichts steht übrigens in direktem Zusammenhang zu dem von Vondel elf
Jahre zuvor verfaßten Text.
Am weitesten
wagte sich Vondel selbst vor. Dieser war bereits um 1640 Katholik geworden, und
seine Sichtweise vom deutschen Krieg trug hiervon deutliche Spuren. Eintracht
der Christen untereinander bedeutete für ihn Einigkeit unter Rom, wobei der
Papst als Friedensstifter zwischen den einander bekämpfenden Christen und
als Wegbereiter eines Krieges zur Abschreckung der Türken und Tartaren
auftrat. [71] Im Jahr 1653 äußerte Vondel sogar die Ansicht,
daß die christlichen Länder sich der Kaiserkrone Ferdinands III.
würden unterordnen müssen, um die drohende Gefahr abzuwehren:
"Das ganze
Christenreich, wie ein Schiff auf wilder See von allen Seiten, und
gegenwärtig von Türken und Tartaren bestürmt, und in der Not des
Schiffbruchs, fordert über alle Maßen einträchtige Ehrerbietung
gegenüber dem Kaisertum, um den gemeinsamen Erbfeind des Namens Christi
aufzuhalten, und den Boden des Reiches und seine Grenzen gegen den Einfall der
wilden Völker abzusichern und zu stärken;
[...]" [72]
Hatten
25 Jahre früher calvinistische Dichter im deutschen Krieg ein katholisches
Komplott gegen den wahren Glauben des Heidelberger Katechismus entdeckt, nun
wurde - und daß nicht etwa durch irgend jemand - offen ausgesprochen,
daß der unter der Fahne des Katholizismus vereinte wahre Glaube den Kampf
mit den realen Feinden Gottes aufnehmen müsse. Die Zeiten hatten sich
wahrlich geändert!
Doch auch dieser Krieg in
Gegenden fern von den sicheren Niederlanden hatte seine romantische
Anziehungskraft, zumindest in der Literatur: 1650 publizierte Samuel van
Hoogstraten eine Liebesgeschichte mit dem Titel
"Schoone
Roselijn".
Im letzten Kapitel des Buches verläßt ein von der Liebe
enttäuschter Jüngling mit Namen Friedrich die Republik; nicht wie im
Jahr 1624 sein Vorgänger Waterbrandt, um im deutschen Krieg zu
kämpfen, sondern um sich den Truppen anzuschließen, die die
polnischen Grenzen gegen die Angriffe der Russen und Tartaren verteidigten und
gegen "Ottomann, Prinz von Rumänien, der mit sechshundert
Turbanträgern, alles tapfere Schützen, den Kasachen zu Hilfe gekommen
war, [...]". [73] Auch in dieser Hinsicht hatten sich die Zeiten
geändert.
ANMERKUNGEN
1. Jacobus Revius, Coninx-clachte op de doot vande prince van Bohemen, in:
Revius 1971, II, S. 72; Jacobus Revius, Antwoort des princen, in: Revius
1971, II, S. 72; Joost van den Vondel, Lijck Traenen. Over het veronge lucken
van den jongen keur vorst, in: Vondel 1927-1937, III, S. 255f.; Jakob
Westerbaen, Traenen van de door luch tighste konin ginne Elisabeth [...] van
Bohemen, [...] over de dood van prins Hendric Frederic, [...], in: Wester
baen 1657, S. 256f.; ferner Meyer 1631
2. Vondel
1927-1937, III, S. 256.
3. Vgl. z.B. Knuttel
1888-1920, I.1 en I.2, Nrn. 2497-2499, 2813-2829, 3021-3053, 3133-3158,
3291-3306.
4. "Memorandum oder kurze Geschichte
der denkwürdigsten kirchlichen und weltlichen Geschehnisse aus den
Niederlanden, aus Frankreich, Hochdeutschland, Großbritannien, Spanien,
Italien, Ungarn, Savoyen und der Türkei von 1603 bis zum Jahre 1624"
Baudartius 1624.
5. Grootes
1988.
6. Vgl. Deursen 1974, S. 298-309,
356-371.
7. Teellinck 1621, S.
24.
8. Hierzu Spies (im
Druck).
9. Baudartius 1624, II, Buch 10, S.
117-121.
10. Valerius 1943, S.
218f.
11. Jacobus Revius, Keyser, in:
Revius 1971, I, S. 252.
12. Ampzing 1629, S.
5.
13. Ampzing 1631, S. 18.
14. Hulsius 1642, p. 10. Vgl. Lieburg 1996, S.
108.
15. Meyer 1631a. Vgl. Lieburg 1996, S.
167.
16. Meyer 1631a, 1 recto, S.
33-37.
17. Teellinck 1621, S. 6-9.
18. Valerius 1943, S. 221.
19. "O unglückseliges Prag! Wie wirst du nun
geschändet? / Wie hat die spanische Plag alles Volk in dir verschlungen? /
Was nützt jetzt all deine Stärke? Was deine großen Mächte?
/ Wenn Gott nichts dazu tut, sind's alles verlorene Kräfte. / [...] / O
Sünder, zu deinem Besten ist's! Gott will dich so kasteien, / Um dich zu
rechter Buße zu bringen durch das Leiden: / Leide nur geduldig, es wird
nicht endlos währen, / Gott wird mit Sorgfalt deine Sache zum Besten
kehren." Jacobus Revius, T'samen-sprekinge des alder doorluchtichsten konincx
van Sweden, ende der Maegdenborgsche nymphe, in: Revius 1971, II, S.
116-122.
20. Sweeddranck 1632, S. B 1 recto. Das
Gedicht ist unterzeichnet mit dem Wahlspruch
"Bemint
rust"
(Liebt die Ruhe).
21. "Der Feind trotzt zu Pferd
und mit Wagen, / Doch in Gottes Namen die Chance wir wagen." Jacobus Revius,
T'samen-sprekinge, in: Revius 1971, II, S.
122.
22. Hulsius 1642, S. 26-29, Zitat auf S.
27.
23. Hulsius 1642, S.
23.
24. Jacobus Revius, Danck-liedt des
alderdoorluchtichsten conincx van Sweden voor de heerlicke overwinninge des
keyser schen legers voor Leypsich, in: Revius 1971, II, S.
105ff.
25. Meyer 1631a, S. 4 recto.
26. Spies 1994, S. 141-158, Zitat auf S.
145.
27. Meyer 1631a, S.
29f.
28. Meyer 1631a, S.
41.
29. Spies 1992, S. 66-74, besonders S.
68.
30. Ampzing 1629, S.
8.
31. Ampzing 1629, S.
23.
32. Rudolphus Meyer, Pietas Regis Bohemiae,
ofte godvruchtigheyt van syn majesteyt van Bhemen, in: Meyer 1631, S. 24-32,
besonders S. 25ff. Vgl. auch Baudartius 1624, I, Buch 9, S. 119f.; II, Buch 13,
S. 36.
33. Hulsius 1642, S. 18, 25,
34f.
34. Jan van der Veen, Mey-crans. Van
verscheyden Cruyden, over de [...] veroveringhe der stadt 'sHertogen-bos.
[...] in: Veen 1658, S. 415-423, Zitat auf S.
416.
35. Ampzing
1630.
36. Jacobus Revius, Vreugden-rey op den
gheseghenden tocht des [...] prince van Oranjen int lopende jaer M DC XXXII.
[...], in: Revius 1971, II, S. 127-135, besonders S.
134f.
37. Jacobus Revius, Opweckinge aende
Bataviers tot den tocht met sijn conincklijcke majesteyt van Bohemen, in:
Revius 1971, II, S. 123.
38. Knippenberg 1992, S.
21-30.
39. Smits-Veldt 1977-1978, S. 217-245,
besonders S. 229f.
40. Joost van den Vondel,
Verovering van Grol, door Frederick Henrick, Prince van Oranje, in:
Vondel 1927-1937, III, S. 124-152, besonders S.
151f.
41. Joost van den Vondel, Brief aen den
Drost van Muyden, spellende de herstellinge der Duytsche Vryheyd, in: Vondel
1927-1937, III, S. 187-191.
42. Joost van den
Vondel, Zegesang ter eere van Frederick Henrick, Boschdwinger, Wezelwinner,
Prince van Oranje, in: Vondel 1927-1937, III, S. 264-285, besonders S.
284f.
43. Hierzu auch Spies (im
Druck).
44. Joost van den Vondel, De
Rijnstroom, in: Vondel 1927-1937, III, S. 289-295, Zitat auf S.
294.
45. Smits-Veldt 1977-1978, S.
227-239.
46. Jacobus Revius, Danck-liedt
[...], in: Revius 1971, II, S.105-107, besonders S. 107.
47. Joost van den Vondel, Maeghdeburghs
lijckoffer ontsteecken op het hoogh autaer, by Leypzigh, door den
onverwinnelyken koninglyken held Gustaef Adolf, arm der Duytsche Vryheyd,
in: Vondel 1927-1937, III, S. 357-366, besonders die Verse 76, 127f., 171f. und
185-188.
48. Joost van den Vondel, Olyftack aan
Gustaaf Adolf, om syne majesteit te bewegen, datse Keulen, mijn geboortestadt,
verschone, in: Vondel 1927-1937, III, S.
377ff.
49. Joost van den Vondel, Maeghdeburghs
lijckoffer [...], in: Vondel 1927-1937, III, S. 363, Vers
89.
50. Joost van den Vondel, Olyftack
[...], in: Vondel 1927-1937, III, S. 377f., Verse
21-64.
51. Joost van den Vondel, Maeghdeburghs
lijckoffer [...], in: Vondel 1927-1937, III, S. 359 [Auftragssonett] und S.
365f., Verse 155 und 188.
52. Joost van den
Vondel, Olyftack [...], in: Vondel 1927-1937, III, S. 379, Vers.
70.
53. Herckmans
1631.
54. Jacobus Revius, Tranen-vloet op de
droeve doot des alder doorluchtichsten, groot-machtichsten ende groot-dadichsten
Gustavi Adolphi [...], in: Revius 1971, II, S. 143-149, besonders S.
147ff.
55. Joost van den Vondel, Op de
tweedracht der christe princen. Aen Iezus Christus, in: Vondel 1927-1937, S.
419f.
56. Joost van den Vondel, Bestand
tusschen Polen en Sweden. Aen Dantzick, in: Vondel 1927-1937, III, S.
428ff.
57. Spies
1997.
58. Vredesucht
1647.
59. Zoet 1675, S.
146ff.
60. Jan Vos, Vreede tusschen Filippus de
Vierde, Koning van Spanje; en de Staaten der Vrye Nederlanden, in: Vos
1662-1671, I, S. 89-122, Zitat auf S. 122.
61.
Reyer Anslo, De Zweedsche Pallas, in: Anslo 1713, S.
186-188.
62. Reyer Anslo, De gezegende krooning
van de doorluchtigste en magtigste princesse Christina, der Zweden, Gotten en
Wandalen koningin; [...] in: Anslo 1713, S.
203f.
63. Jan Vos, Vertooningen of schilderyen
voor de koningin Kristina van Zweeden, in: Vos 1662-1671, II, S.
186-191.
64. Joost van den Vondel, Afzetsel der
koningklycke printe, in: Vondel 1927-1937, V, S.
354-360.
65. Joost van den Vondel, Afbeeldinge
van Christine der Zweden, Gotten en Wenden koninginne, door David Beck, hare
majesteits kamerling, uitgeschildert, in: Vondel 1927-1937, V, S. 588-594,
besonders S. 591f.
66. Jan Zoet, De geschoren
Hollander, in: Zoet 1675, S. 44f.
67.
Hoogstraten 1648, S. C 2 verso.
68. "Wir wollen
nicht, daß ihr die Waffen an die Wand / des Hofes hängt; nein! Sie
dürfen nicht verrosten. / Ihr müßt nach Soliman, um den Osten zu
verwüsten, / [...]" Jan Vos, Vreede tusschen Filippus de Vierde, [...];
en de Staaten der Vrye Neederlanden, in: Vos 1662-1671, I, S.
108f.
69. Vredesucht 1647, S. A 4
recto.
70. Reyer Anslo, Op de tweedragt der
christenen en den Turkschen oorlog, in: Anslo 1713, S.
171-174.
71. Joost van den Vondel, Olyftack van
zijne heiligheit Innocent de Tiende, in: Vondel 1927-1937, IV, S.
579f.
72. Joost van den Vondel, [Opdracht van
het treurspel Lucifer aan] Den onverwinnelijcksten Vorst en Here [...] Ferdinand
den Derden [...], in: Vondel 1927-37, V, S. 604f., Zitat auf S.
605.
73. Hoogstraten 1650, S.
147.
© 2001 Forschungsstelle "Westfälischer Friede", Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, Domplatz 10, 48143 Münster, Deutschland/Germany. - Stand dieser Seite: 2. Mai 2002