DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur |
KLAUS HORTSCHANSKY Musikalischer Alltag im Dreißigjährigen Krieg |
Ein Sinnbild in Gabriel Rollenhagens "Nucleus emblematum" von 1611 zeigt König David vor einer weiten Landschaft, wie er die Harfe spielt, während der Zweizeiler die
Zeitgenossen belehrte: "MVSICA SERVA DEI, nobis haec otia fecit: / Illa potest
homines, illa mouere Deum" (Die Musik ist die Magd Gottes, uns gibt sie Ruhe und
Frieden. Sie vermag die Menschen und Gott zu bewegen). Die Macht der Musik, die
hier in Friedenszeiten beschworen ist, wurde nach dem Verständnis der Zeit
in "bösen" Zeiten noch mehr herbeigesehnt als in guten. Sie bewirkte
Zerstreuung ebenso wie Tröstung, sie diente der Feier ebenso wie dem Dank.
Im Alltagsleben der Menschen war Musik ein nicht wegzudenkender Bestandteil,
gleichgültig ob man dabei an die Bildungseliten der Höfe, Klöster
und Städte denkt oder an die Bauern auf dem Lande und die unteren Schichten
in der städtischen Bevölkerungshierarchie.
Die kriegerischen
Verwicklungen in Mitteleuropa haben zu keiner Zeit und in keiner Region
Musikleben erlöschen lassen. Die Städte und Residenzen haben
funktioniert. Sie haben zwar sowohl unter den ständig wechselnden
Besatzungen und Einquartierungen als auch unter den wiederkehrenden Seuchen
gelitten, und trotzdem wurde in ihnen Musik gemacht - zum geistlich-festlichen Lebensvollzug ebenso wie zum
geselligen Zeitvertreib. Musik war mit den allgemeinen Lebensgewohnheiten fester
verbunden als heutzutage. Sie hatte ihren fest definierten funktionalen Ort, der
von den kriegerischen Ereignissen weder in Frage gestellt noch ausgehebelt
wurde.
Dennoch fanden Reduktionen statt, die von
der Sache her am stärksten an den Hofhaltungen und beim Adel eingreifen
mußten. Solange die Fürsten und der Führungsadel im Felde waren,
bedurfte es nicht mehr des großen musikalischen Apparates der
Friedenszeiten. Die Auseinandersetzungen auf dem Kriegsschauplatz hatten
für Hofmusiker mindestens zwei berufsbedingte Konsequenzen - sieht man
einmal von dem persönlichen Leid ab, das einzelnen durch die Kriegswirren
und deren Begleiterscheinungen widerfahren ist. Sie konnten entlassen werden,
weil die Kapelle gar nicht mehr oder nur in einem äußerst
beschränkten Umfang unterhalten wurde. Oder die Hofmusiker mußten
sich mit Arbeitsbedingungen und Aufgabenstellungen zufrieden geben, die weit
unter ihren künstlerischen Möglichkeiten lagen und daher als
unbefriedigend angesehen wurden.
Für die
Nichtauslastung des vorhandenen künstlerischen Potentials ist der
sächsische Hofkapellmeister Heinrich Schütz (1585-1672) das
prominenteste Beispiel. Wollte man seinen Lebenslauf einmal nur unter dem Aspekt
sehen, wie er denn seine Talente in den Dienst fremder Herren stellte, weil der
sächsische Hof nicht ausreichend Verwendung für ihn hatte, so
käme bereits eine beachtliche Lebensbilanz zustande, die manches andere
Leben voll ausgefüllt hätte.
Doch suchte
Schütz über seine eigenen Belange hinaus auch die der Kapellmitglieder
zu vertreten und diesen Arbeit zu vermitteln, die befriedigender sein mochte als
die verordnete Untätigkeit in Dresden. So empfahl er 1643 die Dresdner
Musiker Philipp Stolle (1614-1675), Matthias Weckmann (1621-1674) und Friedrich
Werner an den Hof des dänischen Kronprinzen Christian (1603-1647) in
Nykøbing auf Falster; erst 1647 wurden Stolle, Weckmann und Werner wieder
in Dresden zurückgemeldet.
Auch wenn die in
den Krieg hineingezogenen Hofhaltungen und Adelshaushalte mehrheitlich
Einsparungen vornehmen mußten, gibt es Höfe, in denen die Zeiten des
Krieges geradezu von einer Blütezeit des musikalischen Lebens begleitet
wurden. Solch ein Fall ist der wettinische Hof der Ernestiner in
Weimar.
Das Alltagsleben in der Stadt kennt
traditionsgemäß Musik als unabdingbaren und akzessorischen
Bestandteil. Als nahezu undenkbar wäre dem Stadtbürger das Ansinnen
erschienen, etwa während des Gottesdienstes auf Kirchenmusik, bei einer
Beerdigung auf Trauermusik, bei einer bürgerlichen Hochzeit auf ein
Carmen nuptiale oder bei einer zeremonialen Feier im Rathaus oder in der
Universität auf festliche Musik zu verzichten. Es dürfte schwerfallen,
in der weitverstreuten Literatur der städtischen Musikpflege einen Vorgang
zu finden, bei dem wegen des Krieges ein entsprechender Verzicht gefordert
worden wäre. Musik gehört in bestimmten sozial und funktional klar
umrissenen Bereichen zum festen Bestandteil des Lebensvollzuges in der Stadt und
- wenn die entsprechenden Traditionen es hergaben - im eben beschriebenen Sinne
auch auf dem Dorf.
An der Spitze der
städtischen Musiker-Hierarchie stand der Kantor, der nicht selten auch
Musikdirektor der Stadt war, der im allgemeinen ein Studium absolviert hatte und
als Latein- und Musiklehrer nach Rektor und Konrektor seinen definierten Platz
als "Tertius" am städtischen Gymnasium innehatte. Daß seine Stellung
zu keiner Zeit zur Disposition gestanden hat, bedarf kaum einer Überlegung.
Dasselbe gilt natürlich auch für seine musikalischen Funktionen,
nämlich den Gottesdienst und bestimmte Feierlichkeiten mit Musik zu
versorgen - auch sie wurden all die Kriegsjahre über
aufrechterhalten.
Zwingend notwendig für die
Aufrechterhaltung des Musiklebens in der Stadt waren auch die Organisten, die
ihren Dienst während der Gottesdienste und daneben bei größeren
festlichen Anlässen als Accompagnisten zu leisten hatten. Sie standen dem
Kantor, auch wenn sie nicht selten einen anderen Bildungsweg aufwiesen, im
Ansehen nicht nach, mancherorts, wie in Nürnberg, genossen sie sogar noch
mehr Respekt.
Anders die Rats- und
Stadtmusikanten. Ihre Tätigkeitsbereiche sind breit gefächert gewesen
und für Einschränkungen durchaus anfällig. Das gilt namentlich
für solche besonderen Anlässe, bei denen normalerweise
Militärmusiker mit hinzugezogen wurden, die jetzt - während des
Krieges - natürlich nur eingeschränkt und je nach den gerade
herrschenden örtlichen Umständen zur Verfügung standen. Sofern
die Städte eine eigene musikalische Festkultur betrieben, läßt
sich hier fallweise eine erhebliche Zurücknahme
beobachten.
Freiberg in Sachsen bietet dafür
ein dokumentiertes Beispiel: Dort konnte seit 1619 das bis dahin
alljährlich von der Lateinschule mit musikalischen Darbietungen durchsetzte
Gregoriusfest nicht mehr stattfinden, "wegen der schweren Zeitt, vielfeltiger
obliegender Ausgaben der Bürgerschaft vndt bedrengnus der Exulanten, Auch
wegen niederlegung alles bewerbes, handels vndt wandels, Verseumung der Jugendt
Vndt andere Vrsachen mehr." [1]
Angesichts
der klaren Organisationsstruktur der Lateinschulen in den protestantischen
Ländern des Reiches hatte auch das Ansehen des Kantors seine festumrissene
Gestalt gewonnen, gerade in den Städten, in denen eine anspruchsvolle
Gottesdienst- und öffentliche Musik geleistet werden konnte. In den vom
Krieg heimgesuchten Regionen fällt der deutliche Behauptungswille auf, als
ob man in den bedrängten Zeiten in besonderem Maße Verantwortung zu
tragen habe und auch tragen wolle. Dies wird nicht nur in der treulichen
Pflichterfüllung erkennbar, die allenthalben zu beobachten ist, sondern
findet auch seinen Ausdruck in einem gesteigerten
Selbstdarstellungsbedürfnis, das sich in der Vorkriegszeit bereits
angebahnt hat und sich jetzt - geradezu dem Kriege zum Trotz - besonders
nachdrücklich zu erkennen gibt. Zwei Symptome werden
sichtbar.
Die gedruckten Veröffentlichungen
von Kantoren nahmen seit 1620 an Zahl deutlich zu. Die Drucke boten auch die
Möglichkeit eines geringen Nebenverdienstes, da die Widmungsträger -
seien es Einzelpersonen, seien es Stadtverwaltungen - dem Komponisten eine
kleine Vergütung zukommen ließen. Wenn der Nürnberger Organist
Erasmus Kindermann (1616-1655) den zweiten Teil seines "Opitianischen Orpheus"
von 1642 in einem Exemplar dem Rat der Stadt Regensburg und in einem anderen
Exemplar "denen [...] Herren Burgermeistern u. Rath [...] der Freyen Stadt
Nördling" gewidmet hat [2], so spricht daraus auch die Not, die
manches Mal zur Mehrfachdedikation zwang.
Bei der
auferlegten Verantwortung hat offensichtlich auch das Selbstbewußtsein der
Kantoren eine neue Bewertung erfahren. Es wird sichtbar an dem zunehmenden Hang
zum Portrait, das die Mitwelt von dem Komponisten zu sehen wünscht. Die
bildliche Darstellung ist dabei häufig mit einem Notenblatt versehen, das
der Portraitierte in der Hand hält oder das als Über- oder Unterleiste
das Blatt schmückt. Das neuerwachte Autorenverständnis manifestiert
sich zumeist in einem Kanon, mit dem symbolisch auf die immanente
Gesetzmäßigkeit der Musik ganz allgemein ebenso wie auf die hohe
kompositorische Befähigung des Dargestellten hingewiesen
ist.
Johann Stadens (1581-1634) Portrait,
gestochen von Johann Pfann in Nürnberg, ist erst 1640, einige Jahre nach
dem Tode des Musikers, erschienen. Staden war zuletzt Organist an St. Sebald zu
Nürnberg gewesen. Der Portraitstich nimmt jedoch auf die amtliche
Tätigkeit des Dargestellten erst am Schluß der "Würdigung"
Bezug; im Vordergrund steht vielmehr seine Haltung als "Musicus Religiosus" und
sein Können als "Symphonista". In der linken Hand hält der Komponist
ein längliches Notenbuch, in das gerade eben - denn Staden hält noch
die Feder in seiner rechten Hand - die Komposition "o mensch gedenck d[es]
anfang und wer du bist im außgang" eingetragen ist. Es ist die alte
Weisheit vom Werden und Vergehen, von der Aufgabe und deren Einlösung, die
das Leben des von Frömmigkeit und Musik erfüllten Nürnberger
Organisten ausgemacht hat, und die er sich in sein Lebensbuch schreibt. Es ist
auch das alte, in verschiedenen Versionen umlaufende deutsche Sprichwort "Mit
Gott fang' an! Mit Gott hör' auf! Das ist der beste
Lebenslauf" [3], das in der Liedzeile anklingt und das in den
Kriegszeiten besonderen Trost bieten
mochte.
Persönliche Schicksale trafen auch
diese städtischen Musiker, rissen Lücken, die ebenso schnell wieder
geschlossen wurden. Denn weder an Nachwuchs mangelte es, noch litt die
Ausbildung entscheidend unter den Kriegslasten. Johann Staden starb 1634 in
Nürnberg an der Pest, nachdem eine erste Welle dieser Seuche 1627 bereits
seine Ehefrau Walpurgis, Sohn Johannes und die Tochter Maria Margaretha
hinweggerafft hatte. [4] Während der Infektionszeit durfte Staden
allerdings wochenlang nicht an seine Orgelbank. Die durch seinen Tod
freigewordene Organistenstelle erhielt der bisherige Organist der Lorenz-Kirche,
Valentin Dretzel (1578-1658). An dessen Stelle aber rückte Johanns Sohn
Sigmund Theophil Staden (1607-1655). Ein gewisse Rotation in den Ämtern
Nürnbergs sorgte so für eine lückenlose musikalische
Versorgung.
Auch in den Kriegszeiten sorgte sich
die Stadt Nürnberg weiterhin um die Ausbildung ihrer Nachwuchsmusiker. So
erhielt Erasmus Kindermann 1634/35 ein Stipendium der Stadt [5], um ein
Jahr lang in Italien die neueste Musik studieren zu können. Später war
er dann Organist an St. Ägidien. Natürlich wurde er nach Kriegsende in
die musikalischen Friedensfeste einbezogen, die in der freien Reichsstadt
gehalten wurden. 1649 dirigierte er unter der Gesamtleitung von Sigmund Theophil
Staden einen der vier Chöre beim Friedensfest. Das war erfreulicher Alltag,
da der Krieg zu Ende war und wieder an die Zukunft gedacht werden
konnte.
In dieser Zeit reaktivierte Kindermann
aber auch seine Außenbeziehungen, um sich in Erinnerung zu rufen und mit
Widmungen ein kleines Zubrot zu verschaffen. Dazu dienten musikalische
Neujahrsgratulationen, wie sie in der Zeit verbreitet waren. Am 19. Dezember
1651 schrieb er an den Rat der Stadt Frankfurt am Main: "Dieweil aber Gott der
Allerhöchste [...] nunmehro den so beseuffzten güldenen Frieden uns
geschencket [...], Als habe ich [...] dieses beyliegende Stück, so aus dem
44. Cap: des büchlein Syrachs genommen, mit unterschiedlichen Stimmen [...]
componiret." [6] Und er dedizierte es der Stadt zum Neujahr 1652 und
erhielt dafür ein Recompensus von einem Taler, also den hundertsten
Teil seines Jahreseinkommens. In derselben Zeit komponierte er auch für die
Stadt Breslau, und zwar den 89. Psalm, den er den "Herren Rathmannen, und
gantzem Rat, Der Hochlöblichen und Weitberühmbten Statt Breslaw" zum
neuen Jahr widmete. [7]
An den Texten der
beiden Neujahrskompositionen fällt auf, daß sie beide Werke über
die Wirkung und Bedeutung von Musik sind. Die mit dem Neujahrsfest verbundenen
Hoffnungen und Wünsche sind dabei zeitbedingt an die ersehnte
Einlösung des Friedens und eine optimistische Zukunftsperspektive
geknüpft. Das großangelegte "Breslauer" Konzert stellt eine Auswahl
aus Versen des 89. Psalms dar, in denen der einleitende Vers "Ich will singen
von der Gnade des Herren ewiglich" als noch zweimal wiederholtes Ritornell die
Vorstellungen von Gerechtigkeit (V. 15) und auch von der Bestrafung der
Sünden (V. 33) wirkungsmächtig zusammenhält. Wie ernst dem
Komponisten die musikalische Neujahrsfreude ist, zeigen die ausgedehnten
Jubelketten der Chormelismen zu dem Text "Wohl dem Volk, das jauchzen kann" (V.
16), die zugleich auch ein gehöriges Maß von zufriedener
Selbstgerechtigkeit ausstrahlen.
Das "Frankfurter"
Konzert "Lob und Friedens Gedächtnüs" versteht den Text aus Sirach 44,
V. 1-9, ganz selbstverständlich vor dem Hintergrund des gerade beendeten
Glaubenskrieges und gedenkt letzten Endes all der Männer, die die
protestantischen Gemeinden gut über die Zeiten gebracht haben ("Lasset uns
loben die berühmten Leute"); die Gegner jedoch - mit einer knappen und
harmonisch unbeständigen Passage bedacht -, die "haben keinen Ruhm und sind
umgekommen". Kernstück des Konzerts ist das Lob der Musik und der
Lieddichtung: "Sie [scil. die berühmten Leute] haben Musicam gelernet und
Lieder gedichtet", so als ob Musik und Lied in guten wie in schlechten Zeiten
lebenskraftstärkende und glaubenswirksame Bedeutung zugewiesen bekommen
sollten. Über die Bibelworte hinausgreifend führte Kindermann in den
Text auch noch das musikalische Abc in Gestalt der Solmisationssilben
"Ut-re-mi-fa-sol-la" ein und verschaffte damit dem Werk so etwas wie den Habitus
des Anfassens für Ausführende und
Zuhörer.
Im Laufe des 16. Jahrhunderts hatte
sich eine Standardisierung der Militärmusik durchgesetzt, nach der Trommel
und Pfeife immer Instrumente des Fußvolkes, Trompeten und Pauken die der
Reiterei waren. Diese dienten vor allem der Repräsentation und der
Signalgabe, während jene besonders zur Ermunterung bei den langen
Fußmärschen und zur Unterhaltung beim Aufenthalt im Lager
benötigt wurden. Beim Angriff hatten die Militärmusiker an der Spitze
der Soldaten zu stehen, um Mut zu machen und dem Gegner durch den Lärm des
"Feldgeschreies" einen gehörigen Schrecken einzujagen. In der ersten Phase
des Dreißigjährigen Krieges wurde die Rechtsstellung der Zunft der
Trompeter und Pauker wieder gefestigt, namentlich als Kaiser Ferdinand II. ihr
ein Reichsprivilegium erteilte, das 1630 noch einmal erläutert und
verbessert wurde.
Eine Neuerung in der
Militärmusik trat zu Beginn des Krieges insofern ein, als erstmals zu den
Trompeten Schalmeien (Oboen) und Pfeifen (kleine Querflöten) hinzutraten.
Mit der Hereinnahme eines ganzen Schalmeien-Quartetts in Gestalt von zwei
Diskantinstrumenten und je einem Alt- und Baßinstrument - 1646 für
eine Dragonerkompanie des Großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm von
Brandenburg, belegt - gewinnt die Militärmusik eine ästhetische
Dimension, die anspruchsvolle Ensemblemusik erlaubte und zu einer regelrechten
militärischen Unterhaltungs- und Repräsentationsmusik führte, die
dann im brandenburgisch-preußischen Heer zur Tradition
wurde.
Während der Kriegszeiten wurden
für Freund und Feind die Schwedensignale zum Inbegriff "musikalischer"
Kriegführung und Zeichengebung. In Delitzsch gibt es eine offenbar
ungebrochene Überlieferungstradition, die das Signal eines schwedischen
Reiterregiments bewahrt. [8] Daneben kannte der Sprachgebrauch eine auch
schon vor 1618 genutzte metaphorische Ebene der "musikalischen"
Kriegsführung, auf der militärische Begriffe für eine beredte
Titelgebung benutzt wurden, so von Johann Dilliger (1593-1647) in seiner "Musica
Christiana Castrensis, oder Christliche Heer und Feld-Musica, darinnen zu finden
[...] Buß- und Trosttexte [...] in anmutige Reymen ubersetzet", die 1632
in Coburg erschienen ist.
Der Soldatenstand hatte
seine eigene positiv besetzte Alltagskultur, die eine spezifische musikalische
Produktion nach sich zog. Als Beispiel sei auf Henning Dedekind (1562-1626) in
Gebesee hingewiesen, von dem 1628 in Erfurt eine "Dodekas Musicarum deliciarum
Soldaten Leben, Darinnen allerley martialische Kriegs Händel und der gantze
Soldatenstand, auch was in Feldlagern und Kriegszügen verleufft, mit
deutsch poetischen Farben eigentlich abgerissen" erschienen sein soll; bisher
konnte allerdings noch kein Exemplar nachgewiesen
werden.
Der Krieg schrieb viele Biographien. So
tragisch jede für den einzelnen verlaufen konnte, so symptomatisch war sie
auch für das Alltagsleben der Gemeinschaft. Die folgende erscheint
paradigmatisch. Der Kammacher und Torzöllner Hans Kindermann (gest. 1662)
zu Nürnberg hatte unter fünf Kindern zwei Söhne, die
offensichtlich nicht in den über mehrere Generationen in der Familie
betriebenen Beruf des Vaters eintreten wollten, sondern für ihre
musikalische Begabung ein Betätigungsfeld suchten. Der ältere Erasmus
Kindermann erwarb sich eine tüchtige musikalische Ausbildung und wurde ein
weit über die Grenzen seiner Heimatstadt hinaus berühmter Organist und
Komponist.
Den jüngeren Bruder aber, Conrad
Kindermann (1623-1645), zog es in die aus den Fugen geratene Welt hinaus;
erlebnishungrig wurde er "Veldttrompeter unter dem Flocksteinischen Regiment"
und starb als "Er- und Kunstreich Jungergesell" im jugendlichen Alter von 22
Jahren 1645 "bey Nördlingen". [9] Die Liebe des jungen Kindermann
zu dem edlen und sozial besonders angesehenen Instrument mochte zusätzlich
Nahrung erhalten haben durch die Herstellung von Trompeten gerade in
Nürnberg; hier befand sich ein Zentrum der Blechblasinstrumentenherstellung
von europäischer Ausstrahlung, dessen dominierende Stellung erst im 18.
Jahrhundert zurückging.
Als der Krieg zu Ende
ging und die Soldaten sich wieder in das Alltagsleben eingliedern mußten,
finden sich unter den Exulanten im deutschen Südwesten auch immer wieder
Angehörige der Militärmusik. Wenn dabei in den Akten darauf
hingewiesen wird, daß es sich bei einer Person um einen "gewes[enen]
Trompeter" handelt - so bei dem aus der "Stadt Wiesen" stammenden Exulanten Hans
Christoph Weysel in Hof, der dort 1648 heiratete -, so ist damit auch die durch
Zunftregeln und Rechtsinstrumente in der Bevölkerung gewonnene berufliche
Wertschätzung ausgedrückt. In Wunsiedel fand zur gleichen Zeit der
Trompeter Johann Andreas Pickreiß aus Eger
Unterschlupf. [10]
Die verschiedenen
Teilkriege des dreißigjährigen Geschehens mit ihren wechselnden
Kriegsschauplätzen und Frontstellungen haben zu einer unterschiedlichen
Belastung der Regionen geführt. Die am Rande liegenden Landschaften im
Nordwesten wie auch im Nordosten des mitteleuropäischen Zentrums wurden
durchaus zu kulturellen Nutznießern des Krieges, solange die
Heeresbewegungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen sich in dem Mittelstreifen
Deutschlands zwischen Magdeburg und Nördlingen
abspielten.
Bereits nach dem ersten Teilkrieg, der
1629 mit dem Frieden von Lübeck zwischen dem Kaiser und Dänemark
beendet wurde, konnte man musikalisch jubeln. In Königsberg in
Preußen erschien 1630 eine Komposition von Hofkapellmeister Johann
Stobäus (1580-1646) mit dem Titel "Lob- vnnd DanckLied Dem grossen GOtt zu
schuldigen Ehren, daß er seinen gerechten Zorn wegen des erbärmlichen
Kriegswesens nunmehro von diesem Lande vnd dessen Einwohnern in allen Gnaden so
fern abgewendet". Inhalt ist die sechsstimmige Vertonung des Liedes "Gott ist
und bleibt der König, Der stets zu helfen
weiß".
Es ist keine Frage, daß unter
diesen Umständen die Randzonen Mitteleuropas, die eine gewisse Sicherheit
vor den kriegerischen Unruhen versprachen, von besonderer Anziehung waren. Und
das war in besonderem Maß der deutsche Nordosten mit seinen Zentren Danzig
und Königsberg, die weithin ausstrahlten; das waren aber auch Hamburg, der
Hof in Gottorf sowie der dänische Hof in Kopenhagen. Für alle diese
Anziehungspunkte der kulturellen Ruhe und des musikalischen Entwicklungsdranges
ließen sich genügend biographische Beispiele bringen, die durch ihre
Vielzahl belegen, daß nicht allein der ohnehin zur Mobilität geneigte
Musikersinn, sondern der Krieg Ursache der Bewegung Richtung Norden
war.
Ein bewegtes Wanderleben führte
gezwungenermaßen der als Komponist kaum in Erscheinung getretene Johann
Kempius (gest. 1648). Von seinem Kantorenposten aus Wohlau in Schlesien zu
Anfang der 1630er Jahre vertrieben, tauchte er zunächst für einige
Monate in Königsberg auf, publizierte dort 1632 seine "Quinque folium,
Oder, Fünff geistliche Concertlein auff Italianische Invention" und
übernahm für kurze Zeit das Kantorat an der Altstädtischen
Schule. Dann wandte er sich nach Lübeck, wurde dort Notar, und wenig
später begegnet er uns als Kapellmeister am mecklenburgischen Hof in
Schwerin und Güstrow. Doch hielt es ihn angesichts der Kriegsunruhen auch
dort nicht sonderlich lange. Er kam als Privatmann nach Königsberg
zurück und übernahm dann endgültig 1641 sein altes Kantorat, von
dem er 1647 abdankte; 1648 ist er
verstorben. [11]
Ein anderes Schicksal
lenkt den Blick nach Hamburg. Auch wenn der Krieg Sachsen noch nicht erreicht
hatte, so zog der Orgelbauer Gottfried Fritzsche (1578-1638) angesichts
bevorstehender unruhiger Zeiten 1629 nach Norddeutschland, nachdem er eine Reihe
größerer Arbeiten in Sachsen, darunter die große Orgel der
evangelischen Schloßkirche zu Dresden, ausgeführt hatte. [12]
Er verkaufte sein Haus in Dresden, ließ sich in Ottensen bei Hamburg
nieder und heiratete dort Margarete, geb. Ringemuth, verwitwete Rist, und wurde
dadurch der Stiefvater des Liederdichters Johann Rist (1607-1667). Die vom Krieg
kaum berührte Umgebung von Hamburg, vor allem die Herzogtümer Holstein
und Schleswig boten gute Arbeitsmöglichkeiten, zumal mit Hans d.J. der
letzte aus der den norddeutschen Orgelbau beherrschenden Hamburger Familie
Scherer 1629 verstorben war. [13] Auch von seinem neuen Wirkungsort aus
übernahm Fritzsche immer wieder Aufträge in Sachsen, unter anderem
Arbeiten an der Orgel der Schloßkirche zu Torgau (1624-1631) oder der
Schloßkapelle zu Dresden (1627/28).
So wie
es Hofhaltungen während des Dreißigjährigen Krieges gegeben hat,
die ihren musikalischen Standard hochhalten konnten, so gab es auch geographisch
und strategisch inmitten des Kriegsgeschehens gelegene Bürgerstädte,
die sogar Blütezeiten des Musiklebens erlebten. Eine ist die Freie
Reichsstadt Frankfurt am Main, eine andere ist
Nürnberg.
Peter Epstein, der Historiograph
der Blütezeit in Frankfurt, führt diese auf die kluge Politik des
Paktierens des Rates zurück, muß allerdings auch zur Kenntnis nehmen,
daß "nur einmal (1634) wirkliche Kriegsnot, Pest und Plünderung"
geherrscht haben und daß allgemein manches Elend und Verarmung im ganzen
Land walteten, die auch auf die Stadt übergegriffen
hätten. [14] Die hohe Leistungsfähigkeit der städtischen
Musik rührt vor allem aus deren fester Anbindung an das Alltagsleben her.
Nirgends wird der Wunsch erkennbar, Musik als besonderes Vergnügen oder als
herausgestellte Repräsentation zu verstehen und zu pflegen. Sie ist
Bestandteil der Lebensbewältigung und bewegt sich in den dazu von der
patrizisch-bürgerlichen Gesellschaft geschaffenen
Bedingungen.
In Frankfurt war man weise genug, den
Rahmen den wechselnden Zeitumständen anzupassen. Waren schon die 1598 und
1621 ergangenen Hochzeitsordnungen Muster der
Verhältnismäßigkeit und vernünftigen Bescheidenheit, so
erfolgten rasch und prompt Einschränkungen, als der Krieg nahte. Die im
Grunde für rund 50 Jahre geltende Ordnung von 1621 sah vor, daß es
den Patriziern frei stehen solle, "bey jhrem alten brauch und herkommen zu
bleiben", während die Bürger und Handelsleute des zweiten und dritten
Standes nicht mehr als drei Spielleute, keinesfalls aber Trompeten, Pauken "vnd
dergleichen" zum Feiern heranziehen dürften. 1626 wurde das Tanzen per
Ratsdekret auf wenige Stunden eingeschränkt, und 1631 schließlich
wurden jegliche Hochzeitsmusik und das Posauneblasen auf dem Turm untersagt. Es
ist keine Frage, daß dies zu Einbußen bei den betroffenen Musikern
führen mußte, die durch andere Einnahmen nicht aufgefangen werden
konnten.
Die durchaus sehenswerte musikalische
Blüte, die Frankfurt während des Krieges erlebte und die durch die
Ereignisse des Jahres 1634 nicht entscheidend unterbrochen wurde, verdankt sich
sicherlich auch der Tatsache, daß man zu einer grundsätzlichen
Neuorganisation zu einem Zeitpunkt schritt, als man den Krieg noch nicht
befürchten zu müssen glaubte und in die Zukunft geplant werden konnte.
1623 jedenfalls schuf man erstmals den Posten eines städtischen
Musikdirektors und berief den hessen-darmstädtischen Hofkapellmeister
Johann Andreas Herbst (1588-1666), einen Mann also, der in der Leitung eines
größeren Apparates erfahren war und im übrigen mit den neuesten
stilistischen und aufführungspraktischen Tendenzen der Zeit vertraut
war.
Die Berufung Herbsts führte zu
folgenreichen organisatorischen Neuerungen. Er schuf - nach höfischem
Vorbild - eine Kapelle, in die zahlreiche gute Musiker von außerhalb
berufen wurden und in der alle Musikantenstellen mit der Zeit in
planmäßige Stellen umgewandelt wurden. Die Ratsmusikanten traten
damit als neuer Stand an die Spitze des öffentlichen Musiklebens. Auf diese
Weise fand in den beiden evangelischen Hauptkirchen regelmäßig
Kapellmusik statt. Die von Herbst eingeleitete Erneuerung der Kirchenmusik schuf
auch für die Spielleute und Türmer ein weites Betätigungsfeld der
Zusatz- und Hilfsdienste.
Die Musiker, die
für die Frankfurter Kapelle gewonnen werden konnten, waren Strandgut der
Bevölkerungsverwerfungen durch den Krieg. In ihren Biographien spiegeln
sich - soweit rekonstruierbar - politische und religiöse Momentaufnahmen
der Reichsstände. Waren die Hofkapellen angesichts des Kriegsengagements
ihrer Herren und Geldgeber kaum attraktive Arbeitsplätze, so mußten
die Städte geradezu Anziehungspunkte sein, wenn sie - wie Frankfurt - ihre
Musiklandschaft so planvoll gestalteten. Wechselnde Religionszugehörigkeit
sorgte für weitere ungewollte Mobilität der
Musiker.
Als Herbst seinen Dienst antrat, bestand
die Kapellmusik aus wenigen Musikanten mit nicht allzu hoch
einzuschätzender instrumentaler Qualifikation. Manche der Flüchtlinge
wiesen diesen gegenüber jedoch ein hervorragendes Können auf, so der
aus Böhmen 1626 kommende Gottfried Hupka (gest. 1650), der sechs
Instrumente (Fagott, Posaune, Viola bastarda, "Baß Violon", Violine und
Flöte) spielen konnte. Seine Gehaltsvorstellungen waren allerdings
entsprechend und wurden nach längeren Verhandlungen 1627 auch akzeptiert
(100 Reichstaler bzw. 150 Gulden
jährlich).
Wie dieser brachte es auch ein
anderer Flüchtling der Zeit rasch zu einigem Vermögen. Hans Georg Beck
(Becker) wurde von den Kaiserlichen des Glaubens wegen aus dem Elsaß
vertrieben, nahm daraufhin eine Stelle am Hofe der Grafen von Nassau in
Saarbrücken an und gelangte nach Auflösung der Kapelle 1627 nach
Frankfurt, wo er Musikunterricht gab, "umbsonst" in der Katharinenkirche Violine
spielte und Posaune blies, durch Einheirat das Bürgerrecht erwarb, an der
Barfüßerkirche fest angestellt wurde und schließlich bei seinem
Tode 1637 ein Haus besaß. Der Nachfolger Becks, Johann Nikolaus Pistorius
(gest. 1644) kam wiederum vom Saarbrücker
Hof.
Die Auflösung der evangelischen
Kirchenmusik in Mainz, die während der Besetzung durch die Schweden
vorübergehend zwischen 1632 und 1636 bestanden hatte [15], trieb
der Frankfurter Kapelle ein weiteres, bestens ausgewiesenes Mitglied zu, den aus
Leipzig (oder Zeitz) stammenden und in Frankreich ausgebildeten Lautenisten
Johann Steffan (gest. 1675). Seinem Können angemessen und der Bedeutung
seines Spiels im neuen Konzept der Generalbaßmusik entsprechend, konnte
auch er das ansehnliche Gehalt von 100 Talern fordern, das der erste
Instrumentist der Kapelle - Gottfried Hupka - bereits erhielt. Später
versuchte er sogar, mit dem Organisten der Kapelle gleichgestellt zu werden und
argumentierte 1651, daß "von allen Capellen weit und breit ein lautenist
gemeiniglich höher und besser als ein Organist besoldet"
werde. [16]
Auch die Musik der Stadt Worms
bildete ein Reservoir für die Frankfurter Kapelle. 1646 kam der vielseitige
Stadtmusikant Johann Heinrich Hübner aus der an sich lutherischen freien
Reichsstadt, der die dortigen "überschweren Kriegslasten" nicht mehr
länger tragen wollte. Um 1648 kam auch Johann Hektor Beck, verwandt mit dem
oben erwähnten Hans Georg Beck, von Worms nach Frankfurt. Auswärtige
Musiker der Kapelle waren noch Roland Böhaimb aus Nürnberg und Caspar
Hainlein aus Augsburg, beide sicherlich im normalen Arbeitsplatzwechsel zwischen
den Städten 1628 eingestellt, während sich unter den freiwilligen
Hilfskräften der aus Schlesien stammende Soldat und mögliche
Glaubensflüchtling Michael Conrad befand, der sich 1638 "horis vacantibus"
in der Barfüßerkirche
"vocaliter"
und "ex
instrumentis" hören
ließ.
Schließlich war auch Johann
Andreas Herbsts Nachfolger, Johann Jeep (1582-1650) als Vertriebener nach
Frankfurt gekommen. Nachdem er seine Stellung als Kapellmeister der Grafen zu
Hohenlohe in Weikersheim im Gefolge der Schlacht von Nördlingen 1634
aufgeben mußte, kam er 1635 nach Frankfurt, um Herbst am zwischenzeitlich
evangelischen Dom und an der Barfüßerkirche zu vertreten. Von 1636
bis 1640 übernahm er dann dessen Amt, bis Herbst 1644 endgültig wieder
nach Frankfurt zurückkehrte.
Dennoch verstand
sich die Frankfurter Kapelle nicht ausdrücklich als Refugium für
Glaubens- oder Kriegsflüchtlinge, wie der Fall des 1624 aus Meran in Tirol
kommenden Organisten Matthias Sagittarius (gest. 1635) zeigt. Obwohl
während der ganzen Zeit seiner zuverlässigen musikalischen
Pflichterfüllung immer wieder unter öffentlichen Druck gesetzt, als
"Papist und wissentlicher Verführer" angeklagt und von Amtsenthebung sowie
Vertreibung bedroht, blieb er bis zu seinem Lebensende dem katholischen Glauben
treu, und das in einer Zeit, als die protestantische Seite während der
Einziehung der geistlichen katholischen Güter 1634 bis 1636 evangelischen
Gottesdienst auch in den bis dahin katholischen Kirchen, unter anderem im Dom
und im Deutschordenshaus, einrichtete.
Noch
deutlicheren Vorteil aus den Kriegswirren im Herzen Europas zogen jedoch die
Städte an der Ostsee außerhalb des Reiches, allen voran
Königsberg und Danzig. Sie vermochten ungehindert ihre musikalische Lebens-
und Festkultur zu entfalten und konnten dabei immer wieder auf neue, anregende
Kräfte aus der Mitte Deutschlands hoffen. Einer der berühmtesten
Zuwanderer war der Mitteldeutsche Heinrich Albert. 1604 im thüringischen
Lobenstein geboren, hätte er ohne weiteres eine Beamtenkarriere in
Mitteldeutschland einschlagen können. Doch zog er es schon während des
Studiums vor, vom kriegsbeunruhigten Leipzig nach Königsberg zu wechseln,
um hier für immer zu bleiben. Er wurde die zentrale musikalische Figur in
einer Sonderkultur des deutschen Liedes, wie sie hier dank ihrer innigen
Verknüpfung mit Königsberger Dichtern, allen voran Simon Dach
(1605-1659), aufblühte und in die Zukunft wirkte, etwa auf den Gründer
des Elbschwanenordens (1660), Johann Rist und seinen musikalischen
Kreis.
Die dreißig Jahre Krieg werden
beinahe die ganze Zeit über von musikalischen Kompositionen begleitet, die
je nach Standort zu den Leiden, aber natürlich auch zu den siegreichen
Freuden ausdrücklich Stellung beziehen. Daß es daneben eine
reichhaltige Kompositionsliteratur gab, die in Andachtsmusiken der
Bevölkerung ein Mittel der mentalen Tröstung an die Hand geben wollte,
versteht sich von selbst.
Bereits 1622, zu einem
recht frühen Zeitpunkt der Verwicklungen, gab Johann Staden in
Nürnberg eine kleine, nur aus drei Liedern bestehende Sammlung von
"christlichen" Bittgesängen heraus, "zu diesen gefährlichen vnnd
betrübten Zeiten sehr nohtwendig zu gebrauchen" und auf "jhre
gewöhnliche Melodey" zu singen. [17] Die bekannten Lieder "Gib
Fried zu unsrer Zeit", "Wenn wir in höchsten Nöten sein" und "Gib
unsern Herren und aller Obrigkeit Fried" sind darin in einem einfachen Stil zu
vier Stimmen gesetzt, der überall ausgeführt werden
konnte.
Nach den geschilderten
Schicksalsschlägen hatte Johann Staden allen Anlaß, Trost zu suchen.
Daß er dies öffentlich tat und die eigene Trostsuche zugleich mit den
Mitmenschen teilte, charakterisiert das Bürgerverständnis der Zeit in
den Städten. Er veröffentlichte in der "Hauss-Musik Vierdter vnnd
letzter Theil. [...] von sehr trostreichen Texten, zu erweckung wahrer
Gottesforcht, wie auch zum Trost inn widerwertigkeit, Creutz vnd Leyden,
nutzlich zu gebrauchen" von 1628 einen Trauergesang auf den Tod seines
Töchterchens Maria Margaretha, wie überhaupt diese Sammlung manches
Stück enthält, das sich in seinem appellativen oder auch düsteren
Charakter auf die mentalen Befindlichkeiten des Krieges bezieht. 1630 erschien
die "Hertzen-Trosts-Musica", mit der der Komponist eine nur dem begleiteten
Sologesang gewidmete Sammlung publizierte. Sie ist Ausdruck der bereits im
ersten Stück "Sieh in dich selbst, du Seele mein" angesprochenen
persönlichen Not, die sich im Titelblatt des Druckes
widerspiegelt.
Während auf der
protestantischen Seite die Klagen und die Bittgesänge um Frieden
überwiegen, sind von der kaiserlichen Gegenseite musikalische
Freudenäußerungen bekannt, wenn auch in geringerer Zahl. 1626 brachte
der Propst Johann Sixt von Lerchenfels (um 1555-1629) unter dem Titel "Triumphus
et Victoria" in Leitmeritz eine umfangreiche Sammlung heraus, die mehrere eigene
Kompositionen - der Geistliche war über mehrere Jahre in der Kapelle Kaiser
Rudolfs II. in Prag tätig gewesen -, Widmungsgedichte und fremde
Kompositionen enthielt, die der Herausgeber bearbeitete. Eine Komposition von
Giovanni Giacomo Gastoldi (um 1550-1622) ist dabei aus Anlaß des Sieges in
der Schlacht am Weißen Berge in vier Sprachen zu singen, in lateinisch,
tschechisch, deutsch und italienisch.
Mit dem
Eingreifen Gustav Adolfs von Schweden erhielt der mitteleuropäische
Kriegsschauplatz neben den Feldherren Johann Tserclaes Graf von Tilly
(1559-1632) und Albrecht von Wallenstein (1583-1634) eine weitere Figur, die
sich zum Mythos gestalten ließ und mit der die Heldenverehrung auf
protestantischer Seite einen unbestrittenen Höhepunkt erreichte. Vor allem
in Nürnberg, aber auch anderswo gewannen die ihm entgegengebrachten
Gefühle 1632 eine Intensität von alttestamentlicher Größe
und Wucht. Zum Einzug Gustav Adolfs in Nürnberg komponierte Johann Staden
ein großangelegtes Konzert "Norica plaude cohors" mit acht Vokal- und vier
obligaten Instrumentalstimmen, in dem der langersehnte Held wie König David
verstanden und gefeiert wird. Wenig später, nach dem Tod des schwedischen
Königs bei Lützen im November desselben Jahres, wird dann die "Elegia"
mit dem Text "Wie? ist der Held in Israel gefallen" in einem Gottesdienst des
Jahres 1633 aufgeführt.
Mit der Dauer des
Krieges nahmen die Bittgottesdienste um Frieden deutlich zu. In den 1640er
Jahren erschienen immer wieder Musikdrucke, die dieser, wenn auch nicht neuen,
jetzt aber häufig geübten Form des Gottesdienstes musikalisches
Material zuliefern wollten. Wenn Erasmus Kindermann 1642 seine "Musicalischen
Friedens Seufftzer" zu drei und vier Stimmen mit Generalbaß dem Markgrafen
Albrecht von Brandenburg-Ansbach (reg. 1634-1667) und dem Grafen Joachim
Albrecht von Hohenlohe-Langenburg (1619-1675) widmete, so wurde die Sammlung
direkt in die Hände der beiden jungen Fürsten gelegt, die nicht nur
"zu solcher löblichen Music-Kunst ein grosses Belieben tragen", sondern
auch "auß recht Christlichem Eiver / [...] / diesen so
langgewünschten Frieden / von Gott dem Allmächtigen zu erbiehten / in
Kirchen vnd Schulen / Christlöbliche actus verordnet / angestellet / vnd
gewisse Formulas vorgeschrieben haben." [18] Im übrigen war
Albrecht von Brandenburg zugleich Burggraf von Nürnberg und hatte hier
Bittgottesdienste angeordnet.
Wenig später,
1645, erschien in Leipzig eine ähnliche Sammlung unter dem Titel
"Krieges-Angst-Seufftzer [...] bey itzigen grund-boesen Kriegerischen Zeiten
instendig zugebrauchen und den allzusehr erzuernten GOtt zu endlicher erbarm-
und wiederbringung des so sehnlich-lengst gewuenschten und ueber gueldenen
Frieden zu bewegen", die der Organist Johann Hildebrand (1614-1684) aus
Eilenburg in den Druck gegeben hatte.
Als der
Frieden 1648 geschlossen und die letzten Vereinbarungen mit den Schweden
umgesetzt waren, konnte gefeiert werden. Überall gab es Friedensfeste, zu
welchen die Musiker gerne ihren freudig-festlichen Beitrag leisteten. Dabei
zeigte sich, daß die Musiker aufführungspraktisch und auch
kompositorisch zu außerordentlichen, dem Anlaß angemessenen
Freudenkundgebungen in der Lage waren. Die aufgeführten Werke waren auf der
stilistischen Höhe der Zeit. Die Kriegswirren hatten nicht verhindert,
daß die Musiker die neuesten Stilentwicklungen, die vor allem aus Italien
kamen, wahrnehmen und in ihre Praxis umsetzen konnten. Schon die Messen in
Frankfurt, die Nachdrucktätigkeit in Nürnberg und der personelle
Austausch mit dem Süden sorgten dafür, daß die
mitteleuropäischen Musiker Anschluß an die italienische Produktion
hielten. Bis zum Ende des Krieges war die italienische Musik - die dort
geübte Konzertpraxis, der Generalbaßstil und die monodische Singkunst
- das einhellige Vorbild. Eine Neuorientierung in Richtung Frankreich setzte
erst nach dem Kriege ein, als die französische Hofkultur zum Vorbild in
Europa wurde.
Die Mobilität war mit Ausnahme
des Landvolks im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert im allgemeinen sehr
groß. Die Exulanten-Ströme, die aufgrund der Rekatholisierung
Böhmens, Österreichs und Süddeutschlands in Bewegung gesetzt
wurden, übertrafen den vorherrschenden Mobilitätsstrom jedoch
beträchtlich. In den vom Krieg demographisch besonders betroffenen Gebieten
führten die Exulanten nicht nur zu einem Ausgleich der
Bevölkerungsverluste, sondern sie brachten zugleich einen nicht zu
unterschätzenden ökonomischen Schub und einen bedeutenden Zuwachs an
intellektuellem und künstlerischem Potential mit
sich.
Bei den Musiker-Berufen ist zu unterscheiden
zwischen Wanderschicksalen aufgrund der sich verändernden
Arbeitsmöglichkeiten und solchen aufgrund von Vertreibung des Glaubens
wegen. Von den wechselnden Arbeitsverhältnissen sind während der
Kriegszeiten vor allem die Hofmusiker betroffen, zumal dann, wenn das
höfische Musikleben nachhaltig reduziert wurde. Nach dem Ende des Krieges
mußten namentlich die Militärmusiker nach einem geeigneten neuen
Lebensplatz suchen.
Die Kriegswirren hatten viele
schwere Schicksale, unentwirrbare Lebensläufe und Wanderungsströme zur
Folge. Zum Flüchtlingsschicksal der böhmischen Exulanten gehörte
es, auf eine Anstellung nachhaltiger angewiesen zu sein als die im festen
sozialen Umkreis aufwachsenden Einheimischen. Die städtischen und
kirchlichen Einrichtungen vor allem des Kurstaates Sachsen waren darauf
eingerichtet und vorbereitet, wie ein Fall an der Hohen Schule zur Pforte vor
den Toren Naumburgs, eine der drei berühmten Eliteanstalten Sachsens seit
dem 16. Jahrhundert, zeigt.
Hier wurden Exulanten
aus Böhmen angesichts der mißlichen pädagogischen Situation -
nachlassende Disziplin, das Kantorenamt galt nur als Durchgangsstation -
besonders unterstützt in der Hoffnung, sie länger auf der undankbaren
vierten Stelle zu behalten. Zum Exulanten Theodor Vulturius (Geyer) "Bohemus"
heißt es nach abgelegter Bewerbungsprobe ausdrücklich: "Vulturius ist
ein starker Bassist von habilen studiis, aber als ein Exulante in
kümmerlichen Umständen und also der Beförderung vornehmlich
bedürftig." [19] Vulturius gab die Kantorenstelle nach drei Jahren
wieder auf und wurde Rektor in Britz an der Oder. Sein Nachfolger aber, Nicolaus
Gabhovius (Gabhobius) aus Wunsiedel, der Sohn eines böhmischen Exulanten,
übernahm die Stelle 1630 und behielt sie bis 1658 unter den schweren
Bedingungen der dauernden Trennung von seiner Familie, die offensichtlich in
Naumburg lebte und von ihm mit dem Notwendigsten versorgt werden mußte.
1659 ist er in Pforta gestorben.
In dem Orgelbauer
Matthias Tretzscher (1626-1686) begegnet ein Mann [20], der in der
letzten Etappe der Flüchtlingsbewegungen seine Heimat aus
Glaubensgründen verließ und in Ober- und Unterfranken wesentlich zur
Innovation im Orgelbau beigetragen hat. Geboren in Lichtenstadt in Böhmen,
hatte er ab 1641 in Joachimsthal sowie in Nürnberg gelernt. 1650 wurde er
seines Glaubens wegen aus Böhmen vertrieben und übernahm 1651 die
Organistenstelle in Marienberg (Sachsen). Für seine zukünftige Rolle
als Erneuerer entscheidend war die Berufung 1653 zum Hoforgelbauer des
Markgrafen von Brandenburg-Bayreuth. Tretzscher entfaltete von Kulmbach aus eine
umfangreiche Tätigkeit über die Region hinaus bis nach Böhmen,
Schwaben und dem Elsaß. Mit der Einrichtung einer ortsgebundenen Werkstatt
anstelle wechselnder Standorte leitete er eine Entwicklung ein, die für die
Zukunft bestimmend bleiben sollte.
Tretzscher
machte sich insbesondere um die allgemeine Einführung der Dorfkirchenorgel
verdient und verhalf damit den ländlichen Gebieten zu einem kulturellen
Schub von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Anläßlich der
Einweihung der neuen Orgel in der Stadtkirche in Königsberg in Franken
heißt es 1660 programmatisch - stellvertretend für alle Neubauten
nach dem Krieg - über den vierfachen Zweck: "zu Ehr und Lob des
Höchsten Gottes, dann zur Zierde des Gottesdienstes, mehrer Uffnehmung der
edlen Musik, und Auffmunterung in christlicher Andacht." [21] In den
Städten oder auch in den Klöstern waren die Orgeln oft während
des Krieges geraubt oder zerstört worden, so daß hier ein
beträchtlicher Erneuerungsbedarf bestand. Der Aufschwung nach dem
Dreißigjährigen Krieg erhielt in den kleinen und großen neuen
Orgeln einen glänzenden Ausdruck. In der Mischung alter Prinzipien aus der
Heimat und den Errungenschaften des sächsischen Orgelbaus gelang Tretzscher
eine Stilerneuerung, die für den deutschsprachigen Süden von
wegweisender Bedeutung war. Im übrigen ist Tretzscher ein Beispiel
dafür, daß ein Exulant auch ohne Ressentiments an die Arbeit gehen
konnte, denn er baute seine Werke gleichermaßen für protestantische
wie für katholische
Auftraggeber.