DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
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JOOST VANDER AUWERA Historische Wahrheit und künstlerische Dichtung Das Gesicht des Achtzigjährigen Krieges in der südniederländischen Malerei, insbesondere bei Sebastiaen Vrancx (1573-1647) und Pieter Snayers (1592-1667) |
Einleitung
Rubens
war zweifellos der berühmteste und einflußreichste
südniederländische Maler, wenn es die heroische oder allegorische
Darstellung von Themen aus dem Achtzigjährigen Krieg betraf. Daneben gab es
aber noch eine andere, bisher relativ unbeachtet gebliebene Maltradition, welche
die tatsächlichen Kriegsgeschehnisse weniger evokativ und mehr konkret
wiedergab. [1 ]Mit dieser war Rubens sehr vertraut, da er mit einem
ihrer herausragendsten Vertreter, Pieter Snayers, zusammen an dem unvollendet
gebliebenen Zyklus zur Verherrlichung der militärischen Leistungen
König Heinrichs IV. im französischen Bürgerkrieg arbeitete. Wie
in der
"Schlacht
bei Arques"
(München, Alte Pinakothek) (Abb. 1) [2 ]zu sehen, war Rubens
für die monumentale Darstellung des Kriegshelden im Vordergrund
verantwortlich, während Snayers das weniger individuell gestaltete
Kampfgeschehen im landschaftlichen Hintergrund ausführte. Diese Art des
Schlachtenbildes, das von
Snayers'
Lehrer Sebastiaen Vrancx begründet worden war, wurde von seinem
Schüler zu großformatigen Panoramen weiterentwickelt. Snayers gab
diese südniederländische Tradition seinerseits an den eigenen
Schüler, Adam-Frans van der Meulen (Brüssel 1632-Paris 1690), weiter,
über den sie schließlich bis an den französischen Hof Ludwigs
XIV. gelangte. [3] Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits als Quelle der
Inspiration für die Kunst der nördlichen Niederlande
gedient. [4]
Es wurde bereits früher
dargelegt, wie fiktional die Darstellung des Achtzigjährigen Kriegs bei den
nordniederländischen Künstlern dieses Genres ist, auch wenn der
scheinbar "realistische" Charakter ihrer Kunst das Gegenteil erwarten lassen
sollte. [5] Dieser Beitrag soll zeigen, daß gleiches auch für
die weniger beleuchtete Bildtradition des Kriegsgenres in den südlichen
Niederlanden gilt. Das bedeutet, daß der Nachdruck, der auf die je eigene
Identität der streitenden Parteien gelegt wurde - eine Entwicklung, die
durch den Ausbruch des Krieges einen starken Impuls bekam und durch die
Anerkennung der nördlichen Provinzen als unabhängiger Staat im
Westfälischen Frieden offiziell bestätigt wurde -, letztendlich in
einer Bildkultur Gestalt annahm, die wesentlich mehr gemeinsame Merkmale
aufwies, als man auf den ersten Blick erwarten sollte. Wir hoffen, diese
Erkenntnis untermauern zu können, indem wir nacheinander die historische
und die künstlerische Seite der Fragestellung betrachten.
Im ersten, historisch ausgerichtetem Teil gehen
wir kritisch auf die Rolle der Geschichte - insbesondere der Kriegsgeschichte -
als einen möglichen erklärenden Kontext für das
Schlachtengemälde und umgekehrt auf den Wert des Kriegsgenres als
historische Quelle ein. Die sich hieraus ergebenden kritischen Vorbehalte
führen uns anschließend zur Untersuchung der mehr
intern-künstlerischen und fiktionalen Logik innerhalb dieser Gattung, unter
Berücksichtigung ihrer künstlerischen Quellen, Bedeutung und
Entwicklung. Ein kurzer abschließender Abschnitt bezieht sich auf den
moralischen Gehalt der Kriegsdarstellungen: Schnittpunkt zwischen den Lehren aus
der Geschichte und dem mahnenden Tenor des Bildes. Der begrenzte Rahmen dieses
Beitrags erlaubt nur eine exemplarische und keine umfassende Untersuchung. Dabei
liegt der Schwerpunkt auf dem Oeuvre von Sebastiaen Vrancx und, in geringerem
Maße, auf dem von Pieter Snayers [6], da die beiden sich in dieser
Periode dem Kriegsgenre mehr als andere Künstler systematisch widmeten und
dadurch sowohl zeitlich als auch räumlich einen sehr weitreichenden
Einfluß ausgeübt haben. Andere Künstler dieser Gattung waren
entweder direkte Nachfolger, wie zum Beispiel Pieter Meulener oder der weniger
bekannte Jacques van der Wijen, oder sie fertigten, wie zum Beispiel Robert van
den Hoecke, schöne Gemälde in einem mehr persönlichen Stil, die
aber nur eine begrenzte künstlerische Resonanz
fanden. [7]
I. Das Kriegsgenre im
historischen Kontext der südlichen
Niederlande
Schon früher wurde festgestellt,
daß - im hier betrachteten Zeitraum - das Schlachtenbild kein so
häufig anzutreffendes Genre in den Niederlanden war. Das ist, verglichen
mit der unglaublichen Produktion so populärer und weitverbreiteter Sujets
wie Landschaft und Stilleben, sicherlich zutreffend. [8] Wenn man den
Achtzigjährigen Krieg auch ein einschneidendes Ereignis nennen muß,
so hatte er doch keine vergleichbare Wirkung auf die Blüte des
Kriegsgenres. Als historische Begründung wurde angeführt, daß
die Kämpfe sich, nach einem turbulenten Beginn in den Jahren nach dem
ersten Bildersturm von 1566, ab dem letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts zu
einem begrenzten militärischen Konflikt entwickelt haben sollen, der von
isolierten Stadtbelagerungen und vereinzelten, kleinen Scharmützeln auf dem
Land geprägt wurde. Die Belagerungen dienten dabei als eine Art Kraftprobe
zwischen der erhöhten Feuerkraft der Artillerie und der modernen
Festungsbaukunde, während die Scharmützel die Folge sporadischer
Konfrontationen zwischen nicht-regulären, plündernden Truppen waren.
Sie blieben im wesentlichen auf die Grenzregion zwischen den Spanischen
Niederlanden und den Vereinigten Provinzen beschränkt. Dies soll sich, so
meinte man, in der Themenwahl der Schlachtenmalerei, die sich vor allem mit der
Darstellung von Belagerungen und kleinen Gefechten beschäftigte,
widerspiegeln. [9]
Bei genauerer
Betrachtung stellt sich jedoch heraus, daß die Annahme einer Parallele
zwischen Kampfgeschehen und Kriegsgenre der Kritik nicht standhält. Der
Aufstieg des Kriegsgenres in der Malerei der südlichen Niederlanden
verläuft keineswegs parallel zum zeitlichen Verlauf der Kampfhandlungen und
seine künstlerische Blütezeit ist auch kein Echo intensiven
Schlachtenlärms. Wenn wir davon ausgehen, daß die militärischen
Operationen ihre stärksten geographischen und gesellschaftlichen
Auswirkungen in der ersten Hälfte des Achtzigjährigen Krieges hatten,
dann steht dem gegenüber, daß sich das gemalte Schlachtenbild als ein
eigenständiges und systematisch entwickeltes, künstlerisches Genre
erst ab ca. 1600 zu etablieren beginnt. Vor diesem Zeitpunkt findet das Bild vom
Krieg zwar seinen Widerhall in der Graphik, aber nur relativ sporadisch in der
Malerei. Frühere Versuche, zum Beispiel in Gemälden Pieter Bruegels
d.Ä. den Widerschein konkreter Kriegsereignisse zu finden, stellten sich
als wenig überzeugend heraus, so etwa die Idee, im
"Selbstmord
Sauls"
(Wien, Kunsthistorisches Museum) sei die militärische Expedition Albas
über die Alpen dargestellt oder der Gedanke, die Soldaten im Hintergrund
vom
"Kindermord
in
Bethlehem"
(Hampton Court) symbolisierten die Präsenz des spanischen Militärs in
den Niederlanden. [10]
Die zeitliche
Verschiebung ist jedoch weniger paradox als es auf den ersten Blick scheinen
mag. Es ist offensichtlich, daß der Krieg mit seinen negativen
ökonomischen Folgen für das künstlerische Schaffen im allgemeinen
und für die Produktion langlebiger Kulturgüter wie der Malerei im
besonderen prinzipiell keinen fruchtbaren Nährboden bildete. Aus diesem
Blickwinkel gesehen, entspricht die verzögerte Entwicklung des Kriegsgenres
in dieser Kunstgattung der Zeit, die der Markt für dauerhafte Kunstwerke
brauchte, um sich zu erholen. Aus einer Korrespondenz
südniederländischer Kunsthändler von 1624 über die
Bestellung von Schlachtengemälden Sebastiaen
Vrancx'
können wir zum Beispiel ersehen, daß jedes einzelne der sechs
Gemälde umfassenden Serie ungefähr zwei Drittel des Jahreslohns eines
Facharbeiters kostete. [11] So kann es nicht verwundern, daß die
Kunden für diese Art von Kunstwerken zu einem großen Teil beim
wohlhabenden Bürgertum zu finden waren. In dessen Besitz stoßen wir,
zum Beispiel in den Nachlassen Antwerpener Bürger, zur Zeit des
Zwölfjährigen Waffenstillstands auf Gemälde mit Sujets aus oder
nach
Vrancx'
Hand, wie zum Beispiel
"Een
schilderye
Convoy",
"Bataille"
oder auch
"Eenen
tocht van de
soldaten". [12]
Wenn die bürgerliche Oberschicht unter der spanischen oder
französischen Furie oder unter der Belagerung von Antwerpen gelitten hatte,
so lagen diese Ereignisse zu jenem Zeitpunkt doch bereits Jahrzehnte
zurück. Falls es sich hier um das Echo einer turbulenten Zeit handelt, dann
höchstens um ein sehr verspätetes. Darüber hinaus sind es oft
Ereignisse ohne militärische Bedeutung. Ein anschauliches Beispiel
hierfür ist die außergewöhnliche Popularität, die eine
militärische Bagatelle wie
"Das
Gefecht zwischen Leckerbeetje und
Bréauté" (Abb. 2) [13] in der bildenden Kunst genoß: Von dieser Begegnung
in der Vughterheide bei 's-Hertogenbosch
zwischen einem spanischen und einem nordniederländischen Reitertrupp im
Jahr 1600 existieren zahllose, nahezu identische
Darstellungen. [14]
Obwohl wir nicht
bezweifeln, daß Bildquellen auf militärisch-technischem Gebiet
indirekt Informationen liefern können [15], sollte schon aus dem
Vorangehenden deutlich geworden sein, wie kritisch wir der Aussagekraft des
Schlachtenbildes als historischer Quelle gegenüberstehen. Ein Beispiel soll
die Gründe hierfür konkreter darlegen. Vrancx schuf mehrere Versionen
einer historischen Episode aus dem Achtzigjährigen Krieg, die erst vor
relativ kurzer Zeit von einem Lokalforscher identifiziert wurde. Bis dahin waren
drei Gemälde und eine Zeichnung aus
Vrancx' Hand bekannt, die allesamt Variationen desselben Themas - die Plünderung
eines unbekannten Dorfes - zu sein schienen. Die verschiedenen Exemplare
befinden sich in einer belgischen Privatsammlung (Abb. 3) [16], im
Kunstmuseum Düsseldorf (Abb. 4) [17], im Louvre und in der
Eremitage in St. Petersburg. [18] Wer genau hinschaut, bemerkt auf allen
Gemälden dieselbe verwüstete Kirche im Hintergrund und dasselbe
Gehöft im Mittelgrund. Das weckte aber kein Mißtrauen, solange man
die Kriegsszene, wie es heute noch in der kunsthistorischen Praxis üblich
ist, dem Genre der Dorfplünderung zurechnen konnte. Denn damit wurde die
Darstellung der von Soldaten bedrohten Landbevölkerung eher als
exemplarische Situation denn als konkretes historisches Kriegsereignis
betrachtet. [19 ]Erst als es einem Lokalforscher, Viktor E. Wauters,
gelang, die Kirche als die von Wommelgem, einem Dorf in der Nähe von
Antwerpen, das die Truppen der Generalstaaten am 26. Mai 1589 brandschatzten, zu
identifizieren, und sich zudem herausstellte, daß der Grundriß der
Kirchhofmauer mit alten Plänen übereinstimmte [20], kam die
Frage nach der historischen Glaubwürdigkeit auf. Es ist deutlich, daß
Kirche und Gehöft auf den Gemälden in unterschiedlichen Positionen
zueinander abgebildet sind, die mit ein und derselben topographischen
Realität unvereinbar sind, selbst wenn man die divergierenden Perspektiven
berücksichtigt, aus denen die Kirche auf einigen Gemälden gezeigt
wird.
Wir sollten uns fragen, ob wir keinem
Anachronismus erliegen, wenn wir heutzutage eine strikte Trennlinie ziehen
zwischen der Wiedergabe historischer Ereignisse einerseits und den, mit dem
ahistorischen Begriff "Genre" [21] bezeichneten Kriegsdarstellungen
andererseits. Und sind wir in unserem Urteil über den historischen
Quellenwert derartiger Kunstwerke nicht auch zu sehr geprägt von den zum
Standard geworden Sichtweisen des "Photorealismus", mit dem uns die
Kriegsberichterstattung unserer Zeit konfrontiert? Vor allem durch das Fernsehen
haben wir jenen "Photorealismus" [22] als Norm für die Wiedergabe
kontemporärer Kriegsereignisse zu akzeptieren gelernt. "Kontemporär"
ist angesichts der heutigen "live"-Kriegsberichterstattung sehr wörtlich zu
verstehen. Es muß uns darum zunächst merkwürdig erscheinen,
daß zahlreiche dieser Gemälde erst lange nach den historischen
Begebenheiten, die sie "abbilden", entstanden sind: Die verschiedenen Versionen
der "Brandschatzung von Wommelgem"
entstanden, so muß man aufgrund stilistischer Merkmale annehmen, gut
zwanzig bis dreißig Jahre später. [23]
Das erscheint jedoch nur dem heutigen Betrachter
befremdlich, der historischen Wert so eng mit dem Augenzeugnis verbindet.
Berücksichtigt man die damaligen Marktbedingungen, wird die Situation
verständlicher: Nicht selten ließen sich derartige, teure
Gemälde nur dann zügig verkaufen, wenn die ökonomischen
Bedingungen aufgrund abflauender Kampfaktivitäten günstiger wurden;
sobald die Nachfrage in Gang kam, galt es, sie mit der Entwicklung von
Variationen eines erfolgreichen Sujets zu befriedigen. Übrigens war es nach
der damaligen kunsttheoretischen Auffassung durchaus erlaubt und wurde sogar
positiv hervorgehoben, ein Historienthema um eigene Einfälle zu bereichern,
sofern der Kern der Geschichte nicht darunter
litt. [24]
II. Das Kriegsgenre im
künstlerischen Kontext der südlichen
Niederlande
Über die Kunsttheorie gelangen
wir unmittelbar zum künstlerischen Aspekt der hier untersuchten
Problemstellung. Es ist der Verdienst Jan
Briels' [25],
die wichtigsten frühen Entwicklungsphasen des Kriegsgenres in den
Niederlanden übersichtlich zusammengefaßt und dabei auf die
große Bedeutung der Bruegeltradition für Themen wie
Dorfplünderungen und ländliche Überfälle hingewiesen zu
haben. Vrancx wird diese Tradition gut gekannt haben, da er häufig mit dem
Sohn Pieter Bruegels d.Ä., Jan Brueghel d.Ä.,
zusammenarbeitete. [26] Gemeinsam bereicherten sie das Genre um Themen
wie Überfälle auf einen Gepäckzug. Vrancx ließ sich
offensichtlich auch von nordniederländischen Quellen inspirieren, wie
bereits mehrere Male anhand der Figuren aus der bekannten
"Wapenhandelinghe"
von 1607 mit Illustrationen von Jacob de Gheyn gezeigt wurde. [27] Ein
besonders interessanter Fall ist die Ölskizze
"Musketiere
schießend auf Befehl eines
Offiziers"
im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien (Abb. 5). [28] Nicht nur
läßt die malerische Ausführung
Vrancx'
Hand erkennen, auch die Handschrift der Rechnung, auf deren Blatt die Skizze zu
finden ist, zeigt auffallende Übereinstimmungen mit Archivdokumenten, von
denen feststeht, daß sie von Vrancx geschrieben wurden. [29] Die
Wiederverwendung eines solchen Rechnungsblatts wurde häufig als das
Notieren einer spontanen kreativen Aufwallung gesehen, die schnelle, lebensechte
Skizze einer selbst erlebten Szene auf zufällig greifbarem Schmierpapier.
Doch auch hier findet man wieder die Posen der
"Wapenhandelinghe".
Bei einer Vrancx zugeschriebenen und kürzlich versteigerten Zeichnung mit
ähnlichen Motiven ist dieser Rückgriff noch deutlicher. [30]
Umgekehrt diente
Vrancx'
Oeuvre seinerseits als Inspirationsquelle für nordniederländische
Künstler wie Esaias van de Velde, einem der einflußreichsten Meister
auf diesem Gebiet. [31] Vrancx beschäftigte sich übrigens
länger mit der Thematik als seine Kollegen im Norden. [32] Sein
Einfluß auf diese Künstler ist jedoch noch Jahrzehnte spürbar.
So besteht z.B. eine große Ähnlichkeit zwischen der Komposition von
Vrancx' "Schlacht bei Nieuwpoort",
die wir im Museo de Bellas Artes in Sevilla (Abb. 6) identifizieren
konnten [33], und der Darstellung desselben Themas auf einer
Tappisserie, die 1647/48 von Maximilian van der Gucht (gest.1689) im Auftrag des
Jonkheer Severin de Goluchows - vielleicht in Delft - gewebt wurde (heute
in den Koninklijke Musea voor Kunst en Geschiedenis in
Brüssel). [34]
Die Tatsache,
daß Vrancx nicht nur auf Vorbilder aus den nördlichen Niederlanden
zurückgriff, sondern die dortigen Künstler auch seinerseits
inspirierte, war vielleicht nicht zuletzt auf seine künstlerischen
Fähigkeiten zurückzuführen. Im Fall von Vrancx erlauben es uns
einzelne Gegebenheiten darüber hinaus, aus verschiedenen Blickwinkeln einen
Eindruck von der Art der Wertschätzung zu gewinnen, die seine Zeitgenossen
militärischen Darstellungen entgegenbrachten. Zunächst ist es nicht
unwichtig zu wissen, daß der Bildtypus der "Bataille" im allgemeinen und
der des Reitergefechts im besonderen in den eher theoretischen Betrachtungen in
"Den
grondt der edel vry
schilder-const"
in van Manders bekanntem
"Schilderboeck"
als Kompositionsbeispiele genannt werden. Es geht an dieser Stelle um die
"Anordnung" von Figurengruppen, besonders in Verbindung mit anderen
anspruchsvollen Kunstgriffen wie zum Beispiel Verkürzungen. [35] Es
ist anzunehmen, daß derartige Qualitäten in den komplexen und
figurenreichen Schlachten- und Reitergemälden von sowohl Vrancx als auch
Snayers hochgeschätzt wurden. Aus dem schon erwähnten Briefwechsel
zwischen Kunsthändlern erfahren wir, daß der große
Arbeitsaufwand Grund für die hohen Preise von
Vrancx'
Schlachtengemälden war. [36] Ein so detailliertes Gemälde wie
z.B.
"Die
Belagerung von Ostende aus der Sicht des spanischen
Lagers"(Abb.
7) [37], setzt in der Tat viel mehr Arbeit(stunden) voraus als die
Wiedergabe des gleichen Stoffes durch weniger gewissenhafte Künstler.
Vrancx' Gemälde wurden von einem kleinen Kreis wahrer Liebhaber gesammelt -
Menschen, die, so kann man annehmen, die künstlerische Qualität dieser
Werke zu würdigen wußten und Geld genug hatten, sie zu
zahlen. [38]
Vrancx'
Schlachtengemälde wurden auch von keinem geringerem als Peter Paul Rubens
hoch geschätzt, wie die Präsenz von
Vrancx' "Schlacht König Sebastians von
Portugal"
in dessen Sammlung belegt. [39] Rubens hatte in seiner Jugend auch
kleinformatige Gefechtszenen gemalt, behauptete jedoch später von sich,
mehr Talent für die monumentale Kunst zu haben. [41] Dennoch wird
er die kleineren Kabinettbilder seines Kollegen Vrancx zu schätzen
gewußt haben, so wie er es zweifelsohne auch bei seinem Freund Jan
Brueghel d.Ä. tat. [42]
Die
Unterscheidung zwischen groß- und kleinformatigen Werken deckt sich in
signifikanter Weise mit den Begriffen, die die unterschiedlichen Spezialgebiete
von Vrancx und Snayers in den Unterschriften ihrer Porträts in der
"Iconographia"
charakterisieren: Maler von kleinformatigen Kampfszenen oder
"proeliorum
minorum"
(Vrancx) beziehungsweise von Feldschlachten oder
"proeliorum"
(Snayers). [43] Hier treffen wir auf eine Differenzierung, wie sie in
analoger Weise erst kürzlich für die Marinemalerei derselben Epoche
beschrieben wurde. [44] Das scheint uns vom historischen Standpunkt aus
betrachtet ein sinnvollerer Ausgangspunkt für eine Kategorisierung der
Schlachtenmalerei zu sein als die Trennung zwischen der Abbildung historischer
Kriegsereignisse und sonstigen militärischen Themen. Auch deutet die
große Kontinuität in der zeitgenössischen Benennung
militärischer Darstellungen auf das Vorhandensein eines mehr oder weniger
festen und historisch fundierten Repertoires von Kriegsthemen, das sich von
unserer heutigen Einteilung unterschied. Bereits bei der Beschreibung von Jan
Vermeyens'
Zyklus über den Feldzug Karls V. nach Tunis ist beispielsweise die Sprache
von
"een
mars van een
leger" [45].
Titel wie
"Een
tochte van een
leger"
dagegen, die für Werke von Vrancx in Antwerpener Nachlaßinventaren zu
finden sind, stimmen mit den Bezeichnungen für einzelne Bereiche des
Kriegsgeschäfts in zeitgenössischen militärischen
Lehrbüchern und Kriegsspielen - ein wichtigen Mittel bei der Ausbildung von
Prinzen im 16. Jahrhundert, um ihnen die Kriegskunst zu lehren - überein.
Und wir begegnen ihnen - malerisch übersetzt - noch stets in den Bildern,
die Adam-Frans Van der Meulen im Auftrag Ludwigs XIV. malte. [46 ]Diese
Darstellungen bewaffneter Konflikte gehörten also zu dem was Michael
Baxandall
"the period
eye" des
16. und 17. Jahrhunderts genannt hat. [46]
3. Künstlerische
Entwicklung
Ein Großteil der Verwirrung um
das Verhältnis zwischen Vrancx als "Erfinder" der Schlachtenmalerei und die
Fortsetzung des Bildtypus bei seinem Schüler Pieter Snayers, ist auf eine
Hypothese F.-C. Legrands zurückzuführen, die in einigen Gemälden
das Ergebnis der Zusammenarbeit von Meister und Lehrling zu erkennen glaubte.
Obwohl eine derartige Kooperation auch in diesem Genre alles andere als
ungewöhnlich ist - denken wir an Snayers und Rubens (vgl. oben und Abb.1)
oder Vrancx und Jan Brueghel d.Ä. [47] -, können wir in den
von Legrand an Snayers und Vrancx zugeschriebenen Gemälden nicht die Hand
des letzteren entdecken. [48 ]Zudem zeigt ein Blick auf
Vrancx'
gesamte datierte Werke, daß er bis an sein Lebensende in einem eher
glatten Stil malte [49] und sich nicht in Richtung eines loseren, an
Snayers anschließenden Pinselstrichs entwickelte, den Legrand in jenen
Gemälden zu sehen meinte, die sie als Früchte der Zusammenarbeit
bewertete. Die einzigen Ausnahmen unter den Werken mit
Vrancx'
Signatur, die solch eine losere Pinselführung aufweisen, wie zum Beispiel
eine "Dorfplünderung" im Koninklijk Museum voor Schone Kunsten in
Antwerpen [50], sollten darum viel eher Snayers zugeschrieben
werden. [51]
Wie kürzlich gezeigt
wurde [52], gab es aber eine große Kontinuität zwischen
Meister und Schüler im Bereich der Atelierpraxis, im technischen Aufbau der
Gemälde. Ferner sind die kompositorischen Lösungen von Vrancx und
Snayers, sowohl beim Reiterscharmützel als auch bei der
Schlachtendarstellung, eng miteinander verwandt. Bei der schon erwähnten
"Belagerung
von Ostende aus der Sicht des spanischen
Lagers" von
1618 (Abb. 7) teilt Vrancx die Bildfläche bereits in einer Art und Weise,
wie wir sie später auch bei Snayers finden: in einen figurenreichen und
anekdotischen Vordergrund und ein Panorama in Vogelschau mit belagerter Stadt im
Hintergrund. [53] Ein Vergleich der
"Schlacht
bei
Nieuwpoort"
aus dem Museo de Bellas Artes in Sevilla (Abb. 6), die Vrancx in den
dreißiger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts malte, und dem von Snayers
ungefähr zur selben Zeit gemalten
"Besuch
der belagerten Stadt Breda von Erzherzogin
Isabella"
(Abb. 8) läßt erkennen, wie sehr sich die Bildaufteilungen gleichen:
Auf beiden sehen wir eine stärker individualisierte Gestaltung des
Vordergrundes und eine zusammenhängende Masse anonymen Kampfgeschehens im
Mittelgrund. [54] Es wird deutlich, daß auch zwischen dem
späten Werk
Vrancx' und
den gleichzeitigen Arbeiten seines Schülers Snayers ein viel engeres Band
besteht, als bisher angenommen wurde.
III.
Lehren aus Krieg und Frieden und der moralische Gehalt ihrer bildlichen
Darstellung
Die extreme Situation des Krieges ist
ein dankbarer Ausgangspunkt für explizite moralisierende Erörterungen
menschlichen Handelns. Unter den südniederländischen Darstellungen des
Krieges gibt es durchaus verschiedene Werke, in denen ein solch moralisierender
Gehalt eindeutig vorhanden ist und die "wirklichkeitsbeschreibenden"
Eigenschaften überdeckt werden. Ein schönes Beispiel ist eine
Zeichnung von Vrancx aus den dreißiger Jahren des siebzehnten
Jahrhunderts, die sich früher in der Sammlung S. Philipson befand (Abb.
9). [56] Dank der eigenhändigen Aufschrift in Versform des Malers
und "Rederijkers" Vrancx sind wir nicht auf vage Vermutungen über die
moralischen Intentionen der Darstellung angewiesen. In Aufschrift und Bildteil
verbindet Vrancx den Krieg unmittelbar mit dem Memento-mori-Gedanken. Er gibt
dem Tod die Gestalt eines Soldaten, der mehr als alles andere zu fürchten
sei, und kommentiert:
"Kein
Mann so klug, kein Tier so schnell,/Der Tod ereilt ihn
doch" [56].
Dieser
Gedanke schließt sich nahtlos den Todesmahnungen beim Bildtypus des
Reitergefechts in den nördlichen Niederlanden an, auf die in diesem Band
von unseren niederländischen Kollegen hingewiesen wird. Sowohl schriftlich,
in der Einleitung zum
"Jonstich
Versaem der
Violieren"
von 1619 [57], als auch in einem ihm zuzuschreibenden
Rebus-Blason [58] bringt Vrancx das Verlangen nach Frieden und seinen
Widerwillen gegen den kunstzerstörenden Krieg in extenso zum Ausdruck. In
dieser Hinsicht spiegelt sich in ihm, trotz und vielleicht sogar gerade wegen
seiner Tätigkeit als Maler von Militärszenen, ein bei seinen
Zeitgenossen im allgemeinen und bei den Künstlern im besonderen
weitverbreiteter Gedanke.
Es ist bezeichnend,
daß Vrancx, der als Kapitän der Bürgerwehr die Realität
einer Wachstube kannte, eine solche "kortegaarde" in Form einer
"Singerie"
(Abb. 10) darstellt. [59] Dies ist ein Bildtypus, dessen kritischer
Unterton außer Frage steht und der dem Bild von der kriegerisch
veranlagten Persönlichkeit, die Vrancx aufgrund seines Amts im
städtischen Wachdienst zugeschrieben wurde [60], sicher nicht
entspricht. In einem vergleichbaren Werk [61] - und möglicherweise
ein Pendant zu jenem - treten als Soldaten verkleidete Affen in Erscheinung,
unter anderem bei einer Truppenanwerbung und bei anderen dubiosen
Tätigkeiten wie dem Kartenspiel. Stilistisch sind diese Werke auf die
dreißiger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts zu datieren, mit anderen
Worten ungefähr genauso früh wie David
Teniers'
d.Ä. Darstellung von Affen in einer Wachstube von 1633 [62] (aber
später als die Entstehung der Wachstuben-Szenen in den nördlichen
Niederlanden). [63 ]
Auch wenn Vrancx zu
dem Teil der Bevölkerung gehörte, der für seinen katholischen
Glauben bekannt war (was aufgrund seiner städtischen Ämter
wahrscheinlich ist) [64], wobei er dem Aufstand durchaus Sympathien
entgegenbrachte, so sind diese Werke und Schriften doch deutlich hervortretende
Hinweise, daß er, abgesehen von seiner Parteinahme gegenüber Freund
und Feind, den Krieg auf einer allgemein moralischen Ebene mißbilligte. Er
sympathisierte demnach vielleicht auch mit der Unterschrift des Drucks vom
"Gefecht
zwischen Leckerbeetje und
Bréauté"
(Abb. 2) [65], der in den nördlichen Niederlanden nach jenem
Entwurf, mit welchem er selber dem Kriegsgenre den Weg bahnte, herausgegeben
worden war: "Hooge Moet, Selde Goet" ("Hochmut tut selten
gut").