DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur |
GÖREL CAVALLI-BJÖRKMAN Vanitas-Stilleben als Phänomen des Krisenbewußtseins |
Der Dreißigjährige Krieg und der Westfälische Frieden spiegeln sich
in vielfältiger Weise in Kunst und Literatur ihrer Zeit. Maler wurden damit
beauftragt, großformatige Gruppenportraits der Gesandten,
Schlachtengemälde und Friedensallegorien anzufertigen. Einiges deutet
darauf hin, daß ein ganz besonders hochentwickeltes Thema in der Malerei,
das Vanitas-Stilleben, sich als Resultat von Krieg und Pestilenz entwickelte.
Das Genre entstand zeitgleich in vielen europäischen Ländern und hatte
seine Blütezeit während des Krieges. Es ist nur natürlich, so
führt Ingvar Bergström in seinem Buch über niederländische
Stilleben aus, daß Dichter und Künstler in einer Zeit, die derart von
der Macht des Todes geprägt war, althergebrachten Symbolen des Verfalls
wieder Ausdruck zu verleihen suchten. [1] Die Tatsache, daß viele
niederländische Vanitas-Stilleben in der zweiten Hälfte der zwanziger
Jahre in Leiden entstanden, verbindet er damit, daß dort die Pest
wütete, an der allein in Leiden 1624/25 9.897 und 1635 sogar 14.582
Menschen starben. Inwieweit der Dreißigjährige Krieg die
Vanitas-Bilder beeinflußt hat, wurde jedoch bisher noch nie
ausführlich untersucht. Nachdem ich das reichhaltige niederländische
Vanitasmaterial ebenso wie das anderer Schulen gesichtet habe, ist mein
Eindruck, daß, was die eigentliche Entstehung des Genres betrifft, Krieg
und Pestilenz nur eine untergeordnete Rolle spielten. Die heutigen
Verhältnisse oder auch die starke Wirkung, die Goya und andere Maler der
Romantik erzielten, verleiten uns möglicherweise dazu, die
Vanitas-Stilleben des 17. Jahrhunderts als Ausdruck der Schrecken des Krieges zu
interpretieren. Beginnen wir statt dessen mit einer Betrachtung der historischen
Situation und der verschiedenen Arten von Vanitas-Stilleben, die im späten
16. und frühen 17. Jahrhundert in Holland, Flandern, Deutschland, Italien
und Spanien entstanden, in Ländern also, die damals nicht nur durch ihre
politischen Grenzen, sondern auch aufgrund religiöser Differenzen,
widerstreitender politischer Systeme, unterschiedlicher sozialer Strukturen und
sogar unvereinbarer Überzeugungen über den Sinn von Leben und Tod
getrennt waren. Es entstanden neue nationale oder lokale Schulen in der Malerei,
jede mit ihren eigenen Merkmalen.
Obwohl eigene
Formen des Vanitas-Stillebens unabhängig voneinander gleichzeitig in
protestantischen und katholischen Ländern auftraten, werden sie allgemein
als calvinistisches Phänomen betrachtet, das seinen Ursprung um 1600 in
Leiden hat. Künstler der Leidener Schule wie etwa David Bailly (1584-1657),
Pieter Potter (1597-1652), Harmen Steenwyck (1612- nach 1664) und Pieter
Steenwyck (1615- nach 1654) schufen einen besonderen Typus von Bildern, in denen
Symbole des weltlichen Lebens, die der Kunst und der Wissenschaft entstammten,
mit Symbolen des Todes in Form
von
Totenschädeln, halbniedergebrannten
Kerzen und Stundengläsern kontrastiert wurden. Die schicksalhafte Botschaft
und die monochrome Farbgestaltung verleihen diesen Bildern häufig eine
melancholische Stimmung. Laut Bergström waren die strikten moralischen
Gebote der Calvinisten die Hauptinspirationsquelle der niederländischen
Maler, die ihr Bestes taten, den zeitgenössischen Betrachter zum Nachdenken
über diese Dinge anzuregen und seine Aufmerksamkeit auf die
Vergänglichkeit des Lebens und die Eitelkeit aller Dinge zu
lenken. [2] Er weist, wie auch andere Kunsthistoriker, die sich mit dem
Vanitasthema befaßt haben, darauf hin, daß die Gemälde ihre
Gegenstücke in der Literatur, Poesie und religiösen Texten finden und
daß die Hauptinspirationsquelle für die Texte und Bilder der Zeit die
wohlbekannten Bibelzitate sind:
"Windhauch,
Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles
Windhauch."
(Koh 1,2) und
"Des
Menschen Tage sind wie Gras, er blüht wie die Blume des Feldes. Fährt
der Wind darüber, ist sie dahin; der Ort, wo sie stand, weiß von ihr
nichts
mehr." (Ps
103,15-16).
Emblematische Quellen, wie etwa Roemer
Visschers
"Sinnepoppen"
oder Cats'
"Sinne en
Minnebeelden"
von 1627, die Kommentare und Erläuterungen enthalten, könnten
ebenfalls herangezogen werden. Der Künstler konnte sicherstellen, daß
die Gemälde verstanden wurden, indem er ihnen einen erläuternden Text
beifügte. Diese Texte machen deutlich, daß die beklagenswerte
Tatsache der Vergänglichkeit des Lebens nicht das alleinige Anliegen der
Vanitas-Stilleben war, vielmehr legten sie auch eine Moral nahe. Viele Bilder
warnen vor dem Stolz, den das Lernen mit sich bringt.
"De
wetenshap tot hoogmoedt
drifft"
schrieb Bredero in seiner Tragödie
"Roderick
ende
Alphonsus".
Niederländische Prosa, Poesie und Dramen von Cats, Huygens, Vondel, Bredero
und Westerbain wurden in allegorischer Weise verwendet, wenn moralisierende
Inhalte zum Ausdruck gebracht werden sollten. Bergström hält die
Vanitasbilder für eine eindeutige Parallele hierzu. Die aus dem Bereich der
Freien Künste, aus der Wissenschaft, dem Wohlstand, der Macht und dem
Vergnügen stammenden Dinge sind nicht nur dazu verurteilt zu vergehen, sie
stellen auch eine Warnung vor dem Hochmut der Wissenschaft und der
Sündhaftigkeit, zu der Kunst, Macht und Vergnügen verleiten
können, dar. Bei eingehenderer Prüfung stellt man jedoch fest,
daß einige der niederländischen Vanitasbilder keinen solchen
moralisierenden Charakter aufweisen und statt dessen eine sehr positive Haltung
der Kunst und den Wissenschaften gegenüber vermitteln. Ein Gemälde von
David de Heem (1606-1683/84) in Pommersfelden stellt einen
lorbeerbekränzten Schädel neben einem umgestoßenen antiken Kopf
und der marmornen Renaissanceskulptur eines Kindes dar. Der Text im Vordergrund
lautet:
"Non omnis
moriar"
(Ich sterbe nicht ganz) und stammt aus Horatius’
"Exegi
monumentum"
(Carmina 3.30.6). Dieses Motto besagt, daß der menschliche Geist auch nach
dem Tod weiterlebt. Die um den Schädel gelegten abgebrochenen
Getreideähren deuten Sterblichkeit an, könnten aber ebenso ewiges
Leben bedeuten. [3] Der Lorbeer steht für den Ruhm, den der Mensch
in der Nachwelt erlangen kann. Der Mensch ist sterblich, aber seine Taten leben
wie Kunst und Literatur ewig.
Weltabgewandtheit
war nichts Neues im 17. Jahrhundert und kann nicht ausschließlich dem
Einfluß des Calvinismus zugeschrieben werden. Sie ist charakteristisch
für einige antike Philosophen und kann auch im Christentum bis in die Zeit
von Augustinus zurückverfolgt werden. In einem Artikel, in dem er ein
Vanitas-Gemälde von Jacques de Gheyn bespricht, wirft B.A. Heezen-Stoll die
Frage auf, ob nicht vielleicht der erstarkende Neostoizismus des späten 16.
Jahrhunderts und die weite Verbreitung dieses Gedankenguts in den Niederlanden
eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Vanitas-Genres gespielt haben
könnte. [4] Er ist der Ansicht, daß die Vorstellung des
Vanitas vanitatem in erster Linie stoisch ist und weniger ein Ausdruck
christlicher Weltabgewandtheit. Der Stoizismus lehrt, daß des Menschen
Streben nach Glück auf dieser Welt letztlich ein Streben nach Tugend sei.
Wie in oben erwähntem Beispiel könnten in Vanitas-Stilleben
abgebildete Bücher und Texte Wissen und Weisheit andeuten, nicht
Nichtigkeit. Instrumente, Skulpturen und ähnliche in den Stilleben
verwendete Symbole könnten eine ganz spezielle Bedeutung haben. Die Rolle,
die die Künste und die Wissenschaften in der Erziehung spielen, kommt bei
den antiken Autoren sehr klar zum Ausdruck. Das Studium der Freien Künste
wird stets als erstrebenswerter dargestellt als das Streben nach Glück. So
wie stoische Texte den Weg zu höchster Tugend aufzeigen, stellen die
Vanitas-Stilleben die Dinge dar, die dabei hilfreich oder hinderlich sein
können. Auch Jan Bialostocki erörtert die Interpretation der
niederländischen Vanitas-Stilleben aus dem ersten Viertel des 17.
Jahrhunderts anhand der stoisch-humanistischen Ideale. [5] Das Bild vom
menschlichen Leben als
"Homo
Bulla" -
einer Seifenblase, wie sie in so vielen Vanitas-Stilleben des 17. Jahrhunderts
dargestellt ist - findet sich bereits bei den antiken Autoren Varro und Lucian
und taucht in Erasmus’ 1572 veröffentlichter
Sprichwörtersammlung
"Adagia" [6]
wieder auf. Die Neostoiker um 1600 glaubten an die Möglichkeit des
Menschen, sich zu bessern. Vielleicht sollte man die frühen
Vanitas-Stilleben in eben diesem Sinne interpretieren. Durch die Betrachtung
eines solchen Bildes konnte der Mensch seinen Geist bilden und etwas über
menschliche Tugenden lernen. Erst später, nach den 1630er Jahren trat der
moralisierende Aspekt der Vanitassymbole mehr in den Vordergrund. Nun wurden
zerfetzte Bücher und Instrumente, denen Saiten fehlten,
dargestellt.
Die Tatsache, daß so zahlreiche
Vanitas-Stilleben in Leiden entstanden, hängt sicherlich mit der hohen
Wertschätzung der Humanismus in dieser Universitätsstadt zusammen.
Hier beschäftigte man sich mit Philosophie ebenso wie mit Emblematik. Ein
Bild von Jacques de Gheyn (1565-1629) aus dem Jahre 1603 im Metropolitan Museum
of Art, New York, das allgemein als das erste seiner Art gilt, spiegelt den
typischen Leidener Humanismus wider. [7] Über dem Totenschädel
erscheint eine große Seifenblase, in der mehrere kleine Objekte zu sehen
sind: eine königliche Krone, ein Äskulapstab, ein von einem Pfeil
durchbohrtes Herz, ein Zepter, Würfel und ein umgefallenes Glas - Symbole
für Macht, Glück, Luxus, Vergnügen -, alles vergänglich. In
der einen oberen Ecke des Bildes lacht Demokrit, in der anderen beweint Heraklit
diese Welt, die nichts ist als Schein - eine glänzende Seifenblase, die
jeden Moment zerplatzen wird.
De Gheyns
Gemälde könnte auch als Bindeglied zu den Memento Mori gesehen
werden, die sich auf der Rückseite spätmittelalterlicher
Altargemälde finden; eine mögliche Erklärung also für das
Aufkommen autonomer Vanitas-Stilleben. Das älteste bekannte Beispiel findet
sich auf der Rückseite eines 1450 entstandenen Altargemäldes von
Rogier van der Weyden im Louvre. [8] Eine weitere, häufig genannte
Quelle für das Vanitasthema sind die Frührenaissancedarstellungen des
Hl. Hieronymus im Gehäuse. [9] Hieronymus, der Gelehrteste unter
den Kirchenvätern, kann ohne weiteres mit den humanistischen Idealen der
Zeit identifiziert werden. Insbesondere für die Anhänger der
Gegenreformation stellte Hieronymus eine Idealfigur dar. Er wurde in seiner
Kammer zusammen mit einem Buch und einem Schädel - Attributen, die mit
Gelehrsamkeit, Kontemplation und Sterblichkeit assoziiert wurden - gezeigt. Die
auf einem Tisch vor dem Gelehrten angeordneten Objekte könnten, für
sich gesehen, selbst ein Stilleben sein. Was den Inhalt angeht, kommt ein
frühes Stilleben von Pieter Potter, heute in der Sammlung der
Universität Lund, dem Hieronymus-Motiv sehr nahe. Man kann sich leicht den
Kirchenvater an diesem Tisch sitzend vorstellen, auf dem der Totenschädel
unter Büchern, Stundengläsern, Kerzenleuchtern und Schreibutensilien
hervorsticht. Die Bücher liegen unordentlich verstreut, als ob der Besitzer
sie in einer wahrhaft verzweifelten Suche nach dem Sinn des Lebens offen liegen
gelassen hätte. In der linken oberen Ecke sieht man eine Seifenblase in
einer Schale,
"homo
bulla", die
Vergänglichkeit des Augenblicks, die Fragilität des menschlichen Seins
verkörpernd.
Ein Stilleben mit astronomischen
Instrumenten von dem von der Leidener Schule beeinflußten schwedischen
Maler Christian Thum weist eine enge Verbindung mit einem anderen Gemälde
desselben Künstlers auf, das einen Einsiedler in der Wüste
darstellt. [10] In dem Bild tauchen verschiedene Instrumente aus
glänzendem Messing auf - ein astronomisches Teleskop, ein Quadrant, ein
Maßband, ein Lineal, ein astronomischer Globus sowie Bücher und ein
lorbeerbekränzter Totenschädel, alle auf einem grünen Samttuch
vor einem dunklen Hintergrund angeordnet. Die Ansammlung so vieler Symbole der
Wissenschaften konnte in den Augen der Zeitgenossen als Warnung vor akademischem
Stolz gelten. Die unheilvolle Botschaft wird noch eindringlicher durch die
Tatsache, daß die Instrumente in diesem speziellen Bild eng mit der
Astronomie, genauer der Vermessung des Himmels und der Planeten verbunden sind.
Nicht einmal wenn wir Himmel und Erde erforscht haben, so scheint das Bild uns
zu sagen, wird es uns gelingen, das Irdische hinter uns zu lassen. Die
elementaren Geheimnisse entziehen sich unserem Verständnis, und selbst
gelehrte Menschen können dem Verfall nicht entgehen; der
lorbeerbekränzte Schädel weist darauf hin. Eine niedergebrannte Kerze
in einem kleinen Messingkerzenleuchter soll vielleicht Zeugnis geben von der
Leichtigkeit, mit der unser schwaches Lebenslicht ausgelöscht werden kann.
Das Bild läßt sich jedoch auch anders interpretieren. Der kleine
Cherub, der den Fuß des Kerzenleuchters bildet, hält einen Kranz und
einen Olivenzweig in der Hand. Beides sind Symbole des Sieges, die zusammen mit
dem lorbeerbekränzten Schädel die Hoffnung auf ewiges Leben durch die
Wissenschaft zum Ausdruck bringen könnten. Das Leben vergeht, aber die
Wissenschaft
überdauert. [11]
Vanitas-Stilleben
konnten außerdem als Portraits einzelner Personen benutzt werden. Das
Stedelijk Museum
"De
Lakenhal"
in Leiden besitzt Pieter Steenwycks
"Allegorie
des Admirals
Tromp", des
Helden, der in der Seeschlacht vor Scheveningen im Jahre 1653 starb. In dem Bild
ist auch ein gedrucktes Portrait des Admirals und Anthonius Thysius
"oratio
funebris"
aus demselben Jahr dargestellt. Die große Nautilusmuschel
versinnbildlicht, daß der Admiral ein Seemann ist. Das Stilleben
könnte eine zweifache Bedeutung haben. Der Lorbeer deutet auf den Ruhm
dieses Mannes und seiner Taten, welche weit über seinen Tod hinausreichen.
Eine andere mögliche Interpretation wird durch die makabre Kombination des
Totenschädels mit dem Federbarett vermittelt, die vielleicht als Warnung
vor irdischem Stolz und Eitelkeit gedacht ist.
Ein
ähnlicher Widerspruch scheint sich in einigen Vanitasbildern mit
Kriegssymbolen zu finden. Gerhard van Steenwijk und Willem de Poorter
(1608-1648) schufen Bilder mit Kriegstrophäen. [12] De Poorter, ein
ehemaliger Schüler Rembrandts in Leiden, verwendete in zwei sehr
ähnlichen Vanitas-Stilleben in Rotterdam und Braunschweig
Waffenarrangements und Rüstungsteile. Unter einem ästhetischen
Gesichtspunkt war er fasziniert von den glänzenden und fein gearbeiteten
Waffen und Rüstungen, die sich unter den Modellen in Rembrandts Atelier
befanden. Rembrandt selbst benutzte sie für Stillebendetails. [13]
In de Poorters Gemälden scheinen sie eine zweifache Bedeutung zu haben. Er
benutzte sie als eine Art negatives Symbol für Kriegsmut und -heldentum.
Das Rotterdamer Gemälde zeigt unter anderem einen Sattel, eine Truhe und
ein Banner. Im Hintergrund ist eine Lanze an einen Sarkophag gelehnt, auf dessen
Deckel ein Skelett zu sehen ist, das uns an die Leere von Macht und Ruhm
erinnern soll. Die Suggestivität dieser Szene wird noch verstärkt
durch ihre Ansiedlung in einer dunklen Höhle voll drohender Schatten. Das
Braunschweiger Gemälde zeigt im Vordergrund Rüstungsdetails, Waffen
und einen Totenschädel und dahinter ein Banner, eine Krone und ein
Zepter. [14]
Die Symbolik in de Poorters
Malerei läßt sich mit dem Emblem eines Sarkophags mit Krone und
Zepter sowie dem Motto
"Hoc solum
super est"
(Nur dies wird übrig bleiben) in Diego de Saavedra Fajardos Studie der
einem Herrscher zur Verfügung stehenden politischen Mittel vergleichen,
einem Werk, das der spanische König am Vorabend der Friedensverhandlungen
in Münster in Auftrag gab. [15]
Der
niederländische Künstler Leonard Bramer (1596-1674) verwendete die
Kriegssymbolik in allegorischer Weise. Er ist für seine kleinformatigen
Stiche mit Genreszenen von Soldaten bekannt, malte in den 1640er Jahren malte
jedoch auch zwei faszinierende Allegorien, die sich heute im Besitz des
Kunsthistorischen Museums in Wien befinden. [16] Die beiden
Gemälde, jedes mit zwei Hauptfiguren, die sich gegenüberstehen,
gehören offensichtlich zusammen. Das eine Bild zeigt einen jungen Mann, der
auf der Laute spielt, während vor ihm eine Frau vor einem Spiegel sitzt,
ein Hinweis auf Eitelkeit. Die übrigen Gegenstände, wie etwa
Goldketten, kostbare Gefäße oder Musikinstrumente, stehen für
weltliche Genüsse. In der Allegorie auf die Vergänglichkeit blickt ein
alter Mann auf ein Stück Papier auf dem
"memento
mori"
geschrieben steht. Vor ihm ist ein Skelett in die Betrachtung eines
Totenschädels versunken. Die Botschaft entspricht ganz offensichtlich der
von Andachtsbüchlein der Zeit propagierten Auffassung, daß
nämlich der Mensch durch die Meditation über den Tod vor Stolz und
Egozentrik bewahrt werden soll. Auf dem Tisch zwischen den beiden Figuren des
zweiten Bildes ist eine Ansammlung von Rüstungsteilen zu sehen, die die
Vergänglichkeit irdischer Macht
symbolisieren.
Ein Vanitasbild von Abraham van der
Schoor, signiert 1670 in Leiden, wirkt ein wenig finsterer. Im Mittelpunkt des
Bildes liegen sechs Totenschädel, drei Knochen und ein Unterkiefer
aufgeschichtet. Der Künstler scheint diese Dinge mit wissenschaftlichem
Interesse an der Spezies Mensch studiert zu haben. Die gleiche Konzentration auf
die Naturwissenschaften findet sich in Vanitasbildern anderer
künstlerischer Zentren. Der flämische Maler Roelandt de Savery
(1576-1639), der bei Rudolf II. in Prag in Diensten stand, malte um 1610
ein sehr originelles Stilleben mit toten und lebendigen Tieren. [17] Die
leicht makabre Vanitasikonographie dieses Bildes ist jedoch nicht das Produkt
religiöser oder didaktischer Propaganda, sondern spiegelt vielmehr den an
Rudolfs Hof praktizierten wissenschaftlichen Naturalismus wider. Die Aufgabe
vieler seiner Künstler war es, seine Sammlung seltener und
ungewöhnlicher Arten von Blumen, Kräutern, Insekten und anderen Tieren
zu beschreiben und zu illustrieren. Mit nahezu graphischer Präzision malte
Savery exotische Vögel und verschiedene Tierskelette. Ein kleiner Frosch
sitzt auf einem Pferdeschädel. Dieses Interesse für die Anatomie von
Tieren teilte er mit anderen Künstlern, die häufig eingestellt wurden,
um wissenschaftliche Bücher zu diesem Thema zu illustrieren. Heinrich
Hondius schuf in den 1620er Jahren eine Reihe von Illustrationen in
"Anatomia -
Memento
Mori", das
Jan Claesz Visscher 1652 in Amsterdam veröffentlichte. [18] Der von
Knochen bekrönte Schädel eines Menschen neben den Tieren in Saverys
Gemälde ist eine seltsame und originelle Idee. Könnte dies wohl eine
Anspielung auf den Kaiser und seine weltliche Macht
darstellen?
Eher abstoßend ist ein anonymes
Vanitasbild, wahrscheinlich deutscher Schule, im Nationalmuseum, Stockholm. Ein
symmetrisch plazierter Pokal ist umgeben von verschiedenen Knochen und einem
Totenschädel. Eine glimmende Fackel erinnert uns an den Psalmenvers 102,4:
"Meine Tage
sind wie Rauch
geschwunden."
Die unentrinnbar dahinfliegende Zeit wird durch das Stundenglas
symbolisiert.
Die Geschichte der Stillebenmalerei
in Deutschland ist unauflöslich mit der politischen Situation in
Zentraleuropa gegen Ende des 16. Jahrhunderts verknüpft. Viele Maler aus
den südlichen Niederlanden waren aus religiösen Gründen in
deutsche Städte geflüchtet. Daniel Soreau (gest. 1619) begründete
in Hanau eine Schule, die nach des Meisters Tod sein bedeutendster Schüler,
Sebastian Stoskopff (1597-1657), übernahm. Im Besitz des Musée de
l'Œuvre
Notre-Dame, Straßburg, befindet sich ein interessantes Vanitas-Stilleben,
das Stoskopff 1641, mitten im Dreißigjährigen Krieg malte, als das
Elsaß ausgeplündert wurde. Auf einer Schiefertafel im Vordergrund des
Bildes steht geschrieben:
"Kunst,
Reichtum, Macht und Kühnheit stirbet. / Die Welt und alle ihr Thun
verdirbet / Ein ewiges komt nach dieser Zeit / Ihr Thoren, flieht die
Eitelkeit".
In
der linken oberen Bildecke sind drei Goldpokale zu sehen, die ausschweifenden
Luxus darstellen, während eine Flasche mit
"eau de
vie" im
Vordergrund des Bildes ein Zeichen für Unsterblichkeit sein könnte,
das Wasser als Anspielung auf das Himmelsparadies. Im Zentrum der Komposition
ruht ein Totenschädel zwischen einigen Büchern auf einer
Spanschachtel, die wiederum auf einem aufgeschlagenen Notenbuch steht. Die Laute
und die Radierung Callots mit einem Komödianten repräsentieren die
Freien Künste. Über dem Globus sieht man einen Helm und Handschuhe,
die den Krieg und seine eitle Herrlichkeit
darstellen.
In Frankreich scheinen
Vanitas-Stilleben zur gleichen Zeit und unabhängig von den Niederlanden und
Deutschland entstanden zu sein. Maler wie Philippe de Champaigne, Madeleine
Boulogne und die Künstlergruppe aus Saint-Germain-des-Prés in Paris
schufen sehr schlichte und sachliche Arrangements. Fabrice Faré hat
dargelegt, daß die französische Tradition in den menschlichen
Lebensbedingungen begründet ist und ihre Symbolik aus emblematischen und
philosophischen Quellen bezieht. [19] Das Vanitasthema wurde sowohl von
Künstlern der Pariser protestantischen Gemeinde entwickelt als auch von
Künstlern, die einem besonderen Zweig des Katholizismus, dem Jansenismus,
angehörten. Die Jansenisten hatten ihr Zentrum in Port-Royal,
außerhalb von Versailles, und beschäftigten sich mit der
Übersetzung und Verbreitung von Texten ihrer Gründerväter. Ein
Vanitasgemälde, das Philippe de Champaigne zugeordnet wird, kommt der
Strenge der Jansenisten sehr nahe. In seiner Schlichtheit ist es schon fast
emblematisch - das Leben wird durch eine Blume dargestellt, der Tod durch einen
Schädel und die Zeit durch ein Stundenglas. [20] Der Schädel
ist dem Betrachter zugewandt. Der Mensch sollte ihm in die eingefallenen Augen
blicken und sich alle möglichen Fragen über das Leben und dessen Sinn
stellen, dieselbe Art philosophischer Fragen, die Pascal auch in
"Pensées
sur la
religion"
stellte. In einem Vanitasbild von Jacques Linard (1600-1645) faßt eine
Bildunterschrift die philosophische Haltung der französischen
Vanitastradition zusammen:
"Apprens
à bien mourir-Cherche la vérité / Tout le reste n’est
rien que pure
vanité." [21]
De
Champaignes Vanitasbild hat große Ähnlichkeit mit einem
ungewöhnlich kleinen Gemälde von ca. 1618-20 des italienischen
Künstlers Guercino (1591-1666), den Champaigne sehr
bewunderte. [22] Guercinos Gemälde, das einzige dieser Art in
seinem Werk, entstammt wohl seinem eigenen
"Et in
Arcadi ego"
von 1618, in dem eine ähnliche Komposition mit einem Totenschädel eine
herausragende Rolle spielte. [23] Vanitas ist kein gängiges Thema
in der italienischen Stillebentradition. Salvator Rosa malte einen
"Singenden
Totenschädel"
für den Deckel eines Cembalos. Wesentlich später griff Giuseppe Maria
Crespi das Thema auf, aber das fällt bereits nicht mehr in den Zeitraum,
mit dem wir uns hier beschäftigen.
Das
Vanitasthema und die Darstellung der Vergänglichkeit des Lebens lag den
spanischen Künstlern von jeher am Herzen. Künstlern des 17.
Jahrhunderts, wie etwa Antonio da Pereda (1608/11-1678), Juan de Valdes-Leal
(1622-90) und Andrés Deleito (um 1680 aktiv) gelang es, sich in der
Behandlung makabrer Sujets direkter und offener auszudrücken als die
meisten Maler anderer Schulen. Die niederländischen Vanitas-Stilleben sind
puritanisch, die spanischen hingegen dramatisch. Da die mittelalterliche
Tradition in Spanien noch spürbar war, sind die Vanitasbilder eng verbunden
mit der Sterblichkeit des Menschen, während die nördlichen Schulen
sich mit abstrakteren Ideen befassen. In der Zeit unmittelbar nach dem
Dreißigjährigen Krieg finden sich in Spanien jedoch auch
Vanitasbilder mit einer politischen Botschaft. Es war eine Zeit, in der die
meisten Länder durch die enormen Kriegsausgaben vollständig ruiniert
waren. Ein Gemälde von Pereda im Kunsthistorischen Museum, Wien, mit dem
Titel "Die
Ernüchterung der
Welt" (El
desengaño del mundo) steckt voller Anspielungen auf die Probleme der
kaiserlichen Macht. In der Kamee, die der Engel dem Betrachter entgegenstreckt,
ist ein Spiegelbild des spanischen Königs und röm.-deutschen Kaisers,
Karls V., zu sehen, der 1556 abgedankt hatte. Die Kamee wird über eine
Weltkugel gehalten, was auf die Ausmaße des Habsburgerreiches hindeutet.
Das Gemälde entstand fast ein ganzes Jahrhundert nach Karls Tod. Wie die
symbolischen Überreste der menschlichen Existenz auf dem Tisch - ein Haufen
von Totenschädeln - stellte sich auch sein Reich als kurzlebig heraus.
"Nil
omne" -
alles ist nichts - war deshalb die Botschaft des Künstlers, die oberhalb
des Stundenglases geschrieben steht. Pereda malte sein Vanitas zu einer Zeit,
als Spanien die Abspaltung Portugals und den Aufstand in Katalonien 1640 bereits
erlitten hatte, und mit dem Spanisch-Niederländischen Frieden 1648 nach
einem hoffnungslosen Kampf während des Unabhängigkeitskriegs
endgültig seine Vorherrschaft über die Niederlande verloren hatte. Die
1640er Jahre waren darüber hinaus eine Zeit der großen
Hungersnöte, die in der großen Pest von 1648-49 gipfelten, der
Tausende von Spaniern zum Opfer fielen.
Ein
spanisches Stilleben mit Büchern in der Gemäldegalerie, Berlin, steht
im Zusammenhang mit der humanistischen Tradition in den Niederlanden. Es ist
nicht ganz klar, wie der zeitgenössische Betrachter das Bild verstehen
sollte. Handelt es sich um eine Verherrlichung der humanistischen Ideale, oder
ist es schlicht ein Vanitasbild? Die Botschaft erscheint widersprüchlich.
Zu Beginn des Jahrhunderts wurde der Wunsch, lesen zu können, in
großen Teilen der europäischen Bevölkerung zusehends
stärker. Es wurden nicht nur mehr Bücher veröffentlicht, sondern
die Auflagen einzelner Werke steigerten sich auch rasant. Eine Tendenz zur
Säkularisierung und eine abnehmende Produktion religiöser Literatur
empörte viele konservative Theologen und Humanisten; was schließlich
soweit führte, daß sie Bücher für unnützen und
überflüssigen Luxus hielten. Bücher wurden statt dessen als
Symbole der Eitelkeit verwendet. Menschliches Wissen und menschliche Erfahrungen
wurden, wie wir gesehen haben, als vergänglich
betrachtet.
Es kann dem modernen Betrachter
Schwierigkeiten bereiten, die zweischneidige Botschaft der Vanitas-Stilleben des
17. Jahrhunderts zu verstehen, da wir umgeben sind von den Ausschweifungen und
der Art von Luxus, vor denen die Künstler warnen. Die zu einem
luxuriösen und kostspieligen Pokal umgearbeitete Nautilusmuschel in Pieter
Claesz Vanitasbild im Westfälischen Landesmuseum, Münster, wird mit
einem Totenschädel kontrastiert. Streng calvinistische Autoren fordern, den
weltlichen Dingen völlig zu entsagen, während die Vanitasbilder -
trotz ihrer Botschaft - auch dazu bestimmt sind, als Kunstwerke genossen zu
werden. Abgesehen davon erzielten sie im Verkauf hohe Preise und hingen in
prächtigen Bürgerhäusern. Ihre Besitzer hatten ganz sicher nicht
die Absicht, den weltlichen Dingen zu entsagen. Glaubt man der These Norman
Brysons, die er in seinem Buch
"Looking at
the
overlooked"
formuliert, dann hatte der Betrachter des 17. Jahrhunderts keinerlei Probleme
mit dieser widersprüchlichen
Botschaft. [24]
Das Paradox war
beabsichtigt und der Konflikt zwischen der Ablehnung der Welt einerseits und der
Verstrickung mit der Welt andererseits das vorherrschende Prinzip dieser Werke.
Während im katholischen Glauben, wie Ignatius von Loyola ihn sah, Bilder
das geschriebene Wort ersetzen konnten, das Bild sogar das entscheidende
Instrument für die Erweckung der seelischen Kräfte war, galt in
Calvins Lehre das Primat des geschriebenen Wortes. Er bestand darauf, daß
die Menschen lesen müßten, um die heiligen Dinge zu verstehen. Bilder
verstellen den Blick des Menschen auf den Sinn der Welt. Wenn allegorische
Botschaften in Vanitas-Stilleben enthalten sind, sind sie dazu bestimmt,
entschlüsselt zu werden. Der Betrachter mußte seinen Intellekt
gebrauchen oder ein Symbolwörterbuch. Durch den Gebrauch seiner Sinne war
er zwar in der Lage, sich an der Welt zu erfreuen, konnte aber ihren tieferen
Sinn nicht durchschauen.
Unter Kunsthistorikern
wird in den letzten Jahren eine Debatte darüber geführt, ob die
eigentliche Bedeutung niederländischer Stilleben und Genrebilder in dem
besteht, was auf der sorgfältig ausgearbeiteten Oberfläche dargestellt
ist, oder ob der offensichtliche Realismus nicht vielmehr voller Anspielungen
auf Embleme, Sprichwörter und ähnliches steckt, denen die eigentliche
Bedeutung innewohnt. [25] Mir scheint, daß Anne Lowenthal in ihrem
Beitrag zu dieser Debatte völlig recht hat, wenn sie sagt, daß die
Künstler uns vor die Wahl stellen. [26] Nichts hindert uns daran,
die Bilder allein um ihrer visuellen Kraft willen zu genießen und
gleichzeitig die Bedeutung der verschiedenen Gegenstände zu
hinterfragen.
Zurück zu den Vanitasbildern
des 17. Jahrhunderts: Es ist offensichtlich, daß nach der Mitte des
Jahrhunderts das kompositorische gegenüber dem emblematischen Element
überwiegt. Der strenge, warnende Charakter des Vanitasthemas scheint zu
schwinden, und größere Kompositionen sind oft prall gefüllt mit
Vanitasallegorien und Emblemen. Cornelis Brisé (1622-1665/70) signiert
1665 ein Vanitasbild mit Rüstungen, in dem die Eleganz und die
Beschaffenheit angenehmerer Dinge vorherrschend sind. Ein filigran geschnitzter
Lindenholzrahmen, 1668 von dem Alkmaarer Bildhauer Johan Kinnema signiert, zeigt
inmitten von Attributen des Krieges und der Seefahrt einen Totenschädel
sowie andere Vanitassymbole. [27] Die Vanitasembleme sind hier zu rein
dekorativen Elementen geworden.
Nach dieser
näheren Untersuchung des Vanitas-Stillebens und seiner Entwicklung in
Europa während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts läßt
sich abschließend sagen, daß die Gattung trotz ihrer zeitlichen
Parallelen mit dem Krieg das mit diesem verknüpfte Verderben zu
moralisieren nicht beabsichtigte. Vielmehr waren diejenigen, die diese Bilder in
Auftrag gaben, dieselben, die vom Krieg profitierten. Das Ausschmücken
ihrer Häuser mit Vanitasbildern diente in erster Linie sicherlich der
Demonstration ihrer klassischen
Bildung.