DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur |
KATIA MARANO Domenico Gargiulo - Der Masaniello-Aufstand in Neapel 1647 |
Im Museo Nazionale di San Martino in Neapel
befindet sich ein außergewöhnliches Bild aus der Mitte des 17.
Jahrhunderts, gemalt von Domenico Gargiulo (Neapel 1612-1675), besser bekannt
unter dem Namen Micco Spadaro. Die Entstehungszusammenhänge des Bildes
liegen weitgehend im dunkeln, allerdings läßt sich vermuten,
daß das Bild zusammen mit einem weiteren im Auftrag des spanischen
Regenten Stefano Carriglio für den Madrider Hof gemalt wurde - sie haben
Neapel jedoch nie verlassen. [1] Beide Bilder stellen zentrale
Ereignisse aus der Geschichte Neapels dar: die Prozession am 17. Januar 1631, um
das Ende des Vesuvausbruches zu erbitten [2], und - gleichsam als
Augenzeugenbericht - den Volksaufstand von 1647 in Neapel, der in die Geschichte
als der
"Masaniello-Aufstand"
eingegangen ist, ein spektakuläres Ereignis, das weit über die Grenze
Italiens hinaus bekannt wurde (Abb.
1). [3]
Der Ort des Bildgeschehens ist die
Piazza del Mercato, auch nach der in der Chiesa del Carmine aufbewahrten
Votiv-Madonna Piazza del Carmine genannt. Die Kirche ist im rechten Mittelgrund
zu sehen, davor steht die im 18. Jahrhundert abgerissene Kapelle und auf der
rechten Seite der Fassade der zwischen 1456 und 1458 neu erbaute Glockenturm. Im
12. Jahrhundert erbaut, konnte die Kirche zwischen 1283 und 1300 durch eine
Spende Elisabeth von Bayerns vergrößert werden; Elisabeth war die
Mutter von Conradin aus Schwaben, der in dieser Kirche begraben liegt. Conradin
gilt als der erste, der auf dieser Piazza - damals noch extra Moenia - im
Jahr 1268 hingerichtet wurde. Die Piazza entwickelte sich in der Folgezeit zum
Hinrichtungsplatz der Stadt, zuletzt wurden hier 1799 die Liberalen der
Parthenopeischen Revolution aufgehängt. Den Hintergrund des Gemäldes
bilden der Vesuv, der Monte Somma und Teile des Golfes von Neapel. Der
Standpunkt des Betrachters entspricht dem der Kirche von Sant'Eligio, die sich
auf der westlichen Seite der Piazza befindet und eben falls aus dem 12.
Jahrhundert stammt.
Die Piazza wird von den
revoltierenden Massen gefüllt. Die Menschenmenge ist auf der ganzen
Bildfläche durch perspektivische Korridore geteilt, was dem Maler erlaubt,
eine Vielfalt von Episoden darzustellen, die die Piazza zum
"Leben
erweckt"
und gleichzeitig der Menge ihren anonymen Charakter nimmt - eine Komposition,
die deutlich dem Vorbild Jacques Callots verpflichtet
ist.
Seit der ersten Hälfte des 16.
Jahrhunderts bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war Neapel nach Paris die
größte Stadt Europas; um 1650 lebten hier mehr als 350.000 Menschen.
Sie war eine Konsum- und Verwaltungsstadt, und es gelang ihr nicht, den dringend
notwendigen ökonomischen Wandel zu vollziehen und die Produktionskraft der
heimischen Wirtschaft zu stärken. Diese wirtschaftliche Unbeweglichkeit und
die spanische Steuerpolitik in der letzten Phase des Dreißigjährigen
Krieges führten zu schweren politischen und wirtschaftlichen
Spannungen. [4]
Die Beziehungen zwischen
der spanischen Krone und ihren süditalienischen Gebieten waren in dieser
Zeit auf eine schwere Probe gestellt. Die Verminderung des Edelmetall-Imports
aus Amerika sowie der finanziellen und personellen Ressourcen aus Kastilien in
einer Zeit, in der Spanien höchste Kriegsanstrengungen vollbringen
mußte, führten zu einem zusätzlichen Finanzbedarf der Krone. Die
Forderung an die Provinzen, sich in weit größerem Maße als
bisher finanziell und militärisch an dem Krieg zu beteiligen,
verstieß aber gegen ihre traditionelle lokale Autonomie. Der von Spanien
auf dem Kontinent geführte Krieg forderte in militärischer Hinsicht
eine progressive Machtkonzentration und die Entwicklung eines absolutistischen
Systems.
Die Rolle Neapels hatte sich innerhalb
des strategischen Konzepts Madrids verändert: Die Stadt verlor ihre
Funktion als wichtiger Stützpunkt im Mittelmeer, um sich statt dessen zum
ökonomischen Reservoir Spaniens zu entwickeln. Am 26. August 1636 schickte
Philipp IV. den ausdrücklichen Befehl nach Neapel, aus dem Königreich
möglichst viel herauszupressen: "Il vicerè procuri di saccare tutto
il possibile da questo Regno". [5]
Die
Zeit des erbitterten Fiskalismus zwischen 1620 und 1647 ist aber auch durch den
Mangel an Autorität der regierenden Organe gekennzeichnet. Die
Erhöhung der neapolitanischen Kontributionen war eng verknüpft mit
deutlichen Machtzugeständnissen an den feudalen Landadel, der
traditionsgemäß die Anhebung von Steuern im Auftrag der spanischen
Krone zu regulieren und zu billigen hatte.
In den
beiden Jahrzehnten vor dem Masaniello-Aufstand waren der Conte de Monterey, der
Herzog von Medina, der Almirante von Kastilien und der Herzog d'Arcos - die vier
Vizekönige, die sich in der Regierung der Stadt Neapel abwechselten - nicht
mehr imstande, das Funktionieren der Justiz und somit ihre Hauptaufgabe den
Untertaten der spanischen Krone gegenüber zu garantieren. Ihre
Anstrengungen galten mehr dem Eintreiben des Geldes, das in immer höherem
Maße aus Madrid verlangt wurde - und je mehr Geld sie buchstäblich
zusammenkratzten, um so machtloser wurden sie gegenüber dem Zustand der
chaotischen Illegalität, der sich in der Stadt ausbreitete. Ein
großer Teil des Adels und des Klerus konnte sich der Justiz entziehen und
weite Teile des Landes blieben ohne staatlichen Schutz. Feudalherren
höheren Ranges wie der Graf von Conversato und der Herzog von Maddaloni
konnten, unterstützt von einer breiten Gefolgschaft und zahlreicher
Verwandtschaft, sich gegenüber ihren Vasallen Verbrechen zuschulden kommen
lassen und ihre Gewalt mißbrauchen, ohne daß sie dafür von der
Justiz belangt wurden.
Daß Neapel die
Reserve war, aus dem Spanien schöpfen konnte, um den Krieg in seiner
letzten Phase weiterführen zu können, war eine bekannte Tatsache und
begründete das internationale politische Interesse, das dem
Vizekönigtum Neapel vor allem von Frankreich entgegengebracht
wurde.
Die Informationen der französichen
Agenten, die in diesen Jahren zahlreich in Neapel tätig waren, berichteten
übereinstimmend von der herrschenden Ablehnung der spanischen Regierung und
einer stetig wachsenden sozialen und politischen Spannung: Die Situation erlaube
ein Eingreifen von französischer Seite. Keine Einigkeit aber herrschte
darüber, wie diese Initiative auszusehen
habe.
Mazarins Einschätzung der
neapolitanischen Situation unterschied sich in einem wesentlichen Punkt von der
des Kardinals Gerolamo Grimaldi, einer der größten Verfechter der
französischen Italienpolitik, und von der des französischen
Botschafters Fontenay-Mareuil. Während diese ein direktes bewaffnetes
Eingreifen Frankreichs für notwendig hielten, um den entscheidenden
Aufstand gegen Spanien zu initiieren, befürchtete Mazarin, daß eine
derartige Intervention eine Annährung zwischen Neapel und der spanischen
Regierung bewirken könnte. Mazarin ging also davon aus, daß sich
Frankreich darauf beschränken sollte, einen Aufstand zu ermutigen und zu
unterstützen.
1646 schloß Mazarin mit
Duca Tommaso Carignano di Savoia ein Abkommen, in dem dem Prinzen von Savoyen
die Hilfe Frankreichs versprochen wurde, falls es ihm gelänge, sich die
Krone von Neapel anzueignen. Als Gegenleistung verlangte Frankreich die Stadt
Gaeta und einen Hafen an der Adria. Im gleichen Jahr organisierte Frankreich
eine militärische Intervention gegen die spanischen Präsidien in der
Toskana. Der Plan, der von Grimaldi, einer Idee Richelieus folgend, entwickelt
wurde, hatte drei Ziele: zum einen sowohl die Verbindungen zwischen den
südlichen und nördlichen spanischen Gebieten in Italien als auch die
zwischen diesen und Madrid zu stören; zum zweiten Druck auf den Heiligen
Stuhl auszuüben, der unter dem neu gewählten Papst Innozenz X. erneut
einen spanienfreundlichen Kurs eingeschlagen hatte; und drittens die Toskana zu
einer strengeren neutralen Haltung zu zwingen. In der gleichen Zeit bemühte
sich Kardinal Grimaldi, eine savoyenfreundliche Bewegung unter den Adligen zu
begründen.
Dies also war die Situation in
Neapel, als - unabhängig von den französischen Ränkespielen - am
7. Juli 1647 der Aufstand unter der Führung des Tommaso Aniello da Amalfi,
genannt Masaniello, einem neapolitanischen Fischer (geb. 19. Juni 1620),
entbrannte. Ihr auslösender Faktor war die Weigerung der
Marktverkäufer, die neueingeführte Obststeuer - die Gabella -
zu akzeptieren. Die Episode, die den Beginn der Revolte verursachte, ist
eindrucksvoll in der Chronik "Ragguaglio del Tumulto di Napoli" dargestellt, die
1648 in Padua durch den Zeitgenossen Giraffi publiziert
wurde. [6]
Am 22. Oktober 1647 wurde die
Republik Neapel ausgerufen. Bereits im April 1648 wurde der Aufstand jedoch von
den Spaniern unter der Führung Juan de Austrias niedergeschlagen und die
erkämpften Stadtrechte wieder
aufgehoben.
Kaum ein anderes Ereignis aus der
Geschichte Süditaliens hat eine vergleichbare Resonanz in Europa erlebt und
sich so tief in das historische Gedächtnis eingegraben wie der Aufstand in
Neapel von 1647 und ihr Anführer Masaniello - die historische Forschung ist
dieser wichtigen Rolle erst spät gerecht geworden. Man muß die
Forschungen von Michelangelo Schipa aus dem Jahr 1918 konsultieren, um eine
erste zufriedenstellende historische Untersuchung und Darstellung der Revolte zu
finden. [7] Jüngere Studien von Rosario Villari [8],
Giuseppe Galasso [9] und Aurelio Musi [10] aus den sechziger und
achtziger Jahren unseres Jahrhunderts zeichnen ein ganz anderes Bild der Revolte
von 1647: Sie wird nicht mehr als städtische "jacquerie" von lediglich
lokaler Bedeutung dargestellt, sondern im Kontext der europäischen Politik
und der Entwicklung der Geschichte Neapels selbst betrachtet. [11]
Zugleich erscheint der Aufstand vielfältiger als bislang angenommen. In der
ersten Phase gewinnen neben Masaniello andere Figuren an histori scher
Bedeutung, wie z.B. Giulio Genoino, der schon bei der Unruhe von 1640 eine
wichtige Rolle spielte. Masaniello selbst hatte kein langes Leben, denn nur neun
Tage nach Beginn der Revolte, am 16. Juli 1647, wurde er ermordet - angeblich,
weil ihm die Macht
"zu Kopf
gestiegen"
war.
Als eigentliche antispanische Revolte kann
erst die zweite Phase nach der Ermordung Masaniellos gelten. Die dritte Phase
dauerte von Oktober 1647, als die erste Republik ausgerufen wurde, bis April
1648. Es ist die erste Phase des Aufstandes, in der Masaniello noch der
Anführer war, die zum Gegenstand des Bildes von Micco Spadaro wird. Dieser
war im Jahre 1647 in der Kartause von San Martino mit der Ausführung
einiger Fresken beschäftigt, war also Zeuge des Tumults.
In Spadaros Gemälde spiegelt sich die
aufgeladenene Atmosphäre der Revolte wider, nicht nur durch die Darstellung
von Grausamkeit, die ein Tumult unweigerlich mit sich bringt wie Festnahmen,
Hinrichtungen (rechts oben) und Plünderungen (der von rechts unten in die
Piazza einfahrende beladene Wagen), sondern vor allem auch durch einander
gegenübergestellte Szenen, wie z.B. die am rechten Rand des Bildes, wo sich
neben einem triumphal auf einer Pike getragenen Kopfes eine Festszene abspielt.
Volksfest und Tod vermischen sich und geben Wahnsinn und Exzesse der Revolte
wieder.
In der Mitte der Piazza auf dem Sockel
eines unvollendeten Bauwerkes sind die Köpfe der Hingerichteten zur Schau
gestellt, während ihre Körper am Fuße des Sockels liegen. Es
handelt sich um ein Denkmal, das Masaniello bei Cosimo Fanzago in Auftrag
gegeben hatte, und das nie vollendet wurde. Auf den vier Seiten des Sockels
waren die Konzessionen dargestellt, die der Vizekönig, der Duca d'Arcos,
dem neapolitanischen Volk gegenüber gemacht hatte. Dieses Denkmal sollte
durch die Statuen Philipps IV., des Duca d'Arcos und des Kardinals Filomarino
gekrönt werden [12], es wurde aber nach der Einnahme der Stadt
durch Juan de Austria zerstört. Neben diesem Epitaph hängt an einem in
die Erde gerammten Pfahl kopfüber - in Anlehnung an die Ikonographie der
Schandbilder - der nackte und verstümmelte Körper eines Mannes: der
Leiche fehlen der Kopf und der rechte
Fuß.
Neben den einzelnen Episoden ist ein
dem Gemälde zugrundeliegender Erzählverlauf erkennbar: Er beginnt im
Hintergrund oben links mit der Darstellung des ärmlich bekleideten,
barfüßigen, auf einem Podest stehenden Masaniello, der zu einer
Gruppe von Menschen spricht. Ein zweites Mal ist Masaniello in der Mitte des
Vordergrundes zu sehen. Dargestellt auf einem aufsteigenden Pferd, ähnelt
diese Figur einem Führerportrait. Es ist eindeutig, daß hier der
Aufstieg Masaniellos vom Agitator zum Anführer des Aufstandes verbildlicht
wird. Der im Mittelgrund des Bildes kopfüber hängende Mann befindet
sich zwischen den bei den Darstellungen Masaniellos und bildet formal die Mitte
des Bildes. Diese zentrale Position läßt die hängende Leiche,
die wie eine Flagge über der Piazza zu schweben scheint, nicht nur zum
Symbol der Grausamkeit jener Tage werden. Sie ist die Schlüsselfigur des
gesamten Bildes: Aufgrund des abgeschnittenen Fußes ist sie als Don
Giuseppe Carafa identifizierbar, der am 10. Juli 1647 ermordet, enthauptet und
entfußt wurde. Micco Spadaro hat also für seine Darstellung der
Revolte die Ereignisse des 10. Juli gewählt, was konkrete Gründe
hat.
Während der ersten Tage der Revolte
hatte der Vizekönig den Gebrüdern Diomede und Giuseppe Carafa den
Auftrag erteilt, mit den Rebellen zu verhandeln. Die Wahl war auf die beiden aus
der Überzeugung heraus gefallen, daß zum einen die Macht der Familie
Carafa die Revoltierenden einschüchtern würde, und daß zum
anderen die Unabhängigkeit der Brüder Carafa ihnen bei der spanischen
Regierung die nötige Glaubwürdigkeit verleihen würde. Diese
Einschät zung war allerdings falsch und macht deutlich, daß der
Vizekönig Duca d'Arcos den Geist der Revolte nicht verstanden hatte. Die
Revolte hatte mit dem Aufruf "Viva il re di Spagna e muoia il Malgo verno"
begonnen [13], sie richtete sich nicht gegen die spanische Krone,
sondern gegen die Regierung, die sie in Neapel
vertrat.
Zu Beginn habe ich versucht, die
Gründe für die Zerrüttung des Verwaltungs apparates zu bestimmen,
die zur Verbreitung einer beispiellosen Korruption führten; einer
Korruption, die das Ausnutzen politischer und bürokratischer Macht für
private Geschäfte möglich machte. Gerade gegen diese
Mißstände richteten sich die Revoltierenden, und insbesondere gegen
mächtige Familien wie jene der Carafa und der Maddaloni, die die Krise der
spanischen Monarchie ausgenutzt hatten, um an Einfluß zu
gewinnen.
Die neapolitanischen Verhältnisse
ab 1640 sind zwar in Verbindung mit der finanziellen Belastung der sogenannten
asistencias zu sehen, die die spanische Monarchie dem Land zur
Finanzierung des Krieges aufbürdete, stellen aber nur den
offensichtlichsten Grund für den Aufstand dar. Trotz der ständigen
Spannungen und trotz einiger vereinzelter Rebellionen blieb die Solidarität
zwischen dem Baronaggio und der spanischen Monarchie unverändert.
Nur wenige neapolitanische Adlige waren von dem separatistischen Fieber
befallen, das in den übrigen spanischen Domänen herrschte. Dies war
auch die Ursache für das Scheitern der französischen Pläne der
Jahre 1646 bis 1648 . Die oben kurz skizzierten Machtverhältnisse in Neapel
erklären auch die Entstehung des Mythos vom Königtum und dessen
schützenden Gesetzen. Dieser steht für die Hoff nung auf eine
Intervention von oben, die Erwartungen gegenüber der mächtigen, aber
fernen Justiz. Der Vizekönig war über die Situation unterrichtet; er
wußte beispielsweise, daß einige der Barone - unter ihnen auch der
Duca di Maddaloni - "teneva no diverse squadre di banditi, con le quali teneva
no inquieta la campagna, et se commet tevano molti delitti per detti banditi, li
quali erano protetti da detti Signori". [14] Der Vizekönig Monterey
versuchte 1636 dieses Phänomen wieder unter Kontrolle zu bekommen, als das
Banditentum noch nicht das dramatische Au maß der Jahre um 1647 angenommen
hatte. Er verfaßte eine "Prammatica", aber die Proteste der Feudalherren
zwangen den Duca di Medina, der Monterey ablöste, sie zu
widerrufen. [15]
Die Unruhen von 1647
waren also kein zufälliger Protest gegen die neue Obststeuer. Als Diomede
Carafa die Piazza Mercato betrat, um die Verlautbarung des
Vizekönigs mit der Aufhebung der neuen Steuer vorzulesen, wurde er
vom Volk mit der Beschimpfung empfangen, er sei ein Verräter des
Vaterlandes. Nach dieser Episode entschieden sich der Vizekönig und Carafa
für zwei verschiedene Strategien gegen über den Aufständischen.
Der Vizekönig zeigte sich weiterhin gesprächsbereit, um in Erwartung
der Kriegsschiffe aus Madrid Zeit zu gewinnen. Carafa dagegen wählte einen
härteren Kurs und organisierte einen Anschlag gegen die Aufständischen
und ihre Anführer.
Die Vereinbarung zwischen
dem Vizekönig und den Revoltieren den wurde in der Nacht vom 9. auf den 10.
Juli unterzeichnet, und die Kapitäne der Milizen wurden für den
Nachmittag des 10. Juli in die Kirche der Carmine bestellt, um einer
öffentliche Verlesung der Vereinbarungen beizuwohnen. Der Plan Carafas sah
vor zunächst Masaniello zu ermorden, da dieser unter den Anführern des
Aufstandes einer der lautesten Wortführer war, und dann alle übrigen
Führer im Kloster del Carmine und auf der Piazza Mercato zu töten. Zu
diesem Zweck stellte der Duca di Maddaloni seine private Armee zur
Verfügung.
Das Attentat gegen Masaniello
verfehlte sein Ziel, und das ganze Komplott mißlang. In einem Brief an den
Papst beschreibt Kardinal Filomarino, der damalige Bischof von Neapel, der bei
der Versammlung anwesend war, wie in den Kloaken unter den Klöstern des
Carmine mehrere Fässer mit Schießpulver gefunden worden
waren. [16] Sofort nach dem Attentatsversuch begann das Volk die Jagd
auf die Gebrüder Carafa und die Banditi, die von Maddaloni nach
Neapel geschmuggelt worden waren. Nicht zuletzt wegen des kirchlichen Verbots,
die Banditi in die Kirchen einzulassen, konnten viele von ihnen gefangen
und geköpft werden. Der Vizekönig selbst hatte dieser Aktion
zugestimmt und bestätigte sie, indem er am 12. Juli ein Edikt erließ,
der all diejenigen, die die Banditi zu beschützen versuchten, mit
dem Tod bedrohte.
Zum ersten Mal erzielte man
einen ernsthaften Erfolg gegenüber der Übermacht des Adels und seiner
Banditi. Der Zorn des Volkes hatte den labilen politischen Willen der
Vizekönige ersetzt - und Masaniello wurde zum König des Aufstandes.
Durch den mißglückten Anschlag gegen ihn erlangte er eine
Autorität und Popularität, die er in den ersten Tagen der Revolte
sicherlich nicht genossen hatte. Von den beiden Carafa schaffte es nur Don
Diomede zu fliehen, Don Giuseppe dagegen wurde gefaßt, geköpft und
entfußt. [17] Fuß und Kopf wurden dann gemeinsam einige Tage
lang zur Schau gestellt.
Das Bild von Micco
Spadaro ist eine Zusammenfassung der ersten Tage der Revolte; lediglich ein
Epilog fehlt, die Ermordung Masaniellos. Aber vielleicht ist dieser in der
Reiterfigur des Masaniello angedeutet, denn er wurde vor seiner Ermordung
beschuldigt, durch seine Macht korrumpiert worden zu sein und den Verstand
verloren zu haben. Was Micco Spadaro auf seinem Bild feiert, ist dagegen der
Erfolg gegen den Baronaggio, gegen die Folgen der schlechten Regierung.
Daher ist dieses Bild von Spadaro viel mehr als ein Augenzeugenbericht, es ist
eine Überlegung
"a
posteriori"
des Malers zu der Revolte. Auch wenn die Republik gescheitert war, so hatte
Masaniello doch einen Erfolg zu verzeichnen: einen erfolgreichen Aufstand des
Volkes gegen die herrschenden Mißstände. Daher wurde er gleich nach
seinem Tod auf immer ein Held und ein Symbol.
152
Jahre nach der Revolte, kurz vor dem Ausbruch der Revolution von 1799, rief
Eleonora Fonseca Pimentel in einem Artikel im "Monitore Napoletano" so
eindringlich nach einem neuen Masaniello, daß König Ferdinand in
einer Nacht- und Nebel-Aktion die Zerstreuung der Knochen und die
Zerstörung des Grabes Masaniellos anordnete, das sich seit seiner Ermordung
in der Kirche del Carmine befand, um endlich das Gespenst des Fischers zu
vertreiben. Wer heutzutage in diese Kirche eintritt, kann auf dem rechten
Pilaster der jetztigen Kapelle des hl. Ciro folgende Inschrift
lesen: