DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa | |
Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur |
RUDOLF PREIMESBERGER Bilder des Papsttums vor und nach 1648 |
Die Umrisse dessen, was man als die "politische Ikonographie"
des neueren Papsttums bezeichnen kann, sind noch nicht klar gezogen worden. Dies
gilt insbesondere für das Papsttum des 17. Jahrhunderts, das bekanntlich
unter der Perspektive des Wandels seiner Stellung in der veränderten
Staatenwelt Europas, wie sie spätestens bei den Friedensschlüssen von
1648 und 1659 zutage tritt, gesehen werden
kann.
Ein, wie es scheint, symptomatisches Denkmal
in St. Peter steht damit in nicht nur zeitlichem Zusammenhang: Alessandro
Algardis Kolossalrelief der Begegnung Papst Leos des Großen mit dem
Hunnenkönig Attila (Abb. 1) am Mincio im Jahr 452 [1], ein
Altargemälde in Stein, dessen Vorgeschichte damit beginnt, daß die
Gebeine der ersten vier Päpste mit dem Namen Leo im Jahr 1607 unter einem
prominenten Altar von Neu-St. Peter beigesetzt worden waren. Pläne, ihn mit
einem Gemälde auszustatten, kamen nicht zur Ausführung. Erst im
Pontifikat
Innozenz'
X. Pamphilj trat das Projekt in seine endgültige Phase. Es ist ein neuer
und überraschender Anlauf: Skulptur statt Malerei, anstelle eines
Gemäldes ein kolossales Marmorrelief. Am 27. Januar 1646 wird der Bildhauer
beauftragt. Im Dezember 1648 ist sein modello in grande an Ort und Stelle
in St. Peter zur Probe aufgestellt. Am 28. Juni 1653, der Vigil des
bedeutungsvollen Festes Peter und Paul, jenem Tag, an dem der Papst das
bedeutendste der ihm verbliebenen Lehensrechte, das über das
Königreich beider Sizilien, zeremoniell wahrnahm, indem er in der Basilika
den Tribut in Gestalt eines mit Silbermünzen beladenen Maultiers, die
sogenannte Chinea, entgegennahm, wurde Algardis Erfolgswerk
enthüllt. [2]
Seine unmittelbare
Bindung an das Heilige Jahr l650 ist nicht dokumentiert. Zwar ist die Annahme
naheliegend, mit der Errichtung des spektakulären Werks an bedeutender
Stelle sei die explizite Absicht verbunden gewesen, der durch die Pilger des
Jahres 1650 repräsentierten europäischen Öffentlichkeit im
historischen, aber leicht zu aktualisierenden Exempel einen der großen
politischen und moralischen Triumphe des Papsttums bei seinem Zusammenstoß
mit weltlicher Macht, das politische und kulturelle Verdienst der Rettung Roms,
Italiens, ja Europas vor den Barbaren und den Papst selbst als Pater
patriae vorzuführen. Doch spricht alles dafür, daß Stiftung
und Ausführung von einem Ereignis der letzten Phase des
Dreißigjährigen Kriegs mitbestimmt, wenn nicht ausgelöst wurden,
das Werk also auch der konkreten Bedingtheit seiner Entstehung nach in die
Geschichte einer
"Politik in
Bildern"
gehört.
Als am Morgen des 15. September 1644
mit der Wahl des hispanophilen Giambattista Pamphilj das Konklave zu Ende
ging [3], war die politische Situation von dem jahrzehntelangen Krieg
der Großmächte und den erfolglosen Vorverhandlungen zu seiner
Beendigung überschattet, die kuriale Politik zutiefst in diese involviert,
ihr Exponent der Kölner Nuntius Fabio Chigi. In seiner diplomatischen
Aktivität als Vermittler zwischen den katholischen Mächten wurde der
traditionelle Anspruch des Papstes, gemeinsamer Vater der christlichen
Fürsten und ihr Schiedsrichter zu sein, noch einmal mühsam
aufrechterhalten, während wenig später beim Abschluß des
Pyrenäenfriedens von 1659 die beiden katholischen Großmächte
Frankreich und Spanien ebendenselben Fabio Chigi, inzwischen Papst Alexander
VII., und seine Diplomaten von den Verhandlungen ausschließen sollten.
Auch im Kirchenstaat trat der 1644 Neugewählte, der sich Innozenz X. (Abb.
2) nannte, kein leichtes Erbe an. Er hatte die Folgen eines Krieges zu
überwinden, von dem er als Kardinal abgeraten hatte. Bekanntlich hatten die
Barberini-Nepoten Urban VIII. dazu bestimmen können, sich auf das Abenteuer
eines Angriffskrieges gegen den Herzog von Parma einzulassen, weil sie hofften,
in den Besitz des kleinen Herzogtums Castro zu gelangen, das eine Enklave im
Kirchenstaat bildete. Erst vor diesem Hintergrund wird es voll
verständlich, warum die allgemeinen Hoffnungen und Erwartungen sich in so
auffallender Weise auf die Person des Neugewählten richteten. Das
spezifische Friedensethos seiner Regierung und dessen künstlerischer
Ausdruck haben hier ihre Voraussetzung.
So wie in
Raffaels gleichnamigem Fresko in den Stanzen des vatikanischen Palastes (Abb. 3)
ist auch das kolossale steinerne Historienbild in St. Peter am Grab und zu Ehren
eines hochbedeutenden heiligen Papstes der christlichen Frühzeit ein Medium
der Darstellung der historischen Verdienste ebenso wie der fortdauernden und zu
bewahrenden Rolle des Papsttums, seiner Aufgaben und seiner Ansprüche. Leo
der Große ist für das nachreformatorische Papsttum nicht allein
dadurch zum Musterpapst geworden, daß er für die alte Kirche
grundlegend die Primatsidee formuliert, sowie zur Infallibilität des
Papstes den Grund gelegt hatte und mit seinem berühmten Schreiben
"Divinum
cultum" zur Schlüsselfigur im Verhältnis des Hl. Stuhls zum
Gallikanismus geworden war. Er, dem Liber Pontificalis zufolge zwar
natione tuscus, ist eine Verkörperung der Romanitas und
zweifellos einer der Kristallisationspunkte der papalen Romideologie. In der Tat
hat der historische Leo gegenüber dem schwachen westlichen Kaisertum die
Führung übernommen. Als Rom und Italien im Jahr 452 durch die Hunnen
bedroht wird, ist er es, der an der Spitze der kaiserlichen Delegation
König Attila zur Umkehr bewegt, und als die Stadt drei Jahre später
durch die Truppen des Vandalenkönigs Geiserich eingenommen wird, ist er es,
der die Bürger schützt. [4]
Mehr
noch als in der literarischen wird in der bildlichen Vermittlung aus dem
diplomatischen Erfolg Leos des Großen am Mincio eine durch den Beistand
der Apostel bewirkte Vertreibung des Hunnenkönigs aus Italien und ein
Triumph päpstlicher Autorität im Zusammenstoß mit weltlicher
Macht. Es liegt auf der Hand, daß die im legendär
überhöhten historischen Ereignis sichtbar werdende Rolle des Papsttums
als Retter Roms, Italiens und der Res publica christiana vor den
heidnischen Barbaren neben dem ekklesiologischen Aspekt auch eine eminent
aktuelle politische Aussagekraft in Hinblick auf die prekär werdende
Ste1lung des Heiligen Stuhls in der veränderten Staatlichkeit Europas im
17. Jahrhundert gewinnen konnte. Leo der Große ist der von den
Apostelfürsten sichtbar bestätigte legitime Erbe der kaiserlichen
Autorität nach deren Versagen und Erlöschen im weströmischen
Reich. Unübersehbar ist aber auch die politische Aussagekraft unter dem
territorialen Aspekt im engeren Sinn, d.h. im Hinblick auf den zu bewahrenden
Kirchenstaat. Bis an die Grenzen des künftigen Patrimonium Petri bei Mantua
zieht der Musterpapst der Frühzeit den barbarischen Eindringlingen entgegen
und rettet das Vaterland. Pater patriae ist deshalb der kaiserliche
Titel, den ihm das Volk gibt, in Verehrung
"für
seinen heiligen Befreier, der mehr und besser als die antiken Caesaren zweimal
den Namen Vater des Vaterlandes
verdiente". [5]
Bekanntlich
hat Raffael dasselbe Ereignis, seinen providentiellen und politischen Sinn
überhöhend, unmittelbar vor die Tore Roms verlegt. Von seinen
Senatoren, den Kardinälen, begleitet, reitet der Nachfolger Petri und des
römischen Kaisers, angetan mit den Insignien der konstantinischen
Schenkung, auf dem kaiserlichen Schimmel in souveräner Ruhe und mit der
imperialen Gebärde der Abwehr den Barbaren entgegen, deren König sich
unter dem doppelten Eindruck der drohenden himmlischen Erscheinung der beiden
Apostelfürsten in den Wolken und der irdischen Erscheinung ihres
Nachfolgers, des Papst-Imperators, mit allen Zeichen der Verwirrung zur Umkehr
wendet. [6] Da aber Leo der Große im Fresko Raffaels
ursprünglich die Gesichtszüge Julius' II. trug, konnte und sollte das
Bild der historischen Errettung Italiens durch das Papsttum als ein Bild der
aktuellen, in der Eroberung Pavias kulminierenden Abwehr der französischen
Invasion Italiens durch den Papst verstanden werden. Und folgerichtig blieb auch
im neuen Pontifikat, als Raffael dem reitenden Papst die Züge Leos X. gab,
die politische Metathematik unverändert: Schutz und Befreiung Roms und
Italiens durch das Papsttum.
Auf einem
gegenüber Raffael neuen Niveau historischer Treue, genauer gesagt des
historischen verisimile, ist Algardis Relief die perfekte und
überzeugende Rekonstruktion eines Ereignisses der christlichen Antike. Nur
an einer Stelle ist die Dimension des Geschichtlichen durchbrochen: In leicht
verfremdeter Form, aber unverkennbar, trägt der Papst des Reliefs die
Gesichtszüge des regierenden Papstes. [7] Nicht anders als bei
Raffael ist auch hier das Bild vergangener Gefährdung und ihrer
Überwindung durch das damalige Papsttum zugleich das Bild
gegenwärtiger Bedrohung und ihrer befreienden Abwendung durch das
gegenwärtige Papsttum, ist Leo der Große und seine historische Tat
Vorbild des regierenden Papstes angesichts der aktuellen Probleme seines
Pontifikats, ist Innozenz X. sein imitator, soll und wird er dieselbe
providentielle Rolle spielen wie sein großer Vorgänger, auch er,
gestützt auf den Beistand der Apostelfürsten ein Verteidiger, Befreier
und Vater des Vaterlandes, oder wie immer man die nicht unkomplizierte Semantik
dieses historisch-politischen Rollenspiels verbalisieren mag. Dieses hat im
päpstlichen Kunstpatronat bekanntlich viele Vorgänger, seinen
räumlich wie zeitlich nächsten wohl in dem Grabmal der Markgräfin
Mathilde von Tuszien, in dem der Vorgänger Urban VIII. die Gebeine der
großen Wohltäterin und Mitbegründerin des Kirchenstaats in St.
Peter beigesetzt hatte. [8]
Was aber ist
der aktuelle funktionale Sinn des Rollenspiels? Was ist die konkrete
Zielrichtung einer in der Portraitallusion ausgedrückten Identifikation des
regierenden Papstes mit dem heroischen Musterpapst der Frühzeit? Es ist
schwer zu übersehen, daß vor dem Hintergrund der letzten Phase des
Dreißigjährigen Krieges die Planungsgeschichte des Reliefs sich
synchron zu der zunehmenden politischen Spannung zwischen dem Heiligen Stuhl und
Frankreich vollzieht, ja der in der Congregazione vom 27. Januar 1646 erstmals
sichtbar werdende Entschluß des Papstes zu seiner Errichtung sogar mit dem
ersten Höhepunkt der durch die Barberini-Nepoten ausgelösten
außenpolitischen wie innenpolitischen Krise des Jahres 1646
zusammenfällt.
Es sei daran erinnert,
daß die Papstwahl des Jahres 1644 eine Niederlage der französischen
Außenpolitik bedeutete. [9] Da Innozenz X. aus innenpolitischen
Gründen gezwungen war, die Nepoten seines Vorgängers in Zusammenhang
mit dem Krieg um Castro zur Verantwortung zu ziehen, benutzte Mazarin in der
Folgezeit das Barberini-Problem, um massiven diplomatischen und
militärischen Druck auf den Papst auszuüben. Unter dem Eindruck der
ihm drohenden Prozesse hatte am Abend des 28. September 1645 Kardinal Antonio
Barberini seine aufsehenerregende Flucht nach Frankreich angetreten,
während die zunächst in Rom verbliebenen Brüder Taddeo und der
Kardinal Francesco sich am 15. Oktober unter den Schutz Mazarins begaben. Am 6.
Januar 1646 wurde der geflohene Kardinal Antonio in Paris von Mazarin
demonstrativ feierlich empfangen. Die Situation in Rom spitzte sich zu. In dem
Konsistorium vom 13. Januar 1646 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen
zwischen dem Papst und dem Kardinal Grimaldi, der auf die Gefahr eines Krieges
mit Frankreich hinwies. Außer ihm sprachen sich nicht weniger als sechs
andere Kardinäle zugunsten der Barberini-Nepoten aus. In der Nacht vom 16.
auf den 17. Januar flohen auch Taddeo und der Kardinal Francesco Barberini nach
Frankreich. Ihre Güter im Kirchenstaat wurden sequestriert, ihre
Paläste besetzt und ihre Ämter
verteilt.
Der Papst war sich der
Gefährlichkeit der nun entstandenen Lage bewußt. Denn Mazarin hatte
nicht nur gedroht, das päpstliche Avignon zu besetzen, um die
Einkünfte den zu ihm geflohenen Barberini zuzuwenden, er drohte auch mit
Konzil und Schisma. Die ganze Aktion wurde durch Waffen unterstützt. Man
führte einen indirekten Krieg gegen den Papst durch einen Angriff auf die
Spanier, die die Festungen an der toskanischen Küste besetzt hielten.
Dadurch sollte der Papst dreifach getroffen werden: in seinen Freunden, den
Spaniern, in seinem angeheirateten Nepoten Ludovisi, der unter spanischer
Oberherrschaft Piombino beherrschte, und in der Sicherheit seines Staates, denn
die Franzosen konnten von der Toskana leicht in den Kirchenstaat eindringen. Am
10. Mai 1646 nahmen sie an der Grenze des Kirchenstaates die Festungen Telamone
und Santo Stefano und begannen, Orbetello einzuschließen. Ihre Flotte
drang bis Civitavecchia, dem tyrrhenischen Haupthafen des Papstes, vor. Mitte
Juni wendete sich aber unvermutet die militärische Lage. Bei einem
Seegefecht mit den Spaniern wurde der Admiral Brézé getötet,
worauf die Flotte in die Provence zurückkehrte. Am 16. Juli 1646
mußten die Truppen, durch Fieber dezimiert, die Belagerung von Orbetello
aufgeben, was in Rom bei ihren Feinden Begeisterung
auslöste.
Es mag Zufall sein oder aber die
Hypothese einer persönlichen Entscheidung
Innozenz'
X. in Gestalt eines persönlichen Votums an den heiligen Vorgängerpapst
nahelegen, wenn vor dem allgemeinen politischen Hintergrund der schweren
Gefährdung der Kirche im Norden, wenn vor dem aktuellen Hintergrund eines
dramatisch sich zuspitzenden Konflikts der Frühzeit des Pontifikats exakt
zehn Tage nach der Flucht der beiden Barberini-Nepoten und wenn auf dem
Höhepunkt der Kriegsgefahr und der Gefährdung der territorialen
Interessen des Heiligen Stuhls in der Kongregation vom 27. Januar 1646 der Plan
zur Errichtung des Kolossalreliefs für Leo den Großen beschlossen
wird.
Was aber ist die aktuelle Botschaft der im
Relief sichtbar werdenden imitatio Leos des Großen durch den
regierenden Papst? Gewiß ist es zum einen und einmal mehr die
transzendente Basis päpstlicher Herrschaft, die in der Erscheinung der
beiden Apostelfürsten handgreiflich demonstriert wird. Dem Kern der nur
wenig verschlüsselten Botschaft jedoch wird man in dem Bedeutungskomplex
Abwehr der äußeren Feinde nach dem Vorbild Leos des Großen,
Pater patriae so wie er, Schutz, herrscherliche, väterliche
Fürsorge durch Papa Pamphilj nahekommen.
Das
Kolossalrelief erweist sich als eine Impresa des Pamphilj-Pontifikats.
Dies um so mehr, als das in ihm vermittelte Herrscherbild in vollkommener
Übereinstimmung mit der ethischen Deutung, Selbstdeutung und Stilisierung
Innozenz'
X. und seines Pontifikats steht, wie sie in einer großen Zahl
schriftlicher wie bildlicher panegyrischer Äußerungen faßbar
ist. [10]
Auffallend an ihnen bleibt die
überaus starke Betonung des Friedensgedankens. In der gehäuften
Verwendung der Topoi weit über das gewohnte Maß hinaus wird die
besondere Friedenserwartung spürbar, die sich in den letzten Jahren des
Dreißigjährigen Krieges und unmittelbar nach Beendigung des Krieges
von Castro an die Person des neuen Papstes
knüpfte.
Grundlegend für Deutung und
Stilisierung der Herrschaft des Pamphilj-Papstes im Sinne der allgemeinen
Friedenserwartung ist das argumentum a nomine. Im Familiennamen Pamphilj
zeigt sich sein Wesen. Er ist Panphilos, omium amicus, der Freund
aller, seine Herrschaft deshalb nichts anderes als allgemeine Liebe:
Panphilia.
Nicht minder intensiv ist die
Deutung seines Papstnamens. Unmittelbar nach der Wahl hatte man geglaubt,
Pamphilj werde den Milde versprechenden Namen Clemens annehmen. Auch im Namen
Innozenz, den er in Erinnerung an Innozenz VIII., unter dem seine Familie aus
Gubbio nach Rom gekommen war, annahm, sah man ein ethisches Programm:
Innocentius, der Unschuldige, unschuldig an dem Blut des
Dreißigjährigen Krieges und dem des kleineren Krieges um Castro, den
sein Vorgänger Urban VIII. verschuldet hatte. Nicht ohne tiefere
symbolische Bedeutung ist es auch, daß der Papst der zehnte seines Namens
ist. Denn zehn ist die schöne, runde Zahl. Sie deutet auf Ordnung und
Harmonie. Der Papst ist Decimus ad mundi integritatem. Als den
Friedensfürsten begrüßen ihn deshalb die Panegyriker, Rex
pacificus eris et clementissimus, als den Wiederhersteller des Friedens, der
Eintracht und der Sittlichkeit.
Alle Panegyriker
tun den Schritt in die Heraldik und damit den Schritt in den Bereich visuellen
Ausdrucks. Denn auch in der Deutung des Wappens konnte man, da es aus der Taube
mit dem Ölzweig und drei Lilien bestand, dieselben sittlichen Werte
bestätigt finden: Die Taube als Tier der Venus verkörperte die
Panphilia des Papstes, die Lilie Reinheit und Unschuld seiner Person und
seines Regiments, der Ölzweig das besondere Friedensethos seines
Pontifikats. Mehr als das: In dem Wappentier des neuen Papstes, der Taube als
Botin der Liebe, sah man den Familiennamen des allesliebenden Panphilos
anschaulich ausgedrückt. Zugleich ist die weiße Taube
Verkörperung der Unschuld. Auch der Papstname des Neugewählten wird in
ihr anschaulich und mit diesem und im selben Bild auch seine hervorstechendste
sittliche Qualität, Innocentia. Namens- und Eigenschaftsallegorik
des Neugewählten kommen im Bild der Taube
überein.
Doch ist das Wappentier des Papstes
nicht allein Zeichen seiner beiden Namen und seiner hervorstechendsten
sittlichen Eigenschaft. Es ist auch verheißungsvolles Zeichen seiner
künftigen Rolle in der vom Krieg zerrissenen Welt. Da die Pamphiljtaube im
Schnabel den Ölzweig trägt, lag es mehr als nahe, sie als Botin des
bevorstehenden Friedens zu deuten. So wie Noah, als er noch auf den
stürmischen Wassern der Sintflut schwamm, als erstes Zeichen der
Versöhnung Gottes mit den Menschen in einem Bund und als Unterpfand neuen
Lebens in einer verjüngten Welt die Taube mit dem Ölzweig erschien, so
erscheint die Taube Pamphilj über den stürmischen Fluten der Zeit und
bringt nach der Sintflut des Barberinikrieges und der viel blutigeren Sintflut
des Dreißigjährigen Krieges das Zeichen der Versöhnung und des
neuen Lebens. Sie ist vom Himmel zum Vatikan niedergestiegen. Der Friedenspapst,
der sich in ihrem Bilde und durch seine beiden Namen ankündigt, erscheint
als die einzige Hoffnung der Völker. [11]
Auch das zweite Element des Pamphilj-Wappens, die
Lilie, kann nicht allein als Zeichen der Tugend, sondern auch im Sinne der
allgemeinen Friedenserwartung gedeutet werden. Denn ihr Name Iris bezeichnet den
Regenbogen, das Zeichen der Versöhnung Gottes mit den Menschen nach der
Sintflut. Die konkrete politische Allegorese lautet: Nicht allein der
Ölzweig Pamphiljs wird im Garten aller christlichen Fürsten
Früchte des Friedens tragen. Er wird sich mit der Lilie vereinen und der
Welt den Frieden geben. Zeichen künftiger Eintracht sei die Lilie, da neben
dem Papst auch der Kaiser, Frankreich, Spanien, Toskana, die Este, die Farnese
und andere Fürsten sie im Wappen führten.
Daß das Wappen des Neugewählten nicht
allein in seinen Elementen, sondern auch in seiner Gesamtheit Frieden
symbolisiere, ist ein weiteres bedeutendes Motiv der Pamphilj-Panegyrik in Wort
und Bild. [12] Bekanntlich ist die Taube der Venus, die Lilie der Juno
und der Ölzweig der Minerva heilig. Interpretiert man dem geläufigen
Schema des heraldischen Konnubiums folgend auch das Pamphilj-Wappen als die
Verbindung und Versöhnung seiner Bestandteile, so kommen in ihm die drei
Göttinnen friedlich überein. Nach der langen Entzweiung durch den
Krieg schlechthin, nämlich den trojanischen, in dem sie für Griechen
und Trojaner Partei ergriffen hatten, sind sie nun in Frieden und ewigem
Bündnis. Nicht nur ihre Hände, auch ihre Zeichen fügen sie
ineinander, um aus dreien eines entstehen zu lassen. Venus trägt die Taube
bei, Minerva den Ölzweig und Juno die Lilie. Im Wappen Pamphiljs zeigt und
verkörpert sich der Frieden.
Von der Topik
des Wiederherstellens des Friedens, der Sitte und des Glücks ist es in der
Panegyrik nur ein kleiner Schritt zu einem anderen, auch in der
Pamphilj-Panegyrik zentralen topischen Bereich, nämlich zu dem von der
Wiederkehr des Goldenen Zeitalters durch den messianischen Herrscher. Durch den
Friedensfürsten Pamphilj wird die Welt wiederum zum Paradies: mundus
revertetur paradisus.
Schon am Abend der Wahl
sowie in den folgenden Tagen und Wochen war die Piazza Navona und waren andere
Plätze Roms der Schauplatz improvisierter und geplanter Festlichkeiten, in
denen Erwartungen an den neu gewählten Monarchen herangetragen
wurden. [13] So kam es aus Anlaß der Krönung vor dem Palast
des spanischen Sonderbotschafters zum Konklave zu einer sehr direkten Aussage
über das, was die Großmacht, die mit der Wahl ihres Kandidaten zu
Recht die Vorstellung eines politischen Erfolgs verband, von diesem erwartete.
Eine macchina inmitten der Piazza di Spagna zeigte die Arche Noah und an
ihrer Spitze die Taube mit dem Ölzweig. Dadurch war, wie uns der Augenzeuge
versichert, ausgedrückt, daß nun orbi et urbi der Friede
wiedergegeben sei. Niemals werde die Taube Kriege führen, da der
Kirchenstaat unter der Sintflut des letzten Krieges genug gelitten habe.
Als am 23. November 1644 Innozenz X. in besonders
feierlicher Form den possesso, die Besitzergreifung des Lateran, die ihn
zum Souverän des Kirchensstaates machte, vollzog [14] und er mit
den Kardinälen und einem großen Gefolge vom Vatikan über die
Engelsbrücke durch die via papalis ritt, traf er an der Stätte
seiner Geburt bei der Piazza Navona auf den "Pasquino", die berühmteste der
redenden Statuen der Antike. Merkwürdig genug: Die Statue, sonst eine
Institution der Kritik und Opposition im Gewand der Satire, war zu einem Bild
des neuen Monarchen und seiner Rolle in der Welt im Sinne der Friedenserwartung
umgeprägt. Sie war als Neptun auf dem Wagen mit dem Dreizack in der Hand
kostümiert. [15] Seit der berühmten explizit politischen
Deutung, die Vergil selbst der berühmten Szene des
"Quos
ego" im
ersten Buch der Aeneis gegeben hatte, da der Herrscher der Meere den Aufruhr der
Winde stillt und die Wogen beruhigt, war dies nichts anderes als ein Bild der
Friedensherrschaft des Augustus nach dem Sturm der Bürgerkriege, ein Bild
der Wiederherstellung des Friedens durch den souveränen Herrscher
überhaupt und eine auch vom Papsttum genutzte mythologisch verhüllte
Frühform des absolutistischen Herrscherstandbildes geworden. [16]
So auch hier! Der Papst selbst ist es, an den im Bild des wogenstillenden Neptun
die Erwartung herangetragen wird, daß er, Verkörperung der ratio
superior der Vergilexegese, als die vernünftige Ordnungsmacht über
dem Aufruhr und Chaos der Parteien erscheinen, daß er die Wogen stillen
und den Frieden wiederherstellen werde.
Die
allgemeine Friedenserwartung prägte auch die übrigen Dekorationen des
possesso. Noch am selben Abend wurde von der nächsten Umgebung des
neuen Monarchen ein Schauspiel geboten, das an Allgemeinverständlichkeit
und Drastik der allegorischen Aussage seinesgleichen suchte. Der Brunnen vor dem
Palazzo Pamphilj auf der Piazza Navona war mit einer macchina
überbaut, die den Berg Ararat mit der Arche Noah darstellte. [17]
Noah war gegen den Palazzo Pamphilj gewendet und erwartete mit ausgebreiteten
Armen die Ankunft der heilbringenden Taube. Vor dichtgedrängter Volksmenge
entfaltete sich nun folgendes Schauspiel: Aus einem Fenster des Palastes, in dem
Innozenz X. geboren worden war, flog eine künstliche Taube auf die Arche
zu. In dem Augenblick, da sie ihr Ziel erreichte, explodierte sie, und alles
ging in Flammen und Feuerwerk auf. Die allegorische Aussage dieses Spektakels
war allgemein verständlich: Innozenz, der Unschuldige, verläßt
im Bild der Taube sein Geburtshaus und betritt die Welt. Er bringt den
Ölzweig, das heißt: die neue Ära des Friedens und der
Versöhnung Gottes mit den Menschen in einer erneuerten besseren Welt. Er
bringt ihn der Arche, das heißt: allen, die in der Kirche sind. Er bringt
ihn nach der Sintflut, das heißt: nach dem Krieg. Die Arche ruht sicher
auf dem Felsen, das heißt: auf Petrus und seinen
Nachfolgern.
Bekanntlich hat der
beträchtliche intellektuelle Aufwand zu Beginn des Pontifikats in dessen
Verlauf eine Reihe monumentaler Folgen gehabt. Zum Heiligen Jahr 1650, dem
ersten nach dem Friedensschluß von Münster und Osnabrück, zeigte
sich den Augen der römischen und einer nach hunderttausenden Besuchern
zählenden europäischen Öffentlichkeit die Piazza Navona (Abb. 4)
bereits in neuer Gestalt. [18] Kaum einer der Besucher jedoch konnte den
geheimen Sinn der eigenartigen Anhäufung päpstlicher Monumente auf
einer städtischen Piazza, der größten und bedeutendsten des
damaligen Rom, ahnen: eines um mehr als das Doppelte vergrößerten
gewaltigen Familienpalasts, eines in Richtung Platzmitte daran angefügten
Galeriebaus mit einer Benediktionsloggia, einer wohl schon damals geplanten
künftigen Familienkirche, eines päpstlichen Obelisken und eines
spektakulären Brunnens in der Platzmitte. Erst zu Ende des Pontifikats
sollte Innozenz X. mit seinem in der Geschichte des neueren Papsttums einmaligen
Plan hervortreten, mit der Kurie an die Piazza Navona zu ziehen [19] und
einen Teil des Jahres an der Stätte seiner Geburt und gleichsam inmitten
des Volkes zu residieren; Einlösung zugleich einer antiken imperialen
Disposition: der auf dem römischen Palatin wie in Konstantinopel monumental
überlieferten Verbindung von Kaiserpalast und Zirkus.
Im Inneren der Galerie bilden die Fresken Pietro
da Cortonas ein großes episch-heraldisches Kompliment an den
päpstlichen Monarchen. [20] Während die zyklische Darstellung
der Landnahme Latiums durch Aeneas ihn und das Papsttum als den Erben und die
Erfüllung trojanisch-römischer Herrschaft erweist, enthüllt sich
der providentielle Sinn der dargestellten epischen Handlung in einem auf ihn
bezogenen Zielbild in der Mitte der Galerie. Ziel und Sinn der Aeneis, der
Friede, sind hier dem Wappen und der Friedensherrschaft des Papstes allegiert.
Unter der Gestalt des Fatum zeigt das Fresko den Friedensschluß der drei
bis dahin feindlichen Göttinnen Venus, Juno und Minerva. Indem sie ihre
Zeichen in Frieden vereinen, entsteht das heraldische Konnubium aus Taube, Lilie
und Ölzweig, das Wappen des unschuldigen und friedliebenden Papstes
Innozenz Pamphilj.
Er selbst erscheint über
dem Eingang zur camera del papa mythologisch verhüllt im Bild des
majestätischen Herrschergottes Neptun (Abb. 5), der in souverän
gelassener Haltung und Gebärde dem Aufruhr der Winde Einhalt gebietet und
allein durch die Macht seiner Rede in seinem Reich Ruhe, Ordnung und Frieden
wiederherstellt. [21] Die Figur - nicht zufällig von frappanter
Ähnlichkeit mit der gleichzeitigen Ehrenstatue des Papstes auf dem Kapitol
von Alessandro Algardi und mit dem Zeichen dreifacher Herrschaft, dem Dreizack,
in Händen - spielt auf die Gesichtszüge
Innozenz'
X. an. Er selbst ist der souveräne Wiederhersteller des Friedens. Nicht er,
sondern schwebende Eroten halten die Zügel seines Gefährts in
Händen. In sprechender Metaphorik
"führt
Liebe die
Zügel"
- nichts anderes als die ethische Stilisierung seiner Herrschaft als
Panphilia wird hier
sichtbar.
Überdeutlich prägt das
herrscherliche Ethos des Pontifikats die beiden Stirnseiten der Galerie (Abb.
6). Über dem königlichen Motiv der Serliana erscheint hier das Wappen
des Papstes von den schützenden Schwingen der Pamphilj-Taube flankiert.
Daß dies nichts anderes als eine Imprese der Herrschaft Pamphiljs ist,
zeigt das Motto im Architrav:
"Sub umbra
alarum
tuarum",
Teilzitat aus dem Psalmvers: "Behüte mich wie deinen Augenstern, im
Schatten deiner Flügel schirme
mich." Es
sind die Schwingen der Liebe, unter die die herrscherliche Panphilia des
Papstes die ihr Anvertrauten nimmt und sie, wie es im Psalm heißt,
"vor
Widersachern, Frevlern und Feinden" schützt. [22]
Spezifisch päpstlich ist auch die dem Platz
zugewendete Außenfassade der Galerie (Abb. 7). Sie ist als eine mit den
Wappenzeichen und einer Hieroglyphe der Panphilia - der Taube über
der Kugel - geschmückte Benediktionsloggia gestaltet. [23]
Borromini gab ihr die Gestalt eines Architekturzitats. Der Aufbau mit seiner
klaren Dichotomie zwischen Rustikasockel und bekrönender Serliana folgt
einer berühmten Darstellung päpstlicher Segensgewalt in den Stanzen
des Vatikan: dem Hintergrundspalast in Raffaels "Brand des Borgo" mit Papst Leo
IV., der gleich einem Deus ex machina durch sein Erscheinen die Flammen
stillt und durch seinen Segen die Katastrophe zum Heil wendet.
Schon war die Mitte des Platzes im Heiligen Jahr
1650 von dem Obelisken besetzt. Er überragte den Verschlag, hinter dem der
gewaltige Natursockel und die kolossale Figurenwelt des Vierströmebrunnens
Gianlorenzo Berninis (Abb. 8) ihrer Vollendung entgegengingen. [24]
Anders als die Obelisken, die Papst Sixtus V. wiedererrichtet und allesamt unter
das Kreuz gestellt hatte, womit in einer eindrucksvoll antithetischen
geschichtstheologischen Figur das Heidentum zum geschichtlichen Sockel des
Christentums wurde, ist der Obelisk auf der Piazza Navona [25] von
Anfang an ein herrscherlicher Obelisk. Schon in Francesco Borrominis
Vorprojekt [26] steht er unter der friedliebenden Taube mit dem
Ölzweig im Schnabel, ist er also, den künstlichen Obelisken der
Habsburger und anderer Dynastien vergleichbar, ein vom Wappentier des Monarchen
besetzter
"Obeliscus
Pamphilius".
Nichts
anderes als den fundamentalen ägyptologischen Gemeinplatz der frühen
Neuzeit, die Ägypter hätten im Obelisken geheimnisvoll den Strahl der
Sonne ausgedrückt [27], in seiner sich nach unten verbreiternden
Gestalt aber das Verströmen und in seiner viereckigen Gestalt die belebende
und erhaltende Wirkung des in der Sonne verkörperten Weltgeistes oder
Sonnengenius auf die vier Weltteile, hat Bernini in seinem spektakulären
Brunnenprojekt inszeniert. Die dem Obelisken anhaftende Metaphorik solaren
Verströmens in die vier Weltrichtungen hat er dabei in ein monumentales
Kompliment für den sonnenhaften Universalmonarchen umgeprägt.
Verkörpert in seinem Wappentier, der vergoldeten Pamphiljtaube auf der
Spitze des Obelisken, ist es Pamphilj selbst, der seine erleuchtend belebende
Wirkung in die vier Erdteile zu seinen Füßen verströmt: Europa,
den christlichen Erdteil, der im Bild der Donau voll zu ihm aufblickt und in
anschaulicher Metaphorik das Wappen, d.h. den
"Namen"
des Papstes
"hochhält";
das heidnische Asien im Bild des abgewendet gelagerten Ganges; das noch dunkle
Afrika, das im Bild des Nil seine facies nigra und damit sein
caput, d.h. seine Quellen, eben zu enthüllen beginnt; Amerika, das
im exotischen Bild des westindischen Mohren Rio de la Plata heftig betroffen
zurückstürzt. Der Papst selbst ist, wie Athanasius Kircher es wenig
später angesichts des für Alexander VII. vor S. Maria sopra Minerva
errichteten Chigi-Obelisken mit knapper Selbstverständlichkeit
ausdrücken wird [28], das numen solare, der spiritus
oder die anima mundi, der Obelisk aber nichts anderes als ein real
gesetztes Sinnbild Pamphiljs selbst in seiner sonnenhaft erleuchtend belebenden
Wirkung auf den Erdkreis.
Zwar kann man in der
Konzeption vom Papst als spiritus mundi, der die Welt erleuchtet und
belebt, eine spirituell zu verstehende und neue Version des Gedankens der
päpstlichen Universalmonarchie sehen. Doch dürfte sich in dem Umstand,
daß zu Füßen des Obelisken Personifikationen der vier Erdteile
erscheinen, ebenso die wechselseitige imitatio der beiden alten
Weltinstitutionen Kaisertum und Papsttum spiegeln. Es spiegelt sich
möglicherweise sogar die Erinnerung an einen Konflikt, der in der Zeit der
Universalmonarchie Karls V. im 16. Jahrhundert im Medium der Publizistik ebenso
wie im Medium der Bilder zwischen Kaisertum und Papsttum ausgefochten worden
war. Während der kaiserlichen Theorie zufolge in der menschlichen
Gemeinschaft dem Kaiser die Herrschaftsrechte über alle Menschen zustehen,
dem Papst aber nur über die Christen, hatte die päpstliche
Ikonographie in Vasaris Fresken des Palazzo della Cancelleria Papst Paul III.
als den Herrn über die ganze Welt, auch über
"Inder und
Garamanten",
d.h. auch über die Völker der Neuen Welt, gezeigt. In den vier
Kolossen der Weltströme zu Füßen der Pamphiljtaube mit dem
auffallend betonten Rio de la Plata in Gestalt des westindischen Mohren mag die
Erinnerung an diesen konfliktreichen und alles andere als unangefochtenen Aspekt
der päpstlichen Universalmonarchie nachleben.
Nur eine beschränkte Öffentlichkeit,
der kleine Kreis jener, denen die Hieroglyphenkunde der frühen Neuzeit
geläufig war, konnte beim Anblick des Brunnenmonuments erkennen, daß
diesem im Anschein realistischer Motive wie der Palme und der Schlange am
Fuß des Obelisken in Wahrheit Hieroglyphen hinzugefügt
waren. [29] Ihre hieroglyphische Aussage: Der Brunnen ist, knapp gesagt,
Zeichen einer durch das Heilige Jahr 1650 gereinigten und erneuerten Welt. Sie
machten aus ihm das Sinnbild der religiösen, sittlichen, sozialen und
politischen Erneuerung, der Buße, der Vergebung und des Neubeginns der
Welt im Zeichen des Papstes. Nicht mehr erkennbar ist heute, daß die
Wiederkehr der Goldenen Zeit unter der Taube Pamphilj - mundus revertetur
paradisus - einst sogar unmittelbar anschaulich war. [30] Der
Brunnen war bemalt. Taube, Füllhörner und Wappen des Papstes trugen
den anschaulichen Ausdruck der Goldenen Zeit, nämlich
Gold.
Es war der Blick in eine andere Welt.
Vollends dann, wenn in den heißen Sommermonaten nach römischer Sitte,
wie sie etwa in der temporären Überflutung des Vorplatzes zum Ponte
Sisto am damaligen Ende der Via Giulia seit dem Pontifikat Pauls V. faßbar
ist, die Abflußrohre der Brunnen verstopft wurden und der gesamte Platz
zur allgemeinen Erfrischung wie eine Naumachie unter Wasser gesetzt
wurde, [31] wobei die Brunnen, denen das Wasser entquoll, wie Inseln
inmitten der weiten Wasserfläche aufstiegen.
Der Plan, die Piazza Navona temporär zu
überfluten, war ein persönlicher Plan des Papstes, den er
bezeichnenderweise in dem Augenblick äußerte, da er mit seiner
Absicht, einen Teil des Jahres an ihr zu residieren, hervortrat. Am 3. August
1654 berichtet der florentinische Geschäftsträger von den
päpstlichen Absichten, darunter der:
"...
schließlich den ganzen Platz zu verbessern, in der Weise, daß, indem
man das Wasser ansteigen lasse, die Karossen promenieren könnten und an den
trockenen Rändern das Volk stehe, Dinge, die zu vollenden man viele Jahre
braucht, wenn man annimmt, daß Seine Heiligkeit in besagtem Palast wohnen
und in der neuen Kirche Kapelle halten
will". [32]
Daß
Bernini plante, diesen Zustand der temporären Überflutung zum
Ausgangspunkt eines den gesamten orbis des Platzes umfassenden
großen allusiven poetischen concetto zu machen, zeigt sein in einer
Zeichnung in Windsor Castle überliefertes Projekt [33] für
eine der beiden Nebenfontänen - es ist die obere der beiden - die er mit
der Statue des wogengebietenden Neptun zu bekrönen gedachte (Abb. 9).
Seit Gregor XIII. waren die beiden Enden des
Platzes von den Brunnen des Giacomo della Porta besetzt. Mit der Errichtung des
Vierströmebrunnens in der Platzmitte waren sie zu Nebenbrunnen geworden. Im
Jahr 1652 hatte Bernini die vor dem Palast gelegene Anlage zunächst mit
einer von Delphinen getragenen Muschel, dann mit der weit
überlebensgroßen Statue eines Tritons, der einen wasserspeienden
Delphin hält, bekrönt und das bereits bestehende Becken mit der weiten
Fläche eines zweiten polygonal begrenzten Bassins umfangen. [34]
Körperhaltung und Blick des Moro, der als Diener und Gehilfe des
Neptun zu deuten ist, gehen zur Mitte und zum anderen Ende des Platzes.
Wäre die durch den Tod des Papstes im Jahr 1655 unterbrochene Gesamtplanung
verwirklicht worden, so wäre die Figur über die Länge des Platzes
hinweg in Beziehung zu einer herrscherlichen Gegenfigur
getreten.
Denn deutlich dokumentiert die
Projektzeichnung in Windsor Castle, wie hier inmitten seines Gefolges von
Tritonen Neptun erscheinen sollte, seinem herrscherlichen Rang entsprechend auf
einer Muschel höher emporgehoben als der Moro. Der Gott und
Beherrscher des Wassers, in kraftvoll ausschreitender Pose, hält das
bedeutungsvolle Zeichen seiner Herrschaft, das dreizackige Triregnum, in
seiner Linken, während seine Rechte befehlend vorgestreckt ist. Der Sinn
der Gebärde ist klar. Vom caput des Platzes her sollte Neptun den
Wassern des überfluteten Platzes
"gebieten".
Wie schon in Berninis Frühwerk, dem Neptun und Triton, der heute im
Victoria and Albert Museum in London verwahrt wird, einst aber zu Häupten
der weiten oval begrenzten Wasserfläche des Fischteichs der Villa Montalto
bei S. Maria Maggiore stand [35] und dort
"über
die Wogen
herrschte",
wäre auch die ungleich größere Wasserfläche des lago
der Piazza Navona durch die sie beherrschende Gestalt Neptuns auf die Ebene
eines poetischen concetto gehoben gewesen.
Sein Inhalt läßt sich präzis
benennen. Alles deutet darauf hin, daß Neptuns Erscheinen über der
weiten Fläche des wassererfüllten Stadiums nicht auf den
berühmten Seesturm in Vergils Aeneis anspielen, sondern bei dem gebildeten
Betrachter die Erinnerung an eine viel größere Katastrophe wachrufen
sollte: die an die Sintflut in den Metamorphosen des Ovid. Nichts anderes kann
in Berninis Projekt gemeint gewesen sein als die Anspielung auf ihr gutes Ende,
da Neptun beim Schall des Muschelhorns, das der Triton bläst, den Wassern
gebietet, sich wieder zurückzuziehen, und da die trockenen Ufer wieder
erscheinen. [36] Deutlich genug und in vierfacher Wiederholung sollten
zu Füßen Neptuns die Tritonen das Muschelhorn blasen. Allein schon
diese Einzelheit zusammen mit der souveränen Befehlsgebärde des Gottes
hätte es für den Wissenden zur Gewissheit gemacht, daß es der
Ovidsche Neptun ist, der hier den Fluten den Rückzug gebietet.
Wie schon in der Villa Montalto plante Bernini
also auch hier, Fülle und Überfluß des Wassers durch die Gestalt
des Neptun zu deuten, und hatte er die Absicht, den temporären lago
der Piazza Navona zu einem mythologisch verdichteten Bild der Sintflut zu
machen. Wie dort sollte es auch hier um den Befehl Neptuns zum Rückzug der
Wogen gehen:
"Schon hat
die Flut eine Küste, es wächst das
Land."
Errettung und Wiedergeburt der Erde zu neuem Leben nach der Katastrophe der
Sintflut sollten gezeigt werden.
Inmitten eines
antiken Stadiums, dem sich in der damaligen Deutung als Zirkus und auf Grund
seiner halbrunden Gestalt per se die traditionelle Vorstellung verband, es sei
wie jeder Zirkus ein Abbild der Welt, wäre dem abschließenden Vers
des Ovid [37], daß mit dem
"Wiedererscheinen
der Ufer"
der
"Erdkreis
wiedergeschenkt"
gewesen sei -
"Redditus
orbis erat"
- sogar ein besonders konkreter anschaulicher Sinn zugewachsen: die
temporäre Überschwemmung des Platzes als ein poetisch mythologisches
Bild von Katastrophe, Rettung und Wiederherstellung des orbis.
Ein poetisch mythologischer concetto
allein? Neptun, angesichts der als Sintflut gedeuteten Überschwemmung ein
rettender Neptun, der bewirkt, daß der orbis wiedergeschenkt wird,
hätte für den wissenden Betrachter eine mehr als nur mythologische
Bedeutung gewonnen. Es war kein politikfreier Raum, in dem die fingierte
Katastrophe und ihre rettende Überwindung durch den Herrscher spielerisch
gezeigt und alludiert werden sollten. Im Gegenteil! Das mythologisch
verhüllte Schauspiel der Errettung sollte sich in einer damals bereits
völlig monarchisch geprägten Platzsituation vollziehen, einem Kontext,
in dem alles päpstlich verstanden werden konnte. Längst war die
städtische Piazza zum Vorplatz eines Papstpalastes geworden. Sie war
besetzt und umgeben von päpstlichen Monumenten: dem Palast, in dem Innozenz
X. residieren wollte, mit Galerie und Benediktionsloggia, der daran
anschließenden Papstkirche, in der er Kapelle halten und begraben sein
wollte, dem Papstobelisken und dem Brunnen der Platzmitte.
Wäre das Statuenprojekt am oberen gerundeten
Ende des Platzes realisiert worden, so hätte allein das semantische Gewicht
der übrigen hier versammelten Monumente ihm und der als Sintflut gedeuteten
temporären Überschwemmung die päpstliche Bedeutung gegeben. Im
Bild Neptuns über den Fluten wäre auf den geistlichen
Universalmonarchen als den Beender der Sintflut und souveränen Retter des
orbis angespielt gewesen. Mit Leichtigkeit hätte sich die Semantik
vom "Ende
der
Sintflut"
und dem
"wiedergeschenkten
orbis"
der Erneuerungs- und Friedenssymbolik des Vierströmebrunnens in der
Platzmitte verbunden. Im Zustand scheinhafter Gefährdung und Errettung
wäre die gesamte Piazza Navona zu einer Abbreviatur des
"wiedergeschenkten
orbis"
und zu einem
"großen
Kompliment"
an den Monarchen umgeprägt gewesen.
Mit der
oben erwähnten ambivalenten Formel Athanasius Kirchers vom Papst als dem
spiritus mundi und dem erleuchtenden Obelisken als einer Metapher
päpstlichen Verströmens und Wirkens in die Welt ist bereits der
Pontifikat des nachfolgenden Papstes Alexanders VII. berührt, Fabio Chigis,
mit dem sich die Vorstellung eines weiteren Machtverlusts des Hl. Stuhls und
einer weiter geschwächten Stellung in der Staatenwelt Europas verbindet und
mit dem man schon die Hypothese einer reaktiven und kompensatorischen Haltung
des Papsttums angesichts des
"Traumas
von
Münster" [38]
durch eine verstärkte Betonung der päpstlichen Majestät und den
forcierten Einsatz architektonisch - künstlerischer Mittel verbunden
hat.
Während der Hl. Stuhl in der Gestalt
Fabio Chigis beim Westfälischen Frieden immerhin noch als Vermittler
zwischen den katholischen Mächten tätig gewesen war, wurde die
päpstliche Diplomatie beim Abschluß des Pyrenäenfriedens im Jahr
1659 von den beiden katholischen Großmächten Frankreich und Spanien
von den Verhandlungen ausgeschlossen. [39]
Nur in einem beschwörenden Bild konnte das
Papsttum und konnte Fabio Chigi am Pyrenäenfrieden teilnehmen. Mit ihm, dem
Bild der Begegnung Leos des Großen mit Attila in neuer Deutung und
Verwendung, sei zum Ausgangspunkt der hier vorgelegten Skizze
zurückgekehrt.
Im königlichen Palast in
Madrid befindet sich eine 98 cm hohe vergoldete Silberreduktion des
Kolossalreliefs in St. Peter. Die Übereinstimmungen mit einem
Bronzeguß in der Schatzkammer der Hofburg in Wien zeigen, daß beide
Exemplare nach demselben Modell gegossen wurden. Ob es ein Zufall ist, daß
kostspielige Reduktionen des römischen Reliefs mit seinem für die
historische Ro1le wie den aktuellen Anspruch des Papsttums in der politischen
Welt gleichermaßen aussagekräftigen Inhalt an die beiden
habsburgischen Höfe in Madrid und Wien gelangten, mag dahingestellt
bleiben. Für das Madrider Exemplar ist, wie Jennifer Montagu gezeigt hat,
gesichert, daß es im Jahr 1657 in Rom gegossen, in einem Rahmen des Pietro
da Cortona nach Madrid übersandt und als ein diplomatisches Geschenk im
Vorfeld des Pyrenäenfriedens von dem Dekan des Kardinalkollegiums und
Vizekanzler der Kirche Francesco Barberini König Philipp IV.
überreicht wurde. [40]
Es ist ein
sprechendes, ja beschwörendes diplomatisches Geschenk. Nicht nur stellten
zwei dem Rahmen beigefügte Löwen mit den Mitteln der Synonymie und der
heraldischen Allusion die Verbindung zwischen dem im Relief dargestellten
löwenhaften Papst Leo dem Großen und Philipp IV., der den Löwen
im Wappen führt, her. Ein dem Relief beigefügtes Motto machte das
Geschenk vollends zu einer päpstlichen Friedensimprese. Denn die drei
Wörter
"Pax
christiana
subiecit" -
"Die
pax christiana unterwarf
sie" -, dem
Bild der vor der Macht des Papsttums zurückweichenden Hunnen deutend
hinzugefügt, produzieren gemeinsam mit diesem die bildlich-literäre
Aussage:
"Der
christliche
Frieden",
d.h. der vom Papst bewirkte Friede zwischen den christlichen Fürsten,
"unterwarf
einst die
Hunnen".
Die kaum verschlüsselte Botschaft an König Phi1ipp IV. ist die
Aufforderung zur pax christiana, d.h. zum Friedensschluß mit
Frankreich unter päpstlicher Vermittlung, und zu einer künftigen
europäischen Allianz gegen die Türken unter der Führung des
Papstes.
Mit seltener Klarheit erinnert das in
seinem Motto so deutlich sprechende Bild an die zweifache Aufgabe, die das
Papsttum in seiner säkularen Auseinandersetzung mit dem Kaisertum um die
monarchia universalis vor allem seit der Abdankung Karls V., da der Papst
als Universalherrscher an die Stelle des Kaisers zu treten sucht, verstärkt
an sich zieht. In einem umfassenderen Sinn als der Kaiser ist der Papst für
das commune bonum der respublica christiana zuständig. Seine
eine Aufgabe ist die Friedenswahrung unter den Herrschern, seine andere der
Schutz der respublica christiana nach außen. Zwei Befugnisse also
hat er: Er ist zum einen arbiter oder moderator zwischen den
Fürsten, und er hat zum andern die Führungsrolle im Kampf gegen die
osmanische Bedrohung Europas, wobei er sich als Helfer beliebiger Herrscher
bedienen kann.
Unübersehbar und
unüberhörbar erinnert auf einem der Tiefpunkte realen politischen
Einflusses des Heiligen Stuhls das diplomatische Geschenk des Kardinals
Barberini im sprechend gemachten Bild der vom Papst gebannten Bedrohung an den
auch in der veränderten Staatenwelt Europas fortdauernden Anspruch des
Papsttums auf seine zweifache Führungsrolle. Im großen gesehen nicht
ohne Erfolg! In einem der nächsten Pontifikate, bei der 1683 vor Wien
erfolgreichen Allianz zwischen Kaiser Leopold I., dem Dogen von Venedig und
Papst Innozenz XI. sollte das Papsttum an einem Erfolg beteiligt sein, der sich
als dauerhaft erweisen sollte. Ironischerweise also doch mehr als eine
"Politik in Bildern"...