DOKUMENTATION | Ausstellungen: 1648 - Krieg und Frieden in Europa |
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Textbände > Bd. II: Kunst und Kultur |
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CLAIRE GANTET
Friedensfeste aus Anlaß des Westfälischen Friedens in den süddeutschen
Städten und die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg (1648-1871) |
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Dem Dreißigjährigen Krieg
ging ein Eklat voraus: 1606 und 1607 griffen die Protestanten in Donauwörth
den Prozessionszug am Sankt-Markustag an und machten die Reliquien und die
Banner lächerlich. Maximilian von Bayern besetzte die Stadt im Dezember
1608 und verbot den protestantischen Kult. Dieser Fall vereitelte jede Einigung
zwischen Katholiken und Protestanten und führte zur Bildung der Union und
der Liga.
Am Ende des Krieges jedoch wurde
gefeiert: auf den Friedensfesten. [1] Während die Historiographie
das umstürzlerische Fest untersucht hat, bleibt hingegen das Fest als
Neutralisierung und Euphemisierung der kollektiven Gewalt noch ein unerforschtes
Gebiet. Wenn es auch üblich ist, daß jedes Kriegsende in einer
Atmosphäre der Euphorie begangen wird, so suchen doch der Umfang und der
Fortbestand der Feiern des Westfälischen Friedens sicherlich ihresgleichen
in der Geschichte. Man kann also den Westfälischen Frieden über die
diplomatischen und juristischen Begleitumstände, die ihn in Bewegung
gesetzt haben, hinaus auch durch die sozialen und kulturellen Praktiken, die
damit verbunden sind, darstellen.
I. Die
Friedensfeiern von 1648 bis 1660
In vier
Festwellen feierte man von Mai 1648 bis August 1660 die Unterzeichnung der
verschiedenen Friedensverträge, die dem allgemeinen Konflikt ein Ende
bereitet hatten. Die ersten Friedensfeste wurden in Münster und
Osnabrück, in den südlichen Niederlanden und in den Vereinigten
Provinzen gefeiert: Sie würdigten den Frieden zwischen Spanien und den
Vereinigten Provinzen (15. Mai 1648). Der Friede von Münster, der achtzig
Kriegsjahre beendete, wurde als Garantie der Unabhängigkeit der neuen
Republik gefeiert. Man freute sich auch über die wiedergewonnene Eintracht
des Landes: Der Frieden wurde nicht nur in den Handelsstädten des Nordens,
wie Amsterdam, sondern auch in den katholischen Städten des Südens,
wie Antwerpen, gefeiert, obschon letztere in politischer und ökonomischer
Hinsicht die Verlierer des Krieges und des Friedens waren. Alle diese Feste
waren städtische Feste, die um das Rathaus herum konzentriert waren. Aber
in der neuen zerbrechlichen Republik der Niederlande, durch Konflikte entzweit,
stand neben dem euphorischen Bedürfnis nach Vergessen auch der Wunsch, die
Erinnerung an die Leiden festzuhalten und zu
überliefern. [2]
Die zweite und die
dritte Festwelle konzentrierten sich auf das Reich. Man feierte Ende 1648 und im
Jahre 1649 die Unterzeichnung des Friedens, dann 1650 seine Ratifizierung. Der
Frieden von 1648 wurde als eine Wiedergeburt nach dem Trauma des Krieges erlebt.
Nach dieser allgemeinen Verfassungs- und Vertrauenskrise wollte man vor allem
die Eintracht der Stände des Reiches wiederherstellen - "Durch den Fried
wird wieder neu / Die verstorbne alte Treu" [3] -, aber auch die
Normalität wiederfinden, die Alltäglichkeit wiederherstellen. Das Jahr
jedoch, das den Krieg wirklich beendet hatte, war das Jahr 1650, das als das
Jahr Null, als der Anfang einer neuen Friedensära betrachtet und in dem
somit am meisten gefeiert wurde. (Der Pfarrer Caspar Friedrich Nachtenhöfer
aus Meeder, einem kleinem Dorf im Ernestinischen Sachsen gelegen, zählte ab
diesem Datum die Jahre wieder neu.) Es ist erwiesen, daß 1650 83 Feste im
Reich gefeiert wurden, dagegen 40 im Jahre 1648 und 47 im Jahre 1649. Das
Hauptereignis des Jahres 1650 war der Abschluß des Nürnberger
Exekutionstages am 26. Juni, der den Westfälischen Frieden bestätigte
und die Einzelheiten des Abzuges der Besatzungstruppen regelte. Nürnberg,
an eine alte Reichsstadttradition anknüpfend, wurde 1650 zum Zentrum der
Festivitäten, die an Hoffeste erinnerten und aus Tänzen, einem
prunkvollen Bankett und schließlich einem großen Feuerwerk
bestanden. Im Programm der Festlichkeiten, welches von den Dichtern und
Dramaturgen der Fruchtbringenden Gesellschaft und des Pegnesischen Blumenordens
zusammengestellt wurde, wurde der Frieden in einen sakralen Kontext gestellt,
frei von jeglichen politischen und sozialen Absichten; der Krieg hingegen wurde
in allegorisierender Weise ästhetisiert. Die Zeitgenossen waren sich vage
der Zweideutigkeit dieser Feste - zwischen Affirmation und Defensive, zwischen
Freude und Angst - bewußt und versuchten die Spannung zu meistern, indem
sie diese Ambivalenz ins Spiel brachten und die Kriegssymbole in Friedenszeichen
umwandelten.
Der Widerhall der Nürnberger
Feste war unmittelbar und gewaltig. Mindestens 67 Feste wurden im Reich vom 26.
Juni 1650 bis Ende des Jahres 1650 organisiert. Sigmund von Birken, Johann Klaj
und Georg Philipp Harsdörffer fanden Nacheiferer, sowohl in Weimar mit
Johann Thomas als auch in Coburg mit Michael Franck. In Altenburg beschloß
man am 6. August, am 19./29. August im gesamten Ernestinischen Sachsen ein
Friedensfest zu feiern, weil dies das Datum war, das der Nürnberger
Rezeß für den Abzug der Besatzungstruppen vorgesehen hatte. Diese
Verbindung des Festes mit dem gelebten Frieden wurde auch deutlich in dem
Friedensfest von Frankenthal, das erst 1652 stattfand, weil die Frage des Abzugs
der schwedischen unbesoldeten Truppen erst in diesem Jahr geregelt
wurde.
Für die Friedensfeier wurde von den
lokalen Obrigkeiten ein Datum mit lokaler Bedeutung gewählt. Die
Hauptstädte feierten diesen Kompromißfrieden nur auf traditionelle
Art und Weise, mit einem Tedeum und mit Feuerwerken. In Prag, der Hauptstadt des
rebellischen Königreiches, wo der Krieg begonnen und geendet hatte, war die
Feier am glanzvollsten; sie bestand aus einem feierlichen Fest am Sonntag, dem
24. Juli 1650, mit Glockengeläut, einem Tedeum in allen Kirchen und 108
Salven. Im Anschluß daran fanden Volksfeste statt:
"Unter andern wurden
bey sothanen Triumph vor der vornehmsten Herren und Bürger-Häuser
lustige grüne Mäyen, und zu Nacht vor die Fenster Lichter gestellet;
etlicher Orten, auch auf der Brücke Freuden-Feuer angezündet, und auf
dem kleinen Wasser-Hof oder Venedig, so dann vor der Stadt Feuerwercke
geworffen, also daß dieser Tag in allen ehrlichen Freuden zurück
geleget worden." [4]
Die vierte Festserie
fand 1660 zur Feier des Pyrenäenfriedens statt. In Frankreich hatte man
1648 keinen Grund zum Feiern gehabt: Im Paris der Fronde, das unter der Blockade
und einer Hungersnot litt, gab jedes Ereignis Anlaß zu Spottschriften auf
Kardinal Mazarin ("Mazarinaden"), in denen sich die inneren Probleme
beständig mit der Außenpolitik vermischten. Die Gerüchte
verbreiteten zuerst die Nachricht eines allgemeinen europäischen Friedens,
dann jedoch nahmen die Pamphlete, die die "Verzögerung des Friedens" mit
der Falschheit Spaniens oder mit der Parlamentsfronde von Paris erklärten,
überhand. Die Rückkehr des Königs in seine Hauptstadt am
Sankt-Ludwigs-Tag wurde zwar wie ein Friedensfest [5], aber wie das
eines noch zu schließenden Friedens,
gefeiert.
Der Pyrenäenfrieden wurde hingegen
mit großem Pomp in Paris Anfang Februar, dann im August 1660 begangen.
Aber mehr noch als den Frieden feierte man den Sieg über die Habsburger,
das Ende der prépondérance espagnole, das durch die Heirat
Ludwigs XIV. mit der Infantin Maria-Theresia besiegelt
wurde.
Dadurch nahm das Pariser Fest des
Pyrenäenfriedens - das prunkvollste Fest des ancien
régime [6] - die Form eines feierlichen Einzugs des
Königs in die geschmückte Stadt an und endete mit Feuerwerken. Das
Fest von 1660 war also ein Kontrapunkt zu demjenigen des Jahres 1649: Der Umzug
von 1660 führte durch die Saint-Antoine-Straße - jene Straße,
in der der Herzog von Condé die königliche Armee besiegt hatte, in
der er empfangen wurde und durch welche er seinen Einzug in Paris hielt - bis
zur Notre-Dame-Brücke, wo während des Aufstandes gegen Mazarin
Barrikaden errichtet worden waren. In diesem Sinne war das Fest von 1660 eine
Erinnerung an die Fronde. Der Frieden wurde auch in den großen
Provinzstädten gefeiert, wie in Lyon und in Reims, und auch in einigen
deutschen Städten, wie in Memmingen und
Augsburg.
Trotz der Verschiedenheit der
politischen Kontexte, in die sie sich einfügten, weisen diese Feste
Gemeinsamkeiten auf, insbesondere ihre Wirkung auf Kinder. Die Anekdote, die man
sich in Nürnberg erzählt, von den Kindern auf Steckenpferden im
Quartier des Piccolomini, der sich darüber amüsierte und
beschloß, einen doppelten Erinnerungsdukaten prägen zu lassen, findet
eine Parallele im Paris des Jahres 1649: Ludwig XIV., damals ein
elfjähriger Knabe, empfing Kinder, die mit Holzsäbeln kämpften,
lachte darüber und spendierte ihrem Anführer ein Festmahl am
Johannistag. [7] Bei allen Friedensfesten führten Kinder die
Umzüge an: In diesem Kontext der Quasi-Hoffnungslosigkeit waren sie das
teuerste Gut und hatten einen entsprechenden Rang in der Erinnerungskultur.
Diese Feste sind durch einen doppelten Charakter gekennzeichnet, zum einen durch
einen öffentlichen - die Versorgung durch die Obrigkeit im symbolischen
Raum der Stadt (zum Beispiel die Weinfontänen, die in den Städten von
Nürnberg bis Amsterdam sprudelten) - und zum anderen durch einen
karnevalistischen Charakter: Die Kriegssymbole wurden umgewandelt und
wiederverwendet, die gleichen Trompeten und die gleichen Trommeln, die die
Armeen bei ihrem Vormarsch benutzten, verkündeten nun den Frieden; die
Kanonen feuerten nun Salven ab, und den Blutstränen folgten
Freudentränen.
II. Die Geographie der
Feste
Im ganzen zählt man mindestens 204
verschiedene Friedensfeste zwischen 1648 und 1660 in Europa, wovon 181 im Reich
gefeiert wurden. Von diesen Festen fanden allein 98 in Franken, Württemberg
und Schwaben statt, hingegen nur 82 im gesamten Rest des Reiches. Die Karten der
Verteilung und der Intensität der Festlichkeiten drücken die
Vorherrschaft des Luthertums (was die zahlreichen Feste in Sachsen erklärt)
und des urbanen Netzes (welches die zahlreichen Feste in Franken und Schwaben
erklärt) aus. Diese Feste sind also zugleich konfessionelle und urbane
Feste.
Die Seltenheit der Friedensfeste in den
katholischen Territorien fällt sofort auf. Die katholische Erinnerung an
den Dreißigjährigen Krieg dreht sich mehr um die Schlacht am
Weißen Berg als um den Frieden. 1650 wurde eine Mariensäule in Prag
zur Erinnerung an den Westfälischen Frieden errichtet, und zwar an der
Stelle, an der 1621 das Prager Blutgericht stattgefunden hatte. Zum Dank
für den Sieg am Weißen Berg wurden genaue Kopien des Heiligtums von
Loreto im Hradschin selber und in Wien, in Schlesien, in Mähren und in
Süddeutschland errichtet; die Gattin des Jaroslav
Bořita Martinic, eines der Opfer des Fenstersturzes, brachte eine Opfergabe mit einem
Votivbild im Heiligtum von Altötting dar, das die großen katholischen
Familien (die Slawata, die Lobkowicz) und die aus Böhmen vertriebenen
Jesuiten anzog. Dieser Zustrom trug zum Aufschwung Altöttings bei, welches,
seit es den Leichnam Tillys barg, von den Herzögen von Bayern
geschützt und zum großen Heiligtum Bayerns wurde. Seit 1620 fand in
München alljährlich am ersten Sonntag nach Allerheiligen die "Prager
Prozession" statt, und später wurde am Wiener Hof das Fest "Maria de
Victoria" (3. Oktober) eingeführt.
Die
eigentlichen Friedensfeste fanden mehrheitlich in den Reichsstädten statt,
die nach der Verfassungs- und Vertrauenskrise der Kriegszeit das Bedürfnis
empfanden, ihre Treue zum Kaiser und zum Reich zu bekunden. Dieses gleiche
Bedürfnis erklärt auch das Ausmaß der Festlichkeiten in Sachsen,
das sich selbst als Hüterin der Reichsverfassung verstand. Die
Institutionalisierung der Friedensfeste ist hingegen charakteristisch für
den Süden. Dabei gab es drei verschiedene Formen: die der Neuinterpretation
früherer Kinderfeste (wie der Maientag von Göppingen), die eines
religiösen Festes (in Oettingen, in Pfadelbach, in Schweinfurt und in
mancherlei Hinsicht in Coburg) und schließlich die alljährlicher
Friedensfeste, wie in Lindau und in Augsburg.
Die
konfessionelle Mischung ist der Hauptgrund der Institutionalisierung von Festen.
Der Westfälische Frieden, der den Katholiken, den Lutheranern und den
Reformierten die gleichen Rechte zusprach und das System der Parität in
einigen Städten kodifizierte, wurde natürlich besonders von den
Lutheranern gefeiert. Der Artikel V des IPO, der das Normaljahr auf 1624
fixierte, galt nicht für die religiösen Feste, und die Lutheraner
konnten so neue Feste institutionalisieren. Das Bedürfnis, den
Westfälischen Frieden, das heißt, den politischen und somit auch den
religiösen Frieden, zu garantieren, äußerte sich durch diese
Feste. Deren alljährliche Wiederholung garantierte schon allein die
Fortdauer des Friedens; zumal die Koexistenz der Katholiken und Protestanten
eine "inszenierte Abgrenzung" [8] und eine extreme Ritualisierung der
Gesten des täglichen Lebens mit sich brachte, die auf eine bissige Art und
Weise von den neugierigen und sarkastischen Aufklärern skizziert wurde:
"denn statt daß sich diese vermöge ihrer Paritätsrechte einander
nähern und zusammenfließen sollten, entfernen sie sich vorsetzlicher
Weise am weitesten, und jede treibt von ihrer Seite die Bigotterie so hoch sie
kann [...] Die an andern Orten abgebrachten Feiertäge werden zu Augsburg,
wie zu Regensburg mit großem Ceremoniele gehalten
[...]". [9]
Von allen Festen heben sich
jedoch die in Augsburg und auch in Coburg ab, welche institutionalisiert und
jedes Jahr - bis heute in Augsburg und mindestens bis 1855 in der Pflege Coburg
- gefeiert wurden. Zwar wiesen diese beiden Städte sehr verschiedene
Züge auf. So war Coburg die kleine lutherische Residenz des Herzogs von
Sachsen-Coburg, die viel von einem großen ländlichen Dorf hatte, das
vom Frankenwald geschützt wurde. Augsburg hingegen war ein großes
kulturelles Zentrum, eine paritätische Reichsstadt ohne Territorium, was
den bürgerlichen Sinn der Einwohner noch verstärkte. Trotzdem hatten
diese Städte ihre symbolische Rolle in der Geschichte der Reformation
gemeinsam. Es war in der Veste Coburg, wo sich Luther, unter dem kaiserlichen
Banne stehend, aufhielt, während in Augsburg 1530 das Bekenntnis der
Lutheraner an Karl V. übergeben wurde. In der Stadt am Lech wurde
schließlich später auch der Religionsfrieden von 1555
unterzeichnet.
Das Augsburger Friedensfest war von
Anfang an als ein jährliches Fest gedacht. Die Nachricht vom Abschluß
des Nürnberger Exekutionstages erreichte Augsburg am 28. Juni
1650 [10], die Soldatentruppen wurden am 30. Juli evakuiert und das Fest
für den 8. August organisiert. Es bestand aus zwei Teilen: aus dem hohen
Friedensfest, das auf den 8. August festgesetzt war, und aus einem
Kinderfriedensfest am darauffolgenden Mittwoch. Den besten Beweis des Willens,
eine festliche Tradition zu begründen, liefern die Kupferstiche, die
sogenannten Friedensgemälde, die man ab 1651 (und bis 1789) an die Kinder
verteilte [11], denn man beschloß von Anfang an, daß der
Kupferstich jedes Jahr, nach dem Modell der lutherischen illustrierten Bibel,
einen Auszug aus der Bibel in der Reihenfolge der biblischen Bücher
(abgesehen von einigen Szenen allegorischeren oder historischeren Charakters)
darstellen sollte. Es scheint so, als ob man ein künftiges Buch geplant
hätte, in dem die Kinder jedes Jahr eine Seite umblättern
würden.
Der Ablauf des ersten Friedensfestes
wird uns von einem Lehrer der Stadt geschildert: "da sind die Kirchen beÿ
unns zuuor mit Maÿen / Deppichen / und gemahlten taflen getziert worden /
unnd ist an disem Festtag nit allein Feÿrtag gewesen / sondern man hat auch
das hl. Abentmal in allen unnsern Kirchen gehalten / man gienge Morgens umb 5
Uhr mit grossen freuden hauffenweiß zue Kirchen / da hörete man nit
nur allein ein schöne danckhpredigt / sondern auch schöne Psalmen
singen / die Orgel drein schlagen / unnd das geschahe vor und nach der Predigt
[...] da werden die Musqueten zum öfftern / von der Stattquardj
abgeschoffen / zue Abent werden wider in aller Kirchen Abentprediger gehalten
[...] Ob den Pasteÿen lösete man auch die stuckh und in der Statt /
haben die burger den gantzen tag über zue iren fenstern herauß
geschossen [...]". [12]
Das Kinderfriedensfest wird 1651 in seiner
definitiven Form organisiert: "Den 9. dito mittwoch hernach / ist in den
dreÿen Pfarrkirchen St. Anna / Parfüessern / und St: Ulrich die
Kinderlehr gehalten worden / in grosser Versamblung / kein kinder haben nichts
auf sagen dörffen [...] Die Knaben sind in iren feÿrtäglichen
Kleidern gangen / Die Mägdlen aber sind fein hüpstch unnd sauber
angelegt gewesen / sind BarHaubt gangen mit berlen Haarbeter [...] disen und
vorgehenden Abent / sind in der Statt underschidliche ring singen / von den
Mägdlen gehalten worden / haben aber anderst nichts / als Cristliche Lieder
unnd Psalmen gesungen [...] bis nachts umb 10 Uhr / Das hat den Papisten ubel /
den Euangel. aber wol gefallen." [13]
In
einer Zeit, in der man die Anhäufung der Synthese vorzog, waren die Kirchen
gefüllt mit einem Wust von Inschriften, die des Kaisers, des Reiches und
der Geschichte der Reformation gedachten, mit allegorischen Bildern, mit
Wandteppichen und Gemälden, mit Maigrün, Blumen und Sand, die in einem
totalen, von Zeichen übersättigten Fest an alle Sinne appellierten.
Das Fest als Repräsentation hat sehr viel von einer Hyperbel. Von der
euphorischen Emphase des Maigrün und der Blumen überlagert, findet man
auch politische Darstellungen: "Barfüsser Kürch ist gleicher gestalt
mit Maÿen schön gezieret gewesen / von statt der Tapezereÿen mit
schönen tafeln / so an den Kirchensäulen u. atn der hohen boorkirchen
auffgehenget worden / alß Herrn M. Weberi Senioris / Herrn M. Gabelij
Senioris / Herrn M. Pauli Denischij / Herrn D. Lutheri / Königß inn
Schweden / Hertzog Bernhardi von Weinmaÿr der Königl: Princessin inn
Schweden Christinæ etc. bildnussen / u. kleinen gemalten täfelen / so
inn der Kirch auff dem golstemß der manns stuhle gestanden / irh
schöne geschribne früch u. Reimen von gipffer Fractur schrifftig
über den Kirchenthüren aussen u. innen. Alß: Durch frid kann
freud / ô freud / ô frid
[...]". [14]
Wie wurden diese Feste der
Versöhnung aufgenommen? Welchen Platz nahmen sie in der städtischen
Öffentlichkeit ein und inwieweit beteiligte sich die Bevölkerung? In
Coburg blieben die Kollekten des Festes, welches von einer herzoglichen
Schenkung und von den Sammlungen finanziert wurde, von 1650 bis 1843 erstaunlich
stabil. In Augsburg brachte das Friedensfest in der Barfüßerkirche
von 1659 bis 1664 jedes Jahr zwischen 108 und 120,45 fl. ein, von 1665 bis 1676
zwischen 97,54 und 50,51 fl. [15], dann zwischen 56,19 und 28,55
fl. [16] von 1686 bis 1708. Die Einnahmen des Friedensfestes sind in den
kirchlichen Rechenschaftsberichten eingetragen, wo es als eines der vier
großen religiösen Feste des Jahres geführt wurde, neben Ostern,
Pfingsten und Weihnachten. Dabei brachte das Friedensfest, welches in Augsburg
als eine religiöse Feier angesehen wurde, am meisten ein. Was die Kosten
des Festes angeht, so verfügt man lediglich über Angaben über den
Fabrikationspreis der Friedensgemälde, die in ungefähr 1.000
Exemplaren hergestellt, an die Kinder der lutherischen Schulen verteilt und nach
auswärts verkauft wurden. 1722 zum Beispiel kostete die Herstellung der
Friedensgemälde die Barfüßerkirche, die die Kosten zu tragen
hatte, 105,34 fl. [17] Wozu dienten diese Kupferstiche? Wahrscheinlich
sollten sie vorrangig zur Kenntnis des Dreißigjährigen Krieges
beitragen.
Es war allerdings ein gewisser Weg von
dem ersonnenen bis zum tatsächlichen Fest, welches als Opfer seines eigenen
Erfolges ausuferte. 1650 war die Beteiligung der Gläubigen sehr hoch:
Allein bei den Barfüßern zählte man 981 Kommunikanten und mehr
als 200 Kinder am Kinderfriedensfest, während man anläßlich des
Jubiläums des Augsburger Religionsfriedens am 25. September 1655 nur 697
Kommunikanten in dieser Kirche zählte. [18] Aber "d: 8. detto
Vormittag haben die Lutherischen [...] /: wegen des Minster-Oßnabruck- und
Nürnbergischen Fridenschluß:/ mit Fressen, Sauffen, und wohl Leben
gehalten, den gantzen tag keine gewölb: und Läden aufgethan, und von
Morgens biß zu abends stets aus ihren Häußern mit Musqueten,
Feur Röhrern, und Pistolen, Feur geben, unter welchen in Anthonius
Dabertshofer etc. Behaußung ein Kugel geschossen, und selbe nahe an seinem
Kindt darinder gefallen [...]" [19],
so daß der evangelische Teil
des Rates den Gebrauch der Waffen zu Salutschüssen
verbot.
Das Fest, als Ausbreitung der Ordnung im
Raum, war tatsächlich, auch wenn es von den städtischen und
lutherischen Obrigkeiten organisiert wurde, potentiell umstürzlerisch, da
die dargestellte Ordnung mit der gelebten Ordnung kollidierte. Das Augsburger
Friedensfest, auf die Kirchen beschränkt, neutralisierte den Raum, den die
Lutheraner mit den Katholiken im täglichen Leben teilen mußten: Der
einzige Umzug bestand ausschließlich aus Kindern, was das Fest entspannte
und euphemisierte. Das Coburger Friedensfest hingegen wurde durch einen Umzug
bestimmt, welcher zwar von Kindern angeführt wurde, denen jedoch die
Ratsmitglieder, die Frauen und die Zünfte folgten. Dieser Umzug durchquerte
unter dem Gesang von Psalmen die Stadt von der Mauer bis zu den Kirchen und zum
Schloß, dann zur Veste Coburg, ehe er wieder durch die Straßen, die
von adligen Häusern gesäumt waren, zum Marktplatz
zurückkehrte.
Als Ritus (im anthropologischen
Sinn) war das Fest ein System von Einschließungen und
Ausschließungen, besonders weil es, indem es sich in eine konfessionelle
Dynamik stellte, die Katholiken ausschloß. Diese antworteten darauf mit
der Wiedereinführung des Karnevals, einer traditionellen Zielscheibe der
lutherischen Kritik, und mit dem nachdrücklichen Feiern des
Fronleichnamfestes (ab 1806 wurde dieses offiziell als Feiertag und
Gegenstück zu dem Friedensfest in Augsburg anerkannt). Am Tag des
Friedensfestes, ein arbeitsfreier Tag für die Protestanten, verdoppelten
die Katholiken ihren Eifer, auch auf jenen Posten, die nach dem Prinzip der
Parität zwischen beiden Konfessionen geteilt worden waren. Es handelt sich
hierbei eher um symbolische als um soziale Konflikte - mit größter
Genauigkeit sind sie im Diarium des Wolfgang Sulzer
wiedergegeben.
Das Fest schloß aus, doch
manche schlossen sich auch selbst von dem Fest aus, und zwar die Ärmsten,
ausgehungert und verarmt, die überhaupt nichts mehr hatten, auch nichts zum
Feiern. Aber auch die Kriegsgewinnler konnten nicht unbeschwert mitfeiern. Ein
Pfarrer aus der Gegend von Coburg, Martin Bötzinger, berichtet 1650: "Kurze
Zeit danach hieß es abermals, daß im Lande Friede sei, der Friede
von Osnabrück und Münster, sagte mein Schulmeister - aber ich habe es
nicht eher geglaubt, als bis ich in Coburg das große Friedensfest
mitgefeiert habe, das für den Sebaldustag des Jahres 1650 angesagt war
[...] Viele sind gewesen, die sind sich in die Arme gefallen und haben geweint,
daß einem dabei das Herz brechen konnte, wieder andere schrien auf und
wollten sich von niemand trösten lassen, während etliche, die mit
Gütern geschoben und mit Nahrungsmitteln gewuchert hatten, einsam standen
und der allgemeinen Verachtung preisgegeben waren, ja einem ist sogar ins
Angesicht gespien worden." [20]
Was gab es
überhaupt in den Jahren 1648-1650, die noch vom Krieg gezeichnet waren, zu
feiern? Was feierte man eigentlich? Das einzige Fest, das man am 24. Oktober, am
Jahrestag der Unterzeichnung der münsterschen Verträge feierte, fand
in der Augsburger Heilig-Kreuz-Kirche statt, die von den Katholiken
zerstört worden war, bis 1653 jedoch von den Protestanten wieder aufgebaut
und eingeweiht worden war. Das Augsburger Friedensfest fand am 8. August statt,
zur Erinnerung an den 8. August 1629, an dem das Restitutionsedikt in Augsburg
in Kraft getreten war: Alle Pfarrer mußten sich damals, unter Androhung
der Ausweisung, zum Katholizismus bekehren, alle lutherischen Kirchen und
Schulen der Stadt wurden geschlossen. Ab 1635 durften sich die protestantischen
Gläubigen nur im Hofe der Sankt-Anna-Kirche oder auf dem Friedhof
versammeln, und als Zeichen der täglichen Bedrohung wurde ein Galgen auf
dem Rathausplatz errichtet. Das Friedensfest war also sowohl eine
öffentliche Erinnerung an das "Wunder des Westfälischen Friedens", das
die Lutheraner vor der Vernichtung gerettet hatte, als auch ein Gedenken der
traumatischen Ereignisse des Krieges. Mit dem Friedensfest am 8. August
faßte man mehrere widersprüchliche Ereignisse zusammen, vor allem das
negativste Ereignis in der Geschichte der Lutheraner in Augsburg (8. August
1629) und auch das für sie positivste Ereignis des Krieges, den Einzug
Gustav Adolfs in die Stadt am 24. April 1632 sowie die darauf folgende
Wiederherstellung des Luthertums. Die Erinnerung an den Krieg war also mit der
an die Verfolgung fest verbunden. Dabei war das Gedenken nicht chronologisch
geordnet, sondern durch die Analogie mit anderen Verfolgungszeiten bestimmt. In
der Rhetorik der Friedensfestpredigten stand das Jahr 1629 für die
"Deformation", die beinahe die "Reformation", die Reform Luthers und auch die
Gustav Adolfs, vernichtet hätte. Das Friedensfest sollte darüber
hinaus an den 26. August 1551 (Abschaffung des lutherischen Priesteramtes)
ebenso erinnern wie an das Jahr 1591 (erste Einführung der Parität).
Andererseits wiederum wurde der 24. April 1632 in Verbindung gesetzt mit dem 19.
Mai 1633 und dem Jahr 1537, als die aufsässigen Katholiken aus der Stadt
vertrieben worden waren. Diese Perioden und Daten protestantischer bzw.
katholischer Verfolgung spiegelten den Verlauf der Reformation wider: 1530
(Augsburger Konfession), 1537 (Vertreibung des katholischen Klerus), 1548
(Augsburger Interim), 1551 (s. oben), 1552 (Wiedereinführung des
Priesteramtes), 1586 (Verbot des Kultes) und eben 1591 mit der Einführung
der Parität.
III. Die
Institutionalisierung: Friedensfeste, Jubiläen und
Verinnerlichung
Der Spanische Erbfolgekrieg, der
erste Krieg, der wieder die süddeutsche Region betraf, enthüllte,
daß der Glanz Augsburgs vorbei war. Das Friedensfest war jener Spiegel, in
dem man eine nostalgische Projektion des Goldenen Zeitalters suchte. Dem
"Gerechtigkeit und Friede küssen sich", das Sigmund von Birken 1650
ausposaunte, antwortete halblaut 1705 ein Chronist: "Augspurg stunde in seinem
schönsten Flor / das Glück zoge hauffenweise zu seinen Thoren ein /
Herrligkeit und Uberfluß begegneten einander auff seinen Strassen /
Gerechtigkeit und Friede küsseten sich: Doch siehe! da erhebte sich
unverhofft ein Sturmwind samt einem entsetzlichen Kriegs-Feur / welches der
guten Stadt beynahe den Garaus zu drohen schiene. [...] Doch es hat auch das
Unglück nicht weniger als das Glück die Art an sich / daß es
niemaln ewig dauret [...] die Stadt ward wieder erlöset / und in die vorige
Freyheit versetzet [...] Ex angustis ad Augusta
[...]". [21]
Aber das Friedensfest erfuhr
einen neuen Aufschwung in den Reformationsjubiläen, deren
Institutionalisierung parallel und in Verbindung zu der der Friedensfeste
stattfand: Die Lutheraner feierten mit dem Friedensfest das, was sie vorher
nicht feiern konnten und holten so alle verpaßten Jubiläen nach. So
ist es nicht erstaunlich, daß die Reformationsjubiläen dort, wo sie
nicht gefeiert werden konnten, das Friedensfest zum Vorbild nahmen. In Augsburg
wurde das erste Jubiläum, die hundertste Wiederkehr des Augsburger
Religionsfriedens im Jahre 1655, durch das Friedensfest und besonders durch das
Kinderfriedensfest inspiriert: Man schenkte den Kindern einen Kupferstich und
veranstaltete einen Gottesdienst eigens für sie. Diese Wechselwirkung, die
es mit sich brachte, daß das Friedensfest ausgeweitet und in die
Geschichte der Reformation eingefügt wurde, fand ihren Höhepunkt 1730
anläßlich der Feier des 200. Jahrestages des Augsburger
Bekenntnisses. Das Jubiläum übernahm die Ornamente, Predigten,
Kantaten und das Friedensgemälde des Friedensfestes. Man feierte ebenso das
Augsburger Bekenntnis wie den Westfälischen Frieden und den Einzug Gustav
Adolfs am 24. April 1632. Gleichzeitig betrachtete man die Salzburger
Emigranten, die wegen ihres Glaubens aus ihrer Heimat vertrieben worden waren,
bei ihrem Einzug in Augsburg als Nachfolger der unterdrückten Augsburger
Lutheraner während des Dreißigjährigen Krieges. Die
Verschmelzung der Tradition der Reformationsjubiläen und des Friedensfestes
war in Augsburg so stark, daß 1748, anläßlich der Vorbereitung
der Hundertjahrfeier des Westfälischen Friedens, die Obrigkeit über
den Sinn beriet: Sollte es ein Reformationsjubiläum, ein großes
Friedensfest oder eine einfache Gedächtnisfeier werden? Man beschloß,
den Westfälischen Frieden nicht am 24. Oktober, sondern am 8. August mit
einem prunkvollen Friedensfest zu feiern. In diesen Jahren von 1730-1750 wurde
der Dreißigjährige Krieg zu einem spezifischen Gegenstand der
Geschichtsbücher.
Die Untersuchung von 180
Schulbüchern, die bis 1869 erschienen sind und ausschließlich oder
teilweise den Dreißigjährigen Krieg behandeln, bestätigt die
Wichtigkeit der Jahre 1629-1635 und der lokalen und konfessionellen Faktoren in
der Strukturierung der Erinnerung. In Augsburg erschien das erste Schulbuch, das
ausschließlich den Dreißigjährigen Krieg behandelte,
anläßlich des Jubiläums von 1748 in Form von 91
katechismusartigen Fragen, die die Kinder aufsagen mußten. [22]
Die konfessionelle Interpretation der Westfälischen Verträge ist
offensichtlich ab der fünften Frage: Sie sind "Als de[r] Grund der
äusserlichen Ruhe und der gewissens-Freyheit, in Ubung unserer
Evangelischen Religion, die wir nun nach vielen vorhergegangenen
Bedrängnissen geniessen" anzusehen. In diesem Buch findet man auch die
grausamsten Bilder des Krieges. Die Kinder mußten auf die 46. Frage
über die Lage in Augsburg im Jahre 1635 antworten: "man traf in einigen
Häußern angeschnidtene Todten-Cörper an; andere
Häußer stunden gar leer, oder die Leute darinnen konten vor Hunger
weder stehen noch gehen, und erwarteten nebst ihren verhungerten Kindern, den
elendsten Tod. Man fand in den meisten Häußern daß die Leute
von Pferd- und Katzen-Fleisch auch Mäusen, und gesottenen Leder lebten
[...] Eine große Menge Burger, Innwohner und Soldaten, sturben vor Hunger
auf den Gassen dahin, und da zur Zeit der Schwedischen Einnehmung sich wol gegen
80000. Menschen zu Augspurg befunden, so waren jetzo kaum noch 18000.
Vorhanden".
Diese konfessionelle und lokale Prägung war weder auf die
Augsburger Lutheraner noch auf das 18. Jahrhundert beschränkt. Ein
bayerisches, 1853 erschienenes Schulbuch [23] zeigte als Illustration
des Dreißigjährigen Krieges: "Der baÿrische Feldherr Tillÿ
läßt unter die hungernden Bewohner Magdeburgs Brod vertheilen. Im
Jahre 1631". Bei dem Interesse, das der Dreißigjährige Krieg anfangs
des 19. Jahrhunderts wieder erweckte, und in der progressiven
Säkularisierung der Argumentation spielte die schnelle und tiefe Rezeption
der Wallenstein-Trilogie von Schiller eine wesentliche Rolle. So begann in einem
der in den fünften und sechsten Schuljahren meistbenutzten
Schulbücher [24] der Abschnitt über den
Dreißigjährigen Krieg mit den Worten: "Wer die ausführliche
Geschichte des höchst interessanten dreißigjährigen Krieges
lesen will, mag Schillers vortreffliches Werk [...] zur Hand nehmen"; der Stil
der Schulbücher nahm eine dramatische Form an, die Sätze wurden zu
Repliken, der Krieg war in Szenen aufgeteilt, die den Westfälischen Frieden
außer acht ließen. Die letzte Etappe in der Nationalisierung der
Erinnerung bestand in der Darstellung des Dreißigjährigen Krieges als
nationale Katastrophe im dritten Band der "Bilder aus der deutschen
Vergangenheit" von Gustav Freytag, der als Schulbuch vom siebten bis zum zehnten
Schuljahr diente.
Die gleichen Tendenzen
kennzeichnen die Entwicklung der Friedensfeste im 19. Jahrhundert. Ab Ende des
18. Jahrhunderts wurden ihre Kosten und ihre Polemik kritisiert; am 3. August
1796 ergriff der lutherische Teil des Augsburger Rates Maßnahmen, um den
Aufwand einzuschränken. 1806 nahm das hohe Friedensfest in Augsburg den
Namen "Toleranz- und Friedensfest" an, ohne jedoch seinen lutherischen Charakter
zu verlieren, und beschränkte sich auf den religiösen Inhalt,
während das Kinderfriedensfest zu einem Fest der lutherischen Schulen
wurde. In Coburg fand eine große Diskussion über die Frage statt, ob
man noch immer das Friedensfest, dieses Fest eines Reiches, das nicht mehr
existierte, feiern konnte. Man beschloß, es auch weiterhin zu feiern, es
aber nun "Religions- und Friedensfest" zu
nennen.
Die Erinnerung an den
Dreißigjährigen Krieg wurde nach 1815 von derjenigen an die
Befreiungskriege überdeckt und konzentrierte sich ab den 1830er Jahren auf
die Figur Gustav Adolfs. Man gedachte nun des lutherischen Kriegshelden und
nicht mehr des Friedens, und wenn 1748 noch eine Gedächtnisfeier des
Westfälischen Friedens stattfand, so gab es eine solche in den Jahren 1798
und 1848 nur noch ansatzweise. [25] Die simultane Entwicklung der
Friedensfeste ist gekennzeichnet durch ihre Nationalisierung, ihre
Militarisierung und durch die Infantilisierung. Die Kinderzeche von
Dinkelsbühl liefert das beweiskräftigste Beispiel für diese
Entwicklung: Ab Ende des 18. Jahrhunderts marschierten die Kinder bewaffnet.
Anläßlich der Gedächtnisfeier des Westfälischen Friedens im
Jahre 1848, die als Gedächtnisfeier der Kinderzeche bezeichnet wurde, macht
der Pfarrer Johann-Conrad Unold-Zangmeister in einer Chronik aus der Kinderzeche
ein Dankfest für Gustav Adolf, der die Stadt bedroht hätte, sich dann
aber durch die Fürsprache der Kinder hätte erweichen lassen und so die
Stadt vor der Vernichtung bewahrt hätte. Ab 1848 defilierten die Kinder in
Kleidern, die Kostüme der schwedischen Armee des Dreißigjährigen
Krieges darstellen sollten. 1868 waren die Kinder in einer Knabenkapelle
gruppiert und marschierten zu den Klängen einer "schwedischen"
Musik.
Im Herzogtum Sachsen-Coburg und Gotha wurde
der Ortsverein des bereits 1832 im Anschluß an die Gedächtnisfeier
von Lützen gegründeten Gustav Adolf-Werkes am 19. August 1845 in Gotha
ins Leben gerufen, am Tag des Coburger Friedensfestes. Er wurde durch Spenden
und durch den Erlös des Friedensfestes finanziert. Dieses schien dann nur
noch kümmerlich dahinzuleben, als ob es von diesem Moment an seine
konfessionellen und städtischen Triebfedern verloren
hätte.
Am Ende dieser Darstellung stellt sich
die Frage nach dem Einfluß der konfessionellen Kulturen auf die Erinnerung
an den Dreißigjährigen Krieg. Auf katholischer wie auf
protestantischer Seite versuchte man, den Einschnitt, den der
Dreißigjährige Krieg darstellte, zu überwinden, indem man sich
der Vergangenheit zuwandte. Aber im Rahmen einer tiefen Rezeption des
Tridentinischen Konzils verehrten die Katholiken eher die Heilige Jungfrau als
ein Gründungsdatum, während die Protestanten bedeutungsvolle Daten als
Aufhänger benutzen, um eine Tradition zu begründen. Die
"historisch"-lutherische Erinnerung war konfliktreich, hin und her gerissen
zwischen dem extrem Negativen (1629 in Augsburg) und dem extrem Positiven
(1632), das in Vergessenheit zu geraten drohte - "die Erinnerung besteht in dem
Vergessen" (Bergson). Die öffentliche Erinnerung an den Westfälischen
Frieden legitimiert die Gruppe; das Vergessen schützt sie. Für
Katholiken wie für Protestanten gibt es also ein Bedürfnis nach
Freude, aber hier das karnevalistische, vergeßliche Lachen, dort die
Ironie der Feier und die Sehnsucht, "der Schmerz der Nähe des Fernen"
(Heidegger).
ANMERKUNGEN
1.
Dieser Aufsatz stellt die ersten Ergebnisse einer Dissertation bei Prof. Dr.
Étienne François an der Universität Paris I-Sorbonne
dar.
2. "Il n'est pas de la Pais entre les Etats,
comme des réconciliations particulières [...] Et comment [...]
entretenir cette jalouzie si nécessaire, sans une mémoire
prézante des offances passées, qui conserve l'impression d'une
juste crainte [...]": "Devs Harangves panégyriqves, L'vne de la paix,
l'avtre de la concorde [...]", Amsterdam 1648, fol. A
5.
3. Inschrift während des Augsburger
Friedensfestes.
4. Lünig 1719, I, S.
57-65.
5. Herzog August Bibliothek
Wolfenbüttel: 10. 13 Pol. (82, 88, 98), Gk 2130 (44), 10. 10 Pol. (3-4,
21-22). Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg: Cd. 115.
194, 26.
6. Vgl. Möseneder
1983.
7. Herzog August Bibliothek
Wolfenbüttel: Gk 2116 (64).
8. Vgl.
François 1991.
9. Reise 1784, S.
101-109.
10. Stadtarchiv Augsburg: Reichsstadt,
Chroniken ad 17/III (Clemens Jäger), fol. 103
r.
11. Vgl. Jesse
1981.
12. Staats- und Stadtbibliothek Augsburg:
4o Cod. Aug. 134,
Chronik von Ludwig Haintzelmann, fol. 58 v-59
v.
13. Ebd., fol. 67 v-68
v.
14. Staats- und Stadtbibliothek Augsburg:
4o Cod. Aug. 238,
Diarium von Bartholomäus Beyer, fol. 136
v.
15. Stadtarchiv Augsburg: Evangelisches
Wesensarchiv 773.
16. Stadtarchiv Augsburg:
Evangelisches Wesensarchiv 505.
17. Stadtarchiv
Augsburg: Evangelisches Wesensarchiv 748 T. I.
18.
Vgl. Christell 1733, S. 103-107.
19. Staats- und
Stadtbibliothek Augsburg:
2o Cod. S 67, S.
8-11.
20. Wünscher 1925, S.
42f.
21. Nachricht von der Stadt Augspurg, o. O.
ca. 1705, Vorrede fol. 2 r-3 v.
22. Urlsperger
1748; Zitate S. 2, S. 23f.
23. Driendl 1853, S.
118-132.
24. Gailer 1839. Zitat S.
725.
25. 1748: Feierlichkeiten in Münster,
Osnabrück, Wittenberg, Aachen, Hamburg, Braunschweig, Amsterdam, Augsburg,
Lindau, Dinkelsbühl, Oettingen-Oettingen, Nürnberg, Schwäbisch
Hall, Kaufbeuren, Leutkirch, Lindau, Memmingen, Coburg, Ulm, Fürth. 1798:
Feierlichkeiten in Oettingen-Oettingen. 1848: Feierlichkeiten in
Dinkelsbühl.
© 2001 Forschungsstelle "Westfälischer Friede", Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, Domplatz 10, 48143 Münster, Deutschland/Germany. - Stand dieser Seite: 2. Mai 2002