Henrichshütte Hattingen

LWL-Industriemuseum | Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur

Menu

Die Wiege der europäischen Hüttenindustrie

Die Etrusker

Wir wissen wenig über dieses Volk, das zwischen 1000 und 500 v.Chr. einen Großteil Italiens beherrschte und dem Städte wie Mantua, Bologna oder Rom ihre Ursprünge verdanken. Eingewandert aus Kleinasien? Oder doch ein einheimischer Städtebund, der lediglich Sprache, Vorstellungen von Regierung und Religion sowie hüttentechnische Fertigkeiten teilte? Unumstritten ist dagegen, dass das halbe Jahrtausend etruskischer Vorherrschaft wirtschaftlich wie militärisch auf einem „eisernen Fundament“ stand.

Etruskisches Eisen

Um 800 v. Chr. besetzten Etrusker Elba und begannen mit dem Aufbau der Eisenverhüttung auf der ganzen Insel. Schwerpunkt war der Erz-Tagebau im Osten sowie der waldreiche Norden, der die Holzkohle lieferte. Die Griechen nannten Elba „Aithalia”, die Rauchende. Die Entwaldung Elbas führte im 6. Jahrhundert v. Chr. zur Verlagerung der Produktion auf das gegenüber liegen­de Festland. Die Bucht von Baratti bot einen natürlichen Hafen, Holzreichtum und Wasserkraft als Antriebsquelle.

Nun erfuhren Baratti und das Handelszentrum Populonia eine radikale Veränderung. Auch hier schwanden die Wälder. Unterhalb der Stadt, in der Nähe des Strandes, zeugten über Jahrhunderte aufwendige Gräber vom Reichtum der etruskischen Bürger. Jetzt standen Schmelzöfen und Schmieden zwischen Sarkophagen und Hügelgräbern, die allmählich unter einer bis zu 10m hohen Schlackeschicht verschwanden. Populonia wandelte sich zu einer Industriemetropole, geprägt von Rauch und Schlackebergen.

So könnte die Bucht von Baratti im 5. Jahrhundert v. Chr. ausgesehen haben: Im Vordergrund verschwinden Gräber unter Schlackebergen, dahinter werden Rennöfen gebaut, weiter hinten bereits im Betrieb. Durch eine mächtige Mauer geschützt Populonia. Im Hafen herrscht reges Treiben.

Graphik: Parco archaeologico di Baratti e Populonia

Die Waffenschmiede Roms

Seit dem 5. Jh. v. Chr. geriet Populonia durch den Zuzug finanzkräftiger Bürger unter römische Kontrolle. Diese allmähliche, gewaltfreie Übernahme verweist auf die Bedeutung des etruskischen Eisens auch für den römischen Handel und das Militär.

„Auch Städte können sterben ...“

Höhepunkt der populonischen Hüttenindustrie war die Ausrüstung der römischen Flotte im zweiten Punischen Krieg. Deren Siege 206 und 202 v. Chr. bedeuteten die Ablösung Karthagos als Hegemonial-Macht im westlichen Mittelmeer durch Rom. Damit endete Populonias Status als “Waffenschmiede” des Imperiums. Die Rüstungsproduktion konnte nun überall im Mittelmeer-Raum im Auftrag Roms preiswert und massenhaft erfolgen.

Der Wandel vom Stadtstaat zum Imperium Romanum stürzte Rom wirtschaftlich und sozial in die Krise. Bauern, Handwerker und einfache Bürger verloren während des Kriegsdienstes ihren Besitz an den Adel. Sklaven aus den besetzten Gebieten ersetzten die Lohnarbeit. Der Streit um Reformen führte in römische Republik in den Bürgerkrieg und letztlich in den Untergang. Der Adel setzte sich durch, Populonia stand auf der „falschen Seite“. Die Stadt wurde 80 v. Chr. belagert und erstürmt, ihre Elite hingerichtet, deren Güter beschlagnahmt.

Im Archäologie-Museum Populonia wird ein Haufen Klingen aus Baratti präsentiert. Museo archeologico del Territorio di Populonia, Foto LWL-Industriemuseum

Wildes Campen in den 1970ern

1970er Jahre: Zwischen den Pinien in der Bucht von Baratti wird „wild“ gecampt. Unter der Zeltstadt schlummern etruskische Gräber und Schmelzöfen im Boden. Gezeltet wird hier nicht mehr, dafür aber gegraben - häufig im Wettlauf mit dem Meer, das sich langsam aber sicher in den Archäologie-Park hineinarbeitet.

Museo archeologico del Territorio di Populonia

Beim Abbau der Schlacke tauchen 2500 Jahre alte Gräber wieder auf. Museo archeologico del Territorio di Populonia

Von diesem Schlag erholte sich Populonia nicht mehr. Um die Zeitenwende war Populonia eine Geisterstadt. Warum Populonia nicht wieder in alter Pracht aufgebaut wurde, wissen wir nicht. Die Stadt wurde als „Opfer der Globalisierung” beschrieben. Zudem müssen Jahrhunderte der Hüttenproduktion die Bucht von Baratti in eine lebensfeindlichen Raum verwandelt haben. Angesichts der Ruinen schrieb der römische Dichter Claudius Rutilio: “Auch die wichtigsten Städte können sterben.”

Rund 2.000 Jahre blieb Baratti unter Schlackebergen begraben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Abbau der eisenhaltigen Schlacke wirtschaftlich interessant. Groß war das Erstaunen, als Sarkophage und Ofen-Fundamente ans Licht kamen. Den schwunghaften Ausverkauf antiker Funde unterband erst Benito Mussolini. Heute ist Baratti ein archäologischer Park, der längst noch nicht alle seine Geheimnisse preisgegeben hat.

Follonica

Auf dem Parkplatz des Einkaufzentrums steht ein kleines Glashaus, darin in einem Meter Tiefe die Fundamente eines vorchristlichen Schmelzofens. Tatsächlich wurden auch in dem Küstenstädtchen Follonica, rund 30 km südlich von Populonia, bis etwa 500 v. Chr. Erze aus Elba verhüttet. 1543 kam Follonica unter die Herrschaft von Cosimo I. Medici. Eine Gießerei samt Schmiede und Hochofen entstanden, im Hafen wurde ein Eisen-Lager eingerichtet.

Unter Leopold II. erfolgte die Trockenlegung ausgedehnter Sumpflandschaften. Zuvor machte die Malaria weite Teile der Toskana unbewohnbar. Gewerbe, Handel, Kunst und politische Kultur erlebten eine Blütezeit. Die Eisengießerei wurde ausgebaut und durch die Hochöfen „St. Leopoldo” 1835 und „Maria Antonia” 1841 komplettiert. Erstmals kann von einer Hüttenindustrie in der Toskana gesprochen werden. Der Bedarf an Eisenbahnschwellen und vor allem Holzkohle für die Hochöfen führte zur Abholzung ganzer Regionen.

Mit der Toskana fiel auch die Eisengießerei 1861 unter dem Namen „Ilva” an das junge, geeinte Italien. Der Kunstguss aus Follonica machte die wachsende Stadt reich, bevor sie ihre industrielle Bedeutung allmählich an das nördlich gelegene Piombino verlor. 1960 endete die Produktion.
Allerdings verleugnet die Industriestadt ihr hüttentechnisches Erbe nicht. Als Sommerfrische für Florentiner und Sienesen und zunehmend auch für Ferntouristen erfand sich Follonica neu. Highlights dieses mittlerweile recht mondänen Badeorts ist der umgenutzte Anleger für Erzfrachter, das schmiedeeiserne Werkstor, die gusseiserne Kirche San Leopoldo, sowie die Gießerei selbst, die heute eine Bibliothek, eine Außenstelle der Universität Siena sowie das auf den Ruinen des Hochofen “Leopoldo” gewachsene Hüttenmuseum MAGMA beheimatet.

Die beiden Delphine, Wappen von Gießerei und Stadt, stehen heute für einen mondänen Badeort. Foto: LWL-Industriemuseum, Museums-Flyer

Die ehemalige Erzlandungsbrücke heute

Einst Stahlstadt, geriet Follonica mit Stilllegung von „Magona“ 1968 in eine schwere Krise. Die „stählere Vergangenheit“ wurde allerdings nicht eliminiert, sondern mit neuen Aufgaben „aufgeladen“. Die Landungsbrücke für Erz dient heute einem schicken Restaurant.

Foto: LWL-Industriemuseum, Museums-Flyer

Piombino

Das Meer ist tief bei Piombino und Elba ist gleich nebenan. Wer auf die Insel will, muss hier durch. Und das passt so gar nicht zu „Bella Italia”. Schon von weitem markieren die Kamine des Kraftwerkes ENEL, wohin die Reise geht. Der Weg führt vorbei an Kokereien, Hochöfen, Stahl-und Walzwerken, Gasbehältern und Arbeiterkolonien. Im Hafen prägen nicht nur Fähren das Bild, sondern auch Lager für Erz und Kohle. Augen zu und durch? Tatsächlich ist die Stadt eine heimliche Schönheit. Piombino, die „Bleierne“, entstand um einen natürlichen Hafen, den bereits die Römer nutzten, um Erze aus Elba zu löschen.

Neun Kilometer Stahl und Eisen

Erz und Hafen motivierten Alfred Novello 1864, hier ein Hüttenwerk unter dem traditionsreichen Namen „Magona” zu errichten. Mit Hilfe seines Freundes Henry Bessemer wurde hier der erste Flussstahl-Konverter Italiens betrieben. „Magona” stellte bereits 1866 die Produktion ein. Im gleichen Jahr wurde die Hütte „Perseveranza” (Beharrlichkeit) gegründet, wo 1875 der erste italienische Siemens-Martin-Stahl floss. Neun Kilometer lang ist die Straße Richtung Hafen. So verwirrend die scheinbar endlose Abfolge von Industrie, so komplex ist die Geschichte dieser neun Kilometer, die von Krisen, Umstrukturierungen, Besitzerwechseln, Stilllegungen und Neugründungen erzählt.

Etwas für sich steht das Röhrenwerk „Dalmine”, gegründet 1960. Es übernahm die Produktion des Stammwerkes in Follonica, das dort 1969 geschlossen wurde.

Gleichsam umwuchert von einem riesigen Hüttenwerk steht „La Magona d’Italia”. Der 1891 gegründete Betrieb expandierte als einziger italienischer Hersteller von Weißblech rasch. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte „Magona” die Stahlproduktion ein. Bis heute sind das Kaltwalzen, das Verzinken und Beschichten von Dünnblechen die Kompetenzen des Unternehmens. Ab 1998 ging „Magona” in nationalen, europäischen, letztlich globalen Strukturen auf und gehört seit 2006 zum „global player” ArcelorMittal. Aktuell steht die Frage im Raum, ob und in welcher Form sich der gut geführte Betrieb in dieser Struktur wird halten können...

Spaziergang vor stillgelegter Fabrik

Spaziergang abseits der Straße. Im Hintergrund der stillgelegte Hochofen AFO1, davor Häuser der Arbeitersiedlung Poggetto Cotone. Foto: LWL-Industriemuseum
Dekor an einem Fenstergitter: Frühes Logo der „fabbrica“. Foto: LWL-Industriemuseum

"La fabricca" - Die Fabrik

Fraglos dominiert „la fabbrica” die Küstenlinie Piombinos. Ihre Geschichte begann mit der Gründung der „Altiforni e fonderia di Piombinio” 1897. Die Stadt verdoppelte ihre Einwohnerzahl bis zum Ende des 19. Jh. auf 7.000, im Werk arbeiteten etwa 350 Menschen.

Die privatisierte „Ilva“ modernisierte nach 1945 die Produktion und konzentrierte sich auf die Herstellung von Schienen und Profilen. 1961 fusionierte „Ilva“ mit der Genueser Hüttenindustrie. „Italsider“ kontrollierte über die Hälfte der italienischen Eisen- und Stahlindustrie.

Ab 1965 wechselte das Unternehmen immer wieder die Trägerschaft und damit den Namen. Vielleicht sprechen deshalb die Hüttenwerker bis heute einfach von der „fabbrica“, der „Fabrik“. Investitionen in Hochofenanlage, Stranguss, Drahtwalzwerk und Edelstahlproduktion führen 1981 zum höchsten Mitarbeiterstand von über 7.800.

Ende?

Mitte der 1980er Jahre begann in der „Fabrik“ der Arbeitsplatz-Abbau bis auf 4.000 Beschäftigte. Unter dem Eindruck der Globalisierung des Hüttenwesens geriet auch die italienische Stahlindustrie unter Druck. Zeitweise wurde im Konzern über die Neukonzeption und Konzentration des Hüttenwesens in Piombino diskutiert.

Tatsächlich ging „Ilva“ 1998 endgültig in die private Hand von Luigi Lucchini über und wurde 2005 von der russischen „Severstal“ übernommen. 2013 folgte die Insolvenz, im Jahr darauf die Stilllegung von Hochofen AFO1. Im gleichen Jahr übernahm die algerische „Cevital“ die Insolvenzmasse. 2015 wurde die „Acciaierie e Ferriere Piombino (AFERPI)“ gegründet. Im Jahr darauf gliederte „AFERPI“ das „Filet-Stück“, den Logistik-Bereich samt Hafen, aus.

Während der Hafen erheblich ausgebaut wurde, stagnierte der Stahl-Bereich. Nurmehr 1.900 Menschen sind nach Stilllegung von Hochofen und Stahlwerk in der „Fabrik“ beschäftigt, vornehmlich mit der Herstellung von Schienen, teils seit Jahren in Kurzarbeit. Das Desinteresse von „Cevital“ am „Kerngeschäft“ Stahl zeigte sich 2017. „AFERPI“ drohte wegen Fristversäumnissen bei der Auslieferung von Schienen auf eine „schwarze Liste“ des Staates zu kommen, was noch verhindert werden konnte. Das „unzuverlässige Unternehmen“ hätte sonst seinen wichtigsten Kunden verloren.

Streik für "la fabbrica"

Von fast 8.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern runter auf unter 2.000. Besorgte Hüttenwerker streiken für ihre „fabbrica“, 2012.

Foto: Pino Bertelli, Archiv LWL-Industriemuseum

Foto: Robert Laube

Anfang?

Bereits 2007 wurde das EU-Projekt PIUSS „Integrierter Plan für nachhaltige Stadtentwicklung“ auf den Weg gebracht und 2010 präsentiert. Kernpunkt ist die „Città Futura“, die auf Brachflächen des Hüttenwerks neben der „Porta Urbana“ als Scharnier zur Altstadt Quartiere für Stahlgeschichte, Musik, Tanz und Wissenschaft sowie ein Bürger- und Einkaufszentrum vorsieht.

Während des Festivals „Social Foto Fest“ 2012 wurden die Ideen kontrovers diskutiert. Zwei Denkmuster standen sich gegenüber: Jene, die sich nach 3.000 Jahren von den eisernen Wurzeln der Toskana lösen wollen hin zu Wissenschaft, Kultur, Kommunikation und Tourismus. Und jene, für die ein Abschied vom Stahl keine Option ist, die eine Zukunft nur als Fortschreibung der „Eisenzeit“ akzeptieren.

Seither hat die Entwicklung Argumente für beide Positionen geliefert. Im August 2015 legte mit der „Saga Pearl II“ das erste Kreuzfahrtschiff in Piombino an, weitere folgten. Die Saison 2018 wurde im März mit der „Marella Spirit“ eröffnet. Die Stadt punktet mit Hafen-Kapazitäten, der Nähe zu Top-Reisezielen wie Florenz oder Siena, aber auch mit eigenen touristischen Netzwerken in die Region. Ebenfalls im März 2018 begann der Rückzug des Lebensmittel-konzerns „Cevital“ aus dem ihm wesensfernen Stahlgeschäft und die Übergabe an den indischen Stahl-„global player“ JSW.

Die Familie Jindal hat Investitionen in Walz- und Stahlwerke sowie die Übernahme von 1500 Mitarbeitern in Aussicht gestellt. Die Zukunft wird zeigen, ob Piombino eine „Renaissance“ des Stahls erlebt, oder – wie große Teile der europäischen Stahlindustrie – den Anfang vom Ende seiner Eisenzeit erlebt.

Mut zum Wandel

3.000 Jahre Eisenzeit verliefen in der Toskana nicht ohne Konjunkturen und Brüche. Jahrhunderten voller Arbeit, Wohlstand und Kultur folgten Jahrhunderte des „Schweigens der Hämmer”. Folgen waren Armut, kultureller Niedergang und freier Fall in die Bedeutungslosigkeit. Mit der Stilllegung des Erzbergbaus auf Elba 1981 hat die Region ein wesentliches Argument als Stahlstandort verloren. Doch selbst das muss nicht so bleiben, denn Elba verfügt nach wie vor über die größten europäischen Magnetit-Vorkommen mit Eisengehalten von über 70 Prozent.

Allerdings ist es kaum vorstellbar, dass sich die „Ilvaner“ heute, vor die Wahl zwischen Bergbau-Wüsten und Touristen-Paradies gestellt, für die Wüste entscheiden würden. Vielmehr sind Mineralien und Bergbau-Museen heute geschickt eingebaute Mosaiksteine im Angebot der touristischen Erlebnisregion Elba.

Tatsächlich muss eine verantwortungsvolle Politik für die Menschen hier und heute wirken, ihre Ängste und Wünsche aufnehmen. Die Menschen dürfen nicht auf dem Weg aus eiserner Gegenwart in eine bunte Zukunft vergessen werden. Zukunft braucht Herkunft. Allerdings sollten die Menschen auch nicht darauf hoffen, dass alles so bleibt, wie es ist, oder damit rechnen, dass alles wieder so wird, wie es war. Beides sind für die heute lebende Generation ungedeckte Schecks. Herkunft braucht auch Zukunft. Wer nur auf Tradition und Produktion pocht, läutet auf absehbare Zeit wieder eine Epoche des Niedergangs ein. Die globalen Trends der Stahl-Wirtschaft lassen es wenig wahrscheinlich erscheinen, dass Stahl an den altindustriellen Standorten einer grandiosen Zukunft entgegen geht.

Nichts spricht dagegen, die aktuellen Signale aus Indien zu nutzen. Dadurch gewinnt man Zeit, aber keine Zukunft.

Diese Herausforderung findet wohl weder in Ackerbau und Viehzucht, noch in Bergwerk und Hütte statt. Ihre Felder heißen eher Kommunikation und Erlebnis, Kultur und Tourismus.

Der Auftrag heißt auch in der Toskana: Erfinde Dich neu!

Foto: Robert Laube