[ Start | Kultur | Familie | Ehe | Lexika-Definitionen der Ehe ]
   
  zurück
Auszug aus: Barbara Stollberg-Rilinger, Liebe, Ehe und Partnerwahl in Westfalen um 1800. Geschlechterverhältnisse im Wandel, in: „Zerbrochen ..., S. 241:


„Die Ehe ist „ein bürgerlicher Stand, in welchen zwey Personen von unterschiedlichem Geschlechte mit ein ander treten, und sich verbinden, ihre Liebe zu Vermehrung des menschlichen Geschlechts einander alleine zu wiedmen, damit sie diese aus solcher Verbindung zu hoffenden Kinder, gewiß vor die ihrigen mögen erkennen, und sie sodann zum Nutzen der menschlichen Gesellschafft wohl erziehen können“ – so heißt es in Zedlers „Universal-Lexicon“ von 1734. Der „Brockhaus“ von 1820 hingegen definiert Ehe kurz und bündig als „die lebenslängliche Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts unter dem Schutze des Staates, [die] in ihrer Vollkommenheit auf Liebe beruht“.
Offenbar verstand man unter „Ehe“ um 1730 etwas anderes als um 1820. Gemeinsam ist den beiden Definitionen, daß es sich um eine Verbindung zwischen Personen zweierlei Geschlechts handeln muß. Damit enden aber auch die Gemeinsamkeiten. Zwar ist in beiden Zitaten von Liebe die Rede, aber in sehr unterschiedlichem Sinne. Bei Zedler ist die Liebe nicht Grund und Motiv der Ehe, sondern umgekehrt: die Ehe ist definiert als Einrichtung zur Fortpflanzung und zur Aufzucht legitimer Kinder und damit letztlich zum Nutzen der ganzen Gesellschaft – und dieses Ziel erfordert es, daß die Ehepartner einander ausschließlich ihre „Liebe“ widmen.
Im Brockhaus hingegen – knapp 100 Jahre später – ist die Liebe umgekehrt der Grund der Ehe, jedenfalls im Idealfall, und dieser Idealfall wird hier der Definition zugrundegelegt. Nicht nur der Stellenwert der Liebe in der Ehe ist völlig verschieden, sondern auch das Verhältnis zwischen Ehe und Gemeinwesen. Dient die Ehe bei Zedler dem gemeinen Nutzen, so ist es bei Brockhaus umgekehrt der Staat, der der Ehe zu dienen und sie seinem Schutz zu unterstellen hat. Offenbar hatte sich in der Zeit zwischen diesen beiden Artikeln etwas Fundamentales geändert. Die beiden Zitate werfen ein Schlaglicht auf den grundlegenden Wandel in den Jahrzehnten um 1800 – der eben nicht nur ein Wandel der politischen Verfassung, der territorialen Ordnung, der wirtschaftlichen Strukturen war, sondern – langfristiger und schleichender, aber nicht minder fundamental – auch ein Wandel des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern.“

Zum Seitenanfang 
 
Der LWL -  Freiherr-vom-Stein-Platz 1 -  48133 Münster -  Kontakt -  Impressum