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Aus: Hildegard Westhoff-Krummacher, Johann Chrstoph Rincklake – Westfalens Gesellschaft um 1800, Münster 1984, S. 56f:


„In der Begegnung mit der Antike fand Rückbesinnung auf die eigene Vergangenheit, fand Selbstbesinnung statt. Sie bot Befreiung von einem Jahrhundert, das sich überlebt hatte, und eröffnete Hoffnungen auf neue menschlichere Verhältnisse. Hier sah man Vollkommenheit überall – ein natürliches Leben, eine natürliche Gesellschaft, politische Freiheit und Gleichheit, republikanische oder demokratische Verhältnisse. Die Kontaktaufnahme mit der Antike war aber auch Inanspruchnahme eines kirchlich unbevormundeten Freiraums des Denkens. Sie bot die Möglichkeit einer neuen Daseinsüberhöhung, die Schönheit, Würde, ‚edle Einfalt und stille Größe‘, sittlichen Adel, wahre Humanität und Freiheit einschloß. Was immer man unter Antike verstand, man nahm sie zu seiner Selbstfindung und –steigerung in Anspruch. Jeder fand das seine, der Adel wie das Bürgertum!

In diesem Umfeld des Fühlens und Denkens erfaßten die Triebkräfte der Mode die Menschen und die Dinge des Alltags. Ob Zuckerdosen, Öfen, Tintenfässer oder Grabmäler, alles nahm die Gestalt antiker Vasen, Urnen, Säulen oder Dreifüße an. Man genoß den Mäander am Mützenband und die Handtasche in Urnenform, die Darstellung der Andromache auf der Teekanne und die Apotheose Homers auf der Kaffeekanne. Da konnte das Bildnis nicht unberührt von dieser Antikenbegeisterung bleiben. Die Damen erscheinen in hochgegürteten weißen oder pastellfarbenen Kleidern ‚à la grècque‘. Man trennt sich von Federn, Schleifen und Volants, von Hüten und Hauben, und zeigt sein natürlich fallendes Haar. Einige folgen der neuen Mode vorbehaltlos, andere mit westfälischen Einschränkungen. ...
 
Vier Herren in modischer Männerkleidung und mit antikisierender Titusfrisur, 1801-1810
Vier Herren in modischer Männerkleidung und mit antikisierender Titusfrisur, 1801-1810:

Oben links
Max Friedrich Druffel, um 1802
Gemälde (Öl auf Leinwand) von Johann Christoph Rincklake
60,4 x 47,9 cm
Privatbesitz
Foto: WLMKuK Münster

Oben rechts
Johann Christoph Schlüter (1767-1841), Professor für deutsche Sprache an der Universität in Münster, 1808
Gemälde (Öl auf Leinwand) von Johann Christoph Rincklake
60 x 48,1 cm
WLMKuK Münster, Inv.Nr. 1698 LM
Foto: WLMKuK Münster, Sabine Ahlbrand-Dornseif

Unten links
Jérôme Napoléon, König von Westphalen, um 1810
Kupferstich von Gotthelf Wilhelm Weise nach einem Gemälde von Salomon Pinhas
46,6 x 30,4 cm (Blatt)
WLMKuK Münster, Inv.Nr. C-506717 PAD
Foto: WLMKuK Münster, Sabine Ahlbrand-Dornseif

Unten rechts
Joseph Coppenrath, Ausschnitt aus einem Familienbild des Buchhändlers Joseph Heinrich Coppenrath, 1807
Gemälde (Öl auf Leinwand) von Johann Christoph Rincklake
124 x 132 cm (Familienbild)
Privatbesitz
Foto: WLMKuK Münster

 
[...]

Die Männer beteiligten sich kaum an dieser Mode. Nur einige modisch aufgeschlossene Westfalen wie Max Druffel oder Professor Sprickmann-Kerkerinck trugen die Haare in kleingelockter ‚Titus-Frisur‘. Vielleicht stellte man damit seine freiheitlich republikanische Einstellung zur Schau. Sonst trug man seine althergebrachten Röcke. Dafür entwickelten die Herren aber ein mehr innerliches Griechentum. Nach den Bestellbüchern des münsterschen Buchhändlers Friedrich Theising las man Oliver Goldsmiths Geschichte der Griechen und Römer, Platon und Homer und büffelte Latein und Griechisch. An Ablehnung des Französischen als Sprache des Adels und der Höfe bemächtigte sich das Bürgertum der alten Sprachen zum Nachweis seiner philosophischen, historischen und politischen Horizonterweiterung, seiner Gelehrsamkeit und Bildungsfähigkeit. Die Kenntnis der alten Sprachen wurde zum Mittel der sozialen Emanzipation. So wird auch die Mode à la grècque dem Bürgertum um 1800 mehr bedeutet haben als nur äußere Gewandung. In der Aneignung der Antike vollzog sich der Aufstieg des Bürgertums!“

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