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„Die öde Gegend wurde zum Lustgarten umgeschaffen; er baute hier drey ungemein große Fabrikhäuser, Farbmühlen, Farbhäuser, Privatwohnungen für Fabrikarbeiter jeder Art. Kurz, Cromford stehet nun als eine sehr ansehnliche Colonie, und als die schönste Landpartie des ganzen Herzogthums dar.“
 
Quelle: Westfälischer Anzeiger, Nr. 13, vom 15.2.1803.



 
Aus: Michael Schumacher, Cromford als Ensemble. Die Raumordnung der „ersten Fabrik des Kontinents“ im industriegeschichtlichen Wandel, in: „Die öde Gegend wurde zum Lustgarten...“, S. 34-67, S. 62/63:


„In seiner Gründungsphase repräsentierte das Ensemble – insbesondere aufgrund der sozial-räumlichen Kombination von Herrenhaus und Fabrik – die Dominanz der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Macht über die Produktionsbedingungen; nicht die Architektur der Fabrik, sondern die des Herrenhauses prägte in dieser Zeit das Bild des Geländes. Der schloßähnliche Baukörper ist Stein gewordene Repräsentation, ist symbolische Demonstration gesellschaftlicher Geltung, ist Herrschaftsarchitektur.

Dieser Eindruck wird noch überboten durch den wohl ostentativ, wenngleich nicht aufdringlich inszenierten Einklang von wirtschaftlicher Produktivität, kultiviertem ‚Geschmack‘ und natürlich-artifizieller Park- und Gartenlandschaft, wie denn ‚Harmonie‘ stets ein zentrales Stichwort für Cromford gewesen ist; auch die enge Nachbarschaft von Herrenhaus, Fabrikanlagen und Arbeiterwohnungen signalisiert ja genau dieses: Eintracht und sozialen Frieden zwischen Kapital und Arbeit sowie Einheit des Lebenszusammenhangs.

Erweitert man diesen ‚soziologischen Blick‘ auf das Ensemble um eine ökologische Perspektive, so drängt sich vor allem der Eindruck eines ‚behutsamen‘ Umgangs mit den natürlichen Gegebenheiten der Landschaft auf: Die räumliche Organisation der Anlage orientierte sich – freilich nicht primär aus ökologisch motivierter Rücksichtnahme, sondern aufgrund technisch-ökonomischer Erfordernisse, insbesondere der Energiegewinnung durch die Wasserkraft der Anger – an den Vorgaben der Umwelt. Dennoch handelte es sich bei dem Cromforder Ensemble nie um eine ländlich-beschauliche Idylle im engeren Sinne, sozusagen um ein Arkadien im Bergischen Land, sondern stets um eine primär nach funktionalen Gesichtspunkten gestaltete Kulturlandschaft. Die Dominanz des rechten Winkels in der ganzen Anlage macht dies ja hinreichend anschaulich, wenngleich hierin sicherlich auch Anleihen am ‚regelmäßigen Stil‘ des Barock zu sehen sind.

Daß die Werksbesucher – und zwar bis ins 20. Jahrhundert hinein – dennoch häufig von einer ‚Idylle‘ gesprochen haben, hat, wie ich zu zeigen versucht habe, vor allem mit der ‚insularen‘ Lage der Fabrik im Angertal und der Tatsache zu tun, daß Cromford, vor allem im Vergleich mit anderen Werksgeländen, immer, selbst in den Zeiten der größten räumlichen Expansion, durch den ländlichen Rahmen den Eindruck der Versöhnung von Industrie und Natur erweckte. Der artifizielle Wildwuchs des englischen Gartens und die anderen Parkanlagen trugen zu dieser Wirkung das ihre bei. Wenn es etwas derartiges denn geben könnte, dann könnte man Cromford vielleicht als ‚ländlich-technische Idylle‘ bezeichnen.

Wenngleich der Landschaftsrahmen in seiner Grundstruktur in der Folgezeit zunächst unangetastet geblieben ist, haben sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Gewichte doch erheblich verschoben: Immer noch stand zwar das Herrenhaus – topographisch vielleicht sogar noch deutlicher als zuvor – im räumlichen Zentrum des Geländes, dennoch wirkte es in dieser Phase wie an den Rand gedrückt von den mächtigen Shedhallen der Weberei und Spinnerei, von dem hochaufgeschossenen Wasserturm und dem alles überragenden qualmenden Kamin, um den herum die Produktionsanlagen im Dreiviertelkreis gruppiert waren. Aus dem ‚Schloßpark mit Fabrik‘ war jetzt ein ‚Werksgelände‘ im eigentlichen Sinne des Wortes geworden.

Dessen Mittelpunkt bildete – den Augen freilich in einem nüchternen Zweckbau verborgen und somit im eigentlichen Sinne ‚unanschaulich‘ – die Anlage zur Energieerzeugung. Die von den Shedhallen in der Horizontalen, von Fabrikschlot und Wasserturm in der Vertikalen markierten Dimensionen sprengten deutlich sichtbar den Maßstab der älteren Gebäude.

Ausgelöst wurde diese Veränderung in technischer Hinsicht durch die Anwendung der Dampfkraft, die eigentliche Ursache liegt freilich tiefer: Wir werden in der historischen Rückschau Zeugen eines gravierenden Wandels im Verhältnis der industriellen Zivilisation zur Landschaft, zur Natur, zur Umwelt. Diese galten jetzt als nahezu beliebig nutzbar, sie waren zu ausbeutbaren Ressourcen geworden, verdinglicht, verfügbar. Während die ursprüngliche Werksanlage sich noch nach den natürlichen Gegebenheiten des Geländes richtete, zu richten hatte, war man jetzt von allen Rücksichtnahmen ‚befreit‘. Wenn der Betriebszweck es erforderte, wurden da, wo ehemals Gärten waren, Fabrikanlagen errichtet, wurden vermeintlich störende Bäume abgeholzt, um die industriellen Zweckbauten zu ‚schützen‘.

Mit der Stillegung des Betriebes und der Umnutzung des Geländes in einen ‚Wohnpark plus Industriemuseum‘ wurden und werden schließlich in jüngster Zeit die Akzente wieder völlig neu gesetzt: Die optisch anschauliche Präsenz der industriegeschichtlichen Vergangenheit Cromfords wird nahezu vollständig getilgt; von den ehedem etwa dreißig gewerblich genutzten Bauten bleibt nur ein einziger erhalten. Glücklicherweise stand ein Ende als trostlose Industriebrache nie zur Debatte. Die exzeptionelle Attraktivität des Cromforder Geländes konnte in einer Stadt, deren ‚wichtigstes Charakteristikum‘ nach Aussage ihres damaligen Stadtdirektors auch in Zukunft ‚der hohe Freizeitwert bleiben‘ wird, und in einer Zeit, in der hochwertige Wohnungen mit dementsprechendem Ambiente verstärkt nachgefragt werden, nicht unbemerkt bleiben. So wurde Cromford konsequent zum noblen Wohngelände umgestaltet und mit seinen Park- und Grünanlagen zugleich zu einer Perle des Ratinger Naherholungsgürtels.

Ironie oder Konsequenz der Geschichte? Aus dem über fast zwei Jahrhunderte lang als Idylle wahrgenommenen Industrieensemble Cromford scheint am Ende in der Tat eine richtige Idylle, fast ist man geneigt zu sagen: eine postindustrielle ‚Bilderbuch-Idylle‘ zu werden. Doch dieser äußere Eindruck täuscht. Dafür, daß die bedeutende Industriegeschichte Cromfords nicht völlig in Vergessenheit gerät, und dagegen, daß ein herausgeputztes Herrenhaus allenfalls noch nostalgische Reminiszenzen aufkommen läßt, steht die Umwandlung des historischen Kernensembles in ein Industriemuseum. Dieses wird auch die weniger idyllischen Seiten des Industrialisierungsprozesses zur Anschauung bringen, die sich in den Arbeitsbedingungen wie im Alltagsleben der Arbeiterschaft, in der Unternehmergeschichte wie in der technischen Entwicklung dokumentieren – nicht zuletzt aber auch in der aufregend wechselvollen Geschichte dieser Industrielandschaft.“


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