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Karl Freiherr vom Stein als preussischer Staatsminister 1804, Gemälde von Johann Christoph Rincklake
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Die Nassauer Denkschrift des Freiherrn vom Stein, 1807


Gliederung:
I. Änderungen in der Verfassung der Departementsministerien [...]

II.Kassenwesen [...]

III. Umbildung der Provinzialbehörden, insbesondere hinsichtlich der Beteiligung der Stände oder gewissen Korporationen an der Verwaltung:
A. Gefahren des besoldeten Beamtentums der Landeskollegien; Vorteile der Heranziehung von Eigentüern zu Landesverwaltung; Vortrefflichkeit zweckmäßig gebildeter Stände z. B. als Organ der öffentlichen Meinung.
B. Organisation der Teilnahme der Eigentümer an der Provinzialverwaltung
1. Bei ländlichen Kommunen etwa nach dem Vorbild der schlesischen Verfassung;
2. bei Städten treten an die Stelle permanenter, besoldeter Magistrate unbesoldete, nur auf 6 Jahre gewählte; ihnen sind Stadtverordnete beizuordnen.
[...]
C. Vereinfachung des Provinzialkassenwesens - Vorteile der vorgeschlagenen Organisationsänderungen [...]

IV. Anwendung des Abschnitts III auf die polnisch-preußischen Provinzen [...]

 
(III. A.)
"Die Einrichtung der Provinzialverwaltung hatte im Preußischen Staat sehr verschiedene Formen; in vielen Teilen desselben, und zwar in den deutschen Provinzen, waren neben den Kammern Stände oder Korporationen von gewissen Klassen der Eigentümer; andere, namentlich Schlesien und Neupreußen, wurden ausschließlich von Landeskollegien verwaltet. Einige Stände hatten einen tätigen Anteil an der Landesverwaltung. Sie wurden über Gesetze und Provinzialverfassung zu Rate gezogen, sie verwilligten Abgaben zu Provinzialbedürfnissen, sie übten eine gewisse Kontrolle über Geldverwendung und Geschäftsführung der Landeskollegien und hatten eine regelmäßig organisierte Verfassung. Dieses war der Fall im Clevischen, im Märkischen, der Kurmark und Pommern; in anderen Provinzen waren ihnen die Hauptzweige der Staatsverwaltung übertragen, z.B. dem Administrationscollegio in Ostfriesland, oder nur einzelne, z. B. die Feuersozietät, das Armenwesen, oder sie waren selbst Mitglieder der Landeskollegien, z.B. im Geldrischen.
Bei dieser großen Verschiedenheit der Provinzialverfassungen entsteht die Frage, welche derselben den Vorzug vor den andern verdiene.
In die aus besoldeten Beamten bestehenden Landescollegia drängt sich leicht und gewöhnlich ein Mietlingsgeist ein, ein Leben in Formen und Dienstmechanismus, eine Unkunde des Bezirks, den man verwaltet, eine Gleichgültigkeit, oft eine lächerliche Abneigung gegen denselben, eine Furcht vor Veränderungen und Neuerungen, die die Arbeit vermehren, womit die bessern Mitglieder überladen sind und der die geringhaltigern sich entziehen.
Ist der Eigentümer von aller Teilnahme an der Provinzialverwaltung ausgeschlossen, so bleibt das Band, das ihn an sein Vaterland bindet, unbenutzt, die Kenntnisse, welche ihm seine Verhältnisse zu seinen Gütern und Mitbürgern verschaffen, unfruchtbar; seine Wünsche und Verbesserungen, die er einsieht, um Abstellung von Mißbräuchen, die ihn drücken, verhallen, oder werden unterdrückt, und seine Muße und Kräfte, die er dem Staat unter gewissen Bestimmungen gern widmen würde, werden auf Genüsse aller Art verwandt oder in Müßiggang aufgerieben. [...]
Man tötet also, indem man den Eigentümer von aller Teilnahme an der Verwaltung entfernt, den Gemeingeist und den Geist der Monarchie, man nährt den Unwillen gegen die Regierung, man vervielfältigt die Beamtenstellen und verteuert die Kosten der Verwaltung [...]
Wie wichtig es ist, dem Eigentümer, und zwar aller Klassen, einen Anteil an der Provinzial- und Munizipalverfassung zu übertragen, ihm die Verrichtungen anzuvertrauen, die anderwärts der besoldete Beamte verrichtet, [...]

Auch meine Diensterfahrung überzeugt mich innig und lebhaft von der Vortrefflichkeit zweckmäßig gebildeter Stände, und ich sehe sie als ein kräftiges Mittel an, die Regierung durch die Kenntnisse und das Ansehen aller gebildeten Klassen zu verstärken, sie alle durch Überzeugung, Teilnahme und Mitwirkung bei den National-Angelegenheiten an den Staat zu knüpfen, den Kräften der Nation eine freie Tätigkeit und eine Richtung auf das Gemeinnützige zu geben, sie vom müßigen sinnlichen Genuß oder von leeren Hirngespinsten der Metaphysik oder von Verfolgung bloß eigennütziger Zwecke abzulenken und ein gut gebildetes Organ der öffentlichen Meinung zu erhalten, die man jetzt aus Äußerungen einzelner Männer oder einzelner Gesellschaften vergeblich zu erraten bemüht ist.

(III. B.)
Hat man sich von dieser Wahrheit überzeugt, daß die Teilnahme der Eigentümer an der Provinzial-Verwaltung von den wohltätigsten Folgen sei, so muß man nun seine Aufmerksamkeit richten auf die Bestimmung der Geschäfte, die ihnen übertragen werden sollen, und auf die Form der Organisation sowohl der Kommunal- als der Provinzial-Behörden.
(1.) [...]
(2.) Die Städte besitzen zwar Wahl-Magistrate, die besoldet, permanent und mit dem Wahlrecht versehen sind, sie haben aber alle den Nachteil der besoldeten Kollegien, und an ihre Stelle würden von der mit Häusern und Eigentum angesessenen Bürgerschaft gewählte Magistrate, alle 6 Jahr erneuert, ohne Gehalt, errichtet; nur der Rendant erhielte eine Besoldung und bliebe auf Lebenszeit.

Die gewählten Magistratspersonen erhielten ihre Bestätigung vom Staat, der in den großen, über 3000 Seelen habenden Städten zu besoldeten Stadt-Direktoren aus drei von der Bürgerschaft präsentierten Subjekten wählte.
Die Zahl der Magistratsmitglieder richtet sich nach der Bevölkerung der Stadt, und ihnen sind noch Stadtverordnete oder Bürgerschafts-Deputierte, die zu außerordentlichen Deliberationen, als Rechnungsabnahme, Vererbpachtung der Grundstücke usw. zugezogen werden, beizuordnen.
Die Geschäfte, welche den Magistraten und den Dorfgerichten unter Aufsicht der Provinzialkollegien übertragen werden, sind:
1. Verwaltung des Gemeinde-Vermögens, der zum öffentlichen Unterricht, Wohltätigkeit und sonstigen öffentlichen Kommunitäts-Bedürfnissen bestimmten Anstalten;
2. Verwaltung gewisser Zweige der niedern Gerichtsbarkeit, z.B Bagatellsachen, Feldfrvel usw.
3. Örtliche Polizei.
Die Etats- und Rechnungsverhandlungen über Kämmerei-, Armen-, Kirchen- und Gemeindevermögen müssen öffentlich in der Gegenwart der Stadtverordneten geschehen, [...].

(III. C.)
Die vorgeschlagene Abänderung in der Magistratsverfassung erleichtert die Kämmereien beträchtlich, wenn man erwägt, daß in jedem Magistratscollegio der 1000 Städte des Preußischen Staats im Durchschnitt an Gehältern der Ratsherren usw. 200 Tlr. gespart werden und hierdurch eine Minderausgabe von 200.000 Tlr. für das Kämmereivermögen erlangt werden kann.
Ersparung an Verwaltungskosten ist aber der weniger bedeutende Gewinn, der erhalten wird durch die vorgeschlagene Teilnahme der Eigentümer an der Provinzialverwaltung, sondern weit wichtiger ist die Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinns, die Benutzung der schlafenden oder falsch geleiteten Kräfte und der zerstreut liegenden Kenntnisse, der Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen und denen der Staatsbehörden, die Wiederbelebung der Gefühle für Vaterland, Selbständigkeit, Nationalehre."
 
Aus: Georg Winter, Die Reorganisation des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg, 1. Teil: Allgemeine Behördenreform, Bd. 1, Leipzig 1931, S. 189-206, hier S. 189-190 (Gliederung), S. 197-200 (Text).
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