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[Arnold Mallinckrodt], Am Seculartage. Eine Skizze, in: Westfälischer Anzeiger vom 2.1.1801:


„Wir stehen an einem wichtigen Zeitpunkte! Ein Jahrhundert ist an uns vorübergerauscht; die Zeit, die das Leben und den Tod alles Endlichen umfasset, hat es begraben. – Es ist ein weites Grab, das Jahrtausende umschließt, es deckt die stolzen Denkmähler menschlicher Größe. – Eine kurze Spanne Zeit im Schleyer der Vergangenheit steht das verflossene Jahrhundert vor unserer Erinnerung, lange hundert Jahre dunkler Zukunft liegen entfernt vor uns; wir stehen in der Mitte. Sey uns der Zeitpunkt gesegnet!

Reich an merkwürdigen Ereignissen, an großen Begebenheiten war das entfloßene Jahrhundert, so weit die bekannte Geschichte reicht, gewiß eins der wichtigsten. Des Angenehmen, Guten, Edlen, Großen war viel; aber in buntem Gemisch fanden sich auch die weniger erfreulichen Gefährtinnen auf dem Pfade des Lebens ein. Mit Krieg hub es an, Krieg war das öftere Losungswort, mit Krieg, einem grausen, fürchterlichen Kriege endete es. Königreiche sahen wir entstehen, Königreiche zertrümmern; Könige wurden gemordet, eine Königliche Familie sahen wir auf dem Blutgerüst. Staatsverfassungen, die in die graue Vorwelt reichten, wurden gewaltsam umgewälzt, und den Herrschern dieser Welt schien ein allgemeiner Untergang geschworen. Wir sahen Greuel tausendfacher Art, wovor die Menschheit schaudert, welche die Nachwelt unglaublich finden wird. Menschen wurden zu Tiegern, Millionen wurden Schlachtopfer menschlicher Grausamkeit. Eine allgemeine Gährung in der physischen und moralischen Welt trat ein, eine Menge von Keimen wurde entwickelt, welche vielleicht, ja wir dürfen es wohl mit Gewißheit erwarten, welche im kommenden Jahrhundert reiche, die Menschheit beglückende Früchte treiben werde. Wir bemerken eine allgemeine Revolution im Denken, die Fesseln des Schlendrians sind zerbrochen, an die Stelle der trägen Behaglichkeit im alten, ungeprüften Geleise und bei ergrauten Vorurtheilen ist ein allgemeines Streben und Treiben und Wirken getreten, Denken über Alles ist die allgemeine Losung geworden. Freilich nehmen wir hier viele Absprünge wahr, so wie die Extreme überhaupt bei den Menschen einander so nahe liegen; aber das kommende Jahrhundert wird uns auf den richtigen Mittelweg hinführen, und gewiß blühen dann der Seegen und die Würde der Menschheit.

Westfalen ging im verflossenen Jahrhundert im Ganzen einen ziemlich ruhigen Gang. Reich war es eben nicht an Begebenheiten, welche die Weltgeschichte groß nennet, aber es wirkte ohne prunkvolles Geräusch still in sich selber, stark und männlich. Groß waren Seine Fortschritte in Cultur, viel sind der Verbesserungen aller Art, dabei erhielt Es Einfachheit und Reinheit der Sitten mehr, als die Provinzen Deutschlandes, welche Ihr Haupt stolz über uns emporheben. lange sahe das übrige Deutschland aus einmal vorgefaßter Meinung auf Westfalen herab – aber kommt zu uns, weilet unter uns, vergleichet eure Einrichtungen, eure Lebensweise, euern Wohlstand, eure Menschen in allen Ständen und mit den Unsrigen, und wir werden uns der Vergleichung nicht schämen dürfen. – Lernet Ihr selbst, biedere Bewohner Westfalens, lernet selbst nur euer Vaterland in seinem Ganzen kennen; bietet, edle Männer Westfalens, einander die Hand, machet euch selbst und das übrige Deutschland mit dem Guten aller Gegenden bekannt, knüpfet ein engeres Band zwischen Westfalens sämmtlichen Provinzen, fachet an immer mehr und nähret den Gemeingeist, diese Triebfeder, die den Menschen zu heben und so viel zu leisten vermag: und das übrige Deutschland wird unser Vaterland achten. Dahin gehe dann unser Streben im neuen Jahrhundert; unser Vaterland ehrwürdig, seine Bewohner besser und glücklicher zu machen, sey Aller Ziel. Eine gesetzte, bescheidene Publicität vermag hier viel, sie ist die sichere Beförderinn des Staaten-Wohls und Bürgerglücks, sie ist es, die die Kräfte im Menschen regt, entwickelt und veredelt –. Der Westfälische Anzeiger knüpfe jenes nähere Band, er sey das Organ dieser Publicität.

Jahrhundert, das wir beginnen, sey uns gegrüßet! Bringe Heil und Seegen über die Menschen! Bald, bald müsse das Waffengeklirr vertönen, und Friede dann deine lange Dauer bezeichnen. Werde das Jahrhundert, welches die Nachwelt Vorzugsweise das humane und helle nenne. Hoch steige auf der Staffel sittlicher Cultur und wahrer, beglückender Aufklärung die Menschheit! Und du, Westfalen, süßes Vaterland, nimm eine glänzende Stelle ein unter deinen Brüdern, werde ehrwürdig und groß; gut und edel seyen deine Bewohner, es werde ein Stolz, Dir anzugehören, und man nenne gebildete, glückliche Menschen – Westfälinger!“

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