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Auszüge aus der 'Rigaer Denkschrift' des Ministers Hardenberg 1807


Karl Freiherr von Hardenberg
"Über die Reorganisation des Preußischen Staats, verfaßt auf höchsten Befehl Sr. Majestät des Königs",
Riga, 12. September 1807

I. Allgemeine Gesichtspunkte.
„Die Begebenheiten, welche seit mehreren Jahren unser Staunen erregen und unserem kurzsichtigen Auge als fürchterliche Übel erscheinen, hängen mit dem großen Weltplan einer weisen Vorsehung zusammen. Nur darin können wir Beruhigung finden. Wenngleich unserem Blick nicht vergönnt ist, tief in diesem Plan einzudringen, so läßt sich doch der Zweck dabei vermuten: das Schwache, Kraftlose, Veraltete überall zu zerstören und nach dem Gange, den die Natur auch im Physischen nimmt, neue Kräfte zu weiteren Fortschritten zur Vollkommenheit zu beleben.
Der Staat, dem es glückt, den wahren Geist der Zeit zu fassen und sich in jenen Weltplan durch die Weisheit seiner Regierung r u h i g hinein zu arbeiten, ohne daß es gewaltsamer Zuckungen bedürfe, hat unstreitig große Vorzüge, und seine Glieder müssen die Sorgfalt segnen, die für sie so wohltätig wirkt.
Die Französische Revolution, wovon die gegenwärtigen Kriege die Fortsetzung sind, gab den Franzosen unter Blutvergießen und Stürmen einen ganz neuen Schwung. Alle schlafenden Kräfte wurden geweckt, das Elende und Schwache, veraltete Vorurteile und Gebrechen wurden – freilich zugleich mit manchem Guten – zerstört. Die Benachbarten und Überwundenen wurden mit dem Strome fortgerissen.
Unkräftig waren alle die Dämme, welche man diesem entgegensetzte, weil Schwäche, egoistischer Eigennutz und falsche Ansicht sie bald ohne Zusammenhang aufführte, bald diesen im gefährlichen Irrtum unterbrach und dem verheerenden Strome Eingang und Wirkung verschaffte.
Der Wahn, daß man der Revolution am sichersten durch Festhalten am Alten und durch strenge Verfolgung der durch solche geltend gemachten Grundsätze entgegenstreben könne, hat besonders dazu beigetragen, die Revolution zu befördern und derselben eine stets wachsende Ausdehnung zu geben. Die Gewalt dieser Grundsätze ist so groß, sie sind so allgemein anerkannt und verbreitet, daß der Staate, der sie nicht annimmt, entweder seinem Untergange, oder der erzwungenen Annahme derselben, entgegensehen muß; Ja selbst die Raub- und Ehr- und Herrschsucht Napoleons und seiner begünstigten Gehilfen ist dieser Gewalt untergeordnet und wird es gegen ihren Willen bleiben. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß unerachtet des eisernen Despotismus, womit er regiert, er dennoch in vielen wesentlichen Dingen jene Grundsätze befolgt, wenigstens ihnen dem Schein nach zu huldigen genötigt ist.
Also eine Revolution im guten Sinn, gerade hinführend zu dem großen Zwecke der Veredelung der Menschheit, durch Weisheit der Regierung und nicht durch gewaltsame Impulsion von Innen oder Außen – das ist unser Ziel, unser leitendes Prinzip. Demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung: diese scheint mir die angemessene Form für den gegenwärtigen Zeitgeist. Die reine Demokratie müssen wir noch dem Jahre 2440 überlassen, wenn sie anders je für den Menschen gemacht ist.
Mit eben der Kraft und Konsequenz, womit Napoleon das französische revolutionäre System verfolgt, müssen wir das unsrige für alles Gute, Schöne, Moralische verfolgen, für dieses alles, was gut und edel ist, zu verbinden trachten. Ein solcher Bund, ähnlich dem der Jakobiner, nur nicht im Zweck und in der Anwendung verbrecherischer Mittel, und Preußen an der Spitze könnte die größte Wirkung hervorbringen und wäre für dieses die mächtigste Allianz. [...]

II. Auswärtige Verhältnisse [...]

III. Grundverfassung des Inneren
1. Der Adel [...]
2. Der Bürgerstand [...]
3. Der Bauernstand [...]

4. Herstellung des Zusammenhanges der Nation mit der Staatsverwaltung.
Die Nation mit der Staatsverwaltung in nähere Verhältnisse zu bringen, sie mehr damit bekannt zu machen und dafür zu interessieren, ist allerdings heilsam und nötig. Die Idee einer Nationalrepräsentation, so wie sie von dem Herrn von Altenstein gefaßt ist, ohne Abbruch der monarchischen Verfassung, ist schön und zweckmäßig. Der Begriff gefährlicher Nationalversammlungen paßt nicht auf sie. Durch die Amalgamierung der Repräsentanten mit den einzelnen Verwaltungsbehörden wird sie den Nutzen gewähren, ohne den Nachteil zu haben. Sie soll keinen besonderen konstitutiven Körper, keine eigene Behörde bilden.
Es wird darauf ankommen,
a) die Prinzipien auf angemessene Weise zu bestimmen, nach welchen die Wahlen vorzunehmen sind, nicht nach den Ständen, sondern aus allen Ständen von den Kommunitäten; wie diese zu konstituieren und wie von ihnen die Wahlen vorzunehmen sein würden;
b) welchen Behörden Repräsentanten zuzugeben sind. Meines Erachtens würden die Kommunitätsverwaltungen und Obrigkeiten bloß aus Gewählten bestehen; den Kreisvorstehern, den Verwaltungskammern, dem Ministerium neben dem König selbst würden Repräsentanten beigegeben;
c) die Qualifikation festzusetzen, welche eine jede dieser Gattungen von Repräsentanten haben muß, sowie die Art ihrer Nachweisung;
d) ihre Legitimation; sie müßten Vollmachten haben, aber keine Instruktionen; sie folgen ihren Einsichten;
e) ihren Wirkungskreis: beraten und auf ihre Kommittenten wirken. Bei den Kommunitätsbehörden führten sie die Verwaltung allein und mit vollem Stimmrecht, bei den Kammern würde ihnen eine Dezisivstimme gleich den übrigen Gliedern, bei den Kreisvorstehern, weil diese bloß exekutiv handeln sollen, und bei dem Ministerium nur eine Konsulativstimme zugeeignet.
f) Ihre Zahl richtete sich bei den Kommunitäten nach den Umständen und Lokalerfordernissen, aber bei den Verwaltungskammern wäre sie gleich der der Königl. Räte. Die Präsidenten und Direktoren setzte der König allein. Bei jedem Kreisvorsteher wären zwei Repräsentanten hinreichend. Der Kreisvorsteher würde dagegen künftig nicht mehr aus dem Adel gewählt, sondern vom Könige, ohne Rücksicht auf den Stand. Bei dem Ministerium könnten drei Repräsentanten den Beisitz haben. Ihnen müßte der freie Zutritt zu der Person des Königs, auch allein, stets offen stehen.
g) Die Dauer der Funktion möchte auf drei oder sechs Jahre zu bestimmen und dann zu einer anderweitigen Wahl zu schreiten sein, wobei jedoch der bisherige Repräsentant wieder erwählt werden könnte.
h) Die Belohnung müßten diese bloß in dem Verdienst um das Vaterland und in der Ehre setzen; sonst wird allerdings der Zweck verfehlt, und der Nachteil bleibt, daß bloß besoldete Diener das Schicksal des Staats in Händen haben. Wie tief müßte die Nation stehen, in der sich nicht so viele Männer fänden, die bereit wären, wenigstens einige Jahre hindurch den bloßen Forderungen der Ehre und des Patriotismus zu genügen!

5. Herstellung des möglichst freien Gebrauchs der Kräfte der Untertanen aller Klassen.
Aus dem Hauptgrundsatze, daß die natürliche Freiheit nicht weiter beschränkt werden müsse, als es die Notwendigkeit erfordert, folgt schon die möglichste Herstellung des freien Gebrauchs der Kräfte der Staatsbürger aller Klassen. Über den zu erleichternden Besitz der Grundstücke ist schon oben das Nötige gesagt; auch ihre Benutzung muß frei sein, und die Hindernisse, welche man ihr so häufig in den Weg gelegt hat, im Wahn, das Wohl des Staats zu befördern, müssen weggeschafft werden, sei es durch Aufhebung übel gewählter Polizeigesetze oder schädlicher Vermischungen der Eigentumsrechte. Die Ausübung persönlicher Kräfte zu jedem Gewerbe oder Handwerk werde frei und die Abgabe darauf gleich in den Städten und auf dem Lande. Die Abschaffung der Zünfte und der Taxen, wo nicht auf einmal, doch nach und nach, so wie der Herr von Altenstein es angibt, würde festzusetzen sein sowie die möglichste Beseitigung aller älteren Monopole. Neue würden nicht erteilt. Vorzüglich aber ist es nötig, sich auch mit der Abschaffung der Zwangsrechte, als des Mühlen-, Brauzwangs pp., zu beschäftigen. Die Lästigkeit und der Druck derselben sind anerkannt, und es kommt nur darauf an, eine Entschädigung dafür auszumitteln, deren Ausfindung wohl nicht fehlen kann.

6. Abschaffung aller Polster der Trägheit.
Alle Pfründen, die mit gar keiner Dienstleistung verknüpft oder nicht Belohnung wegen geleisteter Dienste sind, sollen unstreitig ganz wegfallen, also vornehmlich die Stiftsstellen, geistlichen Ritterorden pp. [...]

7. Hilfsmittel [...]

8. Schluß.
Ich bin endlich mit dem Herrn von Altenstein nach der innigsten Überzeugung einverstanden, daß nur eine Radikalkur unserer Verfassung dem Staat wieder neues Leben geben und ihm solches erhalten könne. Möge man sie doch nicht scheuen und mit starker Hand die nötigen Maßregeln – ja keine halben – ergreifen! Hindernisse werden sich genug auftürmen, aber sie werden zusammenfallen, wenn man ohne Weitläufigkeit und mit Mut auf sie los geht. Sie mögen in der vorigen Verfassung, in angeblichen ständischen Rechten, oder wo es auch sei, liegen, man bekämpfe sie rasch und fest! Zeit ist nicht zu verlieren. Man übertrage die Ausführung nicht großen zusammengesetzten Kommissionen, frage nicht viele Behörden. Selbst das Gutachten der Gesetzkommission dürfte dieses Mal nicht zu fordern sein. Wenige einsichtsvolle Männer müssen die Ausführung leiten. Einzelne Unzufriedene werden sich finden, aber sie werden von der Menge der Zufriedenen und Vernünftigen gewiß sehr leicht verdrängt werden, und vor dem Segen dieser letzteren wird ihre Stimme bald verstummen.

[IV. Militärwesen. - V. Innere Polizei. - VI. Finanzwesen. - VII. Religion. - VIII. Justizwesen. - IX. Geschäftspflege.]“

 
Aus: Georg Winter, Die Reorganisation des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg, 1. Teil: Allgemeine Behördenreform, Bd. 1, Leipzig 1931 S. 302-363, hier S. 305-306, 318-320.

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