Deutsches Vaterland nach Ernst Moritz Arndt 1813

Ernst Moritz Arndts Schriften: zum Rhein und über Napoleon, 1813

Oben: Ernst Moritz Arndt, Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze, 1813
Unten: Ernst Moritz Arndt, Kurze und wahrhaftige Erzählung von Napoleon Bonapartens verderblichen Anschlaegen, von seinen Kriegen in Spanien und Rußland, von der Zerstörung, seiner Heeresmacht, und von der Bedeutung des gegenwärtigen teutschen Krieges: ein Buechlein dem teutschen Volke zum Trost und zur Ermahnung, Leipzig 1813
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„Jetzt nach diesen vorläufigen und nicht unzeitigen Bemerkungen habe ich zu erklären, was meine Ueberschrift bedeutet: der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze. Ich meine mit dieser Ueberschrift, die beiden Ufer des Rheins und die umliegenden Lande müssen teutsch seyn, wie sie sonst waren, die entwendeten Lande und Menschen müssen dem Vaterlande wieder erobert werden. Ohne den Rhein kann die teutsche Freiheit nicht bestehen. Diese Meinung gründet sich zunächst auf mein Herz, auf meine Liebe zu meinem Vaterlande und zu meinem Volke: diese Liebe ist den Redlichen vielleicht ein ehrwürdiges Ding, aber sie ist schlecht, Beweise auf dem Papiere zu führen. Sie gründet sich zweitens auf Recht, auf Politik, auf Ehre, und auf Treue des teutschen Namens. Diese vier Zeugen können ihre Aussagen durch Briefe und Siegel bestätigen lassen, sie können ihr Zeugniß jedermänniglich verständlich und gültig machen. Ich höre sie denn einzeln ab, und lasse jeden unpartheiischen Richter den Ausspruch thun.

[...]

Dies sind die größten Gründe, daß der Rhein mit seinen Landen wieder teutsch werden muß. Ein sehr großer Grund liegt auch in der Verfassung und in dem Karakter der beiden Völker, von welchen hier gehandelt wird. Die Verfassung des teutschen Volkes ist eidgenossisch und bündisch: sie wird auch künftig immer mehr oder weniger bündisch oder republikanisch bleiben; also wird das Volk nie mit der wildesten und willkührlichsten Gewalt gebraucht und gemisbraucht werden können, wenigstens nicht lange Zeit, wenn einem außerordentlichen und ungeheuren Menschen solches auch einige Zeit gelänge, oder wenn eine ungeheure und alles erschütternde Begebenheit das Volk auch vielleicht einmal aus seinen ordentlichen Verhältnissen herausrisse. Der Karakter des teutschen Volkes ist still, mäßig, gerecht, eher zu ruhig als zu wild. Seine Geschichte beweist, daß es immer lieber das Seine behalten als das Fremde erobern will. Dies Lob gab ihm vor 1700 Jahren schon Tacitus, als römische Heere am Rheinstrom von den Germanen erschlagen lagen. Die Teutschen sind nie ein Eroberervolk gewesen, außer in jener wilden alles umkehrenden Zeit des fünften und sechsten Jahrhunderts, wo, weil die Welt eine neue und andere Welt werden und eine ganz neue Gestalt gewinnen sollte, alle Welttheile und Völker auf einander stürzten und sich über ein Jahrhundert in wilden Revolutionen und blutigen Kämpfen zerarbeiteten, bis Rom in Trümmern lag und die Gründe eines neuen Lebens geworfen waren. Die Verfassung des Franzosen ist monarchisch, war es von jeher, und wird unter tüchtigen und eingreifenden Herrschern immer despotisch, so daß die Franzosen zu eigenem und fremdem Verderben oft ein halbes Jahrhundert auf das willkührlichste und grausamste gemisbraucht werden können. Der französische Karakter ist leichtsinnig, unstät, unruhig, ungerecht, immer zwischen dem Zuviel und Zuwenig wankend, also keiner stätigen Freiheit fähig: weil sie sich durch den eigenen Willen nicht beherrschen können, müssen sie einem fremden blind gehorchen. Sie haben Anlage zu einem Eroberervolke, aber wenig Anlage, das Eroberte zu gebrauchen. Nie werden ihre Nachbarn vor ihnen Ruhe haben. Wir Teutschen können von ihrer Unruhe, Treulosigkeit, und Unrechtlichkeit Geschichten erzählen; auch die Italiäner und Spanier können es. Sie sind nicht bloß heute so, sie sind nicht bloß durch die Revolution so geworden, nicht bloß durch Napoleon über alles Maaß hinausgetrieben; sie sind so gewesen seit den Anfängen ihrer Geschichte, sie werden so seyn bis an das Ende derselben. Uebermacht ist gefährlich in den Händen jedes Volks, in ihren Händen ist sie die gefährlichste.
Viele der kleineren politischen Gründe könnten noch angeführt und herausgehoben werden, warum der Rhein teutsch seyn muß und nicht französisch seyn darf. Man könnte auch diese eben dargelegten großen Gründe noch von manchen Seiten beleuchten, und sie so darstellen, daß aus jedem wieder drei vier neue Gründe hervorgingen: eine Art und Kunst, worin die Franzosen bei ihren Darstellungen Meister sind, und womit sie manchen Schwachköpfen Scheine vorgaukeln, welche endlich fast Wahrheiten gleich sehen. Wir aber verschmähen die unteutschen und gauklischen Künste, deren die Gerechtigkeit und Wahrheit unserer Sache auch gar nicht bedarf; wir werden überhaupt auch nur von solchen verstanden und begriffen werden, welche die Gründe zu wägen und nicht zu zählen gewohnt sind.
Nach diesen Hauptgründen ist es klarer als Sonnenlicht, daß der große und heilige Kampf, worin wir mit den Franzosen stehen, kein anderes erstes und letztes Ziel haben kann, als die Wiedergewinnung unseres abgerissenen Landes, und die Wiederbefreiung der Menschen unserer Sprache und Art, welche mit Gewalt haben Franzosen werden sollen.“
 
Quelle: Ernst Moritz Arndt, Der Rhein. Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Gränze, o.O. 1813, S. 14f, 46-49.

 


„Vor etwa fünf und zwanzig Jahren, in den Jahren 1788 und 1789, ging in Frankreich ein gewaltiges und schreckliches Feuer auf, welches seitdem mit Mord, Blut, Raub und Tyrannei gewüthet hat, und bis auf den heutigen Tag immer noch fortwüthet. Dieses Feuer ergriff zuerst Frankreich, und breitete sich in wenigen Jahren von da über alle angränzende Länder aus; Teutschland, Italien, die Schweiz, die vereinigten Niederlande fühlten seine Wuth und sein Verderben.

[...]

Seit ungefähr hundert Jahren hatte sich in Frankreich eine verruchte Rotte von Wollüstlingen und Spöttern erhoben, welche über alles lachten, was den Menschen je heilig und verehrlich war, welche alle Religion und allen Gottesdienst für einen leeren Wahn erklärten, alle Geschichte und alle Offenbarung Gottes leugneten, und geradezu bekannten: es gebe nichts Gewißes als die Wollust dieses Lebens, nach diesem Leben sei alles Asche und Staub, und bleibe es, Gott und Unsterblichkeit und Vergeltung seien Träume von Thoren. Das Gift dieser verruchten Menschen ergoß sich über alle Länder, und kam auch nach unserm Vaterlande, nach Teutschland: Gleichgültigkeit gegen das Heilige und Ewige, Verachtung aller Sitten und Weisen, eitle Klügelei für den himmlischen Glauben, eitler Menschenverstand für Gottes Offenbarung, Begehrung der irdischen Güter statt der überirdischen, Vergessen der alten teutschen Treue und Redlichkeit – das ist seit funfzig und vierzig Jahren eine gerechte Klage der Guten und Treuen gewesen; wir waren nicht mehr fromm und treu, wir liebten unsern Gott, unser Vaterland, unsere teutsche Freiheit und Ehre nicht mehr so inbrünstig, als unsere braven Vorväter sie geliebt haben. So schlimm stand es bei uns, so schlimm bei den meisten andern Völkern. Wann die Menschen so sind, dann ist Gottes Strafe nah; er beweiset ihnen dann, daß im Himmel Einer über allen lebt: sie müssen den Lohn ihrer bösen Herzen bezahlen. Gott strafte die Welt durch ein leeres und wildes Geschrei von Freiheit und Gleichheit, durch eine gaukelische Bethörung und Verblendung aller Herzen und Köpfe, und durch einen blutdürstigen und unersättlichen Thyrannen, den er als ein Ebenbild des Teufels und teuflischer Hinterlist und Gewalt aufstehen ließ.

[...]

Als die Sachen so standen, da erweckte Gott im vierten Jahre des Kriegs und im achten Jahre der französischen Verwirrung einen Mann, welcher das Werk der Schande bekrönen und vor aller Welt offenbaren sollte, welche Früchte die ungläubige und gottlose Zeit tragen mußte: dieser Mann hieß Napoleon Bonaparte. Er war geboren in der Insel Korsika, die im mittelländischen Meere nahe an Italiens Küsten liegt und von einem wilden räuberischen, und meuterischen Volke bewohnt wird. Schon vor mehr als 2000 Jahren war diese Insel wegen Räuberei, Mord, Meineid, und Verruchtheit berüchtigt, und ist es bis auf den heutigen Tag, so daß die Italianer nicht gerne mit einem Korsen unter demselben Dache sind. Dieses an Räubern und Banditen reiche Land sollte ein Ungeheuer aus seinem Schooße aussenden, daß es die Welt für ihre Sünden strafte: auch ein sichtbares Zeichen, welchen Helden diejenigen verdient hatten, welche Napoleon den Befreier, den Wiederhersteller und Verjünger der Welt, und den Führer und Leitstern des neunzehnten Jahrhunderts nannten.

[...]

Dies alles habe ich den Menschen vor Augen gestellt und stelle es vor Augen, damit die Schwachen stark und die Faulen geschwind und die Verzagten muthig werden; und damit die, welche noch in des Wütherichs Gewalt sind, nach dem rechten Heil aussehen, wo es wirklich ist. Wehe aber denen, welche jetzt nicht fühlen, daß ein teutsches Vaterland ist, welche jetzt nicht bereit sind zu der heiligen Arbeit und schönen Gefahr, welche jetzt noch an den fremden Unterdrückern hangen! Gott hat sie verworfen, ihr Volk verwirft sie, die Geschichte wird sie verwerfen. Wehe auch allen teutschen Buben und Verräthern, die noch mit en Fremden zetteln und spinnen! Der Tag der Rache ist da, das teutsche Volk und die teutsche Ehre sind erwacht, es wird vergehen, was sie geschändet hat und was sie schänden will; ihre Schande wird auf ihren Kopf fallen, Gott wird über die Bösen Gericht halten, wie er in Rußland und Polen Gericht gehalten hat.
Also, teutsches Volk was wollet ihr? was müsset ihr jetzt wollen? Höret mich.
Eure Altvordern, die Germanen, eure Väter, die Teutschen, waren wegen ihrer Tugend, Tapferkeit, Freiheit, und Gerechtigkeit das gepriesenste Volk der Welt, sie haben eine unvergängliche Geschichte verdient. Wollt ihr ihre Ehre durch Schande beschmutzen? wollt ihr die uralte teutsche Freiheit durch Knechtschaft schänden? wollt ihr als Weichlinge und Sklaven auf ihren Gräbern grasen, bis ihre Gebeine sich umwühlen vor Zorn und ihre Gespenster erscheinen zur Rache, und euch verdammen und euch verfluchen, und ihr als ein beflecktes und verächtliches Volk aus der Geschichte abscheidet?
Nein, Teutsche, das wollet ihr nicht.“
 
Quelle: Ernst Moritz Arndt, Kurze und wahrhaftige Erzählung von Napoleon Bonapartens verderblichen Anschlaegen,
von seinen Kriegen in Spanien und Rußland, von der Zerstörung, seiner Heeresmacht, und
von der Bedeutung des gegenwärtigen teutschen Krieges: ein Buechlein dem teutschen Volke zum Trost und
zur Ermahnung, Leipzig 1813, S. 1-3, 5f, 110f.

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