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Auszüge aus: Jörg van Norden, Zwischen legaler und traditionaler Herrschaft. Die evangelische Kirche im Großherzogtum Berg und im Königreich Westfalen 1806-1813, in: Jahrbuch für ..., S. 342-344:


„Mit dem Code Napoleon wurden im Königreich Westfalen am 22.1.1808 und im Großherzogtum Berg am 12.11.1809 die Zivilehe und die kommunalen Personenstandsregister eingeführt. Bisher hatten die Pfarrer Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle ihrer Gemeinde in ihren Kirchenbüchern vermerkt, die entsprechenden kirchlichen Handlungen im engeren Sinne, die Taufe, die Trauung und die Beerdigung vollzogen und dafür Gebühren erhoben, die einen wichtigen Teil ihres Gehaltes ausmachten. Die Gemeindeglieder waren dem Pfarrzwang unterworfen, d.h. sie mussten bei dem Pfarrer ihrer Pfarrei z.B. das kirchliche Aufgebot bestellten, wenn sie heiraten wollten. Stammten die beiden Brautleute nicht aus ein und derselben Kirchengemeinde, fertigte der Pfarrer, der auf die Trauung verzichtete, einen sog. Losschein aus, für den er eine Gebühr erheben durfte, um so für die ihm entgangenen Einkünfte entschädigt zu werden.
Im Großherzogtum Berg betraute man die Maires mit der Zivilehe und der Führung der kommunalen Personenstandsregister. Die entsprechenden Verwaltungsakte waren gebührenpflichtig, so dass die Pfarrer befürchteten, dass die Brautleute zwar wohl nicht auf die kirchliche Trauung verzichten, aber das kirchliche Aufgebot und die Losscheine verweigern sowie sich dem Pfarrzwang entziehen würden, um nicht noch einmal bezahlen zu müssen. Die großherzoglich bergischen Synoden machten deutlich, dass eine kirchliche Trauung ohne kirchliches Aufgebot und Losschein nicht möglich sei. Daraufhin bekräftigten die staatlichen Behörden, dass die Zivilehe vor dem Maire eine rechtliche Verpflichtung, die kirchliche Trauung aber eine freie Gewissensentscheidung und es deshalb nicht rechtmäßig sei, Brautleuten das kirchliche Aufgebot und die Losscheine aufzuzwingen. Der Ruhrpräfekt von Romberg unterstrich, dass die Ehe in der evangelischen Kirche eben kein Sakrament sei und damit zu den iura circa sacra gehöre, bisher vom Staat an die Kirche delegiert, jetzt aber wieder zurückgenommen werde. Die Pfarrer könnten doch von ihrer Gemeinde für die entsprechenden Gehaltsausfälle entschädigt werden. Die großherzoglich bergische Regierung und die Kirche beharrten auf ihrem jeweiligen Standpunkt, so dass sich eine Art Grauzone bildete, in der die Pfarrer ihre Gemeindeglieder von der Gültigkeit der alten kirchlichen Gebräuche zu überzeugen versuchten, ohne dabei den direkten Konflikt mit dem Staat zu riskieren. Der Staat reagierte seinerseits ambivalent: Als die märkisch lutherische Gesamtsynode und das Soester Ministerium einen Hirtenbrief von ihren Kanzeln verlesen ließen, der die Gemeindeglieder auf das kirchliche Aufgebot und die Losscheine verpflichtete, wurden die Soester Pfarrer, nicht aber die märkischen Synodalen und der verantwortliche märkische Präses Bädecker verwarnt, möglicherweise deshalb, weil Bädecker sich der staatlichen Kirchenpolitik gegenüber in vielen anderen Punkten sehr entgegenkommend zeigte.
Obwohl die Zivilehe und die kommunalen Personenstandsregister auch im Königreich Westfalen eingeführt wurden, fehlten hier vergleichbare Auseinandersetzungen, weil die Pfarrer mit diesen Aufgaben betraut wurden. Sie waren als ‚Civilstandsbeamte‘ in staatlichem Auftrag für ihre Gemeindeglieder zuständig. Diese Regelung ist aus heutiger Sicht überraschend, erstens weil die westfälische Verfassung den Untertanen einerseits unbeschränkte ‚Freyheit‘ in der Ausübung der Religion zusicherte, sie andererseits aber in puncto Meldepflicht an die Kirchengemeinde und den Pfarrer ihrer Konfession gebunden waren und zweitens weil die Pfarrer zwar verpflichtet waren, die weltliche ‚Heyrathsnote‘ aufzunehmen, die kirchliche Trauung aber aus geistlichen Gründen durchaus verweigern konnten. Ein weiteres Problem war die Scheidung, die nach Gesetzeslage möglich war, nicht aber nach dem Kirchenrecht. Hier verfügte Justizminister Simeon am 26.1.1811, dass die Pfarrer Scheidungen gegen ihren Willen nicht vollziehen mussten, sondern solche Fälle an die Maires abgeben konnten. Die Zivilehe und die kommunalen Personenstandsregister führten, so Thimme, nicht dazu, dass die Nachfrage nach den entsprechenden kirchlichen Handlungen abnahm21. Die Tatsache, dass die Pfarrer neben ihrem geistlichen Amt als weltliche Beamte fungierten, macht deutlich, dass nicht auf eine konsequente Trennung von Kirche und Staat hingearbeitet wurde.
Die Pfarrer schienen mit dieser Lösung zufrieden zu sein. Für die Verwaltungsakte, die sie jetzt durchführten, durften sie Gebühren erheben. Der ,Heiratsakt' kostete ein Franc, die Scheidung 50 centime, ein Auszug aus dem Personenstandsregister ebenfalls 50 centime, wogegen die Eintragungen in das Geburts- und Sterberegister kostenfrei waren. Thimme führt aus, dass der Staat diese Gebühren Ende 1808 festgesetzt habe, weil die Pfarrer angeblich vorher zu hohe Sätze verlangt hätten. Probleme entstanden dort, wo die Pfarrer mit den komplizierten Vorgaben für die Führung der Personenstandsregister überfordert waren. Die Register mussten jährlich ‚in duplo‘ und zusätzlich mehrfach Listen für die Steuermatrikel und die Conscription eingereicht werden. Bei Formfehlern und Nichteinhaltung der Fristen drohten empfindliche Strafen. Diese Schwierigkeiten waren jedoch nicht spezifisch für den Pfarrerstand, sondern traten in gleichem Umfang bei den kommunalen Beamten auf, die sich mit den Anforderungen der neuen, modernen Verwaltung konfrontiert sahen.“

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