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Auszüge aus: Jörg van Norden, Zwischen legaler und traditionaler Herrschaft. Die evangelische Kirche im Großherzogtum Berg ..., in: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte 99, 2004, S. 344-348:


„Die sog. ‚deutschen‘ bzw. Volksschulen waren traditionell Sache der Kirchen. Der Begriff ‚deutsch‘ diente als Abgrenzung von den Latein- oder höheren Schulen. Die Kirchengemeinden waren in der Regel Eigentümer der örtlichen Schulgebäude und der Schulfonds. Die Klassen der presbyterial-synodal bzw. die Konsistorien der konsistorial verfassten Kirchen prüften die angehenden Lehrer und übten die mittlere, die Pfarrer vor Ort die untere Schulaufsicht aus. Die Einstellung neuer Lehrer erfolgte seitens des jeweiligen Schulvorstandes, der sich aus Gemeindegliedern unter dem Vorsitz des Pfarrers zusammensetzte, bzw. seitens des Konsistoriums. Das Gehalt der Lehrer war ähnlich wie das der Pfarrer heterogen und von Schule zu Schule anders zusammengesetzt. Es bestand aus dem von den Schülern zu zahlenden Schulgeld, das seitens der Kirchengemeinde durch ein Fixum an Geld oder Naturalien, eine Wohnung sowie Garten-, Acker- und Weideland ergänzt werden konnte. Besonders die Landschullehrer verdienten so wenig, dass sie gezwungen waren, sich um ein Zubrot z.B. als Handwerker zu bemühen. Das Schulverzeichnis für Minden-Ravensberg von 1808 macht die enormen Unterschiede in der Lehrerbesoldung deutlich: Während der Lehrer und Küster an der lutherisch Altstädter Schule in Bielefeld insgesamt 571 Reichstaler im Jahr verdiente, waren es bei dem der Senner Landschule nur 85 Rtl.
Der Staat hatte bereits vor 1806 versucht, stärkeren Einfluss auf das Schulwesen zu nehmen. Dafür sprechen in Preußen die diesbezüglichen Bestimmungen des Allgemeinen Landrechtes und die Einrichtung der Oberschuldirektion in Berlin. Das bergische Schulwesen wurde im November 1802 der zuständigen bayerischen Landesregierung direkt unterstellt, die ebenso wie die preußische durch finanzielle Hilfen versuchte, die Situation der Lehrer zu verbessern. Laut Schäfer zeigten sich die evangelischen Kirchen mit der staatlichen Schulaufsicht, wie sie sich in Preußen und Bayern anbahnte, durchaus einverstanden.

Die Regierung des Großherzogtums Berg knüpfte bei diesen Tendenzen einer Verstaatlichung des Schulwesens an. Eine Vielzahl unterschiedlicher Entwürfe und Gutachten wollte entweder die Geistlichen ganz von der Schulaufsicht ausschließen und den Religionsunterricht aus dem Fächerkanon streichen oder sie weiterhin maßgeblich daran beteiligen und am schulischen Religionsunterricht festhalten. Ein Entwurf schlug vor, Lehrer zu Schulräten zu ernennen, die die Schulaufsicht übernehmen sollten. Organisatorisch übertrug man die Schulaufsicht in oberster Instanz dem Innenministerium, ihm nachgeordnet waren die 1806 eingerichtete ‚Generaldirektion des öffentlichen Unterrichtes‘, die Präfekten, Unterpräfekten und Maires. De facto änderte sich jedoch wenig an der geistlichen Schulaufsicht, ja der Präfekt forderte die Pfarrer sogar auf, die Schulen häufiger zu visitieren. Zum Streit kam es erst, als 1811 in Düsseldorf eine Prüfungskommission für das Rheindepartement eingerichtet wurde, die die angehenden, aber auch bereits amtierende Lehrer zu einer pädagogischen Prüfung vorlud. Die Gesamtsynoden protestierten, weil damit das Recht der Klassen verletzt werde, die Lehrer zu prüfen, bzw. die bereits von denselben abgenommenen Prüfungen entwertet würden. Die Lehrer reagierten unterschiedlich. Einige unterstützten die Synoden, andere begrüßten die staatliche Prüfung, weil sie hofften, sich so aus der Dienstaufsicht seitens der Pfarrer lösen zu können und staatliche Gehaltszulagen zu bekommen. Laut Schäfer übernahm schließlich der Staat die Lehrerbesoldung, insofern als er die Verwaltung der Lokalschulfonds den Maires übertrug, die gehalten waren, den Lehrern ein Jahresgehalt von mindestens 250 Thalern zusätzlich zu Wohnung, Wiese, Garten und Schulgeld zu garantieren.

Auch im Königreich Westfalen versuchte man, der finanziellen Notlage der Lehrer abzuhelfen. Die staatlichen Behörden überwachten die Einhaltung der Schulpflicht und die Zahlung des Schulgeldes. Die bis 1806 üblichen Zuschüsse aus preußischen Kassen wurden weitergezahlt. Diese Summe betrug im Distrikt Bielefeld für das Jahr 1808 5874 francs. Schließlich übernahm der ‚Communalkassenrendant‘ die undankbare Aufgabe, das Schulgeld einzuziehen. Die Kommunalkasse zahlte für mittellose Eltern.
Im Königreich Westfalen lag die untere Schulaufsicht weiterhin bei den Pfarrern, die jetzt nicht mehr mit den Magistraten, sondern mit den Maires konkurrierten. Das Konsistorium nahm die mittlere Schulaufsicht wahr und arbeitete mit dem Präfekt zusammen. Als Bindeglied zum Innenministerium war den genannten Instanzen wie im Großherzogtum Berg eine Generaldirektion des öffentlichen Unterrichts vorgesetzt. Das Konsistorium bemühte sich u.a. darum, die Lehrerausbildung zu verbessern. Von den beiden in Minden 1773 bzw. in Petershagen 1792 gegründeten Lehrerseminaren, in denen jeweils etwa sechs bis acht Pädagogen ausgebildet werden konnten, musste Petershagen geschlossen werden, weil die Finanzierung nicht mehr sichergestellt war, als die Zuschüsse der preußischen Oberschulkasse in Berlin wegfielen. Auf die Initiative Konsistorialrat Brockelmanns und mit Unterstützung des Präfekten konnte das Seminar Mitte 1810 wieder eröffnet werden. 1813 machte Superintendent Scheer den Vorschlag, in Bielefeld ein weiteres Lehrerseminar einzurichten.
Obwohl sich die Zusammenarbeit von Kirche und Staat im Bereich der Schulen im allgemeinen konfliktfrei gestaltete, kam es in einem Punkt zu Auseinandersetzungen. Seit der Gründung der Lehrerseminare in Minden und Petershagen hatte das Konsistorium seit etwa 1796 die Absolventen dieser beiden Institute an den Schulen eingestellt, ohne dass andere staatliche Instanzen an diesem Verfahren beteiligt gewesen wären. Im September 1808 bestätigten die Generaldirektion des öffentlichen Unterrichtes und der Weserpräfekten die Kompetenzen des Konsistoriums und damit indirekt seine bisherige Einstellungspraxis. Dagegen berief sich der Petershagener Maire darauf, dass er laut Verwaltungsordnung die untere Schulaufsicht wahrnehmen sollte, und forderte dem Konsistorium gegenüber an allen Besetzungsverfahren in seinem Amtsbereich beteiligt zu werden. Das Konsistorium lehnte ab und wies darauf hin, dass die Konkurrenz der Maires nur bei den höheren Schulen in Minden, Bielefeld und Herford statthaft sei, bei denen die Magistrate bis 1806 Einfluss auf die Besetzung der Lehrerstellen gehabt hätten. Der Weserpräfekt schloss sich dem Votum des Konsistoriums an, betonte aber mehrfach, dass alle Personalentscheidungen über den Präfekten an die Generaldirektion gehen müssten, und erst umgesetzt werden dürften, wenn letztere ihre Zustimmung gegeben habe. Offensichtlich hielt sich das Konsistorium nicht an diese Regelung, sondern verfuhr wie bisher, d.h. ohne andere staatliche Stellen an dem Verfahren zu beteiligen. Der Präfekt sah sich schließlich gezwungen, die Generaldirektion um das nachträgliche Placet für die vom Konsistorium eigenmächtig eingestellten und bereits amtierenden Lehrer zu bitten. Die Generaldirektion kam dieser Bitte nach, unterstrich aber, dass sich das Konsistorium an die Vorschriften zu halten habe, wenn es nicht die Annullierung seiner Personalentscheidungen und eine Anzeige beim Innenministerium in Kauf nehmen wolle. 1811 versuchte der Präfekt des Fuldadepartements, der zu diesem Zeitpunkt für den Bereich des inzwischen aufgelösten Konsistoriums Minden zuständig war, die Kompetenzstreitigkeiten zu beenden, indem er den staatlichen Verwaltungsbehörden die äußeren, den Superintendenten und dem Konsistorium die inneren Schulangelegenheiten zuordnete. Seines Erachtens waren die Superintendenten für die Prüfung und das sittliche Betragen der Lehrer sowie für die Qualität des Unterrichts zuständig. Zu der Frage der Personalentscheidungen äußerte er sich nicht. Der Präfekt des Leinedepartements wollte die einzustellenden Lehrer von Munizipalrat vorschlagen lassen und den Vorgang dann an die Generaldirektion weiterleiten. Kirche war hier nur insofern involviert, als der Superintendent die Lehrerprüfungen abnahm. Der Präfekt des Harzdepartements besetzte offensichtlich die vakanten Stellen in direkter Absprache mit dem Innenministerium, so dass er sich den Vorwurf der Generaldirektion einhandelte, das Schulwesen ‚ursurpieren‘ zu wollen. Offensichtlich war die Schulpolitik von Departement zu Departement sehr unterschiedlich.

Was die sog. Lateinschulen anging, plante man 1813, pro Departement nur noch eine höhere Schule zuzulassen, die sich nach dem Vorbild des 1812 in Kassel gegründeten Lyceums richten sollte. Für Bielefeld und Herford wurde Superintendent Scheer beauftragt, als Grundlage für die Reform ein Gutachten über die vorhandenen Lateinschulen zu erstellen.“

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