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Ueber unsere Sprache
[...]

Daß wir Deutsche mehr Sprachen erlernen, als irgend ein Volk, gereichet uns zur Ehre, auch zum Vortheil, und ist geeignet, uns in unsere eigene Sprache desto tiefere Einsicht zu gewähren, je mehr wir in Stand gesetzt werden, sie mit fremden Sprachen zu vergleichen; eine Vergleichung, welche für den Deutschen, der sie mit Kunde anstellt, gewiß sehr erfreulich seyn wird, und ihn an einen biedern und geistvollen Ritter der Vorzeit, Walther von der Vogelweide, erinnern mag, der nach zurückgelegten Reisen und Feldzügen in Europa und Asien, als er heimgekommen war, fröhlich unter Deutschen sang:

Die deutsche Zucht hat mir vor allen
Den fremden Sitten wohl gefallen;
Und das war meiner Reisen Frucht,
Daß mir gefiel die deutsche Zucht!

Durch Erlernung fremder Sprachen setzen wir uns nicht nur in den Besitz ihrer geistigen Reichthümer, sondern wir bereichern auch noch auf andere Weise unsere Begriffe. Je tiefer wir in das Verständniß fremder Sprachen dringen, desto mehr werden wir inne, daß zwar jedes Volk für jeden sittlichen Begriff, für jede Empfindung, ein Wort habe; daß aber nicht immer das Wort in der einen Sprache mit dem Wort in der andern Sprache vollkommen übereinstimme. Ich rede hier nicht von Worten, welche der Mißbrauch entwürdiget hat, sondern von jener Bedeutsamkeit der Worte, welche aus der innigsten Eigenthümlichkeit der Art und Weise zu denken und zu empfinden – ich möchte sagen, zu sehen und zu fühlen – bei jedem Volke entstand. Das Verständnis dieser verschiedenen Abschattungen desselben Hauptbegriffs erweitert den Verstand und bereichert die Empfindung.

Diesen Vortheil werden aber nur Wenige zu ergreifen wissen; auffallender und allgemeiner ist derjenige, den uns die Kunde verschiedner Sprachen giebt, indem sie uns den Zugang zu den Schätzen des Geistes verschiedener Zeiten und verschiedener Gegenden aufschließt, also unsern hienieden immer durch Zeit und Raum beschränkten Wahrnehmungen und Wirkungen größern Spielraum öffnet, und freier macht, wofern wir diese Freiheit recht gebrauchen, denn mißbrauchte Freiheit führt immer in engere Schranken zurück, als die ersten waren.

Und das ist leider der Fall vieler Deutschen geworden! Statt mit der Billigkeit, die der deutschen Gemüthsart eigen ist, das Fremde zu würdigen, überschätzte der Deutsche es mit jener Schwäche, die ihm auch sehr eigen ist, und die er nur zu oft naiv genug ausdrückt, wenn er, Geringschätzung anzudeuten, sagt: „Das ist nicht weit her.“

Selbst die Muttersprache lag uns zu nah, wir versäumten sie lange Zeit auf eine so unbegreifliche als thörichte Weise. Der pedantischen Ueberschätzung des Latein folgte bald, ging ihr dann zur Seite, verdrängte sie darauf, die Überschätzung des Französischen. Möge eine bessere Nachwelt Mühe haben es zu glauben, – deutsche Zeitgenossen von Klopstock – unter vielen Edlen und Großen nenne ich den Einen Größten und Edelsten – ließen Französinnen kommen, um ihre Töchter zu bilden; und so wie pedantische Schulfüchse unsere Sprache vulgarem (die gemeine) nannten, so wurden deutsche Kinder edler Häuser gewöhnt, die hohe, edle Muttersprache als Sprache des Gesindes anzusehen; und wie konnten sie anders, wenn es Hausgesetz war, bei der Tafel französisch zu sprechen; wenn jeder kindliche Wunsch, um bei den Eltern Gehör zu finden, sei es mündlich, sei es schriftlich, in der Sprache des Fremdlings vorgelegt werden mußte.

[...]

Noch jetzt versammlen sich Deutsche und schwatzen französisch; noch jetzt schreiben Deutsche an Deutsche, Brüder schreiben manchmal an Brüder, Kinder an Eltern, das Weib an den Mann in französischer Sprache! Heißt das nicht, sich von den Seinigen entfremden? Ja, von sich selbst entfremden? Derselbe Gebrauch ist bei den nordischen Völkern eingeschlichen. Engländer, Italiener, Spanier und Portugiesen begreifen nicht, daß man aus Wahl mit Landsleuten in einer fremden Sprache rede, oder sie in Briefen brauche. Diese alberne Sitte ist es desto mehr, da der Gebrauch einer fremden Sprache uns doch nie ganz eigen wird. Es bedarf nur einer mittelmäßigen Kunde des Französischen, um inne zu werden, daß selbst Friedrich dem Zweiten die Sprache, die er vor allen liebte, in der er sprach, schrieb, Verse machte, dennoch, obschon er umgeben war von französischen Akademikern, immer fremd blieb.

[...]

Es liegt ein Schatz von Gesinnung in unserer Sprache; dieser sei uns heilig! Wir verloren vieles, aber alles, dessen Besitz wahren Werth hat, hat diesen in der Gesinnung. Nicht die Freiheit, sondern der empfundene Werth der Freiheit macht der Freiheit würdig. Das Glück macht oft den Sieger; nur Muth und Weisheit machen den Helden.

In der Gesinnung müssen wir uns fest halten; unsere Gesinnung müsse bieder, wahrhaft, einfältig, herzhaft, und herzlich seyn! Unsere reiche, kraftvolle, edle Sprache bleibe ein Band des Vereins, wo andere Bänder rissen. Viele Edle legten große Gedanken und warme Empfindungen der guten Muttersprache in den Schooß. Diese sind Gemeingut für uns. Legen auch wir gute Gedanken ihr in den Schooß. Es vermehre sich das Gemeingut für unsere Kinder und für unsere Enkel. Falle unser Loos, wie es fallen mag, fern sei von uns jeder politische Kleinmuth! Ueben wir Treue in allen unsern Verhältnissen, und hegen wir freien Sinn, bereit zu jeder Aufopferung des Aeußeren, ehe wir das mindeste von unserer Gesinnung aufgaben, oder aufzugeben scheinen!

Erstdruck in: Vaterländisches Museum 1810

aus: Friedrich Leopold Graf zu Stolberg, Gesammelte Werke, Bd. 10, Hamburg 1822, S. 297-319, hier S. 312-314, 315-316, 318.)
 
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