[ Start | Politik | Nation | Definitionen | „Nation“ und „Vaterland“ im Universallexikon von 1740 ]
   
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„Nation, lat. Natio, Französisch Nation, heisset seiner eigentlichen und ersten Bedeutung nach so viel, als eine vereinigte Anzahl Bürger, die einerley Gewohnheiten, Sitten und Gesetze haben. Aus dieser Beschreibung folget von selbst, daß ein gewisser, grosser oder kleiner Bezirck des bewohnten Erd-Kreises, eigentlich nicht den Unterschied der Nationen ausmache, sondern daß dieser Unterschied einzig und allein auf die Verschiedenheit der Lebens-Art und Gebräuche beruhe, folglich in einer oftmahls kleinen Provinz, Leute von unterschiedenen Nationen bey einander wohnen können. Schwerlich wird sich z.E. jemand zu behaupten unterstehen, daß die Wenden, ob sie gleich annoch, und zwar fast mitten Deutschland, in einem schmalen Strich Landes wohnen, auch auf allen Seiten Deutsche Nachbarn haben, zur Deutschen Nation gehören, welches aber nothwendig folgen würde, wenn der Unterschied der Nationen nach den Provinzen sollte beurtheilet werden. Vielmehr kann man sagen, daß das Wort Nation dem Inbegriff verschiedener Nationen, die in einem Bezircke wohnen, und eigentlich ein Volck (Populus) heisset, entgegen gesetzet werde. Dieses in der That und in dem Ursprunge des Worts selbst, gegründeten Unterschiedes ohngeachtet, aber hat der Gebrauch es schon lange eingeführet, daß das Wort Nation auch für ein Volck, welches in einer gewissen und von andern abgesonderten Provinz wohnhafft ist, genommen wird. Bisweilen aber bedeutet es auch so viel, als ein gewisser Stand (Ordo) oder eine Gesellschaft (Societas). ...“


„Vaterland, Lat. Patria, Franz. Patrie, heißt in eigentlichem und genauerm Verstande derjenige Ort, woselbst jemand gebohren worden und das Licht der Welt erblicket hat. [...] Sonst aber und ausserdem wird dieses Wort auch gar öffters demjenigen Orte beygeleget, allwo jemand seine wesentliche Wohnung und das Bürger-Recht erlanget hat. Man hälts insgemein dafür, daß dem Menschen von Natur eine Liebe gegen sein Vaterland eingepflanzet sey, und daß in Krafft solcher Liebe er seinem Vaterlande, da ihm zumahl die erste Lufft, Nahrung und Erziehung gegeben, mit gar besondern Pflichten verbunden sey. Die Griechen und Römer hielten sehr viel auf das Vaterland. [...] Die Liebe gegen das Vaterland kann keinesweges gänzlich geleugnet werden. Denn anfangs ist es an dem, daß die Art der Lufft, der Speisen, Geträncke, und aller Bequemlichkeit des Lebens in allen Ländern von unterschiedener Beschaffenheit ist, da denn also ein Mensch, der nun einmahl an die Beschaffenheit aller dieser Stücke in seinem Vaterlande von Jugend auf dermassen gewohnet ist, und die Gewohnheit die andere Natur bey ihm worden ist, dieselben so dann in andern Landen, in welchen sie weit anders beschaffen, schwerlicher gewohnen kann. Dahero leicht zu begreifen, wie es komme, daß offt ein Mensch auch vor sein dürres, unbequemes und rauhes Vaterland so grosse Neigung hege, daß er es wohl ehe einem fremden weit reichern und bequemern Lande vorziehet, indem es gar natürlich ist, daß ein jeder an einem Orte, der seiner Leibes- und Gemüthe-Constitution in allen obbemeldten Stücken am gemässesten ist, am liebsten sich aufhalte. Hiezu kommt noch das angenehme Angedencken, der in unserer Jugend lustigen vorgenommenen Sachen, womit wir die unschuldige Jahre in dem Vaterlande hingebracht.Allein nun folget die Frage: Ob diese entweder natürliche; oder vielmehr durch die Gewohnheit erregte Neigung gegen sein Vaterland den Menschen zu so gar sonderbaren Pflichten verbinden könne? Hiebey ist in Betrachtung zu ziehen, daß gegen den Ort selbst, darin wir gebohren, oder erzogen sind, als gegen eine leblose Sache keine Verbindlichkeit seyn könne. Er ist nicht fähig, uns zu seinen Schuldnern zu haben, und kann die Liebe gegen das Vaterland, als eine blosse Neigung keine Schuldigkeit gegen den Ort zu verursachen, fähig geachtet werden. Die Pflichten, die wir unserm Vaterlande schuldig sind, müssen also solche seyn, die wir nicht dem Orte; sondern den Menschen, die solchen Ort bewohnen, oder mit einem Worte, unsern Landsleuten schuldig sind. Diesen, so ferne sie als eine ganze Gesellschaft betrachtet werden, sond wir besonders verpflichtet. Denn wenn wir jetzt in einem Lande gebohren und erzogen werden, werden wir Bürger oder Glieder dieser ihrer Gesellschaft. Gleichwie wir nun hierdurch aller Befugnisse und Rechts-Wohlthaten solcher Gesellschaft würcklich theilhafftig werden, und zwar in einem ziemlich hohenGrade, in Betrachtung der unterschiedenen besondern Vorzüge, die unerzogenen Kindern zukommen: Also ist kein Zweifel, daß auf Seiten dieser, wenn sie nun erwachsen, aus denen Betrachtungen eine Verbindlichkeit zu besondern Gegen-Pflichten entstehen müsse, die die gemeinen Pflichten, so wir einer jeden einzeln Person schuldig sind, weit überwiegen.
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Quelle: Johann Heinrich Zedler, Großes vollständiges Universal-Lexikon Aller Wissenschaften und Künste ..., Bd. 23 und 46, Graz 1961/62 (Neudruck der Erstausgabe von 1740), Sp. 901f und Sp. 737f.
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