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Aus den Erinnerungen des August Ludwig Freiherrn von der Marwitz:


„Die Erziehungsschriften und die Lesebücher für die Jugend, waren ganz Geiste unseres lichtvollen achtzehnten Jahrhunderts, welches sich einbildet, nicht nur erleuchteter – als alles, was früher dagewesen war, sondern auch seinen Nachkommen solche Weisheit und solche Einrichtungen hinterlassen zu können, die niemals übertroffen werden können. Nachdem der Aberglaube ausgerottet war, glaubte der Verstand keine Grenze mehr anerkennen und alles überfliegen zu dürfen.
Vom Staat wurde gelehrt, er sei aus den Bedürfnissen gegenseitiger Hilfeleistungen entstanden. Die Menschen seien zu diesem Zweck zusammengelaufen und hätten sich Oberhäupter gewählt, um diese gegenseitigen Hilfeleistungen zu dirigieren, überhaupt: um das Volk glücklich zu machen. Wird diese grundfalsche Prämisse zugegeben, so folgt auch die ganze Teufelei, die seitdem Europa auf den Kopf gestellt hat, ganz logisch aus derselben.
So ist es aber nicht gewesen. Gott schuf Adam, Adam zeugte Kinder und hatte daher; also von Gott, eine natürliche Macht und Oberherrschaft über seine Familie. Aus diesen entstanden in der Folge mehrere Familien, und in jeder derselben hatte der Vater dieselbe natürliche Macht und Oberherrschaft über seine Kinder. Die Herden, die Bedürfnisse vermehrten sich, der Familienvater nahm Dienstboten an und übe dieselbe Macht und Oberherrschaft über sie aus. Wenn sie selbige nicht gehörig anerkannten, strafte er sie oder jagte sie fort und nahm andere Dienstboten an, alles kraft seiner ihm beiwohnenden und von Gott ihm zugestandenen Machtvollkommenheit.
So ist es auch noch bis auf den heutigen Tag. Nie ist es noch gesehen worden, daß sich ein Hauswesen zusammengefunden hatte von selbst, Kinder, Dienstboten, Erzieher, Kutscher, Koch usw. – und, nachdem sie sich zusammengefunden, gesprochen hätten: ‚Da sind wir nun ein Hauswesen, laßet uns nun ein Hausherrn wählen‘. Umgekehrt der Hausvater ist immer zuerst da, und da er Kinder bat und hinreichende Macht und Geld, um Dienstboten, Erzieher, Kutscher und Koch halten zu können, so nimmt er sie in seinen Dienst, und dadurch entsteht die Familie und das Hauswesen. – Ebensowenig verlangen die Hausgenossen, daß er die gegenseitigen Hilfeleistungen dirigiere, und überhaupt daß er sie glücklich mache. Im Gegenteil, der Hausherr legt einem jeden die Leistungen auf, die die Familie leisten soll, aus eigener Macht und weil es sein Wille so ist. Er erhält Ordnung und übt Gerecbtigkeit unter seinen Hausgenossen, das ist sein Amt – wie glücklich ein jeder sich dabei fühlen möge oder nicht, das ist nicht des Hausherrn, sondern jedes einzelnen Dieners Sache. Er wird dem treuen Diener dazu behilflich sein, insofern er die Pflichten eines Christen übt – aber es von Hause aus, als dazu angestellter Beamter, besorgen zu müssen, für den schlechten Knecht wie für den getreuen, dazu hat ergar keine Verpflichtung ist er auch gar nicht einmal imstande, weil ein jeder Menscb sein Glück sich nur selber bereiten kann.
Genau ebenso ist es mit dem Staat. Es ist noch nie vorgekommen und kann auch gar nicht sein, daß ein Volk zusammengelaufen wäre, ohne vorherigen Zusammenhang und ohne Oberhaupt und hätte nur gesprochen: ‚Wohlan! Da sind nun ein Volk, Vornehme und Geringe, Bürger und Bauern, lasset uns ein Oberhaupt erwählen, auf daß es unsere gegenseitige Hilfeleistung dirigiere und damit es uns glücklich mache!‘ – Umgekehrt: nachdem Gott Familien- und Hauswesen instituiert hatte, so ließ er zu, daß es darunter Ungerechte gab, welche die andern bedrängten. Wo nun ein mächtiger Familienvater schon da war, da schlossen sich andere an ihn an damit er sie beschütze. Er aber nahm sie in seinen Schutz unter der Bedingung, daß sie ihm ebenso geborchten, wie seine eigene Familie es tat, und so entstanden Stammeshäupter; Fürsten und Könige. Nimmermehr haben die Schutzgenossen verlangt und verlangen können, daß er Leistungen verteile oder daß er beglücke! Sie mußten sich die Leistungen gefallen lassen, die ihnen aufgelegt wurden, weil sonst der Schutz, dessen sie bedurften, ihnen unmöglich gewährt werden konnte. ﷓Ob sie dabei glücklich seien, das blieb nach wie vor ihre eigene Sorge. Des Fürsten Pflicht war nur, Ordnung und Gerechtigkeit unter ihnen zu handhaben, deswegen hatte Gott ihn Fürst werden lassen, und konnte er außerdem einem zu seinem Glücke behilflich sein, so war dies wiederum eine Liebespflicht, die er als Christ übte, keineswegs eine ihm durch sein Fürstenamt gebotene Pflicht!
Wenn man die Geschichte aller europäischen Staaten durchgehen will, so wird man immer finden, daß der Fürst allenthalben eher dagewesen ist als das Volk, daß er sich sein Volk gemacht hat, ebenso wie der Hausherr sich sein Hauswesen macht, nicht umgekehrt. Z. B. in Preußen: Der Burggraf von Nürnberg kaufte die Mark Brandenburg, für bares Geld, seine Nachkommen machten die preußische Monarchie, indem sie durch Erbschaft Pommern, Preußen, Cleve, durch Eroberung Schlesien usw. erwarben. So ist es überall und allenthalben und immer gewesen. Nirgends ist ein König als Beamter von seinem Volk, auf das er es glücklich mache eingesetzt worden. Vielmehr hat ihm Gott Macht und Herrschaft gegeben, auf daß er Recht und Ordnung handhabe! In Hinsicht des Erwerbs war die neue Irrlehre, da sie die Industrie und den Kredit an die Stelle des ruhigen Besitzes und des mit wenigem zufriedenen Fleißes, die Spekulation an der Stelle fleißiger Arbeit setzte, nicht weniger verderblich und naturwidrig.
Von der Kirche wurde gelehrt, daß sie überhaupt nur ein Blendwerk sei: was ein jeder mit dem allergemeinsten Verstande und ohne Anstrengung nicht zu begreifen vermöchte, was er gleichsam nicht mit den Händen fassen könne das sei auch gar nicht vorhanden. Es existiere also auch kein Zusammenhang des Menschen mit Gott und keine über ihm waltende Vorsehung. Des Menschen Verstand allein sei hinreichend, um ihn durch das Leben zuführen – es komme nur darauf an, Umstände und Schicksale geschickt benutzen usw.
Wenn insbesondere der Verstand zur Herrschaft berufen war, so waren auch alle diejenigen zum Herrschen bestimmt, die Verstand und Talent besaßen oder zu besitzen glaubten. Da aber auch hier wieder keine göttliche Allwissenheit auf dem Platze gegenwärtig war, um den wahren Verstand und das beste Talent aus der großen Masse der Talentvollen herauszusuchen, so mußte ein wildes Streben entstehen, durch welches ein jeder den anderen zu verdrängen suchte. – Die neue Lehre bestand also eigentlich darin, an die Stelle des Rechts und der Ordnung den Nutzen, an die Stelle cbristlichen Demuts undZufriedenbeit den Hochmut und die Unzufriedenheit mit der Stelle, die Gott einem jeden angewiesen hatte, zu bringen.
In Deutschland arbeitete die Sucht der Umkehr nur erst in den Köpfen der Gelehrten und Schriftsteller, die eigentlichen Stände des Landes, die arbeitsamen Klassen, waren noch nicht angesteckt.
Der Brandenburgische Kinderfreund, der in allen Schulen eingeführt wurde, gibt sich schon mit Staatserklärungen ab, und ein anderes ebenfalls in den Schulen eingeführtes Buch, das Not﷓ und Hilfsbüchlein für den Landmann laßt in seinem letzten Teile das Dorf, von welchem geredet wird, nicht eher vollkommen glücklich werden, als bis der (übrigens gar nicht einmal böse, sondern wohltätige) Gutsherr es verlassen hat und eine republikanische Konstitution darin eingeführt ist. ﷓In allenjenen Gedichten wurden nun die Edelleute als roh, unwissend, hochmüthig, adelsstolz dargestellt, als ihre Bauern mit willkürlichen Abgaben plagend, sie von Haus und Hof treibend, vorzüglich als enorme Jagdliebhaber; die mit ungeheuren Hetzen die Kornfelder des Bauern ruinierten und diesen zerprügelten, wenn er tränend und fußfällig mit Weib und Kind um Schonung bat. – In allen Kinderschriften ist immer der Junker ein Narr und ungezogener Bengel, der Bürgersohn ein Tugendheld.
Alle diese Lügen fanden allerdings noch keinen Eingang. Wie aber spater hin die Stuben- und Schulgelehrsamkeit dermaßen Oberhand gewann, daß niemand mehr wußte, was außerhalb der Stube geschah, und den Büchern allein geglaubt wurde, da vermeinte man allerdings den Bauern eine große Wohltat erzeigt zu haben, wie man ihn dem Schutz und der Vorsorge des Gutsherrn entzog und ihn wehrlos den weit strengeren Herren, seinen Gläubigern, überlieferte.“

 
Aus: ???

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